Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Semantik der Ehre
2.1 Der allgemeine Ehrbegriff
2.2 Der dualistische Ehrbegriff
2.3 Der Ehrbegriff im Spanischen
3. Lorcas Yerma
3.1 Handlungsort
3.2 Gesellschaftsordnung
3.3 Personen
3.3.1 Juan
3.3.2 Yerma
3.3.3 Die öffentliche Meinung
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Yerma von Federico García Lorca ist vor allem ein Stück über die unerfüllte Mutterschaft der gleichnamigen Hautperson, welche auch nach Jahren der Ehe kinderlos bleibt. Jegliche Bestrebungen schwanger zu werden scheitern und so gipfelt die Tragödie schließlich in einer Katastrophe, als Yerma ihren Ehemann Juan eigenhändig tötet. Dass der unerfüllte Kinderwunsch allein nicht tragisch sein kann liegt auf der Hand, vielmehr liegt es nahe dass die Tragödie erst durch hinzutretende Faktoren ausgelöst wird. Denn Yerma ist neben dem zentralen Thema der (unerfüllten) Mutterschaft, vor allem ein Drama der andalusischen Provinz, in welcher Traditionen das Zusammenleben der Menschen bestimmen.
Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, Federico García Lorcas Werk in Hinblick auf den Ehrbegriff zu untersuchen. Dabei soll zunächst eine Einführung in die Thematik der Ehre gegeben werden, Definition des Ehrbegriffs und seiner Dualität, und in der Folge auf die Bedeutung der Ehre in der spanischen Welt eingegangen werden.
Im weiteren Verlauf sollen die herausgearbeiteten Erkenntnisse an dem Stück selbst geprüft werden. Zunächst sollen Handlungsort des Dramas und die Gesellschaftsordnung beleuchtet, und in der Folge die Personen analysiert werden. Dabei wird sich beschränkt auf zwei der Hauptpersonen des Dramas, Yerma und Juan, welchen die öffentliche Meinung gegenübergestellt wird. Hinsichtlich der Eheleute soll die Frage beantwortet werden, was Ehre für diese bedeutet und inwiefern ihre Ehrbegriffe die Tragödie erst ermöglicht, Ehre also als ihr Auslöser fungiert.
2. Semantik der Ehre
2.1 Der allgemeine Ehrbegriff
Der Ehrbegriff unterliegt einem stetigen Wandel. Während die Philosophen der Antike Ehre als „Lohn der Tugend“1 definierten, war ab der Neuzeit die Ehre vor allem ein Standesprivileg des Adels mit einem Herrscher als Souverän der über alle Ehre erhaben war, diese verkörperte und daher auch nicht mit ihr in Konflikt geraten konnte.2 Die Ehrbarkeit hing nicht mehr von der eigenen Tugend, sondern vielmehr von der Zugehörigkeit zu einer Gruppe ab. In der modernen Zeit, auch im Zuge der
Demokratisierung, verschwand die Ständegesellschaft und der Ehrbegriff wurde ein allgemeiner, der sich nicht mehr nur auf sie Stände bezog, sondern in jeglichen Gemeinschaften Einzug hielt. Zudem bekam Ehre ab dem 19. Jahrhundert, vor allem im Theater, wieder den Charakter einer moralischen Tugendhaftigkeit anstelle sozialen Ansehens.3
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Ehre ein soziales Konstrukt ist, welches die Ordnung innerhalb einer bestimmten Gruppe gestaltet.4 Durch das Zusammenleben in einer Gemeinschaft formen sich für alle gültige Regeln und Werte heraus, ein Konstrukt nach dem die Mitglieder der Gemeinschaft zu handeln bestrebt sind. Ihr Status im gesellschaftlichen Gefüge bemisst sich dabei danach, wie gut sie sich in den Augen der anderen Verhalten. Korff schreibt hierzu: „Den Selbstwert, den der einzelne durch jeweilige Teilhabe an solchen maßgebenden Werten empfängt und der sich nach außen darstellt in dem Ansehen und der Achtung, die er bei anderen genießt, nennen wir Ehre.“5
2.2 Der dualistische Ehrbegriff
Der Ehrbegriff ist Korff folgend kein einseitiger, sondern vielmehr ein dualer: er lässt sich in einen inneren und einen äußeren aufteilen. Schon Aristoteles Konzept der Ehre als „Lohn der Tugend“ beinhaltete diese Idee, denn derjenige der sich tugendhaft verhält, von dessen Wert solle auch die Öffentlichkeit überzeugt sein. Es wird demnach unterschieden zwischen der Inneren, auch moralischen Ehre und dem Ansehen, dem guten Ruf welcher einem Menschen durch die Außenwelt zugedacht wird.
Im Vergleich zur äußeren Ehre, welche auch ohne eigenes Verschulden verloren gehen könne, könne die innere Ehre einer Person nicht genommen, aber auch durch niemanden Außenstehenden verliehen werden, da sie lediglich Folge eines reinen und tugendhaften Verhaltens sei.6 Correa greift den Gedanken in Hinblick auf das vorliegende Stück auf, indem er feststellt: „In the first case a virtuous life or apparently virtuous life is not regulated by an internal impulse, but is rather the consequence of external standards invented by society at large. In the second case the virtuous life is the immanent ideal regulating conduct, and its adjustment to the external conditions of society is secondary.”7
2.3 Der Ehrbegriff im Spanischen
In der mediterranen Welt, insbesondere in Spanien, hat die Ehre einen besonderen Status im kulturellen wie auch im literarischen Bereich.8 Der Ehrbegriff ist dabei nicht ein völlig anderer als der in 2.2. analysierte, jedoch variiert seine Ausprägung. Ehre, so Weinreich, sei den Spaniern vor allem oder ausschließlich die soziale Billigung der Umwelt gewesen, unabhängig vom tatsächlichen Wert einer Person.9 Die öffentliche Meinung wird zu einem Indikator für den Stellenwert einer Person innerhalb einer Gruppe: Ehre wird erlangt durch die Gemeinschaft und kann auch nur durch diese verloren gehen.
Dadurch, dass die Mitglieder einer Gesellschaft sich der Bedeutung der öffentlichen Meinung für ihr Ansehen innerhalb der Ordnung bewusst sind, sind sie fortwährend darum bemüht diese aufrecht zu erhalten. Dabei gestaltet sich die Ehre für die Geschlechter unterschiedlich: Jede Frau und jedes Mädchen ist von Natur aus ehrbar, schreibt Weinreich in seinem Text zur Mythologie der Ehre: während Ehre für das unverheiratete Mädchen Jungfräulichkeit und Reinheit bedeute, so sei die verheiratete Frau, wenn sie sich keinen anderen Mann hingibt, ehrbar.10 Die Männer hingegen müssen dafür Sorge tragen, dass sich ihre Frauen tugendhaft verhalten, denn ihre Ehre ist die der Familie: betrügt die Frau den Mann so verliert zuallererst er seine Ehre. Dinges schreibt zu der Thematik, es herrsche ein Klima allgemeiner Wachsamkeit, insbesondere müssten „Territorien“ welche in einer engen Beziehung zur Frau gedacht werden wie das Haus, als „heiliger Ort“ bewacht werden.11
In den mediterranen, patriarchalischen Gesellschaften ist die Rollenverteilung von Mann und Frau wesentlich stärker ausgeprägt als anderswo: die Frau kümmert sich um den privaten Bereich, um den Haushalt und die Kindererziehung, der Mann hingegen um den öffentlichen Bereich, die Arbeit. Die Ehre des Einzelnen wird zu einer Familienehre, mit dem Resultat, dass „(..) the moral standing of the family within the community derives from the vergüenza of the wife.”12 Schamgefühl und Tugendhaftigkeit sind dabei weibliche Attribute, wohingegen dem Mann Männlichkeit zugeschrieben wird. „La hombría en el varón y la virtud en la mujer son, así, constitutivos esenciales en el concepto de la honra.”13 Die Wünsche der Frauen werden in der patriarchalischen Gesellschaft als ständige Gefährdung der Ordnung gedacht.
3. Lorcas Yerma
Wie herausgearbeitet, ist die Ehre etwas essentiell Spanisches. Lorcas Aussage folgend, dass die Werke seiner Bauerntrilogie allesamt die Intention eines documental fotográfico haben, ist anzunehmen, das auch Yerma die Thematik der Ehre zugrunde liegt. Inwieweit und in welcher Gestalt dies der Fall ist, soll in der Folge anhand verschiedener Punkte untersucht werden.
3.1 Handlungsort
Yerma spielt in einem spanischen, vermutlich andalusischen, Dorf. Das Klima ist heiß und trocken. Die Landwirtschaft ist die Haupteinnahmequelle, insbesondere die Viehzucht. Der Handlungsort ist dabei nicht willkürlich gewählt: in ruralen Gegenden bestehen Traditionen stärker und ausgeprägter fort, sind demnach ein idealer Nährboden für Tragödien.
3.2 Gesellschaftsordnung
Die Gesellschaftsordnung im Drama spiegelt die traditionellen Konventionen eines typischen andalusischen Dorfes wieder. Insbesondere wird die klare Trennung von privatem und öffentlichem Bereich deutlich: die Männer arbeiten auf den Feldern, die Frauen kümmern sich um Haushalt und Kindererziehung, sie verlassen den privatenBereich nur zum Einkaufen und um die Männer mit Essen zu versorgen. Auch wird die Bedeutung der Mutterschaft für die Frauen der Gemeinschaft deutlich, und fortwährend thematisiert.
3.3 Personen
3.3.1 Juan
Juan genießt als Viehzüchter ein hohes Ansehen innerhalb der Dorfgemeinschaft, er gilt als arbeitsam und vermögend. Dieses Ansehen ist er bestrebt aufrechtzuhalten. Es ist ihm bewusst, dass sein Ruf dabei nicht allein von seinem Verhalten, sondern vor allem von dem Verhalten seiner Frau abhängt und er ist bestrebt, diese Familienehre aufrecht zu erhalten, um den Schein nach außen hin zu wahren. Eine gewisse Sicherheit hierfür sieht er dabei in der gewissenhaften Ausübung der Rollen, welche die Gesellschaft Mann und Frau zuschreibt, das heißt die Frau lebt ihr Leben im privaten Bereich. Er sieht es nicht gerne, dass Yerma das Haus verlässt. Er verbietet es ihr nicht ausdrücklich, redet ihr aber ein, dass es besser sei.
[...]
1 Vgl. Aristoteles: Nikomachische Ethik, Kapitel 113.
2 Vgl. Weinreich, Harald: Mythologie der Ehre. Ethik der Öffentlichkeit, S. 225 f.
3 Podol, Peter L.: The evolution of the honor theme in modern Spanish drama, S. 53 f.
4 Vgl. Brüggenbrock, Christel: Die Ehre in den Zeiten der Demokratie: das Verhältnis von athenischer Polis und Ehre in klassischer Zeit“, S. 11.
5 Korff, Wilhelm: Ehre, Prestige, Gewissen, S. 33.
6 Vgl. Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, S. 627.
7 Correa, Gustavo, and Rupert C. Allen: Honor, Blood, and Poetry in "Yerma”, S. 100.
8 Ebenda, S.100.
9 Vgl. Weinreich, Harald: Mythologie der Ehre. Ethik der Öffentlichkeit, S. 224.
10 Ebenda, S. 226.
11 Vgl. Dinges, Martin: Die Ehre als Thema der Stadtgeschichte: Eine Semantik im Übergang vom Ancien Régime zur Moderne, S. 422.
12 Pitt-Rivers, Julien: The people of the Sierra, S. 115.
13 Correa, Gustavo: El doble aspecto de la honra en el teatro del siglo XVII, S. 104.