Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Frauenbewegungen um 1860- Bedeutung von Emanzipation, von Bildungsforderungen bis Frauenwahlrecht
3 L‘ Arrabbiata- „Die Eigensinnige“ im Wandel
4 Starke Frauenrollen- Sittlichkeit und Sinnlichkeit im Kontrast
5 Vervollständigung Heysescher Mädchengestalten
6 Heyses literarisches Engagement für die Frauenemanzipation außerhalb der Novelle
7 Fazit
8 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
"Wenn es so um Liebe ist, dass sie einem die Lippen schließt, wo man Hilfe schreien sollte [...]1, so will ich nie mein Herz an einen Mann hängen." 1- diese Aussage der Protagonistin Laurella aus Paul Heyses 1853 entstandener Novelle „L‘ Arrabbiata“ scheint für ihre Zeit außerordentlich selbstbestimmt und entschlossen. Die Frauenrechte und das Frauenbild der Kirche und somit auch der damaligen Gesellschaft waren klar festgelegt, „das Weib hat die Bestimmung der Mutterschaft, der Ernährung [...], der Pflege und Behütung des Kindes, der Sorge für dessen gesunde, körperliche Entwicklung und für die Erziehung der geistigen und sittlichen Anlagen. [...] Für diese erhabene Bestimmung des Weibes natürlich und seelisch ausgerüstet; alle seine leiblichen und seelischen Anlagen und Neigungen beziehen sich auf dieses Verhältnis der Mutter zum Kinde [...] Der Mann hat andere Ziele und Pflichten, deshalb auch andere Anlagen; des Weibes Leben ist die Familie, des Mannes Leben ist die Welt.". 2
Sich durch ihre Aussage einem Mann und somit der Ehe zu verwehren, entspricht also nicht der gesellschaftlichen Norm, nicht dem, was die Kirche und somit auch Gott von ihr verlangt. Interessant wird nun der Kontext, in welchem die Novelle verfasst wurde. Der Autor Paul Heyse war ein Vorkämpfer der Frauenrechte, stets engagiert die Emanzipation voranzutreiben. In „L‘ Arrabbiata“ wie auch in weiteren Novellen und Gedichten strengt Heyse moderne Geschlechterrollen an und stellt dadurch die Frage, ob durch die Erzählung solcher Modelle eine literarische Emanzipation der Frau erreicht werden kann. Heyse unterstützte Frauen also hinsichtlich ihrer Rechte auf wissenschaftliche Bildung und Ausbildung, 1866 veröffentlichte er sogar ein Gedicht in der „Gartenlaube“ mit dem eindeutigen Titel „Frauenemancipation. Eine Fastenpredigt.“. Trotz der unmissverständlichen Benennung des Gedichts erzielt er durch die Versform eine gewisse Distanz zu seiner Kritik an der momentanen Bildungspolitik. Des Weiteren soll nun untersucht werden, ob Heyse das starke Frauenmotiv häufiger aufgreift, und erotische Situationen einen maßgeblichen Anteil an der Emanzipation haben.
2 Frauenbewegungen um 1860- Bedeutung von Emanzipation, von Bildungsforderungen bis Frauenwahlrecht
Die Frauenkonferenz im Oktober 1865 in Leipzig, auch teilweise abfällig als „Leipziger Frauenschlacht“ tituliert, legte den Grundstein einer enormen emanzipatorischen Bewegung, da die Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) veranlasst wurde. 3 Die Frauenarmut zu dieser Zeit war groß, also setzte sich der ADF für „eigenständige Erwerbsmöglichkeiten“ ein, schrieb dies sogar in seiner Satzung nieder: "Wir erklären nach dem Beschluss der ersten deutschen Frauenconferenz: die Arbeit, welche die Grundlage der ganzen neuen Gesellschaft sein soll, als eine Pflicht und Ehre des weiblichen Geschlechts".4 Elementares Thema der emanzipatorischen Bewegungen, die sich rasch über das ganze Land ausbreiteten, war Bildung. Durch die Verbesserung des Mädchenschulwesens, an dem die Lehrerin Helene Lange maßgeblichen Anteil hatte, sollte eine solide Bildungsgrundlage für einen von (Ehe-) Männern unabhängigen Erwerb geschaffen werden. Weitere Forderungen der Frauenbewegung betrafen das Frauenwahlrecht. 1908 wurden Frauen in Deutschland erstmals als Parteimitglieder zugelassen, erst nach dem Ersten Weltkrieg allerdings wurde dann durch den Deutschen Reichsverband für Frauenstimmrecht das Wahlrecht eingeführt. Es entstanden Splittergruppen, die sich für verschiedenste Interessen einsetzten, unter anderem Frauenberufsorganisationen, die Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit, der kaufmännische Hilfsverein für weibliche Angestellte oder auch Rechtsschutzstellen. So unterschiedlich die einzelnen Interessengruppen in ihren direkten Zielen waren, war die Emanzipationsbewegung in zwei Lager geteilt. „Setzten die gemäßigten bürgerlichen Frauen auf eine Emanzipation durch die langsame Steigerung des weiblichen Kultureinflusses, versprach sich die proletarische Frauenbewegung eine vollständige Emanzipation erst durch den Sieg des Sozialismus."5 Ein emanzipatorisch wichtiger Schritt war jedoch getan.
3 L‘ Arrabbiata- „Die Eigensinnige“ im Wandel
Die Figur der Laurella, ein 18- jähriges Mädchen aus Sorrent, stellt die Protagonistin in „L’Arrabbiata“ dar. Zunächst scheint die Figur in ihrer Entwicklung zu stagnieren, wird sie doch von jeher „die Eigensinnige“ genannt, stellenweise als „unberechenbar“ beschrieben, unangepasst an die Erwartungshaltung ihrer Umgebung bezüglich der Pflichten einer Frau. Der neutrale Erzähler unterrichtet den Leser darüber, dass Laurella in früher Kindheit ein Trauma zwischenmenschlicher Natur erlitt, denn der Vater schlug die Mutter häufig bevor sie körperlich wurden. Diese Erfahrung veranlasst Laurella zu der Aussage „wißt, Padre, darum will ich eine Jungfrau bleiben, um keinem untertänig zu sein, der mich mißhandelte und dann liebkoste.“ 6 So wird sie mit dem Erwachsenwerden verbittert und unfähig, eine Beziehung zu einem Mann einzugehen und unwillig, jemals zu heiraten („Ich will gar keinen Mann, niemals!“7 ).Hier findet sich der erste Hinweis auf ein äußerst selbstbestimmtes, emanzipiertes Verhalten der Laurella, es gilt zu ihrer Zeit allerdings als unweiblich, teilweise sogar unchristlich sich der Heirat zu verwehren, da dies eine gottbefohlene Pflicht der Frau sei. Die momentane psychische Verfügung Laurellas wurde somit erläutert, also ihr ablehnendes und eigensinniges Verhalten. Diese Erklärungen finden während einer Bootsfahrt Richtung Capri statt, während der neben Laurella und dem Padre auch Antonio zugegen ist. Im zweiten Teil der Erzählung befinden sich nur das Mädchen und der in sie verliebte Antonio im Boot, die Rückfahrt wird angetreten. Es kommt zu einem Streit, da Laurella keine Beziehung mit ihm eingehen will („Was hast du für eine Recht auf mich? […] Ich laß mir nicht bangen, soviel du auch drohst. Ich will auch tun, was ich will.“8 ), er jedoch das Recht auf sie einfordert. In ihrer Wut und Bedrängnis beißt sie ihm in die Hand und springt ins Wasser. Dies ist ein entscheidender Moment in der Psyche Laurellas, sie erfährt einen elementaren Sinneswandel, nämlich dass sie zu Antonio zurückkehrt und sich um seine von ihr zugefügte Wunde, fürsorglich kümmert. Ab diesem Punkt ist sie in der Lage, seine und auch ihre Liebe zu ihm zuzulassen.
Bemerkenswert ist der Auslöser des Sinneswandels, da der eigentliche Grund Laurellas Abneigung gegen Männer die Gewalt ihres Vaters der Mutter gegenüber war, und nun eben diese Gewalt, von ihr selbst ausgeübt, zu einer Auflösung der Beziehungsangst führt. Eine mögliche Erklärung kann das Wirken einer höheren, göttlichen Bestimmung sein, dass das Paar zueinander finden soll. Dies bleibt jedoch bis zum Schluss ungeklärt, ob nun das Göttliche oder eine paradoxe Umkehrung des Traumas Laurella zu ihrer Entscheidung bewegt hat. Rückführend auf die Frage, ob die Protagonistin tatsächlich als emanzipiert und selbstbestimmt anzusehen ist, sind zwei Möglichkeiten zu betrachten. Die Aufgabe ihrer Prinzipien, nie eine Beziehung oder gar Heirat mit einem Mann in Betracht zu ziehen, kann Laurella als unterwürfig gelten lassen, da sie bewusst den Verlust ihrer eigentlichen Persönlichkeit in Kauf genommen hat. Dies kann jedoch widerlegt werden, da sie gegen Ende der Novelle einen entscheidenden Satz ausspricht: "Nun will ich dich auch küssen [...], und Laurella küsst keinen, als den sie zum Manne will."9.Sie verliert ihren emanzipierten Charakter keinesfalls, da die Entscheidung für Antonio und die später folgende Heirat aus Liebe, freiem Willen und Selbstbestimmung geschieht. Eher wird sie also zur Heldin der Erzählung, da sie ihre Ängste aus eigener Kraft und Rationalität überwunden hat. Auch wenn sie sich für den Biss bei Antonio entschuldigt, ist diese Tat eher als besonnen und vernünftig zu bewerten. Die sehr unkonventionelle Figur der Laurella scheint den Biss auch als erotisches Moment aufzunehmen, da zum Einen ein gewisses Maß an Körperkontakt zu einem Mann entsteht, zum Anderen blühen ihre romantischen Gefühle für Antonio ab diesem Zeitpunkt auf. Der Wandel der Protagonistin ist zusammengefasst eine Verbindung verschiedenster Faktoren, darunter das Streben nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit, eine erotische Situation und letztendlich ihre charakterliche Entwicklung zur Heldin der Novelle.
Heyse gibt sich mit dieser Anordnung der Geschlechterrollen äußerst modern, ist doch kein Mann, sondern eine Frau die Hauptperson der Erzählung. Zudem entspricht Laurella nicht dem typischen Frauenbild ihrer Zeit, sie gibt sich gewagt und selbstständig, wenn auch eigensinnig. Da die Vorlage der Figur eine reale Person gleichen Charakters ist, konnten sich die Leserinnen in ihrem eigenen Vordringen bestärkt und unterstützt fühlen.
[...]
1 Bei dieser und folgenden Seitenangaben wird sich auf die Reclam-Ausgabe bezogen: Heyse, Paul: Arrabbiata. in: Karl Pörnbacher (Hg.): Arrabbiata. Das Mädchen von Treppi, Stuttgart 1996. (im Weiteren „Arrabbiata“)
2 Bürgerlicher Moralkodex und Frauenbild: http://www.dirnenlied.de/page20/page23.html, eingesehen am 25.09.15
3 Vgl. http://www.bpb.de/gesellschaft/gender/frauenbewegung/35256/aufbauphase-im-kaiserreich?p=all, eingesehen am 28.09.15
4 Sachße, Christoph. Mütterlichkeit als Beruf: Sozialarbeit, Sozialreform und Frauenbewegung 1871- 1929. 2., überarb. Auflage. 1994. Springer Fachmedien Wiesbaden.
5 Wolf, Kerstin. Die Frauenbewegung organisiert sich. Dossier Frauenbewegung. Bpb. 08.09.08 2
6 ebd. S. 3 („Arrabbiata“)
7 ebd. S. 8
8 ebd. S. 17
9 ebd. S. 27