Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Münchner Studie zur Lebenszufriedenheit
3 Operationalisierung
3.1 Sexualität in der Münchner Studie zur Lebenszufriedenheit
Häufigkeit von Geschlechtsverkehr
Konsum von Pornografie
3.2 Andere Kovariablen in der wissenschaftlichen Literatur
Sexuelle Orientierung
Masturbation
Alter
Sonstige Kovariablen
4 Diskussion
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Nach derliberal theory of happiness(vgl. Airaksinen 2012) kann man bei Sexualität von einem mehrdimensionalen Konzept[1]sprechen. Werden die sexuellen Bedürfnisse befriedigt, so erreicht man einen Zustand der sexuellen Zufriedenheit. Bancroft et al. (2003) sowie Carpenter et al. (2009) benennen drei Ebenen, die sexuelle Zufriedenheit beeinflussen und bestimmen: eine individuelle Ebene, eine Beziehungsebene und eine kulturelle Ebene. Weitere Autoren[2](vgl. Chao et al. 2011) erkennen ebenfalls die Mehrdimensionalität von Sexualität und sexueller Zufriedenheit an, richten aber ihren Fokus auf andere Dimensionen als die bereits erwähnten. Das zeugt einerseits davon, dass das Thema sehr viel Forschungsbedarf aufweist, andererseits auch davon, dass im wissenschaftlichen Diskurs keine Einigkeit darüber besteht, was und wie Sexualität erfasst werden sollte. Wie die Arbeit von Marc Hooghe belegt, ist es auch nicht selbstverständlich, dass sexuelle Zufriedenheit einen Platz in der Zufriedenheitsforschung hat. Hooghe plädiert in seiner Arbeit für eine Inklusion dieses Bereiches in die Zufriedenheitsforschung:
„The main argument [to include sexual well-being in conventionally used subjective well-being scales ] is derived from the theoretical literature, arguing that satisfaction with one’s sexual life is an important element of general human well-being. As such, it seems important to include this element in the well-being scales that are generally used in population surveys. “ (Hooghe 2012: 271).
2 Münchner Studie zur Lebenszufriedenheit
Das Interesse der Studie des Instituts für Soziologie der LMU gilt der Lebenszufriedenheit. Die Datenerhebung erfolgt einmalig (Querschnitterhebung) mittels einer schriftlichen Befragung. Die erhobenen Daten sollen dazu dienen, die Lebenszufriedenheit der Betroffenen zu erklären und Rückschlüsse auf den Zusammenhang zwischen erklärten und erklärenden Variablen zu ziehen. Der Fragebogen ist zusammen mit Soziologie-Studenten im Rahmen der Übung Methoden der quantitativen Sozialforschung 1 entworfen worden.
Befragt werden volljährige Münchner Bürger, die nach einer mehrstufigen Zufallsauswahl ausgewählt werden. Die erste Auswahl erfolgt per Zufallsbegehung[3]: So werden die Haushalte bestimmt, die den Fragebogen bekommen. Die zweite Auswahl findet mittels Geburtstagsmethode[4]statt, um innerhalb des Haushaltes die Einzelpersonen, die an der Befragung teilnehmen sollen, zu ermitteln. Diese Auswahlmaßnahmen sollen dazu dienen, eine für die Münchner Bevölkerung möglich repräsentative[5]Zufallsstichprobe zu bekommen, um so die Ergebnisse der Studie auf die Gesamtpopulation übertragen zu können.
Die Messung der individuellen Zufriedenheit der Befragten erfolgt durch direktes Fragen: „Wie zufrieden sind Sie gegenwärtig alles in allem mit Ihrem Leben? “. Die möglichen Antworten liegen auf einer elfstufigen Skala mit den zwei Extremen: „Ganz und gar unzufrieden “ und „Ganz und gar zufrieden“. Im Laufe des Fragebogens wird nach der Zufriedenheit in speziellen Lebensbereichen (z.B. Zufriedenheit mit dem eigenen Beziehungsstatus) gefragt. Die Umfrage ist in Abschnitte aufgeteilt, die verschiedene Lebensbereiche (soziales Umfeld, Freizeitgestaltung, etc.) vertreten. Für jeden Lebensbereich werden Daten zu plausiblen oder vermuteten Bestimmungsfaktoren oder Einflussgrößen der Lebenszufriedenheit erhoben.
3 Operationalisierung
Die Inklusion von Sexualität in die Lebenszufriedenheitsforschung ist aus sozialwissenschaftlicher Sicht unentbehrlich (vgl. Hooghe 2012; Laumann et al. 2006; World Association for Sexual Health 2008), jedoch ist die Möglichkeit, diesen Bereich im Rahmen der Zufriedenheitsforschung praktisch zu erfassen, begrenzt[6]. Obwohl viele Informationen, die für das Erfassen der sexuellen Zufriedenheit wichtig sind, bereits erfasst werden (z.B. der Beziehungsstatus), können nicht alle Dimensionen der sexuellen Zufriedenheit abgefragt werden, was zu einer geringen Erklärungskraft des Modells führt. Deswegen ist es notwendig, dass sexuelle Zufriedenheit mit wenigen, aber dafür sehr validen Items erfasst wird.
3.1 Sexualität in der Münchner Studie zur Lebenszufriedenheit
In der Befragung zur Lebenszufriedenheit des Instituts für Soziologie der Universität München werden sowohl direkte Fragen zur sexuellen Zufriedenheit gestellt, als auch Kovariablen erfasst, die damit korrelieren. Jedoch ist die Erhebung von Daten, die die Sexualität der Befragten betreffen, nicht unproblematisch: Fragen zur Sexualität gelten als heikle Fragen (Fenton et al. 2001), die von den Befragten als unangenehm empfunden und deswegen nicht beantwortet werden, bzw. es wird die sozial erwünschte und nicht die wahrheitsgemäße Antwort angegeben[7]. Es kann sogar vorkommen, dass die Befragung abgebrochen wird[8].
In der wissenschaftlichen Literatur findet man zwar viele verschiedene Indikatoren und Indizes, die dazu verwendet werden, sexuelle Zufriedenheit zu erfassen. Meistens kommen diese zur Anwendung in Studien, die sich nur auf das Thema Sexualität konzentrieren. Für eine breit gefächerte Zufriedenheitsumfrage wie die der LMU sind sie also aufgrund ihres Umfanges und der „Intimität“ des Themas nicht brauchbar. Deswegen muss zwischen dem wissenschaftlichen Interesse, das Thema möglichst exakt und ausgiebig zu erforschen, und dem Ziel, eine möglichst große Ausschöpfungsquote zu erreichen, ein Kompromiss gefunden werden. Dies geschieht in der Form, dass wenige Fragen zu nicht allzu sensiblen Teilaspekten gestellt werden, von denen man einen relativ großen Einfluss auf die sexuelle Zufriedenheit annimmt.
Viele der Faktoren, die mit Sexualität in Verbindung gebracht werden, werden in der Studie der LMU bereits abgefragt. Diese sind unter anderem der Beziehungsstatus und die Zufriedenheit damit, der gesundheitliche Zustand und die persönliche Attraktivität. Die Fragen zur Sexualität beschränken sich auf zwei wichtige Punkte: Geschlechtsverkehr[9]und Pornografie. Im Folgenden wird auf die Vorteile und auf die Nachteile der gewählten Fragen eingegangen.
[...]
[1]Sexualität als physiologisches Bedürfnis (basic need), als instrumentales Bedürfnis (conditional need) und als Ergebnis von Wünschen und Willensäußerungen (desire).
[2]Es werden die maskulinen Formen im Sinne des herkömmlichen Sprachgebrauchs auch da verwendet, wo beide Geschlechter gemeint sind. Ebenso wie „Person“ und „Persönlichkeit“ auch dann als weibliche Nomina verwendet werden, wenn die damit angesprochene allgemeine Vorstellung Männer oder andere Geschlechteroder Gender-Kategorien mit einschließt.
[3]Zunächst werden Straßenstücken innerhalb der Stadt München zufällig ermittelt. In einem zweiten Schritt werden vor Ort die Haushalte zufällig bestimmt, die den Fragebogen bekommen sollen (Random Route-Verfahren) (vgl. Diekmann 2007: 384, 411).
[4]„Befragt wird diejenige Person, die im Haushalt lebt, zur Grundgesamtheit zählt (z.B. 18 Jahre oder älter ist) und zuletzt Geburtstag hatte“ (Diekmann 2007: 218).
[5]Die Problematik des Begriffes „repräsentativ“ wird von Diekmann (2007: 430-432) angesprochen. Der Begriff ist hier im soziologischen Sinne zu verstehen.
[6]Die Länge des Fragebogens wirkt sich negativ auf die Rücklaufquote aus (vgl. Diekmann 2007: 516). Streiner und Norman (2008) schlagen vor, statt die untersuchte Variable direkt in einem einzelnen Item abzufragen, lieber Skalierungen zu verwenden, da diese weniger fehleranfällig sind.
[7]Hooghe (2012: 267) stellt fest, dass bei einer Belgischen Lebenszufriedenheitsumfrage die Antwortbereitschaft bei Befragten im Alter zwischen 25 und 39 am größten (98%) ist und diese mit fortschreitendem Alter abnimmt: Bei Umfrageteilnehmern, die älter als 70 Jahre waren, lag der Anteil der beantworteten Items zum Thema Sexualität bei 74%. Unterschiede wurden auch zwischen den Geschlechtern festgestellt: 9,88% der weiblichen und 5,26% der männlichen Teilnehmer haben nicht die Frage zur Sexualität beantwortet.
[8]In der Befragung zur Lebenszufriedenheit des Instituts für Soziologie der Universität München werden bei der Frage, ob der Befragte in den vergangenen vier Wochen Pornografie angesehen habe, zusätzlich zu der normalen Fragestellung zwei verschiedene Fragen nach der Randomized-Response-Technik angewendet, um zu erfahren, ob die unterschiedliche Frageformen zu unterschiedlichen Rückmeldungsquoten führen und ob sich der Anteil der Personen, die die Frage beantworten, sich je nach Fragestellung signifikant ändert.
[9]Geschlechtsverkehr und sexuelle Aktivitäten sind grundsätzlich nicht gleichzusetzen, da Geschlechtsverkehr immer noch vorwiegend als Vaginalverkehr verstanden wird, während der Begriff „sexuelle Aktivitäten“ unspezifisch ist und deswegen auch Aktivitäten erfasst, die zwar sexueller Art sind, aber nicht Vaginalverkehr beinhalten. Das führt jedoch zu der Frage, welche Aktivitäten im Rahmen einer Umfrage als sexuelle Aktivitäten gelten und welche nicht (z.B. autoerotische Handlungen und sexuelle Handlungen mit Partner).