Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Welche Staaten werden untersucht?
3. Der Ursprung der „Asian Values“ Debatte
4. Was macht die „Asian Values“ aus?
5. Die Verbindung zwischen „Asian Values“ und „Asian Style Democracy“
5.1 Konfuzianistische Werte und liberale Demokratie
5.2 Definition von Demokratie: ein Vergleich von Ost und West
6. Liberale Demokratie nur auf Kosten des Konfuzianismus?
7. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Diskurs über die sogenannte “Asian Style Democracy“ begann mit dem Ende des kalten Krieges, als es schien, dass die westliche Ideologie von Demokratie und Kapitalismus sich bald weltweit durchgesetzt haben würde. Die triumphale Rhetorik westlicher Politiker rief in den Ost- und Südostasiatischen Ländern eine starke Gegenreaktion hervor, die sich in dem Versuch artikulierte, die “Asian Style Democracy“ dem westlichen Demokratieverständnis entgegenzusetzen.[1]
Kern der Debatte ist die Behauptung einiger asiatische Staatsoberhäupter, allen voran Singapurs ehemaliger Premierminister Lee Kuan Yew und Malaysias früherer Ministerpräsident Mahatir Mohamad, dass es sich bei Asien um einen einzigartigen Kulturraum handle. Der einzigartige und auf seine Bedürfnisse zugeschnittene politische Systeme benötigt, die nicht zwangsläufig mit denen der westlichen Demokratien übereinstimmen.[2] Das einzige akzeptable Regierungssystem sei das, das am besten vereinbar ist mit den kulturellen Werten seiner Bevölkerungsmehrheit. Im Falle der ost- und südostasiatischen Staaten sei das der Konfuzianismus, dessen Werte unvereinbar seien mit Demokratie.[3] Auf dieser Grundlage behaupten einige Staatschefs in Ost- und Südostasien, sowie einige Wissenschaftler in Südkorea, Taiwan und dem Westen, dass ein politisches System, das teilweise demokratisch und teilweise autoritär ist, für Ost- und Südostasien besser geeignet sei als liberale Demokratie[4].[5] In der politischen Praxis bedeutet dies, dass zum Wohle der Gemeinschaft, politische Freiheiten eingeschränkt werden, um Ordnung und Stabilität in der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Darunter fallen beispielsweise die Redefreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Freiheit der Presse.[6]
Die Unterstützer der „Asian Values“-These gehen davon aus, dass das konfuzianistische Wertesystem Werte beinhaltet, die mit einer liberalen Ausrichtung der Demokratie unvereinbar sind und dass eine konfuzianistisch geprägte Bevölkerung, in der Mehrheit eine liberale Demokratieform als Regierungssystem ablehnt und eine autoritäre Form von Demokratie bevorzugt. Das wiederum sei die Grundlage für eine speziell konfuzianistische Demokratie, die „Asian Style Democracy“. Die Frage, ob diese Annahmen zutreffen, soll in dieser Arbeit untersucht werden.
Dafür werden zunächst die zu untersuchenden Staaten betrachtet und deren Auswahl für die Untersuchung erläutert. Anschließend wird der Ursprung der „Asian Values“[7] analysiert Diese Informationen sind wichtig, um die Motivation hinter der Etablierung dieses Begriffes zu verstehen. Danach werden die „Asian Values“ selbst genauer beschrieben. Und insbesondere auf die Fragen eingegangen: Was macht sie aus? Was ist ihr Inhalt? Im Kapitel 5 werden dann die oben genannten Annahmen der „Asian Values“ These anhand von empirischen Studien zum Einfluss des Konfuzianismus auf die politische Kultur untersucht, um herauszufinden ob ein konfuzianistisches Wertesystem zur Ablehnung einer liberaldemokratischen Regierung führt und ob die Unterstützung für Demokratie in ihrer liberalen Form in den untersuchten asiatischen Staaten geringer ist als in den liberalen Demokratien des Westens. Die Ergebnisse werden abschließend in einem Fazit zusammengefasst.
2. Welche Staaten werden untersucht?
Die Debatte über die „Asian Values“ bezieht sich nicht auf den gesamten asiatischen Kontinent, da dieser eine Reihe von Religionen und Kulturen umfasst und somit unmöglich als kulturelle Einheit gedacht werden kann. Der indische Subkontinent, der asiatische Teil Russlands, Zentralasien, sowie der Nahe und Mittlere Osten sind von der Debatte nicht betroffen. Die „Asian Values“-These befasst sich also mit fast der Hälfte Asiens nicht und lässt genau den Teil unbeachtet, dessen Länder zum Kernbereich der islamischen Kultur gehören. Das ist jedoch in sofern nicht verwunderlich, gehen die „Asian Values“ doch auf die konfuzianistische Ethik zurück.[8]
Allerdings schließt die Debatte auch Nationen ein, deren Bevölkerung nicht mehrheitlich konfuzianistisch geprägt ist. Beispiele dafür sind Indonesien, dessen Bevölkerung überwiegend muslimisch ist, und die Philippinen, deren Bevölkerung mehrheitlich katholisch ist. Es ist also offensichtlich schwierig die Debatte eindeutig zu lokalisieren. Die Zugehörigkeit der Länder zu dieser Debatte scheint weniger durch geographische oder religiöse Zugehörigkeit, denn auf ideologischen Gemeinsamkeiten zu beruhen. Da in der „Asian Values“-These aber vor allem konfuzianistische Werte behandelt werden und diese Arbeit implizit die Auswirkungen des Konfuzianismus auf die politische Kultur zum Gegenstand hat, werden anschließend nur die Länder untersucht, die historisch betrachtet als konfuzianistisch gelten können. Dazu gehören China, Japan, Singapur, Taiwan, Korea[9] und Vietnam. Diese Staaten sind gemeint, wenn im Folgenden vom „konfuzianistischen Asien“ und von „Ostasien“ die Rede ist.
Die Staaten, die in dieser Arbeit gemeint sind, wenn von dem „Westen“ die Rede ist, sind: Die Staaten der Europäischen Union sowie die USA, Kanada, Australien und Neuseeland.
3. Der Ursprung der „Asian Values“ Debatte
Viele Wissenschaftler sehen den Ursprung der Debatte über die Wirkung asiatische Werte auf die politische Kultur in Singapur, in den späten 1980er bis 1990er Jahren.[10] Den Anstoß dafür gab der damalige Premierminister von Singapur Lee Kuan Yew mit der Behauptung, dass liberale Demokratie nach dem westlichen Vorbild unvereinbar sei mit den Werten des Konfuzianismus und dass eine Demokratie, die auf den Konfuzianismus zugeschnitten sei, eher zu einer gut geordneten asiatischen Gesellschaft passe als das westliche Modell der liberalen Demokratie.
Tatsächlich geht die „Asian Values“-These in Singapur auf das Jahr 1976 zurück und war Teil einer Untersuchung der Singapurer, welche Rolle kulturelle Werte im Kontext der Modernisierung der Gesellschaft spielen.[11] Schon 1977 stellt Seah Chee-Meow in der Singapur University Press die universale Anwendbarkeit von westlichen liberalen Werten in Frage. Er schreibt:
„The failure of parliamentary democracy in many new states, after varying periods of experimentation, indicates the limitations of transplanting externally-induced ideas or institutions, especially if the bulk of the people are not sufficiently appreciative of the relevance or desirability of such institutions or ideas.“[12]
In einer Rede von Premierminister Lee Kuan Yew 1970 in den USA macht dieser bereits deutlich, dass Modernisierung gleichbedeutend mit Verwestlichung ist und diese damit im Konflikt mit den historisch gewachsenen Traditionen seines Landes steht.
“The question leaders of the less developed countries have to answer, is not whether or not to modernize. The question these leaders have to answer is how rapidly they can modernize their societies and equally important, how much of their traditional past can they retain, so that they are not just poor imitations of the West, with all the fads and fetishes, the disorders and aberrations of contemporary Western societies.”[13]
Die Eliten Singapurs befürchteten, dass die Verwestlichung durch Modernisierung die asiatische Identität Singapurs, sein wirtschaftliches Wachstum sowie seine politische Ordnung schwächen könnte. Die Debatte um den Konflikt zwischen asiatischen und westlichen Werten war also keine Erfindung der 90er Jahre, sondern war Teil der kulturellen Selbstfindung und der Bildung einer nationalen Identität durch Abgrenzung, was mit der Unabhängigkeitserklärung des Inselstaates 1965 begann.[14]
Anfang der 90er Jahre forcierte sich die Debatte über die „Asian Values“ und rückte das Thema in den Focus der Wissenschaft. Lee Kuan Yew wurde nun von Mahatir Mohamad, dem ehemaligen malaysischen Ministerpräsidenten, und politischen Sprechern aus China und Indonesien, sowie Japan, unterstützt. Zu dieser Zeit begann auch die Diskussion um die „Asian Style Democracy“ als eine gleichwertige Alternative zur westlichen liberalen Demokratie. Das war zunächst eine Reaktion auf die triumphale Rhetorik des Westens nach dem Ende des Kalten Krieges. Das Ende des Kommunismus symbolisierte einen politischen und ideologischen Sieg des Westens und der Werte, für die er eintrat. Aus westlicher Sicht war es nur noch eine Frage der Zeit, bis alle Nationen zur Demokratie, Kapitalismus und Individualismus konvertieren würden. Dieser Ausdruck wurde in Asien als kultureller Imperialismus aufgefasst und führte zu einer Abwehrreaktion gegenüber europäischen, vor allem aber amerikanischen Werten.[15]
Hinzu kam ein gestärktes Selbstbewusstsein der ostasiatischen Staaten, hervorgerufen durch ihr wirtschaftliches Wachstum in den 90er Jahren. Besonders hervorzuheben ist hier das Beispiel China, das einen rasanten ökonomischen Fortschritt zu verzeichnen hatte, ohne dabei demokratische Reformen vorzunehmen, während in Bezug auf den Markt liberale Reformen zugelassen wurden.[16] Dieses Wachstum brachte aber in den Augen der politischen Entscheidungsträger auch Risiken für die politische Stabilität mit sich. Es war zu befürchten, dass eine wachsende wohlhabende Mittelschicht letzten Endes mehr politische Mitbestimmung einfordern würde, was wiederum die Macht des politischen Führungspersonals einschränken würde. So betrachtet, kann man die starke Betonung von „Aisan Values“ als eine Art ideologischer Risikoprävention verstehen. Als Mittel ein Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Bevölkerung zu schaffen, das den Drang nach politischer Mitbestimmung in der Bevölkerung abfedert.[17] Besonders in China stand ansonsten zu befürchten, dass der Vielvölkerstaat auseinanderfallen könnte.
Es kann also festgehalten werden, dass die Debatte über „Asian Values“ ihren Ursprung in einer Suche nach nationaler Identität haben. Sie sind ein Mittel zur Abgrenzung gegenüber den ehemaligen europäischen Kolonialherren und der Weltmacht USA. Außerdem sind sie Ausdruck eines gestärkten Selbstbewusstseins aufgrund wachsender wirtschaftlicher Stärke und dienen als eine Ideologie, um Forderungen nach politischer Mitbestimmung des Volkes abzuschwächen und den Staat im Inneren zusammenzuhalten.
4. Was macht die „Asian Values“ aus?
Es gibt keine klare Definition des Begriffs „Asian Values“, da deren Befürworter unterschiedliche kulturelle Hintergründe haben. Nicht nur konfuzianistische, sondern auch Buddhistische und Islamische. Manchmal erscheinen sie als eine Art Code für konfuzianistische Werte oder für die Ideale eines hoch zentralisierten und stark regulierten Staates wie Singapur. In anderen Fällen nutzen Regime, wie Indonesien und China, sie zur Rechtfertigung von bürokratischen Oligarchien.[18] Nichtsdestotrotz gibt es eine Reihe von geteilten Vorstellungen, was die „Asian Values“ beinhalten. Das sind: Kollektivismus, Respekt vor Autoritäten, Akzeptanz von Hierarchie, Loyalität zur Familie, Sparsamkeit, Bestrafung als Mittel zur Abschreckung vor Straftaten, streben nach einem hohen Maß an Bildung und technologischem Fortschritt und harte Arbeit.[19] Die Befürworter eines autoritären Regierungsstils meinen, dass sich das politische System ihrer Nationen an diese Werte anpassen müsse und deshalb nicht mit der liberalen Demokratie des Westens vereinbar sei, die auf völlig anderen Werten beruhe.
Als besonders unvereinbar mit liberaldemokratischen Werten gelten die ersten vier der aufgezählten Eigenschaften. Die Familie ist das Vorbild für die paternalistisch organisierten politischen Systeme. Die starke Betonung von Kommunitarismus mündet in der Vorrangstellung der Interessen der Gemeinschaft vor dem Individuum. Deshalb werden die Pflichten, die der Einzelne gegenüber der Gemeinschaft hat, über seine Rechte und Freiheiten erhoben. Politische Entscheidungen werden auf Basis von Konsensentscheidungen getroffen, nicht auf Basis von Konfrontation unterschiedlicher politischer Parteien in einem repräsentativen System. Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Harmonie werden als primäre Ziele der Politik betrachtet, die durch moralische Prinzipien gesichert und von einer starken Regierung durchgesetzt werden.[20] Die rechtmäßige Autorität der Regierung wird dabei nicht in Frage gestellt.
Demokratie ist nicht ein Ziel für sich, sondern lediglich ein Mittel um höher geordnete Ziele zu erreichen, wie soziale und politische Stabilität und wirtschaftliches Wachstum. Die Elemente der liberalen westlichen Demokratie, von denen die Befürworter der „Asian Style Democracy“ behaupteten, dass sie diesen höheren Zielen zuwiderlaufen, werden aus dem politischen System ausgeschlossen. Die „Asian Style Democracy“ präsentiert sich als Alternative zur liberalen westlichen Demokratie und basiert auf der Gemeinschaft, nicht dem Individuum, auf Konsens, statt auf Opposition und auf starken Regierungen mit weitreichenden Befugnissen, nicht auf politischem Pluralismus. Die „Asian Values“ wurden zu einem ideologischen Programm, um die Gesellschaft zu organisieren. Sie verbinden einen auf den Staat konzentrierten politischen Konservatismus mit Marktwirtschaft.[21]
5. Die Verbindung zwischen „Asian Values“ und „Asian Style Democracy“
Die Verbindung, die Befürworter der „Asian Values“-These zwischen konfuzianistischen Werten und politischer Kultur knüpfen, ist die Folgende: Die spezifischen Eigenschaften, der auf der konfuzianistischen Ethik basierenden Werte, führen dazu, dass Asiaten weniger Wert auf politische Partizipation und persönliche Freiheit legen, als Menschen im Westen. Hingegen messen Asiaten gesellschaftlicher und politischer Ordnung sowie wirtschaftlichem Wachstum mehr Bedeutung bei. Daraus resultiere logischerweise ein politisches System, das die Umsetzung dieser Präferenzen verfolgt, auch wenn das auf Kosten von liberaldemokratischen Elementen geschieht.
[...]
[1] Vgl. Subramaniam, Surain, The Asian Values Debate: Implications for the Spread of Liberal Democracy, in: Asian Affairs 27:1 (2000), S. 19-35, hier S. 21.
[2] Vgl. Kausikan Bilahari, Hong Kong, Singapur and „Asian Values“. Gouvernance That Works, in: Journal of Democracy 8:2 (1997), S. 24-34, hier S. 24.
[3] Das ist die sogenannte “Asian Values“-These, die der These der „Asian Style Democracy“ vorausgeht.
[4] Liberale Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass sie den Schutz von Individual- und Mehrheitsrechten über das Mehrheitsprinzip stellt.
[5] Vgl. Hood, Steven J., The Myth of Asian-Style Democracy, in: Asian Survey 38:9 (1998), S. 853-866, hier S. 853.
[6] Vgl. ebd.
[7] Wenn im Folgenden von „Asian Values“ die Rede ist, wird die Definition der Befürworter der „Asian Values“-These zugrunde gelegt. Siehe dazu 4.
[8] Vgl. Kieserling Manfred, 'Asian Values' – Zum Kontext einer Debatte, in: Asiatische Werte. Eine Debatte und ihr Kontext, Geiger, Klauf F./Kieserling, Manfred (Hrsg.), Münster 2001, S. 11-37, hier S. 12.
[9] Aufgrund fehlender Daten, wird in dieser Arbeit nur Südkorea einbezogen.
[10] Siehe dazu Chan, Joseph, An Alternative View, in: Journal of Democracy 8:2 (1997), S. 35-48;
siehe außerdem Emmerson Donald K., Singapore and the „Asian values“ Debate, in: Journal of Democracy 6:4 (1995), S. 95-105.
[11] Vgl. Subramaniam, The Asian Values Debate, S. 19.
[12] Meow, Seah Chee, zitiert nach Subramaniam, The Asian Values Debate, S. 19.
[13] Yew, Lee Kuan, zitiert nach ebd., S. 20.
[14] Vgl. ebd.
[15] Vgl. Subramaniam, Surain, The Asian Values Debate, S. 21.
[16] Vgl. ebd.
[17] Vgl. Kieserling 'Asian Values' – Zum Kontext einer Debatte, S. 12.
[18] Vgl. Robinson, Richard, zitiert nach Mukherjee, Kunal, Is There a Distinct Style of Asian Democracy?, in: Journal of Asian and African Studies 45:6 (2010), S. 684-694, hier S. 686.
[19] Vgl. Mukherjee, Is There a Distinct Style of Asian Democracy?, S. 686; vgl. außerdem Fareed, Zakaria, Culture is Destiny. A Conversation with Lee Kuan Yew, in: Foreign Affairs 73:2 (1994), S. 109-126, hier S. 113; vgl. außerdem Kim, Yung-Myung, „Asian-Style Democracy“. A Critique from East Asia, in: Asian Survey 37:12 (1997), S. 1119-1134, hier S. 1120.
[20] Vgl. Mukherjee, Kunal, Is There a Distinct Style of Asian Democracy?, S. 686.
[21] Vgl. ebd., S. 686-687.