Narzissmus auf Social Network Sites

Theoretische Überlegungen und empirische Befunde zum Zusammenhang von Narzissmus und den Motiven für die Nutzung von Social Network Sites


Forschungsarbeit, 2016

84 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die narzisstische Persönlichkeit
2.1 Entwicklungsgeschichtliche Genese und klinische Definition des Narzissmus .
2.2 Sozial- und persönlichkeitspsychologische Narzissmusforschung
2.2.1 Das narzisstische Persönlichkeitsinventar (NPI)
2.2.2 Deskriptive Merkmale und Bedürfnisse der narzisstischen Persönlichkeit

3 Social Network Sites
3.1 Definition und Charakteristika von Social Network Sites
3.2 Populäre Netzwerke und die Entwicklung ihrer Nutzerzahlen
3.3 Social Network Sites als Forschungsgegenstand
3.3.1 Motivationale Nutzungsfaktoren von Social Network Sites
3.3.2 Narzissmus im Kontext von Social Network Sites

4 Synthese: Ableitung der Forschungshypothesen

5 Literaturverzeichnis

Anhang

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Zusammenfassung der Nutzungsmotive von SNS

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Zusammenhang von Narzissmus und den Nutzungsmotiven von SNS

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Online-Anwendungen wie Instagram und Facebook haben bereits den Lebensalltag vieler junger, aber auch zunehmend älterer Generationen durchdrungen. Dieses Bild bestätigen auch repräsentative Nutzungsstudien, wie z.B. die in Deutschland regelmäßig durchgeführte ARD/ZDF-Onlinestudie. Dabei ermöglichen solche Plattformen ihren Nutzern längst nicht mehr nur die Pflege von zwischen- menschlichen Beziehungen, sondern sie bieten ihren Nutzern vor allem eine Bühne, um sich selbst zu präsentieren.1

Mittlerweile ist es kein selten zu beobachtendes Phänomen mehr, dass Personen täglich mehrere Bilder oder Status-Updates posten, auf denen sie z.B. ihr wunderschön zubereitetes und diätetisches Mittagessen präsentieren, oder in denen sie über den aufregenden Wochenendtrip in London berichten. Dabei wird die Inszenierung des eigenen Ichs in sozialen Netzwerken mehr und mehr perfektioniert. Bereits vor einigen Jahrzehnten sprach der amerikanische Soziologe Lasch (1982) vom ÄZeitalter des Narzissmus“. Mittlerweile macht es den Anschein als seien narzisstische Phänomene in der Gegenwart durch die digitale Revolution stark verbreitet. Auch die Medien attestieren insbesondere jüngeren Generationen eine ausgeprägte Selbstverliebtheit, Ich-Zentriertheit und ein Mangel an Empathie, die als wesentliche Charakteristika eines Narzissten beschrieben werden. Journalistische Beiträge mit Überschriften wie z.B. ÄSelbstverliebtheit: Ist Narzissmus heute salonfähiger?“ (Spiegel Online 2014), oder ÄSelfies: Die Ego- Gesellschaft“ (WirtschaftsWoche 2015) verhalfen dem Narzissmus damit zu einer Renaissance, wobei eine differenzierte Beschreibung des Narzissmus oft ausbleibt. Das ichbezogene und selbstdarstellerische Verhalten von vielen Nutzern insbesondere jüngerer Generationen stieß innerhalb der letzten Jahre vor allem in der Wissenschaft die Frage an, ob und inwiefern ein Zusammenhang zwischen der Persönlichkeitseigenschaft Narzissmus und der Nutzung von Social Network Sites (kurz: SNS) besteht. Dabei wurden zwei unterschiedliche Kausalzusammenhänge untersucht: Zum einen wurde aus soziologischer Perspektive untersucht, ob die Nutzung von Online-Anwendungen wie Facebook zu einer gesamtgesellschaftlichen Zunahme narzisstischer Persönlichkeitsausprägung führt. In einer populären längsschnittlichen Metaanalyse des Forscherteams um Jean Twenge (2008) konnte nachgewiesen werden, dass die Narzissmuswerte von amerikanischen Studenten zwischen den Jahren 1979 und 2006 tatsachlich deutlich angestiegen sind. Auf der Basis dieser Befunde schlussfolgerte auch die Forscherin, dass sich westliche Gesellschaften in einer „narzisstischen Epidemie" befanden und durch die zunehmende Popularitat von SNS eine ..Generation Ich" heranwachse.

Neben der These SNS fuhre zu einer immer narzisstischer werdenden Gesellschaft, die ohnehin schwierig ist fur ganze Gesellschaften bzw. Kulturen empirisch zu bestatigen, untersuchten einige Studien aus personlichkeits- und sozial- psychologischer Sichtweise, inwiefern die Personlichkeitseigenschaft Narzissmus Unterschiede im Nutzungsverhalten von SNS Nutzern erklaren kann. Ausgangspunkt fur diese Untersuchungen stellt die Annahme dar, dass narzisstische Personen die fur sie charakteristischen Bedurfnisse besonders gut im virtuellen Situationskontext befriedigen konnen. Die Studien konnten bereits einige korrelative Zusammenhange ermitteln z.B., dass Narzissten eine hohere Anzahl an Freunden auf SNS aufweisen. In Bezug auf andere untersuchte Funktionen von SNS, wie z.B. die Haufigkeit mit der Bilder oder Videos hochgeladen werden, zeichnen die Studien jedoch ein heterogenes Ergebnisbild.

Da wie sich zeigte in den meisten Studien eine differenzierte Analyse der Bedurfnisse und der damit zusammenhangenden Motive von Narzissten fur die Nutzung von SNS ausbleibt, ist es das Ziel dieser theoretischen Arbeit Hypothesen zum Zusammenhang zwischen der Narzissmusauspragung und den Nutzungsmotiven von SNS aufzustellen, die dann in einer darauffolgenden empirischen Studie uberpruft werden sollen. Die zentrale Fragestellung, zu der auf der Basis theoretischer Uberlegungen und der Analyse bereits durchgefuhrter empirischer Studien, Hypothesen abgeleitet werden sollen, lautet demnach: Inwiefern unterscheiden sich narzisstische SNS Nutzer im Vergleich zu weniger narzisstischen SNS Nutzern in Bezug auf die von ihnen genannten Grunde fur die Nutzung von SNS?

Vor dem Hintergrund dieses formulierten Ziels der Arbeit ergibt sich die Notwendigkeit der Betrachtung zweier Themenkomplexe: Der erste zu behandelnde Themenkomplex bezieht sich auf das Narzissmuskonzept, welches seinen wissenschaftlichen Ursprung in der psychoanalytischen Forschungstradition hat und nunmehr seit einigen Jahren intensiv aus sozial- und personlichkeits- psychologischen Forschungsdisziplinen beschrieben und untersucht worden ist. Da die Bedeutung des Narzissmuskonzeptes in sozial- und personlichkeits- psychologischen Forschungsdisziplinen zu einem GroBteil auf psychoanalytischen Theorien und der Definition der in klinischen Populationen zu beobachtenden narzisstischen Personlichkeitsstorung basiert, soll zu Anfang auf jene Beschreibungen des Narzissmuskonzeptes aus psychoanalytischer und klinischer Sichtweise eingegangen werden. Dabei soll unter anderem auch betrachtet werden, welche Grunde von Narzissmusforschern fur die Entwicklung einer narzisstischen Personlichkeitsstdrung genannt werden. Mit der Skizzierung der entwicklungs- geschichtlichen Genese des Narzissmuskonzeptes wird daruber hinaus angestrebt ein differenziertes Verstandnis von dem komplexen Konzept des Narzissmus zu erhalten. Im Anschluss soll die Beschreibung des Narzissmus aus sozial- und personlichkeitspsychologischen Forschungsdisziplinen erfolgen, wobei zu Anfang die Unterschiede zwischen dem klinischen Verstandnis des Narzissmus und dem Verstandnis des Narzissmus in der Sozial- und Personlichkeitspsychologie herausgearbeitet werden sollen. Da die sozial- und personlichkeitspsychologische Narzissmusforschung vor allem dem „Narzisstischen Personlichkeitsinventar" (kurz: NPI), das international verbreitetste und am besten validierte Instrument zur Messung der individuellen Narzissmusauspragung, ihre Blutezeit zu verdanken hat, soll dieses Messinstrument im Anschluss ausfuhrlich beschrieben werden. AbschlieBend sollen sozial- und personlichkeitspsychologische Narzissmusmodelle aufgegriffen werden, in der die Personlichkeitsstruktur und die damit zusammenhangenden Bedurfnisse des Narzissten differenziert beschrieben werden. Auf der Basis der Analyse dieser Modelle und den Studien, die in diesem Zusammenhang durchgefuhrt wurden, werden daraufhin Bedurfnisse abgeleitet, die als charakteristisch fur die narzisstische Personlichkeit gelten konnen.

Der zweite Themenkomplex bezieht sich auf die Beschreibung und Analyse von Social Network Sites. Zu Anfang sollen dabei die zentralen Charakteristika von Social Network Sites dargestellt werden, um dadurch verdeutlichen zu konnen welche Funktionen Social Network Sites ihren Nutzern bieten. Nachdem ausfuhrlich beschrieben wurde welche Interaktions- sowie Prasentationsmoglichkeiten SNS ihren Nutzern ermoglichen, sollen im Anschluss die derzeit popularsten Netzwerke und die Entwicklung ihrer Nutzerzahlen prasentiert werden. Dadurch soll auBerdem verdeutlicht werden, welche hohe Alltagsrelevanz Online-Anwendungen wie Facebook und Instagram zukommt. In dem darauffolgenden Kapitel soll dann auf zwei zentrale Forschungsbereiche im Zusammenhang mit SNS eingegangen werden. Das erste Forschungsgebiet bezieht sich dabei auf kommunikations- wissenschaftliche Studien, die untersuchten aus welchen Grunden Personen SNS nutzen. Dabei wurde fur die vorliegende Arbeit eine Analyse der Forschungsliteratur durchgefuhrt, um aus den ermittelten Ergebnissen der Studien einen Katalog mit empirisch relevanten Nutzungsmotiven von SNS ableiten zu konnen. Der zweite Forschungsbereich bezieht sich auf medienpsychologische Studien, die bereits Zusammenhange zwischen der Personlichkeitseigenschaft Narzissmus und einzelnen Nutzungsaspekten von SNS ermitteln konnten. In diesem Kontext werden auch die wenigen Studien aufgegriffen, die bereits den Zusammenhang zwischen der Narzissmusneigung und den Nutzungsmotiven von SNS untersuchten.

In dem letzten Kapitel der vorliegenden Arbeit werden die Erkenntnisse aus den beiden Bereichen dann zusammengefuhrt und vor dem Hintergrund der herausgearbeiteten Bedurfnisse des Narzissten sowie den ermittelten Motiven fur die Nutzung von SNS Hypothesen zum Zusammenhang zwischen der Personlichkeitseigenschaft Narzissmus und den Nutzungsmotiven von SNS abgeleitet.

2 Die narzisstische Persönlichkeit

Das heutige, alltagssprachliche Begriffsverstandnis des Narzissmus wird meist durch Uberheblichkeit, ein erhohtes Geltungsbedurfnis, eine ausgepragte Selbstliebe und ein UbermaB an Selbstbezogenheit charakterisiert (vgl. Altmeyer 2000: S. 142; Hartmann 2009: S. 69). Im Alltagsverstandnis wird also derjenige als narzisstisch beschrieben, der sich den GroBteil seiner Zeit mit sich selbst beschaftigt und damit einhergehend seine Mitmenschen vernachlassigt bzw. diese fur eigennutzige Zwecke instrumentalisiert. Schon an dieser deskriptiven Beschreibung der narzisstischen Personlichkeit lasst sich deutlich erkennen, dass dem Begriff eine stark negative Konnotation immanent ist. Vor allem in den letzten Jahren ist vom Begriff des Narzissmus ein inflationarer und damit unpraziser Gebrauch gemacht worden, da dieser vor allem von den Medien durch die Beschreibung von offentlichen Personlichkeiten als Narzissten, wie z.B. Donald Trump, popularisiert wurde. Der Begriff Narzissmus dient alltagssprachlich somit inzwischen zur Bezeichnung fur jegliches selbstdarstellerisches, arrogantes oder egoistisches Verhalten.

Ahnlich dem alltagssprachlichen Begriffsverstandnis, beschreiben auch die am haufigsten zitierten Definitionen den Narzissmus. So wird der Narzissmus in der klassischen Definition von Moore und Fine (1990) charakterisiert als die „Selbstliebe“ bzw. "die Konzentration des seelischen Interesses auf das eigene Selbst" (zit. nach Volkan/Ast 2002: S. 9). Die Definition im Duden weist Parallelen zu der Definition von Moore und Fine auf. Dort wird der Narzissmus definiert als „ubersteigerte Selbstliebe" und „Ichbezogenheit“. Als Synonyme fur Narzissmus gelten laut dem Duden die Begriffe „Egoismus, Eigenliebe und Selbstsucht". Weiterhin wird der Narzisst charakterisiert als eine Person, welche „[erotisch] nur auf sich selbst bezogen ist“ (Duden 2015). Eine weitere viel zitierte Definition, die ebenfalls von zentralen Narzissmusforschern adaptiert wurde, stammt von dem Ich- Psychologen Hartmann (1950). Dieser definiert den Narzissmus als „(auch gesunde) libidinose Besetzung des Selbst" (Hartmann 1997: S. 11f.).2 Diese uberwiegend deskriptiven Definitionsansatze weisen schon implizit darauf hin, dass es sich beim Narzissmus um ein Spektrum handelt, welches vom normalen, gesunden Narzissmus bis zu schweren narzisstischen Personlichkeitsstorungen reichen kann (vgl. Dammann 2012: S. 15).

Da man jedoch bei dem Versuch das Phanomen Narzissmus uber die am haufigsten gebrauchten Definitionen zu bestimmen, nur an der Oberflache eines vieldimensionalen und damit auBerst komplexen Konzeptes streift, soil nachfolgend die historische Genese des Narzissmuskonzeptes skizziert werden mit dem Ziel ein tiefergreifendes Verstandnis fur die Komplexitat und Widerspruchlichkeit des Narzissmuskonzeptes entwickeln zu konnen. Dabei soll jedoch nicht bei der Beschreibung des Narzissmus in der griechischen Mythologie angesetzt werden, sondern bei den ersten theoretischen Uberlegungen zum Narzissmus aus psychoanalytischen Forschungsdisziplinen, da die Geschichte aus der griechischen Mythologie zwar den Anlass fur die Untersuchung des Narzissmuskonzeptes darstellte, aber noch keine theoretischen Implikationen beinhaltet. Die Ausfuhrungen erheben dabei keinen Anspruch auf Vollstandigkeit, was in Anbetracht der Anzahl und der Widerspruchlichkeit der Ausfuhrungen auch als nicht zielfuhrend erachtet wird. So ist es nicht das Ziel dieses Kapitels auf die unterschiedlichen metapsychologischen Verortungen des Narzissmuskonzeptes einzugehen. Auch soll der Verstandlichkeit halber darauf verzichtet werden auf psychoanalytische Begrifflichkeiten naher einzugehen. Einhergehend mit der Skizzierung der Entstehung des Narzissmuskonzeptes wird weiterhin auf die in klinischen Populationen zu beobachtende narzisstische Personlichkeitsstorung (kurz: NPS) und die Entstehungsgrunde dieses klinisch-pathologischen Erscheinungsbildes eingegangen. Fur die vorliegende Arbeit wurde es, unter anderem auch aus personlichem Interesse des Verfassers, als sinnvoll erachtet auf die deskriptive sowie explanatorische Beschreibung der NPS einzugehen, um in dem darauffolgenden Kapitel die zentralen Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Vergleich zu dem Verstandnis des Narzissmus in der Sozial- und Personlichkeitspsychologie, in der der Narzissmus als normalverteile Personlichkeitsdimension konzipiert wird, herausarbeiten zu konnen. AuBerdem wird damit angestrebt ein Verstandnis fur die Entstehungsgrunde des Narzissmus entwickeln zu konnen, da diese in sozial- und personlichkeitspsychologischen Arbeiten zum Narzissmus nur beilaufig und mit Verweis auf psychoanalytische Narzissmustheorien thematisiert werden.

2.1 Entwicklungsgeschichtliche Genese und klinische Definition des Narzissmus

So verstandlich das Narzissmuskonzept im Alltagsgebrauch zu sein scheint, so diffus und widerspruchlich ist das Konzept in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und das auch noch mehr als 100 Jahre nach der erstmaligen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Narzissmus. Die ersten wissenschaftlichen und theoretischen Arbeiten zum Narzissmuskonzept entstanden um das 20. Jahrhundert und stammen primar aus psychoanalytischen Forschungsdisziplinen. Einer der ersten Wissenschaftler, der sich intensiv und systematisch mit dem Phanomen narzisstischen Erlebens und Verhaltens beschaftigte, war der Psychoanalytiker Sigmund Freud.3 Auch wenn Freud in der Literatur meist als der Vorreiter der Narzissmustheorie beschrieben wird, so verweist Freud in seinen Ausfuhrungen selbst explizit auf die Arbeiten von Ellis (1898) und Nacke (1899), die den Narzissmus in einem psychiatrischen Sinne gebrauchten und als sexuelle Perversion charakterisierten, wobei der eigene Korper in ahnlicher Weise behandelt wird wie ein Sexualobjekt. Die erste konkrete Beschreibung, dessen was Freud unter dem Begriff Narzissmus versteht, prasentierte er 1909 an einem Vortragsabend der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. In diesem Kontext konzipiert Freud den Narzissmus als „[...] eine notwendige Entwicklungsstufe des Ubergangs vom Autoerotismus zur Objektliebe. Die Verliebtheit in die eigene Person [...] sei ein notwendiges Entwicklungsstadium. Von da gehe man zu ahnlichen Objekten uber" (Nunberg/Federn 1977: S. 282). In dieser Definition beschreibt Freud das von ihm entwickelte und von zahlreichen anderen Wissenschaftlern adaptierte Konzept des „primaren Narzissmus" im Sinne eines normalen Entwicklungsstadiums, welches jeder Mensch durchlauft und das durch Allmachtsphantasien und Selbstbezogenheit im Kindheitsalter charakterisiert ist. Auch wenn an diesem Konzept viel Kritik geubt worden ist und die Befunde der Sauglingsforschung die These, dass der Saugling unfahig ist sich auf Elemente der auUeren Umwelt konzentrieren zu konnen, falsifiziert wurde, so gingen nach Freud zahlreiche Wissenschaftlicher von einer genetisch festgelegten Phase des Selbstbezuges aus und entwickelten daraus die Entstehung des pathologischen, also krankhaften Narzissmus. Zentral in Freuds Beschreibungen der narzisstischen Personlichkeit ist seine Differenzierung zwischen dem oben beschriebenen „primaren Narzissmus" und dem pathologischen „sekundaren Narzissmus". Die Diagnose des sekundaren Narzissmus erfolgt nach Freud, wenn diese Phase der libidinosen (auch: triebenergetischen) Selbstfokussierung nicht uberwunden wird bzw. ein Mensch in dieses Stadium zuruckfallt. Nach Freud wurde nach dieser Phase eine Phase der Objektbeziehungen folgen, d.h. nachdem das psychische und libidinose Interesse ganz auf das Selbst gerichtet war, ist das Selbst irgendwann fahig Anteile dieser Energie an seine Umwelt zu verteilen (z.B. Freunde oder Familienmitglieder). Neben der Differenzierung Freuds zwischen den beiden genannten Formen des Narzissmus, lassen sich noch weitere Beschreibungen des Narzissmuskonzeptes bei Freud (und in Folge dessen auch bei anderen Narzissmusforschern) finden. Pulver (1972) identifizierte insgesamt vier unterschiedliche Verwendungsweisen des Narzissmusbegriffs, die vielfach in der einschlagigen Literatur aufgegriffen worden sind:

1. Bezüglich des klinischen Verständnisses, wird hiermit eine sexuelle Perversion charakterisiert, bei welcher der eigene Körper als Sexualobjekt fungiert.
2. Hinsichtlich des genetischen Standpunktes, wird Narzissmus zur Beschreibung eines Stadiums der Entwicklung beschrieben.
3. In Bezug auf die Objektbeziehungen wird damit ein Typus der Objektwahl (narzisstisch) und die Art und Weise der Beziehung zur Umwelt (Mangel an Beziehungen) bezeichnet.
4. Schließlich soll die Regulation des Selbstwertgefühls damit beschrieben werden (vgl. Hartmann 2009: S. 7).4

Die Tatsache, dass Freud den Narzissmusbegriff fur die Beschreibung unterschiedlicher Sachverhalte und in diversen Kontexten verwendete ohne dabei eindeutige begriffliche Abgrenzungen zu treffen, legte den Grundstein fur die bis heute existente Begriffsverwirrung in der Wissenschaft in Bezug auf das Phanomen Narzissmus. An diesem Punkt der entwicklungsgeschichtlichen Aufarbeitung des Narzissmuskonzeptes lasst sich festhalten, dass die ersten wissenschaftlichen Ausarbeitungen zum Thema Narzissmus diesen primar als einen Prozess bzw. ein Stadium konzeptualisierten und nicht, wie es spater unter den Narzissmusforschern dominierte, als eine psychische Personlichkeitsstorung oder einen Personlichkeitstyp (vgl. Levy et. al. 2011: S. 3). Trotz der haufig geubten Kritik an der triebtheoretischen Fokussierung Freuds, gelten Freuds Uberlegungen weiterhin als Grundlage fur nachfolgende Uberlegungen bezuglich des Narzissmus- konzeptes.

Ebenfalls zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschrieb der Psychoanalytiker Jones mit dem „Gotteskomplex'' erstmals prototypische Merkmale der narzisstischen Personlichkeit, die auch noch heute im Zusammenhang mit narzisstischem Verhalten als gultig angesehen werden: Solche Menschen zeigen demnach "[...] eine exzessive Bewunderung fur bzw. hohes Vertrauen in die eigenen Krafte, das eigene Wissen, [...] den Wunsch, die eigene Person oder einen bestimmten Teil der Person zur Schau zu stellen, [...] Omnipotenzphantasien [...], einen ausgepragten Wunsch, geliebt zu werden, [...] und nach Verehrung und Bewunderung" (Akhtar 1996: S. 2).

Fur eine Weiterentwicklung des Narzissmuskonzeptes aus psychoanalytischer Sichtweise sorgten Anfang und Mitte der 70er Jahre vor allem die Psychoanalytiker Kohut (1971) und Kernberg (1975). Wahrend sich die ersten Analysen von Freud auf den Narzissmus als ein normales Entwicklungsstadium konzentrierten, verfolgten Kohut und Kernberg ein verandertes Erkenntnisinteresse. Es war unter anderem der Verdienst der beiden Wissenschaftler das Bild des pathologischen Narzissmus bzw. der in klinischen Populationen zu beobachtenden narzisstischen Personlichkeitsstorung zu definieren und seine Entstehungsgrunde zu lokalisieren. Kohut, der vielfach als der Wegbereiter der neueren Narzissmustheorien benannt wird (vgl. Roth 1990: S. 153), ging im Gegensatz zu Freud von einer eigenen, von den Trieben abgelosten Entwicklungslinie des Narzissmus aus (vgl. Hartmann 2009: S. 11). Dabei geht Kohuts Narzissmustheorie von einer Atiologie aus, bei der der pathologische Narzissmus eine Folge der fehlenden Auflosung eines entwicklungsbedingten normalen Narzissmus im Kindheitsalter ist. Hier wird der pathologische Narzissmus also als eine Entwicklungsstorung des Kindes konzipiert. Eine Gemeinsamkeit zwischen Freud und Kohut besteht demnach in der Annahme, dass jeder Mensch in seiner fruhen Kindheit ein narzisstisches Entwicklungsstadium durchlauft, wobei nach Kohut das Kind ein vorubergehendes narzisstisches idealisiertes Selbst mit dem zentralen Bedurfnis nach Bewunderung und GroBenfantasien entwickelt (vgl. Vater et. al. 2013: S. 607). Wenn nun durch traumatische Kindheitserfahrung eine realistische Auflosung dieser Idealisierung ausbleibt, „konnen diese grandiosen Selbst- und Objektreprasentanzen in unbewusster Form wirksam bleiben und in Form von nicht befriedigenden GroBenanspruchen und entsprechenden beschamenden Minderwertigkeitsgefuhlen als sekundarer Narzissmus das Erleben narzisstisch gestorter Menschen pragen" (Fally 1999: S. 2). Zentral fur das Verstandnis des Narzissmus bei Kohut ist demnach, dass der Narzissmus nicht automatisch mit einer Personlichkeitsstorung gleichzusetzen ist, sondern erst dessen Misslingen dank der unrealistischen Anspruche des „Grd & en-Selbst" auf den Narzissmus im Sinne einer Personlichkeitsstorung schlieBen lasst. Fur die Entwicklung des nach Kohut sogenannten „kohasiven Selbst" ist also vor allem die fruhkindliche Bindungserfahrung des Kindes von essentieller Bedeutung. Diesbezuglich pragte Kohut die Metapher vom „Glanz im Auge der Mutter", womit er auf die Notwendigkeit der empathischen und liebevollen Zuwendung der Mutter fur eine gesunde Entwicklung des Kindes verwies. Wenn jedoch ein elterlicher Empathiemangel in der Kindheit dominiert, hat dies die Konsequenz eines fragilen Selbst(-wertes), das mit der Angst vor der Konfrontation mit der eigenen Wertlosigkeit und der Leere des eigenen Selbst einhergeht (vgl. Kohut 1973: S. 198).

Zwischen den Annahmen Kernbergs und Kohuts bestehen einige Uberschneidungen, aber auch signifikante Unterschiede, speziell in Bezug auf die metapsychologische Verortung des Narzissmuskonzeptes, die jedoch in diesem Kontext nicht thematisiert werden soll. Auch Kernberg geht in seinen Uberlegungen davon aus, dass der pathologische Narzissmus die Konsequenz elterlicher Ablehnung ist. Aufgrund dieser kalten und ablehnenden Eltern reagiert das Kind mit einem defensiven Ruckzug und geht fortan davon aus, dass es sich nur auf sich selbst verlassen kann (vgl. Emmons 1987: S. 11). Kernberg geht von der Annahme aus, dass „die ublicherweise gesunde Entwicklung des Selbstwertgefuhls durch zwischenmenschlich bedrohliche Erfahrungen gestort werden kann, wobei narziBtische GroBen- und Unabhangigkeitsphantasien als Losung dieses Konflikts dienen konnen" (zit. nach Fally 1999: S. 2). Fur Kernberg sind die narzisstischen Erlebens- und Verhaltensweisen demnach eine Art Bewaltigungsversuch fur Einbruche im Selbstwertgefuhl.

Wie in den letzten Ausfuhrungen schon angeklungen ist, ist es vor allem der Verdienst der beiden Forscher die zentrale Bedeutung des Selbstwertes fur die Entwicklung und Auspragung des pathologischen Narzissmus hervorzuheben. In beiden Ansatzen wird einvernehmlich, wenn auch mit Differenzen in dessen Ursprung, von einer Atiologie ausgegangen, die von einer Storung der Selbstwertregulation ausgeht, die wiederum die Konsequenz der Storungen der Eltern-Kind Beziehung sind (vgl. Kohut 2006: S. 77).5

Neben der Beschreibung der Ursachen für die Entstehung einer NPS schufen Kohut und Kernberg mit ihren Arbeiten letztendlich die diagnostischen Grundlagen für die spätere Konzeption der NPS im DSM-3, die bis heute in leicht veränderter Form auch noch für die neuste Version des DSM-5 Gültigkeit besitzt.6 Eine klinische Beschreibung der NPS umfasst demnach Grandiositätsvorstellungen, ein aktives Fantasieleben, das sich auf persönliche Erfolge und die Annahme der eigenen Einzigartigkeit bezieht. Außerdem wird die NPS charakterisiert durch ein ausgeprägtes Anspruchsdenken, arrogante Einstellungen, einen ausgeprägten Wunsch nach Bewunderung sowie eine geringe Empathie für andere. Darüber hinaus zeigen Personen mit einer NPS Neid auf die Erfolge anderer und sind in ihren Verhaltensweisen oft ausbeuterisch (vgl. DSM-5 American Psychiatric Association 2013; Vater et. al. 2013: S. 601). Durchschnittlich konnten empirische Studien in der Allgemeinbevölkerung eine sehr niedrige Prävalenzrate von in etwa 1% für die NPS nachweisen (vgl. Hartmann 2009: S. 18).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass auch mehr als hundert Jahre nach der ersten Auseinandersetzung mit dem Narzissmuskonzept keinesfalls ein homogenes Meinungsbild bezüglich grundsätzlicher Fragen herrscht, die den Narzissmus betreffen. Teilweise wurden sogar "ganz unterschiedliche Phänomene als narzisstisch bezeichnet" (Zepf 2000: S. 83). Resümierend ist weiterhin zu bemerken, dass es keine einheitliche, den verschiedenen psychoanalytischen Schulen gemeinsame Definition des Narzissmus gibt. Lediglich bezüglich der deskriptiven Beschreibung des Narzissmus bestehen größtenteils Übereinstimmungen. So stellt auch Krefting (vgl. 2004: S. 6) fest, dass der kleinste gemeinsame Nenner der unterschiedlichen psychoanalytischen Narzissmuskonzepte gegenwärtig darin besteht die narzisstische Störung deskriptiv als eine Konzentration des psychischen Interesses auf das eigene Selbst aufzufassen. Abschließend stellt Altmeyer (2000: S. 6) fest:

„Die Widersprüchlichkeit dessen, was als Narzißmus bezeichnet wird, scheint bis heute das Kennzeichnende einer psychoanalytischen Kategorie zu sein, die trotz aller definitorischen Bemühungen - im Begriffsumfeld der Selbstliebe verharrend - semantisch auszufransen scheint.“

Größtenteils übereinstimmend sind zudem die Annahmen bezüglich der Kausalfaktoren, die narzisstische Verhaltens- und Erlebensweisen bedingen.

Einvernehmlich wird davon ausgegangen, dass das für den Narzissten charakteristische instabile Selbst eine Konsequenz unempathischer und inkonsistenter früher Kindheitserfahrungen darstellt (vgl. Morf/Rhodewalt 2001: S. 179). Inwiefern sich diese Annahmen jedoch auch auf Personen, die lediglich eine narzisstische Persönlichkeitsausprägung besitzen übertragen lassen, ist bisweilen unzureichend diskutiert worden. Ein weiterer wichtiger Erkenntnisgewinn stellt die Tatsache dar, dass der Narzissmus einen Teil seiner ursprünglichen Bedeutung als eine psychotische Störung bzw. eine sexuelle Perversion inzwischen verloren hat und eine Erweiterung der Bedeutung durch die Beschreibung auch als etwas Gesundes bzw. Normales erfahren hat (vgl. Tamulionyte 2014: S. 21). Die genannten Narzissmusforscher gehen somit nicht von vornherein davon aus, dass der Narzissmus krankhaft bzw. schädlich ist (vgl. Bursten 1996: S. 78). So ist ein gewisses Maß an Selbstliebe und Ich-Bezogenheit sogar äußerst wünschenswert und notwendig, um das individuelle psychische Wohlbefinden aufrechterhalten zu können (vgl. Kohut 1975: S. 140). Die Frage nach der Grenze bzw. dem Übergang von einer normalen narzisstischen Persönlichkeitsausprägung zu einer Persönlichkeitsstörung, die mit starken Defiziten im intra- und interpsychischen Bereich einhergeht, bleibt jedoch bisweilen unbeantwortet. So stellt auch Hartmann (2009: S. 2) fest, dass der ÄUmschlagpunkt zwischen gesundem und pathologischem Narzissmus sehr schwer zu bestimmen ist“ (Hartmann 2009: S. 12). Diesbezüglich weist Kernberg auf die Qualität der zu beobachtenden Beziehungen zu anderen Menschen als eine Unterscheidungsgröße hin, indem er davon ausgeht, dass die Person mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung im Gegensatz zu einer Person mit normal ausgeprägtem Narzissmus nicht fähig ist, stabile und langfristige soziale Beziehungen aufrechtzuerhalten (vgl. Akhtar 1996: S. 5). Resümierend lassen sich insgesamt drei dominierende Verwendungsweisen des Narzissmus identifizieren: Zum Einen wird Narzissmus als Persönlichkeitsstörung aufgefasst, die durch die Diagnosekriterien im DSM-5 kategorial erfasst werden kann. Diese Konzeption des Narzissmus bezieht sich jedoch lediglich auf klinische Populationen. Weiterhin wurde und wird auch immer noch über die Existenz eines genetisch festgelegten narzisstischen Entwicklungsstadiums diskutiert. Darüber hinaus beschreiben insbesondere Sozial- und Persönlichkeitspsychologen Narzissmus als eine Dimension der normalen Persönlichkeit. Diese Konzeption des Narzissmus soll im folgenden Kapitel näher beschrieben werden, wobei sich zeigen wird, dass eine nicht unerhebliche Schnittmenge zwischen den Charakteristika der NPS und den Eigenschaften, die für die narzisstische Persönlichkeit gelten, existiert. Von der Konzeption als eine sexuelle Perversion über die Konzeption als ein normales Entwicklungsstadium bis hin zur Beschreibung als eine Persönlichkeitsstörung, wird deutlich, dass der Narzissmus eine reiche, kontroverse und durch Widersprüche gekennzeichnete Entwicklungsgeschichte zu verzeichnen hat.

2.2 Sozial- und persönlichkeitspsychologische Narzissmusforschung

Trotz der langjährigen und immer noch anhaltenden Faszination, die der Narzissmus in der Psychoanalyse und der klinischen Forschung auslöste, erhielt das Narzissmuskonzept aus persönlichkeits- und sozialpsychologischen Forschungsdisziplinen erst nach 1980 vermehrte Aufmerksamkeit (vgl. Paulhus 2001: S. 228). Seit den 1980er Jahren hat sich nunmehr die sozial- und persönlichkeitspsychologische Forschungslandschaft zum Thema Narzissmus substanziell verändert. So erschienen beispielsweise dieses Jahr schon mehr als 270 Aufsätze in verschiedenen Fachzeitschriften zum Thema Narzissmus (vgl. ScienceDirect 2016). Ein Faktor, der diese enorme Zunahme an wissenschaftlicher Aufmerksamkeit erklären könnte, ist vermutlich die Verfügbarkeit eines Instrumentes zur Messung der individuellen Narzissmusausprägung womit Forschende nicht mehr nur auf ihren Alltagsverstand und ihre Intuition angewiesen sind (vgl. Tamborski/Brown 2011: S. 133).

Inwiefern unterscheidet sich nun das Verständnis des Narzissmus in der klinischen Forschung von dem in der Sozial- und Persönlichkeitspsychologie? Ein zentraler Unterschied zwischen dem klinischen Verständnis und dem Verständnis des Narzissmus in der Sozial und Persönlichkeitspsychologie, ist, dass der Narzissmus in der Sozial- und Persönlichkeitspsychologie, auch bezeichnet als subklinischer oder normaler Narzissmus, als eine normale Dimension der Persönlichkeit aufgefasst wird, die bei jedem Menschen messbar ist und interindividuell variiert (vgl. Neumann 2010: S. 21). Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal besteht in der divergierenden strukturellen Auffassung des Narzissmuskonzeptes. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung wird kategorial durch die Diagnosekriterien im DSM-5 erfasst. Das heißt es gibt eine definierte Grenze, ab der die Diagnose einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung erfolgt. Der subklinische Narzissmus wird hingegen als dimensionale Persönlichkeitseigenschaft gesunder Menschen konzipiert, die sich mithilfe des Änarzisstischen Persönlichkeitsinventars“, die am international verbreitetsten und am besten validierte psychometrische Messmethode, auf die im folgenden Kapitel noch näher eingegangen werden soll, ermitteln l sst. Nach dieser Auffassung gilt also nicht ein Äentweder Narzisst oder nicht“, sondern die Konzeptualisierung im Sinne von Ämehr oder weniger narzisstisch“. Trotz der genannten Unterschiede, die zwischen dem klinischen und subklinischen Narzissmus bestehen, gibt es eine nicht unerhebliche Schnittmenge in Bezug auf die deskriptiven Eigenschaften einer narzisstischen Persönlichkeit. So lehnt sich auch die Definition des subklinischen Narzissmus an die Definition der NPS im DSM-5 an und wird dementsprechend als eine Variante hoher Selbstwertschätzung beschrieben, die mit dem Gefühl der Überlegenheit, einer geringen Empathie, dem Wunsch nach Bewunderung, einer Überempfindlichkeit gegenüber Kritik und ansatzweise sozial-unverträglichen Verhaltensweisen einhergeht (vgl. Vater et. al. 2013: S. 603). Im Vergleich zur pathologischen, narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind die Eigenschaften und Verhaltensweisen, die eine Person mit narzisstischen Charaktereigenschaften aufweist jedoch in einer geringeren Intensität ausgeprägt. Eine Person mit einer hohen Narzissmusausprägung weist eventuell einige Merkmale auf, die für die Diagnose der NPS relevant sind, die überwiegende Mehrheit der Personen mit einer hohen Narzissmusausprägung erfüllen jedoch die diagnostischen Kriterien für die NPS nicht (vgl. Foster et. al. 2006: S. 368). Aufgrund der eben beschriebenen Gemeinsamkeiten und der Tatsache, dass das Narzissmuskonzept seinen theoretischen Ursprung in der Psychoanalyse hat und dort sehr differenziert beschrieben worden ist, beziehen sich sozial- und persönlichkeitspsychologische Forscher bei der Entwicklung eigener Forschungshypothesen oftmals auch auf Erklärungsmodelle der psychoanalytischen und klinischen Konzeption des Narzissmus. Diese Äkonzeptionell diskutierbare Vernetzung“ bedingt in seiner Konsequenz, dass keine absolute Trennlinie zwischen den Auffassungen gezogen werden kann (Vater et. al. 2013: S. 603). Um begriffliche Unklarheiten bezüglich der Verwendung des Narzissmusbegriffs in der vorliegenden Arbeit zu vermeiden, sind im Folgenden, wenn von der narzisstischen Persönlichkeit oder dem Narzissten die Rede ist, diejenigen Personen gemeint, die eine relativ hohe bis sehr hohe Ausprägung des normalen Narzissmus im Sinne einer Persönlichkeitseigenschaft aufweisen.

2.2.1 Das narzisstische Persönlichkeitsinventar (NPI)

Das narzisstische Persönlichkeitsinventar (engl.: Narcissistic Personality Inventory, kurz: NPI) ist die in der Sozial- und Persönlichkeitspsychologie international verbreitetste und am besten validierte Skala zur Erfassung von Narzissmus als Persönlichkeitskonstrukt in nicht-klinischen Populationen (vgl. Schütz et. al. 2004: S. 203). Das Instrument zur Erfassung der individuellen Narzissmusausprägung wurde Ende der 1970er Jahre von den Sozialwissenschaftlern Raskin und Hall (1979) auf der Basis theoretischer Überlegungen entwickelt und trug wesentlich zu einem Zuwachs an wissenschaftlichen Studien zum Thema Narzissmus bei. Die Inhalte des NPI leiteten Raskin und Hall aus den Diagnosekriterien der NPS im DSM-III ab (vgl. Emmons 1987: S. 12). Ihr Ziel war es dabei jedoch nicht Narzissmus in seiner klinischen Erscheinungsform zu erheben, sondern den Narzissmus wie er in der Allgemeinbevölkerung als eine dimensional erfassbare Persönlichkeitseigenschaft auftritt zu erheben. Das NPI wurde bereits in verschiedene Sprachen übersetzt, wie z.B. in Deutsch (Schütz et. al. 2004) und Spanisch (Garcia/Cortes 1998). Durch eine Vielzahl an Forschungsbemühungen zur Validierung des NPIs konnte nachgewiesen werden, dass das NPI eine gute Reliabilität und Validität aufweist (vgl. Campbell et. al. 2005: S. 1360). Nach mehreren Überarbeitung und Überprüfungen des NPI verfügt die bis heute gültige und am häufigsten verwendete Version des NPI (Raskin/Terry 1988) über insgesamt 40 Items, bei denen sich der Proband jeweils im Forced-Choice-Format zwischen einer extrem positiven, narzisstischen Antwortkategorie (z.B. ÄI really like to be the center of attention“ oder ÄI am more capable than other people”) und einer nicht-narzisstischen Antwortkategorie (z.B. ÄIt makes me uncomfortable to be the center of attention“ oder ÄThere is a lot that I can learn from other people”) entscheiden muss. Grundsätzlich kann das Ergebnis in einem Wertebereich zwischen 0 und 40 liegen, wobei der Wert 40 die höchste Narzissmusausprägung repräsentiert. Eine Person mit hohen Narzissmuswerten wird demnach als ÄNarzisst“ eingestuft, Personen mit einer niedrigen Narzissmusauspr gung hingegen als ÄNicht-Narzissten“. Untersuchungsstatistiken konnten zeigen, dass der durchschnittliche Proband einen Wert zwischen 15,55 bis 16,71 erreicht, wobei sich diese Ergebnisse in Abhängigkeit von der verwendeten NPI-Version unterscheiden können (vgl. Watson 2012: S. 80). Bei den empirischen Untersuchungen, die das NPI als Messinstrument einsetzten, zeigte sich weiterhin, dass männliche Probanden im Durchschnitt etwas höhere NPI-Werte als weibliche Probanden erzielten (vgl. Triller 2003: S. 28; Schütz et. al. 2004: S. 7). Mehrere Forschergruppen haben zudem die den NPI Items zugrunde liegende Struktur mithilfe faktorenanalytischer Verfahren untersucht, wobei die Forscher eine unterschiedlich große Anzahl an Faktoren (reichend von zwei bis sieben) ermittelten (vgl. Ackermann et. al. 2011: S. 68). Raskin und Terry (1988) ermittelten eine Sieben-Faktoren-Lösung, die eine der am häufigsten verwendeten Varianten ist und folgende Komponenten beinhaltet: Autorität (authority), Selbstgenügsamkeit (self-sufficiency), Überlegenheit (superiority), Exhibitionismus/Prahlerei (exhibitionism), Ausnutzung (exploitativeness), Eitelkeit (vanity) und Ansprüchlichkeit (entitlement) (vgl. Schütz et. al. 2004: S. 203). Emmons (1984, 1987) führte ebenfalls eine Faktorenanalyse des NPI durch, die in mehreren Studien validiert werden konnte. Im Gegensatz zu Raskin und Terry kam Emmons jedoch auf eine Vier-Faktoren-Lösung legenheit/Arroganz (superiority/arrogance), Selbstversunkenheit/Selbstbewunderung (self-absorption /self-admiration) (vgl. Tamborski/Brown 2011: S. 135). Narzissmus ist demzufolge kein eng umschriebenes Merkmal, sondern ein multidimensionales Konzept, das durch mehrere Subfaktoren und eine ganze Reihe von symptomatischen Besonderheiten im Erleben und Verhalten einer Person charakterisiert wird (vgl. Buss/Chiodo 1991: S. 192f.). Es sollte jedoch kritisch angemerkt werden, dass die Ergebnisse der Studien, die sich auf die unterschiedlichen NPI Varianten beziehen nur bedingt vergleichbar sind, da z.B. Emmons (1987) und Raskin und Terry (1988) von einer unterschiedlich großen Anzahl an Items ausgingen und jeweils verschiedene faktorenanalytische Verfahren verwendeten (vgl. Schütz et. al. 2004: S. 203). Unabhängig von Raskin und seinen Kollegen haben weitere Forscher aufgrund ökonomischerer Anwendbarkeit eine Modifizierung der Länge des NPIs vorgenommen (vgl. Tamborski/Brown 2011: S. 143). Zum Beispiel erarbeiteten Ames et. al. (2006) eine englischsprachige NPI Kurzversion mit 16-Items. Schütz et. al. (2004) entwickelten für den deutschsprachigen Raum eine 15-Item Kurzversion des NPIs.

Neben der Uneinigkeit bezüglich der Faktorenstruktur des NPIs, wurde in den letzten Jahren vermehrt darüber diskutiert das NPI durch eine differenziertere Messmethode zu ersetzen. Der von den Forschern genannte Grund dafür ist, dass die Persönlichkeitseigenschaft Narzissmus als komplexes und mehrdimensionales Konstrukt durch das NPI unzureichend erfasst wird und einerseits Items enthält, die nicht zentral für die Erfassung des Narzissmus sind und andererseits einige wesentliche Kernbereiche des Narzissmus nicht von dem NPI abgedeckt werden (vgl. Miller et. al. 2012: S. 8). Bislang wurden jedoch noch nicht genügend Belege für die Validität und Reliabilität alternativer Messmethoden erbracht (vgl. ebd.: S. 9), sodass auch die in den folgenden Kapiteln thematisierten Studien zum Narzissmus weiterhin das NPI als Instrument zur Messung der Narzissmusausprägung verwendeten.

2.2.2 Deskriptive Merkmale und Bedürfnisse der narzisstischen Persönlichkeit

Mit der Zunahme an wissenschaftlichem Interesse an dem Narzissmuskonzept aus sozial- und persönlichkeitspsychologischen Disziplinen entwickelten einige Forscher auf der Grundlage empirischer Beobachtungen Modelle, in denen der Versuch unternommen wurde das komplexe Konzept des subklinischen Narzissmus durch seine realweltliche Erscheinungsform zu beschreiben. Der Fokus dieser Modelle liegt dabei auf den interpersonellen und intrapsychischen Prozessen, die den Narzissten charakterisieren. Da eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Modelle den Rahmen dieser Arbeit deutlich überschreiten würde und sich die Modelle in ihren Grundannahmen ohnehin ähneln, wird in diesem Kapitel nur fragmentarisch auf einige zentrale Annahmen der Modelle eingegangen, die sich primär auf die Frage beziehen wie sich Narzissten in der zwischenmenschlichen Interaktion mit anderen verhalten und welche Bedürfnisse dem narzisstischen Verhalten zugrunde liegen. Dadurch soll letztendlich ein differenziertes Bild von dem prototypischen Narzissten, wie er aus sozial- und persönlichkeitspsychologischen Forschungsdisziplinen beschrieben wird, deutlich werden. Außerdem werden in Bezug auf die beschriebenen Annahmen der Modelle Befunde von Studien aufgegriffen, um die theoretischen Aussagen durch weitere empirische Daten zu validieren.

Grundlegend für die Beschreibung des narzisstischen Charaktertypus ist, dass dieser durch ein übersteigertes bzw. unrealistisch positives, aber dennoch instabiles Selbstkonzept charakterisiert wird (Morf/Rhodewalt 2001). Dementsprechend sieht sich der typische Narzisst als einzigartigen und besonderen Menschen (Emmons 1984), der besser ist als sein soziales Umfeld und aufgrund dessen den Anspruch auf eine seiner Grandiosität entsprechenden Behandlung hat (Campbell et. al. 2002; Morf/Rhodewalt 2001). Charakteristisch für den Narzissten ist außerdem eine sehr hohe Selbstfokussierung und damit einhergehend eine geringe Fremdfokussierung (Emmons 1987; Foster et. al. 2003). Die Annahme, dass Narzissten ein grandioses und übersteigertes, aber dennoch fragiles Selbstkonzept charakterisiert, wurde erstmals von Morf und Rhodewalt (2001) in dem von ihnen entwickelten ÄDynamischen selbstregulatorischen Prozessmodell“ (engl.: ÄDynamic self- regulatory processing model“) ausführlich beschreiben.7 Allgemein wird in dem Modell davon ausgegangen, dass die Fragilität des narzisstischen Selbstkonzeptes dazu führt, dass Narzissten dauerhaft auf die externe Selbstbestätigung bzw. das positive Feedback ihres sozialen Umfeldes angewiesen sind (Morf/Rhodewalt 2001; Wallace/Baumeiser 2002). Um dieses Ziel zu erreichen, wird von Morf und Rhodewalt (2001) und weiteren Narzissmusforschern angenommen, dass Narzissten in der zwischenmenschlichen Interaktion sogenannte selbstwert- regulierende Strategien nutzen, die ihnen die gewünschte Bewunderung bzw. Selbstbestätigung erbringen und somit das instabile, aber grandiose Selbstkonzept des Narzissten temporär aufrechterhalten. Allgemein gehören zu den von Narzissten benutzen selbstregulatorischen Taktiken zum einen Bemühungen sich in einem positiven Licht darzustellen und andere Interaktionspartner in verschiedenen Hinsichten zu übertreffen. Das narzisstische Bestreben andere Personen übertreffen zu wollen, verdeutlicht sich vor allem durch ein starkes Konkurrenzdenken des Narzissten, als auch durch die positive Darstellung von schlechten Ergebnissen z.B. bei wissensbasierten Aufgaben (Campbell et. al. 2004). Zum anderen versuchen Narzissten in sozialen Interaktionen, unter anderem durch eine laute Stimme, die Aufmerksamkeit auf die eigene Person zu lenken (Buss/Chiodo 1991). Zudem weisen Narzissten in der Öffentlichkeit oftmals prahlerisches und angeberisches Verhalten auf und versuchen dadurch ebenfalls die Aufmerksamkeit auf die eigene Person zu lenken. Eine weitere Strategie zur Erhöhung des narzisstischen Selbstwertempfindens besteht in der öffentlichen Identifikation mit materiellen Statusobjekten (Vohs/Campbell 2005) sowie in der Identifikation mit Personen hohen sozialen Status (Campbell 1999).

Um die für das narzisstische Selbst notwenige Aufmerksamkeit und Bewunderung durch Dritte über eine längere Zeitspanne aufrechterhalten zu können, besteht für den Narzissten die Notwendigkeit seine inszenierten Perfomances sukzessiv zu steigern. Würde eine narzisstische Person beispielsweise immer wieder davon erzählen wie er mit 18 Jahren den ersten Platz im 800 Meter Lauf gewonnen hat, würde dies nach einer gewissen Zeit an Relevanz für seine soziale Umgebung, aber auch für den Narzissten selbst verlieren.

[...]


1 Aus Gründen der Vereinfachung wird in der vorliegenden Arbeit ausschließlich die männliche Form für alle Personenbezeichnungen verwendet. Personen weiblichen wie männlichen Geschlechts sind darin gleichermaßen eingeschlossen.

2 Speziell aufgrund der fehlenden Präzisierung des Selbstkonzeptes bei Hartmann, wurde vielfach Kritik an dieser Definition geäußert. Eine ausführliche Kritik der Definition ist bei Valk (1981) zu finden.

3 Wie alle Wissenschaftler, die sich erstmals aus psychoanalytischer Perspektive mit dem Narzissmuskonzept auseinandersetzten, bezog sich auch Freud bei seinen theoretischen Überlegungen zum Narzissmuskonzept auf die Beschreibungen des Jünglings Narzissus (Narziss) aus der griechischen Mythologie. Die Erzählung handelt davon wie sich Nazissus in sein eigenes Spiegelbild verliebt, während er eigentlich ein verlorenes Objekt sucht. Dadurch wird er immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen. Letztendlich stirbt der Jüngling an seiner übermäßigen Selbstbezogenheit (vgl. Dammann 2012: S. 15f.).

4 Der Zusammenhang zwischen Narzissmus und dem Selbstwertgefühl wird von Freud nur peripher behandelt und begann erst mit Kohut und Kernberg an zentraler Bedeutung in der Diskussion um den Narzissmus zu gewinnen (vgl. Valk 1981: S. 9).

5 Wie in den folgenden Kapiteln noch deutlich werden wird, haben sich speziell Forscher der Sozial- und Persönlichkeitspsychologie mit der Bedeutung des Selbstwertes für das narzisstische Erleben und Verhalten auseinandergesetzt (Morf/Rhodewalt 2001).

6 Das ÄDiagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (kurz: DSM) ist ein Klassifikationssystem zur Diagnose psychiatrischer Erkrankungen und wird seit 1952 von der ÄAmerican Psychiatric Association“ (kurz: APA) in den USA herausgegeben. Die deutsche Fassung des DSM-5 wurde im Dezember 2014 veröffentlicht und repräsentiert den aktuellsten medizinischen Kenntnisstand und stellt die Grundlage für psychchiatrische Begutchatungen dar.

7 Für eine ausführliche Beschreibung des ÄDynamischen selbstregulatorischen Prozessmodells“ sei auf den Originalaufsatz von Morf und Rhodewalt (2001) oder auf die Beschreibungen und die aktuelle empirische Überprüfung des Modells von Morf et. al. (2011) verwiesen.

Ende der Leseprobe aus 84 Seiten

Details

Titel
Narzissmus auf Social Network Sites
Untertitel
Theoretische Überlegungen und empirische Befunde zum Zusammenhang von Narzissmus und den Motiven für die Nutzung von Social Network Sites
Hochschule
Hochschule Osnabrück  (Institut für Kommunikationsmanagement)
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
84
Katalognummer
V342574
ISBN (eBook)
9783668323513
ISBN (Buch)
9783668323520
Dateigröße
1243 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Narzissmus, Social Network Sites, Nutzungsmotive, Nutzen- und Belohnungsansatz
Arbeit zitieren
Lisa Schlichting (Autor:in), 2016, Narzissmus auf Social Network Sites, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/342574

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