Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Historischer Zusammenhang
2.1 Der BDM vor der Machtergreifung
2.2 Der BDM als Teil der Staatsjungend im Dritten Reich
3. Charakteristika der Organisation
3.1 Aufbau und Organisation
3.2 Ideologische Ausrichtung und pädagogische Maxime
4. Fazit
Literatur
Abkürzungen
1. Einleitung
Das 3. Reich, das in seiner nur zwölf Jahre währenden Dauer unermessliches Leid über Millionen Menschen gebracht und die Welt nachhaltiger verändert hat als irgend ein anderes Ereignis der modernen Geschichte, ist auch heute, fast 70 Jahre nach seinem totalen Zusammenbruch, ein Faszinosum für viele junge und alte Menschen. Wie konnte es Hitler gelingen, große Teile des deutschen Volkes in seinen Bann zu ziehen und zu Mittätern oder Mitwissern seiner gigantischen Verbrechen zu machen? Wie konnte es gelingen, binnen weniger Jahre einen Vernichtungskrieg von solch schrecklichen Ausmaßen zu entfesseln, an dessen Ende große Teile der Welt in Schutt und Asche lagen? Mit der Beantwortung dieser Fragen haben sich zahlreiche Historiker hinlänglich beschäftigt, wobei die Veröffentlichung neuer Publikationen zu diesem Thema nicht abreißt.
Von elementarer Bedeutung für die Festigung und den Ausbau ihrer Macht war für die Nazis die Gewinnung der deutschen Jugend. So wurde bereits 1922 in München der erste kleine Jungendverband der NSDAP in München ins Leben gerufen. Als die Hitler-Jugend und der Bund Deutscher Mädel in den Jahren 1926/27 schließlich offiziell gegründet wurden und nur aus wenigen hundert Mitgliedern bestanden, hätte sich wohl niemand träumen lassen, dass das vom Reichsjugendführer Baldur von Schirach 1931 proklamierte Ziel, die gesamte deutsche Jugend in die Verbände einzugliedern, binnen weniger Jahre annähernd erreicht sein würde. Dies wirft die Frage auf, wie ein solch gigantisches Unterfangen in so kurzer Zeit gelingen konnte. Wer trug die Verantwortung dafür und welche Organisationsstrukturen waren für die Aufnahme von Millionen neuer Mitglieder vonnöten? Wie wurden Jugendliche dazu gebracht, sich BDM und HJ anzuschließen und wie verfuhr man mit konkurrierenden Jugendorganisationen? Im folgen Text werde ich versuchen, diese Fragen zu beantworten, wobei ich mich hauptsächlich mit der Mädchenorganisation der Nazis, dem Bund Deutscher Mädel, beschäftigen werde, zu der es im Vergleich mit der allgemeinen HJ nur einen Bruchteil an Quellen und Publikationen gibt.
Neben der Entstehung, dem Werdegang der Organisation und der Beschreibung ihrer Funktionen möchte ich außerdem erörtern, was die pädagogischen Maxime der Nazis waren und welches Frauenbild den Mädchen im BDM vermittelt wurde. Außerdem gehe ich der Frage nach, was die „nationalsozialistische Weltanschauung“ kennzeichnete, zu deren Trägerinnen die Mädchen nach dem Willen Hitlers und der Reichsjugendführung erzogen werden sollten.
2. Historischer Zusammenhang
2.1 Der BDM vor der Machtergreifung
Bereits kurz nach Gründung der NSDAP wurde von der Partei der Versuch unternommen, Einfluss auf die deutsche Jugend zu nehmen, indem 1922 in München die erste nationalsozialistische Jugendorganisation gegründet wurde. Obwohl nur für 14 – 18 jährige männliche Jugendliche vorgesehen, schlossen sich in einigen Ortsverbänden auch weibliche Jugendliche zu nationalsozialistischen oder völkischen Mädchengruppen zusammen.
Das nach dem Münchner Putschversuch in Jahr 1923 erlassene NSDAP-Verbot betraf allerdings auch die der Partei angegliederten Jugendverbände, so dass sich für die folgenden Jahre keine Belege für eine nationalsozialistische Jugendorganisation finden lassen (vgl. Klönne 1982, S. 15).
Brandenburg nennt den Juli 1927 als ersten Hinweis auf einen konkreten Vorläufer des BDM, als in der Juli-Ausgabe der Hitler-Jugend-Zeitung eine sogenannte NS-Schwesternschaft in Plauen Erwähnung fand. Ende 1928 wurde unter der Schirmherrschaft der HJ mit dem Aufbau weiterer Schwesternschaften begonnen, wobei diese wegen der geringen Anzahl ihrer Mitglieder eher unbedeutend warten. Klaus bezeichnet den Chemnitzer Verband mit 15 Mitgliedern als die größte der damaligen NS-Mädchengruppierungen (vgl.: Klaus1998, S. 77).
Am 1. Juli 1929 erließ die HJ-Führung erstmals „Richtlinien über Aufbau und Arbeit der Schwesternschaft der HJ“, um eine ideologische Ausrichtung der Mädchengruppen nach den Vorgaben der Parteiführung zu garantieren (vgl.: Brandenburg1968, S. 51).
Parallel zu den Schwesternschaften der HJ entstanden ab Mitte der 20er Jahre weitere völkische Mädchengruppen – etwa die des NS-Frauenordens, sowie die Jungmädchengruppen des Deutschen Frauenordens, dem jedes „deutschblütige Mädchen“ ab 14 Jahren beitreten konnte. Die völkisch geprägten erzieherischen Schwerpunkte des deutschen Frauenordens, etwa die Vermittlung von Rassebewusstsein oder die Vorbereitung auf die Rolle als Mutter und Hausfrau durch hauswirtschaftliche Schulungen wurden später, nach der offiziellen Gründung des BDM, zu großen Teilen von diesem übernommen (vgl. Kinz 1990, S.30).
Die NSDAP-Führung war bestrebt, die verschiedenen nebeneinander bestehenden Mädchengruppen in einer einzigen Organisation zu vereinigen und veranlasste deshalb im Juni 1930 die Gründung des Bunds Deutscher Mädel im Deutschen Reich und in Österreich (vgl. Brandenburg, S. 51). Die endgültige Gleichschaltung der konkurrierenden Mädchen- und Frauenverbände innerhalb der völkischen Bewegung gelang zu diesem Zeitpunkt trotzdem nicht vollständig, obwohl am 6. Juli 1931 alle bisherigen Frauenorganisationen durch einen Parteierlass aufgelöst und von der am 6. Oktober 1931 offiziell gegründeten NS-Frauenschaft unter der Führung von Elsbeth Zander übernommen wurden (vgl. Kinz 1990, S.15).
Nach der Übernahme aller Schwesternschaften und anderer Mädchenorganisationen in den „Bund Deutscher Mädchen in der HJ e.V.“ wurden die erzieherischen Maxime des Bundes in einer Ausgabe des Völkischen Beobachters aus dem Jahr 1930 konkret wie folgt benannt:
„Der Bund hat die Aufgabe:
1. Die jungen Mädchen zum Rassebewusstsein zu erziehen,
2. deutsche Art und deutsche Literatur zu pflegen,
3. durch Wanderungen, Führungen und Vorträge die Liebe zur Heimat zu wecken und zu festigen,
4. sie in die sozialen Fragen einzuführen,
5. sie durch gemeinsame Arbeit Wandern, Spiel und Gesang im Deutschbewusstsein zu stärken für die Wahrung deutscher Art und deutschen Wesens, um mithelfen zu können beim Aufbau eines f r e i e n d e u t s c h e n V a t e r l a n d e s .“ (Völkischer Beobachter v. 19.08.1930 Nr. 196, zit. In Klaus 1998, S.83).
Nach der Gründung des BDM kam es zwischen HJ-Führung und NS-Frauenschaft wiederholt zu Streitigkeiten darüber, in wessen Kompetenzbereich die Erziehung der jungen Mädchen fiele. Während sich die NS-Frauenschaft auf ihre angestammten Rechte in der Tradition des deutschen Frauenordens berief, insistierte der 1931 zum Reichsjugendführer ernannte Baldur von Schirach bei Hitler, die Erziehung der weiblichen Jugend im BDM vollständig der HJ zu unterstellen (vgl. Kinz 1990, S. 15).
Der ehrgeizige, gebildete und als hochbefähigt geltende ehemalige Führer des NS-Studentenbundes Schirach hatte das Ziel, die HJ, die damals nur einer von vielen miteinander konkurrierenden deutschen Jugendverbänden war, möglichst schnell zu vergrößern, um sich nach der erwarteten Machtübernahme der NSDAP die Führung der gesamten deutschen Jugend zu sichern (vgl. Wortmann 1989, S.250), wozu auch die Kontrolle über den BDM vonnöten war. Hitler, der große Stücke auf Schirach hielt, folgte dessen Anregungen, und so wurde die Verantwortung über die Erziehung der weiblichen Jugend auf Wunsch des Führers vollständig dem BDM als Teil der HJ übertragen (vgl. Kinz 1990, S. 15).
Anfang 1932 wurde vom damaligen Reichskanzler Brüning wegen des anhaltenden Terrors auf den Straßen ein Verbot von SA und SS erlassen, wovon auch HJ und BDM betroffen waren (vgl. Fest 1973, S.523). Um das Verbot der HJ zu umgehen, wurde das seit 1927 bestehende Unterstellungsverhältnis unter die SA aufgehoben. Die Maßnahme blieb zwar erfolglos, das Verbot wurde umfassend durchgesetzt, ermöglichte der HJ aber langfristig einen Zugewinn an Selbstständigkeit (vgl. Klönne 1982, S.19).
Das SA-Verbot wurde von Brünings Nachfolger von Papen bereits nach wenigen Monaten wieder aufgehoben (vgl. Fest 1973, S.523 ff), so dass die Vergrößerung der Jugendorganisationen und die Professionalisierung und Bürokratisierung ihrer Verwaltung weiter vorangetrieben werden konnte (vgl. Brandenburg 1968, S.114).
Nach Aufhebung des Verbotes erließ die HJ-Führung am 16. Juni 1932 neue „Richtlinien des BDM“ die eine straffe Organisationsstruktur und eine klar definierte hierarchische Ausrichtung erkennen ließen:
„…Der BDM gliedert sich in Bundesleitung, Gaue, Bezirke, Ortsgruppen und Scharen. Die Bundesführerin des BDM ist unmittelbar dem Reichsjugendführer für die Arbeit im Bunde verantwortlich. Von der Bundesführung werden die Führerinnen des BDM ernannt. Das Ein- und Absetzen erfolgt durch die Bundesführerin im Einverständnis mit dem Reichsjugendführer…“ (Richtlinien des BDM 1932, zit. in Brandenburg 1968, S.52). Des Weiteren wurde in den zwölf Seiten umfassenden Richtlinien betont, dass der BDM „keine Frauenemanzipation werden“, sondern „Jugendbewegung im vollkommensten Sinne“ sein wolle. Die Mädchen wurden ihrem Alter entsprechend auf BDM und Kükengruppe aufgeteilt. Der BDM war Mädchen von 15-21 Jahren vorbehalten, während die 9-15Jährigen in Kükengruppen aufgenommen wurden – der weiblichen Entsprechung zum Jungvolk der HJ (vgl. Klaus 1989, S. 86).
Waren 1928 nur ganze 67 Mädchen in Schwesternschaften organisiert, so konnte der BDM als deren Nachfolgeorganisation seine Mitgliederzahl bis 1931 auf 1.711 steigern (vgl. Klaus 1989, S. 83). Am 1. Oktober 1932 gelang es Schirach, auf dem zweitägigen Reichsjugendtreffen der HJ 70.000 Mitglieder der Organisation zu mobilisieren, von denen 15.000 Mädchen waren. Im Januar 1933 zählte der BDM bereits 19.244 Mitglieder, zu denen noch 4656 unter 15jährige Jungmädchen kamen (vgl. Koch 1975, S. 124).
2.2 Der BDM als Teil der Staatsjungend im Dritten Reich
Kurz nach dem Wahlerfolg der NSDAP und Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 reklamierte Schirach für die HJ, von nun an die einzig legitime Jugendorganisation im Deutschen Reich zu sein: „Wie die NSDAP nunmehr einzige Partei ist, so muss die HJ die einzige Jugendorganisation sein“ (Schirach 1933, zit. In Klönne 1995, S. 19). Hierfür sollten so viele Jungen und Mädchen wie irgend möglich für BDM und HJ rekrutiert werden, während gleichzeitig die Ausschaltung der vielen konkurrierenden Jugendorganisationen hintertrieben wurde. Am 5. April 1933 übernahm Schirach in einer illegalen Aktion die Büros des Reichsausschusses der deutschen Jugendverbände, der als Dachverband aller deutschen Jugendorganisationen fungierte. Durch die so erbeuteten Daten hatte Schirach Zugriff auf die Adressen und Mitgliederzahlen aller erfassten Organisationen, was ihm bei seinem Bestreben diese auszuschalten sehr entgegen kam (vgl. Klönne 1995, S. 20). Am 8. Juli 1933 wurde der Verband auf Anordnung Schirachs endgültig aufgelöst.
In der Folgezeit wuchs die Mitgliederzahl der HJ und des BDM enorm. Andere Jugendorganisationen wurden entweder verboten, oder, soweit dies ideologisch vertretbar war, in die HJ eingegliedert. Im Dezember 1933 trat etwa die evangelische Jugend geschlossen in die HJ über, wodurch die Organisation auf einen Schlag über 700.000 neue Mitglieder gewann (vgl. Wortmann 1989, S. 250).
Der Versuch, die katholischen Jugendverbände nach evangelischem Vorbild zu vereinnahmen, scheiterte am erbitterten Widerstand der katholischen Laienführung, die jegliche Verhandlung mit der HJ-Führung kategorisch ablehnte. Unterstützt wurde sie in ihrer Haltung durch das Deutsch-Vatikanische Konkordat (auch Reichskonkordat), in dem das Verhältnis zwischen Deutschem Reich und der römisch katholischen Kirche geregelt wurde und in dem den deutschen Katholiken gewisse Rechte bezüglich der Ausübung ihres Glaubens eingeräumt wurden, weshalb ein offizielles Verbot der katholischen Verbände ausgeschlossen war. Stattdessen wurde ein propagandistischer Feldzug gegen die katholische Jugend gestartet und versucht, deren Führung mittels Terror und regionaler Verbote einzuschüchtern (vgl. Klönne 1995, S. 24).
Andere, rechtsstehende Jugendgruppen wie die Bismarck- oder die Hindenburg-Jugend und die Jugendvereinigung des Stahlhelms, der Scharnhorst-Bund, traten wie die evangelische Jugend ebenfalls in die HJ über. Linksgerichtete Organisationen, etwa der Kommunistische Jugendverband Deutschlands KJD oder die Sozialistische Arbeiterjugend wurden verboten und aufgelöst (vgl. Klönne 1995, S. 20). 1934 waren durch diese Maßnahmen bereits 1,5 Millionen Jugendliche Mitglieder in der HJ organisiert und bis 1935 schwoll deren Zahl durch Zwangseingliederungen und freiwilligen Zulauf auf 3,2 Millionen Mitglieder an (vgl. Wortmann 1989, S. 250). Der Anteil der Mädchen in der Gesamt-HJ betrug zu diesem Zeitpunkt bereits 42%. Der BDM zählte Ende 1935 569.599 Mitglieder, während die Jungmädel 1.046.134 10-14jährige Mädchen in ihren Reihen hatten (vgl. Kinz 1989, S, 25).
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