Extrait
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmungen
2.1. Kultur
2.2. Interkulturelle Frühpädagogik
2.3. Autonomie und Verbundenheit
3. Grundlagen kultursensitiven frühpädagogischen Handelns und interkultureller Kompetenz
3.1. Kenntnis
3.2. Haltung
3.3. Leben mit Diversität
4. Zentrale Situationen der frühpädagogischen Praxis
4.1. Elternkontakt
4.2. Spielsituation
4.3. Sprache
4.4. Raumgestaltung
4.5. Physiologische Bedürfnisse
5. Ziele der interkulturellen und kultursensitiven Frühpädagogik
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Internationale Migration, die europäische Einigung und der Prozess der Globalisierung begründen die Notwendigkeit der interkulturellen Bildung und Erziehung, (vgl. Krüger-Potratz 2005, S.15)
Gegenwärtig beschäftigen sich nahezu alle europäischen Länder politisch, gesellschaftlich und humanitär mit der großen Anzahl flüchtender Menschen aus Syrien, Albanien, Afghanistan, Irak, Serbien und mit Flüchtlingen aus anderen von Gefahr, Krieg und Terror betroffenen und / oder bedrohten Ländern. Die Zahl der in Deutschland aufgenommenen Flüchtlinge hat in den letzten beiden Jahren signifikant zugenommen. Im Jahr 2014 wurden in der Bundesrepublik Deutschland 202.834 Asylanträge gestellt, 2015 erbaten bereits 476.649 Menschen und in den Monaten Januar bis Februar 2016 120.642 Menschen Asyl. (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2016, online) Für das Jahr 2014 dokumentierte das Statistische Bundesamt 20,3 % der Gesamtbevölkerung Deutschlands einen Migrationshintergrund. (vgl. Statistische Bundesamt 2015, online)
Diese Daten verweisen auf eine weiterhin stärker werdende kulturelle Durchmischung innerhalb der deutschen Gesellschaft. Gleichzeitig können diese Umstände als ein Indiz für die Bedeutsamkeit eines friedlichen, wertschätzenden multikulturellen Zusammenlebens für die Gesamtbevölkerung gewertet werden. Die Heterogenität der Menschen wirkt sich auf das soziale Miteinander aus und kann sowohl zu einem breiteren kulturellen Verständnis und interkulturellen Austausch, als auch zu Missverständnissen und Verständigungsschwierigkeiten führen, da verschiedene kulturelle Prägungen, Religionen, Werteorientierungen, Einstellungen und Haltungen aufeinandertreffen. Anlässlich der besonderen Aktualität dieser gesellschaftlichen Situation, rückt die Bedeutung von Integration, Toleranz, Wertschätzung und kultursensitivem Verhalten in den Fokus.
Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit der Thematik kulturdifferenter Gegebenheiten sowie der Bedeutsamkeit der interkulturellen Frühpädagogik und richtet ihren Blick auf das kultursensitive pädagogische Handeln. Bezüglich dieser pädagogischen Herangehensweise stellt sich die Frage, wie interkulturelle Pädagogik in frühpädagogischen Einrichtungen hinsichtlich ihrer praktischen, kultursensitiven Umsetzung realisiert werden kann. Zunächst werden die Begriffe Kultur, Interkulturelle Frühpädagogik, Autonomie sowie Verbundenheit definiert. Im Folgenden werden Grundlagen kultursensitiven Handelns charakterisiert, die erforderlichen Fachkompetenzen werden dargestellt und konkrete pädagogische Ansätze zum Umgang mit kultureller Vielfalt im Praxisfeld der frühkindlichen Pädagogik differenziert analysiert. Anschließend werden die Ziele der interkulturellen Frühpädagogik beschrieben. Die Arbeit schließt mit einem Fazit und nimmt kritisch Bezug auf die dichotome Gegenüberstellung der kulturellen Autonomie- bzw. Verbundenheitsorientierung von Borke und Keller.
2. Begriffsbestimmungen
Um ein grundlegendes Verständnis gewährleisten zu können, werden in den folgenden Abschnitten die Begriffe Kultur, Interkulturelle Frühpädagogik sowie Autonomie und Verbundenheit definiert.
2.1. Kultur
"Wenn es ein bestimmendes Merkmal des Begriffes Kultur gibt, dann die verbreitete Auffassung, dass dieser Begriff nicht zu definieren ist. Wer es trotzdem versucht, zeigt damit nur, dass er dem Begriff nichtgewachsen ist." (Dirk Baecker, 2003, S. 33)
Kultur im engen Sinne beschreibt die Leistungen gesellschaftlicher Eliten und wird weitgehend in Form von Kunstwerken sichtbar. (vgl. Niekrawitz 1991, S.35) Kultur verbindet Kunst und Leben, Politik und Soziales sowie Vergangenes und Zukünftiges. Die kulturelle Deutung und Bedeutung entfaltet sich in der konkreten historischen und geografischen Situation. (vgl. Zacharias 2001, S.93) Kultur kann als Entwurf menschlicher Lebensformen in einer Gemeinschaft mit anderen verstanden werden. (vgl. Wiater 2012, S.16)
In der Pädagogik wird der Begriff Kultur erweitert verstanden. Kultur umfasst sowohl die konkret-materielle als auch die abstrakt-ideelle Ebene des kollektiven Zusammenlebens. (vgl. Niekrawitz 1991, S.35) „Kultur (...) umfasst die Gesetze, nach denen menschliches Leben geregelt ist.“ (Auernheimer 2012, S.77) Werte und Normen, Rituale der Kommunikation, gesellschaftliche Lebensweisen und Selbstzuordnungen gelten allgemein als elementare Bestandteile von kultureller Praxis. (vgl. Auernheimer 2012, S.77) „Die Kultur dient also der Bedeutung des gesellschaftlichen Lebens und damit der Orientierung des Handelns.“ (Auernheimer 2012, S.78) Borelli definiert den Kulturbegriff mit der Unmöglichkeit der Begrenzung, also der Universalität, mit der prozesshaften historisch- gesellschaftlichen Erfahrung und der Denkerfahrung, also der Verarbeitung gesellschaftlicher Erfahrungen. (vgl. Borelli 1986, S.9)
2.2. Interkulturelle Frühpädagogik
„Einer interkulturellen Arbeit bedeutet Kultur weder nur die inhaltlichen Sitten und Gebräuche, Werte und Anerkennungskämpfe bestimmter sozialer Gruppen (Multikulturalismus) und auch nicht nur die formalen Rechtsprinzipien und Normen, Interessen und Verteilungskämpfe einer Gesellschaft (Transkulturalismus) - sondern verweist darüber hinaus auf die qualitative Art und Weise, mit der Menschen in sozialen Gruppen ihre Beziehungen zur Umwelt pflegen.“ (Demorgon, Kordes 2006, S.34)
Mit der interkulturellen Frühpädagogik wird ein pädagogisches Konzept beschrieben, welches sowohl die soziale Integration ausländischer Kinder im Vorschulalter beinhaltetet als auch das gemeinsame Leben und Lernen für interkulturelle Erfahrungen und Bildungsprozesse nutzt. Interkulturalität nimmt das Vorhandensein von Verschiedenheit zum Anlass für interkulturelles, pädagogisches Handeln. (vgl. Gogolin, Krüger-Potratz 2010, S. 110-111)
Interkulturelle Frühpädagogik basiert auf dem Prinzip der Anerkennung, besonders von religiöser und sprachlicher Vielfalt sowie dem Prinzip der Chancengleichheit. (vgl. Auernheimer 2012, S.19-20). „Vorrangig sind das Eintreten für gleiche Rechte und Sozialchancen ungeachtet der Herkunft und die Haltung der Akzeptanz, des Respekts für Andersheit.“ (Auernheimer 2012, S.20) Das Bewusstsein für die Existenz von Ungleichheiten schafft die Voraussetzung für das Engagement gegen Diskriminierung. Interkulturelle Pädagogik impliziert Inhalte und methodische Zugänge für das konkrete pädagogische Handeln und muss antirassistisch realisiert werden. (vgl. Auernheimer 2012, S.21) „Die Auseinandersetzung mit solcher Verschiedenheit soll in die Lage versetzen, das Andere ebenso wie sich selbst kennenzulernen und zu verstehen.“ (Gogolin 2007, S.350) Interkulturelle Pädagogik will Bildungsformen entwickeln, die sowohl Mehrheiten, als auch Minderheiten zum gegenseitigen Zuhören erzieht, so dass sich niemand für Fügen oder Gehen entscheiden muss. (vgl. Camilleri 2006, S.54)
2.3. Autonomie und Verbundenheit
Der Begriff Autonomie umschreibt die Fähigkeit Kontrolle über das eigene Leben, eigene Entscheidungen und Handlungen zu erhalten. Verbundenheit definiert die psychologische und/ oder ökonomische Verwobenheit zwischen Personen. Das Bedürfnis nach Autonomie und Verbundenheit erfahren Menschen in unterschiedlichen Gewichtungen und Ausmaßen. Borke und Keller stellen die psychologische Autonomie auf der einen und die hierarchische Verbundenheit auf der anderen Seite, als prototypische kulturelle Modelle dar. Die psychologische Autonomie schreiben die Autoren der westlichen Welt zu. Charakteristisch für dieses Modell seien das Freiheitsideal, der Drang zur Unabhängigkeit, sowie das Bedürfnis nach Individualität und Abgrenzung. Soziale Beziehungen seien durch Vorlieben, Wünsche und Neigungen gestaltet. (vgl. Borke/Keller 2014, S.17-19) Die Autorinnen Zenk und Gündogdu schreiben der westlichen Welt ebenfalls die vorherrschende Kulturdimension des Individualismus zu und betonen in dieser Dimension den Sinn der Selbstverwirklichung. (vgl. Zenk/Gündogdu 2011, S.18)
Das Modell der hierarchischen Verbundenheit ist durch ein verschwimmen der Ich-Grenze sowie einer hierarchischen Differenzierung gekennzeichnet und findet sich insbesondere in nicht westlichen, ländlichen, wenig industrialisierten Regionen. Im Kontext der hierarchischen Verbundenheit bildet die Handlungsautonomie ein zentrales Sozialisationsziel. Die Kinder sollen früh eigenverantwortlich handlungsfähig werden und der Gesellschaft von Nutzen sein. Zwischenmenschliche Beziehungen basieren häufig auf Verpflichtungen, das Bedürfnis nach individueller Ausgestaltung von sozialen Beziehungen ist gering. (vgl. Borke/Keller 2014, S.17- 19) Zenk und Gündogdu sprechen der östlichen Welt den kulturellen Kollektivismus zu und unterstreichen die gesellschaftliche Bedeutung von Konsens und Loyalität. (vgl. Zenk/Gün- dogdu 2011, S. 18)
Borke und Keller betonen, neben der Existenz der beiden kulturellen Prototypen, die Varianz der Ausgestaltung der prototypischen Kategorien sowie das Vorhandensein von Mischformen. Aufgrund der verschiedenen kulturellen Orientierungen hinsichtlich Autonomie und Verbundenheit, können unterschiedliche Vorstellungen, Wünsche, Vorlieben und Abneigungen bezüglich kindlicher Entwicklungs- und Bildungsziele sowie Betreuungsformen in der pädagogischen Praxis aufeinandertreffen. Daher beschäftigen sich die folgenden Ausführungen mit der konkreten kultursensitiven Arbeit in frühkindlichen Institutionen und zeigt auf wie kultursensitive Frühpädagogik verwirklicht werden kann.
3. Grundlagen kultursensitiven frühpädagogischen Handelns und interkultureller Kompetenz
Voraussetzung für grundlegend kultursensitives Handeln in frühkindlichen Bildungseinrichtungen bildet die in den folgenden Abschnitten näher beschriebene pädagogische Trias, bestehend aus Kenntnis, Haltung und Leben mit Diversität. Diese Grundlagen bilden gleichzeitig die Kernkompetenzen für interkulturelle Fachlichkeit.
Der pädagogisch befähigte Umgang mit kultureller Heterogenität kann unter dem Begriff Interkulturelle Kompetenz zusammengefasst werden. Interkulturelle Kompetenz setzt die Bereitschaft voraus, die Realität mit den Augen des Fremden zu betrachten. Voraussetzung für interkulturelle Kompetenz ist der Wille zur Verständigung und zur Anerkennung des Anderen als gleichberechtigten Partner. Aufgrund eines geklärten Bewusstseins über die eigene Kultur soll fremden Kulturen und Lebensformen offen und dialoghaft begegnet werden. (vgl. Wiater2012, S.27-28) „Die Standortgebundenheit des eigenen Denkens muss dabei jedem Kommunikationspartner bewusst werden, sie muss von ihm reflektiert werden, ohne dass er sie aufgeben oder durch eine andere ersetzen sollte.“ (Wiater 2012, S.28)
3.1. Kenntnis
Um kultureller Vielfalt in der Frühpädagogik kultursensitiv begegnen zu können ist es erforderlich Informationen, Wissen und Kenntnis über die kulturellen Hintergründe, insbesondere die Formen und Verläufe von Entwicklungsprozessen sowie über kulturell bedingte elterliche und pädagogische Verhaltensweisen zu erlangen. Welche kommunikativen Regeln, kulturspezifische Gesten, sprachlichen und religiösen Hintergründe müssen kultursensibel berücksichtigt werden? Das Wissen um solche kulturellen Besonderheiten kann ein Ausdruck der Wertschätzung sein. Für die interkulturelle, insbesondere sprachliche Verständigung kann eine kulturelle Vielfalt im pädagogische Team hilfreich sein. (vgl. Borke/Keller 2014, S.99-101) Des Weiteren sollten die pädagogischen Fachkräfte über Kenntnisse bezüglich Methoden interkulturellen Lernens und antirassistischer Arbeit sowie überden rechtlichen, politischen und sozialen Status der Migranten verfügen. (vgl. Zenk/Güngogdu 201, S.18)
3.2. Haltung
Zur Basis kultursensitiven Handelns zählt die grundsätzliche Anerkennung und soziale Wertschätzung von unterschiedlichen Kulturen und ihren Besonderheiten, sowie die Achtung der allgemeinen Menschenwürde. (vgl. Auernheimer 2012, S.21) „Leitend für die Interkulturelle Pädagogik sind die Anerkennung von Anderssein und das Bewusstsein von Ungleichheit, m. a. W. die Wachsamkeit gegenüber Diskriminierungen.“ (Auernheimer, 2012 S. 59) Gesetzlich ist dieser Aspekt seit 2006 durch das Gleichbehandlungsgesetz im AGG §1 verankert.
Eine kultursensitive Haltung zeichnet sich daher zunächst durch die Aufmerksamkeit und Offenheit für mögliche Kulturdifferenzen und der Wahrnehmung der eigenen Kulturgebundenheit aus. (vgl. Auernheimer 2012, S.118) Wertungsfreie Offenheit und Aufmerksamkeit dienen dazu, Familien in ihren Vorstellungen, Einstellungen und Verhaltensweisen zu verstehen und zu schätzen. In der kulturellen Verschiedenheit können Ressourcen entdeckt und gefördert werden. Bedingt durch eine empathische Herangehensweise und eine verständnisvolle Haltung der Fachkräfte können Kompromisse und Lösungen in Problemsituationen entwickelt werden. Eine kultursensitive Haltung ist unabdingbar, um Diskriminierung im alltäglichen pädagogischen Umgang zu vermeiden. (vgl. Borke/Keller 2014, S.100-103) „Für die Pädagogik gibt es weder .Ausländer' noch .Inländer': für sie gibt es nur Menschen.“ (Borelli 1986, S.24)
3.3. Leben mit Diversität
Im alltäglichen, multikulturellen Miteinander benötigen die frühpädagogischen Fachkräfte ein breites und kompetentes Handlungs- und Verhaltensrepertoire, um sensibel und situationsangemessen auf die jeweiligen kulturellen Kontexte eingehen und reagieren zu können. (vgl. Borke/Keller 2014, S.105) Voraussetzungen für kompetentes Handeln ist die Fähigkeit Beziehungen zu anders kulturell sozialisierten Menschen aufzubauen, sich geschickt und anpassungsfähig mit Fremden und Fremdem zu verhalten sowie Räume für ein friedliches, tolerantes und demokratisches Miteinanderzu gestalten. (vgl. Zenk/Gündogdu 2011, S.19)
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- Citation du texte
- Michaela Hausmann (Auteur), 2016, Kultursensible Frühpädagogik. Respekt und Achtung vor kultureller Diversität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/349113
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