Im Rahmen dieser Arbeit soll gezeigt werden, dass der Gegensatz zwischen
dem, was dem Menschen ursprünglich und dem, was ihm fremd ist, übergreifendes
Leitmotiv in Rousseaus Werk ist und diese Entfremdung im Sinne von
‚Entäußerung’ erst die Möglichkeiten wahren Menschseins birgt. Rousseau
weist, in seiner als spannungsvoller Einheit verstandenen Werke, Möglichkeiten,
die gesellschaftliche Denaturierung zu überwinden, zeigt Wege zum authentischen
Menschsein auf.
Die Entfremdungsproblematik soll im ersten Teil dieser Arbeit anhand der beiden
Discours, des Essai und relevanter Passagen des Contract Social reflektiert
werden. Um Rousseaus spezifisches Entfremdungskonzept begrifflich zu
fassen, ist dieser Reflexion einleitend eine sprachwissenschaftliche Untersuchung
der Syntagmata ‚aliénation’ und ‚être hors de soi’ in Rousseaus Schriften
vorangestellt. Die Vorstellung, dass der Mensch in Distanz zu sich selbst
gerät, sich selbst fremd wird, lässt sich am treffendsten mit dem deutschen
Begriff ‚Entfremdung’ beschreiben. Doch der Begriff ‚Entfremdung’ wird bei
Rousseau, anders als bei deutschen Autoren, nicht mit einem einzigen Terminus
ausgedrückt, sondern in einer komplizierten Konstellation verschiedener
sprachlicher Wendungen, die über den französischen Terminus ‚aliénation’
hinausführen. So bedarf es zum besseren Verständnis von Rousseaus Perspektive
der inneren Zusammenhänge des Entfremdungsgeschehens zunächst einer Untersuchung des sprachlichen Rahmens, in dem sich Rousseau bewegt. Um
die spezifische Gestalt, in der sich der Entfremdungsgedanke bei Rousseau
artikuliert, zu erfassen, sollen die wichtigsten Begriffe unterschieden werden,
die das semantische Feld von ‚Entfremdung‘ konstituieren und die in Rousseaus
Schriften Verwendung finden.
Die erste und grundlegende Dimension des Rousseauschen Entfremdungsbegriffs
ist kultur- und gesellschaftskritischer Natur. Insbesondere in den beiden
Discours formt Rousseau den Begriff des sich selbst entfremdeten Menschen
als Kategorie einer existenzialen Anthropologie. Rousseaus These von der
gesellschaftlich bedingten Entfremdung des Menschen wird im Rahmen dieser
Arbeit den einschlägigen Passagen beider Discours entnommen. Der erste Discours
wird als eine Art Vorstufe zum zweiten und der zweite als eine Weiterführung
des ersten verstanden. In der Rousseau-Forschung wird die gedankliche
Einheit der beiden Abhandlungen zuweilen bezweifelt. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der Begriff der Entfremdung
- ,Aliénation' und,être hors de soi' bei Rousseau
- Das Syntagma, aliéner'
- Das Syntagma, être hors de soi'
- Die Entfremdungsproblematik
- Discours sur les Sciences et les Arts
- Discours sur l'origine, et les fondemens de l'inégalité parmi les hommes
- Naturzustand
- Naturmensch
- Perfectibilité
- Freiheit
- Verlust der Unmittelbarkeit
- Zusammenfassung
- Essai sur l'origine des langues
- Sprachursprung
- Verlust der unmittelbaren Kommunikation
- Zusammenfassung
- Contract Social: Überwindung der Entfremdung
- Entfaltung und Verwirklichung der menschlichen Natur
- ,Aliénation totale': Das Höchstmaß an Freiheit
- Zusammenfassung
- Ausdruck
- Les Rêveries du Promeneur Solitaire – Ein autobiographischer Text?
- Les Rêveries du Promeneur Solitaire: Eine Selbstverständigung
- Die Transparenz des Herzens in den Rêveries
- Promenades: Komposition der Rêveries
- Rêverie
- Imagination
- Natur
- Solitude
- Sprache: allegorischer Ausdruck des Selbst
- Zusammenfassung
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Magisterarbeit untersucht die zentrale Rolle der Entfremdung im Werk von Jean-Jacques Rousseau. Die Arbeit verfolgt das Ziel, die komplexe Konzeption der Entfremdung bei Rousseau zu beleuchten und zu analysieren, wie diese den Möglichkeiten eines authentischen Menschseins im Angesicht gesellschaftlicher Denaturierung gegenübersteht.
- Rousseaus Konzept der Entfremdung als Leitmotiv in seinem Werk.
- Die unterschiedlichen Facetten der Entfremdung in Rousseaus Schriften, insbesondere in den Discours und dem Contract Social.
- Der Einfluss der Sprache und der Kommunikation auf die Entfremdungsproblematik.
- Möglichkeiten der Überwindung der Entfremdung durch eine Rückführung auf die Natur und die Entwicklung einer neuen sozialen Ordnung.
- Der Ausdruck des Selbst und die Bedeutung von Natur, Solitude und Imagination in Rousseaus Werk.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die die Thematik der Entfremdung und des Ausdrucks in Rousseaus Werk einführt. Im zweiten Kapitel wird der Begriff der Entfremdung anhand der Syntagmata ,aliénation' und ,être hors de soi' untersucht, die in Rousseaus Schriften eine zentrale Rolle spielen. Das dritte Kapitel analysiert die Entfremdungsproblematik in den Discours sur les Sciences et les Arts und Discours sur l'origine, et les fondemens de l'inégalité parmi les hommes, wobei der Fokus auf den Naturzustand, den Naturmenschen, die Perfectibilité, die Freiheit und den Verlust der Unmittelbarkeit liegt. Das vierte Kapitel betrachtet den Essai sur l'origine des langues und untersucht die Entstehung der Sprache und den Verlust der unmittelbaren Kommunikation. Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit dem Contract Social und der Frage, wie eine Überwindung der Entfremdung durch die Entwicklung einer neuen sozialen Ordnung möglich ist. Das sechste Kapitel beleuchtet den Ausdruck des Selbst in den Rêveries du Promeneur Solitaire, einem autobiographischen Text, der die Suche nach Selbstverständigung und die Bedeutung von Natur, Solitude und Imagination für Rousseau thematisiert. Das letzte Kapitel bietet ein Resümee der wichtigsten Erkenntnisse.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den zentralen Themen der Entfremdung, des Ausdrucks, der Natur, der Freiheit, der Gesellschaft, der Sprache und der Kommunikation im Werk von Jean-Jacques Rousseau. Insbesondere die Syntagmata ,aliénation' und ,être hors de soi' werden analysiert, um Rousseaus spezifisches Entfremdungskonzept zu verstehen. Die Arbeit beleuchtet die Entstehung der Entfremdung im Naturzustand und den Verlust der Unmittelbarkeit durch die Entwicklung der Gesellschaft. Sie untersucht die Möglichkeiten der Überwindung der Entfremdung durch die Entwicklung einer neuen sozialen Ordnung und die Bedeutung des Ausdrucks des Selbst in Rousseaus Schriften.
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- Karoline Borquez Gonzalez (Autor), 2003, Entfremdung und Ausdruck in der Philosophie Jean-Jacques Rousseaus, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35021