Familien- und Zeitgeschichte im 20. Jahrhundert. Jenny Erpenbecks Roman "Aller Tage Abend"


Essai Scientifique, 2016

23 Pages, Note: "-"


Extrait


Gliederung

1. Die Brüchigkeit der Erinnerung und die Bedeutung von Erinnerungsobjekten

2. Verheimlichen, Verschweigen, Vertuschen, Lügen, Betrügen, Verdrängen und der Begriff der Wahrheit

3. Christentum, Judentum und Antisemitismus

4. Elemente der Ironie und der Komik

Benutzte Literatur

1. Die Brüchigkeit der Erinnerung und die Bedeutung von Erinnerungsobjekten

In Jenny Erpenbecks Romanen verläuft die Zeit gewöhnlich nicht chronologisch-linear als ununterbrochenes und unumkehrbares Kontinuum. Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, Jugend, Erwachsensein und Alter sind ineinander verwoben, „unwiderruflich miteinander verflochten und voneinander bedingt“. (Biendarra in: Marx/Schöll, 143) Die auf verschiedenen Zeitebenen angesiedelten Generationen - Großeltern, Eltern und Enkel - können in verschiedenen Stadien ihrer Lebensgeschichte einander begegnen und ganz andere Richtungen einschlagen. In „Aller Tage Abend“ bildet die Familiengeschichte eine literarische „Konstruktion“, mit der durch die Fähigkeit des Erinnerns und die schöpferische Kraft des Erzählens Vergangenes wieder sichtbar gemacht, Tote zu neuem Leben erweckt und bereits geschehene Dinge wieder zurückgenommen werden. Auf diese Weise werden Möglichkeiten ausgelotet, wie das Leben unter vielleicht nur geringfügig geänderten Bedingungen auch hätte verlaufen können.

Zum Schluss des Romans erwirbt die gealterte Protagonistin die Fähigkeit, „sich in der Zeit frei zu bewegen“. (A 260) Das erinnert an die Hauptfigur in „Geschichte vom alten Kind“, die gelernt hat, „in der Zeit herumzuspazieren wie in einem Garten“ (Geschichte vom alten Kind. München: Eichborn Verlag 2001, 124), anstatt ihr Leben „in seiner diachronischen Abfolge“ (Vedder in: Marx/Schöll, 55) zu durchlaufen. Das Leben ist kein bis ins Detail berechen-, plan- und voraussehbarer Prozess, sondern voller Unwägbarkeiten, Zufälle und unerwarteter Schicksalsschläge, die die Stabilität der Verhältnisse von einem Moment auf den anderen ins Wanken und zum Einsturz bringen können. Die Fähigkeit des Erinnerns ist mit zunehmendem Alter von Auflösungs- und Zersetzungsprozessen bedroht, wie bei der neunzigjährigen dementen Frau Hoffmann in Buch V des Romans. Durch die Brüchigkeit der Erinnerung ist der „Ariadnefaden der Tradition“ (Mein in: Marx/Schöll, 68) in Gefahr zu zerreißen. Damit wird eine weit über das Romangeschehen hinausgehende Bedeutungsebene anvisiert. Als Bestandteil des „kulturellen Gedächtnisses“ (ebd.) kann historisches Geschehen in Vergessenheit geraten und in der Versenkung verschwinden, wenn es nicht im Rahmen einer grenzübergreifenden „europäischen Erinnerungskultur“ (Biendarra in: Marx/Schöll, 131) bewahrt wird. Mit „Aller Tage Abend“ hat Jenny Erpenbeck einen Text verfasst, in dem Teile der jüngeren europäischen Geschichte mit der Geschichte einer Familie verzahnt werden, deren „individuelle Schicksale“ als „pars pro toto für einen historischen Zusammenhang einstehen können.“ (Ebd., 143) Ihr Text bildet einen literarischen Beitrag, um dem Vergessen historischen Geschehens vorzubeugen.

Durch sein erzählerisches Verfahren hebt sich „Aller Tage Abend“ deutlich von Klassikern des Familienromans wie beispielsweise Thomas Manns „Buddenbrooks“ ab, wo in einer chronologisch gegliederten Abfolge der Ereignisse über vier Generationen der „Verfall einer Familie“, wie es im Untertitel heißt, literarisch beschrieben und dokumentiert wird. Für solche Klassiker des Familienromans sind symbolische Objekte oder Dokumente wie Stammbaum, Ahnengalerie oder Familienchronik von ausschlaggebender Bedeutung, weil durch sie größere Entwicklungszeiträume einer Familie in sich verändernden historischen Verhältnissen konserviert und der Nachwelt zugänglich gemacht werden können. In Thomas Manns „Zauberberg“ erfolgt zum Beispiel im zweiten Kapitel eine Rückschau auf die Familiengeschichte des Protagonisten Hans Castorp. In dem hier entworfenen Familienporträt spielt die „Taufschale“ des Großvaters als symbolisches Erinnerungsobjekt eine besondere Rolle. Sie stellt eine Verbindung zu Hans Castorps Vorfahren her, die bis ins Jahr 1650 zurückreicht und bei der Taufe des jeweils ältesten männlichen Vertreters der Erbfolge wie ein heiliges Sakrament weitergereicht wurde. Im soeben erwähnten Roman „Buddenbrooks“ gibt es auch ein sakrales Erinnerungsobjekt in Gestalt einer Mappe mit den Familienpapieren, in denen der Stammbaum der Buddenbrooks seit Bestehen der Familie lückenlos erfasst und übersichtlich nach Daten geordnet worden ist. Allerdings unterbricht der schwächliche Sprössling Hanno die Kontinuität dieses Dokuments, indem er mit einer Goldfeder einen doppelten Strich quer über das letzte Blatt zieht in der Erwartung, es käme nichts mehr. (Vgl. Buddenbrooks. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2002, 524)

In dieser Hinsicht gibt es Berührungspunkte mit Erpenbecks „Aller Tage Abend“. Hier tauchen über das gesamte Romangeschehen verteilte Erinnerungsobjekte auf, die vom letzten Spross der Familie, dem Sohn der Protagonistin, als solche nicht mehr erkannt werden, von deren Bedeutung er nichts mehr weiß, die irgendwann irgendwo verloren gegangen oder nur noch Relikte ohne dokumentarischen Wert geworden sind. Nachdem seine Mutter am Ende von Buch IV als hoch verehrte Schriftstellerin der DDR begraben wurde, versucht der hier Siebzehnjährige, sich darüber klar zu werden, welche der vielen Gegenstände, die seine Mutter hinterlassen hat, von Bedeutung sind und verdienen aufbewahrt zu werden. Die hinterlassenen Stücke bilden aus seiner Sicht ein bunt zusammengewürfeltes Sammelsurium, ein zusammenhangloses Durcheinander, dessen Teile auf gut einer Seite der Reihe nach aufgezählt werden. (Vgl. A 234 f.) Auch in Buch V, als die Mutter in einer abgewandelten Version des Geschehens als Neunzigjährige im Pflegeheim lebt, kann der inzwischen verheiratete Sohn aus der Hinterlassenschaft seiner Mutter nicht zwischen Objekten mit oder ohne dokumentarischen Wert unterscheiden.

Über seine Vorfahren weiß er so gut wie gar nichts. Bei bestimmten Behörden könnte er Listen einsehen, aus denen hervorgeht, dass seine jüdische Urgroßmutter und seine Großmutter Anfang der vierziger Jahre nach Osten abtransportiert wurden und seine Tagebuch schreibende Tante im Jahre 1944 im KZ Auschwitz ermordet wurde (vgl. A 132 und 267), wobei ihr Tagebuch in den Dreck fiel und verloren ging. Durch diese und andere Ereignisse wurden Erinnerungslinien immer wieder unterbrochen oder verliefen sich im Sande. Auf der Suche nach Gegenständen aus früherer Zeit, mit denen er seiner Mutter eine Freude machen könnte, streift er ziel- und planlos durch Wien und landet schließlich bei einem Altwarenhändler, wo er eine Standuhr entdeckt, an deren Schlägen er erkennt, dass sie anderthalb Stunden nachgeht. Außerdem stöbert er eine vollständige Goethe-Ausgabe auf, deren neunter Band am Rücken leicht beschädigt ist. Beides sind Objekte, die – wie der Leser sich erinnert – aus dem Nachlass seiner Großmutter stammen und schon im Besitz der Urgroßmutter gewesen waren. (Vgl. A 19 und 52) Doch davon weiß er nichts mehr. Diese Spur hat sich verloren. Beim Abtransport seiner Großmutter nach Osten (vgl. A 269) musste sie die Goethe-Ausgabe, die Standuhr, einen siebenarmigen Leuchter und andere Objekte zurücklassen. Über mehrere Stationen weitergereicht, landen diese Stücke schließlich bei der Gestapo. (Vgl. A 272). Von dort geraten sie in den Besitz eines frisch verheirateten „arischen“ Ehepaars (vgl. A 273) und nach dem Tod der Frau schließlich beim Antiquitätenhändler. (Vgl. A 275) Dem nach einem passenden Geschenk für seine neunzigjährige Mutter suchenden Sohn ist die Goethe-Ausgabe zu unhandlich. Die Standuhr zeigt eine symbolisch bedeutsame falsche Zeit an und kommt daher auch als Geschenk nicht in Frage. Wie der schwächliche Hanno in „Buddenbrooks“ erkennt der Sohn auch hier den eigentlichen Erinnerungswert von Objekten nicht, mit denen sich wichtige Linien zu vorhergehenden Generationen ziehen lassen und die daher des Aufhebens wert sind.

Darüberhinaus gibt es auch Stücke, von denen der Sohn Kenntnis hat, die aber nicht mehr existieren oder verloren gegangen sind wie Fotos von seinem Vater (vgl. A 223 und 233), oder Stücke, die für ihn keinen bedeutenden Wert mehr verkörpern, wie die zahlreichen Orden seiner Mutter (vgl. A 231 und 232), die sie als prominente DDR-Autorin verliehen bekam. Zu den langlebigen Erinnerungsobjekten gehört auch ein Kästchen mit den goldenen Knöpfen und dem doppelköpfigen Adler von der Uniform seines Großvaters (vgl. A 263), die dieser als k. und k. Beamter in Wien getragen hatte. Diese Objekte sind für ihn im Grunde fragwürdige Symbole einer untergegangenen Zeit und werden von seiner Mutter schließlich ins Pflegeheim mitgenommen. Mehrere Male (beispielsweise A 214 und 233) wird auch ein Brief erwähnt, mit dem seine Mutter aus dem baschkirischen Ufa der in Wien lebenden Großmutter mitteilte, sie habe inzwischen einen dreijährigen Sohn. Wie viele andere Stücke erreicht auch dieser Brief seine Adressatin nicht mehr, die zu diesem Zeitpunkt schon nach Osten deportiert worden war und deren Spur sich in den Todeslagern der SS verlor. Nicht mehr auffindbare, im Sande verlaufene Spuren bilden ein Grundmotiv des Romans. Sie fordern den Leser dazu auf, verschüttete, vergessene oder verdrängte Teile seiner eigenen Familiengeschichte auf dem Hintergrund zeitgeschichtlicher Zusammenhänge zu entdecken und freizulegen, was den Figuren im Roman nur selten gelingt. Symptomatisch für dieses Unvermögen, selbst Erlebtes in der Erinnerung festzuhalten und für die Nachwelt aufzuheben, ist ein kurzes Gespräch zwischen Mutter und Sohn kurz vor dem Ableben der Mutter:

Weißt du, sagt sie, ich habe Angst, dass alles verloren geht – dass die Spur verloren geht. Welche Spur, fragt der Sohn. Ich weiß nicht mehr woher und wohin. Der Sohn schweigt. (A 278)

Nach eigener Aussage hat Jenny Erpenbeck Ereignisse aus ihrer Familiengeschichte in ihren Werken verarbeitet. Dies gilt in besonderem Maße für den Roman „Aller Tage Abend“. An mehreren Stellen erkennt man Lebensstationen, Erlebnisse und Aktivitäten ihrer Großeltern Hedda Erpenbeck-Zinner und Fritz Erpenbeck wieder, was beispielsweise ihre Mitgliedschaft in der KPD, ihre Tätigkeit als Schriftstellerin und Dramaturg, ihr politisches Engagement, ihre Flucht aus Nazi-Deutschland über Prag in die Sowjetunion, die Geburt ihres Sohnes John in Ufa, die Rückkehr nach Deutschland, ihre schriftstellerische Tätigkeit in der DDR und den Tod der Großmutter als verdiente und mit mehreren Preisen ausgezeichnete DDR-Autorin angeht. Andererseits hat Jenny Erpenbeck mehrfach betont, dass sie nicht einfach in die Fußstapfen ihrer Großeltern oder ihres ebenfalls schriftstellerisch tätigen Vaters John Erpenbeck treten, sondern „als jemand wahrgenommen werden“ will, „der eigene Ideen“ entwickelt und eine besondere Art des Schreibens für sich entdeckt hat. (Jenny Erpenbeck im Gespräch mit Elke Schröder, in: www. noz.de/deutschland ... vom 11.01.2013, 5) Im Gegensatz zu Vermutungen, „ich wolle vor allem das große Geschichtspanorama oder meine Familiengeschichte erzählen“, hebt sie ihr besonderes Interesse am Authentischen hervor, „sei dieses Material nun familiengeschichtlich belegt, recherchiert oder erfunden“. (Ebd., 6)

2. Verheimlichen, Verschweigen, Vertuschen, Lügen, Betrügen, Verdrängen und der Begriff der Wahrheit

Der „Ariadnefaden der Tradition“, die Verbindung mit der Vergangenheit, ist nicht nur durch die Brüchigkeit der Erinnerung, durch Gedächtnislücken oder die Nicht-Auffindbarkeit von Dokumenten einer Zerreißprobe ausgesetzt. In der Familiengeschichte gehen Spuren auch dadurch verloren, dass bestimmte Ereignisse, Personen oder Orte verheimlicht, verschwiegen, vertuscht, verdrängt oder umgedeutet werden. Sie verlieren auch dann ihre Wirksamkeit nicht, wenn sie nicht mehr bewusst wahrgenommen werden können. Ganz in diesem Sinne empfindet Sascha, der Sohn der Protagonistin Buch V, dessen Gedanken dem Leser in erlebter Rede mitgeteilt werden:

... in seinem Innern trägt er als ein großes schwarzes Land all die Geschichten, die seine Mutter ihm nicht erzählt oder verschwiegen hat, mit sich herum, trägt vielleicht sogar diejenigen Geschichten, die nicht einmal seine Mutter wusste oder in Erfahrung gebracht hat, mit sich herum, kann sie nicht loswerden, aber sie auch nicht verlieren, weil er sie gar nicht kennt, weil all das in ihm begraben ist, weil er mit Innenräumen, die ihm nicht gehören, schon aus seiner Mutter geschlüpft ist und sein Inneres nicht anschauen kann. (A 267)

Verheimlichen, Verschweigen, Vertuschen und Verdrängen bilden ein durchgängiges Grundmotiv des Romans. Es beginnt damit, dass die jüdische Protagonistin von Buch I auf Anraten ihrer Mutter einen „Goj“, einen christlichen Mann, heiratet, um vor antisemitischen Ausschreitungen in ihrem galizischen Heimatort Brody besser geschützt zu sein. Ihre Großeltern – vor allem der Großvater – sind aber absolut gegen diese Verbindung eingestellt. Er setzt sich aus Protest auf sein Bett, um, dem jüdischen Ritus gemäß, für seine Enkelin, die er damit als gestorben ansieht, sieben Tage „Schiva“ (Totenwache) zu halten. (Vgl. A 17) Der "eigentliche Ausgangspunkt" (Jenny Erpenbeck im Gespräch mit Elke Schröder in: www.noz.de ... vom 01.11.2013, 4) und die "Schlüsselszene des Romans" (Hermann in: Marx/Schöll, 147) liegt jedoch in einem Geschehen, das bereits Jahre zuvor stattgefunden hatte. Bei einem antijüdischen Pogrom war der Vater der Protagonistin auf grausame Weise ermordet worden. (Vgl. A 18 ff.) Dieses Geschehen wird von ihrer Mutter geheim gehalten bzw. dahingehend umgedeutet, dass der Vater die Familie eines Tages verlassen habe (vgl. A 22) und nach Amerika oder Frankreich gegangen sei. (Vgl. A 29) Nachdem das Kind der Protagonistin bald nach seiner Geburt gestorben ist, setzt sich ihr Mann und der Vater des Kindes tatsächlich nach Amerika ab und verschwindet sang- und klanglos von der Bildfläche. Damit wird das von Jenny Erpenbeck in einem Gespräch mit Elke Schröder so bezeichnete „Problem der abwesenden Väter“ (www.noz.de/deutschland ... Vom 11.01.2013, 4) weitergeführt, das zu dem hier behandelten T hemenkomplex des „Verschweigens“ (ebd.) in der Familie gehört. Mit ihrem Verhalten sorgt die Mutter der Protagonistin dafür, dass das, was sie „ihrer Tochter immer als Wahrheit verkauft hat“ (A 40), in Wirklichkeit aber erfunden bzw. gelogen war, von der Tochter übernommen und in ihr eigenes Leben integriert wird: „Jetzt ist die Tochter an ihrer Stelle die sitzengelassene Ehefrau, und sie dafür das, was sie, wenn auch verschwiegen, immer schon war. Eine Witwe.“ (Ebd.) Der Übertragungsvorgang ist damit aber keineswegs abgeschlossen. Das Motiv der abwesenden Väter und des Verschweigens wird vielmehr von Generation zu Generation weitergereicht, bis es schließlich in Buch V im Verhältnis zwischen der greisen Frau Hoffmann und ihrem Sohn Sascha wieder zum Vorschein tritt.

Schon in Buch IV führt das Verschweigen und Verheimlichen zur Entfremdung zwischen Mutter und Sohn. Er erlebt sie als „unsichtbare Mutter“ (A 219, 220 und 232) bzw. als jemand, der sich hinter einer Wand seinem Blick zu entziehen sucht und dessen Geheimhaltungsstrategie er nicht durchschauen kann. Konkret geht es um die Frage nach der Identität und dem Verbleib seines verschollenen Vaters, die seine Mutter stets mit der gleichen Antwort abwimmelt: „Der ist bei Charkow gefallen.“ (A 207, 220 und 225) Außerdem geht es um den bereits erwähnten Brief (vgl. Seite 4 oben), mit dem die Mutter im Jahre 1939 oder 1940 der in Wien verbliebenen, bald darauf aber in ein Konzentrationslager deportierten Großmutter des Sohnes aus dem fernen Ufa mitteilt, sie habe inzwischen einen dreijährigen Sohn namens Sascha. (Vgl. A 206, 214 und 233) Dieser Brief wurde mit dem Vermerk “Evakuiert nach Osten” an die Mutter zurückgeschickt (A 214) und von ihr aufbewahrt, angeblich in der Hoffnung, der Sohn möge ihn irgendwann finden und erkennen, dass sie “keine Geheimnisse mehr” (A 214) habe. Aber in diesem Brief, der das Geheimnis um seinen Vater lüften könnte, erkennt der Sohn kein wichtiges Dokument und lässt ihn daher ungeöffnet. (Vgl. A 233) Bei der Beerdigung seiner knapp sechzigjährig gestorbenen Mutter taucht unvermutet ein russisch sprechender Mann auf, der sich als sein verloren geglaubter leiblicher Vater entpuppt, mit dem die seinerzeit mit einem Deutschen verheiratete Mutter während ihres Aufenthaltes in Moskau ein Verhältnis gehabt hatte. (Vgl. A 205) Im darauffolgenden „Intermezzo“, dem Scharnier- und Verbindungsstück zu Buch V, ist es die Tochter des Sohnes Sascha, die den Erwachsenen letztlich einen Spiegel vorhält, indem sie als wohlerzogenes Kind das ausspricht, was sie von ihren Eltern als moralisches Gebot oft gehört hat, in der Familiengeschichte aber tatsächlich kaum beachtet wurde: „Man soll nicht lügen.“ (A 243)

[...]

Fin de l'extrait de 23 pages

Résumé des informations

Titre
Familien- und Zeitgeschichte im 20. Jahrhundert. Jenny Erpenbecks Roman "Aller Tage Abend"
Université
University of Hannover  (Deutsches Seminar)
Note
"-"
Auteur
Année
2016
Pages
23
N° de catalogue
V339203
ISBN (ebook)
9783668287501
ISBN (Livre)
9783668287518
Taille d'un fichier
452 KB
Langue
allemand
Mots clés
familien-, zeitgeschichte, jahrhundert, jenny, erpenbecks, roman, aller, tage, abend
Citation du texte
Hans-Georg Wendland (Auteur), 2016, Familien- und Zeitgeschichte im 20. Jahrhundert. Jenny Erpenbecks Roman "Aller Tage Abend", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/339203

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