Auf den Spuren von Sylvia Plath und Anne Sexton. Zwischen Autobiografie, Schreibtherapie und lyrischer Kreativität


Magisterarbeit, 2012

97 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sylvia Plath und Anne Sexton - Leben, Werk und Motivation zwischen Truismus und Wirklichkeit
2.1. Sylvia Plath – „Let me live, love and say it well in good sentences.”
2.2 Anne Sexton - „Since you ask“
2.3 Posthume Veröffentlichungen

3. Plaths und Sextons arbeitsweise
3.1 Zwischen Anerkennung, Selbstzweifel und „symptomatischem Perfektionismus“
3.2 Subjektivität versus Objektivität bei Plath
3.3 Kreative Synergien

4. Ich, Sylvia Plath - Ich, Anne Sexton: Der Autor als Subjekt
4.1 Frau Sylvia Plath, Frau Anne Sexton
4.2 Plath und Sexton zwischen confessional, autobiografisch und persönlich
4.3 Biografische Lesbarkeit

5. Poetry and Audience
5.1 Ikonisierung durch die Öffentlichkeit
5.2 Die letzten Gedichte

6. Der ‚Sylvia Plath’- & ‚Anne Sexton’ Effekt: Psychologische Erklärungsversuche
6.1 „Is there no way out of mind?“ – Zwischen Kunst und Krankheit
6.2 Der Tod im Schreiben als Heilung und Therapie – Depressed Writing

7. Zusammenfassung

8. BibliograFie

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

„[S]ucht ihr mich, so werdet ihr finden, ja, fragt ihr mit eurem ganzen Herzen nach mir, so werde ich mich von euch finden lassen…Und ich werde euer Geschick wenden und euch sammeln aus allen Nationen.“[1]

Obwohl Sylvia Plath 1963 im Alter von 30 Jahren Selbstmord beging, ist sie bis heute im Gegensatz zu Anne Sexton lebendiger als je zuvor – vermeintlich weil Sexton bereits zu Lebzeiten literarische Anerkennung und Erfolge feierte, zudem im Gegensatz zu Plath etliche Auszeichnungen erhielt, und erst im Alter von 46 Jahren Selbstmord beging. Was beide Autorinnen miteinander verbindet, geht weit über das Offensichtliche hinaus: In beinahe allen Literaturanalysen und -kritiken zeigt sich schnell der scheinbar offenbare Bezug ihrer psychischen Störungen und Suizide auf ihre Werke. Als würde man das Pferd von hinten aufziehen, suchen Kritiker und Analysten in ihren Biografien seit jeher Anhaltspunkte für ihrer geistigen Erkrankungen aufgrund schwieriger Lebensumstände, setzen diese dann in Verbindung mit Zeitgeschichte und erfahren so die eigentliche Interpretation der Gedichte, der Autorinnen, der Mütter und Ehe-Frauen, als Menschen und als Selbstmörderinnen. Sie nehmen sich in ihren (Be)Funden ernst genug, um die Leben der Autorinnen akkurat zu sezieren, um ihre Suizidabsichten aufzudecken. Ihre Kreativität erscheint als Abfallprodukt. Versteht man ihre Gedichte, versteht man sie, und ihren Tod. Auch begeisterte Leser und fanatische Anhänger setzten Sextons und Plaths Werke gleich mit den lyrischen Subjekten ihrer Gedichte (im Folgenden I und Ich genannt). Auch sie verfielen dem Glauben grundsätzlich offensichtlicher Parallelen, die ihr Schaffen vor dem Hintergrund einzelner Lebensgeschehnisse erklären: „But each one tasted separate flesh…/ Insisted on being the one/ Who knew best,/ Who had the right recipe.” schrieb Plaths Tochter Frieda Hughes.[2] Dabei existieren, neben rein sprachlich stilistischen Betrachtungsweisen, auch biografische, feministische und psychologische Ansätze. Doch lassen sich die Disziplinen kaum Raum genug, um sich einander in ihren Interpretationen nicht ausschließen zu wollen.

Diese Arbeit wird daher nicht versuchen, die wahre Sylvia Plath und Anne Sexton in ihren Werken und durch bekannte Lebensumstände, Gefühle, Gedanken und Ziele zu finden, die sich dann – als implizite Logik – irgendwo in ihren Schriften wiedererkennen lassen. Stattdessen muss fokussiert und objektiv auf ihre Leben und ihr literarisches Wirken geblickt werden, ihre Zeit und – vordergründig – ihre Literatur und was sie mit ihr erreichen wollten. Besonderes Augenmerk wird auf ihre Stile, Ambitionen und Visionen gelegt, indem ihre Motivation, ihr (manchmal un-)natürliches Konkurrenzdenken und ihre Werke bewusst an und in ihren Worten aufgezeigt und untersucht werden. Denn eine Detailbetrachtung zweier derart literarisch, kulturell und charakterlich interessanter, aber individueller Menschen sollte sich auf alle Interpretationsmöglichkeiten konzentrieren und gleichzeitig keine als einzig Wahre erachten. Das heißt: Das politisch-gesellschaftliche Amerika der 50er/60er Jahre, Plaths und Sextons Leben und Wirken, literarische Umwälzungen der confessional, als auch female voice, sind wichtige Pfeiler, die sich in den Werken finden. Gleichzeitig aber muss der Mensch sowie die Frau Sylvia Plath und Anne Sexton im Rahmen dieser Aspekte mitbetrachtet werden.

Es wurden bewusst biografische Schriften (Alexanders Plath-Biografie Rough Magic und Middlebrooks Sexton-Biografie) gewählt, die ihre Personen differenzierter oder überraschend verifiziert betrachten, sowie autobiografische Schriften (Plaths veröffentlichte Tagebuchaufzeichnungen und Sextons Briefe), um realistische und fragwürdige Herangehensweisen an die Interpretation ihrer Werke aufzuzeigen. Dies schließt eine genaue Betrachtung ihrer Arbeitsweise mit ein. Wozu die Arbeit eines Autors erklären, wenn wir nicht vorher seine Herangehensweise klären? Um herauszufinden, wie ihre literarischen Texten interpretiert werden können und wie nicht, liegen bereits Modelle zur Autorenschaft und Textinterpretation vor. Bei intensiver Beschäftigung mit diesen Komponenten sollte zudem die Frage Muss ein Gedicht interpretierbar gemacht werden? und wenn ja, Wieso? gestellt werden. Ihre Gedichte müssen als individuelles und poetisches Konstrukt/Produkt gesehen werden.

„What is it about meter and cadence and rhythm that makes their makers mad?“ [3] Aufgrund ihres Freitodes und ihrer geistigen Erkrankung werden ebenfalls ihre – insofern bekannten – persönlichen und psychopathologischen Biografien sowie die Forschungsstudien rund um den „Sylvia Plath Effekt“/„Anne Sexton Effekt“ beleuchtet. Diese basieren auf der Annahme, weibliche Dichterinnen seien per se anfälliger für Geisteskrankheiten. Zustimmende Autoren versuchten zu belegen, dass ihre Erkrankung/en in ihren Werken ablesbar seien und darüber hinaus ihr beliebtestes Genre Poesie suboptimal für ihre geistige Genesung war.

Sexton wurden Schizophrenie und Bipolarität diagnostiziert. Bipolare Störungen wurden vormals manische Depression genannt, die charakteristisch ist bei zeitweiligen manischen Stimmungshochs und depressiven –tiefs, welche von Erkrankten nicht beeinflusst werden können. In manischen Phasen steigt ihre Aktivität und ihr Antrieb übernatürlich; eine Fixierung auf bspw. berufliche oder private Bereiche führt zu Vernachlässigung anderer Lebensbereiche. Eine gesteigerte psychische und kreative Leistung sowie Überschätzung der eigenen Fähigkeiten bis hin zu Größenwahn bei Handlungen (z. B. hohe Risikobereitschaft, schnelleres Denk- und Sprachvermögen) resultiert in psychischer und physischer Überstimulation einhergehend mit Schlafstörungen. Die folgende depressive Phase stellt das Gegenteil der Manie dar und ist gekennzeichnet durch ein Leistungstief, Lustlosigkeit und empfundener Wertlosigkeit, wobei der eigene Tod zumeist als sinnvolleres Ziel erscheint. Allgemein ist in der manischen Phase oder zu Beginn der depressiven Phase das Suizidrisiko am höchsten. Manische und depressive Phasen können mitunter verstärkt nach schmerzvollen Lebenserfahrungen auftreten (vgl. Meyer). Auch Plath soll an Bipolarität sowie einer starken Depression gelitten haben.

Psychologische Erklärungsversuche werden jedoch nur als Ansatz herangezogen, da sie als Ursprungsort ihrer Wörter verstanden werden. Denn aufgrund ihres Suizids, der Reaktionen der Hinterbliebenen, und der veränderten Rezeption ihrer Werke, darf die Frage, wieso ihr Tod seit ihrem Tod wichtiger ist als ihr Leben und Werk, nicht außer Acht gelassen werden. Es wurde in dieser Arbeit insofern Ursachenforschung betrieben, wenn Plath und Sexton zwanghaft zu Autorinnen geformt wurden, die sie eventuell nie waren. Der Aspekt ihrer Individualität wird stattdessen genauer betrachtet: Was trieb sie an? Was bedeutete ihnen (ihre) Literatur? Wie war ihre Leserschaft und wie änderte sich die Rezeption bestimmter Gedichte nach ihrem Tod? Wie wirkten sich die damalige Gesellschaft und ihre Struktur auf ihr Schaffen aus? Sind bisher getroffene Aussagen zu Plaths und Sextons Autorenschaft noch aktuell? Alle Prosatexte von Sexton und Plath (sowie Plaths Roman The Bell Jar) werden dabei vereinzelt herangezogen, interpretativ aber außer Acht gelassen.

Da im Allgemeinen, und im Sinne der Hermeneutik, Zeitkultur, Biografie und Werk als ein Weg zu einer sinnigen Interpretation verbunden werden, wird im Folgenden ein Überblick über das Leben der Autorinnen gegeben.

2. Sylvia Plath und Anne Sexton - Leben, Werk und Motivation zwischen Truismus und Wirklichkeit

2.1. Sylvia Plath – „Let me live, love and say it well in good sentences.”

1932 Plath wird am 27.10. in [4] Jamaica Plain nahe Boston als Tochter von Otto Emile (Professor der Biologie und Deutsch, geborener Deutscher und Experte für Bienenwissenschaft) und Aurelia Schober Plath (Lehrerin und ehemalige Studentin von Otto Plath) geboren und wächst mit ihrem Bruder in Boston auf.

1940 Im Mai verstirbt ihr Vater infolge einer Operation wegen unerkannten Diabetes. Plath erkläre sich den Tod ihres Vaters als Selbstmord.[5]

1941 Im Sommer veröffentlicht der Boston Herald eines ihrer Gedichte: Poem.

1942 Umzug nach Wellesley, ein konservativer Vorort Bostons: „My father died, we moved inland…those nine first years of my life sealed themselves off like a ship in a bottle – beautiful, inaccessible, obsolete, a fine...“[6] Die häusliche Umgebung ähnelt einem Matriarchat; Plath musste mit ihrer Mutter ein Zimmer teilen.

1944- Beginn der Schaffensphase. Sie sichert fortan all ihre Schriften, überträgt sie in

1949 drei verschiedene Bücher. Sie strebt Veröffentlichungen an. Schulisch erhält sie viele Auszeichnungen und wird für ihre ungewöhnliche und kreative Arbeit sowie ihrer natürlichen lyrischen Gabe oft gelobt: Sie habe außergewöhnliche, schriftstellerische Fähigkeiten.[7] Sie arbeitet als Co-Editor und reicht ihre Werke bei Magazinen und Zeitungen ein.

1950 Plath beendet die High School. Im Jahrbuch steht: „future writer“[8]. Beginn ihres Studiums am renommierten Smith College von Northampton. Doch Geldmangel zwingt sie, arbeiten zu gehen. Ab Oktober sollen ihre erste Depressionen begonnen haben, die sie mit Schreiben und Lesen bekämpfte.[9] Bis Ende des Jahres reicht sie 45 Gedichte bei Seventeen ein und veröffentlicht u. a. die Kurzgeschichte „Den of Lions“ über eine gescheiterte Liebesbeziehung.

Ablehnung von Gedichten interpretiert sie als Verlust ihres Talents.

1951- Depressive Schübe hindern ihre Produktivität und lassen ihr Selbstwertgefühl

1952 sinken; sie ist ängstlich und glaubt, zu versagen: „God, if ever I have come close to wanting to commit suicide, it is now.“ schrieb sie in ihr Tagebuch[10].

1953 Ende Mai fährt sie nach New York für ein 26tägiges Praktikum als Co-Redakteurin beim Magazin Mademoiselle, das sie bei einem Schreibwettbewerb gewonnen hatte. Sie ist entgegen Absprachen Guest Managing Editor und hat weit mehr Verantwortung als ihre Mitstreiterinnen, obwohl sie wie ein Nichts behandelt wird[11]: „…they were expected to be as much runway models put on display for advertising purposes... Some responded to the artificiality of the experience in more healthy ways than others.”[12] Sie muss mit Kritik wegen angeblicher Oberflächlichkeit, aufgesetztem Verhalten und steifen Ansichten umgehen. Diese Desillusionierung führt dazu, dass sie sich erneut als Enttäuschung sieht.

Julius und Ethel Rosenbergs[13] Hinrichtung belastet sie zudem stark. Infolgedessen erleidet sie einen Nervenzusammenbruch mit Suizidgedanken. Es wird eine schwere Depression diagnostiziert und eine Elektroschocktherapie anberaumt, die falsch durchgeführt wird und ihren Zustand verschlechtert. Am 24. August versteckt sie sich im Keller und schluckt 40 Tabletten, bevor sie ohnmächtig wird und drei Tage später bewusstlos aufgefunden wird. Später gesteht sie, dass sie sich entweder erschießen oder ertränken wollte[14], sich aber umentschied. Sie geht ins McLean Hospital in Belmont. Ihre Mutter glaubt an eine gespaltene Persönlichkeit[15], da Plath entweder manisch oder depressiv[16] sei. Korrekte Elektroschocks lassen sie genesen.

1954 Sie wird entlassen und kehrt ans College zurück, erhält ein Stipendium für die Harvard Summer School für 1955 und eines vom Smith College.

1955 Plath schließt ihr Studium ab. Ab September studiert sie am Newnham College der Universität Cambridge, wofür sie erneut ein Stipendium erhält.

1956 Ihre aktuelle Liebesaffäre mit Sassoon geht in die Brüche und sie verfällt in Depressionen. Sie kann zudem ihrem Teufelskreis zwischen „longing for and being able to achieve perfection”[17] nicht entkommen. Bei einer Feier lernt sie dann Ted Hughes kennen, „the strongest man in the world“[18], und der einzige, der ihr intellektuell und kreativ gleich ist. Ihre heimliche Vermählung findet am 16.06. in London statt. Sie beschäftigt sich auch verstärkt mit ihrem Vater: „When he obliged me and died, I imagined that I had killed him.”[19] und Plath glaubt, bei Trennungen den Schmerz über den Verlust ihres Vaters neu zu erleben.

1957 Umzug in die USA, wo sie ab Herbst als Lehrerin am Smith College arbeitet, was ihr Schreiben blockiert. Untreuegerüchte von Hughes kommen auf. „[She] would not…fill the garage…with carbon monoxide…or slit [her] wrists“[20].

1958 Im März soll sie eine manische Energie erfasst haben: In wenigen Tagen schreibt sie acht Gedichte.[21] The New Yorker kauft nach jahrelangen Ablehnungen zwei Gedichte. Plath und Hughes beschließen, sich dem Schreiben zu widmen und ihre Jobs zu kündigen. Doch Plaths Depressionen verstärken sich: „It is as if my life were magically run by…joyous positive and despairing negative”[22]. Sie arbeitet wegen Geldmangel in einem Krankenhaus und schreibt später eine Kurzgeschichte über Suizid und Geisteskrankheiten: „Johnny Panic and the Bible of Dreams“ – „the best she would ever write“[23].

1959 Sie erhält viele Absagen wegen abgeblich mangelhafter lyrischer Technik. Bislang wurde sie meist wegen einem überladenen Stil abgelehnt.[24] Doch ab Oktober, zu der Zeit bereits schwanger, werden ihre Gedichte persönlicher: Sie beginnt u. a. in „The Stones“ und „The Colossus“ mit einer neuen poetischen Stimme zu experimentieren.

1960 Umzug nach London. Sie unterschreibt den Buchvertrag für The Colossus and Other Poems, das im Oktober in GB erscheint und arbeitet am ersten Entwurf von The Bell Jar. Am 31.03. bringt sie ihre Tochter Frieda Rebecca auf die Welt.

1961 Im Mai erhält sie die Zustimmung von Alfred Knopf für die Veröffentlichung in den USA. Ab November schreibt sie Rezensionen für Kinderbücher, verkauft Gedichte und erhält ein Stipendium, um The Bell Jar zu vollenden, das unter einem Pseudonym erscheinen soll, da es zu autobiografisch wäre.[25]

1962 Im Januar entbindet sie ihren Sohn Nicholas Farrar. Im Mai wird die Familie von David Wevill und seiner Frau Assia Gutmann besucht: Hughes und Gutmann kommen sich in der folgenden Zeit so nahe, dass diese Liaison das Ende von Plaths Ehe markieren wird. Der Verlag Knopf veröffentlicht im Mai The Colossus and Other Poems in den USA, aber es erhält nur mäßige Rezensionen und Verkäufe. Im März schreibt sie das Stück „Three Women“ und verbrennt angeblich aus Wut ihr Manuskript zu The Bell Jar. Der Buchehemann soll an Hughes angelehnt gewesen sein, von dem sie sich trennen will.[26] Ihre psychischen Probleme verstärken sich und sie nimmt Kontakt zu ihrer damaligen Psychiaterin Ruth Barnhouse auf. Im Oktober schreibt sie 25 ihrer heute berühmtesten Gedichte, in ihrer neuen Stimme [27]: „Elm”, „Daddy“, „Ariel“, „Lady Lazarus“ sind in einem neuartigen Stil, den sie „demonic possession“[28] nennt. Ab November versucht sie Gedichte aus Ariel and Other Poems zu verkaufen, meist erfolglos, da sie zu aggressiv seien.[29] Sie plant einen zweiten Roman, den sie Double Exposure nennt: „[T]he heroine discovers that her perfect…husband is an adulterer.“[30] Plath zieht im Dezember mit ihren Kindern nach London in ein Haus, in dem Yeats gewohnt hatte, „so my work should be blessed“.[31]

1963 Sie leidet unter starken Depressionen und Krankheiten wegen des harten Winters. Ihr Arzt Dr. Horder versucht, einen Krankenhausplatz zu finden, während sie bei Freunden bleibt. Im Januar wird The Bell Jar veröffentlicht, unter dem Synonym Victoria Lucas. Times Literary Supplement meint die biografischen Züge zu erkennen: „It reads so much like the truth.”[32]

Am 11. Februar, „in the heart of the blue hour“[33], begeht Plath Selbstmord: Sie verriegelt sich in der Küche, verdichtet die Türspalten und tötet sich mit Gas. Auf ihrem Schreibtisch liegt das Manuskript zu Ariel and Other Poems.[34]

Thief! -

how did you crawl into,

crawl down alone

into the death I wanted so badly and for so long,

The death we said we both outgrew, (15-19)

[…]

what is your death

but an old belonging,

a mole that fell out

of one of your poems?[35] (54-57)

Anne Sextons widmete Plath ihre Elegie „Sylvia’s Death“. Sie hatten sich im März 1959 erstmals getroffen: Plath kannte Robert Lowell bereits und nahm, wie Sexton, an seinem Creative Writing-Seminar teil: „He sets me up with Ann [sic] Sexton, an honor, I suppose.“ schrieb Plath in ihrem Tagebuch[36] Sie bewunderte Sextons Poesie wegen ihrer Lebendigkeit: „She has none of my clenches and an ease of phrase, and an honesty,“ schrieb sie später.[37] Sexton solle vor allem „the nonchalance of a person who was writing at a level she had never dreamed of.”[38] besessen haben. Zudem hatte The New Yorker wiederholt ihre Gedichte veröffentlicht, für Plath ein beneidenswerter Umstand.

Gemeinsam mit George Starbuck, Sextons damaliger Affäre, entwickelte sich eine kurze Freundschaft, in der Suizid mehrfach thematisiert worden sei.

2.2 Anne Sexton - „Since you ask…“

1928 Sexton wird am 09.11.in[39] Newton, Massachusetts als Anne Gray Harvey geboren und wächst im gehobenen Mittelstand in Weston als eine von drei Töchtern von Ralph Harvey und Mary Gray Staples auf.

Ihr Vater ist ein hart arbeitender und enorm strenger Mann, der selbst einen Nervenzusammenbruch erleidet und später zum Alkoholiker wird, wie auch ihre Mutter. Sexton erfüllt seine Forderungen nicht und in den Jahren der Depression intensivieren sich die Spannungen: Ihre Mutter ist seiner Agressivität ausgesetzt, während sie sich selbst selten mütterlich verhält Sexton ist das Nesthäkchen der Familie, ihre jedoch stärkste Erinnerung ist die des Alleingelassenwerdens, „cut off from everyone else in the family”[40]. Sexton fühlt sich ungeliebt, außer von ihrer Großtante Anna Dingley, genannt Nana, die ab Sextons elftem Lebensjahr bei der Familie wohnt und für Sexton wie eine Mutter ist. Nanas Einsamkeit harmoniert mit Sextons Bedüftigkeit, was sich ändert, als sie mit 13 Jahren Interesse am anderen Geschlecht entwickelt. Nanas physischer und psychischer Gesundheitszustand verschlechtert sich ab 1943 und Sexton fürchtet, sie hätte sie im Stich gelassen, während sie Angst hat, genauso zu enden wie sie. Sie fühlt sich dazu verurteilt, selbst krank zu werden, um Nanas Anne zu bleiben. Sextons Hilflosigkeit und Bedürfnis nach Aufmerksamkeit werden grundsteinlegend für ihre Poesie.

1945 Sie wird auf eine Mädchenschule geschickt, weil sie „too boy-crazy“[41] sei. Sie äußert dort offen ihre Gefühle und Verletzbarkeit, inszeniert sogar ihren Tod als Witz. Nach dem Zerbrechen ihrer fünfjährigen Beziehung beginnt sie „bleak, depressed, horrific poems“[42]. zu schreiben

Ihre literarischen Wurzeln und der Umgang mit literarischer Ambition prägen Sexton: Ihre Mutter hat eine Leidenschaft für das Schreiben und Nana ist als Journalistin für die Zeitung ihres Vaters tätig. Wie bei Plath, spielen auch bei Sexton ihr Vater, der Vergleich mit der Mutter und die fehlende Anerkennung eine große Rolle: Er findet ihre Mutter hat das eigentliche Talent, obwohl sich ihr Schreiben nur auf Briefe beschränkt. Sexton gibt zudem oft die Gedichte anderer (z. B. Sara Teasdales) als ihre eigenen aus. Als ein Gedicht im Jahrbuch ihrer Schule veröffentlicht wird, glaubt ihre Mutter augenblicklich an Plagiat und holt sich die Meinung eines Professors ein. Sexton ist tief gekränkt: Sie schreibt die kommenden 10 Jahre kein Wort. Im Gegensatz zu Plath ist Sexton auch bedeutend schlechter in der Schule; niemand erwartet von ihr herausragende Leistungen.

1948 - Sexton verlobt sich im Sommer mit Alfred M. „Kayo“ Sexton II. Sie heiraten

1949 ohne die Anwesenheit ihrer Familien, ziehen zu Kayos Eltern, um dann auf einer Farm abseits von Kayos Campus zu leben. Sie modelt beiläufig in Boston und arbeitet als Dessousverkäuferin in Wellesley, zeigt jedoch keinerlei Ambition, die Rolle einer Hausfrau zu leben: „Before I was married I had never washed one dish or seen how you fried an egg or baked a potato. I can remember Kayo showing me how.”[43]

Ein weiteres Merkmal ihrer Persönlichkeit ist ihre Untreue und leicht entflammbaren Gefühle für andere Männer. Ihre Mutter rät ihr den Kontakt zu einem gewissen Johnny abzubrechen, worüber Sexton so bestürzt ist, dass es ihre nachfolgende Überdosis Schlaftabletten erklären soll.[44] Ihre Mutter konsultiert daraufhin die Psychiaterin Dr. Martha Brunner-Orne, die bereits ihren Vater wegen Alkoholismus behandelt hatte. Orne zufolge hätte sie Probleme, ihre Leidenschaft für Liebe und Abenteuer zu kontrollieren, dennoch bleibt sie bei Kayo und entscheidet sich für eine dreimonatige Therapie und gegen eine Scheidung.

1950 - Kayo tritt bei Ausbruch des Korea Krieges der Marine bei, Sexton zieht zu ihrer

1952 Familie und jobbt aushilfsweise. Kayos häufige Abwesenheiten machen sie schnell unruhig; sie beginnt Affären, bis sie von Kayo schwanger wird.

1953 Ihre Tochter Linda Gray Sexton wird am 21.07. geboren. Sie kaufen ein Haus und Kayo erhält eine Anstellung als Außenhändler bei Sextons Vater.

1954 Nana stirbt und lässt tiefe Schuldgefühle und Angst zurück: Sexton beschreibt ihre Suizidversuche als Bedürfnis, an den Ort zu gelangen, wo Nana ist.

1955 - Im August bringt sie ihre zweite Tochter Joyce Ladd auf die Welt, leidet aber

1956 durch die erste Geburt bereits an Depressionen, die sich gefährlich verstärken. 1956 begibt sie sich erneut wegen ihrer Angst vor dem Alleinsein mit ihren Töchtern in Therapie, wenn Kayo außer Haus ist. Hinzu kommen Wutausbrüche und eine Unfähigkeit, mütterlich zu sein. Dies führt im November zu einem Suizidversuch; ein Aufenthalt in der Psychiatrie folgt. Kayos Mutter nimmt Joyce zu sich, Sextons Mutter betreut Linda. Sexton wird fortan von Dr. Orne behandelt. Nach ihrer Entlassung, auch weil sie ihre Kinder nicht wiederbekommt, nimmt sie erneut eine Überdosis ihrer „Kill-me-Pills“[45]: „[O]ne can’t build little white fences to keep nightmares out.”[46]

1957 Dr. Orne ermutigt sie zu schreiben und ab Januar bringt sie regelmäßig Gedichte zu den Sitzungen mit. Anfangs waren diese als Reflektionen der Therapie gedacht, doch sein Zuspruch ermöglicht es Sexton, auch über andere Themen kreativ zu schreiben: „I kept writing because he was approving.“[47] Ende Mai unternimmt sie dennoch einen weiteren Suizidversuch. Bei einem Poesieworkshop mit dem Dichter John Holmes, lernt sie Maxine Kumin kennen, die zu einer lebenslangen Freundin wird.

1958 - Sie erhält ein Stipdendium für die Antioch Summer Writers‘ Conference, auf der

1959 sie W. D. Snodgrass kennenlernt, der zu einem Mentor und Freund wird. Holmes setzt den Workshop mit Kumin, George Starbuck, Sam Albert und ihr fort. Starbuck sichert den Vertrag zu Sextons erstem Buch, obwohl Holmes sich gegen ihre persönliche Art der Poesie ausspricht. Sie veröffentlicht ihre Gedichte: „By 1959 not one finished poem remained unsold.“[48] Sie unterschreibt einen Vertrag für Lesungen mit The New Yorker und beginnt zudem Kurzgeschichten zu schreiben: „Dancing the Jig“ wird Ende 1959 veröffentlich.

1960 To Bedlam and Part Way Back erscheint, u. a. mit „You, Doctor Martin“, „Said the Poet to the Analyst“ und „Her Kind“.

1961 Das Radcliffe Institute for Independent Study ernennt Sexton und Kumin als erste Dozenten für Poesieseminare. Ende 1961 beginnt sie einen Einakter zu verfassen, „Tell me Your Answer True“.

1962 All My Pretty Ones, „mostly about the dead…and love…and sin…but mostly the dead.“[49], erscheint.

1963 Eggs of Things, ein Kinderbuch in Zusammenarbeit mit Kumin, wird veröffentlicht. Im Herbst erhält sie die Ford Foundation -Förderung, um an „Tell me Your Answer True“ weiterzuarbeiten. All My Pretty Ones wird für den National Book Award nominiert, und Sexton und Kumin beginnen More Eggs of Things. Von The American Academy of Arts and Letters erhält sie ein Reisestipendium, ohne dass sie sich beworben hat; Kayo überredet sie, ein Jahr nach Europa zu reisen. Ihre internationale Bekanntheit steigt: Oxford University Press tritt bezüglich einer Collected Poems-Ausgabe an sie heran.

1964 More Eggs of Things erscheint, Selected Poems wird in Großbritannien publiziert.

1965 Sie wird zum Partner der Royal Society of Literature gewählt. Trotz ihres Erfolges verstärken sich ihre Depressionen, auch durch Dr. Ornes Entschluss, nach Philadelphia zu ziehen. Nervenzusammenbrüche erfordern zwischen 1964 und 1967 mehrere Aufenthalte in psychiatrischen Anstalten. Ihr neuer Arzt, Dr. Deitz, verschreibt ihr Thorazin, das ihre Kreativität und Arbeitsweise blockiert: „…it will be a miracle if I don’t someday end up killing myself.“[50]

1966 Sexton veröffentlicht ihren Gedichtband Live or Die.

1967 Für Live or Die erhält sie den Pulitzerpreis. Sie widmet sich fortan Liebesgedichten.

1968 Als erste Frau in 187 Jahren erhält sie eine Ehrenmitgliedschaft der Harvard University. Ein Student vertont ihr Gedicht „Ringing the Bells“ und gründet mit ihr die Rockband „Anne Sexton and Her Kind“.

1969 Love Poems erscheint, mit umstrittenen Gedichten wie „The Ballad Of The Lonely Masturbator“ und „In Celebration Of My Uterus“. Radcliffe ernennt sie zum Ehrenmitglied, und sie erhält ein Guggenheim -Stipendium zum Beenden von „Mercy Street“ (vorher „Tell Me Your Answers True“) in New York. Es feiert als off-Broadway Produktion Ende 1969 Premiere. Sexton muss erneut ihren Therapeuten wechseln: Dr. Constance Chase übernimmt Deitz‘ Aufgaben. Sexton ist zu der Zeit stark suizidgefährdet. Durch ihre Zwänge wie Tablettensucht und Hysterie bei Einsamkeit wenden sich viele Freunde ab. Sie beginnt mit Transformations, eine Umarbeitung der Grimm-Märchen.

1970 Sexton erhält den Lehrstuhl in Englisch an der Boston University, einen Ehrendoktortitel der Tufts University und denkt über ihre posthume Stellung als Dichterin nach: Sie plant The Book of Folly und The Death Notebooks, „very Sexton, intense, personal poems“[51]. Es folgt ein erneuter Suizidversuch.

1971 Ein weiteres Kinderbuch mit Kumin erscheint, Joey and the Birthday Present. Sie wird Professorin der Boston University. Colgate University bittet sie um ein Seminar über ihre eigene Poesie: „Anne on Anne“[52].

1972 Sie erhält einen Ehrendoktortitel der Fairfield University. The Book of Folly erscheint und erhält wenig gute Kritiken.

1973 Im Januar schreibt sie in wenigen Tagen The Awful Rowing Toward God. Mit Beginn der Death Notebooks wird der Tod zum Leitthema. Sie beginnt mit 45 Mercy Street und entscheidet sich zudem für die Scheidung: Zu Beginn eine Befreiung, wird ihre Angst vor Einsamkeit bald unnatürlich hoch. Viele ihrer engsten Freundschaften lösen sich auf und ihre Depression verstärkt sich. Ihre Tochter Joy weist sie im Sommer in das McLean Hospital ein.

1974 The Death Notebooks, die sie posthum veröffentlichen wollte, erscheint. Sie findet jedoch, dass in den Gedichten neues Leben zu finden sei; Kritiken sind dennoch schlecht und sie fühlt, dass ihr dichterisches Ende nahe sei.[53] Transformations wird zu einer Oper vertont. Dr. Chase gibt die Therapie ab und Irene Rosenberg betreut Sexton fortan, doch Sexton wird süchtig nach Geld, verschleiert vieles und ihr Alkoholismus nimmt zu. Im Frühling versucht sie nochmals Selbstmord zu begehen, widmet sich danach ihren Lesern, Studenten und Gott. Sie fühlt sich einsam, ihre Arbeit wirkt dem nicht gegen. Sie schreibt noch ein Kinderbuch mit Kumin, vollendet 45 Mercy Street, und verfasst einige Kurzgeschichten, „horror tales of chilling caliber“[54]. „An unfinished tone crept in among the polished words…she wrote against death.“ schreibt Middlebrook[55]. Am 04.10. trifft sie sich kurz mit Kumin; danach geht sie in die Garage, setzt sich im Mantel ihrer Mutter ins Auto und bringt sich mit den Abgasen um

2.3 Posthume Veröffentlichungen

1963 Gerüchte um Plaths Todesursache ziehen durch die Literaturkreise. BBCs „Third Programme“ bezeichnet Plaths Lyrik als: „Poetry of this order is a murderous art.“[56] Im Oktober wurde ihr Selbstmord bekannt. Hughes kürzte die Sammlung Plaths letzter Werke um alle „personally aggressive poems”[57].

1965 Faber and Faber veröffentlicht Plaths Ariel in England. In Amerika bestellte Hughes Harper and Row. Lowell schrieb das Vorwort und nannte Ariel „personal, confessional, felt…the autobioghraphy of a fever“. Plaths Hype begann.

1966 Faber and Faber publizierte Plaths The Bell Jar in England unter ihrem Namen.

1968 Plaths Three Women: A Monologue for Three Voices erschien.

1969 Assia Gutmann tötete sich und ihre 2jährige Tochter Shura ebenfalls mit Gas, angeblich weil sie nur ein Leben im Schatten von Plath lebte.[58]

1971 Plaths Crossing the Water und Winter Trees, sowie The Bell Jar wurde (in den USA) veröffentlicht. Alvarez denunziierte Hughes wegen Zensur an Plaths Werken und veröffentlichte persönlichen Fakten[59], was Hughes und Plaths Suizid ins öffentliche Interesse rückte. Sie wurde zur feministischen Ikone.

1972 Robin Morgan bezichtigte Hughes in „Arraignment“, Plath getötet zu haben.

In den 70ern führten Feministinnen einen „holy war“ gegen Hughes; fanatische Leser entfernten das „Hughes“ immer wieder von Plaths Grabstein.[60]

1975 Sextons The Awful Rowing Toward God und The Wizard’s Tears erschienen. Plaths Letters Home erschienen; ihre Mutter wurde wegen Zensur kritisiert[61]. Sextons Gedichte 45 Mercy Street erschienen. Plaths Kinderbuch The Bed Book wurde veröffentlicht.

1977 Johnny Panic and the Bible of Dreams erschien als Anthologie ihrer Prosa. The Journals mit 1/3 von Plaths Einträgen aus den Jahren 1950-1959 wurden erstellt.

1978 Sextons Words for Dr. Y. erschien.

1979 Anne Sexton: A Self-Portrait in Letters wurde veröffentlicht.

1981 Sextons The Complete Poems erschien. Plaths The Collected Poems erschien mit einem Vorwort von Hughes.

1982 Veröffentlichung der Plath-Journals. Hughes wurde attackiert, weil die Tagebücher gekürzt und verfälscht waren.[62] Plath erhielt im April den Pulitzerpreis für The Collected Poems.

1985 No Evil Star: Selected Essays, Interviews and Prose von Sexton und Plaths Selected Poems erschien.

1988 The Selected Poems of Anne Sexton erschien.

1989 Plaths Collegeabschlussarbeit The Magic Mirror” wurde veröffentlicht.

1991 Anne Sexton: A Biography erschien.

1994 Sextons Tochter Linda Gray Sexton veröffentlichte Memoiren, Searching for Mercy Street: My Journey Back to My Mother, Anne Sexton. erschien.

1996 Plaths Kinderbuch The It-Doesn't-Matter-Suit wurde veröffentlicht.

1998 Plath: Poems erschien.

2 000 Voice of the Poet: Anne Sexton und Sylvia Plath Reads erschienen als Gedichtvertonungen. Anne Sexton: The Last Summer in Bildern erschien. Plaths The Unabridged Journals of Sylvia Plath, hrg. von Karen Kukil, erschien.

2001 Plaths Kinderbuch Mrs. Cherry's Kitchen erschien; zusätzlich wurde Collected Children's Stories in Großbritannien veröffentlicht.

3. Plaths und Sextons arbeitsweise

3.1 Zwischen Anerkennung, Selbstzweifel und „symptomatischem Perfektionismus“

In einer Autobiografie[63] lassen sich Autor und Erzähler von vornherein gleichsetzen. In anderen Genres bleibt es eine bloße Vermutung, die nur vom Autor bestätigt werden kann. Foucault erinnerte sich an „eine Zeit, in der die Texte…aufgenommen, verbreitet und bewertet wurden, ohne dass sich die Frage nach dem Autor stellte.“[64] Doch wenn sich die Frage nach dem Autor stellt, so müssten sich Disziplinen ebenfalls die Frage nach der Arbeits- und Denkweise des Autors stellen, um sich einer sinnigen Interpretation nähern zu können.

Sextons Fokus lag auf Selbstfindung und -ausdruck, auf unbequemen Themen sowie literarischen Erfolg als Rechtfertigung ihrer Existenz durch ihr literarisches Schaffen. Plath teilte augenscheinlich nur den Wunsch nach literarischen Ruhm mit Sexton, doch ihre auf Perfektion, dichterischer und sprachlicher Kontrolle sowie Ambition ausgerichtete Arbeitsweise blieb meist unbeachtet. Sexton sagte einst über Plath: „Sylvia was determined…to be great“[65] und auch Plaths Worte in einem BBC Interview verdeutlichen diese Ansicht:

„I just wrote…from the time I was quite small…I wrote my first poem, my first published poem, when I was eight and a half years old. It came out in the Boston [Herald], and from then on, I suppose, I’ve been a bit of a professional.”[66]

Es formte Plaths Denken: Ihre Zielstrebigkeit charakterisierte alle Zukunftsvisionen, auch die einer glücklichen Ehe und Familie, was zum Kampf um Freiheit im und zum Schreiben führte. Es gipfelte gleichzeitig in einer unüberbrückbaren Diskrepanz durch die Erfüllung der traditionellen Lebensweise als Ehefrau, Mutter und Frau. Dennoch war Schreiben nach dieser frühkindlchen Publikation ihre wahre Liebe:

„Yes, I want the world’s praise, love & money, and am furious with anyone…getting ahead of me…I want acceptance…to feel my work good and well-taken. Which ironically freezes me…corrupts my nunnish labor of work-for-itself-as-its-own-reward.”[67]

Plath schien sich durch harte Arbeit und Leistung Anerkennung zu verschaffen, durch Intellekt und durch Schreiben. Sie war sich der Tatsache bewusst, dass andere Frauen die ihr bekannte Leistungserwartungshaltung nicht teilten. Andere waren ihr in ihrem Bestreben und Auftreten zwar ähnlich, aber fühlten keinen Druck, intellektuell bestechen zu müssen. „Though smart, they had been encouraged by their schools and families, at least more than she had, to express their emotions.”[68]. Kritik verletzte sie: Mademoiselle s Äußerungen zu ihrer vermeintlichen Oberflächlichkeit und steifen Ansichten sowie ihrem aufgesetzten Verhalten belasteten Plath stark.[69] Sie sah sich als Versagerin sah und glaubte, ihre Förderer enttäuscht zu haben. Sie litt danach unter Schlaflosigkeit und Selbstmordgedanken, ein Umstand, der in Literatur als Auslöser für ihren ersten Suizidversuch betrachtet wurde. Sexton meinte einst, ein Dichter würde Liebe wollen.[70] Bei Plath nahm dieses Bedürfnis ein extremes Ausmaß an, wenn sie keine Anerkennung erhielt. Versagten ihre Gedichte, versagte sie: „I depend too desperately on getting my poems, my little glib poems, so neat, so small, accepted.“[71] Auch Alexander verwies auf Plaths Besessenheit, durch ihre Werke Aufmerksamkeit und Zuspruch zu erhalten:

„For Sylvia, whose work as a writer and an intellectual had come to define her to herself, whose ambitions had been encouraged not just by…her mother…friends…the entire Smith faculty but by successes with publication.”[72]

The New Yorker fiel bei Plaths Suche nach Bestätigung erkennbar stark ins Gewicht. Beschrieb Sexton The New Yorker als „not that they are good but that they pay“[73] und veröffentlichte, wenn möglich, wegen finanziellem Interesse dort, so schickte Plath ihre Werke meist zuerst an den New Yorker. Für Plath symbolisierte es Prestige, dort zu veröffentlichen, und nur entfernt Geld als Lohn im Sinne einer Belohnung. Sie erhielt anfangs ausschließlich Absagen des Magazins. Absagen dieses Magazins stellten die Ablehnung an sich dar. „I…identify with rejections too much.“[74] Sie fürchtete diese Kritik: „[TNY] may smack me in the stomach“[75], „Back here now…with a “sorry, please try again“ at least. All these days of hope…“[76] Doch se gab nie auf. „Got a rejection of poems I thought a “sure thing“[77] „[S]ure things“ nannte sie jene Gedichte, von denen sie positiv im Sinne einer Veröffentlichung dachte. Plath vertraute zwar ihrem literarischen Können, doch verglich sie sich oft mit anderen, was wiederum in ewigen Selbstzweifel endete: „If I could cut from my brain the phantom of competition, the ego-center of self-consciousness“[78] Ihr einziges Interesse an anderen Menschen bestand meist im Vergleich mit sich selbst und dem eventuellen Triumph.

Plath kannte ihre Dämonen und war bemüht, sich zu reflektieren, um zu profitieren. „The glaze again. Prohibiting the density of feeling getting in…I can write nothing honest.“[79] Dennoch blieb sie zeitlebens nach eigenen Aussagen zu sehr fokussiert auf Publikationen und die daraus resultierende Anerkennung durch die öffentliche Meinung: „I must be so overconscious of markets and places to send things…I depend on the mirror of the world.”[80] Dies könnte eine Begründung für ihre teils stark objektive und unpersönliche Art ihrer früheren Lyrik sein. Das Ziel Veröffentlichung stand im Vordergrund, das Schreiben und das Endprodukt schienen sekundär zu sein. Viele Stellen in ihren Journals sprechen von ihrem Gefühl, beim Schreiben gefangen zu sein:

„Enough has happened, enough people have entered my life, to make stories…even a book.”[81]

„I MUST WRITE ABOUT THE THINGS OF THE WORLD WITH NO GLAZING [sic]. I know enough…to do so.”[82]

Diese ausdruckslose Gefangenschaft zeigte sich in Orientierungslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Angst vor Verantwortung, gipfelte in Suizidgedanken, die damit einhergingen und riss bis zu ihrem Tode nicht ab.[83] Sie konnte Veröffentlichungen anderer meist wenig nachvollziehen, nannte es „ratty stuff“[84], „the usual flawlessy realized stuff with a pathos-or-bathos point“[85].

Dabei war der Schreibprozess für Plath kein Problem, sofern das Thema klar war. Die Frage Wie schreibe ich, sodass es veröffentlicht wird? beschäftigte sie. Sie wusste, dass sie ihre Erfahrungen abschnitt, ihre Vergangenheit, mit der sie ihrer Gegenwart mehr Bedeutung hätte verleihen können: „My whole trouble is…sitting with a blank mind…I must…search…special form and meaning.“[86] Ihre Tagebücher sprechen von Verzweifelung, wenn sie sich nicht poetisch ausdrücken konnte; doch auch Prosa war ihr schwer zugänglich, obwohl sie sie als Befreiung empfunden hätte. Stattdessen schien sich Plath von einer Muse leiten zu lassen; eine gefühlvolle Möglichkeit sich auszudrücken, hätte sie gebraucht, um sich frei zu fühlen.[87] Doch anstatt Geschriebenes konzentriert zu überarbeiten und umzugestalten, hatte sie ihrer Meinung nach oft nur rohe und nüchterne Werke als Ergebnis, die sie als Aufforderung verstand, sich ihren wirklichen Erfahrungen zu öffnen, die sie dann erweitern konnte, um etwas Mehrschichtiges, Tiefes, zu kreiieren, „like an old wound“[88]. Im September 1959 glaubte sie, nichts wirklich Zufriedenstellendes schreiben zu können, obwohl sie zu dieser Zeit begann, ihre Stimme zu finden, wie Hughes später sagte. Jene Abhängigkeit nannten andere Plaths typische Objektivität; ihre vermeintlich authentische Ariel-Stimme war das genaue Gegenteil ihrer früheren Stimme, die sie als „simple-mindedness, a narcissism, a protective shell against competing, against being found wanting“ beschrieb.[89] Sie stellte sich die Frage nach ihrer eigenen Ehrlichkeit, denn sie kannte Urgefühle und dunkle Emotionen zu gut, um diese nicht zu verschriftlichen oder nicht wegen des Schreibens darüber und dem Genuss daran zu schreiben.[90] Sexton tat das relativ schnell; spätestens nach etwa zwei Jahren hatte sie ihre Lehre der Lyrik beendet und wurde von der Öffentlichkeit ernst genommen –für Plath blieb es „a gift of gods“[91]. Es erschien ihr notwendig, den Spiegel der Öffentlichkeit abzuhängen, um Ablehnungen, auch wenn sie sie als Versagen interpretierte, herunterzuschlucken und aufzuhören, so zu schreiben, als würde sie fatalerweise, in Abhängigkeit von Verlegern und Editoren, unter Beobachtung stehen.

Wie bei Sexton, gab es auch bei Plath besonders nach traumatischen Ereignissen künstlerische Explosionen. Fehlgeburten, Ablehnungen, Depressionsschübe oder die Trennung von Hughes: In jenen Zeiten verfasste sie mehrere Werke, die sie einfach so schrieb. Von Kreativität gepackt – Alexander nannte es „manic energy“[92] –, hatten sich viele Werke, in der Phase kurz vor ihrem Suizid, ergeben. The New Yorker erhielt beinahe alle Werke, und nahm erstmals im Juni 1958 zwei Gedichte, „Mussel Hunter at Rock Harbor“ und „Aquatic Nocturne“, an, für die sie $338 erhielt.

Beide erzählen über Szenen am Meer und Krabben als seine Bewohner, nur im Ersteren findet sich Plaths „stärkere“ poetische Stimme in den letzten Strophen, die sich über ein stärker dargestelltes Ich ausdrückt: Hat sich das Subjekt zuvor eher beobachtend mit dem Meer und seinen Krabben, ihrer Arbeit, ihrem Lebensraum, auseinandergesetzt, so beginnt es erst mit den letzten drei Versen der drittletzten Strophe zu einem Ich mit Individualität und eigenständigem Denken zu werden (wobei sich dieses um die Schale einer toten Winkelkrabbe dreht). Diese Stimme kommt nur vereinzelt in den vorherigen 10 Strophen vor und berichtet von den Krabben als Hauptsubjekte, was für Plaths post-1958-Poesie, in der starke und unverwechselbare Akteure eine Geschichte erzählten, untypisch war. Das Ich ist hier lediglich stiller Beobachter und bleibt beinahe unbeteiligt.

Auch „Aquatic Nocturne“ strotzt eher vor Plaths formaler Hingabe, als einer Stimme oder lyrische Bewegung. Was in ihren Augen fehlt, war Tiefgang und Emotionalität: „I think I could, with work and thought, write for them [The New Yorker]. But I am far from it.“[93] sagte sie im Mai 1959. Ihre Ambition zu werden, begann in ihr selbst: „I would like to be everyone, a cripple, a dying man, a whore, and then come back to write about my thoughts, my emotions, as that person.”[94] Sie wollte und brauchte einen neuen Schreibstil, „poignant, clear, evoking”[95] und benutzte bisweilen The New Yorker auch als hochdotierte Meinung: Sie beendete im März 1959 ein „New Yorkerish but romantic iambic pentameter imitation of Roethke’s Yeat’s poems…not…book material“[96].

Wenn sie ein Gedicht nicht in einem Gedichtband veröffentlichen könnte, so sah sie es als schwach an: Dennoch würde sie es zum Magazin schicken und auf dessen Meinung warten.[97] Hughes sagte, dass Plath Gedichte bis Ariel in “Buch-Gedichte” und “keine Buch-Gedichte” kategorisierte.[98] Sie arbeitete Gedichte teilweise Jahre später neu auf und schrieb ihre Briefe auf Durchschlagpapier, um sie später für etwas Literarisches zu verwenden.[99]

Als sie ab 1959 begann mit ihrer poetischen Stimme zu experimentieren, u. a. im Titelgedicht „The Colossus“, hagelte es wegen eines fehlenden dichterischen Geschicks[100] viele Absagen. Ab Oktober, zu der Zeit bereits schwanger, wurden ihre Gedichte dann persönlicher. Diese Note manifestierte sich in ihrem ersten Buch The Colossus and Other Poems. Im Vergleich zu den USA; zeigte sich England milder und anerkennender. Sie fühlte sich in London zwar wie im Exil, dennoch hatte sie sich stärker auf den britischen Markt beschränkt, da der amerikanische nur Ablehnungen bereithielt. Der englische Verlag Heinemann akzeptierte 1960 ihr erstes Buch, wobei es erst im Mai 1961 vom US-Verleger Alfred Knopf in den USA angenommen wurde.

Man sollte meinen, dass häufige Ablehnungen eher zu einem Abnehmen des Schreibens führte, dennoch war es bei Plath umgekehrt: „How many thousands of people as writers [are] more successful than I. If I don’t write in spite of…rejections, I don’t deserve acceptances.“[101] Begann sie Kritik und Ablehnung als einen Motor zu sehen? Gerade in ihren Ariel-Gedichten, die posthum ein Erfolg wurden, verdeutlicht sich die beschriebene Plath-typische, undurchsichtige Dynamik: Sie hatte alle zum New Yorker geschickt, dann zu kleineren Literaturmagazinen, die sie ebenfalls ablehnten: „Plath came to realize that what she had to say in her poems would remain, for the most part, private…as if they would never reach the wide audience of which she had dreamt”[102], hätte Hughes nach ihrem Tod mit dem Plath Estate nicht das Gegenteil gefördert. Dieses kategorische Denken zeigt ihre währende Auseinandersetzung mit Leistung, Anerkennung und persönlicher Akzeptanz durch Veröffentlichung, im Gegensatz zu Sexton, der das Schreiben – gerade über persönliche Themen – durch ihre Therapie eher zuflog.

Schreiben zu können war für sie eine Gabe, für die man Verantwortung trug, die man ihre Arbeit machen lassen musste, (anfangs) weniger Geld und Ruhm im Vergleich zu Plath.[103] In Sextons Augen war Schreiben Kafkas berühmte Axt, eine Art Rettung, um Gefühle aufzubrechen und andere Menschen ihr Leben besser verstehen zu lassen. Dennoch wollte sie, dass ihre Gedichte brillierten, nicht nur, weil sie hart an ihnen arbeitete, sondern weil sie für den Leser ein Geschenk waren: „So perhaps this ambition to be „the best“ and „to give the most“…goes out…and spreads out its roots in other people.“[104] In einem der letzten Briefe an ihre Tochter schrieb sie: „[M]aybe…the spirit of the poems will go on past both of us, and one or two will be remembered in one hundred years…And maybe not.“[105]

Sextons Lyrik spiegelte sie als Mensch aber nicht deckend wider; sie wurde in ihr von Menschen in ihrer Umgebung nicht wiedererkannt; ihre Gedichte wären zu depressiv und grausam.[106] Aber das Dunkle ihrer Lyrik sah sie als Spiegel ihres Selbst: „…and I know that it is, in truth, like me inside. And…“inside“ is the place where poems come from.“[107]

Ihr Ehemann hielt ihre Kurzgeschichte „The Last Believer“ sogar für zu gesund, was, wie Sexton selbst gestand, offensichtlich ihre Gedichte nie waren; sie bemitleidete ihre Lyrik beinahe: „…sad little poems of guilt and loss – with no passion or conviction left to them.“[108], wie sie Starbuck schrieb. Diese Betrachtungsweise scheinen Sexton und Plath zu teilen. Doch empfand Sexton Ruhm und Anerkennung als suboptimal. Sie sah das Wahrhaftige beim Publizieren schwinden; die harte Arbeit an Gedichten wie bei „The Double Image“, war wichtig:

„I was „true“ then. Now I keep thinking I’m losing myself in some mad welter of publicity…Poems, maybe, should be published anonymously.”[109]

Themen fand Sexton immer. Ihr Inneres gab ihr genug Material und auch die Perfektion schien sich nur dann zu manifestieren, wenn sie etwas hatte, worüber sie schreiben konnte. Zuerst schrieb sie es schlecht, um es dann, immer wieder aufarbeitend, zu perfektionieren: „I hate being a writer (when I’m not writing)…I’d rather be writing something bad than nothing at all!![sic]”[110] Sie war eine Verfechterin für langsame Entwicklungen, auch wenn sie dafür monatelang an Gedichten arbeitete. Dieses „reworking“, wie sie es nannte, und die Geduld sowie Aufopferung für einzelne Gedichte, um dem Werk ihre Zeit zu lassen, schien ihr die nötige Ruhe zu geben. Ihr Gedicht „Flee On Your Donkey“ von 1962 entstand während eines Klinikaufenthalts und wurde gefühlte „98765432“[111] mal umgeschrieben. Auch „The Double Image“ hatte sie monatelange Arbeit gekostet. Zwar hatte Plath dieselbe Disziplin und Perfektion, aber nur wenig Geduld. Für Sexton zählte Inhalt und Sprache mehr als Form, was Plath nach Sextons Ansicht eher fokussierte:

„I thought she dogged the point with her form and with her difficult and far-flung images. I felt she was not really making her own form or her own point.”[112]

Doch sie bewunderte Plath für Ariel:

„She had dared to write hate poems, the one thing I had never dared to write. I’d always been afraid, even in my life, to express anger…no one could ever write a poem to compare to her “Daddy.”[113]

„But I feel a new confidence somewhere, a new daring…to write for its own sake and give up the goal. I am going (I hope) to love my poems again…even if they are ugly.”[114]

Auch Sexton wollte ihren Perfektionismus ablegen, zumindest ihrem Schreiben seinen natürlichen Lauf lassen, auch wenn sie kritisiert worden wäre. Kritik traf sie anscheinend auch nur, wenn sie den Kritiker bewunderte oder nichts aus der Kritik verwenden konnte, um daran zu arbeiten. Eine besonders schlechte Kritik zu All My Pretty Ones kam von James Dickey, veröffentlicht in New York Times Book Review im April 1963. Sie trug sie tagelang in ihrer Tasche und Dickey wurde später indirekt zu einem Feind.

Jegliche Ambition, Literatur zu gestalten, war immer auch finanziell unterlegt. So gab es Werke, um tief Wertvolles zu erschaffen, und andere Werke: „not literature but rather a…commercial thing“, „a desperate attempt…to write something that will make…some money“[115]. Dass Prosa in damaliger Zeit das eher lukrativere Schreiben war, wusste auch Sexton: „I have been so busy with the poetry that I have not given any time to prose. I will because I have to, sooner or later. I do have a feeling for stories, for plot and maybe the dramatic situation”[116], schrieb Sexton 1959. Sie mochte Dramen, besonders Szenen, in denen Menschen gewinnen oder verlieren, um am Ende ihre eigenen Gedanken zu finden. „That is, in fact, a major criticism of my poetry.“[117], wollte sie doch genau das in ihren Gedichten bewirken – Tiefe, nicht nur in ihren Konflikten und Bildern, genauso wie bei Plath Pathos und Bathos. Sie erachtete ihre Gedichte als eigentliches Medium, um sich auszudrücken, verfasste aber dennoch Prosa. So veröffentlichte sie beispielsweise 1959 ihre erste Kurzgeschichte „Dancing the Jig“, weitere folgten, trotz Zweifel: „I was afraid it was so amateur that I would axe myself there…I can judge the poems pretty well, but I’m quite unsure with fiction.“[118] Dennoch schrieb sie mit Kumin erfolgreiche Kinderbücher, obwohl sie meinte, nichts über Prosa zu wissen Selbst ihr Theaterstück „The Mercy Street“ erschien ihr fremd, und totgeboren[119]. Sie verzweifelte daran und fand Theaterstücke seien schwerer zu schreiben, als Gedichte und Romane.[120] Später nannte sie ihr Theaterstück „a failure of nerve“[121] ; es wäre nichts im Stück, was nicht auch in ihren Gedichten geschrieben stand. Schlussendlich, auch wenn sie immer vorhatte, das Stück veröffentlichen zu lassen, war der Wert für sie derart gering, dass sie das Schreiben fürs Theater verglich mit „writing on an elf’s wing. He flies away and is lost forever.“[122]

Wie Plath hatte sich auch Sexton oft an Romanen versucht, z. B. 1966, in denen sie drei Kapitel verfasste, die sich nicht real anfühlten und zudem Zweifel an ihrem Schreibtalent aufkeimen ließen[123]: „I want to try my hand, my heart on this foreign, mysterious, precious language. It is not easy for me to write well. Sentences come hard.“[124] Für sie kosteten Romane sehr viel mehr Zeit als Lyrik und hinderten sie an ihren täglichen Pflichten. Auch dass es keine Gedichte waren, empfand sie störend: „I cannot hold it [novel] in my arms like a poem…I must [sic] write this novel, and I must [sic] write it better than I can write…to write one that is lasting.“[125] Der Roman wurde nie beendet: „Maybe I’m not a real N[ovel]-ist anyhow!”[126]

Plaths Roman The Bell Jar hatte zwar eine jahrelange Vorlaufzeit, bis der Plot stand, aber schrieb sich dann wie von selbst. Trotz The Bell Jar und ihrer etwa 70 Kurzgeschichten blieb Lyrik dennoch ihr zugänglichstes Medium, auch wenn dieses mehr Ablehnungen barg und weniger Geld einbrachte. Margaret Atwood schreibt in ihrer Rezension zu Plaths Prosaband Johnny Panic and the Bible of Dreams (posthum 1977 veröffentlicht): „Poetry she considered a mere escape, a self-indulgence in self, and as such unreal, because she was not totally convinced of her own worth or even of her own existence“. Aber Prosa stellte eine größere Herausforderung für Plath dar. Die vielen Ablehnungen, die auch The Bell Jar seitens Knopf mit sich brachte, suggerierten ihr eine fehlende Perspektive, weswegen sie ihr Material nicht gut genug nutzen konnte. Ihre Themen Geisteskrankheit und Suizidversuch in The Bell Jar wären überstrapaziert und nicht belletristisch genau betrachtet, sodass es Leser anziehen könne.[127] Auch ihre Semi-Autobiografie über die depressive und suizidale Esther sowie ihr (und ergo Plaths) Todeswunsch wurden von der Öffentlichkeit abgelehnt. Plath fand demnach in distanzierteren Werken genauso wenig die gewollte Anerkennung als in persönlichen, im Kontrast zu Sexton. Stellte sie ihre Themen zu objektiv dar? Oder war sie gar zu subjektiv?

3.2 Subjektivität versus Objektivität bei Plath

Für Ted Hughes war ein bedeutender Aspekt Sylvia Plaths Arbeitsweise Objektivität, im Sinne des Fehlens einer (subjektiv) poetischen Stimme, was oft zweifelhaft betrachtet wurde (wie bei The Collosus). Dass ihr Themen fehlten, die sie tief genug berührten, um über diese bewusst zu schreiben, hatte Plath erkannt. Ihre Tagebücher lesen sich durchweg als ein Schreiben über das Schreiben, was sie hier und dort verbessern und ändern könnte und müsste, um in ihren Augen eine wertvolle literarische Leistung abzugeben. Wahrscheinlich stellt das ihren Über-Anspruch dar, welcher kaum hätte von ihr selbst erfüllt werden können. Die Schriftstellerin und enge Freundin der Familie Olive Higgins Prouty hatte ihr bereits 1950 geraten, ihr Leben als Material für ihre Schriften heranzuziehen. Dieser Rat wurde ihr in der Zeit von Plaths ersten Schreibblockaden und Depressionen erteilt. Ob sie ihm folgte, lässt sich weder bestätigen, noch widerlegen. In ihren Journals liest man zumindest die ständige Auseinandersetzung mit diesem Thema.

Was jedoch offensichtlich ist, ist Plaths Verwandlung als Dichterin. Ihre Tagebücher enthalten unveröffentlichte (teils nicht einmal in den Collected Poems enthaltene) Gedichte sowie Ideen und Ausformulierungen der Geschichten oder Romane. In SPCP sind 50 ausgewählte Gedichte, vermutlich aus 1952/53-1956, enthalten, die wahrscheinlich Übungen aus ihren Collegezeiten sind, mit der Anmerkung: „In most cases, she seems to have followed his [Hughes‘] textual suggestions.“[128] Vielleicht war es dieser Umstand, den Plaths frühe Gedichte objektiv erschienen ließen, nämlich die vermeintlichen Anweisungen und Intentionen anderer, denen sie glaubte, folgen zu müssen. Schaut man sich ihre Gedichte an, die Anklang fanden und auch jene, die sie einsandte (hauptsächlich vor und aus den Colossus- Gedichten), so scheinen die meisten objektiv, wenn nicht sogar distanziert in ihren Worten und Schlüssen. Liest man hingegen Gedichte, die (nachweislich) einen persönlichen Hintergrund haben, ohne zu behaupten, sie sprächen von Plath als Person, so untermauert sich doch der Eindruck, dass diese im Mindesten eine gewisse Tiefe und Schärfe in der Beobachtung erkennen lassen, nicht nur oberflächlich, objektiv, sondern gefühlt.

Ein sehr frühes Gedicht ohne Titel, was sich am Ende ihres Tagebucheintrags am 31.10.1950 findet (Datum unbekannt[129] ), lässt diesen persönliche(re)n Ton erklingen. Der Eintrag vom 31.10. schlägt bereits einen beinahe verzweifelten Ton über verschwendete Zeit an oder zumindest die Zeit, die mit dem Kampf gegen die innere Leere und der immanenten Ungenügsamkeit mit sich selbst verbracht wird. Eine gewisse Hoffnung geht gleichsam Hand in Hand mit Hoffnungslosigkeit für die Zukunft, die nicht nur mit jeder Sekunde näher rückt, sondern auch durch den Glauben an einen Sinn verkopft wird, das Wissen über alles, was man hat und das ausreicht (oder genügen sollte)[130]:

„Click-click: tick-tick

Clock snips time in two

Two o'clock

And never you.”

Das Gedicht zeichnet in einer einzigen Strophe mit dem ton- und rhythmusweisenden Ticken einer Uhr eine Momentaufnahme der vergehenden Zeit. Sie rennt und erinnert das Subjekt daran, was fehlt: das you.

[...]


[1] Jeremia 29, 13-14

[2] „Readers”, Zeile 24-29

[3] Kaufman, Baer 271

[4] Die nachfolgenden biografischen Informationen sind Plaths Tagebüchern (SPJ), Kirk (A biography) und Alexander (RM) entnommen. Einzelne Zitate oder Vermutungen der Autoren sind mit Literaturverweisen gekennzeichnet.

[5] RM 36

[6] RM 38

[7] RM 45-51

[8] RM 62

[9] RM 73f.

[10] SPJ 149

[11] RM 138

[12] RM 46

[13] Die Rosenbergs, die nach Kirk in der „1950s anti-Communist paranoia“ der McCarthy- Zeit gefangen waren (RM 47), wurden im April 1951 wegen Atomspionage für die Sowjetunion zum Tode durch den elektrischen Stuhl verurteilt. Die Hinrichtung war just für den Monat Juni angesetzt, als Plath sich in New York befand. Zur damaligen Zeit gab es wegen dem Kalten Krieg viele Bürger, die sich gegen die Amerika- und Atompolitik aussprachen und/oder politisch engagierten; durch die steigende Beliebtheit der Stadt auch viele einheimische und zugezogene Künstler und Schriftsteller, die unter Verdacht gerieten, russische Spione zu sein und anti-amerikanisch zu handeln, und sich vor der Kommission von McCarty rechtfertigen mussten. Der damalige Präsident Dwight D. Eisenhower hatte seit der Verurteilung der Rosenbergs nicht nur alle Gnadengesuche rigoros abgelehnt. Durch die bevorstehende Hinrichtung im Sing Sing Gefängnis in New York beschäftigte sich die Presse verstärkt mit diesem Thema; alle Titelblätter diskutierten den Umstand und den baldigen Freitagabend des 19.Juni 1953. Nähere Informationen: Neville, John F. The Press, the Rosenbergs, and the Cold War. Westport: Praeger Publishers, 1995.

[14] RM 164

[15] RM 130

[16] RM 119

[16] RM 164

[16] Im Allgemeinen wird Plaths Geisteszustand als schwere Depression betitelt, zurückgehend auf die Diagnosen aus ihrer Zeit, in der Depression als Krankheitsbild zwar bekannt war, aber noch nicht tiefer kategorisiert aufgrund des damaligen Standes der klinischen Psychologie. So bezeichnete ihre Psychiaterin Ruth Barnhouse Plaths Selbstmordversuch und ihren anschließenden Aufenthalt in der Nervenklinik banal als „state of mental turmoil which is highly unlikely ever to recur“ (RM 151). In neueren Studien wird Plath, wie Sexton, als manisch-depressiv, also bipolar, geführt.

[17] RM 176

[18] RM 187

[19] RM 183

[20] RM 212f., 219

[21] RM 215

[22] SPJ 395

[23] RM 225

[24] RM 223

[25] RM 286

[26] RM 286, 289

[27] Ariel 11

[28] RM 303

[29] RM 309, 312

[30] RM 312

[31] RM 307

[32] RM 321

[33] RM 330 und Zitat Plath „still, blue, almost eternal hour”, aus einem eigens verfassten Kommentar für BBC (siehe auch RM 369). Nach Plaths eigenen Aussagen waren diese Stunden die schlimmsten der frühmorgendlichen Depression.

[34] RM 330

[35] Sexton, „Sylvia’s Death

[36] SPJ 475

[37] SPJ 477

[38] ibid.

[39] Die nachfolgenden biografischen Informationen sind Middlebrook, Davidson und Sextons Briefen (ASL) entnommen. Einzelne Zitate oder Vermutungen der Autoren sind mit Literaturverweisen gekennzeichnet.

[40] MB 8

[41] ASL 270

[42] MB 19

[43] MB 23

[44] MB 26

[45] MB 34

[46] MB 35

[47] ibid.

[48] ASL 31

[49] MB 137

[50] MB 255

[51] MB 361

[52] MB 375f.

[53] MB 392

[54] MB 410

[55] MB 395, 391

[56] RM 338

[57] RM 339

[58] RM 346

[59] RM 349

[60] RM 358

[61] RM 353

[62] 345f.

[63] „Symptomatic Perfectionism” zitiert aus dem Titel des Beitrags „Symptomatic Perfectionism in The Journals of Sylvia Plath “, ursprünglich erschienen in der 43. Ausgabe von Literature and Psychology (1997) unter dem Titel: „Perfect: Ideal Ego and Ego Ideal in The Journals of Sylvia Plath “. Danach erschienen in Tamis Van Pelt: The Other Side of Desire: Lacan’s Theory of the Registers. St Univ of New York: 2000. Print.

[64] Foucault 2003, 246

[65] ASL 273

[66] RM 305

[67] SPJ 484

[68] RM 109

[69] RM 114

[70] ASL 295

[71] SPJ 199

[72] RM 116

[73] ASL 295

[74] SPJ 201

[75] SPJ 203

[76] SPJ 231

[77] SPJ 427

[78] SPJ 511f.

[79] ibid.

[80] ibid.

[81] SPJ 502

[82] SPJ 485

[83] SPJ 149

[84] SPJ 363

[85] SPJ 481

[86] SPJ 509

[87] SPJ 510

[88] SPJ 510

[89] SPJ 512

[90] ibid.

[91] ibid.

[92] RM 215

[93] SPJ 481

[94] SPJ 9

[95] SPJ 515

[96] SPJ 473

[97] SPJ 473

[98] SPCP 14

[99] Brain 15f.

[100] RM 233

[101] SPJ 493

[102] RM 309

[103] ASL 414

[104] ASL 152f.

[105] ASL 417

[106] ASL 147

[107] ibid.

[108] ASL 149

[109] ASL 164

[110] ASL 254

[111] ASL 295

[112] ASL 273

[113] Kevles 2

[114] ASL 153

[115] ASL 241

[116] ASL 61

[117] ibid.

[118] ASL 90

[119] ASL 303

[120] ASL 248f.

[121] ASL 391

[122] ibid.

[123] ASL 286

[124] ASL 303

[125] ASL 304

[126] ASL 284

[127] RM 317

[128] SCPC 299

[129] SPJ 25f.

[130] Wie in den meisten Einträgen vor dem Treffen mit Hughes, beschäftigte sich Plath mit ihrer Anziehungskraft gegenüber Männern, nach einem misslungenen Rendezvous, wonach nun keine andere (männliche) Option mehr da war. Plath sagte sich zwar, dass nur die Zukunft zähle und sie wohl wisse, dass er nicht der richtige Mann für sie sei, aber dass es ihr allein um die Anerkennung ginge. (SPJ 23ff., Eintrag vom 31.10.1950)

Ende der Leseprobe aus 97 Seiten

Details

Titel
Auf den Spuren von Sylvia Plath und Anne Sexton. Zwischen Autobiografie, Schreibtherapie und lyrischer Kreativität
Hochschule
Universität Potsdam  (Philologische Fakultät)
Note
2,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
97
Katalognummer
V344419
ISBN (eBook)
9783668342453
ISBN (Buch)
9783668342460
Dateigröße
982 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schreibtherapie, Sylvia Plath, Anne Sexton, Ted Hughes, confessional, confessionalism, depressionen, psychologie, Frauen, USA, Literatur, Poesie
Arbeit zitieren
M.A. Janett Menzel (Autor:in), 2012, Auf den Spuren von Sylvia Plath und Anne Sexton. Zwischen Autobiografie, Schreibtherapie und lyrischer Kreativität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/344419

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