Das Phantastische in der neuen bulgarischen Belletristik: Pavel Vezinov


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

24 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Zu der Theorie der phantastischen Literatur
2.1. Allgemeine Charakterzüge der Phantastischen Literatur
2.2. Das Phantastishe in der bulgarischen Prosa 60er und 70er Jahre

3. Pavel Vežinov: auf dem Weg zum Phantastischen

4. Die Rolle des Phantastischen in der letzten Schaffensperiode Vežinovs
4.1. Die Überwindung der Barriere( der Roman Die Barriere)
4.2. Die Vorwarnung der weißen Eidechse ( der Roman Die weiße Eidechse)

5. Fazit

Bibliographie

1. Einleitung

Der Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist das Phantastische in der bulgarischen Prosa 60er und 70er Jahre, vor allem das Werk von Pavel Vežinov und seine Erzählungen Die Barriere und Die weiße Eidechse. Es soll gezeigt werden, welche Rolle die phantastischen Elemente in diesen beiden Werken spielen. Bevor ich auf diese Fragen eingehe, möchte ich zunächst einen kurzen Überblick über die Prosaentwicklung der 60er und 70er Jahren geben.

Man kann sagen, dass die sogenannte „epische Welle“ der fünfziger Jahre weiterhin die Literaturentwicklung in Bulgarien beherrschte. Es fand allerdings eine Transformation der Formen statt. Während in den Fünfzigern der Schwerpunkt vor allem auf die große epische Form (Trilogien, bzw. mehrteilige Werke) gesetzt wurde, fand in den Sechzigern eine Hinwendung zu den kleineren Formen wie Erzählung und Kurzroman statt. Die Vorliebe der Autoren für die großen Romane ganz in der Tradition des Wasowschen Romans - Epopöe Unter dem Joch setzte sich nur vereinzelt fort, so z.B. im Roman von Georgi Karaslawow Obiknoveni chora. Der erste Band dieses Werkes erschien 1952 und der letzte und sechste Band wurde 1974 beendet.[1] In diesem Roman ist die Handlung auf die Familiengeschichte der drei Generationen konzentriert.[2]

Auch die Natur der großen Romane hat sich geändert. Die Kriminal- und Abenteuerromane, die in der Fünfzigern durch den großen Roman völlig verdrängt wurden, rückten nun in Vordergrund. In diesem Zusammenhang sind die Namen von Andrej Guljaschki und Bogomil Rainow von großer Bedeutung.

Auf dem Gebiet des historischen Romans fanden auch bestimmte Neuerungen statt. Das starke Interesse vieler Autoren für die Geschichte Bulgariens zeugte von stark ausgeprägtem Geschichtsbewusstsein. Der historische Roman den sechziger und siebziger Jahre diente nicht nur zur Veranschaulichung der historischen Ereignisse, sondern versuchte, die philosophischen und ethischen Probleme der Gegenwart mit Hilfe von den historischen Erfahrungen mit Hilfe historischer Erfahrungen zu überdenken.[3] Die Autoren verbanden neue Erzähltechniken mit den Gestaltungsmitteln der mittelalterlichen Chroniken, verwendeten folkloristische Motive für den Aufbau der Figuren und die Naturschilderungen und ließen in ihren Werken sowohl fiktive als auch historische Persönlichkeiten agieren.[4] Hierzu kann man folgende Autoren und Werke nennen: Vera Mutafčieva mit Letopis na smutno vreme (1966) , Slučajat Džem (1966); Genčo Stoev mit Cenata na zlatoto (1965) und Zavraštane (1977) und Georgi Markowski mit Chităr Peter (1978)..

Nicht nur die historischen Ereignisse zogen die Autoren an, sondern die bulgarische Gegenwart kam immer mehr in ihren Werken zur Geltung. Vor allem die moralischen und ethischen Probleme in der Gesellschaft wurden zum Stoff vieler Werke. Die Thematik vieler Werke ist „Mensch vs. Gegenwart“. Die Tendenz zur Psychologisierung der Prosa und die Neigung zur Nutzung symbolischer Formen sind wichtige Merkmale der bulgarischen Prosa in den Sechziger und Siebziger Jahren. So schreibt Dobri Witschew über diese Tendenz: „Die gleichzeitige philosophische Vertiefung gab verallgemeinernden Symbolen ein größeres Gewicht, die als tragende Achse [...] oft schon im Titel erschienen.“[5] In der Tat tendierten viele Autoren dazu, die Symbolhaftigkeit schon im Titel des Werkes zu unterstreichen. Hierzu kann man folgende Werke nennen: Rekata (1974) von Diko Fučedžiev, Nizinata (1977) von Wassil Popov und Otdalečavane (1973) von Georgi Mišev.

Man wurde experimentierfreudiger und setzte sich zum Ziel Traditionelles aufzusprengen.[6] Die Aufhebung der einheitlichen Erzählperspektive und des traditionellen Handlungskontinuum, das Streben nach „objektiver“ Literatur, der Verzicht auf alte traditionelle Normen zeichnetet die Prosa dieser Periode aus. Hier kann man bestimmte Einflüsse der europäischen Literatur erkennen, wie z.B. die Einflüsse des französischen ‚Nouveau Roman‛ mit seinen bekanntesten Vertretern Alain Robbe-Grillet und Nathalie Sarraute.

Ende sechziger Jahre kann man eine Tendenz zum Phantastischen in der bulgarischen Prosa beobachten. Dies war allerdings kein nationales Phänomen, sondern trat auch in anderen sozialistischen Literaturen im ungefähr gleichen Zeitraum auf. Darauf wird in Kapitel 2.1. ausführlicher eingegangen.

In der Arbeit wird folgendermaßen vorgegangen: zuerst werden die theoretischen Grundlagen der Phantastischen Literatur vorgestellt. Danach wird das literarische Werk Pavel Vežinovs behandelt, wobei der Schwerpunkt auf den Kurzromanen Barierata und Belijat gušter liegen wird.

2. Zu der Theorie der phantastischen Literatur

Das folgende Kapitel handelt von den Theorien der literarischen Phantastik. Zuerst wird die allgemeine Theorie von Tzvetan Todorov beschrieben und erläutert, anschließend wird auf die Theorien der bulgarischen Literaturwissenschaftler eingegangen.

2.1. Allgemeine Charakterzüge der Phantastischen Literatur

In diesem Kapitel möchte ich Introduction à la littérature fantastique von Tzvetan Todorov vorstellen, denn diese Arbeit gilt als eine der wichtigsten Theorien der Phantastischen Literatur.

Für Todorov ergibt sich das Phantastische aus der Opposition zweier Weltordnungen: eine natürliche Ordnung aller Dinge und eine übernatürliche. Eine Voraussetzung der literarischen Phantastik wird von ihm so beschrieben: „[...]der Text muss den Leser zwingen die Welt der handelnden Personen wie eine Welt lebender Personen zu betrachten[...]“[7] und diese Welt ist „[...]die wir kennen, eine Welt ohne Teufel, Sylphiden oder Vampire[...]“[8]. Also ein phantastisches Ereignis ist ein solches Ereignis „[...]das sich aus den Gesetzen eben dieser vertrauten Welt nicht erklären lässt“[9].

Außerdem unterscheidet Todorov zwischen mehreren Gattungen des Phantastischen: das Phantastisch-Unheimliche und das Phantastisch-Wunderbare. Diese wiederum unterteilt er in „unvermischt-Unheimliches“ und „phantastisch-Unheimliches“ einerseits und „unvermischt Wunderbares“ und „phantastisch-Wunderbares“ andererseits.

Alle Werke, in denen die unerklärlichen Ereignisse am Ende der Geschichte eine rationale Erklärung finden, wie z.B. Zufall, Betrug, Traum, Einfluss von Drogen und Wahnsinn, ordnet Todorov in das Gebiet des Unheimlichen ein, genauer gesagt in das Gebiet des „phantastisch –Unheimlichen“. Die Werke, in denen die Ereignisse sich zwar ganz aus den Gesetzen der Vernunft erklären lassen, jedoch bei dem Leser eine bestimmte Reaktion, wie z.B. Angst oder Furcht hervorrufen, nennt er „unvermischt-Unheimliches“.

Alle Werke, deren Ereignisse, die sich auf keine Weise rational erklären lassen, also übernatürlich sind, ordnet er in das Gebiet des Wunderbaren ein. Hier gibt es auch eine Differenzierung: das „unvermischt –Wunderbare“ ist so wie das „unvermischt-Unheimliche“ nicht klar eingegrenzt. Im Falle des Wunderbaren rufen die phantastischen Elemente keine Reaktion hervor. „Nicht die Haltung gegenüber den berichteten Ereignissen charakterisiert das Wunderbare, sondern die Natur selbst.“[10] Zu der Kategorie der „unvermischt-wunderbaren“ Werke gehören z.B. Märchen.

2.2. Das Phantastishe in der bulgarischen Prosa 60er und 70er Jahre

Mit der bulgarischen phantastischen Literatur beschäftigten sich mehrere Literaturwissenschaftler. Ich werde in diesem Kapitel aber nur auf die Theorien von Dobri Witschew und Elka Konstantinova eingehen, da sie mir im Rahmen dieser Arbeit am wichtigsten und prägnantesten erschienen.

Alle literarische Werke, die zu der phantastischen Literatur Bulgariens gehören, unterteilt Witschew in zwei Kategorien. Zu der ersten Kategorie gehören alle Werke, in denen das Phantastische eine dominierende Rolle spielt. Zu der zweiten Kategorie gehören solche Werke, in denen das Phantastische „[...] weder Selbstzweck noch Ziel ist, sondern ganz eindeutig eine Hilfsfunktion erfüllt.“[11] In diesen Werken steht das Phantastische in direktem Bezug zum Realen und hat einen tiefen symbolischen Sinn. Seit etwa Mitte der sechziger Jahre treten solche Werke in der bulgarischen Prosa des Öfteren auf. Wie schon erwähnt wurde, war dies kein nationales Phänomen, sondern eine Erscheinung, die in vielen sozialistischen Literaturen zur gleichen Zeit auftritt. Es handelt sich dabei nicht um etwas völlig Neues, sondern um die Fortsetzung bestimmter Traditionen der Weltliteratur, wobei die Art der Anwendung und die Funktionen des Phantastischen als Neuerungen angesehen werden können.[12]

Die Entestehung der literarischen Werke, in denen das Phantastische eine Hilfsfunktion erfüllt, ist auf die Tendenz zur Nutzung symbolischer Formen zurückzuführen. Witschew unterteilt diese Art der literarischen Werke wiederum in zwei Gruppen. Die sogenannte folkloristische Phantastik zeichnet sich durch direkte Beziehung zu Sagen, Mythen und Märchen aus. Die Werke von Jordan Radičkov und Georgi Aleksiev gehören zu diesen Gruppe des Phantastischen. Was zeichnet nun diese folkloristische Phantastik aus? Diese Art des Phantastischen ist sehr eng mit der Realität verbunden und tritt sehr oft als Vermenschlichung der Tiere, Personifizierung abstrakter Gegenstände und Verlebendigung lebloser Gegenstände auf.[13] Die Funktion, die diese Art des Phantastischen im literarischen Werk erfüllt, ist die Darstellung der Veränderung des bulgarischen Dorfes, in dem der Zusammenstoß vom Neuen und Alten, Archaischen und Supermodernen demonstriert wird, die Vermittlung der wesentlichen Züge der geistigen Kultur und die Suche nach dem nationalen Verhaltens- und Denkmuster in der Mythologie und Folklore. Hierzu kann man folgende Werke nennen: Krăstopăt na oblaci (1973)und Duchovete na Cibrica (1976)von Georgi Aleksiev und natürlich die Dorfprosa von Jordan Radičkov.

Neben der folkloristischen Phantastik existiert auch die sogenannte konstruktive Phantastik. Diese ist in Bulgarien besonders traditionsarm. Als einziger Vorläufer und Vertreter in den Dreißiger Jahren kann man Swetoslav Minkow nennen, der als erster Autor das Phantastische als satirisches Mittel benutzte um die Zustände der kapitalistischen Welt zu kritisieren.[14] Die Werke die man zu dieser Kategorie einordnen kann sind Paradoksăt na ogledaloto (1976) von Ljuben Dilow und Naj težkijat griach (1980) von Dragomir Asenov.

[...]


[1] Vgl. Witschew, D.: Bulgarische Prosa, Berlin 1988.S.234

[2] Vgl. ebd.

[3] Vgl. Bayer, E. / Endler, D. Bulgarische Literatur im Überblick, Leipzig 1983.S.329

[4] Vgl.ebd.

[5] Vgl. Witschew, D.: Bulgarische Prosa, Berlin 1988.S.291

[6] Vgl. ebd.

[7] S. Todorov, T.: Einführung in die fantastische Literatur, München 1972. S.33

[8] ebd. S. 25

[9] ebd.

[10] S. Todorov, T.: Einführung in die fantastische Literatur, München 1972. S.51

[11] S. Witschew, D.: Bulgarische Prosa, Berlin 1988.S.273

[12] Vgl. ebd. S. 274

[13] Vgl. ebd. S.277

[14] Vgl. ebd. S.279

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Das Phantastische in der neuen bulgarischen Belletristik: Pavel Vezinov
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
24
Katalognummer
V33902
ISBN (eBook)
9783638342605
ISBN (Buch)
9783656381297
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Phantastische, Belletristik, Pavel, Vezinov
Arbeit zitieren
Margarita Engelbrecht (Autor:in), 2003, Das Phantastische in der neuen bulgarischen Belletristik: Pavel Vezinov, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33902

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