Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Definition und Differenzierung von Trennung und Scheidung aus der psychologischen Perspektive des Kindes
2. Ehe und Scheidung im Wandel der Zeit
2.1 Veränderte Beweggründe zur Eheschließung- und Scheidung
2.2 Gewandelte Scheidungsmodelle in der soziowissenschaftlichen Forschung
2.3 Zahlen und Fakten in der historischen Entwicklung
3. Phasen der Scheidung
3.1 Die Vorscheidungsphase
3.2 Die Scheidungsphase
3.3 Die Nachscheidungsphase
4. Die Konsequenzen einer Scheidung für das Kind
4.1 Kurzfristige Folgen
4.1.1 Altersspezifische Symptome
4.1.2 Geschlechtsspezifische Symptome
4.2 Langfristige Folgen und Traumata
4.2.1 Traumatische Faktoren
4.2.2 Andauernde Symptome
5. Faktoren für einen positiven Verarbeitungsprozess
Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Einleitung
„Der Riß, der die Eltern trennt, geht meistens auch durch die Herzen der Kinder“1
Wenn von Scheidung gesprochen wird, denkt man üblicherweise zuerst an ein Ehepaar das sich trennt. Auch bei den rechtlichen Regelungen und dem juristischen Verfahren sind die Bedürfnisse und Belange der betroffenen Ehepartner meist zentral. Oft gerät dabei in den Hintergrund, dass eine Trennung die Auflösung einer gesamten Familie bedeutet, in die das gemeinsame Kind unweigerlich mit verstrickt ist. Dadurch bleiben die Emotionen des Kindes oftmals ungeachtet und werden unterdrückt. In Wahrheit stellt die Scheidung jedoch für jedes einzelne Kind einen Schicksalsschlag und Einschnitt in seiner Biographie dar, wenngleich auch jedes Kind mit der Situation unterschiedlich gut oder schlecht zurechtkommt; denn letztendlich ist wie jede Scheidung, auch jedes Scheidungskind einzigartig. Dennoch möchte ich in dieser Arbeit auf das tendenzielle Erleben einer Scheidung aus Kindersicht eingehen und meinen Schwerpunkt auf die möglichen Folgewirkungen richten, die diese belastendende Krisensituation mit sich bringen können. Auf theoretischer Ebene werde ich hierfür zunächst auf das veränderte Konzept und die Bedeutung der Ehe auf soziologischer, als auch auf wissenschaftlicher Ebene eingehen und anschließend einen Überblick über die aktuellen Scheidungszahlen liefern. Darauf folgend werde ich auf das Drei-Phasen-Modell einer Scheidung vorstellen und gleichzeitig der Frage nachgehen, wie betroffene Kinder diese akuten Scheidungsphasen erleben und welche Emotionen damit verknüpft sind. Die Perspektive der Eltern wird hierbei weitestgehend ausgeblendet. Im weiteren Verlauf der Arbeit widme ich mich den unmittelbaren und langfristigen Folgen einer Scheidung für das Kind. Welche tendenziellen kurzfristigen Symptome weisen Kinder, abhängig von Alter und Geschlecht auf? Welche Faktoren tragen zu traumatischen, langfristigen Wirkungen bei und wie sehen diese aus? Aber auch die versöhnliche, positive Seite einer Scheidung wird abschließend im Blick der Arbeit stehen und einen hoffnungsvollen Ausblick liefern. Hierfür werde ich einige Faktoren nennen, die einen positiven Verarbeitungsprozess begünstigen und somit die Frage nachgehen, was dazu beiträgt, dass betroffene Kinder die Scheidung unbelastet und zufrieden überstehen.
1. Definition und Differenzierung von Trennung und Scheidung aus der psychologischen Perspektive des Kindes
Um verstehen zu können, wie ein Kind die Scheidung seiner Eltern durchlebt und welche Verhaltens- und Wirkungsweisen sie in ihm auslöst, muss das Erlebnis der Scheidung genauer definiert und abgegrenzt werden. Es stellt sich die Frage, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von ͣScheidung“ sprechen zu können und durch welche Ereignisse das Scheidungserlebnis des Kindes von ähnlichen Erfahrungen kontrastiert werden kann.
Im juristischen Sinne versteht man unter Scheidung die Auflösung einer Ehe durch ein Gerichtsurteil, legitimiert durch sogenannte Scheidungsgründe.2 Für das Erleben des Kindes ist der Akt der juristischen Scheidung weniger von Bedeutung. Es spielt für das betroffene Kind keine Rolle ob seine Eltern in rechtskräftiger Form geschieden werden oder ob es zu der Trennung einer eheähnlichen Lebensform kommt. Laut Figdor liegt es daher nahe, die offensichtliche elterliche Trennung als ͣpsychologischen Scheidungszeitpunkt“ aus Sicht des Kindes zu definieren. Entscheidend ist hierbei die Form der Trennung: Ist ein Kind ein Scheidungskind, wenn sich sein Vater aus beruflichen Gründen mehrere Monate im Jahr im Ausland aufhält? Oder wenn ein Kind seine Mutter aus beruflichen Gründen nur an den Wochenenden sieht? Die Beispiele zeigen, dass das Kriterium der Trennungsdauer nicht hinreichend ist, um von einem Scheidungserlebnis zu sprechen. Erst das Verständnis des Kindes von dem Akt der Trennung, kennzeichnet laut Figdor deutlich das Erlebnis der Scheidung. Eine Scheidung unterscheidet sich von anderen Trennungsarten unverkennbar dadurch, dass diese unwiderruflich und endgültig erscheint. Diese Erkenntnis setzt meist dann bei einem Kind ein, wenn dem Kind deutlich gemacht wird, dass ein Elternteil auszieht oder ihm mitgeteilt wird, dass seine Eltern sich scheiden lassen. Diese Verlusterfahrung ist ein abgrenzendes Kriterium, das die Scheidung von anderen Trennungsformen kontrastiert. Daher schlägt Figdor vor, ͣdie Information der Kinder von der stattgefundenen oder bevorstehenden Scheidung, also die Mitteilung über die unwiderrufliche Trennung der Eltern, als ͣpsychologischen Scheidungszeitpunkt“ zu definieren“.3
2. Ehe und Scheidung im Wandel der Zeit
Da die Scheidungsproblematik eng mit dem familiären Wertewandel und der Bedeutung von Ehe verknüpft ist, scheint es notwendig, zunächst einen Überblick über den Bedeutungswandel der Ehe zu verschaffen, bevor auf die gesellschaftliche und sozialwissenschaftliche Sicht von Trennung und Scheidung eingegangen wird,
2.1 Veränderte Beweggründe zur Eheschließung- und Scheidung
Noch vor 60 Jahren dominierte eine pragmatische Einstellung gegenüber der Ehe und Partnerwahl. Sie diente der materiellen Versorgung und Sicherheit und war darüber hinaus weniger eine individuelle Angelegenheit, sondern mehr ein Bündnis zwischen den beiden Familien der Ehepartner. Diese Beweggründe zur Heirat wurden im Laufe der letzten Jahrzehnte durch eine romantisierte Liebensbeziehung zweier Individuen ersetzt, wodurch die Ansprüche an den Partner und die Ehe in emotionaler Sicht gestiegen sind. Demzufolge ist die Begrifflichkeit des Werteverfalls im Kontext mit den gestiegenen Scheidungszahlen durch einen Wertewandel der Ehe zu ersetzen. Die gewandelten Motivationen stellen zugleich gestiegene Anforderungen an eine Beziehung und nicht häufig wird nun mangelnde Liebe zum Partner als legitimen Scheidungsgrund anerkannt. Die Abnahme der traditionellen Zwänge führte unweigerlich dazu, dass das Engagement, an einer kriselnden Ehe festzuhalten, sank. Bedeutsam in dieser Entwicklung sind zudem gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen, wie die Erwerbstätigkeit der Frau, wodurch die Hemmschwelle, eine Ehe scheiden zu lassen, deutlich abgeschwächt wurde. Einhergehend mit den gewandelten Heiratsgründen in Richtung einer affektiv-emotionalen Basis, verschoben sich auch die Ursachen für eine Scheidung auf eine zwischenmenschliche Dimension. So werden heute als subjektive Trennungsgründe Distanzierung der Partner, fehlende Empathie, Probleme auf der kommunikativen Ebene und sexuelle Probleme genannt, während früher materielle Probleme, Alkoholsucht und Gewalt in der Ehe als Hauptursachen für das Scheitern der Ehe galten.4
2.2 Gewandelte Scheidungsmodelle in der soziowissenschaftlichen Forschung
Neben dem Wandel auf der Ebene der Mikrosoziologie, zeichnete sich in den letzten Jahrzehnten, auch auf der Ebene der Gesellschaft und der soziowissenschaftlicher Forschung eine Modifikation in der Bewertung und Sicht von Scheidung und Trennung ab. Eine Scheidung bedeutet kein moralisches Tabu mehr, sondern erhält den Stellenwert einer akzeptierten, normativen Lösung und erreicht sogar fast den Status einer ͣ[… gesellschaftliche[n] Normalität […“5 ], so Schneider. Wilk hingegen bezeichnet das Scheidungsereignis sogar als ͚notwendiges Übel͚6. Auch in der Wissenschaft wurde die Ehescheidung lange nicht als normatives Ereignis, sondern als drastischer Lebenseinschnitt und familiäre Endstation gesehen. Daher wurde lange Zeit das ͣDefizit- bzw. Desorganisationsmodell“ herangezogen, welches Scheidung als ͣ[… normwidrige uflösung der Familie und Defekt in der Biographie […“7 bewertet.8 Ab 1980 wandelte sich jedoch die wissenschaftliche Sichtweise von Grund auf: Inzwischen betrachtet die Forschung eine Scheidung nicht mehr als destruktives, singuläres Ereignis, sondern als einer von mehreren Prozessen, die ein Familie in ihrer Entwicklung durchleben kann. Gleichzeitig wird das Scheidungsereignis nicht mehr nur negativ eingestuft, sondern kann auch Anlass für nutzbringende Veränderungen im Leben der Betroffenen sein. Daher wurde das ursprüngliche Modell von einem ͣReorganisations- bzw. Transitionsmodell“ abgelöst, dass den ͣ[… prozesshaften Verlauf der Familienentwicklung […]“ 9 betont.10
2.3 Zahlen und Fakten
Bezogen auf die historische Entwicklung der Scheidungsrate, lässt sich über längere Sicht unweigerlich ein kontinuierlicher Anstieg an Ehescheidungen verzeichnen.
[...]
1 Zitiert nach: Friedrich Spielhagen (1829 - 1911), deutscher Gymnasiallehrer, Redakteur und Schriftsteller der Gründerzeit.
2 Vgl. Bundesministerium des Justiz und Verbraucherschutz (Hrsg.): Bürgerliches Gesetzbuch. Bonn 2013, S.303, § 1564, 1.Abs.
3 Figdor, H.: Kinder aus geschiedenen Ehen: Zwischen Trauma und Hoffnung. Mainz 1994, S.27ff.
4 Vgl. De Angelis, A.: Ursachen für Scheidung/Trennung, S.46ff. In: Werneck, H.; Werneck-Rohrer, S.:
Psychologie der Trennung und Scheidung. Theoretische Modelle, empirische Befunde und Implikationen für die Praxis. Wien 2003, S.45-56.
5 Wilk, L.; Zartler, U.: Konzeptionelle und empirische Annäherungen an den Scheidungsprozess, S.21. In: Zartler, U.; Wilk, L.; Kränzl-Nagl, R. (Hg.): Wenn Eltern sich trennen, Wie Kinder, Frauen und Männer Scheidung erleben. Frankfurt am Main 2004, S.19-55.
6 Ebd.
7 Ebd.
8 Vgl. Ebd.
9 Fthenakis, W. E.; Walbiner, W.: Die gesellschaftliche Bedeutung von Scheidung, S.2. In: Fthenakis et al.: Die Familie nach der Familie. Wissen und Hilfen bei Elterntrennung und neuen Beziehungen. München 2008, S.1- 12.
10 Vgl. ebd., S.1ff.