Leseprobe
Gliederung
1. Einführung
2. Methodik: Diskursanalyse
2.1 Theoretische Grundlagen
2.2 Diskursanalyse in der Forschungspraxis
2.3 Besonderheiten von visuell orientierten Diskursanalysen
3. Praxis: meine Forschung
3.1 Entwicklung einer Vorgehensweise
3.2 Analyse
3.3 Zusammenfassung der Analyseergebnisse
4. Reflexion
4.1 Hilfreiche Strategien während des Forschungsprozesses
4.2 Schwierigkeiten während des Forschungsprozesses
5. Fazit
5.1 Inhaltlich weiterführende Fragestellungen
5.2 Methodisch weiterführende Fragestellungen
6. Anhang
6.1 Literaturverzeichnis
6.2 Liste der Grafiken inklusive Quellenangaben
1. Einführung
In dieser Arbeit beschreibe ich meine Erfahrungen bei der Durchführung einer Diskursanalyse. Als Material dienen dabei zehn Plakate, die die Bundeswehr im Rahmen einer größeren Kampagne seit dem November 2015 an öffentlichen Orten aushängt, um neue Mitarbeiter_innen[1] zu gewinnen. Die Forschungsfragen bei der Analyse lauteten: Welche Strategie verfolgt die Bundeswehr bei der Anwerbung von Mitarbeiter_innen? Welcher (visueller und sprachlicher) Mittel bedient sie sich dabei? Welche Vorzüge, die potentielle Bewerber_innen überzeugen sollen, hebt sie hervor und welche Aspekte verschweigt sie?Weil es sich bei Plakatwerbung um reflexiv überhöhte Daten handelt, wurden die Forschungsfragen dementsprechend angepasst. Es war wichtig, darauf zu achten, welchen Zweck die Kampagne verfolgt. Es ist der Zweck der Anwerbung neuer Mitglieder für die Bundeswehr. Deswegen ist davon auszugehen, dass die Plakate das Ergebnis strategischen Handelns sind und ein bestimmtes, vorher definiertes Ziel erreichen möchten.
Bevor die Forschungsfragen beantwortet werden, werde ich jedoch zuerst die Methodik der Diskursanalyse(n) vorstellen. Um die Zielsetzung zu verstehen, ist es anfangs notwendig, kurz auf die Theorien von Michel Foucault eingehen, die zur Entwicklung des Forschungsfeldes der Diskursanalyse(n) geführt haben.
Anschließend werden allgemeine Informationen über die praktische Arbeitsweise bei Diskursanalysen gegeben und auf die Besonderheiten von visuellen Diskursanalysen hingewiesen. Es folgt der Praxisteil, der neben der Analyse selbst, auch eine Zusammenfassung der Ergebnisse enthält. Außerdem wird im Praxisteil darauf eingegangen, wie die Vorgehensweise entwickelt wurde.
2. Methodik: Diskursanalyse
2.1 Theoretische Grundlagen
Die Diskursanalyse bezieht sich auf Michel Foucault. Schwab-Trapp beschreibt Foucaults Diskursbegriff als einen, der sich auf ,,regelgeleitete Praktiken" [Schwab-Trapp 2011: 284] bezieht. Eine Aussage wird also dann zu einem Diskurs, wenn sie durch ein dahinter liegendes Prinzip ihrer Formierung geprägt wird [Keller 2007: 46]. Focault interessierte sich für Auseinandersetzungen um die Wahrheit, die von der jeweiligen sozialen Position ihrer diskursiven Akteure geprägt werden. Hier wird deutlich, wie Diskurse von Machtverhältnissen geprägt sind. Wichtig ist auch der Begriff des Wissens. Wissen entsteht aus Diskursen und trägt einen Wahrheitsanspruch in sich. Es kann konkurrierendes Wissen geben. In Deutungskämpfen werden die Wissensansprüche verhandelt. Wesentlich ist für Foucault außerdem die Trias von Subjekt, Macht und Diskurs. Der Begriff von Subjektivierung bezieht sich laut Langer und Wraner [Langer/Wraner 2010: 346] hauptsächlich auf die Positionen der Sprecher_innen und die Macht, die sie besitzen oder nicht besitzen.
Alle diese Fragen nach Macht, Subjekt und Diskurs sollen also in der Diskursanalyse praktisch unter Hinzunahme natürlicher Dokumente analysiert werden. Methodisch hat Foucault seine Vorgehensweise nicht näher beschrieben oder gar Hinweise für ein Vorgehen geliefert. Deswegen haben sich in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und Theorietraditionen verschiedene Ansätze herausgebildet.
Allgemein lässt sich festhalten, dass im Zentrum der Diskursanalyse die Frage steht: Warum besteht genau diese Ordnung und keine andere? [vgl. Sarasin: 2005, S.64]. Diskursanalyse fragt also ,,was wie wozu" diskursiv produziert wurde [Langer/Wraner 2014: 347]. Wer hat welche Interessen? Wer spricht von welcher Position? Es sind die Fragen nach den ,,Relationen von Aussageproduzenten“ [Keller 2011: 99], die die Analyse leiten sollen, um so Erkenntnisse über Macht, Diskurs und Subjektivierung zu gewinnen. Foucault selbst hat sich inhaltlich beispielsweise mit Diskursen von Wahnsinn, Klinik, Selbstdisziplinierung und Sexualität beschäftigt und selbst Analysen durchgeführt.
2.2 Diskursanalyse in der Forschungspraxis
Es gibt nicht die Diskursanalyse, sondern nur verschiedene diskursanalytische Ansätze. Auch Foucault selbst betont die Uneindeutigkeit der Methode. ,,Ich habe keine Methode, die ich unterschiedslos auf verschiedene Bereiche anwendete" [Foucault 2003: 521; zitiert nach Reggli 2014: 46]. Laut Keller haben jedoch alle Ansätze vier Gemeinsamkeiten: Sie beschäftigen sich mit Sprache und anderen Symbolformen, sie gehen von sozial konstruierten Bedeutungen aus, sie verstehen Deutungen als Ergebnis des gesellschaftichen Kontextes und sie teilen die Grundannahme, dass symbolische Ordnung durch Strukturen entstehen [Keller 2011: 9]. Alle diskursanalytischen Strömungen arbeiten mit natürlichen Daten.
Um die Vielfalt der verschiedenen diskursanalytischen Ansätze zu illustrieren, seien hier nur ansatzweise einige Ansätze genannt: Eine diskursanalytische Strömung ist beispielsweise linguistisch geprägt. Im Zentrum steht der Sprachgebrauch. Doch auch in der Geschichtswissenschaft, Anthropologie werden entsprechende Fragestellungen bearbeitet. Laut Keller gibt es einen Trend zu interdisziplinären Ansätzen. Außerdem hat sich die kritische Diskursanalyse herausgebildet, die einen gesellschaftskritischen Anspruch hat und Verbesserungsempfehlungen für den Sprachgebrauch gibt. Marxistische Denktraditionen, Linguistik und Sozialwissenschaften sind in die Entwicklung dieses Ansatzes eingeflossen, der von Norman Fairclough entwickelt wurde und im deutschsprachigen Raum z.B. von Jäger vertreten wird. Im Gegensatz zu Fairclough beziehen sich Jäger et.al. Dabei auf Ansätze des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link [Keller 2011: 32].
Keller, der seine diskursanalytische Methode als wissenssoziologisch bezeichnet, betont stärker den Aspekt der Wissensproduktion, indem er die Diskursanalyse als eine Forschung beschreibt, die es sich zum Ziel gemacht hat ,,Regeln der Produktion und Strukturierung von Wissensordnungen" zu untersuchen. [Keller 2011: 83] Weil Diskurse als Ergebnis einer Ordnung begriffen werden, sei es wichtig, einzelne Einheiten immer nur als Bruchstücke und Fragmente ihrer Ordnung zu betrachten und stets das größere ganze im Blick zu haben [vgl. Keller: 2007; vgl. auch Sarasin: 2005, S. 69, der die Ausdehnung in flächige Räume betont]. Bei meiner Diskursanalyse habe ich mich grob an den Empfehlungen von Keller orientiert, sie jedoch durch eigene Überlegungen erweitert, was schon deswegen notwendig war, weil er sich kaum auf visuelle Daten bezieht.
2.3 Besonderheiten von visuell orientierten Diskursanalysen
Betscher rät dazu, bei einer Diskursanalyse, die sowohl eine visuelle als auch nicht visuelle Ebenen beinhaltet, zuerst auf die visuelle Ebene einzugehen. Dies begründet sie mit der logozentrisch geprägten Wissenschaftskultur, die grundsätzlich dazu neigt, dem geschriebenen Wort eine herausragende Bedeutung zuzuschreiben. Dieser Tendenz müsse durch aktive Bemühungen entgegengewirkt werden [Betscher 2014: 66].
Das Konzept Multimodalität
Bei der Analyse arbeite ich mit dem Konzept von Multimodalität. Ich habe mich dazu entschieden, meine Diskursanalyse nicht als eine rein visuelle Analyse, sondern als ein multimodales Projekt durchzuführen, da ich davon ausgehe, dass bei Plakaten, die sowohl Text als auch Bild beinhalten, speziell das Zusammenwirken dieser beiden Ebenen wichtig ist. Nur auf die visuelle Ebene einzugehen, würde bedeuten, den Text zu ignorieren, der jedoch in seiner spezifischen Deutung auch die möglichen Lesarten der Bilder verändert. Umgekehrt wirkt sich die Bildebene der Plakate darauf aus, wie der Text verstanden werden kann und wirkt. Es wäre also nicht sinnvoll, die Ebenen voneinander zu trennen. Dies würde eine starke Dekontextualisierung des Materials bedeuten. Diese würde dem Grundgedanken, dass in der qualitativen Sozialforschung immer gegenstandsangemessen geforscht werden sollte, zuwiderlaufen. Eine multimodale Diskursanalyse unterscheidet sich von einer rein visuellen Diskursanalyse insofern, als dass sie darauf abzielt, eben nicht nur die visuelle Ebene, sondern verschiedene Zeichensysteme in ihrer Verknüpfung miteinander in den Blick zu nehmen [Meier: 2011, S.501]. Es ist also nicht nur die Bildebene wichtig, wie das bei einem wörtlich genommenen Begriff von visueller Diskursanalyse der Fall wäre, sondern auch alle anderen Ebenen, beispielsweise, aber nicht nur, die des geschriebenen Wortes. Laut Meier kann es sich bei diesen anderen Ebenen unter anderem um Ebenen der ,,medialen, musikalischen, architektonischen, räumlichen Modellierung und Kontextualisierung" handeln. [Meier 2011: 499].
Das Konzept der Multimodalität entstammt ursprünglich der Linguistik. In der entsprechenden Literatur gibt es dann auch weitere spezifische Empfehlungen zur Vorgehensweise , bei der sich auf Linguist_innen wie de Saussure bezogen wird. Diese wurden nicht weiter berücksichtigt, sondern nur das Konzept von Multimodalität übernommen, weil dieser für das vorliegende Projekt einen Mehrwert bietet.
3. Praxis: meine Forschung
3.1 Entwicklung einer Vorgehensweise
Bei der Entwicklung einer Vorgehensweise habe ich mich an den Empfehlungen von Reiner Keller orientiert, das von ihm entwickelte Verfahren als ,,wissenssoziologische Diskursanalyse" bezeichnet [Keller 2007: 58] . Dazu habe ich mich entschieden, weil er einer der wenigen Autoren ist, die im deutschsprachigen Raum konkret auf die praktische Durchführung eingehen. Ohne größere Erfahrungen mit diskursanalytischem Arbeiten wäre es schwierig gewesen, eine eigene Vorgehensweise zu entwickeln. Dadurch, dass ich auch mit visuellen Daten gearbeitet habe, bestand sowieso die Herausforderung, diese zu integrieren. Auch Keller gibt keine 1:1 Anleitung, sondern eher Ratschläge für die Durchführung. Er beschreibt die Schritte bei einer Diskursanalyse wie folgt:
- Alles beginnt mit der Erstellung des Korpus: Es ist große Sorgfalt bei der Auswahl der berücksichtigten Dokumente bzw. Artefakte nötig. Sie muss begründet werden können.
- Ein wichtiger Schritt ist die ,,Erschließung des Kontext eines Aussageereignis“ [Keller 2011: 97].
- Die Feinanalyse beginnt mit sorgfältigem Lesen und Paraphrasieren. (In meinem Fall wurde lesen noch durch anschauen ergänzt.)
- Weitere Vorschläge für die Feinanalyse sind die Arbeit mit Memos/Notizen, die Nutzung von Analyseprogramme für Kodierungen, eine Strategie des theoretical sampling und eine ,,Pendelbewegung“ vom Text zum Kontext und wieder zurück, die mit einer Zusammenfassung abgeschlossen wird.
Für all diese Empfehlungen siehe [Keller 2011: 97ff].
3.2 Analyse
Der Korpus: Werbeplakate der Bundeswehr
In die Analyse eingeflossen sind zehn Plakate, die alle der selben Werbekampagne entstammen. Diese halte ich für relevant, weil sie sehr prominent im öffentlichen Raum platziert wurden. Offensichtlich werden damit zufällige Passant_innen angesprochen, die sich vorher nicht beschäftigt haben. Es handelt sich bei den Plakaten um eine niedrigschwellige Form der Selbstdarstellung, die sich in ihrer materiellen Form an die allgemeine Bevölkerung richtet.
Stellvertretend für die Kampagne wird hier ein Plakat ausführlich diskutiert. Dieses habe ich gewählt, weil es typische Elemente beinhaltet, die sich auch in den anderen Plakaten wiederfinden. Somit ist das Beispiel ein prototypisches Plakat der Werbekampagne.
Zur Erinnerung: die Forschungsfrage
Obwohl sie in der Einleitung schon genannt wurde, möchte ich dem_der Leser_in noch einmal die Forschungsfragen ins Gedächtnis rufen: Welche Strategie verfolgt die Bundeswehr bei der Anwerbung von Mitarbeiter_innen? Welcher (visueller und sprachlicher) Mittel bedient sie sich dabei? Welche Vorzüge, die potentielle Bewerber_innen überzeugen sollen, hebt sie hervor und welche Aspekte verschweigt sie?
institutionell-organisatorischer Kontext: die Werbekampagne
Im November 2015 ging eine breit angelegte Werbekampagne der deutschen Bundeswehr bundesweit in etwa dreißigtausend Städten an den Start. Nach eigenen Angaben wollte die Bundeswehr durch ,,provokante Denkanstöße" [König: 2015] auf sich aufmerksam machen. Neben dem bewussten Spiel mit Vorurteilen heben die Urheber_innen der Kampagne auch den gezielt erzeugten emotionalen Charakter der Plakate hervor.
Entwickelt wurde die Kampagne nicht von der Bundeswehr selbst, sondern von einer Werbeagentur. Diese hat sich auf Personalmarketing spezialisiert und beispielsweise auch ähnliche Kampagnen für große Konzerne wie McDonald's und REWE durchgeführt. Das Budget für die Werbekampagne lagen bei 10,6 Millionen Euro. Für die Werbeagentur bedeutete dieser Großauftrag einen Prestigegewinn. Die hohen Kosten für die Aktion machen deutlich, dass es sich bei der den Auftrag vergebenden Instanz offensichtlich um einen Akteur handelt, der Zugang zu großen finanziellen Ressourcen hat und damit auch mächtig ist. Das Geld wird gezielt in die Anwerbung von Arbeitskräften gesteckt, woraus sich schließen lässt: Es muss eine gewisse Priorität dieses Anliegens bestehen. Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Plakat 02: Büro organisieren
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Beschreibung: Was wird gezeigt?
Die Beschreibung dient dazu, sich dem Material anzunähern und es ohne Vorannahmen zu betrachten.
Im Zentrum das Plakats sind zwei Männer abgebildet. Sie sind im Profil zu sehen und schauen einander an, scheinen gerade miteinander zu sprechen. Der linke Mann hat eine Glatze und einen Bart und trägt eine Bundeswehruniform in klassischem Olivgrün. Auf seinem dem Bildbetracher zugewandten rechten Arm ist eine Deutschlandflagge angenäht. Der rechts stehende Mann trägt eine schwarze Jacke und ein weißes Hemd. Er hält ein Klemmbrett in der linken Hand und gestikuliert mit dem anderen Mann. Er hat kurze Haare. Die beiden Männer befinden sich in einem großen, industriell geprägten Gebäude. Es scheint sich um eine Lagerhalle oder ein anderes Fabrikgebäude zu handeln. Im Hintergrund, genau zwischen den beiden Männern, ist eine Person in einem Gabelstapler zu sehen. Sie fällt vor allem durch die neonorange leuchtende Schutzweste auf. Über den Personen befindet sich ein Kasten mit einem Schriftzug: ,,Du kannst dein Büro organisieren oder eine ganze Armee". Ein kleiner Haken zeigt vom Kasten auf den rechten Mann mit dem Klemmbrett, sodass sich eine Sprechblase ergibt, wie sie sonst in Comics verwendet wird. Links von den Männern befindet sich ein großer Laster. Er ist nicht verschlossen, sodass die Ladefläche sichtbar ist. Innen im Laster befinden sich Plastikkisten und Metallaufbewahrungen. Rechts im Bild befinden sich hauptsächlich Holzobjekte, bei denen es sich vermutlich um Holzkisten handelt.
[...]
[1] Die Form mit _innen wird verwendet, um eine geschlechtergerechte Schreibweise zu gewährleisten. Sie vereint sowohl die männliche als auch die weibliche Form und bietet mit dem Unterstrich eine Möglichkeit, Personen zu repräsentieren, die sich nicht dem binären Geschlechtersystem zuordnen.