Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Was ist ein Gefühl?
3. Schuld und Scham
3.1. Leibliche Äußerung der Scham
3.2 Leibliche Äußerungen der Schuld
3.3 Schuld und Scham in der Philosophiegeschichte
3.4 Schuld und Scham in Bezug auf die Nationalität
4. Stolz
4.1 Leibliche Äußerungen des Stolzes
4.2 Stolz in der Philosophiegeschichte
4.3 Stolz in Bezug auf die Staatsangehörigkeit
5. Schuld, Scham und Stolz im unterrichtlichen Kontext
6. Fazit
7. Literatur
1. Einleitung
Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2015, siebzig Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, fand in einem gesellschaftlichen Spannungsfeld statt. Einen Tag bevor Bundespräsident Joachim Gauck im Bundestag von Schuld und Scham im Hinblick auf die nationalsozialistischen Verbrechen sprach, gingen in vielen deutschen Städten Ableger der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, kurz PEGIDA, auf die Straße. Durch den Begriff „Patriotismus“ reiht sich die PEGIDA-Bewegung in die Tradition derer ein, die bereits seit längerem mit Forderungen wie nach „einem neuen Nationalbewusstsein“, „gesundem Nationalstolz“ und „Nationalstolz nicht nur zur WM“ laut werden. Bis vor wenigen Jahren fanden derartige Tendenzen, außerhalb von großen Sportereignissen, vor allem in den Reihen rechtsextremer Parteien statt, die neben dem „Schluss des antideutschen Opferkult“ forderten, den Deutschen ihren „geschichtlichen Stolz“ wieder zu geben. Immer wieder wird bei diesem Thema auf die USA verwiesen, wo in jedem Vorgarten eine Flagge wehen würde – ohne, dass sich hieran jemand stören würde. Nationalstolz sei dort kein Tabuthema. Längst sind Diskussionen um „Nationalstolz“ auch außerhalb rechtsextremer Kreise anzutreffen. Spätestens seit der WM 2006 im eigenen Land wehen auch in Deutschland, zumindest im zweijährigen Wechsel, allerorts Deutschlandfahnen. Im Jahr 2014 wurde man außerdem nicht nur erneut Fußball- sondern auch einmal mehr Exportweltmeister. Gründe genug um wieder stolz auf sein Land sein zu dürfen?
Auch die Begriffe Schuld und Scham im Hinblick auf den Nationalsozialismus werden im Angesicht des demographischen Wandels immer wieder hinterfragt. Denn Menschen, die zur besagten Zeit alt genug waren, um sich an den Verbrechen zu beteiligen oder „nur“ tatenlos dabei zuzusehen, werden innerhalb der nächsten Dekaden nicht mehr existieren. Sowohl Schuld, Scham und Stolz im Hinblick auf das Herkunftsland werden also in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte mal mehr, mal weniger intensiv diskutiert. Grund genug, diese Themen einmal philosophisch zu betrachten. Im Folgenden möchte ich daher zunächst die genannten Gefühle genauer erläutern. Hier möchte ich auf körperliche Äußerungen der Gefühle eingehen und innerliche Vorgänge, Auslöser und Anlässe für das Gefühlserleben beschreiben. Eine philosophiegeschichtliche Betrachtung der jeweiligen Gefühle bietet sich an, um gegebenenfalls kulturelle und zeitliche Unterschiede darzulegen. Anschließend möchte ich der Frage nachgehen, ob die bloße Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe Stolz überhaupt auslösen kann. Außerdem die Frage, ob sich der Mensch für etwas schämen oder schuldig fühlen kann, dass er nicht getan hat. Anders ausgedrückt: Macht die bloße deutsche Staatszugehörigkeit schuldig? Oder ist im Hinblick auf die NS-Verbrechen nicht besser von einer gewissen Verantwortung zu sprechen? Und wenn ja, beschränkt sich diese Verantwortung nur auf die Deutschen?
Im Hinblick auf Schopenhauer, der dem Nationalstolz zwar Minderwertigkeit bescheinigte, dessen Existenz aber nicht verneinte, wird auch die Frage nach guten und schlechten Anlässen für die jeweiligen Gefühlserlebnisse relevant sein.
2. Was ist ein Gefühl?
Bevor man sich den Gefühlen Schuld, Scham und Stolz nähert, sollte man sich zunächst um den Begriff „Gefühl“ bemühen und sich fragen, was ein Gefühl überhaupt ist. Philosophiegeschichtlich wird der Begriff für solcherlei Sachverhalte verwendet, „die keinen eindeutig und leicht bestimmbaren Inhalt haben.“(Landweer 2006, S.366). Eigentümlich ist Phänomenen wie Scham und Stolz, dass sie sich dem Menschen „aufdrängen“ und nicht „ohne weiteres rational begriffen, gegliedert und beherrscht werden können“(ebd.). Es sei darauf hingewiesen, dass die Verwendung der Begriffe „Gefühl“, „Emotion“ und „Affekt“ philosophiegeschichtlich niemals einheitlich erfolgt(vgl. ebd).
Der Mensch wird durch bestimmte Sachverhalte mit Gefühlen konfrontiert, die sich propositional äußern. So schämt man sich für etwas oder ist stolz auf etwas. Man hat Angst vor dem Zahnarzt oder freut sich über einen Blumenstrauß. Mit Gefühlen gehen stets körperliche Empfindungen einher. Bestimmte Ausdrucksverhalten und Handlungen können durch das Gefühl hervorgerufen werden, so ist ein freudiges Lachen, oder Weinen bei Trauer vergleichbar mit der Nahrungsaufnahme, die durch den Hunger erfolgt. Der Mensch hat also oftmals keine andere Möglichkeit, sich anders zu verhalten und wird durch seine Gefühlswelt gelenkt. Ein zuwiderhandeln ist nur mit Anstrengungen zu bewerkstelligen. Da das genuine „Gefühl“ von den leiblichen Äußerungen, wie Mimik und Gestik, analytisch unterschieden werden kann, ist man sich im philosophischen Diskurs einig, dass Gefühle intentional sind. Die Bestimmung von Gefühlen kann über zwei Beschreibungsebenen verlaufen. Über die Wahrnehmung aus der Sicht der ersten Person, also das eigenständige Erleben des Gefühls oder über die Wahrnehmung aus der Perspektive der dritten Person. Es handelt sich also jeweils um eine subjektive und objektive Methode der Gefühlsbestimmung(vgl. ebd., S.368 f.). Gefühle scheinen außerdem in einem Wechselspiel mit den moralischen Handlungen des Menschen zu stehen(vgl. ebd., S.370). Die moralischen Aspekte der jeweiligen Gefühle werden allerdings im Folgenden noch genauer aufgegriffen. Demmerling und Landweer orientieren sich zur Beschreibung von Gefühlen an Herrmann Schmitz, der mit den Begriffen Verdichtungsbereich und Verankerungspunkt Kategorien zur Differenzierung liefert. Der Verdichtungsbereich einer Gestalt ist hierbei der Ort, wo sich ihr Gepräge anschaulich sammelt, etwa der Bohrer bei der Angst vor dem Zahnarzt. Dagegen ist der Verankerungspunkt die Stelle, von wo die Gestalt sich anschaulich aufbaut, bei der Angst vor dem Zahnarzt wäre dies der Schmerz(vgl. Demmerling/Landweer 2007, S. 29)
Um nun eine genauere Vorstellung davon zu bekommen, was ein Gefühl ist, sollen die eingangs erwähnten Gefühle Schuld und Scham sowie Stolz genauer untersucht werden. Durch die exemplarische Vorgehensweise können diese eher abstrakten Sachverhalte greifbarer werden, ein besseres Verständnis ist das Ziel. Wichtig ist, sich allen voran in Erinnerung zu rufen, dass Gefühle in philosophischer Hinsicht kein rein rationales Phänomen darstellen und damit eine absolute Bestimmung des Gegenstands kaum möglich ist.
3. Schuld und Scham
Um die im Vorangegangenen gestellten Fragen zu beantworten, ist es sinnvoll, zunächst aristotelisch vorzugehen und das Wesen der relevanten Gefühle zu ergründen. Kurz, zu klären, was Schuld, Scham und Stolz eigentlich sind. Demmerling und Landweer schreiben der Scham die Ursache zu, dass eine Person gegen eine Norm verstoßen hat, „die er oder sie eigentlich anerkennt“(ebd. S.219). Konrad Ott bezeichnet Normen als Maßstäbe zur „Beurteilung einzelner Handlungen und für die[…] Rationalität moralischer Gefühle angesichts eigener oder fremder Handlungen“(Ott 2006, S.475).
Scham scheint also einerseits mit Handlungen und andererseits mit Moral eng verknüpft zu sein. Auch Matthias Kettner knüpft hieran an und schlussfolgert in seinen Ausführungen zur Moral:
„Ist eine Moral M erst einmal intra- und interpersonell >internalisiert<, dann zahlt eine Person, die missachtet, was unter den Adressaten von M repräsentativ ernst genommen werden sollte, hierfür einen Preis, sei es in Form von Furcht, Scham, Schuld[…]“ (Kettner 2006, S.430)
Der Externalismus sieht, im Gegenteil, in Schuld- und Schamgefühlen die Ursache moralischen Handelns. Denn die Motivation des moralisch Handelnden liegt in dieser Denkrichtung in der Vermeidung etwaiger Gefühle(vgl. Scarano 2006, S.451).
Auffällig ist und bleibt die enge Verknüpfung der Gefühle Schuld und Scham mit der Moral, wodurch man Scham durchaus als moralisches Gefühl bezeichnen könnte. Trotzdem ist zu beachten, dass Scham auch in nicht-moralischen Kontexten entstehen kann. Beispielsweise in Anbetracht einer Zahnlücke, unpassender Kleidung oder Verhaltensweisen liegt jedoch ebenfalls ein Normverstoß vor(vgl. Demmerling/Landweer 2007, S.219). Demmerling und Landweer führen aus, dass man sich sowohl vor sich selbst für etwas schämen kann, als auch vor anderen Menschen. Etwa vor einer Person, die die begangene Normverletzung registriert hat. Zwingend Notwendig für das Erleben eines Schamgefühls ist die Anwesenheit anderer Personen, siehe im Folgenden Kant, jedoch nicht. Unterscheiden lässt sich das akute, episodische Gefühl der Scham von der Scham als Disposition. Die Gefühlsdisposition ist gleichzusetzen mit der Wahrscheinlichkeit von einem bestimmten Gefühl betroffen zu werden. Diese Wahrscheinlichkeit wird von vorhergehenden Erfahrungen beeinflusst(vgl. ebd., S.25). Die Scham als Disposition findet zunächst keine Beachtung.
„Die“ Schuld lässt sich im deutschen nicht monistisch betrachten, lassen sich im Sprachgebrauch neben der bereits eingeführten Funktion als Ursache oder Wirkung einer (moralischen) Handlung noch diverse andere Unterscheidungen treffen. So kann sich Schuld auf eine Verpflichtung oder Leistung, die man jemandem „schuldig ist“, beziehen. Im neueren Sprachgebrauch schließt dies auch Geldleistungen mit ein. Weiterhin kann ein Mensch als Verursacher eines Zustandes „schuld an etwas sein“, dies kann sich einerseits wertneutral darstellen, andererseits aber mit einem begangenen Unrecht einhergehen. Diese sozialethische Komponente zieht oft eine Sühneleistung auf Seiten des Verursachers, des Schuldigen, nach sich(vgl. Dorm 1976, S. 13 f.). Wie sich Schuld und Scham körperlich äußern, wird im Folgenden einer genauen Betrachtung unterzogen, wobei im Falle der Schuld von der soeben eingeführten sozialethischen Betrachtungsweise ausgegangen wird.
3.1. Leibliche Äußerung der Scham
Was passiert wenn sich der Mensch schämt, wird in landläufigen Betrachtungen nur selten wirklich greifbar. Wage wird vom Erröten als Begleiterscheinung dieses irrationalen Gegenstandes gesprochen. Es stelle sich das Gefühl ein, „krank zu sein“ erklärt etwa eine Autorin der Zeitschrift Stern(vgl. Lehnen-Beyel 2006). Léon Wurmser spricht von einem Zustand des „innerlichen Zerrissenseins“ und einer Spaltung von Bewusstsein und Identität. Die Gefühle der Schwäche, „nicht Herr im eigenen Haus zu sein“ oder „gegen außen verwirrt zu wirken“ sind Faktoren, die die Scham bewirken und verstärken(vgl. Wurmser 1997, S. 12).
Eine detaillierte und ausführlichere Betrachtung der leiblichen Äußerungen der Scham bieten Demmerling und Landweer. Sie beschreiben das leibliche Erleben der Scham anschaulich als Bewegungsimpuls, der sich in der Form äußert, „verschwinden zu wollen, ohne dass die möglich ist“. Die Redewendung „vor Scham im Boden versinken“ greift diesen Bewegungsimpuls auf. Die betroffene Person empfindet eine Einengung(vgl. Demmerling/Landweer 2007, S.220). Der Bewegungsimpuls richtet sich jedoch nicht nur nach unten, sondern gleichermaßen nach innen. Beide Richtungen lassen sich als „zentripetal“ beschreiben. Schämt sich eine Person „tief im Inneren“, wird außerdem auf die mit der Scham einhergehende Engung angespielt(vgl. ebd., S.221). Das Phänomen des verlegen auf den Boden Schauens beschrieb bereits Charles Darwin, die Blicke der anderen nicht aushalten zu können, wird in „ The expression of the emotions in man and animals“ aus dem Jahr 1872 als Grund genannt. Diesem Gefühl kann sich die sich schämende Person nur schwer entziehen. Selbst das Verlassen der Situation garantiert keine Abhilfe, wodurch sich das Engegefühl verstärkt(vgl. ebd., S.220 f.). Sighart Neckel beschreibt einen „brennenden Schmerz im Inneren“, der ebenfalls bis nach der Schamsituation anhält. Die Dauerhaftigkeit äußert sich nach Neckel dadurch, dass man einerseits nicht vergessen könne wofür man sich geschämt habe und andererseits dadurch, dass mit der Erinnerung das Gefühl gleichermaßen mit zurück kehre(vgl. Neckel 1991, S. 25).
Scham ist geprägt von Plötzlichkeit, sie wird häufig als Unterbrechung der Handlungsmöglichkeiten wahrgenommen und hält vergleichsweise nur kurze Zeit an. Gelingt beispielsweise das Heben des eigenen Blicks, so geschieht dies gegen einen gefühlten physischen Widerstand, wobei sich die Scham in ein abgeschwächtes Gefühl der Peinlichkeit transformiert. Im Gegensatz zur Schuld ist akute Scham niemals durch Dauerhaftigkeit geprägt. Durch das „Training“ der Gefühlsdisposition lassen sich zwar Anlässe für Schamempfindungen variieren, das akute Gefühl bleibt jedoch bestehen(vgl. Demmerling/Landweer 2007, S.220).
3.2 Leibliche Äußerungen der Schuld
Die Unterscheidung von Scham und Schuld ist landläufig nicht immer trennscharf möglich. Dies liegt vor allem an ihrer gemeinsamen Ursächlichkeit. Scham und Schuld teilen sich einen gemeinsamen Verankerungspunkt, den Normverstoß. Das beide Gefühle jedoch voneinander abzugrenzen sind, wird durch den unterschiedlichen Verdichtungsbereich deutlich(vgl. ebd., S.223). Anders als die Scham beziehen sich Schuldgefühle nämlich meist auf die geschädigte Person, was durch den mit der Schuld einhergehenden „Wiedergutmachungsimpuls“ verdeutlicht wird. Es findet kein konkreter Bewegungsimpuls nach innen oder außen statt, wie bei der Scham oder der Wut. Vielmehr ergibt sich eine „bohrende Spannung“ durch eine Mischung zweier Handlungsimpulse(vgl. ebd., S.222).
So steht der sich schuldig Fühlende im Spannungsfeld der „Aktivierung, die auf Wiedergutmachung zielt, und der Passivierung durch das Erschrecken über die eigene Schuldhaftigkeit[…]“(ebd.).
Der Plötzlichkeit der Scham steht der langsame Aufbau der Schuldgefühle entgegen. Dieses verlangsamte Auftreten wird durch den Begriff der „nagenden Schuldgefühle“ verdeutlicht(vgl. ebd.).
3.3 Schuld und Scham in der Philosophiegeschichte
Beginnt man die philosophiegeschichtliche Betrachtung der Scham in der antiken Philosophie, so fällt die enge Verbindung des Auftretens der Scham mit einer funktionierenden Gesellschaft auf. Vermittelt wird dies durch den Mythos des Protagoras, in dem alle Menschen auf Befehl des Zeus gleichermaßen mit „Recht“ und „Scham“ ausgestattet werden.
„Denn Städte können nicht entstehen, wenn nur wenige an ihnen teilhätten, wie an anderen Befähigungen. Und bestimme auch als Gesetz von mir: wer nicht fähig ist, an Scham und Recht teilzuhaben, den töte man als Pest einer Stadt.“( Protagoras 322 c, S.39).
Scham ist nach Platon also die Grundvoraussetzung für ein rechtstaatliches Zusammenleben. Scham und Recht werden hier sprachlich nicht voneinander abgegrenzt und können so in einen engen Zusammenhang gebracht werden. Scham könnte als Grundvoraussetzung für das Empfinden eines Unrechtsgefühls angesehen werden, welches wiederum für die Wirksamkeit des Rechts in der Gesellschaft essentiell ist. Die Lehrbarkeit der politischen Tugenden wird somit durch die Scham begünstigt(vgl. Demmerling/Landweer 2007, S.223).
Aristoteles definiert die Scham „als eine Furcht vor Schande“(Nikomachisch Ethik(NE) 1128b, S.116). Ein moralisches Moment erhält die Scham als Mitte zwischen zwei Extremen. Der Schamhafte steht als goldene Mitte zwischen „[dem] Blöde[n] der sich über alles schämt“(NE 1108a, S.50) und zwischen „einem dritten, der zu wenig oder gar kein Schamgefühl hat, dem Unverschämten“(ebd.). Im Sinne der Glücksphilosophie, die Aristoteles in der Nikomachischen Ethik ausführlich beschreibt, muss die Mitte zwischen der übertriebenen Schüchternheit und der Schamlosigkeit zur Disposition hinreichen. Die Scham erfüllt den Zweck, den Menschen von vornherein vor Handlungen zu bewahren, die Schamgefühle auslösen können und somit davor, unmoralisch zu handeln. Die bedingungslose Umsetzung dieser Richtlinien ist von Bedeutung. Das Empfinden von Scham bei widermoralischen Handlungen wäre unzureichend, die Vermeidung derartiger Handlungen ist das erklärte Ziel. Denn „wenn es eine Schlechtigkeit ist, unverschämt zu sein und ohne Scham und Scheu Schimpfliches zu tun, so ist es darum noch keine Tugend, bei solchen Handlungen Scham zu empfinden“(NE 1128a, S.117). Die Scham stellt dabei im Sinne des moralischen Handelns ein edleres Motiv dar als die Furcht vor Strafe(vgl. Demmerling/Landweer 2007, S.224). „Denn die Menge lässt sich ihrer Natur gemäß nicht durch sittliche Scheu, sondern durch Furcht bestimmen und enthält sich des Schlechten, nicht weil es schimpflich ist, sondern weil darauf Strafe steht.“(NE 1179b, S.296).
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