Konstruktion eines Kunst-Heiligen. Biographische Quellen und ihre Verwendung in W.H. Wackenroders Dürer-Texten


Studienarbeit, 2016

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die untersuchten Texte und ihre Quellen

3. Wackenroders Dürerbild in Einzelaspekten
3.1.Herkunft und Familie
3.2.Nürnberg
3.3.Kunst und Leben
3.4.Deutsche und italienische Kunst

4. Zusammenfassung: „Wo Kunst und Religion sich vereinigen“

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im Baustein „Sakralität – Die Heiligkeit der Texte“ des BA-Studienganges Kulturwissenschaften (Modul L5) wird am Beispiel des Romans „Ahnung und Gegenwart“ von Joseph von Eichendorff auch die kunstreligiöse Ausrichtung der literarischen Romantik und ihr Bestreben, „das Leben zu heiligen“ dargestellt. In diesem Zusammenhang wird auch einer der Begründer der Frühromantik, Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773 – 1798) erwähnt.

Diese Hausarbeit soll an zwei Texten von Wackenroder, darlegen, mit welchen konkreten schriftstellerischen Mitteln biographische Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts zu romantischen kunstreligiösen Texten werden. Es wurden dazu die Arbeiten Wackenroders gewählt, die sich mit Leben und Werk Albrecht Dürers beschäftigen: Das „Ehrengedächtnis unsers ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers“[1]und die „Schilderung, wie die alten deutschen Künstler gelebt haben: wobei zu Exempeln angeführt werden Albrecht Dürer nebst seinem Vater, Albrecht Dürer dem Alten“.[2]

Aus den Kunstschriften Wackenroders wurden die Dürer betreffenden ausgewählt, weil sich in dessen Person mehrere Einzelaspekte bündeln, welche für die deutsche literarische Romantik bedeutend werden sollten: Dies ist vor allem die von Wackenroder die Sehnsucht nach Einheit von Kunst, Lebenshaltung und Glauben, zum anderen die Suche nach einer „echt-vaterländischem“ deutschen Kunst und daraus folgend die Rückwendung in eine Zeit, in der dieses beides verwirklicht schient, nämlich das deutsche Mittelalter, repräsentiert vor allem durch die Stadt Nürnberg und ihrer (Kunst-)Geschichte.

2. Die untersuchten Texte und ihre Quellen

Das „Ehrengedächtnis Dürers“ erschien erstmals im Juli 1796 in Johann Friedrich Reichardts Zeitschrift „Deutschland“.

Die Textsammlung „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ mit dem darin enthaltenen „Ehrengedächtnis“ erschien im Herbst 1796. Das Buch enthält zum überwiegenden Teil Arbeiten Wackenroders, ergänzt um wenige Texte seines Freundes Ludwig Tieck. Der Name des 1798 verstorbenen Wackenroder wurde erst im zweiten Band mit von ihm verfassten Schriften zur Kunst erwähnt, welchen Tieck 1799, um ein Vorwort und weitere eigene Texte ergänzt, unter dem Titel „Phantasien über die Kunst“[3]veröffentlichte. Darin enthalten ist die „Schilderung, wie die alten deutschen Künstler gelebt haben“.

In diesen beiden Texten werden drei Quellen namentlich benannt:

Die älteste ist die von Albrecht Dürer (1471 – 1528) unter Verwendung von Aufzeichnungen seines Vaters verfasste und mit der Datumsangabe „A.o 1524. Nach Weihnachten“ versehene Familienchronik[4]. Sie ist nicht im Original, sondern nur in vier handschriftlichen Fassungen des 17. Jahrhunderts[5]und als Druckfassung bei Joachim von Sandrart[6](s.u.) überliefert, wobei die letztgenannte Fassung die Grundlage der Ausführungen Wackenroders bildet. Die Familienchronik schildert, beginnend mit Dürers Großvater, die ungarische Herkunft der Familie sowie die Namen, Berufswege und Nachkommen der folgenden zwei Generationen, wobei Charakter und beruflicher Werdegang von Dürers Vater sowie Dürers eigener Lebenslauf den Großteil des Textes ausmachen.

Zweitältester Quelltext ist das im dritten Band von Giorgio Vasaris (1511 – 1574) “Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten“ (Erstdruck 1550) enthaltene „Leben des Raffael“[7], welches in der Schilderung von Leben und Werk des Malers Raffaele Sanzio, gen. Raffael (1483 – 1520) auch auf dessen Verhältnis zu Albrecht Dürer eingeht.[8]

Als dritte Quelle diente Wackenroder die unter dem Titel „Teutsche Academie der edlen Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste“ erstmals 1675 erschienene Biographiensammlung des Kunstschriftstellers Joachim von Sandrart (1606 – 1688).[9]Seine darin enthaltene Darstellung von Dürers Leben und Werk ergänzt Sandrart durch den Abdruck von Dokumenten aus Dürers Umfeld. Neben der erwähnten Familienchronik sind dies u. a. Briefe von Dürers Freunden und Zeitgenossen (z.B. von Erasmus von Rotterdam), welche auszugsweise mit Beschränkung auf die Dürer betreffenden Stellen wiedergegeben werden.[10]

3. Wackenroders Dürerbild in Einzelaspekten

3.1. Herkunft und Familie

In Wackenroders „Ehrengedächtnis“ finden sich keine Aussagen zu Dürers Herkunft bis auf die die allgemein gehaltene Äußerung der Freude darüber, „dass das Schicksal dem deutschen Boden an diesem Manne einen echt-vaterländischen Maler gegönnt hat.“[11]

Die „Schilderung, wie die alten deutschen Künstler gelebt haben“ hingegen befasst sich ausführlich mit diesem Aspekt. Als Vorlage benennt Wackenroder Dürers Familienchronik in der Fassung von Sandrarts „Academie“.[12]

Zur Herkunft Dürers hebt Wackenroder hervor, dass bereits dessen Großvater und Vater Goldschmiede waren und „die erbliche Tugend der Kunst“ somit „einmal dem Stamme eines Geschlechts eingeimpft war“.[13]Die ungarische Familientradition, die erst mit der Übersiedlung von Dürers Vater nach Nürnberg 1455 endet[14], wird nur beiläufig erwähnt[15], die in der Chronik erwähnte frühere Erwerbsgrundlage der Familie als Viehhändler[16]gar nicht. Die ausführliche, auf die Notizen von Dürers Vater zurückgehende Aufzählung von dessen Verwandtschaft und Kindern[17]kommt bei Wackenroder nur summarisch vor[18]und Dürers Ehe, auf die Sandrart im Detail eingeht[19], erwähnt er nicht einmal.

Weitaus intensiver beschäftigt sich Wackenroder mit Dürers Charakterschilderung seines Vaters – dieser sei „ein künstlicher reiner Mann“[20]gewesen, der „sich nicht viel weltlicher Freud gebraucht“[21]und im Ganzen „ein erbar Christlich Leben“[22]geführt habe. Diese wenigen Aussagen Dürers werden zum Ausgangspunkt eines längeren Exkurses Wackenroders über christliche Lebensführung und über die Notwendigkeit des Glaubens im Allgemeinen:

„Ein solches stilles, abhängiges Leben führen, da man in keiner Stunde vergißt, daß man nichts anders ist als ein Arbeiter Gottes, dies heißt den sichersten Weg zur Glückseligkeit gehen. Wer aber keinen Gott verehrt, das heißt mit andern Worten, wer sich selber zum Gott und Regierer des Weltalls machen will, der befindet sich in einer unglückseligen Verrückung und genießt nur die traurige, falsche Glückseligkeit eines törichten, wahnsinnigen Bettlers, der sich ein Kaiser in der Krone dünkt.“[23]

Hier werden einzelne Ausschnitte des Dürertextes aus ihrem Zusammenhang – der Auskunft über dessen Herkunft und Familie - genommen und in eine geistliche Bedeutungssphäre versetzt.

Ebenso ist es bei Dürers Aussagen über die weiteren Schicksale der 18 Kinder seiner Eltern. Zum Zeitpunkt der Niederschrift (1524) sind die meisten bereits verstorben, „allein leben wir drey Brüder noch, so lang Gott will, nämlich ich, Albrecht und mein Bruder Andreas, desgleichen mein Bruder Hanß des Namens, meines Vatters Kinder.“[24]

Aus den kurzen Einschub „so lang Gott will“ versetzt Wackenroder auch hier einen größeren Sinnzusammenhang, in diesem Fall den einer kindlich-gottergebenen Lebenshaltung:

„Solange Gott will! Ein schöner Wahlspruch! Ein kindliches Gefühl, daß wir Menschen uns von Gott, in den teuren Banden seiner Liebe hängend, so lange unter den Blumengerüchen dieser grünen Erde hin und her wiegen lassen, als es ihm gut dünkt, daß uns dienlich sei.“[25]

Eine Inhaltswiedergabe der Familienchronik und ihrer Aussagen über Herkunft und Familie Dürers strebt Wackenroder offensichtlich also nicht an. Er sieht sie vielmehr als Materialsammlung, deren einzelne Worte und Wendungen sich ihm zur Darstellung zweier von ihm als vorbildlich empfundenen christlichen Künstlerleben verwenden lassen. Diese dient dann wiederum zur Richtschnur für Wackenroders Kritik an seiner eigenen Zeit:

„So waren die Menschen in vorigen frommen Zeiten beschaffen. Warum muß ich sagen: sie waren? Warum, - wenn ein sterbliches Wesen also fragen darf, - warum hast Du die Welt entarten lassen, allgütiger Himmel?“[26]

Der Darstellung einer als vorbildlich empfundenen Vergangenheit folgt der verzweifelte Ausdruck des Unbehagens an der eigenen Gegenwart.

[...]


[1]In: W.H. Wackenroder/Ludwig Tieck: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Stuttgart: Reclam 1997; Seite 50ff.

[2]In: W.H. Wackenroder/Ludwig Tieck: Phantasien über die Kunst, für Freunde der Kunst.. Stuttgart: Reclam 2000; Seite 7ff.

[3]Wackenroder /Tieck: Herzensergießungen, S. 125.

[4]Albrecht Dürer: Familienchronik. In: Albrecht Dürer: Schriften und Briefe. Hrsg. von Ernst Ullmann, Leipzig: Reclam 1993, S. 13 – 16.

[5]Peter Strieder: Dürer. Gütersloh: Bertelsmann Club GmbH 1983, S. 10 f.

[6]Dürer: Schriften und Briefe, S. 259.

[7]Giorgio Vasari: Das Leben des Raffael. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 2004.

[8]Vasari: Das Leben des Raffael, S. 61.

[9]Joachim von Sandrart: Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste. Hrsg. von A.R. Peltzer, München: G. Hirth´s Verlag 1925.

[10]Ebd., S. 62 – 73.

[11]Wackenroder/ Tieck: Herzensergießungen, S. 57

[12]Wackenroder/ Tieck: Phantasien, S. 11.

[13]Ebd., S. 15.

[14]von Sandrart: Academie, S. 69.

[15]Wackenroder/ Tieck: Phantasien, S. 12.

[16]von Sandrart: Academie, S. 69.

[17]Ebd., S. 69 f.

[18]Wackenroder/ Tieck: Phantasien, S. 14.

[19]von Sandrart: Academie, S. 68.

[20]Ebd., S. 69.

[21]Ebd., S. 70.

[22]Ebd.

[23]Wackenroder/ Tieck: Phantasien, S. 13 f.

[24]von Sandrart: Academie, S. 70.

[25]Wackenroder/ Tieck: Phantasien, S. 14.

[26]Ebd., S. 9.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Konstruktion eines Kunst-Heiligen. Biographische Quellen und ihre Verwendung in W.H. Wackenroders Dürer-Texten
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft)
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
20
Katalognummer
V340815
ISBN (eBook)
9783668302754
ISBN (Buch)
9783668302761
Dateigröße
526 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dürer, Wackenroder, Nazarener, Romantik, Nürnberg, Tieck
Arbeit zitieren
Gerhard Schmidt (Autor:in), 2016, Konstruktion eines Kunst-Heiligen. Biographische Quellen und ihre Verwendung in W.H. Wackenroders Dürer-Texten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/340815

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