Die Kritik Ronald Dworkins am präferenzutilitaristischen Gleichheitsideal


Essay, 2016

12 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Gliederung

I. Gerechtigkeit und Gleichheit

II. Methodische Zweifel am Konzept der Erfolgsgleichheit
1. Das Problem der empirischen Messbarkeit von Wohlergehen
2. Beschränkung auf die Bereitstellung von Ressourcen
3. Verwechslung von Mitteln und Zwecken

III. Systematische Zweifel am Konzept der Erfolgsgleichheit
1. Fehlen normativer Gerechtigkeitsvorstellungen
2. Ungerechtfertigte Kompensationsansprüche

IV. Fazit

V. Schlussbetrachtungen

Bibliographie

I. Gerechtigkeit und Gleichheit

Seit der Antike wird die Gerechtigkeit kulturübergreifend als ein gesellschaftlicher Grundwert angesehen und stellt im common sense ein elementares, nicht weiter ableitbares Prinzip zur Herstellung einer funktionierenden sozialen Ordnung dar. Über kulturelle und Epochengrenzen hinweg wurde und wird der Gerechtigkeitsbegriff auf verschiedenste Weise interpretiert. Nach David Hume gelten jedoch grundlegend zwei Faktoren, welche die Bedingungen festsetzen, unter denen das Ideal der Gerechtigkeit in der Praxis umgesetzt werden muss. Zum Einen ist die Gesamtmenge an Gütern, auf die eine Gesellschaft zurückgreifen kann, begrenzt und zum Anderen bestehen um dieselben Güter konkurrierende Interessen der einzelnen Bürger.1 Moderate Knappheit einerseits und konfligierende Besitzansprüche andererseits bilden somit den Hintergrund, vor dem jedes Gerechtigkeitskonzept seine Tragfähigkeit zu beweisen hat.

In unserem modernen demokratischen Verständnis ist die Idee der Gerechtigkeit eng an das Ideal der Gleichheit gekoppelt. Nach Ronald Dworkin existieren zwei miteinander konkurrierende Theoriekomplexe, die zu bestimmen versuchen, auf welche Weise die knappen Güter innerhalb einer Gesellschaft zu verteilen sind, um einen Zustand der Gleichheit herzustellen. Der Ansatz der Ressourcengleichheit, den Dworkin selbst in einer modifizierten Form vertritt, fordert, dass sämtliche Ressourcen, über die eine Gesellschaft verfügt, allen Bürgern zu gleichen Teilen übereignet werden. Dieser Ansatz sieht also in einer gleichmäßigen Güterverteilung die Grundlage für gerechte gesellschaftliche Verhältnisse. Der Konzeption der Ressourcengleichheit kann jedoch vorgeworfen werden, durch die ausschließliche Orientierung an den materiellen Mitteln das angestrebte Ideal der Gleichheit zu verfehlen. So räumt Dworkin selbst ein, dass die zu verteilenden Güter keinen intrinsischen Wert besitzen, sondern lediglich dafür zu instrumentalisieren sind, das Wohlergehen der Menschen zu befördern.2 Man könnte daraus naheliegenderweise die Forderung ableiten, die Mitglieder einer Gesellschaft in ihrem Wohlergehen und nicht in Hinblick auf ihre materiellen Besitztümer gleichzustellen. Einen Versuch, die Ressourcengleichheit gegen dieses Modell einer Wohlergehensgleichheit zu behaupten, unternimmt Dworkin in seinem Aufsatz Equality of welfare.

Dort unterschiedet er zwischen zwei Modellen von auf Wohlergehen bezogenen Gleichheitsauffassungen, von denen das eine die Menschen in ihrem (wie auch immer gearteten) Vergnügen gleichstellen will, während das andere eine gleiche Interessenbefriedigung aller Individuen anstrebt. Die erstgenannte Theorie entspricht der Position des klassischen Utilitarismus, der das Maß an Wohlergehen anhand einer Bilanz aus unmittelbar empfundener Lust und erlittenem Leid bestimmt. Letztere Version der Wohlergehensgleichheit, welche auf die Erfüllung von Interessen ausgeht, gibt den Standpunkt des Präferenzutilitarismus wieder.3 Der Präferenzutilitarismus stellt die vielleicht wichtigste Form der Modifikation und Weiterentwicklung des klassischen Utilitarismus im 20. Jahrhundert dar. So nimmt auch Dworkins Kritik an der präferenzutilitaristischen Auffassung den größten Teil seiner Auseinandersetzung mit dem konsequentialistischen Konzept einer Wohlergehensgleichheit ein.

Die einzelnen Aspekte der Kritik Dworkins am Präferenzutilitarismus lassen sich m.E. unter zwei Oberpunkte bringen. Zunächst meldet Dworkin methodische Zweifel an, die sich auf die Möglichkeiten und Grenzen der präferenzutilitaristischen Gleichheitstheorie im Falle ihrer Umsetzung in die Praxis beziehen. Dworkins systematische Zweifel dagegen entzünden sich an der Skepsis, die Wohlergehensgleichheit stelle kein in sich schlüssiges Modell für die Herstellung einer gerechten Gesellschaftsordnung dar.

II. Methodische Zweifel am Konzept der Erfolgsgleichheit

1. Das Problem der empirischen Messbarkeit von Wohlergehen

Das präferenzutilitaristische Gleichheitsideal fordert bei Unterschieden im Erfolg zwischen den einzelnen Mitgliedern einer Gesellschaft, Ressourcen so lange umzuverteilen, bis allen Menschen die Mittel an die Hand gegeben sind, die sie benötigen, um in der Erfüllung ihrer Interessen ebenso erfolgreich wie ihre Mitbürger zu sein.

Es stellt sich jedoch Frage, wie Wohlergehen, hier verstanden als persönlicher Erfolg, in der Praxis so exakt gemessen werden kann, dass diejenigen Individuen erkannt werden, die sich, im Verhältnis zum Referenzwert des durchschnittlichen Standards an Wohlergehen in einer Gesellschaft, auf einem unterdurchschnittlichen Wohlergehensniveau befinden. Das Ziel, alle Gesellschaftsmitglieder in der Befriedigung ihrer Interessen gleichzustellen, setzt für die Regierung eines nach den Grundsätzen der Wohlergehensgleichheit verfahrenden Staates die utopische Forderung voraus, stets über das Maß an persönlich empfundenem Erfolg jedes Bürgers informiert zu sein. Die genaue Bestimmung der auszugleichenden Differenz zwischen dem Wohlergehensniveau des benachteiligten Individuums und dem gesellschaftlichen Durchschnittswert sowie die Ermittlung der Menge an Ressourcen, die für einen Ausgleich nötig sind, stellt ein weiteres empirisches Problem dar, mit dem sich alle Konzeptionen von Wohlergehensgleichheit konfrontiert sehen. Dworkin erwähnt zwar das Problem der empirischen Messbarkeit nur am Rande und geht in seinen Ausführungen zur Erfolgsgleichheit davon aus, dass über das Trial-and-Error-Verfahren wiederholt verteilt und umverteilt werden könnte, bis alle Individuen bei einer durchgeführten Umfrage angeben würden, ebenso erfolgreich wie ihre Mitbürger zu sein.4 Es erscheint jedoch fragwürdig, obdiese Vorgehensweise ausreichend dynamisch auf die sich ständig wandelnden Interessen derBürger reagieren kann.

Indem Dworkin die Möglichkeit einer praktischen Realisierung grundsätzlich in Frage stellt, hebt erhervor, dass es sich bei sämtlichen Modellen von Wohlergehensgleichheit lediglich um hypothetische Konstrukte handelt, die nicht oder nur in rudimentären Zügen umsetzbar sind. Dies ist ein schwerwiegender Kritikpunkt, da sich für Dworkin die Qualität einer Gleichheitskonzeption wesentlich an ihrer Eignung für die Praxis bemisst.

[...]


1 vgl. David Hume: Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral. Übers. und hrsg. von Gerhard Streminger.Stuttgart 1984, S. 106f.

2 vgl. Ronald Dworkin: Was ist Gleichheit?. Übers. von Christoph Schmidt-Petri. Berlin 2011, S. 11f.

3 vgl. Peter Singer: Praktische Ethik. Übers. von Jean-Claude Wolf. Stuttgart 1984, S. 32f.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Die Kritik Ronald Dworkins am präferenzutilitaristischen Gleichheitsideal
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft)
Veranstaltung
Ronald Dworkin, Was ist Gleichheit?/Sovereign Virtue
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
12
Katalognummer
V342454
ISBN (eBook)
9783668321472
ISBN (Buch)
9783668321489
Dateigröße
462 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ronald Dworkin, Gleichheitsideal, Kritik, Präferenzutilitarismus
Arbeit zitieren
Korbinian Lindel (Autor:in), 2016, Die Kritik Ronald Dworkins am präferenzutilitaristischen Gleichheitsideal, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/342454

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