Organisationen und selbstorganisierte Kritikalität. Versuch einer Konzeptübertragung


Trabajo Escrito, 2016

32 Páginas, Calificación: 1,7


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Auf dem Weg zur Komplexitätsgesellschaft

3. Ein systemtheoretisch-konstruktivistischer Zugang zur Organisation
3.1 Systemisches Denken und konstruktivistische Grundlagen
3.2 System-Umwelt Differenz und strukturelle Kopplung
3.3 Organisationen als autopoietische Systeme
3.4 Organisationen und Komplexität

4. Selbstorganisierte Kritikalität
4.1 Das BTW-Sandhaufen-Modell
4.2 Implikationen selbstorganisierter Kritikalität

5. Organisationen und selbstorganisierte Kritikalität
5.1 Sind Organisationen kritikale Systeme?
5.2 Konsequenzen für das Verständnis von Organisationen

6. Fazit und Ausblick

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Organisationen sind in permanenter Bewegung. Sie vollziehen ständig zufällige oder intentionale Veränderungen um die, im Zuge gesellschaftlicher Entwicklungen weiter ansteigende organisationsinterne und -externe Komplexität zu bearbeiten und die strukturelle Kopplung an relevante Umwelten aufrechtzuhalten, welche letztendlich das Überleben des Systems, der Organisation, sicherstellen sollen. (Gebhardt, 2015; Malik, 2011, 2015; Simon, 2013b, 2015; von der Reith & Wimmer, 2014).[1] Intentionale Veränderungen, angefangen von kurzfristigen Sanierungen und Verbesserungen bis hin zu radikalen Transformationen und vorausschauender Selbsterneuerung gehören demnach zum Tagesgeschäft einer Organisation (Erhardt & Zimmermann, 2015; Nagel & Wimmer, 2015; von der Reith & Wimmer, 2014). Ein bemerkenswertes Phänomen in diesem Kontext ist, dass tiefgreifende Veränderungen in einer Organisation keine Seltenheit darstellen. Vielmehr sind sie fundamentaler Bestandteil einer jeden Entwicklung einer Organisation (Simon, 2013a). Auffällig ist, dass jene Veränderungen durch die unterschiedlichsten Ursachen, angefangen von der plötzlichen Wahrnehmung von existenzbedrohenden Krisensituationen bis hin zu vorausschauenden strategischen Neuausrichtungen, ausgelöst werden können (Kuss, 2014). In Anbetracht der teilweise existenzentscheidenden Auswirkungen sowie der anscheinenden Allgegenwärtigkeit von Veränderungen ist es verwunderlich, dass keine einheitliche Theorie existiert, die die Entstehung von Veränderungsnotwendigkeiten beschreibt und erklärt. Vielmehr findet sich in der Literatur eine Vielzahl von Fallstudien, welche die unterschiedlichsten Veränderungsprojekte und deren Ursachen beschreiben (Laloux, 2015; Wimmer, Meissner, & Wolf, 2014).

Vor diesem Hintergrund wird in dieser theoretisch angelegten Hausarbeit eine systemtheoretisch-konstruktivistisch fundierte Theorie entfaltet, mit der das soziale System Organisation einschließlich organisationsinterner Veränderungsprozesse aus einem neuen Blickwinkel beschrieben werden kann. Es wird gezeigt, dass, ausgehend von einem systemtheoretisch-konstruktivistischen Organisationsverständnis, das Konzept der selbstorganisierten Kritikalität, welches erstmals von Per Bak im Kontext komplexer physikalischer Systeme in den wissenschaftlichen Diskurs eingeführt wurde, auf Organisationen übertragbar ist. Damit einhergehend können neue Perspektiven und Erkenntnisse angebahnt werden, die in der Theorie als auch in der Praxis der Organisationsentwicklung an mannigfaltigen Stellen aufgegriffen werden können (Bak, 1996; Bak & Paczuski, 1995). Mit Marcel Proust im Sinn, kann die Kernidee dieser Hausarbeit daher folgendermaßen beschrieben werden: „Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht darin, dass man neue Landschaften sucht, sondern, dass man mit neuen Augen sieht“ (Proust, zitiert nach Beinhocker, 2007, S. 103). Grundlegendes Ziel der nachfolgenden Ausführungen ist es aufzuzeigen, dass Organisationen an sich bereits auf einen Zustand selbstorganisierter Kritikalität hin angelegt sind, d. h., dass sich Organisationen aus sich selbst heraus hin zu einem instabilen Zustand entwickeln, in dem kleineste Irritationen einen Phasenübergang oder im organisationalen Kontext, tiefgreifende Veränderungen auslösen können.

Im ersten Abschnitt werden dazu aktuelle Entwicklungen angerissen, deren zentrales Merkmal der Anstieg der Komplexität ist. Ausgehend von dieser Explikation der „Komplexitätsgesellschaft“ (Malik, 2015, S. 13) wird die Organisation aus systemtheoretischer Perspektive beschrieben. Dabei werden im Kern die für die Konzeptübertragung wesentlichen organisationstheoretischen Annahmen erläutert. Anschließend erfolgen eine ausführliche Beschreibung des Konzeptes der selbstorganisierten Kritikalität einschließlich der Bedingungen kritikaler Systeme und deren Implikationen.[2] Im Zentrum der Arbeit steht die Übertragung des Konzeptes der selbstorganisierten Kritikalität auf Organisationen und die Ableitung von Konsequenzen für das Verständnis von Organisationen. Dabei geht es nicht um eine empirisch-quantitative sondern um eine semantisch-qualitative Übertragung der Kernmerkmale der Theorie der selbstorganisierten Kritikalität auf die Organisation (Kron, 2007). Die Identifikation von Strukturähnlichkeiten zwischen einem systemtheoretischen Organisationsverständnisses und des Konzeptes der selbstorganisierten Kritikalität liefern dazu die notwendigen Bedingungen. Die Arbeit schließt mit einem Fazit und mit Denkanstößen für weitergehende Forschung zu diesem Thema.

2. Auf dem Weg zur Komplexitätsgesellschaft

„Wirtschaft und Gesellschaft aller Länder gehen durch eine der größten Transformationen, die es in der Geschichte je gab. Wir sind Zeitzeugen einer umwälzenden Transformation der Alten Welt, wie wir sie kennen, in eine Neue Welt des noch Unbekannten“ (Malik, 2015, S. 15). Fredmund Malik bezeichnet diesen Übergang von der alten in die neue Welt als „Grosse Transformation 21“.[3] Im Zuge dieser Transformation verändern sich die gesellschaftlichen Subsysteme wie die Wirtschaft, die Politik, die Wissenschaft, das Rechtssystem etc. grundlegend. Ausgehend von der These, dass die moderne Gesellschaft eine Organisationsgesellschaft ist, steht im Zusammenhang mit der „Grossen Transformation 21“ die Organisierbarkeit von Organisationen vor einem noch nie zuvor da gewesenen Wandel (Elbe & Peters, 2014; Malik, 2011, 2015). Anders ausgedrückt: „Was wir tun, wie wir es tun und warum wir es tun“ (Malik, 2011, S. 16), wird sich im Kontext der „Grossen Transformation 21“ radikal verändern.

Ein zentraler Treiber dieser „Grossen Transformation 21“ sind technologische und soziale Innovationen, die die Art und Weise wie wir uns organisieren, wie wir arbeiten und wie wir leben grundlegend verändern (Malik, 2015; Nagel & Wimmer 2015). Ein Paradebeispiel für derartige technologische disruptive Innovationen liefert „WhatsApp“. „Der Messenger-Dienst hat das SMS-Geschäft der etablierten Telekommunikationsunternehmen innerhalb kurzer Zeit weitgehend zerstört“ (Schumacher, 2016, S. 50). Weitere Beispiele für ähnliche Innovationen sind die Entwicklung des Smartphones, Google, die weltweite Vernetzung per Internet, Cloud-Computing, Online-Streaming u.v.m. Im Zusammenhang mit diesen Entwicklungen hat die Bedeutung von Wissen und Information für jeden Einzelnen und für Organisationen zugenommen. Malik drückt dies pointiert mit dem Satz: „Wissen bricht Geld und Information bricht Macht“ (Malik, 2015, S. 44) aus. Nur wer vor dem Hintergrund des Rauschens der Informationsflut die richtigen starken aber vor allem auch die schwachen Signale wahrnimmt, kann sich an aktuelle Veränderungen anpassen und sich zukunftsorientiert aufstellen (Bach & Künzi, 2015). Oder mit Gregory Bateson im Sinn: Es ist essenziell herauszufinden, welcher Unterschied einen Unterschied macht (Bateson, 1981). Problematisch für Organisationen ist, dass sie immer weniger Zeit haben, um herauszufinden, welcher Unterschied einen Unterschied macht. Die Verknappung der Ressource Zeit und damit einhergehend die Beschleunigung aller gesellschaftlichen Prozesse ist gleichzeitig ein Symptom und Treiber der „Grossen Transformation 21“ (Malik, 2015; Doppler & Lauterburg, 2008). So werden beispielsweise im Sekundentakt Milliardenbeträge an den Finanzmärkten verschoben und das Internet ermöglicht jedem Menschen und jeder Organisation den Zugriff auf Informationen und dies weitgehend unbegrenzt durch Zeit und Raum (Kruse, 2004).

Wie letztendlich die drei Treiber - technologische und soziale Innovationen, Bedeutungszunahme von Wissen und Informationen sowie die Verknappung der Ressource Zeit - miteinander zusammenhängen, bleibt dabei eine offene Frage deren Beantwortung womöglich in einen endlosen Regress führt und keinen Mehrwert für die weiteren Ausführungen bietet. Festzuhalten ist, dass jeder dieser drei Treiber die Spielregeln oder auch die Rahmenbedingungen der Gesellschaft auf seine eigene Art und Weise verändert und bereits veränderte. Die verbindende Gemeinsamkeit bei diesen Entwicklungen ist die explosionsartige Zunahme an Komplexität (Doppler & Lauterburg, 2008; Kruse, 2004; Malik, 2015). Der Weg in die neue Welt, um auf Malik zurückzukommen, kann demnach als Weg hin zur „Komplexitätsgesellschaft“ (Malik, 2015, S. 13) verstanden werden, wobei Malik unter Komplexität Vielfalt, im Sinne von einer Vielfalt der Zustände eines Systems einschließlich der Vielfalt der Elemente dieses Systems versteht (Malik, 2015). Voraussetzung für diese Vielfalt und somit auch für Komplexität ist nach Peter Kruse (2004) eine große Anzahl an Elementen innerhalb des Systems, die eine hohe Vernetzungsdichte oder auch Kopplungsdichte aufweisen, was letztendlich zu nichtlinearen Dynamiken innerhalb des Systems führt.

Anhand dieser Definition wird deutlich, dass sich die Komplexität durch die bereits erläuterten Treiber der „Grossen Transformation 21“ erhöht hat und weiter erhöhen wird. So haben vor allem technologische Innovationen im Bereich der Kommunikation und Datenverarbeitung zu einer dramatischen Erhöhung der Vernetzungsdichte geführt. Jeder kann rund um die Uhr und überall auf der Welt auf Daten und Informationen zugreifen und mit anderen Menschen in Verbindung treten. Die Anzahl der Menschen die miteinander interagieren hat sich dramatisch erhöht. Die Welt ist zu einem „globalen Dorf“ geworden (Doppler & Lauterburg, 2008). In diesem „globalen Dorf“, in dem ein Flügelschlag eines Schmetterlings auf der einen Seite der Welt einen Wirbelsturm auf der anderen Seite der Welt auslösen kann, denn je höher die Vernetzungsdichte in einem System, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von letztlich unvorhersehbaren Wirkungen und Rückwirkungen, wird die bisherige Organisierbarkeit von Organisationen zunehmend zur Disposition gestellt (Kruse, 2014). Wie eine Organisation mit dieser neuen, volatilen, unsicheren, mehrdeutigen und vor allem komplexen Welt umgeht, wird somit zum existenzentscheidenden Faktor. Die Bearbeitung der gestiegenen organisationsexternen Komplexität durch die Steigerung der organisationinternen Komplexität entfaltet, wie sich zeigen wird, eine Dynamik die dazu führt, dass Organisationen instabile aber auch zugleich optimale Zustände anstreben. Um diese Entwicklung zu erläutern, werden im nächsten Abschnitt die Wesensmerkmale einer Organisation aus systemtheoretisch-konstruktivistischer Perspektive und damit einhergehend Mechanismen der Komplexitätsbewältigung erläutert.

3. Ein systemtheoretisch-konstruktivistischer Zugang zur Organisation

Die Perspektiven, aus denen man Organisationen bewusst und oder unbewusst beschreibt, beeinflussen maßgeblich welche Aspekte einer Organisation die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und welche eher in den Hintergrund rücken (Simon, 2013b, 2015).[4] Wenn eine Organisation zum Beispiel als Organismus begriffen wird, hat dies andere Denk- und Handlungsweisen zur Folge, als wenn man die Organisation als Maschine, politisches System oder als Spiel begreift (Laloux, 2015; Morgan, 2008). In Anbetracht dieser Überlegungen, stellt die nun folgende systemtheoretisch-konstruktivistische Explikation einer Organisation nur einen von vielen möglichen Zugängen zur Organisation dar. Der Wert der daraus abgeleiteten Erklärungsmuster wird demnach nicht anhand absoluter Wahrheitskriterien, im Sinne von richtig oder falsch, sondern anhand - ganz im konstruktivistischen Sinne - der Viabilität der Erklärungen für den jeweiligen Beobachter bemessen (Wolf, Meissner & Wimmer, 2014).

Eine allgemeine und einheitliche Systemtheorie existiert nicht. Vielmehr gibt es eine Vielzahl systemtheoretischer Strömungen, wobei zumindest im deutschsprachigen Raum die soziologische Systemtheorie Niklas Luhmanns in der Regel die zentrale Referenz darstellt (Kühl, 2015; Simon, 2013b, 2015). Neben der soziologischen Systemtheorie berufen sich systemische Praktiker und Theoretiker unter anderem auf die „Kommunikationstheorien à la Paul Watzlawick, die systemische Familientherapie von Mara Selvini Palazzoli, den Sozialkonstruktivismus […] von Heinz von Foerster, die Psychoanalyse Sigmund Freuds oder naturwissenschaftliche Systemtheorien à la Humberto R. Maturana“ (Kühl, 2015, S. 108). Eine umfassende systemtheoretisch fundierte Beschreibung einer Organisation ist aufgrund dieser vielfältigen Strömungen und des begrenzten Umfangs der Arbeit nicht möglich. Aus diesem Grund werden im Folgenden die für die Konzeptübertragungen notwendigen organisationstheoretischen Annahmen kurz erläutert.[5]

3.1 Systemisches Denken und konstruktivistische Grundlagen

Nach dem zweiten Weltkrieg entstanden zahlreiche theoretische Ansätze, angefangen von der Kybernetik über die Kommunikationstheorie bis hin zur Komplexitätstheorie, welche als Gemeinsamkeit ein neues Verständnis von Kausalität verband. „An die Stelle geradlinig-kausaler Erklärungen [traten] zirkuläre Erklärungen und statt isolierter Objekte [wurden] die Relationen zwischen ihnen betrachtet“ (Simon, 2015, S. 13). Ein möglicher Treiber dieser Entwicklung war der mangelnde Erklärungsgehalt von Modellen in zahlreichen Wissenschaftsbereichen. So konnten beispielsweise klassische volkswirtschaftliche Modelle, welche vorrangig von linearen kausalen Beziehungen ausgingen und auf Gleichgewichtsüberlegungen fußten, die dynamischen wirtschaftlichen Entwicklungen nur bedingt beschreiben und erklären (Beinhocker, 2007). Ein ähnliches Defizit war auch bei der Beschreibung von Organisationen erkennbar. Missverständnisse, fehlerbehaftete Kommunikation oder irrationale Machtspiele konnten mit den klassischen Theorien nur unzureichend erklärt werden (Wolf, et al., 2014).

Damit einhergehend verschob sich das Erkenntnisinteresse im organisationswissenschaftlichen Bereich von den Elementen einer Organisation hin zu den Beziehungen der Elemente und den damit zusammenhängenden emergenten Phänomenen einer Organisation (Simon, 2013b, 2015). Nach diesem neuen Verständnis sind Organisationen aufgrund der zirkulären Prozesse, nicht nur mehr als die Summe der einzelnen Teile, sondern etwas qualitativ anderes als die Summe der Teile.[6] Oder mit Gregory Bateson im Sinn: „The patterns, which connect“ wurden relevant für die Beschreibung von Organisationen (Bateson, 1981, Malik 2015).

Eine zentrale Implikation der Verlagerung der Aufmerksamkeit hin zu zirkulären Prozessen und zu den „patterns wich connect“ ist, dass die Frage „was Ursache und was Wirkung ist, nicht [mehr] objektiv entscheidbar [ist]“(Simon, 2015, S. 15). Die Gliederung oder auch im kommunikationstheoretischen Sinne Interpunktion der zirkulären Prozesse durch den Beobachter, d. h. die Festlegung des Anfangs und des Endes, bestimmt die kausale Gestalt des zirkulären Prozesses (Watzlawick, Beavin & Jackson, 2001). Weitergedacht führen diese radikal konstruktivistischen Überlegungen zu der Erkenntnis, dass eine Organisation und was zu einer Organisation gehört, an sich auch nicht objektiv beschrieben werden kann. Vielmehr bestimmt der Beobachter was zur Organisation gehört und was nicht. Fundament all dieser Überlegungen ist, dass jede Wirklichkeitskonstruktion auf der Grundlage der kognitiven Selbstreferenz des Beobachters fußt. Die inneren Zustände des Beobachters, insbesondere die inneren Prozesse des Wahrnehmens und Erkennens, sind beim radikalen Konstruktivismus die wirklichkeitsschaffenden Tätigkeiten (von Glasersfeld, 1996). Heinz von Foerster bringt diese konstruktivistische Perspektive auf den Punkt: „Objektivität ist die Wahnvorstellung, Beobachtungen könnten ohne Beobachter gemacht werden“ (von Foerster & Poerksen, 1998, S. 154).

3.2 System-Umwelt Differenz und strukturelle Kopplung

Im Gegensatz zu der klassischen Teil-Ganzen-Logik, wonach das Ganze - die Organisation - aus einzelnen Teilen zusammengesetzt ist, basiert ein systemtheoretisches Organisationsverständnis auf einer System-Umwelt Differenz (Jung & Wimmer, 2014; Simon, 2013b, 2015, Wolf, et al., 2014). Organisationen werden vor diesem Hintergrund als ein „Erzeugungsmechanismus [konzipiert], bei dem sich das System gegenüber einer Umwelt auszudifferenzieren versteht, in dem für das System typische Operationen so miteinander verknüpft [werden], dass sich daraus fortlaufend das reproduziert, was wir als [Organisation] gewissermaßen in Differenz zur Umwelt beobachten können“ (Jung & Wimmer, 2014, S. 101).[7] Die Differenz zur Umwelt respektive die Aufrechterhaltung dieser Differenz sind demnach konstitutive Merkmale einer Organisation. Aus diesen Überlegungen folgt, dass für eine viable Organisationstheorie nicht nur die Organisation, sondern auch die relevanten Umwelten mit betrachtet werden müssen. Anders ausgedrückt: „Organisationen sind das, was sie sind, immer nur unter Berücksichtigung dessen, was sie nicht sind“ (Jung & Wimmer, 2014, S. 100).

Ausgehend von diesen Überlegungen stellt sich die Frage, wie Organisationen mit ihren relevanten Umwelten interagieren. Aus systemtheoretischer Perspektive besteht eine strukturelle Kopplung, verstanden als wechselseitige Irritation, zwischen Organisation und relevanter Umwelt. Dabei handelt es sich aufgrund der autopoietischen Natur der Organisation, welche im folgenden Abschnitt näher erläutert wird, um nicht instruktive Interaktionen, im Sinne von der bereits beschriebenen geradlinigen Ursache-Wirkung-Beziehungen, sondern um Irritationen, welche entsprechend der internen Struktur der Systeme verarbeitet werden. Grundlage der strukturellen Kopplung ist die Ausbildung von Erwartungsstrukturen im jeweiligen System, welche die Anschlussfähigkeit von Irritationen beeinflussen. Im Zuge der wechselseitigen Irritationen durchlaufen das System und die relevante Umwelt einen koevolutionären Prozess, so dass sich System und auch Umwelt permanent neu konstituieren müssen, um die strukturelle Kopplung aufrecht zu erhalten und um letztendlich zu überleben (Jung & Wimmer, 2014; Simon, 2013b, 2015; Wolf, et al., 2014). System und Umwelt stellen vor diesem Hintergrund eine Überlebenseinheit dar, denn die „Erhaltung der Autopoiese und die Erhaltung der Anpassung sind notwendige Bedingungen für die Existenz der [Systeme]“ (Maturana & Varela, 2012, S. 113).

3.3 Organisationen als autopoietische Systeme

Die Differenzbildung zwischen System und Umwelt basiert im Wesentlichen auf der Annahme, dass es sich bei lebenden Systemen um autopoietische Systeme handelt (Maturana & Varela, 2012). „Autopoietische Systeme sind definiert als selbstbezüglich […] operierende Systeme, die sich aufgrund des Netzwerks ihrer internen Prozesse als zusammengesetzte Einheiten konstituieren und gegen ihre Umwelt abgrenzen“ (Simon, 2013b, S. 24). Anders ausgedrückt: Autopoietische Systeme reproduzieren sich fortlaufend selbst, sie sind „sowohl Produzent als auch Produkt“ (Simon, 2013b, S. 24) und stellen dadurch kontinuierlich die Grenze zwischen System und Umwelt her. Niklas Luhmann übertrug das Konzept der Autopoiesis, welches erstmals von Humberto Maturana für biologische Systeme verwendet wurde, auf soziale Systeme wie die Interaktion, die Organisation und die Gesellschaft (Maturana & Varela, 2012; Simon, 2015).

Verbunden mit der Konzeptualisierung der Organisation als autopoietisches System sind die Phänomene der internen Strukturdeterminiertheit und der operationalen Geschlossenheit. Intern strukturdeterminierte Systeme „verhalten sich immer und ausschließlich aufgrund ihrer internen Strukturen und Prozesse“ (Simon, 2015, S. 53). Die Umwelt kann derartige Systeme nicht instruktiv beeinflussen sondern nur irritieren oder zerstören, was mit dem Ende der Autopoiesis gleichzusetzen ist (Simon, 2013b, 2015). Wie das System reagiert, hängt von der internen Struktur des Systems ab. Das zweite Phänomen, die operationale Schließung eines Systems, beschreibt den „Umstand, dass sich die Operationen eines Systems ausschließlich an den eigenen Operationen orientieren“ (Simon, 2015, S. 47).[8] Operationen schließen fortlaufend an eigene Operationen des Systems an, was für Organisationen bedeutet, dass Kommunikation an Kommunikation anschließt. Kommunikation kann dabei als Prozess der wechselseitigen Sinngebung zwischen mindestens zwei Personen verstanden werden. Sinngebung ist eine Selektion, bei der aus dem Möglichkeitsraum der Bedeutungen eine Möglichkeit ausgewählt wird.[9] Oder wie Luhmann es beschreibt: „Sinn lässt keine andere Wahl als zu wählen“ (Luhmann, zitiert nach Simon, 2013b, S. 20). Kommunikation koppelt und koordiniert nach dieser Definition zwei oder mehrere Akteure. Sie ist nichts anderes als das „Prozessieren von Selektion“ (Luhmann, zitiert nach Simon, 2013b, S. 20). Durch wiederholte Kommunikation und damit einhergehender Selektion entstehen und verfestigen sich Strukturen und soziale Realitäten. Luhmann definiert Struktur wie folgt: „Eine Struktur besteht also, was immer sie sonst sein mag, in der Einschränkung der im System zugelassenen Relationen“ (Luhmann, zitiert nach Simon, 2013b, S. 47). Diese verfestigten Strukturen bedingen wiederum die Kommunikation, indem sie Bedingungen für anschlussfähige Kommunikation beeinflussen.[10] Organisationen bestehen diesen systemtheoretischen Überlegungen folgend aus Kommunikationen und nicht aus ihren Mitgliedern, wobei berücksichtigt werden muss, dass Kommunikation nicht beobachtet sondern nur aus den Handlungen erschlossen werden kann. Die Mitglieder stellen nach dieser Konzeptualisierung strukturell gekoppelte Umwelten der Organisation dar (Simon, 2013b, 2015).

3.4 Organisationen und Komplexität

Ausgehend von den bisherigen Überlegungen soll nun der Frage nachgegangen werden, wie Organisationen bestimmte Zwecke für die Gesellschaft erfüllen.[11] Wie gelingt es Organisationen, Lösungen - angefangen von der Produktion von Konsumgütern bis hin zur Herstellung der inneren Sicherheit - für die unterschiedlichsten Problemstellungen der Menschen anzubieten? Ansatzpunkt für die Beantwortung der Frage liefert die spezifische Natur der Organisationen. Als autopoietische Systeme grenzen sich Organisationen von ihren Umwelten ab. Sie bilden, wie bereits angedeutet, durch Kommunikation bestimmte Strukturen und Prozesse aus, die wiederum die Anschlussfähigkeit von Kommunikation bedingen. Dies kann als Einschränkung der in der Organisation möglichen Kommunikationen und somit möglichen Relationen verstanden werden (Simon, 2013b). Dadurch werden bestimmte Aspekte, welche für den spezifischen Zweck der jeweiligen Organisation relevant sind, fokussiert und gleichzeitig andere ausgeblendet. Es werden - mit Gregory Bateson im Sinn - Unterscheidungen getroffen, die einen Unterschied machen (Bateson, 1981). So sind beispielsweise für die Produktion von Konsumgütern andere Aspekte relevant als für die Verabschiedung von Gesetzen (Wimmer & Jung, 2014). Durch diese Selektion sind Organisationen in der Lage bestimmte Funktionen respektive Lösungen für die Gesellschaft zu realisieren.[12] Im Zusammenhang mit den Erläuterungen zur Komplexität folgt aus diesen Gedanken zur funktionalen Differenzierung respektive zur Selektion, dass die besondere Natur der Organisation darin besteht, Komplexität zu reduzieren, da Relationen begrenzt werden.[13] Es existiert demzufolge ein Komplexitätsgefälle zwischen System - der Organisation - und Umwelt. Die Anzahl möglicher Relationen - im Sinne von anschlussfähigen Kommunikationen - der Umwelt ist dabei größer als die Anzahl der möglichen Relationen des Systems.[14] Durch dieses Komplexitätsgefälle wird demzufolge erst eine Situation geschaffen, die sinnvolles Handeln ermöglicht.

Vor dem Hintergrund der in Kapitel 2 beschriebenen explosionsartigen Zunahme an Komplexität ergibt sich die Frage, wie Organisationen auf diese Entwicklung reagieren bzw. wie sie die neuen Anforderungen der Komplexitätsgesellschaft bewältigen können. Eine mögliche Antwort darauf liefert das Gesetz der erforderlichen Varietät von Ross Ashby (1970). Demnach kann nur ein System mit hinreichender Eigenvarietät, die Varietät der Umwelt angemessen bearbeiten, wobei nach der Definition von Fredmund Malik (2015) Varietät ein Maß für Komplexität darstellt. Steigt demnach die Komplexität der Umwelt an, muss die Komplexität des Systems ebenfalls steigen, damit die strukturelle Kopplung zwischen beiden aufrechterhalten wird und das System, die Organisation, die entsprechenden Funktionen für die Gesellschaft bereitstellen kann. Die Erhöhung der internen Komplexität ist demzufolge notwendig, um die gestiegene externe Komplexität angemessen zu rekonstruieren und dadurch handlungsfähig zu bleiben. Beispiele für die Erhöhung der Komplexität in der Gesellschaft wurden bereits in Kapitel 2 aufgeführt. Auf Seiten der Organisation ist der Übergang von der standardisierten Massenproduktion à la Henry Ford hin zur Produktion kleiner individueller nach Kundenanforderungen ausgerichteter Produkte ein Paradebeispiel für den Anstieg interner Komplexität (Wolf, 2008). Um individuelle und nicht standardisierte Produkte herzustellen, sind andere und darüber hinaus weitaus vielfältigere Prozesse und Strukturen erforderlich, als es bei der Massenproduktion notwendig war. Spezialisierung, strukturelle Vielfalt und Differenzierung sind Symptome des internen Komplexitätsanstiegs (Dittes, 2012; Wimmer, 2012).

Als Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass Organisationen aus systemtheoretischer Perspektive als autopoietische Systeme begriffen werden können, deren Operationen Kommunikation sind und deren konstitutives Merkmal die Differenzbildung zwischen Organisation und Umwelt ist. Zwischen Organisation und Umwelt entwickelt sich im Zuge der Differenzbildung ein Komplexitätsgefälle, welches es der Organisation ermöglicht, spezifische Funktionen für die Gesellschaft zu realisieren. Aufgrund der durch die gesellschaftlichen Entwicklungen ansteigenden organisationsexternen Komplexität scheint die Maxime: „Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird!" (Foerster, zitiert nach Mohe, 2005, S. 47) zu dem handlungsleitenden Grundsatz für Organisationen zu avancieren, was gleichbedeutend mit einer Erhöhung der organisationsinternen Komplexität ist.

4. Selbstorganisierte Kritikalität

Seit der Entwicklung und Postulierung des Konzeptes der selbstorganisierten Kritikalität durch Per Bak, Chao Tang und Kurt Wiesenfeld (1987) wurde es in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Bereichen, wie der Biologie, der Psychologie, der Geologie, der Ökonomie oder der Physik rezipiert und weiterentwickelt (Kron, 2007; Möske, 2013; Sornette, 2003; Watkins, Pruessner, Chapman, Crosby & Jensen, 2016). Im Zuge dieser Entwicklungen entstanden diverse Definitionen des Konzeptes, was letztendlich dazu geführt hat, dass keine eineindeutige Bestimmung des Konzepts möglich ist (Frigg, 2003; Watkins, et al., 2016). Weitere Unschärfe in diesem Bereich entstand und entsteht durch die uneinheitliche Konzeptualisierung der selbstorganisierten Kritikalität (Frigg, 2003; Watkins, et al., 2016). So variieren beispielsweise die Meinungen, was Bedingungen und was Folgen selbstorganisierter Kritikalität sind, in Abhängigkeit vom jeweiligen wissenschaftlichen Kontext. Im Rahmen dieser Hausarbeit wird selbstorganisierte Kritikalität in Anlehnung an Bak et al. (1987) als eine Eigenschaft komplexer Systeme verstanden. Demnach entwickeln sich komplexe Systeme aus sich selbst heraus hin zu einem kritischen Zustand, an dem kleinste Irritationen einen Phasenübergang, verstanden als qualitative Änderung des Systems, auslösen können (Bak, 1987, Bak & Paczusiki, 1995). Diese Beschreibung der selbstorganisierten Kritikalität bietet den wesentlichen Vorteil, dass die Bedingungen und Folgen derartiger Systeme anhand des Bak-Tang-Wiesenfeld Sandhaufen Modells (BTW-Modell) veranschaulicht werden können. Zudem konnte bereits gezeigt werden, dass diese Definition ein tragfähiges Fundament ist, um soziale Systeme zu analysieren (Kron, 2007).

4.1 Das BTW-Sandhaufen-Modell

Ausgangspunkt bei dem BTW-Modell ist eine begrenzte Grundfläche, zum Beispiel eine Kreisfläche mit einem bestimmten Radius. Auf dieser Grundfläche rieselt kontinuierlich und langsam Sand, was zur Folge hat, dass ein Sandkegel entsteht. Durch kontinuierliche Zugabe von Sand erhöht sich die Steigung des Kegels bis zu einem maximalen Winkel, den sogenannten kritischen Winkel. Dieser kritische Winkel ist von diversen Faktoren, wie zum Beispiel der Größe der Grundfläche, der Granularität des Sandes, der Verzahnung des Sandes etc. abhängig. Hat die Steigung des Sandkegels den kritischen Winkel erreicht, befindet sich das System in einem kritischen Zustand. Durch weitere Hinzugabe von Sand entstehen vermehrt Kettenreaktionen, bei denen ein Sandkorn weitere Sandkörner anstößt, die wiederum weitere Sandkörner anstoßen usw. (Dittes, 2012; Watkins, et al., 2016). Bei diesen Kettenreaktionen handelt es sich demzufolge um Sandlawinen unterschiedlichster Größenordnungen. Durch diese Lawinen verringert sich die Steigung des Sandkegels. Wird weiterhin Sand hinzugegeben beginnt der Prozess erneut (Bak, 1987; Bak & Paczusiki, 1995). Das System oszilliert folglich zwischen einem unterkritischen und einem kritischen Systemzustand. Beim unterkritischen Zustand ist das System relativ stabil und berechenbar. Es ist in diesem Zustand gekennzeichnet durch die kontinuierliche Erhöhung der Steigung des Winkels und durch kleine Kettenreaktionen bzw. Sandlawinen. Im kritischen Zustand ist der Winkel des Systems gleich dem kritischen Winkel. Das Systemverhalten ist instabil und durch bestimmte emergente Phänomene gekennzeichnet, welche in Abschnitt 4.2 näher erläutert werden. Das Wesentliche beim BTW-Modell ist, dass der kritische Zustand ein Attraktor ist (Richter & Rost, 2004; Watkins, et al., 2016). Anders ausgedrückt: Das System strebt aufgrund der Selbstorganisationsprozesse des Systems wiederholt hin zum kritischen Zustand, an welchem kleinste quantitative Änderungen - das Hinzufügen von weiteren Sand - qualitative Systemänderungen - der Abgang von Lawinen unterschiedlichster Größenordnungen - auslösen können. Die Selbstorganisation kommt dabei in der Fähigkeit des Systems zum Ausdruck, ohne Fremdsteuerung, d. h. nur durch die Wechselwirkungen der Elemente des Systems, den kritischen Zustand anzustreben und spontan bestimmte räumliche und zeitliche Ordnungen bzw. Muster zu bilden. Im Falle des BTW-Modells sind die Lawinen eine Form der kollektiven Musterbildung. Eine Besonderheit dieser kollektiven Muster ist, dass sie nicht auf das Verhalten bzw. die Eigenschaften der einzelnen Systemelemente zurückgeführt werden können. Sie sind emergent (Bak et al., 1987; Bak & Paczusiki, 1995; Watkins, et al., 2016).

Die Kritikalität von Systemen ist an bestimmte Bedingungen geknüpft. Das System muss aus Elementen zusammengesetzt sein und diese müssen miteinander in Wechselwirkung stehen respektive korrelieren (Dittes, 2012). Die spezifische Struktur des Systems bestimmt, welche Elemente korrelieren, d. h. eine Korrelation aller Elemente miteinander ist nicht notwendig für selbstorgansierte Kritikalität (Bak et al., 1987; Dittes, 2012; Möske, 2013). So stehen beispielweise die Sandkörner beim BTW-Modell nur mit ihren direkten Nachbarn in Wechselwirkung. Ein Merkmal der Wechselwirkungen ist, dass sich die Anzahl und die Intensität, d. h. die Dichte der Kopplungen der Elemente ändern können. Umso mehr sich das System dem kritischen Punkt annähert, desto dichter werden die Wechselwirkungen (Dittes, 2012; Watkins, et al., 2016). So treten im unterkritischen Zustand durchaus auch Lawinen auf. Diese sind aufgrund der geringen Intensität der Wechselwirkungen allerdings meist kleine respektive moderate Lawinen. Im Gegensatz dazu sind die Wechselwirkungen im kritischen Zustand durch eine hohe Intensität gekennzeichnet, was wiederum eine Grundalge für große Lawinen darstellt. Bei der spezifischen Art der Wechselwirkung wird von Nichtlinearität ausgegangen. Nichtlineare Prozesse können positive Rückkopplungen in einem System auslösen, welche wiederum das Fundament für die Entwicklung hin zum kritischen Zustand sind (Kron, 2007). Die Entwicklungsfähigkeit des Systems impliziert zudem, dass das System, wenn es sich entwickelt, nicht im Gleichgewicht ist. Nur Systeme, die sich nicht im Gleichgewicht befinden, können einen neuen Zustand, im Falle des BTW-Modells den kritischen Zustand, anstreben (Richter & Rost, 2004; Watkins, et al., 2016). Eine weitere Voraussetzung der selbstorgansierten Kritikalität ist, dass das System energetisch offen ist. Das System nimmt Energie - im Falle des BTW-Modells der rieselnde Sand - aus der Umwelt auf. An diese Überlegung ist die letzte Voraussetzung, dass sich Systeme langsam hin zu einem kritischen Zustand entwickeln, gekoppelt (Bak et al., 1987; Bak & Paczusiki, 1995; Watkins, et al., 2016). Würde viel Sand auf einmal auf den Sandhaufen fallen gelassen, würde das System sofort einen chaotischen Zustand annehmen, welcher unberechenbar wäre.

Die Voraussetzungen kritikaler Systeme werden mit folgendem Satz von Watkins et al. plakativ zusammengefasst „[We] defining SOC as slowly driven, avalanching (intermittent) systems with non-linear interactions, that display non-trivial power law correlations (cutoff by the system size) as known from ordinary critical phenomena, but with internal, self-organized, rather than external tuning of a control parameter […]” (Watkins et al., 2016, S. 22).[15]

4.2 Implikationen selbstorganisierter Kritikalität

Systeme, die die Voraussetzungen der selbstorganisierten Kritikalität erfüllen, sind durch bestimmte Eigenschaften gekennzeichnet. Eine erste Eigenschaft kann aus der Analyse der Lawinen im BTW-Modell abgeleitet werden. Wenn das System im kritischen Zustand ist, können die Größe und der Zeitpunkt der Lawinen, aufgrund ihrer bereits angedeuteten emergenten Qualität, nicht prognostiziert werden (Bak et al., 1987).[16] Indes ist eine statistische Analyse des Zusammenhangs zwischen Häufigkeit und Größe der Lawinen möglich. Im Rahmen dieser statistischen Analyse wurde wiederholt festgestellt, dass der funktionale Zusammenhang im BTW-Modell mit einem Potenzgesetz beschrieben werden kann.[17] Die Häufigkeit von Lawinen ist, bei einer doppelt logarithmischen Darstellung des Potenzgesetzes, umgekehrt proportional zur Größe der Lawinen. Die Häufigkeit der Lawinen nimmt folglich mit ihrer Größe ab. Aus diesem Zusammenhang folgt: „Alle Lawinen von den Kleinsten, aus wenigen Sandkörnern bestehenden, bis hin zu den Größten, sich über den ganzen Hang erstreckenden, gehorchen dem gleichen Gesetz“ (Richter & Rost, 2004, S. 50). Das zugrunde liegende Potenzgesetz ist skaleninvariant, d. h. unabhängig von irgendeiner Größenordnung der Skala.[18] Es ist demzufolge das Fundament für jedwedes Systemverhalten. Ähnliche Potenzgesetze wurden auch in anderen Kontexten, wie zum Beispiel bei Aktienkurseinbrüchen an Finanzmärkten, bei der Stärke von Erdbeben oder bei der Verwendung von Wörtern in der Alltagssprache nachgewiesen (Dittes, 2012; Watkins, et al., 2016). Die Potenzgesetze sind demzufolge Phänomene, welche in jedem kritikalen System existieren (Bak et al., 1987; Bak & Paczusiki, 1995; Watkins, et al., 2016). Die Existenz von universellen Potenzgesetzen in kritikalen Systemen hat verschiedene Implikationen. So folgt aus ihrer Existenz die bereits angedeutete Unberechenbarkeit kritikaler Systeme. Große als auch kleine Lawinen können im BTW-Modell durch die gleiche Ursache, nämlich das Hinzufügen eines weiteren Sandkorns, ausgelöst werden. Vergleichbare Ursachen können, aufgrund der nichtlineareren Wechselwirkungen der Elemente, demnach völlig unterschiedliche Wirkungen nach sich ziehen (Dittes, 2012; Kron, 2007). Weiterhin folgt aus der Existenz von Potenzgesetzen, dass die Auftretenswahrscheinlichkeit von großen Lawinen größer ist, als bei einer reinen Zufallsverteilung der Lawinen. Die Wechselwirkungen respektive Korrelationen der Elemente des Systems und das damit einhergehende Potenzial von Kettenreaktionen im System sind die Ursache dafür (Dittes, 2012). Wären die Elemente unkorreliert, wäre die Größe der Lawinen, gemäß des zentralen Grenzwertsatzes der Statistik, mit einer Normalverteilung beschreibbar und große Lawinen wären weitaus seltener (Möske, 2013). Vor diesem Hintergrund sind Lawinen - mit Luhmann (2012) im Sinn - keine Anomalien, sondern ganz normale Unwahrscheinlichkeiten.

Eine weitere Implikation des Konzeptes der selbstorganisierten Kritikalität, wobei hier ebenfalls die Existenz der universellen Potenzgesetze das Fundament bildet, ist das Phänomen der Selbstähnlichkeit (Richter & Rost, 2004, S. 50; Watkins, et al., 2016). Unter dem Phänomen der Selbstähnlichkeit werden die Entwicklungen von ähnlichen räumlichen und zeitlichen Strukturen auf verschiedenen Skalen im System subsumiert. Aus physikalischer Perspektive entstehen selbstähnliche räumliche und zeitliche Strukturen aufgrund der wiederholten Anwendung einer Funktion auf die Elemente des Systems. Räumliche selbstähnliche Strukturen werden auch als Fraktale bezeichnet. Ein prominentes Beispiel selbstähnlicher räumlicher Strukturen in der Natur ist der Küstenverlauf Norwegens. Betrachtet man den Küstenverlauf auf Landkarten mit unterschiedlichen Maßstäben so wird deutlich, dass unabhängig vom Maßstab bestimmte Strukturen auf beinahe allen Skalen vorhanden sind (Richter & Rost, 2004). Weitere Beispiele selbstähnlicher räumlicher Strukturen in der Natur sind Wolken, Sanddünen, Baumrinden, Schneeflocken oder die Oberfläche des Sandhügels im BTW-Modells (Richter & Rost, 2004, S. 50; Watkins, et al., 2016).[19] Das Eins-über-f-Rauschen, welches ursprünglich von Bak et al. (1987) untersucht wurde, ist das klassische Beispiel für zeitliche selbstähnliche Strukturen. Die Autokorrelation von zeitlich verteilten Daten bildet die Grundalge für das Eins-über-f-Rauschen. Aufgrund der Autokorrelationen manifestieren sich selbstähnliche zeitliche Muster, die zwischen reinen Zufallsschwankungen und gleichmäßigen periodischen Schwankungen liegen. Beispielsweise können bei Tagesdaten von Aktienkursen im Zuge einer Krise exponentielle Muster, die von periodischen Schwingungen überlagert werden, entdeckt werden. Ähnliche Muster können bei der Analyse von Wochen- oder Monatsdaten entdeckt werden (Möske, 2013; Sornette, 2003). Das heißt, dass unabhängig von der gewählten Zeitskala ähnliche zeitliche Strukturen im System entdeckt werden können. Im Zusammenhang mit der zeitlichen Strukturbildung auf allen Skalen konnte zudem nachgewiesen werden, dass kritikale Systeme über ein Langzeitgedächtnis verfügen. Neben kurzreichweitigen Autokorrelationen auf kleinen Zeitskalen existieren langreichweitige Autokorrelationen die das Systemverhalten über einen gewissen Zeitraum prägen. Große Lawinen im BTW-Modell beeinflussen demnach nachhaltig die weitere Entwicklung des Systems. Das System hat demzufolge eine Geschichte, welche maßgeblich das Systemverhalten in der Gegenwart prägt (Dittes, 2012). Selbstähnliche räumliche und zeitliche Strukturen sind keine statischen Strukturen sondern verändern sich im Zuge der Entwicklung des Systems. Kritikale Systeme bilden, wenn sie den kritischen Zustand erreicht haben, die vielfältigsten räumlichen und zeitlichen Strukturen auf allen Skalen aus. Der Grund dafür ist, dass im kritischen Zustand das Potenzgesetz für alle Skalen gilt. Durch die Ausbildung der vielfältigen räumlichen und zeitlichen Strukturen werden die Funktionalität und die Flexibilität verbessert, was wiederum dazu führt, dass das Systemverhalten im kritischen Zustand am optimalsten ist (Dittes, 2012; Richter & Rost, 2004, S. 50; Watkins, et al., 2016). Diese Überlegung steht im Einklang mit dem in Abschnitt 3.4 beschriebenen Gesetz der erforderlichen Varietät von Ross Ashby. Je vielfältiger die räumlichen und zeitlichen Strukturen im System sind, desto mehr Handlungsmöglichkeiten hat das System und desto besser kann das System auf die vielfältigen Anforderungen aus der Umwelt reagieren.

5. Organisationen und selbstorganisierte Kritikalität

Die Frage die es nun zu beantworten gilt lautete: Erfüllen Organisationen, wenn man sie aus einer systemtheoretisch-konstruktivistischen Perspektive beschreibt, die Bedingungen kritikaler Systeme und falls ja, welche Folgerungen können daraus für Organisationen abgeleitet werden?

5.1 Sind Organisationen kritikale Systeme?

Kritikale Systeme sind aus einer Vielzahl von Elementen zusammengesetzt die miteinander interagieren, wobei die Interaktionen eine nichtlineare Qualität besitzen. Diese Auffassung steht im Lichte der klassischen Teil-Ganzen Logik, wonach ein Ganzes aus mehreren Teilen zusammengesetzt ist.[20] Das systemtheoretische Organisationsverständnis basiert dagegen auf einer System-Umwelt-Differenz, wobei die Annahme, Organisationen sind autopoietische Systeme, das Fundament für die System-Umwelt-Differenz ist. Organisationen haben vor diesem Hintergrund einen prozesshaften Charakter. Sie sind das Ergebnis der Aneinanderreihungen von Kommunikationen, oder wie Karl Weick es zugespitzt ausdrückt: „Das Wort Organisation ist ein Substantiv, und es ist außerdem ein Mythos. Wenn Sie nach einer Organisation suchen, werden Sie sie nicht finden. Was Sie finden werden, ist, dass miteinander verbundene Ereignisse vorliegen, die durch Betonwände hindurchsickern“ (Weick, 1985, S.129). Demzufolge bestehen Organisationen nicht aus räumlichen Elementen, wie es die Sandkörner im BTW-Modell sind, sondern aus zeitlich aufeinander bezogenen Ereignissen. Die erste Voraussetzung kritikaler Systeme ist demnach nur bedingt erfüllt. Die Existenz von Organisationen ist an die Anschlussnotwendigkeit der Kommunikation geknüpft. Damit Kommunikation an Kommunikation anschließen kann, muss Kommunikation sich auf Kommunikation beziehen können, d. h. es muss ein Zusammenhang respektive eine Form der Interaktion oder auch Kopplung existieren (Simon, 2013b). In sozialen Systemen wie Organisationen wird die Anschlussfähigkeit von Kommunikation durch die Ausbildung von Erwartungsstrukturen und Erwartungserwartungen ermöglicht.[21] Die zweite Voraussetzung kritikaler Systeme ist dementsprechend erfüllt. Bei dem Kommunikationsprozess handelt es sich um einen zirkulären Prozess. Die Interpunktion des zirkulären Prozesses durch den Beobachter bestimmt die kausale Gestalt (Watzlawick et al., 2001). Der Kommunikationsprozess ist aus dieser Perspektive ein ergebnisoffener und selbstgesteuerter Prozess, da auch immer eine andere Interpunktion denkbar wäre. Kommunikation basiert demzufolge nicht auf einer linearen Ursache-Wirkungslogik. Anders formuliert: Niemand „kann einseitig festlegen, wie sein eigenes Verhalten von anderen verstanden wird“ (Simon, 2013b, S. 2). Die eingangs geforderten Voraussetzungen kritikaler Systeme - Wechselwirkung der Elemente und Nicht-Linearität der Wechselwirkungen - sind somit erfüllt.

Organisationen müssen sich verändern können. Dies folgt aus den Überlegungen zur strukturellen Kopplung von Organisation und Umwelt. Da Organisation und relevante Umwelten als Überlebenseinheit verstanden werden, d. h. dass ihre jeweilige Existenz an die Aufrechterhaltung der strukturellen Kopplung geknüpft ist, folgt daraus, dass die Organisation sich an Umweltänderungen anpassen muss, um zu überleben (Maturana & Varela; 2012). Eine prinzipielle Entwicklungsfähigkeit des Systems ist die notwendige Voraussetzung dafür.

Aus systemtheoretischer Perspektive handelt es sich bei Organisationen um operationale geschlossene Systeme. Dennoch benötigen derartige Systeme Impulse aus den relevanten Umwelten, die sie gemäß ihrer internen Struktur verarbeiten, um zu überleben. Ohne Impulse, welche im einfachsten Sinne als aus Daten generierte Informationen verstanden werden können, die im Zuge des Kommunikationsprozesses in der Organisation verarbeitet werden, kann die strukturelle Kopplung an die Umwelten nicht aufrechterhalten werden, was wiederum das Ende der Organisation bedeuten würde (Simon, 2013b, 2015).[22] Heinz von Foerster bringt die Notwendigkeit der energetischen Offenheit exemplarisch anhand biologischer Systeme auf den Punkt: „[Wenn] wir um eine Katze oder um eine Maus eine energetisch undurchdringliche Hülle legen, so wird das, was innerhalb dieser Hülle sich befindet, nicht lange Katze oder Maus bleiben. Das heißt, dass das Konzept eines […] abgeschlossenen Systems hier nicht brauchbar [ist] und man daher zu dem eines [….] offenen Systems übergehen muss“ (von Foerster, zitiert nach Simon, 2015, S. 31). Demzufolge können Organisationen als operational geschlossene Systeme verstanden werden, die energetisch offen sind.

Organisationen können kontinuierlich langsame Entwicklungen als auch diskontinuierliche schnelle Entwicklungen durchlaufen (Erhardt & Zimmermann, 2015). Grundsätzlich wird die Geschwindigkeit von Entwicklungen von den Eigenarten des jeweiligen Systems respektive der System-Umwelt Beziehung beeinflusst (von der Reith & Wimmer, 2014). Diese Bedingung kritikaler Systeme ist demzufolge ebenfalls erfüllt.

Abschließend kann festgehalten werden, dass Organisationen, wenn man sie aus systemtheoretischer Perspektive betrachtet, fast alle Bedingungen kritikaler Systeme erfüllen. Demzufolge müssten die Gesetzmäßigkeiten, welche für kritikale Systeme gelten, auch für Organisationen Gültigkeit besitzen, wenn auch eine eins zu eins Übertragung aufgrund der verschiedenartigen Qualität von sozialen und physikalischen Systemen nicht möglich ist. In welcher Gestalt sich die Gesetzmäßigkeiten in Organisationen wiederfinden lassen, wird im folgenden Abschnitt erläutert.

5.2 Konsequenzen für das Verständnis von Organisationen

Begreift man Organisationen als Systeme, welche die Bedingungen des Konzeptes der selbstorganisierten Kritikalität erfüllen, resultieren daraus einige interessante Konsequenzen. Ausgehend von den Erörterungen in Abschnitt 4.2. müsste in Organisationen ein universelles und allgemeingültiges Potenzgesetz existieren, welches das Verhalten der gesamten Organisation auf allen Ebenen bestimmt. Gesetzmäßigkeiten in Organisationen zu beobachten und empirisch zu belegen, gestaltet sich vor dem Hintergrund, dass es sich bei Organisationen um soziale Systeme handelt, welche aus Kommunikationen bestehen, als ein schwieriges Vorhaben. Das zentrale Problem dabei ist, dass Kommunikation, so Luhmann, nicht direkt beobachtet werden, sondern nur durch das Handeln der Akteure erschlossen werden kann (Simon, 2013b, 2015). Für die Analyse der Organisation bietet sich daher das Handlungssystem der Organisation an, welches als ein Indikator für das Kommunikationssystem begriffen werden kann. Anders formuliert: „Um beobachtet werden oder um sich selbst beobachten zu können, muss ein Kommunikationssystems deshalb als Handlungssystem ausgeflaggt werden“ (Luhmann, zitiert nach Simon, 2013b, S. 21). Aus der Analyse des Handlungssystems ergibt sich das Folgeproblem, dass Handlungen Alltagsphänomene der Organisation sind.[23] Handlungsmuster, insbesondere Häufigkeit und Intensität, können nur eingeschränkt ausgewertet werden. Um dennoch kritikale Phänomene der Organisation zu rekonstruieren und dadurch universelle Gesetzmäßigkeiten aufzuspüren, bietet sich die Betrachtung von Handlungsketten an, welche Parallelen zu den Kettenreaktionen der Elemente im BTW-Modell aufweisen. Handlungsketten, verstanden als die Verzahnung von Handlungen, um ein bestimmtes übergeordnetes Ziel zu erreichen, sind unter anderem bei Prozessen des organisationalen Wandels zu beobachten. So werden beispielsweise mehrere Handlungen verzahnt bzw. aufeinander abgestimmt, um kurzfristige Verbesserungen oder tiefgreifende Transformationen zu realisieren. Prozesse des organisationalen Wandels, also nicht intentionale oder intentionale Veränderungen wie zum Beispiel einfache Optimierungen oder tiefgreifende Transformationen, können hinsichtlich ihrer Häufigkeit und ihrer Intensität ausgewertet werden (von der Reith & Wimmer, 2014).[24] So kann beispielsweise die Tiefe des anvisierten Wandels, welche zum Ausdruck bringt ob im bestehenden Rahmen optimiert wird oder ob Strukturen, mentale Modelle, Prozesse, die Kultur oder die Grundausrichtung der Organisation zur Disposition stehen, als Maßstab für die Intensität dienen (Erhardt & Zimmermann, 2015). Vor diesem Hintergrund scheinen Veränderungen, verstanden als verzahnte Handlungen, Gemeinsamkeiten mit den in Abschnitt 4.1. beschriebenen Lawinen zu haben. So gehören oberflächliche Veränderungen, d. h. die Verkettung einiger weniger Handlungen, welche als Analogien zu den kleinen Sandlawinen im BTW-Modell begriffen werden können, zum Tagesgeschäft einer Organisation. Tiefgreifende Transformationsprozesse – große Sandlawinen im BTW-Modell – stellen demgegenüber die Ausnahme dar. Es scheint so, als können die Prozesse des organisationalen Wandels ebenfalls mit einer Funktion beschrieben werden, wobei die genaue funktionale Form, falls dies überhaupt in sozialen Systemen möglich ist, noch zu bestimmen ist. Angenommen, es handle sich bei dem funktionalen Zusammenhang um ein Potenzgesetz, resultiert daraus, dass kleine als auch große Veränderungsprozesse durch die gleiche Ursache ausgelöst werden können. Im organisationalen Kontext wäre dies eine Information die einen Unterschied ausmacht (Wolf & Hilse, 2014). Diese eine Information kann dazu führen, dass ganze Geschäftsmodelle auf den Kopf gestellt werden oder das lediglich kleine Veränderungen stattfinden. Die Wirkung dieser Information ist demzufolge unberechenbar. Für Organisationen bedeutet dies, dass Unberechenbarkeit zum Alltagsgeschäft gehört. Jeder Zeit kann eine kleine Information die Organisation vor nicht absehbare Herausforderungen stellen und sogar die Existenz der Organisation bedrohen. Zudem ergibt sich aus der Annahme, der funktionale Zusammenhang sei ein Potenzgesetz, das tiefgreifende Veränderungen keine seltenen Ereignisse oder Anomalien sind, sondern ganz normale Unwahrscheinlichkeiten. Mit ihnen ist daher stets zu rechnen und die Gestaltung derartiger Prozesse wird zum existenzentscheidenden Faktor für Organisationen. Dass das Gestalten von Prozessen der Veränderungen in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat, ist ein Beleg für diese Behauptung (Doppler & Lauterburg, 2008; Wimmer, 2012).

Des Weiteren existieren Indizien dafür, dass selbstähnliche Phänomene in Organisationen vorkommen. Die folgende Rekonstruktion selbstähnlicher Phänomene basiert auf der Überlegung, dass es in unterschiedlichen Organisationen unterschiedliche Kommunikationssysteme gibt, d. h. das nicht jede Kommunikation in jeder Organisation anschlussfähig ist.[25] So ist beispielsweise davon auszugehen, dass das Kommunikationssystem einer hierarchisch strukturierten militärischen Organisation eine andere Qualität hat, als das Kommunikationssystem einer netzwerkförmigen Organisation aus dem IT-Sektor, da für die militärische Organisation andere Daten respektive Informationen relevant für deren Existenz sind. Selbiger Ausschluss von bestimmten Kommunikationen müsste auch für unterschiedliche Subsysteme einer Organisation gültig sein. So sind beispielsweise Personalabteilungen von Organisationen das was sie sind, weil in ihnen nur bestimmte Kommunikation anschlussfähig ist. Nur dadurch ist es möglich, dass sie einen bestimmten Nutzen für die Organisationen stiften. Betrachtet man diese Überlegungen zur Unterschiedlichkeit von Systemen im Zusammenhang mit der bereits angedeuteten Wechselwirkung von Kommunikation und Erwartungsstrukturen folgen daraus einige interessante Implikationen.

Ähnliche Erwartungsstrukturen müssten sich auf unterschiedlichen Ebenen einer Organisation zeigen. Dies folgt zum einen aus der Annahme, dass ähnliche Erwartungsstrukturen, bei zum Beispiel unterschiedlichen Abteilungen einer Organisation, die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Kommunikation zwischen den Abteilungen anschlussfähig ist. Durch die Kopplung von Elementen einer Organisation bilden sich demnach ähnliche Erwartungsstrukturen aus. Diese ähnlichen Erwartungsstrukturen begünstigen letztendlich die Fortsetzung der Kommunikation und somit den Fortbestand der gesamten Organisation. Zum anderen ist es durchaus denkbar, das ähnliche Kommunikationsformen und Erwartungsstrukturen mediert über die Kultur der Organisation, sich in unterschiedlichen Bereichen der Organisation manifestieren.[26] Gerade die Kultur einer Organisation beeinflusst maßgeblich über die Vorgabe von Erwartungsstrukturen, welche Kommunikation anschlussfähig ist und welche nicht (Simon, 2015). Dabei „entsteht, entwickelt oder verfestigt sich [die Kultur] nicht durch die Handlungen Einzelner, sondern durch die fortlaufend aufeinander bezogenen dynamischen Handlungsverläufe“ (Baitsch & Nagel, 2014, S. 272). Die Kultur und das Handlungssystem respektive Kommunikationssystem sind demnach aneinander gekoppelt und durchlaufen einen koevolutionären Prozess. So kann beispielsweise das wiederholte Scheitern von großen Transformationsprozessen – vergleichbar mit großen Sandlawinen im BTW-Modell – Spuren im Gedächtnis der Organisation hinterlassen und sich auf die Organisationskultur auswirken. Die Erwartungsstrukturen könnten dahingehend beeinflusst werden, dass zukünftige ähnliche Transformationsprojekte ebenfalls scheitern, da diese nicht anschlussfähig sind. Die Organisation besitzt demzufolge ein Langzeitgedächtnis, vergleichbar mit den langreichweitigen Autokorrelationen in kritikalen physikalischen Systemen.

Aus der beschriebene Existenz selbstähnlicher Phänomene, verstanden als ähnliche Erwartungsstrukturen in allen Subsystemen der Organisation, folgt zum einen, dass bei Veränderungsprojekten die Geschichte der Organisation bzw. ehemalige Veränderungsvorhaben mit einbezogen werden müssen. Aus den Ausführungen zu kritikalen Systemen ergibt sich für die Organisationen: Je größer ein Veränderungsprojekt desto länger bleibt es im Gedächtnis der Organisation und desto stärker beeinflusst es zukünftige Projekte. Zum anderen folgt aus der Existenz selbstähnlicher Phänomene, dass Erwartungsstrukturen respektive das Kommunikationssystem dynamische Konstrukte sind. Sie können sich entwickeln. Diese Entwicklungsfähigkeit hat weitreichende Konsequenzen für die Organisation, vor allem wenn man sie im Zusammenhang mit der bedeutendsten Implikation analysiert, welche aus der Konzeptübertragung der selbstorganisierten Kritikalität auf Organisation folgt.

Die zentrale Konsequenz, die aus der Konzeptübertragung folgt, ist, dass sich Organisationen selbstorganisiert hin zu einem kritischen Zustand entwickeln. Der kritische Zustand ist für die Organisation gleichermaßen der optimalste als auch der denkbar instabilste Zustand, den sie erreichen kann (Bak et al., 1987; Dittes, 2012). So bilden sich im Zuge der Entwicklung hin zum kritischen Zustand immer vielfältigere und differenziertere Erwartungsstrukturen aus, d. h. die Beschränkungen der in der Organisation möglichen Kommunikationen und somit möglichen Relationen werden abgebaut. Dadurch hat die Organisation mehr Möglichkeiten, um auf die komplexe Umwelt adäquat zu reagieren, respektive die strukturelle Kopplung an die Umwelt aufrechtzuerhalten. Die in Kapitel 2 beschriebene gestiegene externe Komplexität wird demnach durch die Erhöhung der internen Komplexität bearbeitbar gemacht. Symptome, die diese zunehmende Ausdifferenzierung in zahlreichen Organisationen in den vergangenen Jahren belegen, sind zum Beispiel die Entwicklung neuer, differenzierterer und vor allem flexiblerer Organisationsstrukturen, wie zum Beispiel der Holokratie, der fraktalen Organisation oder der netzwerkförmigen Organisation (Eppler, 2015; Laloux, 2015). Andererseits ist der kritische Zustand der denkbar instabilste Zustand, da einzelne Informationen Kettenreaktionen in der Organisation auslösen können, welche die ganze Organisation gefährden können. Dies ergibt sich aus dem Sachverhalt, dass gerade im kritischen Zustand die Beziehungen respektive die Wechselwirkungen in der Organisation aufgrund der differenzierten und vielfältigen Strukturen am dichtesten und intensivsten sind. Die interne Komplexität, d. h. die Wahrscheinlichkeit, dass Kommunikation anschlussfähig ist, ist an diesem Punkt größtmöglich. Gleichsam ist die Wahrscheinlichkeit großer Kettenreaktionen im kritischen Zustand am größten. Eine weitere Erhöhung der internen Komplexität ist vor dem Hintergrund, dass eine Organisation eine bestimmte minimale Ordnung benötigt um handlungsfähig zu sein, nicht denkbar. Würde die interne Komplexität weiter ansteigen, wäre diese nicht mehr bearbeitbar und die Organisation würde einen überkritischen respektive chaotischen Zustand erreichen. In dem chaotischen Zustand kann die Organisation aufgrund der fehlenden Ordnung und Struktur die strukturelle Kopplung an die relevanten Umwelten nicht mehr aufrechterhalten. Das Ende der Autopoiesis der Organisation wäre die Folge. Demzufolge ist der kritische Zustand oder auch der „Edge of Chaos“ (Dittes, 2012, S. 97) als ein Attraktor zu begreifen, den die Organisation stets anstrebt, damit sie bestmöglich die externe Komplexität bearbeiten kann, unter der Restrektion das die Organisation ihre Autopoiesis gerade noch aufrechterhalten kann. „Im Wettstreit werden sich Systeme daher bemühen, so schnell wie möglich zu wachsen, ihre Komplexität also maximal auszubauen, aber gleichzeitig versuchen stabil zu bleiben“ (Dittes, 2012, S. 98).

6. Fazit und Ausblick

Im Rahmen dieser Hausarbeit wurde gezeigt, dass das Konzept der selbstorganisierten Kritikalität auf Organisationen übertragbar ist. Organisationen erfüllen fast alle Bedingungen kritikaler Systeme. Für Organisationen folgt daraus, dass sie als Systeme begriffen werden können, die sich aus sich selbst heraus hin zu einem kritischen Zustand entwickeln, welcher instabil aber zugleich auch optimal bezogen auf die Funktionalität der Organisation ist. Diese Entwicklung kann weder verhindert noch eingedämmt werden, da die Eigenschaften der Organisation selbst diese Entwicklung hervorrufen. Fraglich ist zudem, ob Maßnahmen die die Entwicklung unterbinden sollen, sinnvoll wären, da der kritische Zustand der optimalste Zustand ist. Vielmehr kommt es für die Organisation drauf an, mit und nicht gegen die Konsequenzen dieser Entwicklung zu arbeiten. Komplexe Wechselwirkungen, Kettenreaktionen, ähnliche Erwartungsstrukturen und unberechenbare Ereignisse sind Phänomene, die die Organisation für sich nutzbar machen muss. Anders ausgedrückt: Es geht „eben um „Harnessing Complexity“, um den Versuch, die Komplexität […] für sich einzuspannen, auch wenn es unmöglich ist, diese völlig zu kontrollieren“ (Kron, 2007, S. 26).

Darüber hinaus ist deutlich geworden, dass die aus dem Konzept der selbstorganisierten Kritikalität abgeleiteten Phänomene, wie zum Beispiel ähnliche Erwartungsstrukturen, das Potenzial für weitergehende Forschung haben. So erscheint beispielsweise die Frage interessant, wie sich eine Organisation organisieren muss damit sie auf tiefgreifende, jederzeit mögliche Veränderungen bestmöglich vorbereitet ist? In diesem Zusammenhang kann zudem untersucht werden, welche Strukturen eine Organisation aufbauen kann, um frühzeitig schwache Signale wahrzunehmen, welche signalisieren, dass sie sich im kritischen Zustand befindet (Bach & Künzi, 2015)? Der potenzielle Nutzen von selbstähnlichen Erwartungsstrukturen scheint ebenfalls ein lohnenswertes Forschungsthema zu sein. Neben diesen drei exemplarischen Fragestellungen sind sicherlich noch zahlreiche weitere Fragestellungen aus dem Konzept der selbstorgansierten Kritikalität ableitbar, welche für das Verständnis von Organisationen einen Mehrwert bieten.

Die eingangs formulierte Frage, warum Veränderungen insbesondere tiefgreifende Veränderungen in Organisationen keine seltenen Ereignisse darstellen, kann abschließend unter Rückbezug auf die Theorie der selbstorganisierten Kritikalität beantwortet werden. Tiefgreifende Veränderungen sind aufgrund der hohen organisationsinternen Komplexität im kritischen Zustand, welche notwendig ist um die externe Komplexität zu bearbeiten, sehr wahrscheinlich. Da der kritische Zustand zudem ein Attraktor für Organisationen darstellt, folgt daraus, dass wiederholt Situationen auftreten, an dem tiefgreifende Veränderungen durch kleinste Irritationen ausgelöst werden können. Dadurch werden tiefgreifende Veränderungen zu ganz normalen Unwahrscheinlichkeiten, welche die Entwicklung einer Organisation nachhaltig prägen.

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Anhang

Abbildung 1

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In Abbildung 1 ist ein Sequenzdiagramm einer Interaktion zwischen zwei Personen dargestellt. Personen haben Erwartungen bezogen auf das Verhalten anderer Menschen. Diese Erwartungen sind an Positionen oder auch an spezifische Rollen innerhalb von Organisationen geknüpft. Fritz Simon definiert Rollen als „ein Bündel charakteristischer Verhaltenserwartungen“ (Simon, 2013b, S. 44). Erwartungen führen, da sie Möglichkeiten respektive Relationen der Kommunikation beschränken, zur Reduktion von Komplexität. Durch die Wechselwirkung von Person und Situation und den damit verbundenen Erwartungen zeigt eine Person ein bestimmtes Verhalten, dargestellt als V in der Abbildung 1. Dieses Verhalten wird von anderen Personen wahrgenommen und es erfolgt eine Sinngebung. Sinngebung ist eine Deutung des Verhaltens der anderen Personen vor der aktuellen Situation. Die Sinngebung ist an die wahrnehmende Person gebunden. Sie legt fest, welche Bedeutung und welchen Sinn sie dem Verhalten des Gegenübers zuschreibt. Sinngebung ist eine Selektion. Anhand des zugeschriebenen Sinnes erfolgt eine Anpassung (A in der Abbildung 1) des eigenen Verhaltens und der eigenen Erwartungen. Es bilden sich Erwartungsstrukturen sowie Erwartungen über Erwartungen, die sogenannten Erwartungserwartungen. Dem eigenen Verhalten wird wiederum vom Gegenüber eine Bedeutung zugeschrieben. Der Prozess der wechselseitigen Sinnzuschreibung, einschließlich der Selektion, wird als Kommunikationsprozess bezeichnet. Kommunikation koppelt und koordiniert nach dieser Definition zwei oder mehrere Akteure. Demzufolge entstehen und verfestigen sich, durch Kommunikation und damit einhergehender Selektion, Strukturen, welche wiederum die Möglichkeiten der Kommunikation bedingen.

Abbildung 2

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In Abbildung 2 ist der Zusammenhang zwischen Lawinenanzahl N(s) und Lawinengröße S dargestellt (Richter & Rost, 2004, S. 49). Der funktionale Zusammenhang kann mit einem Potenzgesetz beschrieben werden. Aufgrund der Logarithmierung beider Größen kann das Potenzgesetz als Gerade abgebildet werden. Die Lawinenanzahl ist demnach umgekehrt proportional zur Lawinengröße.

Tabelle 1

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[...]


[1] ) Anmerkung: Dem deutschen Sprachgebrauch folgend und wegen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Hausarbeit die männliche Schreibweise gebraucht – die jeweilige weibliche Form ist gleichberechtigt damit eingeschlossen und gemeint.

[2] ) Im Folgenden wird unter einem kritikalen System ein System verstanden, welches die Bedingungen des Konzeptes der selbstorganisierten Kritikalität erfüllt.

[3] ) Andere Autoren wie beispielsweise Nagel und Wimmer (2015), Beacker (2007) oder Laloux (2015) bezeichnen den Übergang in die neue Welt bzw. die neue Welt an sich mit Begriffen wie „Next Society“ oder „integrales evolutionäres Paradigma“. Die Kernaussagen dieser Konzepte sind größtenteils deckungsgleich mit den Aussagen des Konzeptes der „Grossen Transformation 21“. Aus diesem Grund werden die aktuellen Veränderungen exemplarisch anhand des Konzeptes der „Grossen Transformation 21“ dargestellt und erläutert. Für weiterführende Informationen sei auf die genannten Autoren verwiesen.

[4] ) Der Begriff Organisation stammt von dem griechischen Wort organon ab, was so viel bedeutet wie Werkzeug oder Instrument (Simon, 2013b).

[5] ) Für weiterführende Informationen sei auf die in den jeweiligen Abschnitten genannten Autoren verwiesen.

[6] ) Die Definition der Elemente genauer gesagt der Operationen der Organisation erfolgt im Abschnitt 3.3.

[7] ) Im Folgenden ist mit dem Begriff System ein soziales System gemeint. Sollte es sich um andere Systeme, wie biologische oder psychische Systeme handeln, wird an der entsprechenden Stelle darauf verwiesen.

[8] ) Aus der operationalen Geschlossenheit ergibt sich die Frage, wie ein System die Umwelt wahrnehmen kann bzw. erkennen kann. Aufgrund des begrenzten Umfangs der Hausarbeit und des begrenzten Nutzens dieser Explikation wird dies nicht weiter erläutert. Eine Beantwortung der Frage findet sich bei Fritz B. Simon (2015).

[9] ) Im Falle der Kommunikation findet eine dreifache Selektion statt. Kommunikation „kommt zustande durch eine Synthese von drei verschiedenen Selektionen – nämlich Selektion einer Information, Selektion der Mitteilung dieser Information und selektives Verstehen oder Missverstehen dieser Mitteilung und ihrer Information (Luhmann, zitiert nach Simon, 2015, S. 93)

[10] ) Eine kurze Erläuterung einschließlich grafischer Darstellung der Wechselwirkung von Kommunikation und Strukturbildung findet sich im Anhang A.

[11] ) Die in diesem Satz angedeutet Zweckrationalität ist ein Mittel der Systemrationalität autopoietischer Systeme (Simon, 2013b). Demzufolge sind autopoietische Systeme nur darauf ausgerichtet, die Autopoiesis fortzusetzen. Das Überleben des Systems ist nach dieser Logik der einzige Zweck des Systems. Die diversen Funktionen bzw. Zwecke die Organisationen für die Gesellschaft und Menschen erfüllen sind nur konstruierte Sachziele, welche als Vorwand dienen, die Existenz der Organisation zu rechtfertigen und dadurch das langfristige Überleben derselben sicherzustellen.

[12] ) Gleichzeitig werden durch Organisationen neue Probleme geschaffen. Eine ausführliche Darstellung dieser Thematik findet sich bei Elbe und Peters (2014).

[13] ) Die Definition von Komplexität kann im Kontext sozialer Systeme noch weiter konkretisiert werden. Demzufolge bezieht sich Komplexität auf den „Reichtum an Beziehungen innerhalb des Systems sowie zwischen dem System und seiner Umwelt. In sozialen Systemen drückt sich die Komplexität vor allem in der Intensität der Kommunikationsbeziehungen und im Grad der Arbeitsteilung (Spezialisierung) aus." (Hill, 1994, S. 22 ).

[14] ) Lediglich für die sozialen Systeme wird die Kommunikation als elementare Operation definiert. Für andere Systeme, wie zum Beispiel den Menschen, verstanden als psychisches System, gilt dies nicht. Dennoch ist eine Kopplung der Systeme möglich, da beide Systeme Sinn prozessieren (Simon, 2013b, 2015).

[15] ) In Tabelle 1 im Anhang A sind die Bedingungen kritikaler Systeme dargestellt.

[16] ) Obwohl der genaue Zeitpunkt einer Lawine grundsätzlich nicht prognostizierbar ist, existiert die Möglichkeit den Zeitpunkt zu berechnen, bei dem das System den kritischen Zustand erreicht. Der Zeitpunkt kann durch die Analyse von bestimmten Ordnungsparametern, im BTW-Modell die Größe der Grundfläche und die Granularität des Sandes geschätzt werden (Dittes, 2012).

[17] ) Eine Abbildung des Zusammenhangs befindet sich im Anhang A.

[18] ) Der mathematische Beweis dafür findet sich zum Beispiel bei Sornette (2003) oder Möske (2013).

[19] ) Dabei ist zu berücksichtigen, dass in realen Systemen meist diskrete Skalenvarianz vorliegt, d.h., dass nur bei bestimmten Skalengrößen selbstähnliche Strukturen gefunden werden können.

[20] ) Die folgenden Ausführungen basieren auf den Explikationen aus den Kapiteln 3 und 4. Auf eine erneute Beschreibung der verwendeten Begriffe und der Zusammenhänge wird daher verzichtet.

[21] ) Die Wechselwirkung zwischen Kommunikation und Erwartungsstruktur ist in der Abbildung 1 im Anhang A dargestellt.

[22] ) Daten existieren in der Umwelt. Durch bestimmte Erwartungsstrukturen oder auch Filter selektieren Systeme die für sie relevanten Daten. „Informationen entstehen also aus Daten, die vom System als ein Ereignis konstruiert werden, das einen Unterschied ausmacht“ (Luhmann, zitiert nach Wolf & Hilse, 2014, S. 171)

[23] ) Handlungen können definiert werden als „die kleinste psychologische Einheit der willensmäßig gesteuerten Tätigkeiten. Die Abgrenzung [einer] Handlung erfolgt durch das bewusste Ziel, das die mit einer Vornahme verbundene Vorwegnahme des Ergebnisses der Handlung darstellt. Nur Kraft ihres Ziels sind Handlungen selbständige, abgrenzbare Grundbestandteile oder Einheiten der Tätigkeit“ (Hacker 1986, S. 73).

[24] ) Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Zugang über Prozesse des Wandels zur Organisation als ein mögliches Mittel genutzt wird, um Intensität und Häufigkeit von Handlungen zu beobachten, was letztendlich Rückschlüsse auf das Kommunikationssystem zulässt. Andere Zugänge, zum Beispiel über einen entscheidungstheoretischen Ansatz, zur Organisation respektive zum Kommunikationssystem wären ebenfalls denkbar.

[25] ) Unter Kommunikationssystem wird im Folgenden die Gesamtheit aller Kommunikation in einer Organisation verstanden. Der Ausschluss von Kommunikation ist, wie bereits im Kapitel 2 beschrieben, der komplexitätsreduzierende Mechanismus durch den die Organisation handlungsfähig wird. Wäre jedwede Kommunikation anschlussfähig, gäbe es keine System-Umwelt- Differenz und demzufolge keine Organisation.

[26] ) Organisationskultur kann in Anlehnung an Edgar Schein als „a pattern of basic assumptions, invented, discovered, or developed by a given group, as it learns to cope with its problems of external adaption and internal integration, that has worked well enough to be considered valid and, therefore is to be taught to new members as the correct way to perceive, think, and feel in relation to those problems“(Schein, 1990, S. 111) verstanden werden.

Final del extracto de 32 páginas

Detalles

Título
Organisationen und selbstorganisierte Kritikalität. Versuch einer Konzeptübertragung
Universidad
University of Kaiserslautern
Calificación
1,7
Autor
Año
2016
Páginas
32
No. de catálogo
V344284
ISBN (Ebook)
9783668341647
ISBN (Libro)
9783668341654
Tamaño de fichero
1062 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Systemtheorie, selbstorganisierte Kritikalität, Luhmann, Per Bak, Organisationsentwicklung, Komplexe Systeme
Citar trabajo
Robert Möske (Autor), 2016, Organisationen und selbstorganisierte Kritikalität. Versuch einer Konzeptübertragung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/344284

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