Sozialisationsinstanz Internet. Einfluss sozialer Online Netzwerke auf Freundschaft im Jugendalter

Eine empirische Untersuchung


Hausarbeit, 2015

41 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Jugendliche und Freundschaft
2.1 Begriffsbestimmung und Lebenssituation Jugendlicher
2.2 Definition und Instanzen der Sozialisation
2.3 Bedeutung von Freundschaft im Jugendalter

3 Jugendliche und Soziale Online Netzwerke
3.1 Begriffsbestimmung Soziale Online Netzwerke
3.2 Nutzungsverhalten und Bedeutung Sozialer Online Netzwerke für Jugendliche
3.3 Mediatisierung von Freundschaft

4 Forschungsdesign
4.1 Methoden und Untersuchungsplanung
4.2 Grundgesamtheit, Samplestruktur, Probanden
4.3 Forschungshypothesen

5 Darstellung der Ergebnisse
5.1 Ergebnisse der Schüler 7/8 Klasse
5.2 Ergebnisse der Schüler 9/10 Klasse
5.3 Interpretation der Ergebnisse

6 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhangverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

„Das Internet ist tot, lang lebe das Internet!“ Dieses alte, wenn auch angepasste Sprich- wort spiegelt das Ausmaß der Veränderungen wieder, welche mit der Entwicklung des Webs 2.0 im Internet Einzug gehalten haben. Nicht länger sind es einzelne Organisatio- nen oder Personen, die Inhalte generieren und online stellen, damit sie von einer Masse an Nutzern konsumiert werden. Die Nutzer selbst sind zu Produzenten eigener Inhalte geworden.1 Internetanwendungen wie Blogs, Podcasts, Wikis oder Videoportale (Bsp.: YouTube) ermöglichen eine schnelle und unkomplizierte Verbreitung nutzergenerierter Inhalte. Die Interaktivität und der Austausch mit anderen Nutzern ist ein wichtiger Anreiz für die Ersteller.

Diese Arbeit setzt sich thematisch mit einem der weitreichendsten Phänomene dieser neuen Netzwelt auseinander - den Sozialen Online Netzwerken (im Folgenden SON ab- gekürzt).

Längst gehören diese Internetplattformen, allen voran Facebook, zum Alltag der Menschen. Ihre Bedeutung und ihr Einfluss ist - allein wegen der Menge an Nutzern nicht zu unterschätzen. Allein Facebook wird gegenwärtig von 1,39 Mrd. genutzt.2

Nimmt man die Anzahl wissenschaftlicher Publikationen als Gradmesser für die gesellschaftliche Relevanz eines Themas an, so zeigt sich ein über die Jahre deutlich gestiegenes Interesse.3

Besonders anschaulich wird die Bedeutung SON an der Äußerung einer 18-jährigen Nutzerin: „If you´re not on MySpace, you don´t exist. “4 Sie zeigt, wie weit der Einfluss der SON bereits reicht. Eine soziale Existenz ohne Profil in den SON ist für die junge Frau nicht möglich.

Speziell Jugendliche und junge Erwachsene, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind, haben Facebook und ähnliche Webseiten fest in ihren Alltag integriert. SON bilden einen neuen, digitalen Sozialraum mit eigenen Regeln und Strukturen. Dies ist insofern von besonderer Bedeutung für Jugendliche, als dass diese Netzwerke ein von Eltern unbe- setzter Ort sind, in dem der Austausch mit Gleichaltrigen einfach und schnell von statten geht.

Die Jugendphase ist zudem von der Suche nach der eigenen Identität, zunehmender Ablösung vom Elternhaus, der Auseinandersetzung mit Freunden und sozialen Gruppen geprägt. Diese Prozesse werden nunmehr auch von den Möglichkeiten des Webs 2.0 beeinflusst.

Ausgehend von dieser Prämisse entstand die forschungsleitende Frage, welche dieser Arbeit zu Grunde liegt. Ziel der Untersuchung ist es, die Auswirkungen Sozialer Online Netzwerke auf das Sozialverhalten von Jugendlichen zu analysieren. Dabei werden die Aspekte Freundschaft und Peergroup sowie das Selbstbild Jugendlicher genauer be- trachtet. Die Untersuchung soll zum besseren Verständnis Jugendlicher Lebenswelten, sowie daraus resultierenden Aufgaben für die pädagogische Arbeit beitragen. Durchge- führt wurde die Studie mit Schülerinnen und Schülern einer Rostocker Schule in den siebten bis achten Jahrgangsstufen.

Im Folgenden soll näher auf Jugendliche und ihre Lebenssituation, auf alterstypische Entwicklungsprozesse sowie die Bedeutung von Freundschaft in diesem Lebensalter eingegangen werden. Im weiteren Verlauf finden Soziale Online Netzwerke sowie ihr Einfluss auf junge Menschen Beachtung, immer in Hinblick auf die im zweiten Kapitel herausgestellten Besonderheiten. Anschließend wird die eigene empirische Untersuchung umfassend beleuchtet und deren Ergebnisse ausgewertet.

2 Jugendliche und Freundschaft

2.1 Begriffsbestimmung und Lebenssituation Jugendlicher

Jugend - das ist eine soziale Gruppe mit eigenen Herausforderungen, eigenem Lebens- stil und eigenen Ansichten. Im Folgenden soll eine begriffliche Einordnung dieses Le- bensabschnitts vorgenommen und dessen Besonderheiten herausgestellt werden. Als Indikator für den Beginn der Jugendphase dient das Eintreten der Geschlechtsreife. Das Jugendalter umfasst die Zeit vom etwa zwölften Lebensjahr bis zum Eintritt in das Er- wachsenenalter. Eine genaue zeitliche Eingrenzung bezüglich des hbergangs von Ju- gend- zum Erwachsenenalter ist aufgrund der Individualität der Entwicklungsprozesse nicht möglich.5 Es ist insofern durchaus möglich, dass ein 17-Jähriger die physische Konstitution eines Erwachsenen besitzt, seine psychische Reifung allerdings noch nicht abgeschlossen ist. Die Jugendphase grenzt sich vom Kindesalter ab, u.a. durch eine größere Selbstständigkeit des jungen Menschen und seine aktive Einbindung und Teil- nahme am gesellschaftlichen Miteinander. Im Gegensatz zum Erwachsenen erfüllen Ju- gendlichen aber noch nicht alle gesellschaftlichen Rollen, die von einem solchen erwar- tet werden. Zu beachten ist wiederum, dass die hbergänge fließend sind.6

Mit Beginn der Pubertät und Adoleszenz kommen neue, bisher unbekannte Herausfor- derungen auf die Jugendlichen zu. Die körperlichen Veränderungen beeinflussen im ho- hen Maße die soziale und psychische Entwicklung. Die Frage nach der eigenen Identität wird zentrales Element und deren Beantwortung die Aufgabe dieser Lebensphase.7 In diesem Zusammenhang wird von den sogenannten Entwicklungsaufgaben gesprochen. Im Folgenden sollen die vier elementaren Entwicklungsaufgaben Jugendlicher näher be- trachtet werden.8

Die erste Entwicklungsaufgabe betrifft die eigene Geschlechtsidentität der Jugendlichen. Die dafür notwendige Interaktion mit Gleichaltrigen gewinnt während der Adoleszenz zu- nehmend an Bedeutung. Das Elternhaus verliert seine dominante Stellung als wichtigs- ter Bindungsort. Erste intime Freundschaften oder Paarbeziehungen entstehen. Freunde und Freundesgruppen spielen für die soziale Entwicklung eine immer größere Rolle. Der reflektiere Umgang mit Medien, dem eigenen Konsum- und Freizeitverhalten ist die zweite Entwicklungsaufgabe. Der bewusste und bedürfnisorientierte Umgang mit den eigenen wirtschaftlichen Möglichkeiten ist Ziel dieser Entwicklung. Dabei müssen Ju- gendliche aus der riesigen Bandbreite von Freizeit und Konsumangeboten die für sie attraktiven herausfiltern Letztlich übernimmt der Jugendliche mit der kritischen Auseinandersetzung mit Medieninhalten und unternehmerischen Interessen auch gesellschaftliche Verantwortung.

Die Entwicklung zu einer selbstständigen und eigenverantwortlich handelnden Person ist eine weitere Entwicklungsaufgabe. Jugendliche fordern entwicklungsbedingt größere Freiheiten in ihrer Lebensgestaltung ein, müssen gleichzeitig aber im steigenden Maße die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Dazu gehört ebenso die Fähigkeit, zukünftige Ereignisse abzusehen sowie die Folgen eigener Handlungen abzuschätzen. Im Kern geht es um die Ausbildung von intellektuellen und sozialen Kompetenzen, die für die gesellschaftliche Teilhabe vonnöten sind.

Die vierte Entwicklungsaufgabe im Jugendalter umfasst die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und Normen. Ausgangspunkt dafür ist die persönliche ethische und politische Weltanschauung. Jugendliche sind aktiver Teil der Gesellschaft und beeinflussen deren Entwicklung. Sie müssen Stellung beziehen zu gesellschaftlichen Prozessen und agieren, wenn ihre Normen und Werte gefährdet werden.9

Im kommenden Textabschnitt soll die aktuelle Lebenssituation junger Menschen in der Bundesrepublik Deutschland betrachtet und mit der Lebenssituation Erwachsener verglichen werden.

Die aktuelle Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2010 bezeichnet die Jugend als eine pragmatische Generation.10 Was hinter dieser Aussage steckt und wie die Lebenssituation Jugendlicher gegenwärtig aussieht, verdient Beachtung. Um die Gegenwart zu bestimmen, ist der Blick in die Vergangenheit unerlässlich.

Im Verlauf des letzten Jahrhunderts hat sich die soziale Bedeutung von Kindern und Jugendlichen deutlich gewandelt. Bis ins 20. Jahrhundert hinein waren sie unabdingbar für die Existenzsicherung - sowohl als Arbeitskräfte als auch als Altersvorsorge der Eltern. Mit den ersten Sozialgesetzen - vor allem der Kranken- und der Rentenversicherung - verminderte sich das im Zuge der Industrialisierung entstandene Massenelend der Ar- beiter. Ein hberleben wurde - trotz der fehlenden eigenen Arbeitskraft - möglich. Somit verloren die Kinder mehr und mehr die Funktion, zum hberleben der Familie beizutragen. Die Entwicklung zum Sozialstaat änderte die soziale Bedeutung der Kinder und Jugend- lichen grundlegend. Die Entscheidung für ein Kind liegt im individuellen Kinderwunsch der Eltern begründet. Das Kind wird als immaterielle Bereicherung des eigenen Lebens angesehen.11

Im Zuge dieses Bedeutungswandels hat sich auch die gesellschaftliche Rolle der Kinder und Jugendlichen geändert. Sie sind ebenso Teil der Konsum- und Medienwelt wie die Erwachsenen und werden von ihr beeinflusst. Damit geht eine gewachsene Freiheit zur eigenen Lebensgestaltung einher. Ob Freizeit, Modestil oder Berufswahl, Jugendliche haben mannigfaltige Möglichkeiten, ihren Bedürfnissen und Ansichten entsprechend zu agieren. Dies gilt sowohl für Jungen als auch Mädchen. Wenngleich althergebrachte Rollenbilder noch immer den Alltag prägen, so sind die Geschlechter grundsätzlich recht- lich und sozial gleichgestellt.

Dem gegenüber steht eine gesellschaftliche Leistungsmentalität, welche große Ansprü- che an die Jugendlichen stellt. Gute Noten in der Schule, Flexibilität und Leistungsbe- reitschaft auf dem Arbeitsmarkt sind nur einige Anforderungen. Der Wunsch, diesen Leistungserwartungen zu entsprechen, generiert Konkurrenzdenken und Versagens- ängste.12 Insbesondere Jugendliche aus den unteren sozialen Schichten haben eine e- her negative Sicht auf ihre berufliche und gesellschaftliche Zukunft. Der gesamtgesell- schaftliche Grabenbruch zwischen arm und reich betrifft auch die Jugend. Die PISA- Studien zeigten deutlich, dass der Bildungserfolg in Deutschland von der sozialen Her- kunft abhängig ist. So erlangen Kinder aus Akademiker-Haushalten häufiger die Hoch- schulreife als Kinder aus Arbeiterfamilien.13

Die Shell-Studie schreibt der heutigen Jugend einen Pragmatismus zu, mit dem sie sich den neuen gesellschaftlichen Entwicklungen optimistisch stellt. Junge Menschen wollen handeln; sie sind bereit, Leistungen zu erbringen und sich zu behaupten. Jugendliche befinden sich im Spannungsfeld zwischen Leistungsdruck und dem Wunsch, das Leben zu genießen. Im angelsächsischen Raum wird dieser Spagat oft mit der Work-Life-Ba- lance beschrieben. Zwischen Arbeit und Leben die richtige Balance zu finden, das ist Aufgabe der Jugend. Dabei erschweren die Möglichkeiten, immer und überall erreichbar zu sein, nachweisbar das Finden einer gesunden Balance.14

Generell lässt sich feststellen, dass Jugendliche in einer mediatisierten Welt leben. Handy, Internet und Soziale Online Netzwerke sind Bestandteil ihres Alltags. Junge Men- schen vernetzen sich, tauschen sich über die Plattformen aus, konsumieren und gene- rieren Webinhalte. Ebenso wie Erwachsene sind sie Ziel von Beeinflussung durch politi- sche oder wirtschaftliche Institutionen. So müssen Jugendliche den Umgang mit den neuen Medien lernen, sich reflektiert mit deren Inhalten auseinandersetzen, die Ange- bote hinterfragen und sich eine eigene Meinung bilden.

2.2 Definition und Instanzen der Sozialisation

Zum Verständnis des Einflusses neuer Medien auf Kinder und Jugendliche ist es zunächst erforderlich, sich mit dem Begriff der Sozialisation auseinanderzusetzen. Sozialisation beschreibt den Prozess der Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen, in andauernder Wechselwirkung mit seiner Umwelt. Betrachtet wird vornehmlich die Entwicklung zur selbstständigen sozialen Handlungsfähigkeit.

Der Sozialwissenschaftler KLAUS HURRELMANN definiert Sozialisation wie folgt:

„Sozialisation bezeichnet nach dieser Definition den Prozess, in dessen Verlauf sich der mit einer biologischen Ausstattung versehene menschliche Organismus zu einer sozial handlungsfähigen Persönlichkeit bildet, die sich über den Lebenslauf hinweg in Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen weiterentwickelt.“15

Die Persönlichkeit beschreibt das Wesen eines jeden Menschen, welches sich aus den ihm innewohnenden, angeborenen Merkmalen, Eigenschaften und Einstellungen zu- sammensetzt. Im Verlauf seines Lebens ist ein jeder Mensch mit Problemen und Aufga- ben konfrontiert, die ihn vor eine Herausforderung stellen. Zur Bewältigung dieser braucht es eine Anpassung eben jener Merkmale. Diese Veränderung beschreibt die Persönlichkeitsentwicklung. Die grundlegenden Elemente der eigenen Persönlichkeit bleiben jedoch stets erhalten.16

In direkter Nähe zur Sozialisation finden sich die Begriffe Bildung, Erziehung, Reifung und Enkulturation. Bildung bedeutet Teilhabe am gesellschaftlichen Miteinander. Sie be- fähigt Menschen zum eigenbestimmten Handeln und erlaubt ihm, soziale und politische Vorgänge zu hinterfragen. Ausgangspunkt ist die Aneignung von Wissen und Informati- onen über jegliche Aspekte der eigenen Lebenswelt sowie die kognitive Auseinanderset- zung mit diesen. Indem er sich seines eigenen Verstandes bedient, befreit sich der Mensch - im Sinne der Aufklärung - aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unter der Erziehung des Menschen - als Grundbaustein der Pädagogik - ist eine zielorientierte und bewusste Einflussnahme auf die Persönlichkeitsentwicklung zu verstehen. Der Er- ziehungsbegriff wird oftmals an Kindern und Jugendlichen festgemacht, dabei er, wenn auch in anderem Ausmaß, ebenso für Erwachsene. Abgrenzung zu den anderen Begrif- fen findet sich in der Planmäßigkeit der Beeinflussung auf eine konkrete Absicht hin.

Beispielhaft ist hierfür die Schule mit ihren Lehrplänen und Profilen sowie ihren Lern- und Erziehungszielen zu nennen.

Die Reifung ist ein Prozess, an dessen Ende das Gleichgewicht zwischen dem Ausleben der individuellen Persönlichkeit und der Anpassung an soziale Strukturen steht. Ausschlaggebend für die Einschätzung der Reifung ist der aktuelle Entwicklungsstand der Persönlichkeit eines Menschen. Ziel der Reifung ist es, unter Wahrung der eigenen Identität, gesellschaftliche Teilhabe zu erreichen.

Die Kultur einer Region oder eines Landes definiert den Menschen, der in ihr lebt. Spra- che, Gebräuche, Traditionen und auch Weltanschauungen werden durch sie geprägt. Enkulturation beschreibt den Effekt der kulturellen Sozialisation, Gesellschaften haben unterschiedliche Anforderungen an die dort lebenden Menschen. Die ungeschriebenen Regeln zur Teilnahme an der Gesellschaft werden bereits ab der Geburt an die Kinder weitergegeben. Im Laufe des Lebens kommen neue hinzu und alte werden obsolet bzw. weiter differenziert.17

All diese Vorgänge durchlaufen ein Menschenleben parallel, wobei sich Mensch und Umfeld stetig wechselseitig beeinflussen. In ihrem Verlauf wird aus dem Abhängigkeitsverhältnis des schutz- und hilfebedürftigen Säuglings ein gleichberechtigtes Verhältnis des eigen- und gesellschaftsverantwortlicher Erwachsenen.

Die theoretischen Grundlagen des Sozialisationsprozesses werden sowohl in der Psy- chologie als auch in der Soziologie beleuchtet. Große Beachtung und Verbreitung, ins- besondere im pädagogischen Kontext, fanden die lerntheoretischen Erkenntnisse BAND- URAS. Seine Konzepte des modellorientierten Lernens und der Selbstwirksamkeit haben großen Einfluss auf die Betrachtung der verhaltensorientierten Sozialisation. Ebenso ist das entwicklungspsychologische Vier-Phasen-Modell nach PIAGET eine wichtige Grund- lage der Sozialisationstheorie.18

Im folgenden Abschnitt sollen die einzelnen Sozialisationsinstanzen, welche die Entwicklung eines Menschen beeinflussen, näher betrachtet werden.

Die erste und gleichsam wichtigste Sozialisationsinstanz ist die Familie. Aufgrund ihres hohen Stellenwerts in der Entwicklung eines Kindes ist sie Ort der „primären Sozialisa- tion“. Keine andere Instanz prägt das Leben eines Menschen derart wie die Familie. Bereits die Art des Erziehungsstils bestimmt die späteren charakterlichen Merkmale der Kinder. Autoritäre oder permissive Erziehungsstile wirken sich negativ auf die Entwick- lung von Kindern aus und werden dem Anspruch, sozial handlungsfähige Individuen zu schaffen, nicht gerecht. Trotzdem sind diese Formen der Erziehung, wenn auch in un- terschiedlicher Ausprägung, Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Ebenso entscheidend ist die Rollenverteilung innerhalb der Familie. Welche Stellung haben Vater und Mutter in der Beziehung zueinander sowie zu ihrem Kind? Gibt es eine klare Arbeitsverteilung und Rollenschemata oder besteht ein offener Austausch über die Aufgabenbereiche? Kinder, die ihre Mutter als Alleinverantwortliche für den Haushalt erfahren haben, werden dementsprechend häufig ein ähnliches Frauenbild ausprägen.19

Auch die soziale und ökonomische Lebenslage der Familie beeinflusst die Sozialisation von Kindern. Nicht selten sind Kinder aus armen Elternhäusern auch ihrerseits als Er- wachsene von Armut betroffen. Darüber hinaus ist die Bildung ein wesentlicher Faktor für den Zugang zu Berufen mit hohen Einkommen und dem damit einhergehenden ge- sellschaftlichen Prestige. An dieser Stelle schließ sich der Teufelskreis, denn arme Fa- milien können sich teure Bildung für ihre Kinder oftmals nicht leisten. Zudem sind sie aufgrund mangelnder eigener Bildung nicht in der Lage, ihre Kinder entsprechend zu fördern. Es entsteht ein soziales Ungleichgewicht zwischen arm und reich. Verschärfend kommt eine milieuspezifische Sozialisation hinzu. Die sozialen Schichten grenzen sich durch Statussymbole und Habitus gegenüber den anderen ab. Wenngleich diese Gren- zen nicht undurchdringlich sind, so interagieren doch meist die gleichen Schichten mit- einander.20

Zweite Instanz der Sozialisation ist das Erziehungs- und Bildungssystem. Spätestens mit dem Besuch einer Kindertagesstätte betritt das Kind den sekundären Sozialisations- bereich. Es finden Kontakte zu außerfamiliären Personen statt, dazu noch über längere Zeiträume. Das Kind lernt neue Lebenskonzepte und Wissensinhalte kennen, vor allem aber Regeln und Organisationsstrukturen, die es bis dato nicht kannte. Das Kind ist nun Teil einer Gruppe und steht nicht länger allein im Fokus der Aufmerksamkeit. In der In- teraktion mit Gleichaltrigen lernt es, Konflikte zu lösen, zusammenzuarbeiten und seine eigene gesellschaftliche Stellung zu verorten. Die Schule hat den Auftrag, grundlegende Kulturtechniken - wie lesen, schreiben und rechnen - zu vermitteln und darüber hinaus Kinder und Jugendliche zu selbstständigen und eigenverantwortlichen Gesellschaftsmit- gliedern zu erziehen. Die Vermittlung von universellen gesellschaftlichen Normen und Werten, z.B. der Religionsfreiheit, ist eine weitere Aufgabe schulischer Bildung.21

Die dritte Sozialisationsinstanz ist das soziokulturelle Umfeld, dieser Bereich wird in den nachfolgenden Kapiteln noch einmal Beachtung finden und soll deshalb an dieser Stelle nur kurz erläutert werden. Die tertiäre Sozialisation ist im besonderen Maße an die Freunde, das Freizeitangebot und die Medienlandschaft geknüpft. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ihnen kein pädagogisches Handeln zu Grunde liegt, sondern Kinder und Jugendliche selbst für die Gestaltung verantwortlich sind.

2.3 Bedeutung von Freundschaft im Jugendalter

In diesem Inhaltsabschnitt soll zunächst eine allgemeine Einordnung des Freundschaftsbegriffs vorgenommen werden und darauf folgend speziell auf die Bedeutung der Freundschaft bei Jugendlichen eigegangen werden.

Freundschaft zu definieren erweist sich als außerordentlich schwierig, da es sich bei ihr um ein intra- und interindividuelles soziales Konstrukt handelt. Die eigene Wahrnehmung des Freundes, die eigenen Interessen und Bedürfnisse sind ebenso entscheidend für die Entwicklung einer Freundschaft wie die Kommunikation, die gemeinsamen Interes- sen und der Umgang miteinander. Freundschaft wird durch die Beteiligten selbst definiert und unterliegt einem stetigen Wandel. Des Weiteren ist der Freundschaftsbegriff abhän- gig von dem sozialen und kulturellen Hintergrund der Menschen. Es besteht ein Unter- schied im Freundschaftsverständnis zwischen den verschiedenen Kulturen und Ethnien.

22

Trotzdem gibt es einige Definitionsversuche beispielsweise nach NÖTZOLDT-LINDEN, sie definiert Freundschaft als:

"[...]eine auf freiwilliger Gegenseitigkeit basierende dyadische23, persönliche Beziehung zwischen nicht verwandten, gleichgeschlechtlichen Erwachsenen in einer Zeitspanne."24

Wenngleich diese Definition nicht alle Facetten von Freundschaft beinhaltet, so gibt sie doch Hinweise zur Differenzierung von Freundschaft zu anderen sozialen Beziehungen. Kritisch zu betrachten ist der Fokus auf die Gleichgeschlechtlichkeit der Freundschaft und die Beschränkung auf Erwachsene. Gerade im Jugendalter entstehen am leichtes- ten Freundschaften, dieser Umstand findet in dieser Definition keine Beachtung.25 Auf Grundlage der Freundschaftsdefinition nach AUHAGEN sollen die wesentlichen Cha- rakteristika einer Freundschaft dargestellt werden. Danach Freundschaft zeichnet sich aus, durch

- ein fehlendes Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Beteiligten,
- keine romantische Beziehung der Personen zueinander,
- eine beidseitige auf Freiwilligkeit beruhende Basis der Beziehung,
- gegenseitiges Vertrauen und Unterstützung (positives Verhältnis),
- eine symmetrische Beziehungskonstellation,
- zeitliche Ausdehnung (Vergangenheits-und Zukunftsaspekt).26

Bewusst wurde der Aspekt der gemeinsamen Interessen bzw. charakterlicher Ähnlichkeit ausgespart, da dieser Gesichtspunkt kontrovers betrachtet wird. Eine Freundschaft be- ruht nicht zwangsläufig auf ähnlichen Persönlichkeitsmerkmalen, ebenso entscheidend ist das Gefühl, in seiner Identität anerkannt zu werden. Die Steigerung des eigenen Selbstwertgefühls durch den Freund ist wichtiges Kriterium bei der Freundeswahl.27

Im zweiten Teil dieses Kapitels findet speziell die Freundschaft im Jugendalter Beach- tung. Hauptaugenmerk liegt auf der Entwicklung und Bedeutung dieser. Im Verlaufe der Pubertät und bereits davor unterliegt das Freundschaftsverständnis ei- nem stetigen Wandel. Mit wachsenden kognitiven und sozialen Fähigkeiten verändert sich die Auffassung von Freundschaft. Aufschluss über diese Entwicklungsprozesse gibt das Phasenmodell nach SELMAN. Im jungen Lebensalter stehen die eigenen Bedürfnisse im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit anderen. Die Fähigkeit zur empathischen Einsicht wird erst noch entwickelt. Freundschaften sind in dieser Zeit meist von kurzer Dauer und auf ein konkretes Interesse oder Ziel hin ausgelegt. In Konfliktsituationen kommt es aufgrund des fehlenden Einfühlungsvermögens häufig zum Bruch der Bindung. Die Partner können den Standpunkt des anderen noch nicht verstehen oder sind nicht bereit, im Sinne der Freundschaft eigene Bedürfnisse zurückzustellen. Ab der vierten Phase (9 - 15 Jahre) sind Kinder in der Lage, die Sichtweise des Freundes einzunehmen und im wechselseitigen Austausch, ihre Wünsche und ihr Befinden zu äu- ßern. Streitigkeiten führen nicht zwangsläufig zum Bruch der Beziehung. Die fünfte und letzte Phase (ab 12 Jahren) zeichnet sich durch eine stark emotionale Bindung und Intimität aus. Die Freundschaft besteht aus Autonomie und Interdependenz der Personen. Die Akzeptanz der individuellen Freiräume ist im selben Maße von Be- deutung wie gegenseitige emotionale Unterstützung und Vertrauen in den anderen.28

Die zunehmende Ablösung vom Elternhaus ist - wie in Kapitel 2.1 bereits erwähnt - ein wichtiger entwicklungspsychologischer Aspekt der Jugendphase. Der Wunsch nach Be- stätigung und einem Rückzugsort, nach Sicherheit und Vertrauen bleibt jedoch erhalten.

[...]


1 Vgl. Graham, C., Balachander, K. (2008), Web.

2 Vgl. o.V. Facebook Newsroom, Web.

3 Vgl. Weissensteiner, E., Leiner, D. (2011): S. 2f.

4 Boyd, D. (2008): S. 170, zit. nach Autenrieth, U. (2013): S. 22. hbersetzung: „Wenn du nicht auf MySpace bist, existierst du auch nicht.“

5 Vgl. Hurrelmann, K., Quenzel, G. (2004): S. 26f.

6 Ebd.: S 35, 38.

7 Vgl. Hurrelmann, K., Quenzel, G. (2004): S. 27.

8 Vgl. Trost, K., E. (2013): S. 23.

9 Vgl. Trost, K., E. (2013): S. 23f.

10 Vgl. Albert, M., Gensicke, T., Hurrelmann, K. (2010): S. 15

11 Vgl. Hurrelmann, K., Quenzel, G. (2004): S. 12.

12 Vgl. Trost, K., E. (2013): S. 25.

13 Vgl. Albert, M., Gensicke, T., Hurrelmann, K. (2010): S.16f.

14 Vgl. Trost, K., E. (2013): S. 25.

15 Vgl. Hurrelmann, K. (2006): S. 15

16 Ebd.: S. 16

17 Vgl. Hurrelmann, K. (2006): S. 17f.

18 Ebd.: S. 65ff., 69f.

19 Vgl. Hurrelmann, K. (2006): S. 159ff.

20 Ebd.: S. 171-183

21 Ebd.: S. 187f., 197f., 213f.

22 Vgl. Trost, K., E. (2013): S. 19.

23 zwischen Individuen ablaufend; mehrere Individuen betreffend

24 Nötzoldt-Linden, U. (1994): S. 29.

25 Vgl. Trost, K., E. (2013): S. 27.

26 Vgl. Auhagen, A. E. (1991): S. 17 zit. nach Trost, K., E. (2013): S. 21.

27 Vgl. Zimmermann, S. (2013): S. 30ff.

28 Vgl. Autenrieth, U. (2013): S. 27.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Sozialisationsinstanz Internet. Einfluss sozialer Online Netzwerke auf Freundschaft im Jugendalter
Untertitel
Eine empirische Untersuchung
Hochschule
Fachhochschule des Mittelstands  (Campus Rostock)
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
41
Katalognummer
V341671
ISBN (eBook)
9783668314030
ISBN (Buch)
9783668314047
Dateigröße
1524 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Internet, Jugend, Jugendliche, Sozialpädagogik, Freundschaft, Medien, Soziale Online Netzwerke
Arbeit zitieren
Christian Krieg (Autor:in), 2015, Sozialisationsinstanz Internet. Einfluss sozialer Online Netzwerke auf Freundschaft im Jugendalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/341671

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