Der Lithographie Zyklus "Die Hölle" von Max Beckmann im Kontext seines druckgraphischen Werks und des Zeitgeschehens


Hausarbeit, 2016

15 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis und Gliederung

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1 Druckgraphisches Werk von Max Beckmann
2.2 Lithographie Zyklus „Die Hölle“, 1919
2.2.1 Aufbau, Technik und Formalien
2.2.2 Interpretation und Analyse der Folge

3. Schlussbetrachtung

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Das Gegenwärtige zeitlos machen und das Zeitlose gegenwärtig.“[1]

Diese Bemerkung, welche undatiert undzur Lebenszeitdes Künstlers Max Carl Friedrich Beckmann (geboren am 12. Februar 1884 in Leipzig; gestorben am 27. Dezember 1950 in New York City) unveröffentlicht auf einem alten Briefumschlag zu finden ist, stimmt den Rezipienten bei der Betrachtung des künstlerischen Werks auf die Intention von Beckmanns Kunstschaffen einund betont die Bedeutung des Zeitgeschehens und den daraus resultierenden gesellschaftlichen und politischen Umständenin seinem Oeuvre.

Als ein Künstler der „klassischen Moderne“[2] der von den Folgen des ersten Weltkrieges beeinflusst wurde, gilt Beckmann heute vor allem durch seine Bildthemen als einer der komplexestendeutschen Künstler und darüberhinaus auch als herausragender Interpret der Druckgraphik, im Speziellen der Lithographie.[3] Als Zeitzeuge der Kriegs- und Nachkriegsjahre in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, schildert und verarbeitet er seine Erfahrungen, Emotionen und Ängste ohne sich jedoch von dem Geschehen abzuheben oder sich gar über die Geschehnisse zu stellen. Die Persönlichkeit „Max Beckmann“ spielt in seinen Werken eine bedeutende Rolle und reiht sich häufig als Beobachter; Teilnehmer oder gar Akteur in das Sujet ein. Der Lithographie Zyklus „Die Hölle“, welcher mit dem einleitenden Titelblatt und den zehn aufeinanderfolgenden Umdrucklithographien[4] aus elf Blättern besteht und im Jahre 1919 entstanden ist, nimmt im druckgraphischen Werk Max Beckmanns wiederum eine besondere Position ein[5] - diese soll anhand vorliegender Arbeit analysiert und in das Zeitgeschehen eingeordnet werden. Darüberhinaus soll vor allem die Systematik der Gesamtkomposition besprochen, und die Kontinuität des Werks im künstlerischen Kontext herausgestellt werden.

Analog zur Funktion des Titelblatts, als Aufhänger und Zugang mit zentralem Auftrag im Sinne der Gesamtkomposition, soll auch dieser Abschnitt den Leser auf das Werk und dessen Komplexität einstimmen. Inwieweit sich das Kunstwerk im modernen, zeitgenössischen Sinne interpretieren lässt, und welche Aktualität dieses mit sich bringt, soll ebenfalls Gegenstand dieser Arbeit sein.

2. Hauptteil

2.1 Druckgraphisches Werk von Max Beckmann

Die Druckgraphik als künstlerisches Ausdrucksmittel nimmt im Oeuvre Max Beckmanns eine besondere Stellung ein. In seiner frühen Schaffensphase scheint sie zunächst eine untergeordnete Position einzunehmen, da er sich vor allem der großformatigen Malerei widmet.Um jedoch das gesamte künstlerische Schaffen Max Beckmanns zu begreifen, und seine Intentionen und Wünsche nachvollziehen zu können, bedarf es unbedingt einer Betrachtung des druckgraphischen Werks. Der deutsche Kunsthistoriker Henning Bock bezieht sich in seinem Beitrag „Max Beckmann – die Druckgraphik“ auf das Verzeichnis der gleichnamigen Ausstellung in Karlsruhe im Jahre 1962,herausgegeben von Klaus Gallwitz, welches das druckgraphische Oeuvre Beckmanns im Laufe seines künstlerischen Wirkens (Selbstbildnis im Jahre 1901; Frau mit Fisch im Jahre 1948) auf 350 Exemplare beziffert.[6] James Hofmaier präzisiert in seinem Werkverzeichnis „Max Beckmann – Catalogue raisonné of his Prints“die gesamte Anzahl geschaffener Graphiken auf insgesamt 373 Drucke. Diese setzen sich aus 174 Kaltnadelradierungen, 173 Lithographien, 19 Holzschnitten und diversen Mischtechniken(vor allem Ätzung und Kaltnadel kombiniert) zusammen.[7] Die meisten seiner Blätter stammen aus den Jahren zwischen 1915 und 1923[8], was überwiegend dem ersten Weltkrieg und dessen Leidengeschuldet ist. Im Jahre 1917 bezeichnet Max Beckmann in einem Brief an den Verleger Reinhard Piper die Druckgraphik „als einen sehr guten Freund“ [9], was er jedoch im Jahre 1922 mit den Worten „ ... da ich zwischendurch immer mal gern Graphik mache ...“ [10] relativiert. Dies zeugt von einem wechselhaftenZugang zu künstlerischen Mitteln und Ausdrucksformen, was ein Künstlerleben in häufigen Fällen charakterisiert. Auffällig ist, dass Max Beckmann im Laufe seines Wirkens vor allem in Krisenzeiten zur druckgraphischen Technik greift. So kann man den ersten Weltkrieg als Zäsur bezeichnen, hin zu einem neuen Form- und Gestaltungsverständnis.[11] Holger Jacob-Friesen ordnet Max Beckmann in seiner Einführung zum Lithographie Zyklus „Die Hölle“ eine „Neigung zur Darstellung des modernen Lebens und insbesondere zeitgenössischer Desaster“[12] zu, was ebenfalls für die besagte Zäsur spricht.

Ein bedeutendes stilistisches Merkmal seines druckgraphischen Schaffens ist die Tendenz zu einfachen und malerischen Techniken, getreu dem Motto „weniger an Technik lässt der Wirkung mehr Raum“.So wird die malerische Technik, welche Beckmann zumeist verhältnismäßig großformatig im Druck anwendet, zum stilistischen Mittel des Seelenausdrucks. Die Größe des Formats, kombiniert mit den markanten Kontrasten, welche durch die Hell-Dunkel-Technik hervorgerufen werden, erzeugen eine Suggestion von Räumlichkeit, welche vor allem auch durch symmetrisch wiederkehrende Formen und Gegenstände verstärkt wird. Durch parallele Anordnung und sichtbare Beziehungen zwischen den Formen und Gegenständen gelingt es Beckmann, eine Wechselwirkung zwischen den Akteuren und einer dadurch resultierenden Ausgeglichenheit innerhalb des Bildes herzustellen.

Man könnte heutzutage wohl von einer puristischen Arbeitsweise sprechen, die auf den Betrachter jedoch sehr eindrücklich wirkt, da es zum Einen auf die persönlichen Emotionen und Erfahrungen des Rezipienten während des Betrachtens, aber vor allem auch auf das Programm der künstlerischen Aussage, ankommt.

2.2 Lithographie Zyklus „Die Hölle“, 1919

Der Lithographie Zyklus „Die Hölle“, entstanden im Jahre 1919, gehört zu den bedeutendsten Werken innerhalb des druckgraphischen Oeuvres Max Beckmanns.Neben den graphischen Mappenwerken „Gesichter“ (1915-1918), „Jahrmarkt“ (1921) und „Berliner Reisen“ (1922) ist auch in dieser graphischen Folge Beckmann selbst Hauptbestandteil und Akteur des Geschehens. Er berichtet aus Sicht eines Betroffenen und wird selbst Teil dieser „Hölle auf Erden“, was bereits durch das Titel- und Einleitungsblatt deutlich wird.

Dieses Kapitel soll sich konkret mit dem Aufbau, der Struktur und Analyse des Zyklus beschäftigen und den Zusammenhang der Komposition anhand der elf Blätter beleuchten.

2.2.1 Aufbau, Technik und Formalien

Der Zyklus „Die Hölle“ teilt sich in elf Umdrucklithographien auf. Beim Herstellen einer Umdrucklithographie wird zunächst das Zeichenmaterial seitenrichtig auf ein beschichtetes sogenanntes Umdruckpapier aufgebracht und anschließend durch Druck, Feuchtigkeit und Wärme wie ein Abziehbild auf den Lithostein übertragen. Dieses Verfahren erleichtert dem Künstler die Arbeit da er nicht seitenverkehrt zeichnen muss. Nebenbei kann er auch später noch Änderungen und Korrekturen auf dem Papier vornehmen ohne den gesamten Stein abschleifen zu müssen, was wiederum das künstlerische Spektrum erweitert.[13] Alexander Dückers spricht diesem Verfahren in seinem vielzitierten Werk eine „undeutlich markierte Grenze zwischen Zeichnung und druckgraphischem Werk“[14] zu, was wiederum die Affinität Beckmanns zur Zeichnung ausdrückt.

Ein Argument für den Einsatz dieser Technik dürfte wohl auch das große Format der Drucke gewesen sein: Die ersten Lithographien des Zyklus, welche im Herbst des Jahres 1919 durch den Verleger Israel Ber Neumann auf weißem imitiertem Japanpapier in Form eines Mappenwerks veröffentlicht, und von der C. Naumann Druckerei in Frankfurt am Main gedruckt wurden, weisen eine Blattgröße von 86,5 x 60,5cm und eine maximale Bildgröße von 77,7 x 54,5cm („Das patriotische Lied“) auf[15]. Zusätzlich zu diesem großformatigen Mappenwerk erschien eine verkleinerte Reproduktion (Heftausgabe) in einer Auflage von 1000 Exemplaren und einem Format von 40 x 26cm, welche zusätzlich ein Inhaltsverzeichnis und einen Druckvermerk enthielt, was die Abfolge der Blätter verbindlich festlegt[16].

Übersicht und Inhalt der Folge:[17]

1. Blatt als Umschlagsbild, zugleich Titelblatt und Einleitungsdruck: „Selbstbildnis“; Textin Handschrift auf dem Titelblatt: „Die Hölle / Großes Spektakel / in 10 Bildern / von Beckmann / Wir bitten das geehrte Publikum näher zu treten. Es hat die / angenehme Aussicht sich vielleicht 10 Minuten nicht zu langweilen / Wer nicht zufrieden bekommt sein Geld zurück / Im Verlag I. B. Neumann Berlin“, Maße des Drucks: 63,4 x 41,8cm.
2. Blatt: „Der Nachhauseweg“; Maße des Drucks: 73,3 x 48,8cm.
3. Blatt: „Die Straße“; Maße des Drucks:67,3 x 53,5cm.
4. Blatt: „Das Martyrium“; Maße des Drucks: 54,5 x 75cm.
5. Blatt: „Der Hunger“; Maße des Drucks: 62 x 49,8cm.
6. Blatt: „Die Ideologen“; Maße des Drucks:71,3 x 50,6cm.
7. Blatt: „Die Nacht“; Maße des Drucks: 55,6 x 70,3cm.
8. Blatt: „Malepartus“; Maße des Drucks: 69 x 42,2cm.
9. Blatt: „Das patriotische Lied“; Maße des Drucks: 77,5 x 54,5cm.
10. Blatt: „Die Letzten“; Maße des Drucks: 75,8 x 46cm.
11. Blatt: „Die Familie“; Maße des Drucks: 76 x 46,5cm.

Im folgenden Unterkapitel werden nun die genannten Drucke analysiert und deren Bedeutung im Kontext des gesamten Mappenwerks erörtert.

2.2.2 Interpretation und Analyse der Folge

Max Beckmann gestaltet das Titel- und Umschlagblatt seines Werks „Die Hölle“ mit einem Selbstportrait. Wie bei den druckgraphischen Folgen „Gesichter“, „Jahrmarkt“ und „Berliner Reise“ wird der Rezipient unmittelbar Teil des Geschehens und eingeladen, sich voll und ganz auf die folgenden Drucke zu konzentrieren. Analog dazu, ist Beckmann selbst Bestandteil und Betroffener des Geschehens und übernimmt eine Erzähler- und Führerrolle, die den Rezipienten beim Betrachten der Blätter begleitet.[18] Der Blick des Portraitierten ist stark auf den Betrachter ausgerichtet, zieht ihn starr in seinen Bann und scheint ihn gar zu durchschauen. Die Anordnung des Portraits in der Rahmen- oder Kastenform suggeriert eine räumliche Tiefe - der Portraitierte scheint förmlich aus dem „Fenster“ herauszukommen und sich dem Rezipienten entgegen zu beugen. Die Gestik des Portraitierten unterstreicht dies in einladender aber auch zugleich abweisender Haltung gegenüber dem Rezipienten. Folgende Sätze, welche als fester Bestandteil des Titelblatts die Graphik in Handschrift umrahmen, fordern wiederum auf, sich dem Werk zu widmen: „Wir bitten das geehrte Publikum näher zu treten. Es hat die angenehme Aussicht sich vielleicht 10 Minuten nicht zu langweilen. Wer nicht zufrieden bekommt sein Geld zurück“.

Die Ankündigung des Werks oberhalb der Graphik als „Großes Spektakel in 10 Bildern von Beckmann“ scheint den Betrachter vollends überzeugen zu wollen und weckt Assoziationen an einen Jahrmarkt oder eine Zirkusattraktion. Diese Überschrift zeugt zugleich von einem makabren Zynismus, der im Kontext der Bildthemen von Beckmann hergestellt wird: Die abgebildeten Gräueltaten und das Elend der Kriegsjahre werden von ihm zum Zweck der Unterhaltung herangezogen und als sehenswert betitelt.

[...]


[1] DÜCKERS, ALEXANDER: Max Beckmann – Die Hölle, 1919; S. 55.

[2] Vgl. DÜCKERS, ALEXANDER: Max Beckmann – Die Hölle, 1919; S. 57.

[3] Vgl. BUSCH, GÜNTER: Die Druckgraphik in Beckmanns Werk; S. 125.

[4] Erklärung des Begriffs siehe Unterpunkt 2.2.1, S.5.

[5] Siehe BOCK, HENNING: Max Beckmann – Die Druckgraphik; S.121.

[6] Siehe BOCK, HENNING: Max Beckmann – Die Druckgraphik; S.115.

[7] Siehe HOFMAIER, JAMES: Max Beckmann –Catalogue raisonné of his Prints. Vol. 1; S. 7.

[8] Vgl. DÜCKERS, ALEXANDER: Max Beckmann – Die Hölle, 1919; S. 8.

[9] Siehe HOFMAIER, JAMES: Max Beckmann –Catalogue raisonné of his Prints. Vol. 1; S. 8.

[10] Siehe HOFMAIER, JAMES: Max Beckmann –Catalogue raisonné of his Prints. Vol. 1; S. 8.

[11] Siehe BOCK, HENNING: Max Beckmann – Die Druckgraphik; S.115.

[12] Siehe JACOB-FRIESEN, HOLGER: „Querschnitte durch Beckmanns druckgraphisches Werk der Jahre 1914 bis 1924 (II. Die Hölle)“; S. 56.

[13] Vgl. DÜCKERS, ALEXANDER: Max Beckmann – Die Hölle, 1919; S. 56.

[14] Siehe DÜCKERS, ALEXANDER: Max Beckmann – Die Hölle, 1919; S. 56.

[15] Siehe DÜCKERS, ALEXANDER: Max Beckmann – Die Hölle, 1919; S. 56.

[16] Siehe HOFMAIER, JAMES: Max Beckmann –Catalogue raisonné of his Prints. Vol. 1; S. 379.

[17] Siehe HOFMAIER, JAMES: Max Beckmann –Catalogue raisonné of his Prints. Vol. 1; S. 379-400.

[18] Siehe DÜCKERS, ALEXANDER: Max Beckmann – Die Hölle, 1919; S. 74.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Der Lithographie Zyklus "Die Hölle" von Max Beckmann im Kontext seines druckgraphischen Werks und des Zeitgeschehens
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Kunsthistorisches Institut)
Veranstaltung
"Lithographie - Medium zwischen Tagesaktualität und Kunst"
Note
1,5
Autor
Jahr
2016
Seiten
15
Katalognummer
V339719
ISBN (eBook)
9783668315150
ISBN (Buch)
9783668315167
Dateigröße
541 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Max Beckmann, Lithographie, Die Hölle, Druckgraphik, Kunstgeschichte, Kunsthistorik, Umdrucklithographie, 1919, Lithographie-Zyklus, Oeuvre Max Beckmann, Beckmann, deutsche Druckgraphik, Selbstbildnis Max Beckmann, Der Nachhauseweg, Die Straße, Das Martyrium, Der Hunger, Die Ideologen, Die Nacht, Malepartus, Das patriotische Lied, Die Letzten, Die Familie, Werkverzeichnis Beckmann, Kunst im Zeitgeschehen
Arbeit zitieren
Jonathan Frank (Autor:in), 2016, Der Lithographie Zyklus "Die Hölle" von Max Beckmann im Kontext seines druckgraphischen Werks und des Zeitgeschehens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/339719

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