Europäisierung der deutschen Flüchtlingspolitik

Eine Untersuchung am Beispiel der Qualifikationsrichtlinie


Dossier / Travail, 2016

20 Pages, Note: 1,0


Extrait


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Konzept der Europäisierung
2.1 Begriff der Europäisierung
2.2 Dimensionen der Europäisierung
2.3 Impulse der Europäisierung
2.3.1 Vertikale und horizontale Impulse
2.3.2 Positive Integration (Anpassung durch Zwang)
2.3.3 Negative Integration (Anpassung durch mimetische Prozesse)
2.3.4 Framing Integration (Anpassung durch normativen Druck)
2.4 Goodness of fit - Der klassische Erklärungsansatz
2.5 Grad der Europäisierung

3. Die Qualifikationsrichtlinie und ihre Umsetzung in Deutschland
3.1 Flüchtlingspolitik vor der Qualifikationsrichtlinie
3.2 Wesentlicher Inhalt der Qualifikationsrichtlinie
3.3 Goodness-of-fit-Ansatz
3.4 Problemfelder der Umsetzungspraxis

4. Fazit

ABKÜRZUNGSZVERZEICHNIS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Jahrzehntelang bildete die europäische Integration den zentralen Schwerpunkt der Europaforschung. Der wissenschaftliche Fokus richtete sich auf die Entwicklungen der EU-Ebene. Die Wissenschaftler befassten sich mit der Fragestellung, aus welchen Gründen der immer engere Zusammenschluss von autonomen Staaten und die Schaffung eines supranationalen Institutions- und Politikgefüges erfolgt. Die Rückwirkungen der europäischen Politik auf die Mitgliedsstaaten waren hingegen nur wenig erforscht. Der Umstand, dass die Politikgestaltung der EU auch Einfluss auf die Politik der nationalen Ebene nimmt, ließ sich spätestens mit der Einheitlichen Europäischen Akte 1986 (EEA) nicht länger vernachlässigen (Auel 2012: 247). Zu Beginn der 1990er Jahren folgte ein grundlegender Perspektivwechsel, wodurch der Begriff der Europäisierung verstärkt thematisiert wurde.

Auch das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland (BRD) wird zunehmend von unionsrechtlichen Vorgaben geprägt und ist infolge von inhaltlichen und strukturellen Veränderungen betroffen (Kluth 2011: 588). Exemplarisch hierfür steht die Flüchtlingspolitik, die bereits in den Römischen Verträgen von 1957 verwurzelt war. In diesem Bereich waren die europäischen Einflüsse für die Nationalstaaten schon von Beginn an spürbar. Mit dem Vertrag von Amsterdam wurde im Jahre 1997 schließlich der Grundstein zur Harmonisierung der Flüchtlingspolitik gelegt (Art. 63 EGV) und dadurch die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen (Tiedemann 2015: 12).

Doch wie definiert sich Europäisierung, was ist deren Auslöser und welche Auswirkungen haben die europäischen Vorgaben auf die nationale Ebene? In dieser Hinsicht lassen sich die folgenden Hypothesen formulieren:

H1: Europäische Vorgaben verändern die nationale Politik.

H2: Inkompatibilität zwischen europäischen Vorgaben und nationalen Rahmenbedingungen erzeugen einen Anpassungsdruck auf nationaler Ebene.

Ausgehend von diesen Hypothesen, werden die Auswirkungen auf die deutsche Flüchtlingspolitik am Beispiel der Qualifikationsrichtlinie aufgezeigt und deren Implementierung in die deutsche Rechtsordnung dargelegt.

Die vorliegende Hausarbeit ist in einen theoretischen und einen empirischen Teil untergliedert. In Kapitel 2 (Konzept der Europäisierung) wird der Begriff der Europäisierung eingehend erläutert. Darauf aufbauend werden Impulse und Mechanismen der Europäisierung, der Goodness-of-fit-Ansatz sowie der Grad der Europäisierung erörtert. Im empirischen Teil (Kapitel 3) wird anfangs die Ausgangslage der Flüchtlingspolitik in Deutschland vor der Qualifikationsrichtlinie untersucht. Anschließend liegt der Fokus auf den wesentlichen Inhalten der Qualifikationsrichtlinie, die mit dem Ausgangskontext der deutschen Flüchtlingspolitik abgeglichen und anhand des Goodness-of-fit-Ansatzes analysiert werden. Abschließend werden Problemfelder der Umsetzungspraxis, insbesondere in Bezug auf den subsidiären Schutzstatus, dargelegt.

2. Konzept der Europäisierung

2.1 Begriff der Europäisierung

Bei Betrachtung der bisherigen Definitionsansätze zum Begriff der Europäisierung ist ersichtlich, dass diese zum Teil erhebliche Unterschiede aufweisen. Ladrech, der im Jahre 1994 eine der ersten Definitionen verfasste, begründete Europäisierung als Entwicklungen in der Europäischen Union, die Einfluss auf die organisatorische Logik der nationalen Politik nehmen (Ladrech 1994: 69). An diese Definition knüpfte Radaelli an und definierte Europäisierung folglich als einen Veränderungsprozess der nationalen Ebene, der im Vergleich zur Definition von Ladrech ausdrücklich den Einfluss auf „Regeln, Verfahren, politische Paradigmen, Stile, Praktiken, Weltbilder und Normen in den Diskursen, Identitäten, politischen Strukturen und öffentlichen Politik in den Mitgliedsstaaten“ hervorhebt (Radaelli 2003: 30).

In dieser Begriffserklärung sind neben den von der EU beeinflussten Dimensionen, auch die Möglichkeiten inbegriffen, mit denen die EU versucht Einfluss auszuüben. In diesem Zusammenhang befasst sich Radaelli einerseits mit der Entwicklung und Wirkung europäischer Politik und andererseits mit deren umfassenden Rückwirkungen auf die politischen Handlungslogiken der Nationalstaaten. Demzufolge werden im Gegensatz zum Europäisierungsansatz von Ladrech nicht nur die Auswirkungen und Einflüsse auf die nationalstaatliche, sondern auch die Entstehung und dynamische Entwicklung der europäischen Ebene berücksichtigt (Auel 2012: 251). Da die Entstehung der europäischen Politik bereits hinreichend durch die Europäische Integration erfasst ist, wird diese weitgehend ausgeblendet und die Auswirkungen für die nationale Ebene in den Mittelpunkt gerückt (Eising 2003: 395).

Aus den aufgeführten Definitionen geht hervor, dass sowohl Ladrech als auch Radaelli Europäisierung als einen vertikalen und hierarchischen Anpassungsprozess erfassen. Europäisierung sollte mitnichten uneingeschränkt als einseitig verlaufender Prozess angesehen werden, da auch die Mitgliedsstaaten bestrebt sind, ihre nationale Politik und politischen Lösungsansätze auf europäischer Ebene zu implementieren (Bulmer/Burch 2000: 267; Börzel/Risse 2003: 63). An Radaellis umfassender, aber keineswegs alle Aspekte behandelnden Europäisierungstheorie, ist zu kritisieren, dass vordergründig die Rückwirkungen auf die Mitgliedsstaaten hinterfragt werden. Radaelli lässt außer Acht, dass auch die Mitgliedsstaaten Einfluss auf die europäische Politikgestaltung nehmen. Inzwischen wird die Europäisierung in der Forschung als zirkulär verlaufender Prozess betrachtet (Auel 2012: 263). Dyson und Goetz (2003: 15) berücksichtigen beide Perspektiven und stellen Europäisierung als einen wechselseitigen interaktiven Prozess dar (top-down, bottom-up). Dennoch stellt Radaelli treffend fest: Europäisierung ist keine abgeschlossene Theorie, vielmehr ein durch europäische Vorgaben induzierter Wandlungsprozess (Radaelli 2003a: 333).

In dieser Hausarbeit wird Europäisierung ein top-down-Verständnis vorausgesetzt, da die Qualifikationsrichtlinie den Kernpunkt der Untersuchungen darstellt und deren Rückwirkungen auf die nationale Ebene im Fokus stehen.

2.2 Dimensionen der Europäisierung

In allen Dimensionen nationaler Politik sind die Auswirkungen der Europäisierung erkennbar. Um Europäisierung objektiv betrachten zu können, muss zunächst klar gemacht werden, was europäisiert wird. In der Politikwissenschaft haben sich die drei Kategorien Polity, Politics und Policy, die der englischen Politikwissenschaft entstammen, gegenüber dem deutschen Begriff der Politik behauptet. Polity bezieht sich auf die Struktur eines politischen Systems sowie dessen institutionelle Rahmenbedingungen (Schmidt 2004: 535). Hierzu zählen z.B. die Verfassung, Gesetze oder Grundwerte. Politics setzt sich hingegen mit der prozessualen Dimension auseinander und untersucht die nationalpolitischen Gestaltungsprozesse. In dieser Dimension interagieren die politischen Akteure in unterschiedlichsten Konfliktsituationen und Willensbildungsprozessen mit dem Ziel ein politisch anwendbares Ergebnis zu erreichen (Goetz/Hix 2001; Ladrech 1994). Policy beschäftigt sich mit der inhaltlichen Dimension von Politik und analysiert die politischen Inhalte, Stile und Methoden, die zur Problemlösung angewendet werden (Schmidt 2004: 561). Die stärksten Einflüsse der Europäisierung wirken auf der Policy-Ebene, die schwächsten sind hingegen im Bereich der Politics auszumachen (Dyson/Goetz 2003: 386).

2.3 Impulse der Europäisierung

2.3.1 Vertikale und horizontale Impulse

Um den Prozess der Europäisierung erklären zu können, muss zunächst gezeigt werden, auf welche Weise die EU Einfluss auf die nationale Ebene nimmt. Grundsätzlich ist zwischen vertikalen und horizontalen Impulsen der Europäisierung zu unterscheiden (Radaelli 2003: 40f.). Vertikale Impulse werden durch unionsrechtliche Vorgaben, die von den Mitgliedsstaaten übernommen werden sollen oder müssen, induziert. Die top-down-Ausrichtung des Europäisierungsprozesses ist unverkennbar. Bei den horizontalen Impulsen besteht hingegen kein Anpassungsdruck, der aus europäischen Vorgaben resultiert. Beispielhaft hierfür steht die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. In diesem Bereich verfügt die EU über keine Gesetzgebungskompetenz. Europäisierung erfolgt durch die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten ohne entsprechende europäische Vorgaben (ebd.: 41). Die horizontalen Impulse werden in der vorliegenden Arbeit nicht näher beleuchtet, da mit der Qualifikationsrichtlinie ein Sekundärrechtsakt den Ausgangspunkt für die Untersuchungen bildet.

Als supranationaler Gesetzgeber besitzt die EU, sofern die sekundären Rechtsakte wirksam von den Gesetzgebungsorganen (Parlament und Rat der EU unter Mitwirkung der Kommission) beschlossen wurden, die Befugnis, diese verbindlich in den Mitgliedsstaaten durchzusetzen. Die hierarchischen Eingriffe in die mitgliedsstaatliche Politik verursachen top-down-Prozesse, die nach den Instrumenten der positiven und negativen Integration (Radaelli 2000: 16) sowie der Framing Integration (Kohler-Koch 1999: 27f.) zu trennen sind. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass diese Differenzierung aus rein analytischen Gründen vorgenommen wird, um die nationalen Auswirkungen einer europäischen Vorgabe zu untersuchen. In der Praxis treten die top-down-Prozesse vorrangig als Mischform der verschiedenen Instrumente auf (Knill/Lehmkuhl 2000: 21).

2.3.2 Positive Integration (Anpassung durch Zwang)

Als positive Integration wird die Schaffung eines bestimmten politischen Institutionsmodells bezeichnet, das durch die europäische Ebene aufgrund erlassener Verordnungen auferlegt und von den Mitgliedsstaaten ohne Gestaltungsspielraum umgesetzt werden muss (Blauberger 2008: 19). Scharpf, der die Forschungsfelder der positiven und negativen Integration einführte, verwendet folgende Definitionen: „Bei der positiven Integration (marktkorrigierende Politik) geht es um die Ausübung wirtschaftspolitischer und regulativer Kompetenzen auf der Ebene der größeren wirtschaftlichen Einheit“ (1999b: 49). Vorzufinden ist die positive Integration vor allem in regulativen Politikbereichen, wie der Umwelt- und Sozialpolitik (Knill 2005: 159). Der Europäisierungsprozess gründet hierbei in erster Linie auf durch rechtlichen Zwang ausgeübten Anpassungsdruck (ebd.: 158).

2.3.3 Negative Integration (Anpassung durch mimetische Prozesse)

Der negativen Integration liegt hingegen kein konkretes politisches Institutionsmodell zugrunde. Vielmehr sollen nationale Möglichkeitsstrukturen verändert werden. Scharpf betont, dass sich negative Integration durch die Abschaffung von Handlungshemmnissen sowie Wettbewerbsbehinderungen definiert und aufgrund dessen eine marktschaffende Position einnimmt (1999b: 49). Auf diese Weise sollen Regulierungsmöglichkeiten auf mitgliedsstaatlicher Ebene unterbunden und ein freier Wettbewerb geschaffen werden (Auel 2012: 255).

2.3.4 Framing Integration (Anpassung durch normativen Druck)

Framing Integration drängt weder auf ein einheitliches-institutionelles Modell noch kann sie durch europäische Vorgaben die Ausgestaltung nationaler Gelegenheitsstrukturen verbindlich beeinflussen (Kreienbrink 2004: 20). Das Ziel von Framing ist es auf nationale Ideen und Annahmen einzuwirken, um so kognitive Effekte bei den nationalen Beteiligten zu erzielen (Knill 2005: 158-159). Durch die hierbei veränderten Präferenzen und Erwartungshaltungen besteht die Möglichkeit, dass die beteiligten Akteure aus eigener Initiative Reformprozesse anstreben (Kohler-Koch 1999: 27f.) oder zumindest durch von europäischer Ebene empfohlene Reformziele, dazu bewegt werden können (Kreienbrink 2004: 21).

2.4 Goodness of fit - Der klassische Erklärungsansatz

Nachdem im vorherigen Abschnitt etwaige Einflussnahmemöglichkeiten der EU auf die Mitgliedsstaaten erläutert wurden, stellt sich nun die Frage, wie die Wirkung dieser erklärt werden kann. Das breitgefächerte Forschungsfeld der Europäisierung weist eine Vielzahl unterschiedlicher nationaler Wirkungsweisen auf. Aufgrund dessen kann kein allgemeingültiges Erklärungsmodell zugrunde gelegt werden. Der Einfluss der EU bewirkt in den Mitgliedsstaaten keine einheitlichen Effekte, sondern löst unterschiedliche Reaktionen aus (Knill/Lehmkuhl 2000: 24).

Das klassische Erklärungsmuster unter den Europäisierungsmodellen stellt der Goodness-of-fit-Ansatz dar. Dieser Ansatz besagt, dass nur durch eine Inkompatibilität zwischen nationaler Politik und europäischen Vorgaben und dem hieraus resultierenden Anpassungsdruck ein Europäisierungsprozess auf nationaler Ebene in Gang gesetzt werden kann. Voraussetzung sind europäische Vorgaben, die einen verbindlichen Charakter aufweisen und deren Übernahme in nationales Recht im Zweifelfall erzwungen werden kann (Risse/Cowles/Caporaso 2001: 7). Die Höhe des Anpassungsdrucks leitet sich aus dem Grad der Übereinstimmung ab (Börzel/Risse 2003: 60 f.). Je größer der festgestellte „Misfit“, desto stärker der Anpassungsdruck (Risse/Cowles/Caporaso 2001: 6 f.). Sollten hingegen die beiden Ebenen übereinstimmen, entsteht kein Anpassungsdruck (Börzel/Risse 2003: 61). An dieser Stelle ist anzumerken, dass der „Misfit“ eine erforderliche, jedoch keineswegs hinreichende Voraussetzung ist, um aus eigener Kraft einen Wandel durch Europäisierung auszulösen. Anknüpfend stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen die nationalen Regierungen einen entstehenden „Misfit“ dulden und folglich einen innerstaatlichen Wandel einleiten (Börzel/Risse 2003: 63). Aus diesem Grund sind, insbesondere bei einem hohen „Misfitgrad“, vermittelnde Akteure auf nationaler Ebene erforderlich, die den Wandlungsprozess begleiten. Je mehr sogenannte Veto-Akteure am Entscheidungsprozess beteiligt sind, desto schwieriger gestaltet es sich eine gemeinsame Position zu finden (Risse/Cowles/Caporaso 2001: 9.).

Grundsätzlich sind zwei Formen des Anpassungsdrucks voneinander abzugrenzen. Auf der einen Seite erscheint es logisch, dass nur geringfügige Veränderungen der nationalen Strukturen notwendig sind, wenn die unionsrechtlichen Vorgaben und das nationalstaatliche Rechtsgefüge weitgehend übereinstimmen. Auf der anderen Seite ist bei einer hohen Inkompatibilität der beiden Ebenen ein umfänglicher Wandel von Strukturen und Institutionen zu vollziehen und infolgedessen mit einer starken Widerstandshaltung der nationalen Akteure zu rechnen (Risse/Cowles/Caporaso 2001: 8.). Ungeachtet dessen gilt ein mittlerer „Misfitgrad“, beim dem ein deutlicher Wandlungsimpuls spürbar, die Veränderung jedoch nicht so einschneidend ist, dass eine Ablehnungshaltung aufkommt, am erfolgversprechendsten (Lenschow 2006: 64). Wissenschaftler ziehen mit dem rationalistischen (Ressourcenumverteilung) und soziologischen Institutionalismus (Sozialisations- und Lernprozesse) weitere Faktoren zur Erklärung heran (Börzel/Risse 2003: 63). Die neo-institutionalistischen Erklärungsansätze sowie die Thematik der Veto-Akteure sind nicht Gegenstand der Hausarbeit, da primär die „Misfits“ zwischen der deutschen Rechtslage und der Qualifikationsrichtlinie dargelegt werden.

2.5 Grad der Europäisierung

Fraglich ist, wie der exakte Grad der Europäisierung gemessen werden kann. Bezüglich des Ausmaßes und der Richtung der Europäisierung kann zwischen den fünf unterschiedlichen Ausprägungen Intertia, Absorption, Accommodation, Transformation und Retrenchment unterschieden werden.

Inertia charakterisiert eine Situation, in welcher der Staat keine Veränderung der innerstaatlichen Politik vornimmt (Radaelli 2003: 37f). Ursache hierfür sind zu große Differenzen zwischen den europäischen Vorgaben und den nationalen Verfahren. Antagonismus der politischen Akteure – ausgelöst durch den gegenwärtigen Anpassungsdruck – ist die Folge (Börzel/Risse 2003: 69 f.).

Absorption beschreibt einen Prozess, bei dem keine grundlegenden Veränderungen der nationalen Systeme eintreten, sondern lediglich zur Anpassung von politischen Strukturen, Inhalten und Prozessen auf nationaler Ebene führt (Börzel/Risse 2000: 10f.).

Bei Accommodation handelt es sich um einen Prozess des geringen Wandels, bei dem die nationale Ebene neue Politikmodelle der europäischen Ebene übernimmt, jedoch keine schwerwiegenden Veränderungen in Erwägung zieht (Axt/Milososki/Schwarz 2007: 140).

Im Gegensatz zu Inertia, Absorption und Accommodation löst Transformation einen grundlegenden Wandlungsprozess bei den Mitgliedsstaaten aus (Radaelli 2003: 38). Bei dieser Art und Weise der Europäisierung werden entweder die Politikstrukturen, -inhalte und –prozesse ersetzt (Héritier 2001: 54) oder elementare Strukturen und Politikfelder modifiziert (Börzel/Risse 2003: 70).

Rentrenchment begründet einen paradoxen Zustand, bei dem trotz Bemühungen nationale Politik zu europäisieren, ein gegenteiliger Effekt – im Grunde eine „Anti-Europäisierung“ bewirkt wird (Radaelli 2000: 38).

3. Die Qualifikationsrichtlinie und ihre Umsetzung in Deutschland

Im nachfolgenden empirischen Teil der Hausarbeit werden die Qualifikationsrichtlinie und deren Umsetzungspraxis in Deutschland untersucht. Ausgangspunkt für die Untersuchung des vertikalen Europäisierungsprozesses bildet der Vergleich zwischen der Flüchtlingspolitik in Deutschland vor der Qualifikationsrichtlinie, sowie den wesentlichen Inhalten der Richtlinie. Zur Analyse wird der Goodness-of-fit-Ansatz herangezogen, Misfits ermittelt und möglicher Anpassungsdruck abgeleitet. Abschließend werden etwaige Problemfelder der Umsetzungspraxis, insbesondere in Bezug auf den subsidiären Schutzstatus, erörtert.

3.1 Flüchtlingspolitik vor der Qualifikationsrichtlinie

Die politisch-administrativen Strukturen der deutschen Flüchtlingspolitik sind maßgeblich vom Föderalismus geprägt. Während sich das Bundesministerium des Inneren (BMI) als oberste Bundesbehörde der Formulierung von politischen Vorgaben widmet, erfüllt das nachgeordnete Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) größtenteils operative Aufgaben. Das BAMF verfügt als Bundesoberbehörde über keinen eigenen Verwaltungsunterbau (Bogumil/Jann 2009: 95-96). Für aufenthaltsrechtliche Angelegenheiten sind die Ausländerbehörden der Länder zuständig. Klageverfahren gegen ausländerrechtlichen Ablehnungsbescheid werden hingegen von den Ländern selbst durchgeführt, da ihnen die Verwaltungsgerichtsbarkeit obliegt. Das Asylgesetz (AsylG) und das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) sind im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung bundesweit einheitlich geregelt (BAMF 2016: 2).

Bereits im Jahre 1949 wurde das politische Asylrecht im Grundgesetz (Art. 16 Abs. 2 GG) der Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben und bis zur Asylreform 1993 (Art. 16a GG) schrankenlos gewährt. Seit 1953 ist die sogenannte Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ein Abkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen - für die BRD bindend. Das 1965 erlassene Ausländergesetz (AuslG) regelte infolge, dass Asylberechtigte und Flüchtlinge nach GFK denselben Schutzstatus erhielten. Durch das Zusatzprotokoll zur GFK (1969) wurden die beiden Schutzbereiche sogar vollkommen identisch. Nach Schaffung des Asylverfahrensgesetzes 1982 (AsylVfG), war infolgedessen ein Anerkennungsverfahren nur noch für politisch Verfolgte, nicht aber für Konventionsflüchtlinge vorgesehen. Das sogenannte Non-Refoulement-Gebot (Art. 33 GFK) verblieb im Ausländergesetz (AuslG). Im Jahr 1990 wurde mit Änderung des AsylVfG beschlossen, dass neben dem Grundrecht auf politisches Asyl auch das Non-Refoulement-Gebot im Asylverfahren zu prüfen ist. Einen eigenen Status erhielten Konventionsflüchtlinge weiterhin nicht und mussten auch hinsichtlich der Rechtsfolgen eine beträchtliche Schlechterstellung hinnehmen (Tiedemann 2015: 9-11).

3.2 Wesentlicher Inhalt der Qualifikationsrichtlinie

Die Qualifikationsrichtlinie (2004/83/EG; Novellierung 2011/95/EU) gilt als materiell-rechtliches Herzstück der europäischen Flüchtlingspolitik. Gegenstand und Ziel sind die „Festlegung von Mindestnormen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder Personen, die internationalen Schutz“ benötigen. Die Richtlinie verfügt mit der Flüchtlingseigenschaft und dem subsidiären Schutz über zwei Schutzsysteme und enthält für diese ausführliche Auslegungsbestimmungen. Der Begriff des Flüchtlings ist hierbei in Anlehnung an die Regelungen der GFK bestimmt. Subsidiärer Schutz wird hingegen gestattet, wenn dem Schutzsuchenden in seinem Herkunftsstaat die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens droht und die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Im Gegensatz Konventionsflüchtlinge sind subsidiär Schutzberechtigte zwar von einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung (Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung) betroffen, können hierfür jedoch keinen Verfolgungsgrund geltend machen (Marx 2009: 653).

Aus der Richtliniennovellierung (Richtlinie 2011/95/EU) resultieren punktuelle Veränderungen. Die Neufassung der Richtlinie minimiert den Ermessensspielraum der Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung, nimmt eine weitreichende Angleichung bezüglich der Rechtsfolgen zwischen Flüchtlingen sowie subsidiär Schutzberechtigten vor und schließt bestehende Schutzlücken (Keller 2013: 34).

3.3 Goodness-of-fit-Ansatz

Im Rahmen der theoretischen Grundlagen wurde auf die zentrale Bedeutung des „Misfits“ zwischen europäischen Vorgaben und nationalpolitischen Rahmenbedingungen hingewiesen. Demnach erzeugen große Unterschiede zwischen der nationalen und europäischen Ebene einen hohen Anpassungsdruck. In Bezug auf die Qualifikationsrichtlinie stellt sich die Frage, wie groß die Inkompatibilität zwischen der Richtlinie und der deutschen Rechtslage ist. In diesem Zusammenhang werden elementare Richtlinieninhalte miteinander abgeglichen.

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Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Europäisierung der deutschen Flüchtlingspolitik
Sous-titre
Eine Untersuchung am Beispiel der Qualifikationsrichtlinie
Université
University of Kassel
Cours
Modul "Entwicklung der Verwaltungsorganisation"
Note
1,0
Auteur
Année
2016
Pages
20
N° de catalogue
V346965
ISBN (ebook)
9783668362321
ISBN (Livre)
9783668362338
Taille d'un fichier
539 KB
Langue
allemand
Mots clés
europäisierung, flüchtlingspolitik, eine, untersuchung, beispiel, qualifikationsrichtlinie
Citation du texte
Florian Jentsch (Auteur), 2016, Europäisierung der deutschen Flüchtlingspolitik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/346965

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Titre: Europäisierung der deutschen Flüchtlingspolitik



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