60 Jahre Unabhängigkeit. Tunesien zwischen Despotie und Demokratie seit 1956

Von einer Großmacht zum Tourismusland in der Mitte Nordafrikas


Essai, 2016

22 Pages


Extrait


Einleitung

Derzeit stehen die drei Maghreb Staaten Tunesien, Algerien und Marokko im Zentrum der Debatte über sichere Herkunftsstaaten. Tunesien als einer drei genannten Staaten feiert das 60. Jahr seiner Unabhängigkeit von der französischen Kolonialherrschaft. Tunesien als kleinstes nordafrikanisches Mittelmeerland ist damit nicht nur ein beliebtes Reiseland, sondern auch der Staat, welcher nach dem Vorbild der französischen Revolution sich im Jahre 2011 endgültig von einer neofaschistischen, einer korrupten, militärischen und politischen Langzeitherrschaft entledigt hat. Die Frage, ob die deuxième indépendance (zweite Unabhängigkeit) auch wirklich zu mehr Freiheit und zugleich Sicherheit geführt hat, ist damit aber keinesfalls beantwortet.1 Es kann in der Tat die Frage gestellt werden, ob Tunesien nach einer vielbewegten Geschichte, die Menschen und Politik in diesem geprägt hat, zu einem der sicheren Herkunftsstaaten zählt. Dieser Essay soll dabei helfen, die tunesischen kulturellen und politischen wie sozioökonomischen Strukturen besser zu verstehen. Zudem gilt dieser Aufsatz als Festschrift zu dem Unabhängigkeitsjubiläum.

Die universalistische Seemacht Karthago

Der Golf von Tunis war schon 814 v. Chr. ein wichtiger zentraler, maritimer und geostrategischer Raum, von kosmopolitischer Bedeutung.2 Dies lag daran, dass hier mehrere See-Großmächte ihren Handel betrieben und mit ihrer maritimen Vormachtstellung zugleich auch ihren Großmachtstatus unterstrichen. Die punische Zivilisation, wenn diese überhaupt so umschrieben werden kann, basierte in erster Linie auf der phönizischen Kultur.3 Diese war hauptsächlich im heutigen Libyen beheimatet. Hervorzuheben ist, dass die Bevölkerungsstruktur Tunesiens zunächst einmal aus einer universellen Gemeinschaft besteht, die den gesamten nordafrikanischen Raum durchzieht. Die Phönizier wie auch die Römer, strebten schon sehr früh nach Expansion, die letztlich aus dem Machtanspruch zur See entsprang.4 Der Seehandel basierte nämlich auf finanzieller und zugleich ökonomischer Stärke. Die Phönizier begriffen viel früher als andere Seegroßmächte, dass gerade dieser Faktor entscheidend für die Vorherrschaft im okzidentalen Mittelmeer war. Damit wurde von dem phönizischen Tunesien auch klar erkannt, dass die ökonomisch wichtigen Stützpunkte im Mittelmeerbereich besetzt sein mussten, um die wichtigen Ressourcen für diese Machtposition im Mittelmeer abdecken zu können. Deshalb standen auch die Peripherien Andalusiens (heutiges Spanien) und das heutige Marokko unter dem Einfluss Karthagos.5 Der Umstand dieser wesentlichen Besetzung war natürlich auch eine Kampfansage gegen die Kolonisierung des griechischen Mittelmeerbereichs. Der Machtanspruch Karthagos blieb deshalb nicht an den Pforten Spaniens und Marokkos stehen; er erweiterte sich vielmehr nach Norden in den Machtbereich Italiens. So umfasste im 7. Jahrhundert der Machtbereich Karthagos Sizilien, Sardinien und Korsika und war damit gleichzeitig eine Kampfansage an das erstarkende Römische Imperium.6 Inwiefern das Reich Karthagos kosmopolitischer Natur war, zeigte nicht nur das Handelsvolumen an Luxusartikeln, sondern es bewiesen auch die Handelsstränge, die von und nach Karthago führten.7 So umfasste der Markt Karthagos die Gebiete der Sarden, Iberer und Sizilianer. Interessant hierbei ist, dass diese vielseitigen kulturellen Volksgruppen an der Kontrolle aller judikativen und exekutiven Organe in dem karthagischen Reich beteiligt waren.

Interessant hierbei erscheint nicht nur der universelle Aspekt, sondern auch der Umstand, dass schon im Altertum Karthago nicht den Mulitkulturalismus wieder spiegelte, sondern auch den Klientelismus. Die Machtfunktionen übernahmen meistens reiche und damit einflussreiche Familien.

Die Auswirkung der punischen Kriege, die gänzliche Vernichtung des karthagischen kosmopolitischen Reiches durch Rom, zerstörte auch die Institutionen und die religiösen Komponenten dieses Universalismus.8

Das erste tunesische Protektorat durch das Römische Reich

Mit der Vernichtung Karthagos durch Rom, muss man von einer neuen Ära sprechen, nämlich von der afrikanisch-römischen Ära.9 Diese prägte letztlich einen Teil der tunesischen Zivilisation. Sie wurde quasi von der phönizischen in eine römisch-gallische Kulturstruktur überführt.10 Somit wurde die Kultur Karthagos nicht nur geostrategisch okkupiert, sondern sie wurde durch den römischen Senat und den entsandten Protektor eliminiert.11 Damit galt Karthago nicht nur als besetztes Gebiet, wie später das französische Protektorat, sondern es zählte zu den Provinzen Roms.12 Völkerrechtlich gesehen existierte Karthago demnach nicht mehr. Dies zeigt auch der Besatzungsstatus an, denn die römischen Legionen hatten de facto nicht nur das militärische Durchsetzungsrecht, sondern auch das Exekutivrecht.13 Jener Fakt zeigte sich auch in der Implementierung der römischen Kultur und den Kulturbauten, wie jene in Dougga.14 Oder an dem Amphitheater bei El Jem, welches nicht nur Stätte von Gladiatorenkämpfen war, sondern Ausdruck römischer Macht.15

Dieses Theater ist sogar das drittbedeutendste des römischen Machtbereiches.16 Erst die politische und militärische Krise des Imperium Romanum führte in die Etappe der Christianisierung und letztlich auch Berberisierung Tunesiens.17 Den Abschluss des progressiven Zerfalls der römischen Provinz Karthagos fand durch die Besetzung der Wandalen im Jahr 430 n. Chr. statt. Auf diese folgte die Okkupation der Byzantiner 530 n. Chr.

Das Christentum in Tunesien und Byzanz

Mit dem 2. Jahrhundert wurde Tunis auch vom Christentum erfasst.18 Allerdings und dies ist essentiell, konnte die römisch-katholische Kirche sich niemals in Nordafrika richtig etablieren. So blieb die Christianisierung gerade Tunesiens meistens auf die Ballungsräume wie bspw. Karthago beschränkt.19 Besonders zu bemerken ist, dass gerade in Nordafrika, und hier insbesondere in Tunesien, die Hinrichtung von Christen durch das römische Protektorat sehr große Zustimmung erhielt.20 Im ländlichen Raum streifte die christliche Religion nur tendenziell die ländliche Bevölkerung.21

Islamisierung und Arabisierung

Zwischen 146 bis 647 war die römisch-byzantinische Provinz Tunis quasi nicht nur latinisiert und christianisiert, sondern damit waren auch die Zivilisationsstrukturen des Phönizierreiches komplett transformiert.22 Es folgte nun eine zweite zivilisatorische Transformationsphase mit dem beginnenden 7. Jahrhundert und zwar durch die Eroberungen arabischer Armeen, welche aus dem Nahen Osten kamen.23 Schon unter dem Zweiten Kalifen Omar ibn el Chatab wurde die Eroberung Ifriqiyas (Afrikas) ins Auge gefasst.24 Allerdings war schon zu jener Zeit mit einem langen berberischen-byzantinischen Widerstand zu rechnen, so dass auch die Gefahr von politischer Instabilität des Kalifats bestand.25 Mit dem Dritten Kalifen Othman (644-656) begann die Expansion Richtung der Maghreb-Staaten und damit auch Tunesiens endgültig. Unbestritten ist, dass damit auch das byzantinische Reich unter Heracilus (575- 641) ins Abseits gedrängt wurde.26 Bereits 647 hatten arabische Armeen Alexandria erobert und begannen von dort ihre Expedition militärischer Art gen Tunis. Uqba ibn Nafi baute bei Kairouan eine Basis, von der aus die arabischen Armeen weiter operieren konnten.27 Allerdings war die Okkupation des tunesischen Raumes nicht so einfach, da die Anführerin der Berber in eine Koalition mit den Byzantinern gegangen war und den arabischen Truppen ein weiteres Einströmen erschwerte.28 Allerdings ist gerade Uqba ibn Nafi zu verdanken, dass es die althistorische Stadt Kairouan mit ihrer bekannten archetektonisch-stilvollen Moschee gibt, wie auch den Regierungspalast und die Gärten,.

[...]


1 Vgl. Jeune Afrique Jahrgang 2011-2014.

2 Vgl. Historia civilisation: De Hannibal à la révolution, Paris 2016, S. 12.

3 Ebd.

4 Ebd.

5 Ebd., S.13-15.

6 Ebd.

7 Ebd.

8 Ebd., S. 16

9 Ebd.

10 Ebd.

11 Ebd.

12 Ebd.

13 Ebd.

Anmerkung: Damit hatte Karthago aufgehört völkerrechtlich zu existieren. Dies unterscheidet sich von der Okkupation Frankreichs 1881/83 insoweit, dass der tunesische Bey noch teil-exikutive Rechte beibehielt. Im Falle Roms jedoch muss festgehalten werden, dass die karthagische Bevölkerung und damit auch der Staat keinerlei Mitbestimmungsrechte mehr hatte.

14 Ebd., S. 20-23 ff.

15 Ebd.

16 Ebd.

17 Ebd., S. 26-29 ff.

18 Ebd.

19 Ebd.

20 Ebd.

21 Ebd.

22 Ebd.

23 Ebd., S. 32-36.

24 Ebd.

25 Ebd.

26 Ebd.

27 Ebd.

28 Ebd.

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
60 Jahre Unabhängigkeit. Tunesien zwischen Despotie und Demokratie seit 1956
Sous-titre
Von einer Großmacht zum Tourismusland in der Mitte Nordafrikas
Université
German University of Administrative Sciences Speyer  (Abendakademie Mannheim)
Cours
Vortrag am 23.11.16 an der Abendakademie Mannheim zum Thema des 60.-ten Jahres der Unabhängigekeit Tunesiens
Auteur
Année
2016
Pages
22
N° de catalogue
V345129
ISBN (ebook)
9783668349063
ISBN (Livre)
9783668349070
Taille d'un fichier
767 KB
Langue
allemand
Annotations
Dieser Beitrag stellt einen festschriftlichen Essay zum 60.-ten Jahr der Unabhängigkeit Tunesiens dar. Dabei wird auch der wechselseitige Wandel des nordafrikanischen Staates beleuchtet. Dieser Essay wurde im Rahmen der Veranstaltung des Festvortages an der Abendakademie Mannheim niedergeschrieben. Der Vortrag am 23.11.16 war ein Jubiläumsvortag zum 60.-ten Jahr der Unabhängigkeit Tunesiens.
Mots clés
Tunesien, 1956, Bardo-Vertrag, Karthago, Bourghiba, 2011
Citation du texte
Ilya Zarrouk (Auteur), 2016, 60 Jahre Unabhängigkeit. Tunesien zwischen Despotie und Demokratie seit 1956, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/345129

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