Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2 Muslimische Reaktionen im Spiegel journalistischer Ethikcodes
2.1 Muslimische Dachverbände in Deutschland
2.1.1 Der Islamrat
2.1.2 Der Zentralrat der Muslime
2.2 Journalistische Pressekodizes
2.3 Reaktionen muslimischer Dachverbände
3 Fazit
4 Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Rund anderthalb Jahre sind nach der öffentlichen Debatte um die Karikaturen des islamischen Propheten Mohammed vergangen. Die erstmals bereits am 30. September 2005 in der dänischen Tageszeitung „Jyllands-Posten“ veröffentlichten zwölf Bilder gingen um die Welt und lösten bei Muslimen rund um den Globus zum Teil heftige Stürme der Entrüstung aus, die sogar in Gewalt gegen Mensch und Material gipfelten (vgl. Bertelsen & Elkjær 2006: 37) . Während vornehmlich im arabischen Raum gewaltsame Proteste, besonders medienwirksame öffentliche Flaggenverbrennungen oder ähnliches als adäquate Mittel der Wut und des Entsetzen über die Karikaturen galten, blieben derartige Szenen in weiten Teilen Westeuropas aus. Das galt auch für Deutschland. Doch wie fielen die Reaktionen bei den in Deutschland lebenden Muslimen, immerhin rund 3,2 Millionen (Hoffmann 2004: 33), aus? Darf man annehmen, dass insbesondere die Nachfolgegeneration der ehemals türkischen Gastarbeiter die vermeintlichen Skandal-Bilder aus einem anderen Blickwinkel sieht? Immerhin sind viele Muslime bereits in Deutschland geboren und auch aufgewachsen, in der Gesellschaft integriert und womöglich liberaler in Auslebung ihres Glaubens. Eine Welle der Entrüstung sollte dann doch nach den vorangestellten Vermutungen ausbleiben, so glaubt man. Aber ist dies wirklich so?
Diese Arbeit soll Aufschluss über die Reaktionen islamischer Dachverbände in Deutschland bringen, sie vergleichen und journalistischen Kodizes gegenüberstellen. Die Ausgangsfrage soll also sein: Besteht eine Deckungsgleichheit der Stellungnahmen islamischer Verbände in Deutschland mit journalistischen Ethikvorstellungen? Zunächst einmal sollen dazu zu Beginn des Hauptteils aber die zwei größten Verbände, der Zentralrat der Muslime und der Islamrat, im Kurzportrait vorgestellt werden. Gepaart damit sollen Ethikcodes des in Deutschland geltenden Presskodex’ knapp erörtert werden. Im Anschluss daran folgen dann eine Analyse der öffentlichen Stellungnahmen der Vertreter muslimischer Verbände sowie ein Vergleich derer mit Bestimmungen des Pressekodexes. Die Vermutung, dass sich die Reaktionen der muslimischen Verbände auf die Mohammed-Karikaturen mit den Bestimmungen der journalistischen Ethik decken, soll die vorangestellte Hauptthese bilden, die dann im Schlussteil belegt bzw. widerlegt werden und die Gesamtarbeit abrunden soll.
2 Muslimische Reaktionen im Spiegel journalistischer Ethikcodes
2.1 Muslimische Dachverbände in Deutschland
2.1.1 Der Islamrat
Der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland wurde im Jahre 1986 gegründet und gilt neben dem Zentralrat der Muslime als größter muslimischer Verband in Deutschland. Aktuell vertritt der Islamrat 37 Vereine „mit geschätzten 40.000 – 60. 000 Mitgliedern“ (Becker 2005: 66). Auf seiner Internetpräsenz (URL: http://www.islamrat.de) betrachtet sich der Verband als „Brücke zwischen Deutschland und der islamischen Welt“, der die islamischen Werte, Lehren und Traditionen als Grundlage für sich sieht. All dies gilt aber im Rahmen des Grundgesetzes und den Verfassungen der Länder, zu denen sich der Islamrat – wie auch „den Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung und des sozialen Rechtsstaates – uneingeschränkt bekennt“. Etwas widersprüchlich scheint in diesem Zusammenhang die Mitgliedschaft des größten Vereins, der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), da diese vom Verfassungsschutz beobachtet wird (vgl. Güßgen 2006).
Weiteres Charakteristika des vom Ratsvorsitzenden Ali Kizilkaya geführten Verbandes ist das Streben einer Gleichstellung mit der evangelischen, katholischen sowie der griechisch-orthodoxen Kirche. Die „religiöse, soziale und kulturelle Betreuung der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Muslime“ hat sich der Islamrat als Hauptaufgaben auf die Fahne geschrieben. Neben Traditions- und Religionspflege legt der Verband Wert auf die Förderung der Einheit integrationswilliger Muslime und will zudem eine feste Solidarität der Muslime untereinander zu bestärken.
2.1.2 Der Zentralrat der Muslime
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) ist der kleinere der beiden islamischen Dachverbände in Deutschland. Den eigenen Angaben des Zentralrats zur Folge sind 800.000 Muslime in dem Verband vertreten, Expertenmeinungen nach zu urteilen sind allerdings nur rund 20.000 – 30.000 Mitglieder in dem ZMD in 19 untergeordneten Organisationen zu verzeichnen (vgl. http://www.qantara.de/ webcom/show_article.php/_c-469/_nr-468/i.html). Laut Selbstdarstellung auf der Internetpräsenz des Zentralrats der Muslime in Deutschland (URL http://www.zentralrat.de) sieht sich der Verband als Diskussions- und Handlungsebene seiner Mitglieder und nimmt die Aufgabe eines Dialog- und Ansprechpartners für den deutschen Staat, die Verwaltung und die anderen Gruppen der Gesellschaft wahr. Der Zentralrat will die Moscheegemeinden, islamischen Vereine, Verbände und Dachorganisationen weder ersetzen noch mit ihnen konkurrieren, er will vielmehr ihre gemeinsamen Interessen als Gesellschaftsgruppe vor den Behörden vertreten und die Rechte, die ihnen als Religionsgemeinschaft zustehen, in ihrem Namen verlangen (URL: http://zentralrat.de/2594.php). Im Gegensatz zu dem Islamrat verfolgt der ZMD nicht ausdrücklich das Ziel einer Gleichstellung zu den christlichen Kirchen. Deckungsgleichheit besteht indes in Sachen islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen, den nämlich beide Spitzenverbände einführen wollen.
Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland ist seit Februar 2006 der deutsche Dr. Ayyub Axel Köhler, der einen „sehr liberalen Islam vertritt und ohne politische Ambitionen sei“ (Rosenfelder 2006: 41). Die Wahl Köhlers, der damit direkter Nachfolger von Nadeem Elyas ist, „der dem Rat seit dessen Gründung 1994 vorstand“ (vgl. http://www.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-469/_nr-468/i.html), fiel mitten in den Zeitraum der öffentlichen Debatte um den Karikaturenstreit und stellte die erste Bewährungsprobe für den Ersten Vorsitzenden dar.
2.2 Journalistische Pressekodizes
Die Presse verzichtet darauf, religiöse, weltanschauliche oder sittliche Überzeugungen zu schmähen“. Gerade einmal elf Wörter umfasst die Ziffer 10 „Religion, Weltanschauung, Sitte“ des Pressekodex’ nach der Fassung vom 13. September 2006 (URL: http://www.presserat.de/Pressekodex.pressekodex.0.html). Auch Ziffer 12 zur Thematisierung der Diskriminierung wurde in der öffentlichen Debatte mit einbezogen. Dort heißt es: Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.
Vornehmlich aber Ziffer 10, die zum Zeitpunkt im Februar 2006 noch in einer Abänderung gültig war[1], stand damals im Brennpunkt des Karikaturenstreits. Rechtfertigt Ziffer 10 den Ab- beziehungsweise den Nachdruck der Mohammed-Karikaturen oder nicht? Auch innerhalb der Zunft der Journalisten gab es unterschiedliche Meinungen: So verteidigte „Die Welt“-Chefredakteur Roger Köppel im Gespräch mit Tageschau.de-Redakteurin Claudia Ulferts den Nachdruck der Karikaturen als legitim und untermauerte die Abbildungen im Blatt mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und dem darin implizierten „Recht auf Blasphemie“. Zudem wiesen die Bilder im Zusammenhang mit dem Text dokumentarischen Charakter auf, der im Zusammenhang um die öffentliche Debatte wiederum der journalistischen Sorgfaltspflicht entsprächen. Köppel erklärte in dem Gespräch weiter, dass man die religiösen Gefühle natürlich respektieren müsse, seiner Meinung nach aber keine Grenzüberschreitung vorliegt. Demnach also auch kein Verstoß gegen „sittliche oder religiöse Empfindungen einer Personengruppe“. (Vergleiche hierzu URL: http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5 196232_REF1_NAV_BAB,00.html). Auch in der Journalismus-Fachzeitschrift „Message“ wird Köppel in der Ausgabe 2/2006 vom Autor Horst Schilling, der selbst zwölf Jahre dem Presserat angehörte, in dem Artikel „Religion muss Kritik ertragen können“ mit ähnlichen Worten zitiert. So sei laut Köppel aufgrund der gesteigerten Informationspflicht die Rücksicht gegenüber den religiösen Empfindungen gläubiger Muslime durchaus vorhanden gewesen. Die journalistische Ausgewogenheit sei ebenfalls beachtet worden, da „ein Repräsentant der islamischen Minderheiten in Deutschland umfassend zu Wort gekommen sei“ (Schilling 2006: 89). Das Nicht-Abdrucken der Bilder käme insgesamt einer Aufhebung der Informations- und Meinungsfreiheit gleich, da die Öffentlichkeit das Recht habe, die aktuellen Diskussionen zu verfolgen und dementsprechend auch die Bilder zu sehen, um zu wissen, worum es überhaupt geht. „Der bloße Hinweis auf die Existenz der Karikaturen hätte diesen Zweck nicht erfüllt“ (ebenda).
Ganz ähnlich argumentiert auch der Deutsche Presserat in einer Pressemitteilung vom 2. März 2006. Demnach stünden die Veröffentlichungen in der „Welt“ im Einklang mit dem Pressekodex und insbesondere mit der Ziffer 10. Zur Begründung der Abweisung der Beschwerde heißt es vom Deutschen Presserat:
[...]
[1] „Veröffentlichungen in Wort und Bild, die das sittliche oder religiöse Empfinden einer Personengruppe nach Form und Inhalt wesentlich verletzten können, sind mit der Verantwortung der Presse nicht zu vereinbaren“ (Deutscher Presserat, Pressekodex, Ziffer 10, Stand 02.03.2006)