Elterliches Verhalten beim Coming out ihrer Kinder. Der Umgang mit Homosexualität durch Väter und Mütter


Thèse de Bachelor, 2014

37 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung
1.1. Hinführung zum Thema
1.2. Überblick über die Arbeit
1.3. Zur Vorgehensweise

2. Reaktionen der Eltern
2.1 Allgemeine Reaktionen der Eltern
2.1.1 Verhältnis zu den Eltern vor dem Coming-out
2.1.2 Wie waren die ersten Reaktionen der Eltern nach dem Coming-out ihrer Kinder
2.1.3 Wie haben die Eltern nach dem Coming-out reagiert?
2.1.4 Zusammenfassung des Kapitels
2.2 Reaktionsunterschiede zwischen Müttern und Vätern
2.2.1 Erste AnsprechpartnerInnen
2.2.2 Unterschiede zwischen den Reaktionen der Mutter und des Vaters
2.2.3 Beziehungen zwischen Mütter, Väter und ihrem homosexuellen Sohn
2.2.4 Nähe zur Mutter und zum Vater
2.2.5 Lesben und Schwule der Vergleich
2.2.6 Welchen Einfluss hat die Wohnsituation des Kindes auf die Reaktionen der Eltern
2.2.7 Zusammenfassung des Kapitels
2.1 Akzeptanz und Gefühle der Eltern vor und nach dem Coming-out ihres Kindes
2.3.1 Erwartungen und Befürchtungen der Kinder vor dem Coming-out
2.3.2 Befürchtungen der Kinder beim Coming-out
2.3.3 Empfindungen der Eltern über das Coming-out ihrer Kinder
2.3.4 Prozess der Akzeptanz
2.3.5 Einflussgrößen auf die Beziehung zwischen Eltern und Kind
2.3.6 Zusammenfassung des Kapitels

3. Schlussfolgerungen und Fazit

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Hinführung zum Thema

Seit jeher galten die auf das eigene Geschlecht bezogene Sexualpräferenz und homo- sexuelle Beziehungen als verwerflich und aus der Perspektive der abendländisch- christlich geprägten Geschichte als Sünde. Schon immer wurden Menschen, die sich nicht zu der erlaubten Form der Heterosexualität bekannten, mit Argwohn betrachtet, verfolgt oder wie im Hitlerregime, massenhaft interniert und vernichtet. Homosexualität wurde und wird bis heute oftmals genauso stark sanktioniert wie andere Formen der Sexualpräferenz. Zwar gab es in der Geschichte vereinzelt Phasen, in denen mit sexu- eller Andersartigkeit liberal verfahren wurde, doch eine gesellschaftliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Sexualität im Sinne einer persönlichen Entscheidungsfreiheit hat es nie gegeben. Homosexualität fand und findet bis heute überwiegend im Verborgenen statt und wird von den Betroffenen heimlich ausgeübt und gelebt.

Erst in der Aufbruchsbewegung der 1960er Jahre des letzten Jahrhunderts, der soge- nannten Studentenrevolte, kam eine gewisse Entspannung auf. Zum ersten Mal in der Geschichte gingen Homosexuelle, und zwar beiderlei Geschlechtes auf die Straße, bekannten sich öffentlich zu ihrer sexuellen Präferenz und machten sich ihre Abwer- tung zunutze, indem sie sich selber als „Schwule“ und „Lesben“ bezeichneten. Im Gegensatz zu vielen Staaten der Welt, insbesondere denen der ehemaligen Sowjet- republiken, hat sich in den westlichen Staaten so etwas wie eine homosexuelle Kultur entwickelt, die ihren Ausdruck in der homosexuellen Kneipenszene, Künstlerkultur und auch bei der LOVE-Parade-Bewegung gefunden hat. Viele Prominente und Politiker leben öffentlich und geduldet ihre Homosexualität. Inzwischen hat die gleichge- schlechtliche Partnerschaft in vielen westlichen Staaten auch Eingang in die Recht- sprechung gefunden. Fast scheint es so, als wenn Homosexualität in der westlichen Welt als eine von verschiedenen möglichen Formen der sexuellen Orientierung weit- gehend geduldet wird und als private Angelegenheit angesehen wird. Aus der Literatur und den Berichten Betroffener geht allerdings eine andere Wirklichkeit hervor. Mag die Homosexualität in der öffentlichen Diskussion eine gewisse Liberalisierung wieder- spiegeln, so stellt sie im individuellen Leben, insbesondere in der Entwicklung und im Prozess des Coming-out für viele Betroffene nach wie vor die größte Herausforderung ihres Lebens dar.

Spätestens seit der Studentenbewegung der 1960er Jahre gibt es zahlreiche Studien, Veröffentlichungen und Literatur zur Lebenswelt der Homosexuellen, die sich dezidiert mit den Befürchtungen und Ängsten junger Menschen im Hinblick auf ihre andersartige sexuelle Orientierung befasst. Insbesondere gibt es reichlich Materialien über den Pro- zess des inneren und äußeren Coming-out und eine entwickelte Helfer- und Unterstützerkultur. Zahlreiche Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und Professionelle stehen den Betroffenen zur Verfügung und helfen ihnen dabei, ihre homosexuelle Identität zu akzeptieren und sie beim Prozess des Coming-out zu unterstützen. Zwar kann bis heute nicht die Rede davon sein, dass Homosexuelle in unserer Gesellschaft voll akzeptiert werden, doch lässt sich konstatieren, dass kein Homosexueller in Deutschland um seine körperliche Unversehrtheit fürchten muss, wenn er sich zu seiner sexuellen Orientierung bekennt.

Insofern kann man sagen, dass wir in Deutschland eine gut entwickelte Kultur im Umgang mit Homosexualität haben, dass aber die Eltern von homosexuellen Kindern, die oftmals genauso intensiv mit der Problematik befasst sind, anscheinend vergessen wurden. Offensichtlich scheint es eine menschliche Eigenart zu sein, dass wir den Fokus auf das Problematische legen und dabei die Ressourcen vergessen. Dabei sollten wir uns vergegenwärtigen, dass die Eltern und Angehörigen eine eminent wich- tige Ressource bei der Bewältigung gesellschaftlicher und sozialer Ausgrenzung dar- stellen. Dieser Umstand ist nach meiner Meinung zwar in der Literatur und in der Helferszene vielfach thematisiert und untersucht worden, doch gibt es so gut wie keine wissenschaftlich fundierten Untersuchungen zu dieser Thematik.

Ich hoffe, dass meine Arbeit dazu beiträgt, dass die Forschung auf dieses Problem aufmerksam wird und entsprechende Studien und Untersuchungen damit angestoßen werden. Ich bin der Meinung, dass wir über diesen Weg auch die Qualität der Bera- tungsarbeit verbessern und auch die Helfer auf gut fundiertes Wissen zurückgreifen können. Aus diesem Grunde möchte ich der Frage nachgehen, welche Reaktionen die Eltern homosexueller Kinder auf deren Coming-out gezeigt haben, welche Ängste und Befürchtungen dabei auftraten und wie sich deren Beziehungen entwickelt haben. Das Problem, das sich bei der Recherche stellte, war, dass es kaum Untersuchungen über die Sichtweise der Eltern gab, so dass ich auf die Literatur aus der Sicht der Kinder zugrückgegriffen habe. Insofern werde ich mich bei meiner Arbeit an der folgenden Fragestellung orientieren: „Welche Reaktionen zeigen Eltern auf das Coming-out ihrer homosexuellen Kinder aus dem Blickwinkel der Betroffenen?“

1.2 Überblick über die Arbeit

Die Arbeit ist in drei Kapitel unterteilt. Im ersten Kapitel werde ich die allgemeinen Reaktionen der Eltern auf das Coming-out ihrer Kinder darstellen. Hierbei werde ich den Unterschied zwischen der Phase vor dem Coming-out und der nach dem Coming-out herausarbeiten. Danach werde ich die Auswirkungen, die sich für beide Seiten aus der neuen Situation ergeben und die weiteren Konsequenzen für die Beteiligten unter- suchen. Im zweiten Teil geht es um die Unterschiede in den Reaktionsweisen zwischen den Müttern und den Vätern und darum, wie sich die Beziehungsstrukturen durch das Coming-out zwischen den Eltern und den Kindern verändern. Im dritten Kapitel setze ich mich mit der emotionalen Seite des Coming-out auseinander und werde auf die Ängste und Befürchtungen auf beiden Seiten eingehen. Zum Abschluss des Kapitels werde ich mich schwerpunktmäßig mit dem Prozess der Akzeptanz durch die Eltern im Hinblick auf die sexuelle Orientierung ihrer Kinder befassen. Die Arbeit schließt mit meinen persönlichen Schlussfolgerungen und einem Fazit, aus dem ich meine Vorstellungen hinsichtlich zukünftiger Forschungsfragen ableiten möchte.

1.3 Zur Vorgehensweise

Die Arbeit besteht aus drei Kapiteln, die immer die gleiche Struktur haben. In jedem Kapitel stelle ich zunächst die grundsätzliche Problematik dar und formuliere eine Fragestellung, die ich im Verlauf des jeweiligen Kapitels klären möchte. Danach versuche ich anhand der mir vorliegenden Daten und Untersuchungen meine Über- legungen zu begründen und zu untermauern. Zum Ende eines jeden Kapitels schreibe ich eine Zusammenfassung, in der ich die aus meiner Sicht wichtigsten Ergebnisse hervorhebe.

Hinsichtlich der Untersuchungsmethode möchte ich erwähnen, dass es nur wenige Studien gibt, die sich spezifisch mit meiner Fragestellung befassen. Aus dem Grunde werde ich überwiegend auf solche Quellen zurückgreifen, die die Reaktionen der Eltern aus dem Blickwinkel der Kinder beschreiben. Bei den Aspekten, zu denen ich kein Material gefunden habe, habe ich die mir vorliegende Literatur in der Weise ausgewertet, dass ich die entsprechenden Textteile zitiert habe.

2. Reaktionen der Eltern

2.1 Allgemeine Reaktionen der Eltern

Auch wenn Menschen scheinbar ähnlich strukturiert sind, so sind ihre Reaktionen zu bestimmten Themen doch sehr unterschiedlich. Um menschliche Reaktionen ein- schätzen zu können, ist es notwendig, deren Verhaltensweisen, Einstellungen, Erfahr- ungen, ihre Werte und Vieles mehr über sie zu wissen. Selbst dann ist eine ungefähre Prognose über deren Reaktion auf einen konkreten Reiz so gut wie unmöglich, da sehr viele Faktoren eine Rolle dabei spielen, wie und warum sich Menschen in bestimmter Situation so oder so verhalten. Manchmal glauben wir, dass wir das Verhalten von Personen in unserem näheren Umfeld vorhersehen können, weil wir wissen, wie Eltern, Freunde und Bekannte zu bestimmten Dingen stehen. So weiß man beispielsweise, dass die beste Freundin lieber eine offene Beziehung als man selber führen würde. Oder man weiß, dass in einer bestimmten Familie der Vater die CDU wählen würde, während die Mutter die SPD bevorzugt. Jeder von ihnen wird gute Gründe haben, warum er diese oder jene Partei wählen würde. So mag es möglich sein, dass die Mutter gute Erfahrungen mit der SPD gesammelt hat, während der Vater der Ansicht ist, dass das Programm der CDU mit seinen Auffassungen zu bestimmten Themen besser übereinstimmt.

Dies sind zwei kurze Beispiele dafür, wie bestimmte Reaktionen oder Verhaltensweisen von Außenstehenden kalkulierbar sein können, da zwischen den Beteiligten eine Kom- munikation über deren Werte und Einstellungen stattfindet. Im ersten Falle geht es um „Beziehung“, im zweiten um die Einstellung zu bestimmten politischen Fragen. Im Grunde sind solche Themen alltäglicher Natur und im Sinne zwischenmenschlicher Kommunikation auch durchaus relevant und sinnvoll. Grundlegend anders wäre die Situation, wenn unerwartet ein Thema angesprochen wird, mit dem sich beispielsweise die Eltern eines Kindes noch nie wirklich auseinandergesetzt haben. Das wäre der Fall, wenn ein Kind von der eigenen sexuellen Orientierung berichtet, die von der als normal bezeichneten Form der Sexualität abweicht. Da es in der hier vorliegenden Arbeit um die gleichgeschlechtliche Sexualpräferenz geht, werde ich meine Untersuchung im Folgenden auf die Homosexualität beziehen und andere Formen wie etwa die Bisexualität lediglich am Rande berücksichtigen. Wohl jeder Erwachsene wird sich schon einmal in seinem Leben mit der Homosexualität in irgendeiner Weise auseinandergesetzt haben. Sei es, dass er sich mit Freunden oder Bekannten über „Schwule“ und „Lesben“ ausgelassen hat, sei es dass er sich durch die Medien ein bestimmtes, oftmals verzerrtes, Bild über die „Homos“ gemacht hat. Oder sei es, dass er sich bereits schon einmal aktiv gegen Homosexuelle in bestimmten Berufen oder politischen Gremien eingesetzt hat. Und plötzlich passiert etwas, womit dieser Mensch, der latent gegen Homosexualität eingestellt ist, am wenigsten gerechnet hat: Was ist, wenn sich das eigene Kind ohne jegliche Vorzeichen als homosexuell outet? Wie reagieren solche Eltern darauf? Und wie reagieren eher liberal und tolerant eingestellte Eltern, wenn sich ihr Kind ihnen anvertraut? Mit dieser Fragestellung wird sich dieses Kapitel genauer befassen. In dem folgenden Abschnitt werde ich zunächst das Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern vor dem Coming-out skizzieren. Dann werde ich untersuchen, wie sich die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern nach dem Coming-out verändert hat.

2.1.1 Verhältnis zu den Eltern vor dem Coming-out

Ziel meiner Untersuchung ist es, ein genaues Ergebnis über die Reaktionen der Eltern zu erhalten. Hierzu ist es wichtig, die Beziehung der Kinder vor dem Coming-out damit verglichen wird, wie sie danach beschaffen ist. Hierbei gilt es herauszufinden, ob die Qualität der Beziehung der Eltern zu ihren Kindern Einfluss auf deren Reaktionsweise hat.

So ist davon auszugehen, dass die Reaktion der Eltern bei einer problematischen Beziehung eher negativ ausfällt, als wenn sie einen guten Kontakt zu ihren Kindern haben. Umgekehrt kann sich eine Beziehung durch das Coming-out auch stabilisieren, indem beide Seiten vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Problematik ihre Bezie- hung neu definieren. Möglicherweise konnte das betreffende Kind aufgrund seiner Un- sicherheit im Hinblick auf seine sexuelle Orientierung bis dahin nie eine gute Beziehung zu den Eltern aufbauen. Diese These werde ich in meinen abschließenden Betrach- tungen am Ende der Arbeit untersuchen und diskutieren. Doch zunächst möchte ich die Studie von Julia Kobs vorstellen, die nach meinen Recherchen die einzige ist, die sich mit dieser Problematik so detailliert befasst hat.

Die von Julia Kobs initiierte Studie wurde in der Zeit von Juni bis September 2006 am Institut für Entwicklungspsychologie an der Medizinischen Hochschule in Hannover durchgeführt. Dabei ging sie in drei Schritten vor. Zunächst entwickelte sie einen Frage- bogen, anhand dessen sie Interviews durchführte. Aus den Ergebnissen stellte sie einen Online-Fragebogen zusammen, den sie im Internet veröffentlichte und über die ent- sprechenden Gay- und Lesbenforen und zugleich über die Instituts-Homepage bewarb.

Am Ende hatten 383 Schwule und Lesben einen Fragebogen ausgefüllt, von denen 361 als gültig ausgewertet wurden. Von diesen waren 160 männlich und 197 weiblich. Hierin enthalten sind 9 männliche und 43 weibliche bisexuelle sowie 4 transsexuelle Personen enthalten, die in meiner Untersuchung allerdings nicht berücksichtigt wurden. Das Alter der TeilnehmerInnen lag im Bereich von 14 bis 55 Jahren. Die Outcome-Rate belief sich auf 151 männliche und 176 weibliche Befragte, während sich die übrigen Personen auf die Gruppe der Bisexuellen verteilte (vgl. Kobs, 2009, S. 186 ff.).

Kritisch möchte ich zu der Studie anmerken, dass diese Art der Befragung nicht ganz unproblematisch ist, da die Auswahl eher zufällig ist und zum anderen keine Möglichkeit bestand, durch die anonymisierte Form die Angaben auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Gleichwohl sind die Ergebnisse nach meiner Auffassung recht wertvoll, da sie die Reaktionen ihrer Eltern auf ihr eigenes Coming-out detailliert beschreiben, einer Form, die durch eine offene Form der Befragung vermutlich nicht hätte gewonnen werden können.

Ich werde gemäß der Vorgabe von Julia Kobs, aber auch aus sprachökonomischen Gründen, im Folgenden für die weibliche und männliche Form der Homosexualität die Begriffe „Schwule“ und „Lesben“ bzw. „schwul“ oder „lesbisch“ verwenden, was nicht als wertend zu verstehen ist. In ihrem Online-Fragebogen wurden den Lesben und Schwulen vier Antwortmöglichkeiten vorgegeben. Diese konnten von den Befragten mit 1 = sehr gut bis 4 = sehr schlecht, beantwortet werden. Fast 50% der Befragten gaben an, ein sehr gutes Verhältnis zu ihren Eltern vor ihrem Coming-out gehabt zu haben. Es gab nur eine sehr geringe Differenz zwischen den weiblichen und den männlichen TeilnehmerInnen. Ein Drittel der Befragten hatten nach ihren Angaben ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Im Durchschnitt haben 13% der Lesben und Schwulen ihr Verhältnis als eher schlecht eingestuft und 2,5% hatten ein sehr schlechtes Verhältnis zu ihren Eltern vor dem Coming-out gehabt (vgl. Kobs, 2009, S. 192 f.). Zusammen- gefasst hatten über 80% der TeilnehmerInnen ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern vor ihrem Coming-out. Aus diesem Zahlenverhältnis ist noch keine definitive Schluss- folgerung abzuleiten. Gleichwohl ist es nicht uninteressant zu wissen, dass die Mehrzahl der Schwulen und Lesben ein gutes bis sehr gutes Verhältnis zu ihren Eltern vor ihrem Coming-out gehabt haben. Diesen Aspekt werde ich im weiteren Verlauf meiner Arbeit noch einmal aufgreifen.

2.1.2 Wie waren die ersten Reaktionen der Eltern nach dem Coming-out ihrer Kinder

In diesem Abschnitt gehe ich gezielt auf die Reaktionen der Eltern ein und werde zusätzlich zu der Studie von Julia Kobs eine Vergleichsstudie einbeziehen. Um die Fragestellung zu konkretisieren, möchte ich Kurt Wiesendanger zitieren: „Die Reaktionen der Eltern sind sehr unterschiedlich. Dass sich die Eltern über das Schwul- oder Lesbischsein ihrer Kinder freuen, kommt hingegen fast nie vor. Im besten Fall sind die Eltern jedoch offen dafür.“ (Wiesendanger, 2001, S. 83). Ob die Aussage von Wiesendanger zutrifft, möchte ich im Folgenden etwas genauer untersuchen.

Julia Kobs hat sich mit den ersten Reaktionen der Eltern auseinandergesetzt und untersucht. Hierzu hat sie den TeilnehmerInnen folgende Frage gestellt: „Lassen sich typische erste Reaktionen der Eltern auf das Coming-out ihres Kindes nachweisen?“ Hierauf gab es bei dem Online-Fragebogen 41 Antwortkategorien, die die Teilnehmer- Innen angeben konnten. Diese umfassten die Kategorien von extrem negativ über neutral bis hin zu Reaktionen, die als verständnisvoll oder offen eingestuft werden können. Da die Streubreite der Antworten relativ groß war und einzelne Items nur ein- oder zweimal genannt wurden, werde ich zur Veranschaulichung der Ergebnisse nur drei Arten von Reaktionen aufführen, die am häufigsten genannt wurden. So waren 16,8% der Eltern in ihrer ersten Reaktion schockiert, überrascht oder fühlten sich über- rumpelt, während 16,3% der Eltern neutral reagierten, indem sie die sexuelle Orien- tierung ihres Kindes akzeptierten. Immerhin 17,5% der Eltern reagierten positiv, als sich das Kind vor ihnen geoutet hat.

Um auch die anderen, selten genannten, Antwortkategorien zu berücksichtigen, habe ich alle Items in eine Excel-Tabelle übertragen und nach den oben genannten Kriterien kategorisiert. Dabei zeigte sich ein etwas anderes Bild als zuvor: Während 52% der Eltern in irgendeiner Weise negativ und 30% von ihnen neutral reagierten, waren es nun 18% der Eltern, die im ersten Moment positiv auf das Coming-out ihres Kindes reagiert haben (vgl. Kobs, 2009, S. 195).

Gemäß der Studie von Julia Kobs waren die ersten Reaktionen der Eltern überwiegend negativ. Ein Drittel der Befragten hatten angegeben, neutrale oder solche Reaktionen der Eltern erfahren zu haben, die unbestimmt waren oder die Aussage anzweifelten. In einigen wenigen Fällen reagierten die Eltern mit Hohn und Spott oder sogar abwertend humorvoll. Um ein genaueres und repräsentatives Ergebnis zu erzielen, beziehe ich mich im Folgenden auf eine weitere Untersuchung, die sich ebenfalls mit den Reak- tionen der Eltern befasst hat.

Hierfür möchte ich die Dissertation von Ulrich Biechele bemühen, die von Prof. Dr. Udo Rauchfleisch genehmigt wurde. In dieser Arbeit bezieht sich der Autor auf die Identitäts- entwicklung schwuler Jugendlicher. Zunächst möchte ich diese Untersuchung kurz beschreiben. Die Studie bezieht sich auf die Gruppe von schwulen Jugendlichen, bei der weibliche Homosexuelle nicht einbezogen wurden. Gemäß dem Untersuchungsziel, die Identitätsendwicklung schwuler Jugendlicher zu untersuchen, lag das Höchstalter bei 25 Jahren, wobei ein Mindestalter nicht festgelegt wurde. Der Untersuchungs- zeitraum erstreckte sich vom Mai 1998 bis zum April 1999. Die Daten wurden durch einen klassischen Fragebogen erhoben. Ergänzend zum Papierformat wurde das Internet genutzt, um weitere Untersuchungsdaten zu erhalten. Dementsprechend wurden zwei Fragebogen entwickelt. Bemerkenswert ist, dass von den 174 Fragebogen nur ein einziger ungültig war (vgl. Biechele, 2004, S. 53 ff.). Die Studie untersucht primär quantitative Merkmale, mit denen sich die Lebenssituationen der Teilnehmer abbilden lässt. Die Fragebogen beinhalteten auch offene Fragen, die der kommuni- kativen Validierung dienten, aber hier nicht weiter relevant sind (vgl. Biechele, 2011, S.42 f.).

Die Dissertation ist, bezogen auf die Sachinhalte, sehr umfangreich. Für die vorliegende Arbeit werden deshalb nur die Fragestellungen berücksichtigt, die sich explizit auf die Eltern der Schwulen beziehen. In der Frage zum Coming-out in der Familie und die Reaktionen der Eltern nach dem Coming-out hat der Autor drei Sachverhalte abgefragt. Hierzu hat er folgende Gruppierungen unterschieden (vgl. Biechele, 2004, S.81):

- Haben sich die Teilnehmer gegenüber den Angehörigen überhaupt geoutet?
- Wenn sie sich geoutet haben, wie alt waren sie zu dem Zeitpunkt? und
- Wie haben die Angehörigen auf das Coming-out reagiert?

Den letzten Sachverhalt möchte ich etwas genauer untersuchen, um ihn dann mit der Studie von Julia Kobs zu vergleichen. Demnach hatten sich 9% der Teilnehmer zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht gegenüber ihren Familienmitgliedern geoutet. Von allen Probanden hatten 21,2% angegeben, dass ein Familienmitglied die erste Person gewesen war, der sie sich anvertraut hatten. Im Gegensatz zu der Untersuchung von Julia Kobs wird in der Studie von Biechele nicht nach den direkten Reaktionen gefragt, sondern die Antwortmöglichkeiten in „spontane Akzeptanz“ und „nicht spontane Ak- zeptanz“ unterteilt. Von den Befragten hatten 38% angegeben, dass die Eltern die homosexuelle Orientierung „spontan“ akzeptiert haben (vgl. Biechele, 2004, S. 149). Leider war der Dissertation nicht zu entnehmen, wie viele Eltern das Coming-out „nicht spontan“ akzeptiert haben. Diese Fragestellung werde ich später noch einmal aufgreifen und dabei auf die unterschiedlichen Reaktionen der beiden Elternteile eingehen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass viele Eltern die homosexuelle Orien- tierung ihres Kindes, offensichtlich bis in die Gegenwart, nicht sofort akzeptieren. Erfah- ren Eltern, dass ihr Kind homosexuell ist, reagieren sie meistens schockiert oder über- rascht. Zumindest die Studie von Julia Kobs belegt, dass die wenigsten Eltern auf das Coming-out ihrer schwulen oder lesbischen Kinder direkt positiv oder wohlwollend reagierten. Im weiteren Verlauf werde ich untersuchen, ob und wenn ja, in welchem Ausmaß die Kinder Konsequenzen seitens der Eltern aufgrund ihrer sexuellen Orien- tierung erfahren haben.

2.1.3 Wie haben die Eltern nach dem Coming-out reagiert?

Nachdem ich untersucht habe, wie die Eltern auf das Coming-out ihrer Kinder reagiert haben, möchte ich mich nun der Frage zuwenden, ob und mit welchen Konsequenzen die Kinder von ihren der Eltern aufgrund ihrer sexuellen Orientierung konfrontiert wurden. Julia Kobs hat in ihrem Fragebogen die Antworten hinsichtlich der erfolgten Konsequenzen in drei Gruppierungen aufgeteilt. Hierbei unterschied sie zwischen positiven, negativen und keinen Konsequenzen. Der Fragebogen ließ insgesamt 14 Antwortmöglichkeiten zu. Das Spektrum reichte von der Aufforderung zum Auszug aus der elterlichen Wohnung über Kontaktabbruch bis hin zum Angebot, den oder die PartnerIn kennenlernen zu wollen.

So berichteten 48,2%, dass sie mit keinen Konsequenzen nach ihrem Coming-out konfrontiert wurden. Demgegenüber gaben 10% der Befragten an, dass ihr Verhältnis zu ihren Eltern schlechter geworden sei, nachdem sie sich ihnen gegenüber geoutet hatten. Immerhin 8% der Schwulen und Lesben berichteten, dass das Verhältnis zuerst zwar schlechter wurde, sich aber nach einiger Zeit besserte. Allerdings mussten 4% der Kinder unmittelbar nach dem Coming-out aus dem Elternhaus ausziehen (vgl. Kobs, 2009, S. 197 f). Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass fast die Hälfte der Teil- nehmerInnen mit keinerlei Konsequenzen konfrontiert wurden. Nach meiner Auffassung ist es schon bemerkenswert, dass 75% der Befragten keine bzw. positive Konsequen-zen erlebt haben, während negative Konsequenzen nur bei etwa 25% der Kinder erfolgten.

[...]

Fin de l'extrait de 37 pages

Résumé des informations

Titre
Elterliches Verhalten beim Coming out ihrer Kinder. Der Umgang mit Homosexualität durch Väter und Mütter
Université
University of Vechta
Note
1,7
Auteur
Année
2014
Pages
37
N° de catalogue
V339173
ISBN (ebook)
9783668329935
ISBN (Livre)
9783668329942
Taille d'un fichier
711 KB
Langue
allemand
Mots clés
Soziale Arbeit, Homosexualität, Verhalten, Eltern, Outing, Schwule, Lesben, Sexualität, Partnerschaft, Reaktionen, Ressourcen, Statistik, Liebe, Akzeptanz, Toleranz, Männer, Frauen, Kinder, Geschwister, Coming out
Citation du texte
Vanessa Suer (Auteur), 2014, Elterliches Verhalten beim Coming out ihrer Kinder. Der Umgang mit Homosexualität durch Väter und Mütter, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/339173

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