Natur als Norm. Ethische Urteilsbildung zur Reproduktionsmedizin anhand von drei Fallbeispielen


Examination Thesis, 2016

66 Pages, Grade: 2


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

1 Medizinische Lage heute: Ärzte als neue Schöpfer der Menschheit?
1.1 Methodik der In-Vitro Fertilisation (IVF) und der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI)
1.2 Aktuelle Statistiken zur Anwendung von IVF und ICSI
1.3 Methodik der Samenspende
1.4 Methodik der Kryokonservierung
1.5 Die Frage nach dem Ziel der Reproduktionsmedizin

2 Das Prinzip der Natürlichkeit
2.1 Stufen der Künstlichkeit in der Reproduktionsmedizin
2.2 Warum ist der Begriff „künstlich“ so negativ konnotiert?

3 Analyse von ethischen Fragestellungen im Hinblick auf den Natürlichkeitsbegriff bei assistierter Fertilisation mittels drei Fallbeispielen
3.1 Das unfruchtbare Paar
3.1.1 Ist ungewollte Kinderlosigkeit als Krankheit zu bewerten, die medizinischer Hilfe bedarf?
3.1.2 Besteht ein Anspruch auf Elternschaft?
3.1.3 Der Status des Embryos – sollten befruchtete aber unnötige Eizellen zur Adoption freigegeben werden?
3.2 Mutterschaft nach der Menopause
3.2.1 Wie weit lässt sich die natürliche Grenze ausweiten?
3.2.2 Kindeswohl – gibt es ein Anrecht auf vitale Eltern?
3.2.3 Verantwortungsbewusste Fortpflanzung - Lieber eine Teenie-Mama als eine alte Mutter?
3.3 Die körperlich eingeschränkte Mutter
3.3.1 Welchen Stellenwert hat die biologische Mutterschaft?
3.3.2 Reproduktive Autonomie – Fortpflanzung als Persönlichkeitsrecht?
3.3.3 Wrongful life - Gibt es ein Recht auf Nicht-Existenz?

Abschließende Gedanken

Literaturverzeichnis

Vorwort

Diese Arbeit beschäftigt sich mit einigen ethischen Fragestellungen zu der heutigen Reproduktionsmedizin. Dabei ist es nicht Ziel dieser Arbeit, Antworten zu finden – dies scheint auch kaum möglich zu sein – sondern vielmehr soll sie den Leser zur kritischen Hinterfragung der medizinischen Möglichkeiten im Bereich der menschlichen Fortpflanzung anregen.

Zunächst wird im ersten Kapitel die medizinische Ausgangslage im Bereich der Reproduktionsmedizin aufgezeigt. Dabei werden die gängigsten Methoden IVF und ICSI, Samenspende und Kryokonservierung vorgestellt und der jeweilige Ablauf geschildert. Außerdem werden die aktuellen Zahlen des Jahrbuchs 2014 des Deutschen IVF-Registers zu der IVF- bzw. ICSI-Methode kurz gezeigt. Abschließend wird das Ziel der heutigen Reproduktionsmedizin kritisch hinterfragt.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem Begriff der Natürlichkeit im Hinblick auf die menschliche Fortpflanzung und die Entwicklung der Reproduktionsmedizin. Dabei werden zunächst die verschiedenen Stufen der Künstlichkeit innerhalb der unterschiedlichen Verfahren, anhand von Dieter Birnbachers Werk Natürlichkeit, zur artifiziellen Fertilisation erläutert und durch Bespiele untermauert. Des Weiteren wird erläutert, wieso der Begriff Künstlichkeit heute so negativ konnotiert ist. Hierbei wird auch auf den Sprachgebrauch und die Assoziationen der unterschiedlichen Begrifflichkeiten im Wortfeld von künstlich und natürlich Bezug genommen.

Das dritte und letzte Kapitel stellt schließlich kritische Fragen zur Reproduktionsmedizin im Kontext von drei Fallbeispielen. Das erste Beispiel handelt dabei von einem unfruchtbaren Paar, das durch die Inanspruchnahme von künstlicher Befruchtung versucht schwanger zu werden. Das zweite Beispiel stellt ein homosexuelles Paar dar, das dritte Beispiel eine körperlich eingeschränkte Frau, jeweils beide Fallbeispiele mit unerfüllten Kinderwunsch. Die Fragestellungen, die zu den jeweiligen Beispielen gestellt werden, beziehen sich nicht ausschließlich auf die jeweilige Lebenssituation der Beispielpersonen, stattdessen wird versucht, festzustellen, worin die ethische Fragestellung begründet liegt.

In dieser Arbeit soll weder eine Positionierung noch eine klare Beantwortung von diesen Fragestellungen stattfinden, vielmehr sollen Gedankengänge angestoßen werden, um sich der Thematik des Kinderwunsches in besonderen Situationen und dessen Erfüllung anzunähern und von mehreren Seiten zu beleuchten.

Einleitung

Es war einmal eine Frau, die sich sehr nach einem kleinen Kinde sehnte, aber sie wusste nicht, woher sie es nehmen sollte. Da ging sie zu einer alten Hexe und sagte zu ihr: „Ich möchte herzlich gern ein kleines Kind haben, willst du mir nicht sagen, woher ich das bekommen kann?" „Ja, damit wollen wir schon fertig werden!" sagte die Hexe. „Da hast du ein Gerstenkorn; das ist gar nicht von der Art, wie sie auf dem Felde des Landmanns wachsen oder wie sie die Hühner zu fressen bekommen; lege das in einen Blumentopf, so wirst du etwas zu sehen bekommen!" „Ich danke dir!" sagte die Frau und gab der Hexe fünf Groschen, ging dann nach Hause, pflanzte das Gerstenkorn, und sogleich wuchs da eine herrliche, große Blume; sie sah aus wie eine Tulpe, aber die Blätter schlossen sich fest zusammen, gerade als ob sie noch in der Knospe wären. „Das ist eine niedliche Blume!" sagte die Frau und küsste sie auf die roten und gelben Blätter, aber gerade wie sie darauf küsste, öffnete sich die Blume mit einem Knall. Es war eine wirkliche Tulpe, wie man nun sehen konnte, aber mitten in der Blume saß auf dem grünen Samengriffel ein ganz kleines Mädchen, fein und niedlich, es war nicht über einen Daumen breit und lang, deswegen wurde es Däumelinchen genannt.[1] (Hans Christian Andersen, Däumelinchen, 1835)

Schon Hans Christian Andersen nahm sich in seinem beliebten Kindermärchen Däumelinchen der Thematik der ungewollten Kinderlosigkeit an. Eine Frau wünscht sich nichts sehnlicher als ein eigenes Kind, so dass sie zu einer Hexe geht, die ihr eines gegen Bezahlung verspricht und ihr dazu verzauberte Gerstenkörner mitgibt. Warum die Frau keine Kinder bekommen kann, erfährt der Leser im gesamten Märchen allerdings nicht. Die Frau scheint keinen Partner zu haben, auch wird über ihr Alter keine Auskunft gegeben. Es können also vielfältige Gründe für ihre ungewollte Kinderlosigkeit sein: ein zu hohes Alter, Homosexualität, Sterilität. Ursachen, die heute mittels moderner Reproduktionsmedizin überwunden werden können. Andersen skizziert hier also – wahrscheinlich nichtsahnend – ein Szenario, das fast 200 Jahre und viele technische Erfindungen später möglich gemacht wurde. Die Hexe wird durch ein medizinisches Ärzteteam ersetzt, die verzauberten Gerstenkörner sind Petrischalen und Punktionsnadeln. Der ehemals unschuldigen Vorstellung, ein Korn zu pflanzen, aus der eine Blume wächst in der ein kleines Mädchen entsteht, ist nun einem technisierten Vorgang gewichen, der sehr viel Planung, Geduld und leider auch Misserfolg mit sich bringt.

Auch in der Bibel gilt Unfruchtbarkeit als großes Leid: „Als Verursacher dieser gilt Gott, JHWH hat die Macht, den Mutterleib zu schließen (1Sam 1,5) oder zu öffnen (Gen21,1). Nach biblischer Vorstellung ist also Kinderlosigkeit nicht menschliche Schuld, sondern Gott wird dafür verantwortlich gemacht.“[2]

Isaak aber bat den Herrn für seine Frau, denn sie war unfruchtbar. Und der Herr ließ sich erbitten, und Rebekka, seine Frau, ward schwanger. (Gen, 25,21)

Das Phänomen Unfruchtbarkeit bzw. Kinderlosigkeit ist ein häufig zitiertes Problem, so taucht es an vielen Stellen in der Bibel auf. Die Fülle der Problematik scheint darauf hinzuweisen, dass Sterilität wohl schon ein weit verbreitetes Problem im Alten Orient gewesen sein muss. Um die Kinderlosigkeit zu umgehen und damit die Nachkommenschaft des Stammes zu retten, werden teilweise ungewöhnliche Methoden angewandt. So finden sich hier erste Hinweise auf Leihmutterschaft. Die unfruchtbare Rahel bittet ihren Mann Jakob ein Kind mit Rahels Magd Bilha zu zeugen.

Als Rahel sah, dass sie Jakob kein Kind gebar, beneidete sie ihre Schwester und sprach zu Jakob: Schaffe mir Kinder, wenn nicht, so sterbe ich. Jakob aber wurde sehr zornig auf Rahel und sprach: Bin ich doch nicht Gott, der dir deines Leibes Frucht nicht geben will. Sie aber sprach: Siehe, da ist meine Magd Bilha; gehe zu ihr, dass sie auf meinem Schoß gebäre und ich doch durch sie zu Kindern komme. So gab sie ihm, Bilha, ihre Leibmagd, zur Frau und Jakob ging zu ihr. Und Bilha ward schwanger und gebar Jakob einen Sohn. (Gen, 30,1-5)

Heute eine kontrovers diskutierte Methode, so scheint die Leihmutterschaft im Alten Orient eine beliebte Alternative gewesen zu sein. Denn auch Sarai, die Frau von Abram, leidet an Unfruchtbarkeit und möchte mithilfe ihrer Magd Hagar zu einem Kind kommen.

Sarai, Abrams Frau, gebar ihm kein Kind. Sie hatte aber eine ägyptische Magd, die hieß Hagar. Und Sarai sprach zu Abram: Siehe, der Herr hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann. Geh doch zu meiner Magd, ob ich vielleicht durch sie zu einem Sohn komme. Und Abram gehorchte der Stimme Sarais. […] Und er ging zu Hagar, die ward schwanger. (Gen, 16,1-4)

Schien es zu biblischen Zeiten recht unkompliziert, ein Kind mittels Leihmutterschaft zu bekommen, unterliegt sie heute strengen Gesetzgebungen und ist in vielen Ländern, u.a. auch Deutschland, nicht erlaubt. So drängt es viele unfruchtbare Paare ins Ausland. Der sog. Reproduktionstourismus boomt. In vielen Dritte-Welt Ländern ist der „Beruf Leihmutter“ eine lukrative Einnahmequelle. Das Produkt Kind wird immer mehr kommerzialisiert, und so kommt es, dass ein Paar sehr viel Geld zahlen muss, um sich den Wunsch vom eigenen Kind doch noch zu erfüllen. Hier kommt wieder Andersens Däumelinchen ins Spiel, in dem auch die unfruchtbare Frau fünf Groschen der Hexe gezahlt hat, eine für damalige Verhältnisse hohe Summe. Ein Kind zu „erwerben“ war also schon damals kostspielig und zeigt auf, welch hohen Preis - finanziell als auch emotional – verzweifelte und unglückliche Paare bereit sind, zu zahlen.

1 Medizinische Lage heute: Ärzte als neue Schöpfer der Menschheit?

Mit der Geburt von Louise Brown im Jahre 1978, dem ersten „Retortenkind“, gelang ein medizinischer Durchbruch, der ganz neue Möglichkeiten und Perspektiven in der Genforschung sowie in der menschlichen Fortpflanzungsgeschichte eröffnete. Dennoch stellten sich mit dieser Methodik auch Problemstellungen ein, die bis heute, also knapp 40 Jahre nach der ersten erfolgreichen In-Vitro-Fertilisation, nicht eindeutig gelöst werden konnten. Trotzdem erhielt die Reproduktionsmedizin auch in der Öffentlichkeit immer mehr Aufmerksamkeit. Durch gesellschaftliche Veränderungen und die ansteigende Akzeptanz verschiedener Partnerschaftsformen erheben nun auch Gesellschaftsgruppen Anspruch auf Elternschaft, bei denen aus rein biologischer Sicht eine solche nicht möglich wäre. Die Verschiebung von Elternschaft in Richtung Rente und Menopause ließ eine neue Gruppe von potentiellen Kunden der Fertilitätskliniken entstehen. Allein in Deutschland gibt es mittlerweile über 130 Kinderwunschzentren, die sich auf die Behandlung von Paaren mit ungewollter Kinderlosigkeit spezialisiert haben. Die Zahlen des DIR, die unter anderem zeigen, dass weltweit seit Louise Brown mehr als fünf Millionen Kinder durch Reproduktionsmedizin entstanden sind, führen vor Augen, welch immensen Erfolg die Medizin mit den Verfahren zur Behebung von Sterilität hat. Das Projekt „Kind“ wird somit immer mehr Produkt einer Maschinerie an Hormonbehandlungen, sterilen Klinikaufenthalten, Überwachung und Qualitätssicherung. Die romantische Vorstellung des Wunsch-Kinds, das durch den Geschlechtsakt eines sich liebenden Paares gezeugt wird, weicht immer mehr der Vorstellung von Petrischalen und Plastikbechern. Mittlerweile wurde das IVF-Verfahren zu einem Standardverfahren zur Therapie von ungewollter Kinderlosigkeit. Ursprünglich erschaffen um eine eileiterbedingte Fertilitätsstörung der Frau zu behandeln, wird das Verfahren nun auch zur kommerziellen Produktion von Kindern verwendet, um die verschiedenen Ursachen von Infertilität bei Frauen und Männern zu beheben und ihnen so doch noch das oftmals lang ersehnte Kinderglück für eine Summe von mehreren Tausend Euros zu schenken. Zwar ist die individuelle Betroffenheit über Kinderlosigkeit bei Paaren schamhaft besetzt, dennoch scheint das Thema „die öffentlichen und ethischen Diskussionen zur Reproduktionsmedizin gegenwärtig zu dominieren.“[3] Das Leiden des unerfüllten Kinderwunsches weicht der Rechtfertigung nach der Forderung, diesem Leid Abhilfe zu leisten. Das Kind wird damit zu einer Sache degradiert, auf die ein Anspruch besteht. Es ist nicht länger Geschenk der Natur, sondern ein Gut, das mithilfe von Technik produziert und käuflich erworben werden kann. Die Frage nach dem Kindeswohl stellt sich insofern, welche Auswirkungen die Fortpflanzungsmedizin auf die körperliche und seelische Gesundheit des Kindes und auf dessen Identitätsentwicklung hat, auch wenn vermehrt darauf hingewiesen wird, dass die Technisierung der Fortpflanzung das Wohl des Kindes in keiner Weise negativ beeinflusst.

1.1 Methodik der In-Vitro Fertilisation (IVF) und der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI)

Da es in dieser Arbeit u.a. um die ethische Vertretbarkeit von Reproduktionsmedizin geht, wird im Folgenden aufgeführt, wie die Standardmethoden der künstlichen Befruchtung durchgeführt werden, um so ein umfassendes Bild zu ermöglichen, welch technischer Einsatz gefordert wird, um kinderlosen Paaren mithilfe von modernster Medizin zum Kinderglück zu verhelfen. Die Methoden des IVF bzw. ICSI, Kryokonservierung und Samenspende werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit mittels Fallbeispielen einer ethischen Analyse unterzogen, um zu diskutieren, welche Möglichkeiten die Reproduktionsmedizin bietet und wo ihr Grenzen gesetzt sind. Daher wird es für sinnvoll erachtet, diese Methoden kurz zu erläutern.

Eine künstliche Befruchtung kann in drei Schritte unterteilt werden, wobei der erste Schritt der Gewinnung von Ei- und Samenzelle dient. Um den Prozess einer IVF oder ICSI-Befruchtung zu starten, unterziehen sich zunächst beide potenzielle Elternteile einer genetischen Untersuchung, um eventuelle Fehler im Erbgut festzustellen und genetisch vererbbare Krankheiten auszuschließen. Die Musterrichtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion[4] legt dazu unter Punkt 2.3 Humangenetische Beratung folgendes fest: „Eine humangenetische Beratung soll die Partner in die Lage versetzen, auf der Grundlage ihrer persönlichen Wertmaßstäbe eine Entscheidung in gemeinsamer Verantwortung über die Vornahme einer genetischen Untersuchung im Rahmen der assistierten Reproduktionsmedizin und über die aus der Untersuchung zu ziehenden Handlungsoptionen zu treffen. Im Rahmen dieser Beratung sollen ein mögliches genetisches Risiko und insbesondere die mögliche medizinische und ggf. psychische und soziale Dimension, die mit einer Vornahme oder Nicht-Vornahme einer genetischen Untersuchung sowie deren möglichem Ergebnis verbunden ist, erörtert werden.“ Es zeigt sich also, dass diese Beratung nicht nur für das Ausschließen von eventuell vererbbaren Krankheiten dient, sondern den Partnern auch die sozialen und psychischen Belastungen vor Augen halten will, die durch die Inanspruchnahme von Reproduktionsmedizin auf sie zukommen können. Nicht selten scheitern Partnerschaften in Folge des nicht erfüllten Kinderwunsches auch nach unterschiedlichsten, medizinischen Eingriffen. Durch die Einnahme von bestimmten Medikamenten wird anschließend die Eigentätigkeit der weiblichen Eizellen gedrosselt, um daraufhin durch hormonelle Stimulation mehr als eine Eizelle zu gewinnen. Es folgt die ovarielle Stimulation: Hierbei werden durch erneute Hormongaben mittels Spritzen unter die Haut mehrere Eizellen zur Reifung stimuliert. Einer Studie zufolge sind 15 reife Eizellen ein idealer Ausgangspunkt für weitere Maßnahmen. Zudem wird die Spermienqualität des Mannes auf Anzahl, Form, Beweglichkeit und mögliche Bakterien untersucht. Ab dem 6. Zyklustag wird das Follikelwachstum durch Ultraschall überwacht. Drei Tage später wird entschieden, wann die gereiften Eizellen entnommen werden. Hierfür wird die Ovulation mittels dem Hormon HCG ausgelöst. Die Follikelflüssigkeit wird nun transvaginal aus den einzelnen Follikeln punktiert. Zeitgleich erfolgt die Spermiengewinnung mithilfe von Masturbation oder einem mikrochirurgischen Eingriff.

Der zweite Schritt der Befruchtung erfolgt bei der klassischen IVF-Methode in einem Reagenzglas. Hierfür werden die Eizelle und das präparierte Spermium zusammengebracht und es erfolgt eine sog. „spontane Befruchtung“. Bei diesem Verfahren wird die natürliche Selektion der mobilsten und schnellsten Spermien erhalten. Die ICSI-Methode erfolgt erst dann, wenn die spontane Befruchtung der IVF ausbleibt oder die Spermien aus verschiedenen Gründen zu keiner „natürlichen“ Befruchtung in der Lage sind. Hierzu wird ein einzelnes Spermium in die vorbereitete Eizelle injiziert.

Als dritter und letzter Schritt erfolgt schließlich der Transfer der gewonnenen Embryonen. Dazu werden die Zygoten zunächst in einem Brutkasten kultiviert und einer ausführlichen Qualitätskontrolle unterzogen. Stimmt die Qualität, werden mindestens zwei, maximal drei Embryonen in den Uterus eingesetzt. Das Einsetzen dieser Embryonen geschieht am 4. (4-Zell-Stadium) oder 5.Tag (Blastozyten-Stadium) nach der Befruchtung. Die restlichen verwertbaren Eizellen oder Embryonen können mittels flüssigem Stickstoff kryokonserviert werden und, falls ein Versuch scheitert, wiederverwendet werden. 14 Tage nach der Follikelpunktion kann schließlich ein Schwangerschaftstest gemacht werden, der eine sehr wahrscheinliche Aussage über Erfolg oder Misserfolg des Embryonentransfers treffen kann. Die Erfolgsrate, ein Kind auszutragen, liegt zwischen 20 und 40%. Dabei sind vor allem das Alter der Frau sowie der Zeitpunkt der Eizellentnahme entscheidend.

Dass das Verfahren der IVF und der ISCI mehr einem technischen Erschaffen eines Lebewesens gleicht als einer Zeugung, lässt sich schon anhand der Wortwahl in der Musterrichtlinie der BÄK erahnen, in der von einer „ständig einsatzbereiten interdisziplinären Arbeitsgruppe“ die Rede ist, die für „[die] Erfüllung die nachstehend festgelegten fachlichen, personellen und technischen Mindestanforderungen voraus[setzt][5] “. Dennoch nehmen immer mehr Paare die Methoden der modernen Reproduktionsmedizin in Anspruch, wie die Auswertungen des Deutschen IVF-Registers zeigen.

1.2 Aktuelle Statistiken zur Anwendung von IVF und ICSI

Im Jahresbericht des Deutschen IVF-Registers (DIR) werden die Zahlen der durchgeführten IVF- und ICSI-Behandlungen sowie ihre Erfolgsraten wiedergegeben. Zudem hat es die Aufgabe der kontinuierlichen Qualitätsüberwachung bei IFV- und ICSI-Verfahren sowie Kryozyklen.

Das Jahrbuch von 2014 zeigt alle Behandlungsergebnisse dieses Jahres sowie aus dem Vorjahr 2013 auf. So wurden bis zum Jahr 2014 in Deutschland nach erfolgreichem IVF und ICSI 225.624 Kinder geboren, bis heute weltweit sogar mehr als fünf Millionen. Über 2,5% aller lebend geborenen Kinder im Jahre 2013 waren das Resultat einer Befruchtung außerhalb des Körpers. Das heißt: In einer durchschnittlichen Schulklasse mit 30 Kindern sitzt ein Kind, welches nach „künstlicher Befruchtung“ entstanden ist. Dass immer mehr Paare ohne medizinische Hilfe kinderlos bleiben würden, wird verdeutlicht, indem Studien zufolge jedes 6. bis 7. Paar Schwierigkeiten hat, ohne ärztliche Unterstützung schwanger zu werden. Insgesamt wurden 2014 52.988 Frauen behandelt, dabei wurden 1,66 Zyklen pro Frau durchgeführt. In 36,2% aller Embryonentransferen kam es nach einer IVF-Behandlung zu einer Schwangerschaft. Bei der ICSI-Methode betrug die Schwangerschaftsrate 34,5%, nach dem Einsatz eines kryokonservierten Embryos 23,5%. Wenig erstaunlich ist, dass die Erfolgsrate mit zunehmendem Alter der Frau abnimmt. So liegt die Wahrscheinlichkeit, im ersten Zyklus ohne medizinische Unterstützung eine Schwangerschaft zu erlangen bei einer 25-jährigen Frau bei 23% und bei einer 35-jährigen Frau bei nur noch bei 16%. Mit zunehmendem Alter der Frau steigt die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt an, während sich die Eizellreserve und -qualität stark verringert. Bereits ab dem 36. Lebensjahr nimmt die Erfolgswahrscheinlichkeit bei künstlicher Befruchtung deutlich ab. Während das mittlere Alter bei Frauen mit Kinderwunsch im Jahr 1997 noch bei 32,6 Jahren lag, betrug das mittlere Alter bei Frauen im Jahr 2013 bereits 35,2 Jahre. Bei Männern ist ein ähnlicher Anstieg von 35,1 Jahren im Jahr 1997 auf 38,6 Jahre in 2013 zu verzeichnen.[6] Der Trend, den Kinderwunsch erst ab dem vierten Jahrzehnt seines Lebens zu realisieren, stieg somit in den letzten zehn Jahren um knapp drei Jahre an. Nicht zuletzt sind die besseren Karrierechancen für Frauen, besonders für Akademikerinnen, ein Indikator für diesen Wandel. Ob eine so späte Mutterschaft bzw. die Inanspruchnahme von Reproduktionsmedizin ab einem Alter, in dem es für eine natürlich zustande gekommene Schwangerschaft zu spät wäre, legitim ist, soll im folgenden Verlauf dieser Arbeit noch diskutiert werden. Vor allem die Frage nach den ethischen Kriterien, ob eine Behandlung von Frauen im höheren Alter und die Erfüllung ihres Kinderwunsches eine medizinische Errungenschaft ist oder das Kindeswohl Zugunsten des Egoismus von Wunscheltern weicht, soll zumindest versucht, erörtert zu werden.

1.3 Methodik der Samenspende

Sucht man im Internet nach dem Begriff „Samenspende“, so tauchen tausende von Websiten für Spenderkliniken und Samenbanken auf. Seitdem der umstrittene Pionier der Samenspende, Berthold P. Wiesner[7], zwischen 1940 und 1960 eine der ersten Fruchtbarkeitskliniken in London betrieb, finden sich nun allein in Bayern rund 17 Fruchtbarkeitskliniken[8], in denen u.a. auch die Samenspende vorgenommen wird. In ganz Deutschland finden sich laut dem Arbeitskreis Donogene Insemination 12 Samenbanken[9], die speziell für die Samenspende eingerichtet wurden. Für junge Männer ist die Spende ihrer Samen schnell verdientes Geld und ein kostenloser Gesundheitscheck, für unfruchtbare Paare die vielleicht letzte Möglichkeit, doch noch schwanger zu werden. Die Samenspende ist in Deutschland rein rechtlich erlaubt, dennoch wirft sie einige ethische Fragestellungen auf. Erst vor kurzem geriet sie erneut in den medialen Mittelpunkt, als es darum ging, ob Spenderkinder ein Recht darauf haben, ihren biologischen Vater kennenzulernen und ob der Spendervater schließlich den väterlichen Pflichten und vor allem einer Unterhaltszahlung nachkommen muss. Geklagt hatte eine 21-jährige Frau, die vor vier Jahren erfahren hatte, dass ihr Vater nicht ihrem biologischen Vater entspricht und nun den Namen des Samenspenders wissen wollte. Das Oberlandgericht Hamm hat demnach eine bahnbrechende Entscheidung zum Thema Samenspender gefällt. In dem Urteil vom 6. Februar 2013 hat das Gericht entschieden, dass das Kind den Namen des biologischen Vaters erfahren darf.[10] Dieses Urteil hat zur Folge, dass der zuvor anonyme Spender nun doch in eine Vaterrolle gedrängt werden kann, die er nie beabsichtig hatte.

Die Samenspende kann den Spender auch noch Jahre später einholen. Daher ist es wichtig, sich über den Prozess genau zu informieren. In Deutschland kommen als Spender nur Männer zwischen 18 und 40 Jahren in Frage. Sie müssen in hohem Maße fruchtbar sowie körperlich und geistig gesund sein. Männer, in deren Familien chronische oder bekannt vererbbare Erkrankungen wie Epilepsie, Herzfehler, Asthma, Rheuma oder psychiatrische Erkrankungen vorkommen, werden nicht als Spender akzeptiert. Alle Samenspender werden auf Infektionskrankheiten wie HIV, Hepatitis oder eine Chlamydien-Infektion untersucht.[11] In der Regel umfassen sechs Abgaben von Samenspenden einen Spendezyklus, d.h. ein Spender muss sechsmal die Samenbank aufsuchen und jeweils eine Spende abgeben bevor er für seine Dienste bezahlt wird. Zusätzlich erfolgen zu Beginn und zum Ende des Prozesses ärztliche Untersuchungen. Bevor ein Mann überhaupt als Spender in Frage kommt, muss er einen Bewerbungsprozess durchlaufen, indem sein Sperma vorab untersucht wird, ob es den Ansprüchen gerecht wird. Bei dieser „Spendeprobe“ wird die Qualität der Samen untersucht. Vor dieser ersten Probe sollte der Mann drei bis fünf Tage keinen Samenerguss gehabt haben, um so ein optimales Ergebnis zu erzielen. Tatsächlich gelten nur sechs von sieben Spendeproben als geeignet und erhalten einen Termin für weitere Samenspenden und Untersuchungen. Betrachtet man diese ernüchternde Bilanz, sollte man fast meinen, es grenze an ein Wunder, dass sich die Menschheit überhaupt so lange auf natürlichem Weg fortpflanzen konnte. Hat der Spendezyklus begonnen, erfolgt jeweils eine Samenspende im 14-Tage Rhythmus. „Zum Abschluss des Spendezyklus wird die körperliche Untersuchung mit Genitalabstrich und Urinprobe wiederholt. 6 Monate nach der letzten geeigneten Samenabgabe erfolgt eine letzte Blutuntersuchung. Sind auch diese Werte in Ordnung, wird die komplette Aufwandentschädigung ausbezahlt.“[12] Diese beläuft sich – je nach Samenbank - auf ungefähr 100 Euro pro Samenspende, bei einem kompletten Spendezyklus, der sechs Samenspenden beinhaltet, verdient der Spender so also rund 600 Euro. Die meisten Kliniken betonen jedoch, dass die Samenspende eine „freiwillige, soziale Leistung“[13] und „eine gute Tat“[14] ist, daher wird vorzugsweise der Begriff „Aufwandentschädigung“ anstatt „Bezahlung“ oder „Vergütung“ verwendet. Bei der Samenübertragung schließlich müssen die Eileiter der Frau durchgängig sein. Sind beide Eileiter verschlossen oder bleiben mehrere Inseminationen ohne Erfolg, so kann der Spendersamen schließlich auch bei einer künstlichen Befruchtung (IVF oder ICSI) eingesetzt werden. „Bei deutschen Samenbanken können Paare oder Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch einen Spender in der Regel nach Haar- und Augenfarbe, Größe, Gewicht, Bildungsstand sowie Blutgruppe aussuchen.“[15] Ziel ist es meistens, dass der Samenspender dem sozialen Vater ähnlich sieht bzw. Ähnlichkeit mit der Familie besteht.

1.4 Methodik der Kryokonservierung

Heutzutage gibt es zwei Methoden, um weibliche Eizellen und Gewebe der Gebärmutter zu konservieren. Im Folgenden sollen diese beiden Methoden kurz dargestellt werden.

Das bekannte „Egg-Freezing“ meint die Kryokonservierung von Oozyten. Nachdem sich die Frau einer Hormonstimulierung unterzogen hat, können mittels einer transvaginalen Follikelpunktion mehrere Eizellen entnommen werden. Im unbefruchteten Zustand können diese frisch entnommenen Eizellen über mehrere Jahre in flüssigem Stickstoff konserviert werden. Entscheidet sich die Frau schließlich für eine Schwangerschaft, können die Eizellen wieder aufgetaut und mit dem Sperma eines Mannes befruchtet werden. Die befruchtete Eizelle kann der Frau nun wieder eingesetzt werden. Da die Eizelle der Frau in ihrem fruchtbaren Lebensstadium entnommen und konserviert wurde, hat die Eizelle immer noch eine hohe Fruchtbarkeitsqualität und entspricht damit der Eizelle einer jungen, fruchtbaren Frau. Daher kann diese befruchtete Eizelle auch einer Frau eingesetzt werden, bei der die Menopause schon längst eingesetzt hat.

In den vergangenen Jahren wurde ein neues Konservierungsverfahren erprobt, die sog. Vitrifikation. Hierbei konnte eine deutliche Zunahme der erfolgreichen Geburtenrate verzeichnet werden. „Aktuell ist die Erfolgsrate an lebenden Geburten nach einer Kryokonservierung genauso hoch wie bei einer IVF mit frischen Oocyten, und weit mehr als 1000 Kinder sind bereits nach diesem Verfahren geboren worden.“[16]

Eine weitere Methode der Fertilitätserhaltung ist die Kryokonservierung von Eierstockgewebe. Erstmals im Jahr 2000 erfolgreich erprobt, wurde diese Methode in Kinderwunschzentren etabliert. Hierbei werden anstelle von Eizellen, Teile des Eierstocks entfernt und konserviert. Zu einem späteren Zeitpunkt werden die Teile des Eierstockgewebes wieder aufgetaut und der Frau implantiert. Anschließend erfolgt für 15 Wochen eine hormonelle Stimulation bis die Entwicklung eines Follikels und eine Ovulation verzeichnet werden können. Nach weiteren zwei Wochen bekommt die Frau ihre Menstruation. Mittels dieser Methode kann auf unnatürlichem Weg ein natürlicher Zyklus hergestellt werden, der im Idealfall zu einer Schwangerschaft führt. „Seit 2004 wurden weltweit mehrere erfolgreiche Transplantationen von kryokonserviertem Eierstockgewebe, die in eine Geburt mündeten, gemeldet, wobei die Patientinnen jünger als 30 Jahre waren.“[17] Anhand des Alters der Patientinnen lässt sich nun darüber streiten, ob diese Methode tatsächlich als erfolgreiche Reproduktionsmedizin gelten kann. Frauen unter 30 Jahren haben generell eine höhere Erfolgsquote auf eine künstlich erzeugte Schwangerschaft. Ob diese Methode auch für Frauen jenseits der 30 Erfolge verspricht, ist daher fraglich.

Methoden der Egg-Freezings und der Konservierung von Eierstockgewebe wurden ursprünglich entwickelt, um Krebspatienten die Möglichkeit zu wahren, sich den Kinderwunsch zu erfüllen. Heute werden beide Methoden immer häufiger auch für nicht-medizinische Fälle verwendet. So wird die ursprünglich medizinische Maßnahme als kommerzielles Produkt angepriesen, welches Frauen die Möglichkeit offenlässt, sich auch jenseits der Menopause für ein Kind zu entscheiden. „Umfragen zeigen, dass eine stets größer werdende Gruppe von Frauen Interesse an diesen Techniken anmeldet. In einer englischen Studie gaben 69 % der befragten Medizinstudentinnen im Alter von 21 Jahren an, dass sie eine Eizellenreserve anlegen würden."[18] Vielleicht entspricht der Tatsache, dass weit über die Hälfte der jungen Frauen sich für eine solche Methoden aussprechen auch dem Hintergrund, dass es sich um Medizinstudentinnen handelt, die sich mit der Materie intensiver befassen. Dennoch ist nicht außer Acht zu lassen, dass auch in Deutschland das Interesse an solchen Methoden wächst. Reproduktionskliniken sprießen und bieten dieses Verfahren auch für nicht-medizinische Belange an und stoßen dabei auf große Resonanz.

1.5 Die Frage nach dem Ziel der Reproduktionsmedizin

Was ist denn nun eigentlich das Ziel der Reproduktionsmedizin? Handelt es sich wirklich nur um den altruistischen Wunsch, kinderlosen Paaren zu einem Kind zu verhelfen, oder stecken auch noch andere, kommerzielle Gedanken dahinter? Wenn man sich die Statistiken des DIR ansieht, so lässt sich vermuten, das Ziel sei möglichst vielen kinderlosen Paaren zu helfen, indem mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zum Wunschkind verholfen wird – koste es was es wolle. Auch wenn die Reproduktionsmedizin der Gesellschaft immer wieder suggeriert, dass das Ziel die Geburt eines Kindes sei, so steht dazu im Gegensatz die Kinderlosigkeit als präferierter Lebensstil für viele Paare in Deutschland. Dies zeigen immer wieder Studien laut denen „ein demographisches Schreckgespenst droht“, wie es Tanja Krones einmal geschrieben hat.[19] So stellt sich also die Frage, „ob es denn überhaupt ein medizinisches Ziel sein kann, etwas erreichen zu wollen, das viele andere Paare gar nicht für erstrebenswert halten.“[20] Daher ist es schwierig, ein Kind als Ziel festzumachen, wenn es doch für viele Menschen gar keines ist. Giovanni Maio findet zwei Möglichkeiten, die Zielsetzung der assistierten Reproduktion zu verorten.[21] So kann sie zum einen außerhalb der Medizin stehen und dient damit vor allem der Ökonomie. „Volkswirtschaftlich bedeutet dies bei etwa 20.000 IVF-Kindern, die 2003 in Deutschland geboren wurden, einen Betrag in der Größenordnung von 300 Millionen Euro.“[22] Seine zweite Möglichkeit hingegen wird wieder in den medizinischen Kontext gebracht, indem er behauptet, dass „in der Tat viele Menschen der Meinung sind, dass die künstliche Befruchtung eher Lifestyle-Methoden seien, für die man auch vollkommen privat aufkommen müsse.“[23] So stellt sich also die Frage, ob bei lesbischen Paaren der Kinderwunsch eher in den Lifestyle-Bereich fällt, oder ob auch diese Gesellschaftsgruppe ein Recht auf Fortpflanzung hat. Ähnlich verhält es sich mit der Frau in der Postmenopause. Beide Gesellschaftsgruppen haben ohne die Inanspruchnahme von Reproduktionsmedizin nicht die Möglichkeit, ein Kind zu bekommen. Ob dieses Schicksal dabei selbst gewählt wurde und damit in gewisser Hinsicht auch selbstverschuldet oder doch als unverschuldet zu bewerten gilt, soll im Folgenden dieser Arbeit noch weiter erörtert werden. Würde man aber die gesamte Reproduktionsmedizin als Lifestyle-Medizin sehen, so wäre das Leiden von ungewollt kinderlosen Paaren vollkommen bagatellisiert. Es ist also notwendig, dieses Spannungsfeld zwischen Lifestyle und Leiden aufzulösen und „über eine alternative Deutung der Zielsetzung der Reproduktionsmedizin“[24] nachzudenken.

Reproduktionsmedizin soll als Heilmaßnahme für sterile Paare gelten. Dennoch können die Bemühungen der Reproduktionsmedizin nicht darüber hinwegtäuschen, „dass es sich bei diesen Bemühungen in der Regel nicht um Heilverfahren handelt, die die Sterilität beseitigen und die Wiedergewinnung von Fruchtbarkeit ermöglichen, sondern hier lediglich mittels technischer Eingriffe die Auswirkungen der Sterilität gemildert werden, indem eventuell eine Schwangerschaft bzw. ein Kind ermöglicht wird.“[25] Es sollte nicht die Herbeiführung eines Kindes das primäre Ziel sein, sondern das Lindern einer oft jahrelangen Leidenserfahrung. So kann Heilung daher am ehesten durch psycho-soziale Beratung oder einer Psychotherapie erfolgen. Die Medizin hingegen setzt die Heilung der ungewollt kinderlosen Paare mit der Anwendung von technischen Methoden und der Aufwartung von Technik gleich. Sie erklärt damit, „die technische Lösung als die einzig mögliche Antwort auf die Herausforderungen, die sich aus einer ungewollten Kinderlosigkeit ergeben.“[26] Damit werden nicht nur Angebote geschaffen, sondern auch Normen. Dem Paar wird zu verstehen gegeben, ohne Kinder einen essentiellen Part in ihrem Leben zu versäumen und macht es dadurch abhängig von technischen Lösungsversuchen. Stattdessen verpasst sie, alternative Lebensentwürfe vorzuschlagen und die Sinnkrise vieler Paare durch eine neue Sinnstiftung zu unterstützen.

[...]


[1] http://www.maerchen.net/classic/a-daeumelinchen.htm (Stand: 03.08.2016).

[2] Bibelwissenschaft.de. Das wissenschaftliche Bibelportal der Deutschen Bibelgesellschaft, in: https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/fruchtbarkeit/ch/0125378adaf2d9c55b3758537d906050/ (Stand: 03.08.2016).

[3] Sautermeister, Jochen, Identität im Werden. Herausforderungen der Fortpflanzungsmedizin aus theologisch-ethischer Sicht, in: Zeitschrift für medizinische Ethik, Jahrgang 2016, Heft 2, S. 92.

[4] Bundesärztekammer (BÄK), (Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion, Novelle 2006.

[5] BÄK, Punkt 4 Fachliche, personelle und technische Voraussetzungen.

[6] Vgl. Kentenich, Heribert/ Jank, Alexander/ Sibold, Claus/ Tandler-Schneider, Andreas, Aktueller Stand der Reproduktionsmedizin, in: Zeitschrift für medizinische Ethik, Jahrgang 2016, Heft 2, S. 77.

[7] Wiesner ist deshalb umstritten, da er aufgrund mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz einen erheblichen Teil der gespendeten Samen selbst beisteuern musste. Es wird geschätzt, dass Wiesner heute ca. 600 Nachkommen hat und damit als der kinderreichste Mensch der jemals gelebt hat gilt.

[8] Reproduktionsmedizin und Kinderwunsch, in: http://www.elternforen.com/Kinderwunsch/Kinderwunschzentren-Bayern.htm (Stand: 13.08.2016).

[9] Arbeitskreis Donogene Insemination. Behandlung mit Spendersamen in Deutschland, in: http://www.donogene-insemination.de/members.cgi?cmd=state&type=bank&state=by (Stand: 13.08.2016).

[10] Vgl. Samenspende.org, in: http://samenspenden.org/urteil-olg-hamm-samenspenden/ /Stand: 03.08.2016).

[11] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), in: http://www.familienplanung.de/kinderwunsch/behandlung/spendersamen/ (Stand: 03.08.2016).

[12] Erlanger Samenbank, in: http://www.erlanger-samenbank.de/samenspende/ablauf (Stand: 03.08.2016).

[13] Ebd.

[14] Cryobank-München, in: http://www.cryobank-muenchen.de/Samenspende/Verguetung (Stand: 03.08.2016).

[15] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), in: http://www.familienplanung.de/kinderwunsch/behandlung/spendersamen/ (Stand: 03.08.2016).

[16] Bozzaro, Claudia, Ein Kind ja, aber erst irgendwann. Überlegungen zum Einsatz von Egg- und Ovarian-Tissue Freezing, in: Maio, Giovanni/ Eichinger, Tobias/ Bozzaro, Claudia, Kinderwunsch und Reproduktionsmedizin. Ethische Herausforderungen der technischen Fortpflanzung, Verlag Karl Alber, Freiburg/ München, 2013, S. 235.

[17] Ebd, S. 235.

[18] Ebd, S. 236.

[19] Krones, Tanja, Der Kinderwunsch – wieviel ist in den Augen der Öffentlichkeit zulässig?, in: Bockenheimer-Lucius, Gisela/ Thron, Petra/ Wendehorst, Christiane, Umwege zum eigenen Kind. Ethische und rechtliche Herausforderungen an die Reproduktionsmedizin 30 Jahre nach Louise Brown, Göttinger Schriften zum Medizinrecht, Heft 3, Universitätsverlag Göttingen, 2008, S. 10.

[20] Maio, Giovanni, Die Reproduktionsmedizin zwischen Heilkunst und wunscherfüllender Dienstleistung, in: Geburtshilfe und Frauenheilkunde, Heft 70, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 2010, S. 25.

[21] Vgl. Ebd, S. 25.

[22] Rauprich, Oliver, Sollen Kinderwunschbehandlungen von den Krankenkassen finanziert werden? Ethische und rechtliche Aspekte., in: Bockenheimer-Lucius, Gisela/ Thron, Petra/ Wendehorst, Christiane, Umwege zum eigenen Kind. Ethische und rechtliche Herausforderungen an die Reproduktionsmedizin 30 Jahre nach Louise Brown, Göttinger Schriften zum Medizinrecht, Heft 3, Universitätsverlag Göttingen, 2008, S. 32.

[23] Maio, S. 25.

[24] Ebd, S. 25.

[25] Krolzik, Volker, Kinderwunsch zwischen Machbarkeit und Verantwortung. Nachwort eines Beraters, in: Kind um jeden Preis? Beiträge zur ethischen Diskussion der neuen Reproduktionstechniken; Orientierungshilfe für die Beratungspraxis, Neukirchener Verlag, 1989, S. 141.

[26] Maio, S. 25.

Excerpt out of 66 pages

Details

Title
Natur als Norm. Ethische Urteilsbildung zur Reproduktionsmedizin anhand von drei Fallbeispielen
College
LMU Munich  (Evangelisch Theologische Fakultät)
Grade
2
Author
Year
2016
Pages
66
Catalog Number
V346511
ISBN (eBook)
9783668390430
ISBN (Book)
9783668390447
File size
836 KB
Language
German
Keywords
Reproduktionsmedizin, Ethik, social freezing, kryokonservierung, invitrovertilisation, Samenspende, Leihmutterschaft, Menopause, künstlichkeit, Natürlichkeit
Quote paper
Miryam Besant (Author), 2016, Natur als Norm. Ethische Urteilsbildung zur Reproduktionsmedizin anhand von drei Fallbeispielen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/346511

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