Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Diktatorenroman als literarische Gattung
3. Die dominikanische Diktaturgeschichte im 20. Jahrhundert
4. Die dominikanische Diaspora in den USA
5. Transnationale Identität
6. Nuestra Am é rica - Identitätsbildung zu Zeiten von José Martí
7. Transnationale Identität der Charaktere im Roman
8. Spanglish als Ausdruck transnationaler Identität
9. Fazit
10. Bibliographie
1. Einleitung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Werk The Brief Wondrous Life of Oscar Wao wurde 2007 von Junot Díaz publiziert. Der Roman war so erfolgreich, dass Díaz mehrere Auszeichnungen wie beispielsweise den Pulitzer Preis gewann. Sein Werk lässt sich dem Genre des Diktatorenromans zuordnen. Anders als bei der üblichen Vorgehensweise, bei der die Gewalt und Autorität der Figur des Diktators das zentrale Thema darstellt, stehen in diesem Roman primär einzelne Individuen und deren Leben im Vordergrund. Damit trägt Junot Díaz, der selbst in der Dominikanischen Republik geboren wurde und heute in den USA lebt, zur Rezeption der Geschichte der westindischen Inselwelt aus karibischer Perspektive bei.
Die Rezeption der karibischen Geschichte in der Literatur und anderen Wissenschaften betrachtend, wird schnell deutlich, dass diese vorwiegend aus einem okzidental geprägten Verständnis heraus interpretiert wird. So beeinflusse, laut Torres-Saillant, die westliche Sichtweise, welche nur einen „centrifugal glance“ (1997: 61) erlaubt, die Darstellung der Sachverhalte und zeige dabei „little regard for the Caribbean except for the profit or conflict that outsiders may derive from it“ (Torres-Saillant 1997: 61). Dabei, so Torres-Saillant, kollaborieren die Wissenschaftler „in perpetuating a notion that assigns meaning to the Archipelago in terms of its past, present or future connections with Western societies“ (1997: 61). An dieser Stelle wird deutlich, dass aufgrund der Annahme, die karibische Gesellschaft befände sich in einer Disposition gegenüber dem Abendland, das einzelne Individuum vernachlässigt wird. Flores-Rodríguez zufolge würden diese Aspekte zeigen, dass die okzidental geprägte Wissenschaft den karibischen Diskurs meist aus einem Machtverhältnis heraus betrachtet. Des Weiteren deklariert sie „[that] [s]uch a discourse of “Caribbeanness” fails because it does not take into account the moveable and transnational realities of the Caribbean region, nor does it help to raise awareness of these issues beyond the hierarchies imposed by the colonial past” (2008: 92).
Aufgrund der zuvor benannten Parameter wird die Geschichte zu einer Last, mit der die karibischen Autoren zu kämpfen haben, da sie sich in einem Raum bewegen, in dem fast alles schon einmal aus westlicher Sicht beschrieben wurde. Dies betrifft vor allem diejenigen, die sich mit der Diktaturgeschichte Lateinamerikas auseinandersetzen, „as they simultaneously:
1) rely on historical facts to ideologically locate oppressors and oppressed, 2) assign cultural identities based on social roles and 3) infer credibility to the narrative based on its proximity to real events“ (Flores-Rodríguez 2008: 92).
In der folgenden Arbeit soll anhand von Junot Díaz Werk The The Brief Wondrous Life of Oscar Wao analysiert werden, inwiefern die transnationale Identität der Charaktere im Roman ein zentrales Thema darstellt. Dabei wird zuerst der Diktatorenroman als literarische Gattung vorgestellt. Danach werden die Machtperiode von Rafael Leónidas Trujillo Molina und die damit einhergehende dominikanische Diaspora in den USA näher beleuchtet. Des Weiteren soll der Begriff transnationale Identit ä t analysiert werden um anschließend auf den Essay Nuestra Am é rica von José Martí einzugehen. Es handelt sich hierbei um eines der ersten lateinamerikanischen Werke, das grenz- und kulturüberschreitende Identität thematisierte. Außerdem wird auf die Verwendung des Spanglish eingegangen, da dieses gleichzeitig als Symbol einer kulturellen Identität und als Medium der Verständigung zwischen den Kulturen genutzt wird.
2. Der Diktatorenroman als literarische Gattung
Der Diktatorenroman ist eine hispanoamerikanische Literaturgattung, in der das Thema der Militärdiktaturen lateinamerikanischer Staaten im Vordergrund steht. Dabei wird meist das Verhältnis von Macht und Unterdrückung in Frage gestellt und Kritik an der Figur des Diktators geübt. Wichtige Vertreter des Genres sind unter anderem Alejo Carpentier und Gabriel García Márquez (vgl. Flores-Rodríguez 2008: 92). Der Diktatorenroman zeichnet sich dadurch aus, dass die Charaktere ihre Identität über die Beziehung zur Figur des Diktators definieren. Diese wiederum werden als mystische Patriarchen dargestellt, welche die Welt hierarchisieren. Flores-Rodríguez führt weiterhin an “[that] [t]he Dictator’s own role as a citizen becomes marred by concrete or ideological ties with foreign countries (most commonly the U.S.), effectively marking him as an exception to the rule of national identity” (Flores-Rodríguez 2008: 94). Außerdem deklariert sie, dass der Diktator somit gleichzeitig als Metapher und Anomalie fungiert (vgl. Flores-Rodríguez 2008: 94).
Die Werke dieses Genres behandeln oftmals Geschehnisse mit historischem Hintergrund. Selbst jene, die fiktional sind, beruhen in irgendeiner Weise auf wahren Gegebenheiten. Dabei konzentrieren sich die Romane meist auf die Gräueltaten des Regimes und die Exzentrizität der Diktatorenfigur. Zudem beinhalten diese Werke ein starkes moralisches Urteil, wobei der Diktator als Ursache allen Übels gehandelt wird (vgl. Flores-Rodríguez 2008: 94).
Im Gegensatz zu diesen typischen Merkmalen des Genres zeichnet sich das Werk von Junot Díaz dadurch aus, dass das einzelne Individuum und seine Geschichte im Mittelpunkt stehen. Auch wenn Díaz sein Werk selbst in dieses Genre einordnet, wird der Roman eher als „multi- generational familial saga“ (Flores-Rodríguez 2008: 95) gehandelt. Zudem ist auffällig, dass die Figur des Diktators in der fiktiven Erzählung eher hintergründig von Bedeutung zu sein scheint, was vor allem an dessen Trivialisierung mit Hilfe von Adjektiven erkennbar ist. Verdeutlicht wird dieser Aspekt anhand der Verwendung von Bezeichnungen wie „Failed Cattle Thief“ (Díaz 2008: 2), „consummate culocrat“ (Díaz 2008: 161), „Fuckface” (Díaz 2008: 2), „The Dark Lord” (Díaz 2008: 234), „El Jefe” (Díaz 2008: 161) und „T-illo” (Díaz 2008: 233).
Die Geschichte von Trujillo scheint es geradezu nicht verdient zu haben, erzählt zu werden. Dennoch gerät sie nicht aus dem Blickfeld des Rezipienten, da Díaz die Diktaturgeschichte der Dominikanischen Republik in den Fußnoten anfügt. Auch die Charaktere verbinden mit Santo Domingo die Ära des Diktators. Damit ist Trujillo weniger vordergründig ein Teil der fiktiven Erzählung, bleibt jedoch als reale Hintergrundfigur erhalten.
Anders als im üblichen Diktatorenroman, wo die Diktatur die Position eines „larger-than-life events“ (Flores-Rodríguez 2012: 17) einnimmt und sich die Charaktere mit den Zielen der Gesellschaft in Bezug auf die Figur des Diktators definieren, entfernen sich die Protagonisten in Díaz Roman „from general philosophical and social stances in order to assert their own experiences as the primary unit of reality in their context. Characters are not used as allegories of national identities; on the contrary, they shed light on common practices of cultural disenfranchisement” (Flores-Rodríguez 2012: 17).
3. Die dominikanische Diktaturgeschichte im 20. Jahrhundert
Die Politikgeschichte der Dominikanischen Republik wurde im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts stark durch die Amerikaner geprägt. Zudem gab es zu dieser Zeit einige demokratische Bestrebungen, die jedoch mit der Machtübernahme von Rafael Leónidas Trujillo Molina beendet wurden.
Der Mann, der im Volksmund als El Jefe bekannt war, wurde am 24. Oktober 1891 in San Cristóbal geboren und am 30. Mai 1961 ermordet (vgl. Werz 2009: 451 f.). Er schaffte es 1930 mit Hilfe eines Putsches die Position des dominikanischen Präsidenten zu übernehmen, indem er Neuwahlen initiierte, um den amtierenden Präsidenten Horacio Vásquez des Amtes zu entheben. Am Ende gewann er mit eindeutig manipulierten 99% der Stimmen (vgl. Werz 2009: 454). Kurz nach seinem Amtsantritt gründete Trujillo die Partei Partido Dominicano, verbot alle anderen politischen Gruppierungen und veranlasste die vehemente Verfolgung, Folter und Ermordung von Oppositionellen. Zur Sicherstellung, dass sich ihm niemand entgegenstellte, „diente ein Einschüchterungssystem“ (Werz 2009: 456), in dem „[v]iele Morde als Unfälle ausgegeben“ (Werz 2009: 456) wurden. Ein weiteres „Merkmal der Tyrannei waren Einschüchterung und Bestrafung sowie anschließend wiederum die Vergabe eines Postens“ (Werz 2009: 456). 1940 gründete Trujillo eine weitere Partei mit dem Namen Partido Trujillista, welche als „Scheinalternative“ (Werz 2009: 456) bei Wahlen fungierte. Um ein Eingreifen Nordamerikas in seine Politik zu vermeiden, versuchte Trujillo ein Verhältnis im Sinne der „good neighbor policy“ (Werz 2009: 455) zu etablieren. Daher sprach er sich dafür aus, dass die USA in allen wichtigen Angelegenheiten die Führung übernehmen sollte (vgl. Werz 2009: 455).
Trotz der Bekennung zu seinen haitianischen und damit zum Teil schwarzafrikanischen Wurzeln sprach sich Trujillo für eine „Aufweißung“ (Werz 2009: 456) der dominikanischen Bevölkerung aus. Damit schloss er sich der Meinung vieler anderer lateinamerikanischer Politiker seiner Zeit an. Begleitet wurde sein Bestreben von seinem Angebot im Jahre 1938, als er 100.000 verfolgten Juden die Aufnahme in die Dominikanische Republik anbot. Da jedoch nur wenige der Juden ins Land kamen, konnte er die angestrebte Aufweißung der Bevölkerung nicht realisieren (vgl. Werz 2009: 457).
Außenpolitisch agierte Trujillo stets nach seinen wirtschaftlichen und politischen Interessen, wobei er sich als Verfechter der Hispanität präsentierte. Somit sprach er sich wiederholt für Franco und sein Regime in Spanien aus (vgl. Werz 2009: 457).
Durch die Angrenzung an Haiti kam es immer wieder zu Grenzstreitigkeiten, die 1936 beigelegt werden konnten. Nachdem es 1937 zu „einem Übergriff von sogenannten haitianischen merodeadores (Herumtreibern) im Grenzgebiet [kam], ordnete der General an, dass alle Haitianer, die sich illegal auf dominikanischem Territorium befanden, zu töten seien“ (Werz 2009: 456). Bei diesem Massaker wurden zwischen 15.000 und 17.000 Menschen ermordet (vgl. Werz 2009: 456). Aufgrund des politischen Drucks, den die Amerikaner auf den Diktator ausübten, leistete dieser Entschädigungszahlungen an die Hinterbliebenen, wovon diese jedoch durch Korruption nur wenig erhalten haben sollen (vgl. Werz 2009: 457).
Im Laufe seiner Regierungszeit übergab Trujillo viermal das Amt des Präsidenten, wobei er sich nur vertreten ließ und weiterhin die Befugnisse innehielt (vgl. Werz 1999: 460). Neben seiner politischen Macht besaß er aufgrund der von ihm erlassenen Gesetze auch eine enorme wirtschaftliche Autorität, indem er eine Beteiligung an den Einnahmen von Unternehmern in seinem Land einforderte. Wenn seinen Wünschen nicht Folge geleistet wurde, wurden die Unternehmer ermordet, wobei man diese Morde in der Öffentlichkeit als Unfälle darstellte. Somit soll Trujillo damals zu den reichsten Männern seiner Zeit gezählt haben (vgl. Werz 2009: 465).
Neben seinem Reichtum an Geld und Privatbesitz führte er viele verschiedene Beziehungen zu Frauen und zeigte damit auch hier eine starke Unersättlichkeit (vgl. Werz 2009: 461). Angeblich, so Werz, „besaß Trujillo einen besonderen sexuellen Appetit und ließ sich junge Mädchen zuführen, bei Widerstand mit Gewalt bzw. indem er Druck auf andere Familienmitglieder ausübte“ (2009: 462).
Die Herrschaft Trujillos stützte sich auf das von ihm erschaffene System von „drei Macht- bzw. Personengruppen“ (Werz 2009: 465).
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