Dieser Essay hat die Grundlagen der vergleichenden politischen Kulturforschung zum Thema. Es stellt sich die Frage, was Gegenstand der politischen Kulturforschung ist und wie diese sich eingrenzen lässt. Der Essay wird zunächst einen kurzen Abriss über die Geschichte und die Hintergründe der politischen Kulturforschung geben. In der Folge definiert die Verfasserin den Begriff der „politischen Kultur“ näher und wird anhand von Almonds und Verbas Studie „The Civic Culture“ die Dimensionen der politischen Kultur sowie die Differenzierung der Kulturtypen erläutern. Ein Überblick über die politische Kultur in der EU soll den Essay beschließen.
Inhaltsverzeichnis
- Die Geschichte der politischen Kulturforschung
- Die Definition der politischen Kultur
- Die Dimensionen der politischen Kultur
- Input-Dimension
- System-Dimension
- Output-Dimension
- Die Kulturtypen
- Die parochiale Kultur
- Die Untertanenkultur
- Die partizipative Kultur
- Die Staatsbürgerkultur
- Die Homogenität und die Heterogenität der politischen Kultur
- Politische Kultur in der EU
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Essay widmet sich den Grundlagen der vergleichenden politischen Kulturforschung. Er befasst sich mit dem Gegenstand und der Abgrenzung der politischen Kulturforschung. Der Essay beleuchtet zunächst die Geschichte und die Hintergründe der politischen Kulturforschung. Anschließend definiert die Verfasserin den Begriff der „politischen Kultur“ genauer und erläutert anhand von Almonds und Verbas Studie „The Civic Culture“ die Dimensionen der politischen Kultur sowie die Differenzierung der Kulturtypen. Ein Überblick über die politische Kultur in der EU rundet den Essay ab.
- Die Geschichte und Hintergründe der politischen Kulturforschung
- Definition des Begriffs „politische Kultur“
- Die Dimensionen der politischen Kultur: Input-, System- und Output-Dimension
- Die Kulturtypen: Parochiale Kultur, Untertanenkultur, Partizipative Kultur, Staatsbürgerkultur
- Politische Kultur in der EU
Zusammenfassung der Kapitel
1. Die Geschichte der politischen Kulturforschung
Der Essay identifiziert Gabriel A. Almond und Sidney Verba als „die“ Begründer der politischen Kulturforschung, obwohl es bereits in der Antike Ansätze zur Kulturforschung gab. Die Studie „The Civic Culture“ von Almond und Verba aus den 1950er Jahren setzte die Bevölkerung eines Staates erstmals systematisch in den Mittelpunkt der politikwissenschaftlichen Untersuchung. Dies verlagerte den Forschungsgegenstand von politischen Institutionen und Eliten auf die allgemeine Bürgerschaft. Die Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen der politischen Kultur eines Landes und der Stabilität seiner demokratischen Ordnung. Der Essay beleuchtet die historischen Hintergründe des Forschungsinteresses, insbesondere den Zusammenbruch junger Demokratien vor dem Zweiten Weltkrieg (z. B. die Weimarer Republik) und die Dekolonialisierungswelle in den 1950er Jahren, die die Übertragbarkeit des demokratischen Systemtypus auf ehemalige Kolonien ohne demokratische Tradition in Frage stellte. Die Zwischenkriegszeit verdeutlichte, dass weder moderne demokratische Verfassungen noch ein hohes wirtschaftliches und gesellschaftliches Entwicklungsniveau den Bestand einer Demokratie garantieren konnten. Die politische Kultur wurde als entscheidender Faktor für die Stabilität und Performance demokratischer Systeme erkannt.
2. Die Definition der politischen Kultur
Der Essay definiert den Begriff „politische Kultur“ nach Almond und Verba als „die Verteilung von individuellen Einstellungen zu politischen Objekten unter den Mitgliedern des Kollektivs“. Dieser Begriff umfasst nicht beobachtbare Dinge wie Orientierungen, Einstellungen, Haltungen, Glaubens- und Wertvorstellungen von Individuen mit einem politischen Bezug. Das tatsächliche Handeln und Verhalten, das als Manifestation einer Einstellung das politische System beeinflusst, fällt nicht unter das Konzept der politischen Kultur. Die politische Kultur eines Landes ergibt sich aus der Summe aller individuellen Einstellungen und Orientierungen bezüglich politischer Objekte, insbesondere Einstellungen zur generellen Ordnung und Organisation des politischen Systems. Die politische Kultur spielt eine wichtige Rolle für die Stabilität (einschließlich Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit) und die Performanz (Leistungsfähigkeit) eines demokratischen Systems.
3. Die Dimensionen der politischen Kultur
Der Essay stellt die Dimensionen der politischen Kultur nach Almond und Verba vor, die sich an Eastons Systemtheorie orientieren und politische Objekte den Inputs, dem System im Allgemeinen oder den Outputs zuordnen. Politische Einstellungen beziehen sich auf diese drei Dimensionen: Input-, System- und Output-Dimension.
3.1. Input-Dimension
Die Input-Dimension umfasst die Institutionen, mittels derer die Bevölkerung Forderungen an die Politik herantragen kann, wie z. B. Parteien, Behörden und Interessengruppen. Input-Einstellungen sind politische Einstellungen zu diesen Institutionen der Input-Seite. Der Essay stellt drei zentrale Konzepte der empirischen Sozialforschung bezüglich der Input-Dimension vor: das Konzept der politischen Kompetenz, das Konzept der externen politischen Effektivität und das Konzept der Parteienidentifikation.
3.2. System-Dimension
Die System-Dimension umfasst die politischen Einstellungen der Bevölkerung zum politischen Regime und zur politischen Gemeinschaft. Das politische Regime umfasst die grundlegenden Merkmale der institutionellen Ordnung wie die Grundrechte, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung und das Rechtsstaatsprinzip. Das politische Regime prägt die maßgebenden Werte, Normen und Autoritätsstrukturen für das politische Zusammenleben, die die Identität eines politischen Systems als Demokratie ausmachen und es von autoritären und totalitären Regimen abgrenzen. Die politische Gemeinschaft ist die Einheit, der sich die Individuen zugehörig fühlen und der sie ihre Loyalität entgegenbringen. In modernen Gesellschaften und ethnisch homogenen Staaten übernimmt in der Regel die Nation diese Rolle, möglicherweise aber auch eine enger definierte Gruppe, die durch Ethnie oder Territorialgebiet näher bestimmt wird.
3.3. Output-Dimension
Die Output-Dimension umfasst politische Einstellungen zu den Handlungen, Institutionen und Akteuren, die sich mit der Herstellung und Durchsetzung verbindlicher politischer Entscheidungen befassen. Diese Funktion wird in westlichen Demokratien insbesondere durch die Regierung, die Verwaltung, die Gerichte und das Militär wahrgenommen.
4. Die Kulturtypen
Um die politische Kultur eines Landes und damit auch die politischen Einstellungen der Bevölkerung zu den unterschiedlichen Dimensionen zu beschreiben, differenzierten Almond und Verba vier Idealtypen der politischen Kultur, die sich in ihrem Entwicklungsniveau unterscheiden.
4.1. Die parochiale Kultur
In der parochialen Kultur stellt die Politik im Leben der Bevölkerung keinen eigenständigen Handlungsbereich dar. Dieser Kulturtypus entspricht in etwa dem eines vormodernen politischen Systems.
4.2. Die Untertanenkultur
In der Untertanenkultur bildet die Bevölkerung eine positive Beziehung zur Politik als Leistungs- und Ordnungsfaktor aus. Es findet eine Identifikation mit dem politischen Regime und der politischen Gemeinschaft statt. Allerdings lässt sich keine positive Beziehung zu den partizipativen Aspekten der Politik verzeichnen. Dieser Typus ist durch affektive und interessenmäßige Orientierung an der Wohlfahrtssicherung durch Staat und Wirtschaft geprägt. Die Untertanenkultur existierte in den meisten europäischen Staaten vom Beginn der Neuzeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.
4.3. Die partizipative Kultur
Bei der partizipativen Kultur finden sich alle Eigenschaften der Untertanenkultur mit einer Ausnahme: Die Bürgerschaft baut im Stadium der partizipativen Kultur eine positive Beziehung zu den partizipativen Aspekten der Politik auf. Dieser Typ bildet daher die kulturelle Basis einer demokratischen Ordnung.
4.4. Die Staatsbürgerkultur
Die von Almond und Verba favorisierte politische Kultur, die „Civic Culture“ (Staatsbürgerkultur), ist ein Mix aus modernen und traditionellen Elementen. In der Demokratietheorie gilt die Staatsbürgerkultur als zentrale Voraussetzung für eine stabile Demokratie. Sie ist eine Idealform.
4.5. Die Homogenität und die Heterogenität der politischen Kultur
Die Stabilität eines Systems hängt im Wesentlichen von seiner Anerkennung bei den gesellschaftlichen Teilgruppen ab. Zu den wichtigsten Merkmalen einer politischen Kultur gehört eine gewisse Homogenität der politischen Einstellungen innerhalb der Bürgerschaft eines Systems. In einer homogenen politischen Kultur herrscht eine breite Übereinstimmung innerhalb der Gesellschaft über die grundlegenden Fragen des politischen Zusammenlebens und die Einstellungen zur Politik. Ist die politische Kultur heterogen, gibt es große Unterschiede in den politischen Einstellungen innerhalb der gesellschaftlichen Gruppen. Die Gefahr besteht, dass sich das System in konkurrierende, eventuell sogar feindliche Subkulturen aufspaltet. Nach den Annahmen der politischen Kulturforschung begünstigt die Homogenität einer politischen Kultur die Stabilität und Performanz eines Systems, eine Aufspaltung (Fragmentierung) in Subkulturen gefährdet sie.
5. Politische Kultur in der EU
Auf der Grundlage von Almonds und Verbas Studie unterzieht Oscar W. Gabriel die politische Kultur in zwölf EU-Staaten einer empirischen Analyse. Er untersucht für die Systemstabilität und die Performanz mehrere Faktoren, die den drei Dimensionen der politischen Kultur zuzurechnen sind: die Präferenz für eine demokratische Ordnung, die Demokratiezufriedenheit, den Nationalstolz, das Interpersonale- und Institutionenvertrauen (alle Systemebene), das Kompetenzbewusstsein, die Parteiverbundenheit und das politische Interesse (alle Inputebene). Die Analyse zeigt, dass in allen untersuchten Ländern eine Präferenz für eine demokratische Ordnung als Staatsmodell besteht; es ist kein Staat dabei, dessen Bürger die Demokratie als solche ablehnen. In Bezug auf die Demokratiezufriedenheit ergibt sich aber bereits ein geteiltes Bild: sechs Länder finden sich im Lager der fast konsensualen Zustimmung wieder, fünf im Bereich des Dissens; nur in Italien stößt man auf totale Ablehnung. Die konsensuale Zustimmung verkehrt sich jedoch vollends in Dissens, zuweilen sogar in Ablehnung, wenn man die Punkte interpersonales und Institutionenvertrauen, Kompetenzbewusstsein, Parteiverbundenheit und politisches Interesse betrachtet. Fast ausnahmslos tut sich eine Kluft zwischen dem normativen Modell der Staatsbürgerkultur und der politischen Wirklichkeit auf.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter und Fokusthemen des Essays sind politische Kultur, vergleichende politische Kulturforschung, politische Kulturtypen, Staatsbürgerkultur, Demokratie, politische Stabilität, politische Performanz, politische Einstellungen, politische Objekte, Input-Dimension, System-Dimension, Output-Dimension, homogene und heterogene politische Kultur, EU.
- Citation du texte
- Claudia Wößner (Auteur), 2005, Grundlagen politischer Kultur(forschung), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34468