Der Wandel der Verfassungen in Platons "Politeia" und Aristoteles' "Politik"


Term Paper (Advanced seminar), 2005

25 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die metabolé - Reihe in Platons „Politeia“
2.1 Timokratie und timokratischer Mensch (545c-550c)
2.2 Oligarchie und oligarchischer Mensch (550c-555b)
2.3 Demokratie und demokratischer Mensch (555b-562a)
2.4 Tyrannis und tyrannischer Mensch (562a-588a)

3 Metabolé in der „Politik“ des Aristoteles (Buch V)
3.1 Die allgemeinen Veränderungen in den Staatsverfassungen (V, 1-4)
3.2 Die speziellen Veränderungen in den Staatsverfassungen
3.2.1 Demokratien (V, 5)
3.2.2 Oligarchien (V,6)
3.2.3 Aristokratien (V,7)
3.2.4 Monarchien und Tyrannis (V,10)
3.3 Kritik an Platons Ansichten zu den Verfassungsänderungen (V, 12)

4 Schlussbetrachtung

Quellen- und Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Geschichte der attischen Polis im 5. und 4.Jh ist eine Geschichte der metabolé, des Wandels. Allein in der Zeit von 411-403 erlebte Athen eine viermalige Änderung seiner politeia, der Verfassung,[1] zwischen der Demokratie, dem oligarchischen Rat der Vierhundert und der Tyrannis der Dreißig.[2] Doch die metabolé war ein Phänomen aller Poleis. Das Nebeneinander der zahlreichen Staaten, die damit einhergehende Vielfalt der Staatsordnungen und ihr häufiger, oft rascher Wechsel forderte die politische Theorie dieser Zeit zur Reflexion heraus. Die großen Werke der griechischen Staatstheorie Platons „Politeia“ und Aristoteles’ „Politik“ enthalten deshalb neben den Idealstaatskonzeptionen, mit denen sie auf die Krise der Polis im 4.Jh.[3] reagierten, auch lange Passagen in denen sie sich der metabolé widmen – allerdings mit unterschiedlichen Zielsetzungen.

Auf die Schilderung des besten Staates folgt im VIII. und IX. Buch der „Politeia“ eine Darstellung der ungerechten Staatsverfassungen und ihres Wandels. Nach dem Höhepunkt des Werkes, der Beschreibung des idealen Staates, erfolgt nun also die „Vollendung des großen Entwurfs“[4], indem Platon dem besten Staat die schlechteren und den schlechtesten gegenübergestellt. An diesem Vergleich entscheidet sich letztlich die Ausgangsfrage, zu der die Thrasymachos – Position den Anstoß gab und zu deren Beantwortung die ganze „Politeia“ angelegt ist: Ob nicht durch ungerechtes Handeln das größere Glück erreicht werden würde, als durch die Gerechtigkeit.[5]

Am Programm der „Politik“, das Aristoteles am Ende der Nikomachischen Ethik vorstellt, lässt sich die umgekehrte Herangehensweise ablesen:

„Zuerst also wollen wir prüfen, […] welche Momente die Polisgemeinden und welche deren Verfassungen –jede für sich genommen- zerstören und welches die Ursachen sind […]. Wenn nämlich diese (kritische Betrachtung) durchgeführt ist, werden wir vielleicht besser überschauen können, welche Verfassung am besten ist […].“ (1181b 16f.)[6]

Hier sollen also zunächst die anderen Verfassungen untersucht werden, um auf die schlechthin beste Ordnung hinzuführen, die Aristoteles dann im VII. und unvollendeten VIII. Buch beschreibt. Aristoteles stellt in den vorangehenden Büchern der „Politik“ drei metabolé - Betrachtungen an. Die erste historische Abfolge von Verfassungen erscheint im Buch III im Hinblick auf den Faktor „Größe der Staaten“. (1286b 8ff.) Eine ähnliche Entwicklungsskizze erscheint im IV. Buch. Ausgangspunkt dieser zweiten metabolé - Betrachtung ist die Entwicklung der Kriegstechnik. (1297b 12ff.) Die umfangreichste und wesentlich detailliertere dritte Analyse der metabolé im V. Buch der „Politik“ verfolgt das Ziel „die ganze empirische Fülle möglicher Ursachen des Verfassungswandels und aller möglichen Übergänge von einer Verfassung in eine andere“[7] darzustellen. Diese ausführlichen Betrachtungen stellt Aristoteles an, um aus den konstatierten Verfallssymptomen einer Verfassung auf Maßnahmen zu deren dauerhafter Erhaltung zu schließen.[8] (1307b 26)

Im Folgenden werden nur die metabolé - Ausführungen im V. Buch der „Politik“ und die der „Politeia“ - Bücher VII. und VIII. untersucht. Dabei sollen die beiden Darstellungen in das jeweilige Gesamtwerk eingeordnet, analysiert und soweit möglich verglichen werden. Auch die Auseinandersetzung Aristoteles’ mit seinem Lehrer Platon um die metabolé politeion, der er das Kapitel 12 des V. Buches widmet, werden genauer behandelt.

2 Die metabolé - Reihe in Platons „Politeia“

Die nachfolgend dargestellten Verfassungen und ihre Abfolge verdeutlichen Platons Absicht, den Abstand vom besten Staat in Stufen zu verdeutlichen. Er legt dabei die von ihm entwickelte Analogie zwischen der Ordnung der Polis und der Ordnung der Seelenkräfte im einzelnen Menschen zugrunde. Die gerechte Polisordnung bezeichnet Platon als Monarchie oder Aristokratie. (445d-e) Dort herrschen die Besten, d.h. die durch lange Erziehung zur höchsten Vernunft Befähigten. Für Platon sind also die politische Verfasstheit und der Charakter der Individuen nicht voneinander zu trennen, d.h. dass die äußere Ordnung immer auch Ausdruck der in ihr zur Herrschaft gelangten Mentalität ist. Im VIII. Buch entfaltet er daher systematisch eine politische Typologie, indem er bei jedem Staatstypus Entstehung und Wesen erklärt und dann nach demselben Schema den ihm entsprechenden Menschentypus charakterisiert.

2.1 Timokratie und timokratischer Mensch (545c-550c)

Zu Beginn seiner Ausführungen zur ersten schlechten Staatsform muss Platon einen Widerspruch lösen: Warum hätte denn sein idealer Staat, so er denn verwirklicht würde, keinen Bestand? Sokrates beantwortet diese berechtigte Frage zunächst ganz allgemein:

„Aber da allem Werden ein Untergang bestimmt ist, so wird auch diese Ordnung nicht ewig bestehen, sondern untergehen.“(546a)

Dann ruft er die Musen an (545d), um den Grund für den Niedergang des besten Staates noch zu konkretisieren: Dieser geht deshalb unter, weil die Wächter die „vollendete Zahl“[9] (546b-c) falsch anwenden würden, die bis dahin den optimalen Nachwuchs garantierte:

„Wenn ihrer nicht achten eure Wächter, zur Unzeit vermählen den Männern die Bräute, dann werden die Kinder nicht edel und nicht selig.“(546d)

Die Entstehung der ersten schlechten Staatsform ist also einem „zeugungsmathematischen Rechenfehler“[10] zuzuschreiben, denn die Nachkommen in den Ämtern der Regenten und Wächter werden zunehmend unwürdiger und unfähiger sein. Die dadurch hervorgerufene Verschlechterung der Regierungs- und Wächterarbeit führt zu einer wachsenden Unordnung und zu Machtkämpfen. Der ehemalige Wächterstand reißt die Herrschaft an sich, enteignet den Bürgen Land, Häuser und Eigentum und verteilt dieses unter sich. Durch die Vernachlässigung der musischen Wächterbildung, die Aufgabe der Frauen- und Kindergemeinschaft und die Wiedereinführung des Privateigentums wandelt sich die beste Herrschaft zur zweitschlechtesten, der Timokratie, wörtlich Herrschaft der Ehre, von dem griechischen Wort time abgeleitet. Platon stellt sie als eine Militärherrschaft dar, in der das Prinzip der Gerechtigkeit, durch das der militärischen Ehre und der Ruhmsucht abgelöst wurde.

So wird auch im timokratischen Menschen der vernünftige vom mutigen Seelenteil verdrängt. Er ist zugleich ein Abbild der degenerierten staatlichen Verfassung: ungebildet und nicht redebegabt, streitlustig und ehrsüchtig, ein Freund des Sports und der Jagd; er setzt mehr auf Taten als auf Worte und betont seine militärischen Leistungen. (548e-549a) Die Entwicklung des timokratischen Menschen wird in einer Vater-Sohn-Geschichte erzählt. Sie berichtet von einem Vater, der von seiner Frau und seinen Dienstboten wegen fehlenden Ehrgeizes und mangelnden Interesses am Geld verspottet wird.(549d) Deswegen strebt der Sohn, der dies mit ansehen musste, statt eines Lebens der Erkenntnis, eines der Ehre und des Ansehens an.(550b)

Platon ordnet die Timokratie zwischen Aristokratie und Oligarchie, weil sie mit der besten Verfassung die Ehrerbietung gegenüber den Herrschern (545d), mit der nächstschlechteren die Geldgier (548a) gemeinsam hat.

Die Timokratie, mit deren Bezeichnung Platon Schwierigkeiten hatte (545b), wird anfangs auch als die „lakedaimonische“ Verfassung (544c) bezeichnet. In dieser einzigen offenen Bezugnahme des VIII. Buches auf die historischen Gegebenheiten im Griechenland des 4.Jahrhunderts, sehen manche Autoren eine Hochschätzung Platons für die spartanische Ordnung, die immerhin als die zweitbeste Verfassungsform dargestellt wird.[11] Festzuhalten bleibt außerdem, dass Platon, dem von seinen Rezipienten so oft der Idealismus seiner Vorstellungen vorgeworfen wurde, Realist genug ist, um selbst der von ihm entwickelten, besten Staatsform keine Ewigkeit zuzuschreiben.[12]

2.2 Oligarchie und oligarchischer Mensch (550c-555b)

Unter Oligarchie, wörtlich die Herrschaft der „Wenigen“ (oligoi), versteht Platon die Verfassung der Vermögenden und Besitzenden, in der der Zugang zu Ämtern durch einen Vermögenszensus geregelt wird:

„Jene Verfassung, die auf der Vermögensschätzung beruht, in der die Reichen herrschen und die Armen keine Macht haben.“(550c/d)

Die Umwandlung von der Timokratie zur Oligarchie vollzieht sich, indem der Geldbesitz zunehmend geschätzt und die Tugend missachtet wird. (550e-551a) Schließlich wird den bewunderten Reichen die Herrschaft übertragen. (551b)

Auf dem Staatsschiff segelt nun der Reiche, wobei man „den Armen jedoch, auch wenn er der tüchtigere Steuermann ist, nicht zuließe!“(551c) Als Grundfehler dieser Verfassung macht Platon also aus, dass die Vermögensgrenze Macht und Einfluss bestimmt, nicht etwa die Fähigkeit oder die Tüchtigkeit.[13]

Zudem zerfällt in einer solchen Polis die staatliche Einheit „in einen Staat der Armen und einen der Reichen“. (551d) Die Oligarchie ist außenpolitisch ohnmächtig, weil sie keinen Krieg führen kann. Den Armen nämlich kann man keine Waffen anvertrauen, ohne einen Aufstand fürchten zu müssen, und die Reichen verfolgen nicht das Staatswohl, sondern nur ökonomische Interessen. (551e)

Der Übergang vom timokratischen zum oligarchischen Menschen wird wiederum in einer Generationen-Geschichte veranschaulicht. Der Sohn des timokratischen Vaters muss erleben, wie dieser „am Staat wie an einer Klippe“(553a) scheitert und aufgrund misslicher Umstände, übler Nachrede und falscher Anschuldigungen, Ehre und Vermögen verliert. Er setzt deshalb nicht mehr auf Ehre und Mut, sondern auf Geld und Besitz. Das Schicksal des Vaters verstärkt im Sohn also noch mehr den „begehrenden und geldgierigen Seelenteil“.(553c) Die Vernunft wird fortan nur noch zur Mehrung des Geldbesitzes eingesetzt, und auch Mut und Eifer werden nur bei Geldgeschäften gezeigt. In der Oligarchie wird also zum ersten Mal der triebhafte Seelenteil dominierend, während in der Aristokratie der vernünftige, in der Timokratie der mutige Seelenteil vorherrschten. Damit wäre der Parallelismus der Staatsformen und der Seelenteile abgeschlossen. Platon ordnet dem dritten Seelenteil aber nicht nur die Oligarchie, sondern auch die beiden folgenden Staatsformen Demokratie und Tyrannis zu.

[...]


[1] Die Übersetzung von politeia (eigtl. Bürgerschaft; Herkunft polis, polites – Bürger) mit unserem Begriff der Staatsverfassung ist problematisch, wird hier aber mangels überzeugender Alternative angewandt. Vgl. auch Spahn, S.415. Ebenso schwierig ist die Übertragung von polis mit Staat.

[2] Aristoteles selbst zählt im 41.Kapitel der „Verfassung der Athener“ elf Verfassungsänderungen in der Geschichte der attischen Polis auf.

[3] Zur umstrittenen Frage der Krise der Polis im 4.Jh. siehe Spahn, S.398 ff.

[4] Zehnpfennig, S.132.

[5] Der platonische Sokrates nimmt daher zu Beginn des VIII. Buches noch einmal ausdrücklich auf Thrasymachos Bezug. (545a)

[6] Zugrunde liegende Ausgabe der NE: Aristoteles, Nikomachische Ethik, übersetzt und herausgegeben von Franz Dirlmeier, Stuttgart 2001.

[7] Ottmann, S.208.

[8] Denn „sein leitendes Erkenntnisinteresse ist Suche nach politischer Stabilität.“ Spahn, S.426.

[9] Kersting, S.269, bezeichnet sie als „Paarungszahl“. Schubert, S.131, nennt sie „eugenische Garantiezahl.“ Besonders ausführlich hierzu und zur Berechnung der Zahl siehe Hellwig, S.92-104.

[10] Kersting, S.269.

[11] Vgl. Ottmann, S.61; Siehe auch Frede, S.264.

[12] Vgl. Vretska, S.599 Anm.18.

[13] “Da Geldbesitz nicht Vernunftbesitz impliziert, ist in einer Oligarchie das Staatsschiff nicht in den besten Händen.“ Kersting, S.273.

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Details

Title
Der Wandel der Verfassungen in Platons "Politeia" und Aristoteles' "Politik"
College
Free University of Berlin
Course
Aristoteles' "Politik"
Grade
1,0
Author
Year
2005
Pages
25
Catalog Number
V34970
ISBN (eBook)
9783638350389
File size
576 KB
Language
German
Keywords
Wandel, Verfassungen, Platons, Politeia, Aristoteles, Politik, Aristoteles, Politik
Quote paper
René Schlott (Author), 2005, Der Wandel der Verfassungen in Platons "Politeia" und Aristoteles' "Politik", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34970

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