Das Referendariat als kritische Übergangsphase

Die Entwicklung des Belastungsempfindens im Laufe des Vorbereitungsdienstes


Bachelor Thesis, 2016

96 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis ... III

Zusammenfassung ... 4

1 Einleitung ... 6

2 Theoretische Grundlagen ... 10
2.1 Das Referendariat ... 10
2.2 Probleme der Lehrerausbildung ... 14
2.3 Die Lehrerausbildung in der Schweiz ... 17
2.4 Das Belastungsempfinden ... 18
2.5 Belastung von Referendaren ... 22
2.6 Zur Bedeutung von Persönlichkeitsmerkmalen ... 30
2.7 Die Kompetenzentwicklung angehender Lehrkräfte ... 32
2.8 Fragestellungen und Hypothesen ... 35

3 Methode ... 38
3.1 Ein- und Ausschlusskriterien für Literatur ... 38
3.2 Literaturrecherche und -selektion ... 39
3.3 Beschreibung der selektierten Studien ... 40

4 Ergebnisse ... 46
4.1 Hypothese 2 ... 46
4.2 Hypothese 3 ... 53
4.3 Hypothese 4 ... 55
4.4 Hypothese 1 ... 57

5 Diskussion ... 64
5.1 Hypothese 2 ... 64
5.2 Hypothese 3 ... 69
5.3 Hypothese 4 ... 71
5.4 Hypothese 1 ... 72
5.5 Grenzen dieser Arbeit und Vorschläge für zukünftige Forschung ... 76

5.6 Theoretische und praktische Implikationen ... 78

6 Literaturverzeichnis ... 81

7 Anhang ... 88
7.1 Anhang A ... 88

Tabellenverzeichnis

[Dies ist eine Leseprobe. Tabellen, Grafiken und andere Verzeichnisse werden nicht dargestellt.]

Zusammenfassung

An der universitären Phase der Lehrerausbildung in Deutschland wird vor allem der fehlende Praxisbezug kritisiert (Steltmann, 1979, S. 66), der die Referendare beim Übergang in die Praxis ins kalte Wasser stößt. In der Schweiz ist der Praxisanteil im Studium höher angelegt, dafür bleibt jedoch die Phase des Referendariats aus, sodass angehende Lehrkräfte direkt nach dem Studium in den Beruf einsteigen. Im Rahmen dieses systematischen Reviews wurde das Belastungsempfinden im Referendariat in den Blick genommen und ein Vergleich zu schweizerischen Berufseinsteigern gezogen. Dafür ist die Transaktionale Stresstheorie nach Lazarus von Bedeutung, nach der Belastung individuell wahrgenommen wird (Kosinár & Leineweber, 2010, S. 17). Im Vordergrund stand die Entwicklung dieses Belastungsempfindens innerhalb des Referendariats, der in bisherigen Studien wenig Beachtung geschenkt wurde. Weiter wurde untersucht, welche Belastungsfaktoren im Referendariat als besonders belastend wahrgenommen werden, welche Effekte von Persönlichkeitsmerkmalen auf das Belastungsempfinden von Referendaren zu beobachten sind und ob sich Referendare stärker belastet fühlen als erfahrene Lehrkräfte. Zur Beantwortung dieser vier Fragestellungen wurden insgesamt acht verschiedene Studien herangezogen, die sich jeweils mit mindestens einer von diesen auseinandersetzten. Die Studie von Keller-Schneider (2008) untersuchte die Fragestellungen dabei für schweizerische Berufseinsteiger und wurde jeweils den anderen Studien gegenübergestellt. Dabei wurde festgestellt, dass das Belastungsempfinden zu Anfang des Referendariats in den meisten Belastungsbereichen hohe Werte erzielte und außer für den prüfungsbezogenen Bereich gegen Ende wieder absank. Prüfungen, insbesondere Unterrichtsbesuche, wurden zunehmend stärker belastend empfunden, je mehr es auf die Prüfungsphase zuging. Die schweizerischen Berufseinsteiger hatten dagegen keine Prüfungen zu bewältigen, weshalb bei ihnen ein allgemeines Absinken des Belastungsempfindens beobachtet werden konnte. Als am stärksten belastend wurden Faktoren wie Unterrichtsbesuche, der Arbeitsaufwand für Seminare sowie anstehende Prüfungen empfunden, die speziell mit dem Referendariat einhergehen. Die schweizerischen Berufseinsteiger fühlten sich vor allem durch Faktoren wie das Aufbauen und Lenken der Klassenkultur und die Elternkontakte belastet, bei denen eine situative Anpassung der Handlung erforderlich war. Des Weiteren konnte beobachtet werden, dass sich Referendare mit höheren Werten in Neurotizismus und Offenheit sowie geringeren Werten in Extraversion und Gewissenhaftigkeit stärker belastet fühlten als andere Referendare, während bei den Berufseinsteigern lediglich geringerer Neurotizismus und höhere Extraversion einen belastungsmildernden Effekt zeigten. Für die Verträglichkeit ergaben sich für beide Personengruppen teilweise keine statistisch signifikanten Effekte. Im Vergleich mit erfahrenen Lehrkräften wurde sowohl für Referendare als auch Berufseinsteiger ein ähnlich hohes Belastungsempfinden festgestellt, obgleich Referendare unter anderem in Bezug auf berufsbezogene Anforderungen höhere Belastungswerte erzielten.

1 Einleitung

Es wird von der Öffentlichkeit zumeist angezweifelt, dass der Lehrberuf einen der anstrengendsten Berufe darstellt. Schüler[1] haben oft den Eindruck, dass der Lehrer lediglich vor der Klasse steht, Fragen stellt und darüber hinaus nichts Großartiges zu leisten hat. Zu diesem Eindruck tragen meist auch noch die Eltern der Schüler bei, die den Lehrkräften belastende Aufgaben absprechen sowie die kurze Arbeitszeit und die langen Ferien betonen. Tatsächlich sind es jedoch vor allem die Berufe aus dem Gesundheits- und Sozialwesen sowie aus den Bereichen Erziehung und Unterricht, die von einem Burnout betroffen sind (Meyer, Stallauke & Weirauch, 2011, S. 267). Lediglich 4% aller Pflichtschullehrer erreichen die normale Dienstaltersgrenze (Sieland, 2001, S. 36), wobei zahlreiche Frühpensionierungen aufgrund von Dienstunfähigkeit einhergehen. Deren Anteil lag 2001 im Lehrberuf mit 54% bundesweit sogar deutlich höher als in anderen verbeamteten Berufsgruppen (Lehr, 2004; zitiert nach Schmitz & Voreck, 2011, S. 241).

Diese drastischen Werte geben zu denken, wenn man sich vor Augen führt, dass diese starke Belastung nicht erst mit dem Berufseinstieg einhergeht. Wenn schon für erfahrene Lehrkräfte solche Ausmaße psychischer Belastung festgestellt werden, wie hoch müssen sie dann für Referendare sein, die neben den gewöhnlichen Anforderungen des Lehrberufs auch noch Prüfungen, Unterrichtsbesuche und den sogenannten Praxisschock zu bewältigen haben? Die folgenden Artikelausschnitte geben eine vorläufige Antwort auf diese Frage.

Müller erzählt von seinem Referendariat wie andere von einer Lebenskrise. „Ich bin ein belastbarer Mensch, aber das hat mich wirklich an die Grenze gebracht“, sagt er. Das größte Problem bei der Umstellung des Referendariats sei die Verkürzung, über die er sich am Anfang so gefreut hatte. „Es herrscht ein wahnsinniger Organisations- und Zeitdruck. Das ist furchtbar. Ich kenne keinen Kollegen, der darüber nicht gestöhnt hätte.“ […] Das Referendariat wurde verkürzt, die Zahl der Lehrproben blieb aber die gleiche. Lehrproben, so war das auch früher schon, werden von Referendaren als eine Art Schauspiel erlebt, das mit normalem Unterricht nichts zu tun hat. „Die Vorbereitung darauf ist unglaublich intensiv. 30 Zeitstunden muss man einplanen, es ist absurd“, erzählt der ehemalige Referendar Müller. (Beer, 2014)

Man betritt ein völlig neues soziales Umfeld und muss zugleich die Schüler kompetent unterrichten sowie erziehen und sich zusätzlich mit den Lehrerkollegen gut stellen. Hinzu kommt ein großer Leistungsdruck: Niemand verlangt von einem Lehrer einen perfekten Unterricht, aber ein Referendar wird hieran gemessen. Er darf keinen Schüler vernachlässigen, soll den Unterricht spannend aber auch didaktisch wertvoll gestalten und zugleich ein guter und kompetenter Kollege werden. Hinzu kommen Nachmittagstermine, wie Klassenkonferenzen und Besprechungen bzgl. der eigenen Ausbildung. Hierbei sind die Kandidaten unter ständiger Begutachtung und Bewertung. (Voltz, 2012)

Herauszuhören ist immer wieder der enorme Leistungsdruck, unter dem die Referendare stehen. Sie müssen unrealistische und zeitaufwändige Unterrichtsstunden planen, anhand derer ihre Eignung zum Lehrberuf beurteilt wird, und dabei unzählige weitere Anforderungen bewältigen. Dass das Referendariat von Betroffenen als „persönliche Krise“ (Schedensack, 1995) oder sogar als die schlimmste Phase ihres Lebens (Gerstenberg, 2010) bezeichnet wird, erscheint unter diesen Umständen nachvollziehbar. Dies schlägt sich auch in der hohen Abbruchquote von 20% (Sieland, 2004; zitiert nach Drüge et al., 2014, S. 370) und dem Vergleich mit anderen Akademikergruppen nieder, in dem sich die Lehramtsanwärter hinsichtlich der Anfangsschwierigkeiten im Beruf an der Spitze befinden (Beiner & Müller, 1982, S. 13).

Dennoch lassen sich bislang nur wenige Studien ausfindig machen, die sich mit dem Belastungsempfinden im Referendariat auseinandersetzen. Noch dazu zielen diese meist darauf ab, aufzuzeigen, dass Prävention und Beratung schon früh in der beruflichen Laufbahn von Lehrkräften notwendig sind, jedoch nicht, wo genau diese anzusetzen sind. Aber welche Bereiche bzw. Faktoren belasten Referendare besonders? Wie entwickelt sich das Belastungsempfinden im Laufe des Referendariats? Sind einige Personen besser geeignet als andere, um dem Druck im Referendariat standzuhalten? Fühlen sich Referendare vielleicht sogar stärker belastet als erfahrene Lehrkräfte?

Das vorliegende systematische Review soll Antworten auf diese Fragen finden und Anstöße für die zukünftige Forschung geben, indem die erwähnten Studien, die sich mit dem Referendariat als belastende Phase der Lehrerausbildung beschäftigen, unter diesen Fragestellungen neu betrachtet werden. Die Entwicklung des Belastungsempfindens steht dabei im Mittelpunkt, da sich vor allem mit dieser Thematik bisher nur sehr wenig beschäftigt wurde. Wie diese Arbeit jedoch noch zeigen wird, ist sie nicht unerheblich für die Entwicklung von Präventions- und Beratungsangeboten.

Im Folgenden werden zunächst theoretische Grundlagen thematisiert, um wichtiges Hintergrundwissen zur Betrachtung der Forschungsfragen bereitzustellen. Dafür wird anfangs ein grober Überblick über das Referendariat als zweite Phase der Lehrerausbildung vermittelt, auf das erst allgemein und dann spezifisch für das Bundesland Rheinland-Pfalz[2] eingegangen wird. Anschließend sollen Probleme der Lehrerausbildung dargelegt werden, die erste Anhaltspunkte für die Formulierung der Hypothesen und auch die spätere Interpretation der Ergebnisse liefern. Eingegangen wird dabei auf die Kritik, die die einzelnen Phasen der Lehrerausbildung erfahren, und den sogenannten Praxisschock, der viele Referendare beim Übergang in die Praxis erwartet.

Da an späterer Stelle ein Vergleich zwischen deutschen Referendaren und schweizerischen Berufseinsteigern vorgenommen werden soll, um eventuelle Unterschiede hinsichtlich des Belastungsempfindens dieser Personengruppen festzustellen, wird in einem Kapitel die Lehrerausbildung in der Schweiz skizziert. Diese weist einige Unterschiede zu der Ausbildung in Deutschland auf, weshalb dementsprechend unterschiedliche Ergebnisse im Hinblick auf die Forschungsfragen und Hypothesen erwartet werden können.

Bevor sich überhaupt mit dem Begriff Belastungsempfinden auseinandergesetzt werden kann, müssen dieser und weitere Begriffe wie Belastung, Beanspruchung und Stress erläutert werden, da diese Definitionen nicht so selbstverständlich sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. In diesem Zusammenhang soll auch die Transaktionale Stresstheorie nach Lazarus Erwähnung finden, in der deutlich wird, dass gerade die subjektive Bewertung einer Situation für die Stress- bzw. Belastungswahrnehmung entscheidend ist.

In einem weiteren Kapitel werden potentielle Belastungsfaktoren angeführt, die allgemein mit dem Lehrberuf als auch spezifisch mit dem Referendariat einhergehen, um einen Überblick über die Fülle an Anforderungen zu schaffen, die Referendare zu bewältigen haben. Daran anschließend werden die Folgen von Belastung thematisiert, insbesondere das Burnout-Syndrom. Sie zeigen auf, dass Hilfe früh angesetzt werden sollte.

Um zu überprüfen, ob einige Personen besser geeignet sind als andere, um dem Druck im Referendariat standzuhalten, wird der Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen auf das Belastungsempfinden in den Blick genommen. Dafür werden im theoretischen Teil die fünf stabilen Persönlichkeitsmerkmale, die in den Studien untersucht werden, näher erläutert, ehe auf Untersuchungen eingegangen wird, die sich mit dem Einfluss dieser Merkmale auf das Belastungsempfinden von Lehrkräften beschäftigen. Die jeweiligen Ergebnisse bilden die Grundlage für die Formulierung der Hypothese im Hinblick auf die Referendare.

Im letzten theoretischen Kapitel steht die für die Entwicklung des Belastungsempfindens entscheidende Kompetenzentwicklung innerhalb des Berufseinstiegs im Mittelpunkt, ehe aus dem Theorieteil Hypothesen hergeleitet werden.

Die nachfolgenden Kapitel beschäftigen sich mit der Überprüfung dieser Hypothesen, indem verschiedene Studien dafür herangezogen werden. In einem ersten Schritt werden die Ein- und Ausschlusskriterien für die Studien dargelegt, ehe ein kurzer Überblick darüber gegeben wird, wie bei der Literaturrecherche und -auswahl vorgegangen wurde. Ein weiteres Kapitel widmet sich der Beschreibung der ausgewählten Studien. Daran anschließend werden die Ergebnisse der verschiedenen Studien in Bezug auf die Hypothesen ausgewertet und interpretiert. Hierbei wird jeweils zusätzlich ein Vergleich mit einer Studie aus der Schweiz vorgenommen.

Bevor aufgrund der Ergebnisse und deren Interpretation abschließend Ideen für die zukünftige Forschung sowie theoretische und praktische Implikationen abgeleitet werden, beschäftigt sich ein Kapitel mit den Grenzen dieser Arbeit.

2 Theoretische Grundlagen

Dieser Abschnitt der Arbeit schafft einen Überblick über wichtige theoretische Grundlagen, die im Zusammenhang mit dem Thema stehen. Gleichzeitig bildet er die Grundlage für die spätere Formulierung der Hypothesen, denen sich diese Arbeit widmet.

2.1 Das Referendariat

Die Lehrerausbildung in Deutschland setzt sich aus zwei Phasen zusammen: die universitäre Ausbildung, die die wissenschaftliche Grundlage in zwei Fächern und Erziehungswissenschaf­ten legen soll, und das daran anschließende Referendariat im Kontext des späteren Berufsfeldes (Terhart, 2000, S. 23). Dabei erfährt vor allem die erste Phase der Lehrerausbildung von vielerlei Seiten Kritik, die hauptsächlich den fehlenden Praxisbezug betrifft. Nicht selten fühlen sich angehende Lehrer aufgrund dessen im Referendariat ins kalte Wasser gestoßen, wenn sie dort mit eben die­ser Praxis konfrontiert werden.

Da exakt diese Phase der Lehrerausbildung in der vorliegen­den Arbeit in den Blick genommen werden soll, wird im Folgenden zunächst ein grober Über­blick über das Referendariat im Allgemeinen vorgenommen, ehe durch Konzentration auf das Bundesland Rheinland-Pfalz ein tieferer Einblick gewährt werden soll.

2.1.1 Allgemeine Bemerkungen

Das Referendariat, auch pädagogischer Vorbereitungsdienst genannt, stellt die zweite Ausbil­dungsphase des Lehrerberufs dar und unterscheidet sich in den verschiedenen Bundeslän­dern formal nur geringfügig, obgleich auch eine allgemeine Beschreibung dieser Phase unter Umständen nicht jedem Bundesland gerecht werden kann. In der Dauer des Vorbereitungs­dienstes lassen sich beispielsweise nur geringe Unterschiede finden, da beinahe alle Bundes­länder 18 Monate dafür vorsehen. Ausnahmen stellen dabei Sachsen-Anhalt mit 16 Monaten, Hessen mit 21 Monaten und Bayern mit 24 Monaten dar. Thüringen unterscheidet noch einmal hinsichtlich der verschiedenen Lehrämter: Für das Lehramt an Grundschulen sind 18 Monate und für die anderen Lehrämter 24 Monate zu absolvieren, dabei ist bei letzteren jedoch eine Verkürzung möglich (GEW Berlin, 2015). Die Ausbildung findet in allen Bundesländern sowohl an Studiensemi­naren als auch an den entsprechenden Ausbildungsschulen statt. Dabei setzt sie sich in allen Bun­desländern aus Einführungsveranstaltungen, Hospitationen, begleitetem Unterricht, selbst­ständigem Unterricht (KMK, 2012, S. 3), der je nach Bundesland quantitativ unterschiedlich angesetzt ist (Lenhard, 2004, S. 277), und einer Ausbildung in seminaristischen Veranstaltungsformen zu­sammen (KMK, 2012, S. 3). Zusätzlich sollen die Referendare, im Folgenden auch Lehramtsanwärter oder Anwärter genannt, an schulischen Konferenzen, Sprechta­gen und anderen Veranstaltungen teilnehmen, um aktiv an der Gestaltung des Schullebens mitzuwirken und einen tieferen Einblick in ihr späteres Berufsleben zu erhalten (Lenhard, 2004, S. 277).

In den Seminaren steht die Reflexion der praktischen Erfahrungen in den Ausbildungsschulen im Vordergrund, denen dort auf theoretischer Ebene, unter anderem auch durch die Diskus­sion von Handlungsalternativen in Konflikt- und Problemsituationen in Schule und Unterricht, begegnet werden soll (Lenhard, 2004, S. 279f.). Darüber hinaus werden in den Semina­ren auch didaktische und fachdidaktische Inhalte sowie die Differenz zwischen Theorie und Praxis thematisiert. Dabei sollen sowohl allgemeine als auch spezielle Fragen in den Berei­chen von Unterricht und Erziehung geklärt werden, beispielsweise die Didaktik und Methodik der Unterrichtsfächer, rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen und die Variation von Unterrichtsmethoden (Terhart, 2000, S. 116f.).

In den Ausbildungsschulen sind die Referendare Teil eines Kollegiums, in dem sie Anleitung und Unterstützung durch ihre Ausbildungslehrer erhalten. Es un­terscheidet sich meist nach Schultyp, ob ihnen dabei feste Mentoren zur Seite gestellt werden. Dies ist beispielsweise oft an Hauptschulen der Fall. Am Gymnasium dagegen ist häufig die Lehrkraft Aus­bildungslehrer, die ihren Unterricht für Lehramtswärter öffnet und ihnen entsprechende Unter­stützung und Beratung bietet. Da die Studienseminare in der Regel mit den jeweiligen Ausbil­dungsschulen zusammenarbeiten, sind den Ausbildern an den Studienseminaren die Ausbil­dungslehrer sowie die Situationen an den Schulen meist bekannt, sodass sie auch im Hinblick darauf Unterstützung bieten können (Lenhard, 2004, S. 278ff.).

Am Ende des Referendariats steht die Zweite Staatsprüfung, womit schließlich die volle Lehr­befähigung erworben wird. Je nach Bundesland setzt sie sich unterschiedlich aus einer schriftli­chen Hausarbeit, Lehrproben, einem Kolloquium oder einer mündlichen Prüfung zusammen­. So besteht die Prüfung in Hessen aus einem praktischen und einem mündlichen Prüfungsteil (HLA, 2016b), während in manchen anderen Bundesländern wie Thüringen zusätzlich eine schriftliche Prüfung meist in Form einer Haus­arbeit abgelegt werden muss (TMBJS, 2015, S. 8).

Der Vorbereitungsdienst wird in verschiedenen Bundesländern in unterschiedlich viele Abschnitte eingeteilt. Hier wird nun kurz auf die Einteilung im Bundesland Hessen eingegangen, da diese in einer später vorgestellten Studie von Bedeutung ist. Im Jahr 2001, zum Zeitpunkt der Studie, waren dort 24 Monate Referendariat vorgesehen. Dieses setzte sich aus der dreimonatigen Einführungsphase, der sechsmonatigen Differenzierungsphase, der zwölfmonatigen Intensivphase und der dreimonatigen Vorbereitungsphase auf die Zweite Staatsprüfung zusammen. Die Intensivphase wurde dabei zusätzlich in Intensivphase I und Intensivphase II unterteilt, die jeweils sechs Monate andauerten. In allen Phasen waren Seminarveranstaltungen zu besuchen sowie Hospitationen und angeleiteter Un­terricht zu absolvieren. Ab der Differenzierungsphase kam der eigenverantwortliche Unter­richt hinzu, dessen Anteil in der Intensivphase noch einmal erhöht wurde. In der Vorbereitungsphase wurde der unterrichtspraktische Teil wieder reduziert, damit sich die Referendare auf die Zweite Staatsprüfung vorbereiten konnten. Es wurden meist nur noch Hospitationen und angeleiteter Unterricht absolviert, jedoch konnte auf Wunsch auch weiterhin eigenverantwortlicher Unterricht gehalten werden (Christ, 2004, S. 58f.). Da die Dauer des Referendariats in Hessen mittlerweile auf 21 Monate gekürzt wurde, wurde auch die Einteilung angepasst. Statt der Differenzierungs- und Intensivphase ist nun die Rede von dem ersten und zweiten Hauptsemester, die beide sechs Monate in Anspruch nehmen. Daran anknüpfend folgt das sechsmonatige Prüfungssemester, in dem die Zweite Staats­prüfung absolviert wird (HLA, 2016a).

Da die Stichproben aus den später vorgestellten Studien aus unterschiedlichen Bundesländern stammen, soll nachfolgend das Bundesland Rheinland-Pfalz stellvertretend für alle Bundesländer in den Blick genommen werden, um mehr ins Detail gehen zu können. Es muss jedoch betont werden, dass der Aufbau und die Inhalte des Refe­rendariats in Rheinland-Pfalz nicht zwingend auf die anderen Bundesländer übertragen wer­den können.

2.1.2 Das Referendariat in Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz besteht der Ausbildungsunterricht aus 12 Wochenstunden, wobei der Anteil des eigenverantwortlichen Unterrichts sich nach Art des Lehramts unterscheidet. Während für das Lehramt an Grundschulen im ersten Halbjahr 4 bis 7 Wochenstunden und im zweiten und dritten Halbjahr 6 bis 9 Wochenstunden vorgesehen sind, beträgt der Anteil für das Lehramt an Realschulen plus, Gymnasien und Förderschulen im ersten Halbjahr 4 bis 8 Wochenstun­den und im zweiten und dritten Halbjahr 6 bis 10 Wochenstunden. Das Lehramt an berufsbil­denden Schulen sieht ab dem vierten Monat 10 Wochenstunden vor (Juris, 2012).

In jedem der Ausbildungsfächer führen die Fachleiter mindestens drei Unterrichtsbesuche durch, wobei mindestens einer davon unter Anwesenheit des Seminarleiters stattfindet. Han­delt es sich um keinen eigenverantwortlichen Unterricht, nimmt auch der jeweilige Fach­lehrer teil. Für jeden Unterrichtsbesuch hat der Anwärter einen schriftlichen Entwurf vorzulegen. Im Anschluss erhält er eine kompetenz- und kriterienorientierte Rückmeldung (Juris, 2012).

Beratungsgespräche finden halbjährlich statt und sollen den Referendar über den aktuellen Ausbildungsstand in Kenntnis setzen. Am Ende der Ausbildungszeit erhält der Anwärter eine Beurteilung über die Eignung für das jeweilige Lehramt sowie über den Erwerb von Kompetenzen in den beruflichen Aufgabenfeldern und das dienstliche Verhalten. Diese Beurteilung wird von dem Fachleiter, dem Seminarleiter und dem Leiter der Ausbildungsschule getroffen und enthält einen Noten­vorschlag, auf dessen Grundlage der Seminarleiter schließlich die Note für die Ausbil­dung, die sogenannte Vornote, festsetzt. Im Anschluss daran legt der An­wärter die Zweite Staatsprüfung vor einem Prüfungsausschuss ab, der sich aus einem Vertre­ter des Landesprüfungsamtes oder der Schulbehörde als vorsitzendes Mitglied, den Seminar­leiter und den jeweils zuständigen Fachleiter zusammensetzt (Juris, 2012). In Rhein­land-Pfalz unterteilt sich die Zweite Staatsprüfung in eine praktische und eine mündlichen Prü­fung. Die praktische Prüfung besteht aus je einem Prüfungsunterricht in beiden Ausbildungs­fächern zusammen, der in der Regel in Klassen stattfindet, die dem An­wärter bekannt sind. Das Thema wird dabei am fünften Werktag vor dem Prüfungsunterricht mitgeteilt. Am Vormittag des letzten Werktages vor dem Prüfungsunterricht hat der Anwärter den schriftlichen Entwurf einzureichen. Die Note wird noch am Prüfungs­tag bekannt gegeben. Die mündliche Prüfung umfasst drei Teilprüfungen von je 30 Minuten. Der Referendar präsentiert ein eige­nes fachbezogenes Unterrichtsvorhaben auf der Basis einer eigenen unterrichtspraktischen Erprobung und wird anschließend in der Didaktik und Methodik der Prüfungsfächer bzw. in Erziehung und Unterricht der Förderschwerpunkte geprüft. Die dritte Teilprüfung thematisiert die praktische Umsetzung bildungswissenschaftlicher Aspekte sowie das Schul- und Beamtenrecht (Juris, 2012).

Die Gesamtnote errechnet sich als Durch­schnitt aus der Punktzahl der Vornote, die vierfach gewichtet wird, den Punktzahlen der Noten für den Prüfungsunterricht in den beiden Ausbildungsfächern, die 1,5-fach gewichtet werden, und den Punktzahlen der Noten für die mündlichen Teilprüfungen (Juris, 2012).

2.2 Probleme der Lehrerausbildung

Sowohl die Probleme der vorgestellten als auch die der vorangehenden Phase der Lehrerausbildung sollen in diesem Kapitel beleuchtet werden. Dabei wird zunächst auf ihre jeweiligen Schwä­chen eingegangen, ehe der Praxisschock in diesem Zusammenhang Er­wähnung findet

2.2.1 Kritik an der Lehrerausbildung

In Befragungen über die Qualität der Lehreraus­bildung findet sich immer wieder die gleiche negative Tendenz. Sowohl Studenten als auch erfahrene Lehrkräfte äußern sich hauptsächlich negativ über die erste Phase der Lehreraus­bildung (Steltmann, 1979, 1986). Während die fachliche Ausbildung an der Universität sehr positiv und zufriedenstellend beurteilt wird, sich auch international zu behaupten weiß und lediglich die geringe Orientierung an den Fachinhalten des Schulunterrichts kritisiert wird (Terhart, 2000, S. 26f.), erfahren die Fachdidaktik und das erziehungswissenschaftliche Be­gleitstudium dagegen deutliche Ablehnung, die sich jedoch vorwiegend gegen die Durchfüh­rung und nicht gegen die Notwendigkeit oder den Umfang richtet (Steltmann, 1979, S. 70). Vielmehr wird von den meisten Befragten sogar ein höherer Anteil an Fachdidaktik gewünscht, da sie dieser einen hohen Stellenwert zuweisen (Steltmann, 1986, S. 355). Bemängelt wird hier jedoch die geringe bis nicht vorhandene Praxisrelevanz der Veranstaltungen und die fehlende Praxiserfahrung der Dozenten. Letztere findet sich auch bei den Dozenten des erziehungswissenschaftlichen Be­gleitstudiums wieder, das noch intensiver angekreidet und von vielen Befragten sogar als nicht nützlich oder sogar sinnlos eingestuft wird. Da vielen Dozenten die eigene Schul­praxis fehlt, werden Zweifel daran geäußert, dass sie die Lehramtsstudenten sinnvoll auf diese vorbereiten können. Darüber hinaus betrifft die vielfach geäußerte Unzufriedenheit auch die Tatsache, dass die vorgestellten Theorien in den Universitätsveranstaltungen nicht in die Praxis umgesetzt werden (Steltmann, 1986, S. 364). Beispielsweise wird größtenteils Frontalunterricht praktiziert, obwohl gerade diese Un­terrichtsform in der Schule nicht in diesem Ausmaß angewandt werden sollte. Darüber hinaus wird der inhaltliche Bezug der Studienelemente untereinander und auch zum späteren Berufs­feld bemängelt, der stellenweise unklar bleibt (Terhart, 2000, S. 84f.). Als Haupt­kritikpunkt findet sich demnach immer wieder der fehlende Praxisbezug, mit dem auch die ausbleibende Möglichkeit für eigene Unterrichtserfahrung gemeint ist (Steltmann, 1979, S. 66).

Da die erste Phase der Lehrerausbildung von allen Seiten intensiv kritisiert wird, erfährt die zweite Phase nur wenig Beachtung, obwohl auch hier Verbesserungsbedarf besteht. Anders als die universitäre Phase gehen hinsichtlich des Referendariats die Meinungen auseinander, da sich sowohl positive als auch negative Bewertungen finden lassen (Schubarth, Speck & Seidel, 2010; Steltmann, 1986). Die Praxisnähe und -reflexion sowie die soziale und fach­liche Betreuung der Lehramtskandidaten seitens der Ausbilder gelten als Stär­ken dieser Phase (Schubarth et al., 2010, S. 345), sodass die Referendarzeit größtenteils auch als gute Vorbereitung auf die Berufspraxis charakterisiert wird. Währenddessen werden der starke Prüfungs­druck (Steltmann, 1986, S. 357), die mangelnde Abstimmung zwischen dem Studienseminar und der Ausbildungsschule sowie Defizite bei der Vermittlung und Aneignung bestimmter Kom­petenzen, beispielsweise die Klassenführung oder Disziplinprobleme betreffend, unter anderem als Schwächen dieser Phase genannt (Schubarth et al., 2010, S. 345). So wird gefordert, dass das Referendariat stärker auf den pädagogischen Alltag ausgerichtet wird und Lehramtsanwärter mit Korrekturen, Elterngesprächen und anderen Aufgaben vertraut gemacht werden (Stelt­mann, 1986, S. 358). Mängel werden auch in der Qualifizierung des Ausbildungspersonals gesehen, da gute Lehrkräfte nicht auch zwingend gute Lehrerausbilder darstellen müssen. Kompetente Bewerber aus dem nicht-schulischen Bereich werden jedoch gar nicht erst dafür in Betracht gezogen (Terhart, 2000, S. 117f.). In diesem Sinne wird auch das Fachleiter-Sys­tem als sehr problematisch angesehen, da die Zensur des Ausgebildeten hauptsächlich vom Fachleiter abhängt, der in der Regel nur wenige Unterrichtsstunden des Referendars miterlebt. Auf diese Weise werden Unterrichtsstunden abgehalten, die ausschließlich für eine gute Be­notung und mit enormen Arbeitsaufwand vorbereitet werden (Oesterreich, 1987; Steltmann, 1986). Als vorteilhafter wird stattdessen die stärkere Gewichtung des Urteils der Mentoren angesehen, von denen der Referendar mehrere im Laufe seiner Ausbildungszeit an die Seite gestellt bekommt und die zudem eine größere Anzahl an Unterrichtsstunden des Lehramtsanwärters miterleben. So kann auch davon ausgegangen werden, dass eine Objektivierung des Urteils sichergestellt wäre. Andere wiederum plädieren sogar für die vollständige Abschaffung einer Beurteilung im Referendariat, um den starken Prüfungsdruck durch die hohe Bedeutung der Zensuren für die spätere Einstellung zu verringern, der der selbstständigen Entfaltung der Referendare entge­genwirkt (Steltmann, 1986, S. 365). Darüber hinaus kann die auf diese Weise verursachte Doppelfunktion der Ausbilder, die für die Lehramtsanwärter zugleich Beurteiler als auch Bera­ter darstellen, auch die Interaktion belasten (Terhart, 2000, S. 28). Deshalb wird eher eine Unter­stützung durch Mentoren und ältere und erfahrene Kollegen ohne Kontrollfunktion gewünscht (Oesterreich, 1987, S. 771). Wie in Kapitel 2.5.2 noch thematisiert wird, stellt der permanente Rollenwechsel der Lehramtsanwärter im Referendariat, vom Lernenden in den Studienseminaren zum Lehrenden in der Ausbildungsschule, eine zusätzliche Belas­tung für diese dar, die in dieser Phase methodisch zu wenig in den Blick genommen wird (Terhart, 2000, S. 123).

Streng genommen kann auch noch von einer dritten Phase der Lehrer­ausbildung ausgegangen werden, die die ersten Berufsjahre betrifft und für den Aufbau beruf­licher Kompetenzen entscheidend ist. In dieser bedeutenden Phase sind die jungen Lehrer jedoch auf sich alleingestellt und erhalten keinerlei Unterstützung (Terhart, 2000, S. 29). Professionalität im Lehrerberuf scheint jedoch ein berufsbiografisches Entwick­lungsproblem zu sein, sodass die Lehramtsanwärter auch hier noch begleitet werden sollten, da alle Anforderungen an zukünftige Lehrkräfte nicht schon in den ersten beiden Phasen voll­ständig vermittelt werden können (Terhart, 2000, S. 15).

Abschließend kann festgehalten wer­den, dass vor allem mit einer stärkeren Ausrichtung der Theorie auf die Berufspraxis eine ef­fektivere Vorbereitung auf die Berufsausübung geleistet und eine Verringerung des Pra­xisschocks bewirkt werden könnte (Steltmann, 1979, S. 73). Auf dieses Phänomen, das mit Übergang in die Praxis für viele Lehramtsanwärter aktuell wird, soll im folgenden Kapitel kurz eingegangen werden.

2.2.2 Der Praxisschock

Die im vorherigen Kapitel angesprochene Kritik an der Lehrerausbildung, die als Hauptkritik­punkt der ersten Ausbildungsphase die Praxisferne hervorbringt, leitet nun zu dem oft verwendeten Begriff des Praxisschocks über. Mit Eintritt in die Praxis, auf die die jungen Lehrer in der ersten Phase der Lehrerausbildung nicht ausreichend vorbereitet werden, stoßen diese auf eine Fülle von Aufgaben und Problemen im Schulalltag, mit denen sie nicht gelernt haben, umzugehen, und durch die sie sich nun permanent überfordert fühlen. Diese andauernde Unsicherheit führt dazu, dass Einstellungs- und Verhaltensmuster angenommen werden, die völlig den eigenen Überzeugungen widersprechen, sodass beispielsweise eine autoritäre Haltung eingenommen oder zunehmend gestraft wird. Diese ungewollte Verhaltensänderung kann schließlich dazu führen, dass das Selbstwertgefühl zunehmend erschüttert wird. An den jungen Lehrern geht es nicht spurlos vorbei, dass sie sich anders verhalten, als es ihnen in ihrer Ausbildung an der Universität vermittelt wurde und als sie es auch selbst für richtig halten (Müller-Fohrbrodt, 1978, S. 21). Darüber hinaus nimmt das berufliche Engagement und das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit immer mehr ab (Müller-Fohrbrodt, 1978, S. 15). Häufig wird aus diesem Grund ein Berufswechsel erwogen und in Einzelfällen auch der Suizid als Ausweg aus dieser Situation gewählt (Beiner & Müller, 1982, S. 13). Der Praxisschock ist also ein ernstzunehmendes und nicht zu unterschätzendes Problem, das verdeutlicht, dass sich schon Referendare stark belastet sehen. Zudem wird damit unterstrichen, dass ihrem Belastungsempfinden mehr Bedeutung beigemessen werden sollte, damit entsprechende Unterstützung geboten werden kann.

Da an späterer Stelle auch eine Studie aus der Schweiz zur Beantwortung der Forschungsfragen einbezogen wird, soll im folgenden Kapitel ein kurzer Überblick über die Lehrerausbildung in der Schweiz gegeben werden, da sich diese von der in Deutschland un­terscheidet. Dabei steht vor allem die Zeit nach der ersten Phase der Lehrerausbildung im Mittelpunkt.

2.3 Die Lehrerausbildung in der Schweiz

Am Ende der Lehrerausbildung steht in der Schweiz kein Zweites Staatsexamen, sondern ein Lehrdiplom, das zum Unterrichten auf einer oder mehreren Schulstufen in der ganzen Schweiz befähigt. Für dieses muss zunächst je nach Schulart ein Bachelor- und eventuell ein Master­studium in den gewählten Fächern an einer Pädagogischen Hochschule bzw. Fachhochschule oder in der Schweiz seltener an einer Universität absolviert werden. Während für die Primarstufe inklusive Vorschulstufe und Kindergarten sowie die Logopädie lediglich ein Bachelorstudium absolviert werden muss, ist für die Sekundarstufe I, die Sonderpädagogik (FHNW, 2016) und die gymnasiale Maturitätsschule auch ein Masterstudium erforderlich (EDK, 2016). Daran anschließend oder pa­rallel zu dem fachwissenschaftlichen Studium kann für die Unterrichtsbefähigung an gymnasi­alen Maturitätsschulen die eigentliche Lehrdiplom-Ausbildung begonnen werden, die ein Jahr in Vollzeit umfasst und ebenfalls an einer Hochschule absolviert wird. In dieser wird eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis sowie Lehre und Forschung hergestellt und eine Unterteilung in Fachdidaktik, Erziehungswissenschaften und Praxisausbildung vorge­nommen. Letztere umfasst dabei mindestens ein Viertel der Ausbildung (EDK, 2016). Dass diese „zweite Phase“ der Lehrerausbildung in der Schweiz deutlich kürzer als in Deutschland aus­gelegt ist, wenn nicht sogar für nahezu alle Schulstufen bis auf die Maturitätsschule gänzlich ausbleibt, kann damit erklärt werden, dass schon im Studium ein hoher Anteil an berufsprakti­scher Ausbildung besteht. Während beispielsweise in Rheinland-Pfalz lediglich zwei Orientierende Praktika und zwei Vertiefende Praktika absolviert werden müssen, sind in der Schweiz für die Sekundarstufe I sechs Praktika vorgesehen (PHZH, 2015b). Für die Primarstufe sind drei Praktika, ein Assistant Teachership von 3 Wochen und ein Lernvikariat von 4 Wo­chen angesetzt (PHZH, 2015a). Die beiden Praktika, die während des Stu­diums für die Unterrichtsbefähigung an der Maturitätsschule absolviert werden müssen, sehen darüber hinaus eine feste Struktur in drei Phasen vor, in denen die Studierenden in Unter­richtsstunden der Praktikumslehrpersonen hospitieren und einen nicht geringen Anteil an Un­terrichtsstunden angeleitet und auch selbstständig planen und durchführen müssen (PHZH, 2014, S. 12).

In den ersten zwei Berufsjahren besteht in der Schweiz darüber hinaus die Möglichkeit, Supervision in Anspruch zu nehmen. Dabei handelt es sich um eine Form der Beratung, bei der unter anderem berufliche Probleme und Schwierigkeiten thematisiert sowie Fragen der Berufseinsteiger zu ihrer beruflichen Entwicklung gestellt werden können (Keller-Schneider, 2008, S. 93).

2.4 Das Belastungsempfinden

Da in der vorliegenden Arbeit die Begriffe Belastung, Beanspruchung und auch Stress eine wichtige Rolle spielen und immer wieder Erwähnung finden, sollen diese im fol­genden Kapitel definiert werden. Daraufhin wird auf das Transaktionale Stressmodell eingegangen, das diese Begriffe miteinander in Verbindung setzt.

2.4.1 Zur Definition einiger Begriffe

Zu den Begriffen Belastung, Beanspruchung und Stress finden sich allerhand verschie­dene Definitionen, die nicht selten für Verwirrung sorgen. So muss zunächst auch eine Unter­scheidung zwischen objektiver und subjektiver Belastung vorgenommen werden. Rudow (1994) bezeichnet mit der objektiven Belastung diejenigen Umstände der (pädagogischen) Tätigkeit, die unabhängig von jeder Lehrkraft bestehen, aber potentielle Beanspruchungsfak­toren darstellen (Rudow, 1994, S. 42). Als Beispiel werden dabei die Arbeitsaufgaben und -bedingungen genannt, beispielsweise die Bildungs- und Erziehungsaufgaben, die Anzahl der Unterrichtsstunden pro Woche oder der Lärm in der Schulklasse (Böhm-Kasper et al., 2001, S. 18). Die subjektive und damit psychische Belastung besteht dagegen in der Wahrnehmung, Bewertung undkognitiven Verarbeitung der objektiven Belastung, die als Widerspiegelung der objektiven Belastung zusammengefasst werden (Rudow, 1994, S. 42). Ob eine objektiv gleiche Situation als belastend oder nicht belastend wahr­genommen wird, variiert somit von Person zu Person (Grunder & Bieri, 1995, S. 111), da bestimmte Handlungsvoraussetzungen wie Motive und Einstellungen zur Berufstätigkeit, die soziale Handlungskompetenz, die päda­gogische Qualifikation und Berufserfahrungen die Widerspiegelung beeinflussen (Rudow, 1994, S. 43f.). Durch die kognitive Verarbeitung werden Belastungsfaktoren schließlich nega­tiv oder positiv bewertet, wodurch bestimmte Beanspruchungsreaktionen und -folgen verur­sacht werden können (Kosinár & Leineweber, 2010, S. 23), die auch von der Effizienz der Belastungsbewältigung (Coping) abhängig sind (Böhm-Kasper et al., 2001, S. 19). Hierbei werden meist die positiven von den negativen Reaktionen und Folgen an den Rand gedrängt, sodass sie in empirischen Forschungen kaum Beachtung erhalten. In Kapitel 2.5.3 soll deshalb auf beide Arten von Beanspruchungsreaktionen und -folgen einge­gangen werden.

Es wird zudem zwischen kognitiver und emotionaler Belastung unterschieden. Dabei meint die kognitive Belastung solche Anforderungen, für deren Bewältigung auf kognitive Leistungs- und Handlungsvoraussetzungen zurückgegriffen werden muss, beispielsweise bei Aufgaben der Unterrichtsplanung, -durchführung und -auswertung (Rudow, 1994, S. 43f.). Der Schwierigkeitsgrad und die Erfüllungsbedingungen dieser Aufgaben nehmen dabei eine entscheidende Rolle ein (Böhm-Kasper et al., 2001, S. 19). Die emotionale Belastung wird dagegen danach bewertet, ob bestimmte Bedürfnisse oder Motive des Individuums realisiert werden können, so kann durch den Lärm in der Schule beispielsweise nicht das Bedürfnis nach Wohlbefinden befriedigt werden (Rudow, 1994, S. 42ff.). Darüber hinaus spiegelt die emotionale Belastung auch wider, ob die Bewältigung bestimmter Aufgaben als angenehm oder unangenehm empfunden wird (Böhm-Kasper et al., 2001, S. 19).

Die Belastung kann insgesamt nur durch Betrachtung der objektiven und subjektiven Komponenten benannt werden. Aus diesem Grund muss die Belastung in empirischen Studien auch anhand des subjektiven Empfindens von Belastung gemessen werden (Wendt, 2001, S. 8). Das Belastungsempfinden meint im Folgenden somit die subjektive Belastung, also die subjektive Wahrnehmung und Bewertung von objektiver Belastung.

Psychische Beanspruchung wird nach der Norm DIN EN ISO 10075-1 als „die unmittelbare (nicht langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien“ bezeichnet (Joiko, Schmauder & Wolff, 2010, S. 10). Im Grunde genommen ist also auch mit ihr die subjektiv erlebte Belastung gemeint, die unter anderem von dem individuellen Bewältigungsvermögen bestimmter Anforderungen beeinflusst wird. Sie lässt sich in die psychische Anspannung und die somatischen Veränderungen in verschiede­nen Organen bzw. Organsystemen wie das Gehirn oder das Herz-Kreislauf-Sys­tem differenzieren (Rudow, 1994, S. 45). Die psychische Beanspruchung wird nachfolgend ebenfalls synonym zu dem Begriff des Belastungsempfindens verwendet.

Dem Begriff Stress werden heutzutage unterschiedliche Bedeutungen zugesprochen. In der Medizin und der Biologie wird Stress als „eine natürliche Reaktion [Hervorhebung v. Verf.] des Organismus auf äußere Belastungen aller Art“ (Beermann et al., 2001, S. 7) verstanden, während Stress nach Rudow (1994) einen Spannungszustand darstellt, der vorwiegend durch das Erleben bedrohlicher Situationen oder Herausforderungen ausgelöst und von negativen Empfindungen begleitet wird (Rudow, 1994, S. 49). Die Transaktionale Stresstheorie von Lazarus, die im nachfolgenden Kapitel vor­gestellt werden soll und die erwähnten Begriffe miteinander in Verbindung setzt, definiert Stress ganz ähnlich: Er wird als die „Wechselwirkung zwischen einer Situation mit ihren spe­zifischen Anforderungen (= Umwelt) und der agierenden Person“ (Kosinár & Leineweber, 2010, S. 17) verstan­den und ist somit abhängig von der subjektiven kognitiven Bewertung der Situation und der individuellen Einschätzung der eigenen Bewältigungsstrategien (Kosinár & Leineweber, 2010, S. 17).

2.4.2 Die Transaktionale Stresstheorie

Mit der Transaktionalen Stresstheorie oder auch dem Transaktionalen Stressmodell nach La­zarus wird heute noch für eine individuelle Stresswahrnehmung argumentiert. Hier wird ein weiteres Mal deutlich, dass die persönliche Bewertung einer Situation das Erleben von Stress beeinflusst. Diese Einschätzung wird dabei in drei Schritten vollzogen: der primären Bewertung, der sekundären Bewertung und der Neubewertung. Die primäre Bewertung betrifft dabei die Beurteilung einer Situation nach ihrer Bedrohlichkeit, also ob und auf welche Weise sie eine Beeinträchtigung für das Wohlbefinden darstellt. So kann sie als irrelevant und ohne Einfluss auf das Wohlbefinden, als positiv und damit angenehm oder als stressend bewertet werden. Im Falle der positiven Bewertung wird das Wohlbefinden zwar nicht beeinträchtigt, unter Umständen werden von der betroffenen Person jedoch bereits Anzeichen dafür wahrge­nommen, dass die Situation dennoch Stresspotential besitzt. Die negative Einschätzung der Situation, bei der das Wohlbefinden beeinträchtigt wird, wird noch einmal inSchädi­gung/Verlust, Bedrohung und Herausforderung unterschieden. Bei dem Verlust oder der Schädigung handelt es sich um eine bereits eingetretene Situation, der zum Beispiel der Ver­lust einer Person durch Trennung oder Tod oder im Falle der Schädigung der Ausbruch einer Krankheit vorangegangen ist (Kosinár & Leineweber, 2010, S. 17f.). Bedrohung und Herausforderung beziehen sich dagegen „auf bevorstehende Gefahren oder Gelegenheiten“ (Schwarzer, 2000, S. 15). So kann zum Beispiel eine Prüfung als Bedrohung oder als Herausforderung wahrgenommen werden, da sie auch die Möglichkeit eines Erfolgs beinhaltet. Wie eine Situation letztendlich eingeschätzt wird, ist von persönlichen Dispositionen und Umweltfaktoren abhängig. So hat eine stabile persönliche Situation beispielsweise zur Folge, dass eine Situation eher als Herausforderung statt als Bedrohung wahrgenommen wird (Kosinár & Leineweber, 2010, S. 18f.).

In der zweiten Bewertung wird das individuelle Bewältigungsvermögen eingeschätzt und den zu bewältigenden Anforderun­gen gegenübergestellt. Besteht dieses Vermögen gegenüber den gestellten Anforderungen an die be­troffene Person nicht, sodass die betroffene Person (ihrer Einschätzung nach) nicht über aus­reichend Bewältigungsfähigkeiten verfügt, um die Situation erfolgreich zu meistern, ist Stress die Folge. Auf diese Weise kann wieder die gleiche Situation von verschiedenen Per­sonen unterschiedlich eingeschätzt werden: Beispielsweise hält eine Person ihre Fähigkei­ten, eine anstehende Prüfung zu bestehen, für zu gering, während eine andere Person ihre Fähigkeiten für (mehr als) ausreichend befindet. Die erste Person wertet die Situation eher als Bedrohung, während die zweite sie als Herausforderung betrachtet (Kosinár & Leineweber, 2010, S. 18f.). In diesem Sinne kommt bei der sekundären Bewertung auch der Selbst­wirksamkeitserwartung einer Person, also der Überzeugung, dass eine Situation durch das eigene Handeln bewältigt werden kann, eine entscheidende Rolle zu (Schwarzer, 2000, S. 15). Je nach Einschätzung der Situation wird auf unterschiedliche Bewältigungsformen (Co­ping) zurückgegriffen. Dabei lassen sich zwei Strategien unterscheiden: Jene, bei denen das Problem aktiv angegangen und eine Veränderung der Situation bewirkt werden soll und jene, bei denen lediglich die Belastungssymptome gelindert werden sollen und keine wirkliche Lösung des Problems beabsichtigt wird (Schwarzer, 2000, S. 15).

Diese beiden Bewertungsprozesse laufen nicht in der vorgestellten Reihenfolge und damit nacheinander ab, sondern Bedrohungspotential und Bewältigungsmöglichkeiten werden für jede Situation ununterbrochen bewogen. Da, wie bereits erwähnt, verschiedene Informationen auf diese Einschätzungen einwirken, sind ständige Neubewertungen von Situationen die Folge. Diese können sich von den ersten beiden Bewertungen unterscheiden, da sich die Person und damit auch die Umwelt pausenlos verändern. Aufgrund dessen kann es zu einem anderen Umgang mit der Situation kommen (Kosinár & Leineweber, 2010, S. 19).

[...]


1 Im Folgenden wird stets das generische Maskulinum verwendet, mit dem sowohl männliche als auch weibliche Vertreter der genannten Gruppe gemeint sind, insofern nichts anderes ausdrücklich erwähnt ist.

2 Rheinland-Pfalz wurde gewählt, da die vorliegende Arbeit innerhalb dieses Bundeslandes verfasst wurde.

Excerpt out of 96 pages

Details

Title
Das Referendariat als kritische Übergangsphase
Subtitle
Die Entwicklung des Belastungsempfindens im Laufe des Vorbereitungsdienstes
College
Johannes Gutenberg University Mainz  (Psychologisches Institut)
Grade
1,0
Author
Year
2016
Pages
96
Catalog Number
V349703
ISBN (eBook)
9783668395251
ISBN (Book)
9783960950363
File size
1311 KB
Language
German
Keywords
Belastungsempfinden, Referendariat, Referendare, Vorbereitungsdienst, Stress, Systematisches Review, Persönlichkeitsmerkmale, Entwicklung
Quote paper
Lisa Katnawatos (Author), 2016, Das Referendariat als kritische Übergangsphase, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/349703

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