Die femme fragile in Heinrich Manns Novellen "Ist sie's?" und "Contessina"


Trabajo Escrito, 2013

14 Páginas, Calificación: 2,7


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die „femme fragile“
2.1 Die „femme fragile“ in Ist sie’s?
2.2 Die „femme fragile“ in Contessina

3. Ein Vergleich
3.1 Der männliche Beschützer
3.2 Das Erwecken

4. Schluss

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Heinrich Mann verwendet in seinen beiden Novellen Ist sie’s? und Contessina das Motiv der „femme fragile“. Dieser Frauencharakter, der zumeist auf eine blasse, magere und kranke Frau hinweist[1], ist typisch für die Jahrhundertwende.

In der Novelle Ist sie’s? geht es vermehrt um das Thema der Wiedergeburt; der Ich-Erzähler lernt eine verheiratete Frau kennen, zu der er sich stark hingezogen fühlt, verliert sie jedoch aus den Augen. Jahre später glaubt er, sie wiederzusehen, es ist aber ihre Tochter, in der er die Seele der Mutter zu erkennen scheint. Letztere ist bei der Geburt gestorben. Sowohl Mutter als auch Tochter verkörpern die „femme fragile“.

In der Novelle Contessina lernt ein junges Mädchen die Sonnenseiten des Lebens kennen, als ein Bildhauer sie in ihrem zuvor einsamen Zuhause besucht. Er zeigt ihr, dass es auch ein Leben außerhalb Contessinas Umfeld gibt. Das junge Mädchen wird so stark von Sehnsucht geplagt, dass es sich am Ende das Leben nimmt. Auch hier verkörpert die Protagonistin die „femme fragile“.

In der folgenden Arbeit wird bearbeitet, inwiefern sich die Charaktere der beiden Novellen in Bezug auf den Typus „femme fragile“ ähneln und unterscheiden. Es soll außerdem herausgearbeitet werden, welche Rolle der Mann in den Erzählungen spielt. Beide Protagonistinnen sind von Männern abhängig. Die These hierzu lautet, dass beide von einem Mann zum Leben erweckt werden, dieses Erwecken aber gleichzeitig auch zu ihrem Tode führt. In Ist sie’s? ist die Protagonistin insofern vom Ich-Erzähler abhängig, als dass er sie an einem steilen Abhang vor dem Hinfallen rettet. Er erweckt sie außerdem zum Leben, indem sie mit ihm Abenteuer erlebt, die sie mit ihrem kranken Mann nicht erleben könnte. Am Ende muss sie jedoch sterben. In Contessina wird die Protagonistin von dem Bildhauer zum Leben erweckt, indem er ihre Lebendigkeit zum Vorschein bringt. Diese Einsicht ist für Contessina jedoch tödlich.

Um diese These zu prüfen, wird zunächst der Charakter der „femme fragile“ im Allgemeinen und in den beiden Novellen untersucht. Danach wird ein Vergleich gezogen, wobei im Besonderen auf die Rolle des Mannes und seine Wichtigkeit in der Geschichte eingegangen wird.

2. Die „femme fragile“

Die „femme fragile“ ist ein typischer Charakter, der in den Novellen um die Jahrhundertwende des 19. Jahrhunderts vorkommt. Folgende Adjektive sind charakteristisch: „blaß, […], kindlich, […], kränklich, […], mädchenhaft, […], müde, rätselhaft, […], schlank, [...], still, teilnahmslos, […], weiß, […], zerbrechlich, […]“.[2] Man kann erkennen, dass die Farbe Weiß ein Hauptbestandteil dieser Merkmale ausmacht[3]. Außerdem kommt es vor allem in Heinrich Manns Erzählungen vor, dass die „femme fragile“ eine „aufgeworfene Nase“[4] besitzt. Sie wird sehr oft auf ihr Äußeres reduziert, was die Stellung der Frau zu dieser Zeit besonders bezeichnet. Die „femme fragile“ steht als Symbol für die Unterdrückung der Frau in der Gesellschaft[5] und auch für den Objektcharakter, den alle Frauen hatten. Sie ist vom Mann abhängig, der sie versorgen und pflegen muss, auch gerade deswegen, weil sie immer kränklich, blass und mager ist, was meistens auf eine Erkrankung hinweist. Dies wiederum macht sie sexuell ungefährlich für den Mann[6], im Gegensatz zur „femme fatale“, die den Mann verführt[7]. Die „femme fragile“ hat jedoch meistens keine tatsächliche Beziehung zu dem Mann, sie ist eher unnahbar und distanziert[8]. Ihre Krankheit macht ihren Körper für den Mann zudem zu einem Tabu[9]. Hier tritt die Symbolik der Heiligen in Erscheinung, sie steht im Gegensatz zur Hure, die durch die „femme fatale“ dargestellt wird[10]. Auch wird ihr ein märchenhafter und rätselhafter Charakter nachgesagt, vielleicht auch deswegen, weil sie nicht viel spricht und man ihre Mimik nicht deuten kann[11]. Die Krankheit der „femme fragile“ steht darüber hinaus auch in einer engen Beziehung mit dem Tod. Dieser wird durch die „femme fragile“ plötzlich schön. Man kann von einer „ästhetisierenden Verklärung von Krankheit und Tod“[12] sprechen, da Schönheit und Tod miteinander verknüpft werden, denn die „femme fragile“ ist immer schön. Somit ist das Thema vieler Novellen auch Leiden und Sterben, denn meistens ist der Tod der Protagonistin bereits vorauszusehen, wie zum Beispiel in Contessina[13]. Die „femme fragile“ gehört zudem meistens zur Aristokratie und kommt nicht aus der Arbeiterklasse[14].

2.1 Die „femme fragile“ in Ist sie’s?

Die Novelle Ist sie’s? von Heinrich Mann beginnt mit einem inneren Monolog des Ich-Erzählers. In diesem Monolog erzählt er, dass er oft vergisst, dass andere Menschen und er selbst altern, und er deswegen manchmal Menschen verwechselt. Dies dient als Erklärung für das Ende der Geschichte, indem er die Protagonistin, Jeanne, mit ihrer Tochter verwechselt. Dies führt außerdem zu einer „ziellosen Unruhe“[15] des Erzählers.

Die „femme fragile“ der Geschichte, Jeanne, hat einen Mann, der an einem Lungenleiden erkrankt ist, jedoch, wie der Erzähler anmerkt, „schien es […], daß auch die Frau ausdrücklich Pflege bedurft hätte“[16]. Dieses Pflegebedürfnis passt genau in das Schema der kranken, fragilen Frau und weckt beim Erzähler sogar ein gewisses Mitleid, er blickt also auf die Frau hinab.[17] Besieht man sich die Beschreibung Jeannes, kann man die „femme fragile“ noch klarer erkennen:

Groß und schlank, in der Taille leicht nach vorn geneigt, trug sie auf schmalen Schultern und zartem Halse die überschwere Fülle ihres mattgoldenen Haares. Ihr Gesicht, mit der ganz leise aufgeworfenen Nase, den schmalen sanften Lippen und dem ungewissen, schimmernden Blick ihrer meerblauen Augen, war bleich. Man gewahre die bläulichen Adern auf ihrer weißen Stirn neben dem gelben Mal, das dicht an der rechten Schläfe von einer vereinzelten Locke leicht verdeckt ward.[18]

Sie ist außerdem abhängig von ihrem Mann, durch den sie in höhere Kreise eingeheiratet hat[19] und ist sich dessen auch sehr bewusst: „‚Sie wissen, wem ich all dies Genießen danke‘, sagte sie leise, so leise und doch so eindringlich, daß ich schweigend den Kopf senkte“.[20] In der Mitte der Geschichte jedoch wird der Ich-Erzähler zum Retter, indem er sie abbremst, als sie einen Abhang hinunterläuft.[21] Hier steht vor allem ihre Dankbarkeit ihm gegenüber im Vordergrund, die für das Ende der Geschichte eine große Rolle spielt. Diese Dankbarkeit ist aber, zumindest im Auge des Erzählers, anders als jene Dankbarkeit, die Jeanne ihrem Mann gegenüber empfindet: „Wieder fand ich ihren Blick, und was nun darin lag, war viel mehr als Halt suchende Dankbarkeit, war ganz etwas anderes als alles, was ihr Auge je dem Gatten auszudrücken vermocht hatte.“[22] Dieser Moment löst auch Gefühle beim Erzähler aus, die er vorher nochnicht wahrgenommen hatte. Er trauert ihr nach ihrer Abreise noch jahrelang hinterher, bis er sie endlich wiederzusehen glaubt: „Da war sie ja, das war Jeanne!“[23] Diesmal ist es jedoch nur ihre Tochter, deren Äußeres erstaunlich ähnlich dem ihrer Mutter ist.[24] Diese ist durch die Geburt der Tochter gestorben, was wiederum auf die „femme fragile“ hinweist: Die Mutter war zu schwach und zu krank um die Geburt zu überleben. Das Merkwürdigste der Geschichte passiert nun jedoch am Ende; der Erzähler meint in der Tochter Jeanne selbst zu erkennen und spricht sie auf das damalige Erlebnis an: „‘Jeanne!‘, wiederholte ich, ‚gedenken Sie jenes Augenblicks?‘“[25] Ob es in seinem Kopf geschieht oder Wirklichkeit ist, in der Novelle antwortet die Tochter mit „‚Ja, ich denke daran‘“.[26] Dies kann man so deuten, als dass die Dankbarkeit Jeannes eine Übertragung von ihr auf die Tochter auslöst. Jeanne ist sozusagen in der Tochter wiedergeboren, um ihre Dankbarkeit dem Mann gegenüber auszudrücken, es spricht Jeannes Seele aus ihrer Tochter und der Mann steht als Retter und Held da. Die Motive Wiedergeburt, ungeklärte Identität und Seelenwanderung lassen sich auch in der Charakterisierung der „femme fragile“ finden.[27]

[...]


[1] Vgl. Martin, Ariane: Übertragung psychischer Bilder. Die Femme fragile in Heinrich Manns Novellensammlung Das Wunderbare. In: Liebe, Lust und Leid. Zur Gefühlskultur um 1900. Hrsg. von Helmut Scheuer, Michael Grisko. Kassel: University Press 1999. S. 308.

[2] Martin, Ariane: Übertragung psychischer Bilder. Die Femme fragile in Heinrich Manns Novellensammlung Das Wunderbare. In: Liebe, Lust und Leid. Zur Gefühlskultur um 1900. Hrsg. von Helmut Scheuer, Michael Grisko. Kassel: University Press 1999. S. 313.

[3] Vgl. ebd.

[4] Martin, Ariane: Erotische Politik: Heinrich Manns erzählerisches Frühwerk. Würzburg: Könighausen und Neumann 2003. S. 53.

[5] Vgl. Stein, Peter: Heinrich Mann. Stuttgart, Weimar: Metzler 2002. S. 47.

[6] Vgl. Martin, Ariane: Die weibliche Stimme der Revolution. Revolutionsthema und Frauenbild bei Heinrich Mann. In: Heinrich Mann Jahrbuch. Lübeck: Schmidt-Römhild, Amt 1.1983(1984). S. 277.

[7] Vgl. Martin, Ariane: Übertragung psychischer Bilder. Die Femme fragile in Heinrich Manns Novellensammlung Das Wunderbare. In: Liebe, Lust und Leid. Zur Gefühlskultur um 1900. Hrsg. von Helmut Scheuer, Michael Grisko. Kassel: University Press 1999.

[8] Vgl. ebd. S. 9.

[9] Vgl. ebd. S. 9.

[10] Vgl. Jasper, Willi: Der Bruder: Heinrich Mann; eine Biographie. München [u.a]: Hanser 1992. S 100.

[11] Vgl. Martin, Ariane: Übertragung psychischer Bilder. Die Femme fragile in Heinrich Manns Novellensammlung Das Wunderbare. In: Liebe, Lust und Leid. Zur Gefühlskultur um 1900. Hrsg. von Helmut Scheuer, Michael Grisko. Kassel: University Press 1999. S. 316.

[12] Martin, Ariane: Übertragung psychischer Bilder. Die Femme fragile in Heinrich Manns Novellensammlung Das Wunderbare. In: Liebe, Lust und Leid. Zur Gefühlskultur um 1900. Hrsg. von Helmut Scheuer, Michael Grisko. Kassel: University Press 1999. S. 313.

[13] Vgl. ebd. S. 315.

[14] Vgl. Martin, Ariane: Erotische Politik: Heinrich Manns erzählerisches Frühwerk. Würzburg: Könighausen und Neumann 2003. S. 53.

[15] Mann, Heinrich: Ist sie’s?. In: Mann, Heinrich: Sämtliche Erzählungen. 1. Haltlos. Hrsg. von Peter-Paul Schneider. Frankfurt am Main: Fischer 1995. S. 192.

[16] Ebd. S. 192.

[17] Vgl. ebd. S. 193.

[18] Mann, Heinrich: Ist sie’s?. In: Mann, Heinrich: Sämtliche Erzählungen. 1. Haltlos. Hrsg. von Peter-Paul Schneider. Frankfurt am Main: Fischer 1995. S. 192-193.

[19] Vgl. ebd. S. 193.

[20] Ebd. S. 195.

[21] Vgl. ebd. S. 197.

[22] Ebd. S. 197.

[23] Ebd. S. 198.

[24] Vgl. ebd. S. 198.

[25] Ebd. S. 200.

[26] Ebd. S. 201.

[27] Vgl. Martin, Ariane: Übertragung psychischer Bilder. Die Femme fragile in Heinrich Manns Novellensammlung Das Wunderbare. In: Liebe, Lust und Leid. Zur Gefühlskultur um 1900. Hrsg. von Helmut Scheuer, Michael Grisko. Kassel: University Press 1999. S. 320.

Final del extracto de 14 páginas

Detalles

Título
Die femme fragile in Heinrich Manns Novellen "Ist sie's?" und "Contessina"
Universidad
University of Mannheim  (Neue Germanistik)
Curso
Fin de Siecle Literatur
Calificación
2,7
Autor
Año
2013
Páginas
14
No. de catálogo
V339557
ISBN (Ebook)
9783668290792
ISBN (Libro)
9783668290808
Tamaño de fichero
934 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
heinrich, manns, novellen, contessina
Citar trabajo
Larissa Pöltl (Autor), 2013, Die femme fragile in Heinrich Manns Novellen "Ist sie's?" und "Contessina", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/339557

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