Berliner Beziehungsgeflechte - Zum Verhältnis von Politikern, Politikvermittlungsexperten und Parlamentskorrespondenten von Printmedien

Eine Befragung


Magisterarbeit, 2004

138 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung
1.1 Erkenntnisinteresse
1.2 Fragestellung
1.3 Aufbau der Arbeit

2 Politik, Medien, Öffentlichkeit - Ein makroanalytischer Bezugsrahmen
2.1 Politik und politische Kommunikation
2.2 Politische Öffentlichkeit
2.3 Massenmedien und politischer Prozess
2.3.1 Politische Funktionen der Massenmedien
2.3.2 Erklärungsansätze zum Verhältnis von Politik und Medien
2.3.2.1 Medien als Vierte Gewalt: Das Autonomie-Modell
2.3.2.2 arke Medien, schwache Medien: Die euerungsmodelle
2.3.2.3 Wechselseitige Abhängigkeiten: Interdependenz-Modell, persystem, mbiose
2.3.3 Öffentliche Kommunikation über Politik als Vermittlungsleistung
2.3.4 Politische Öffentlichkeitsarbeit
2.3.4.1 Funktionen
2.3.4.2 Methoden
2.3.4.3 Exkurs: Deutungsversuche zum Verhältnis von Öffentlich- keitsarbeit und journalistischem stem
2.3.4.3.1 Determinationsansatz
2.3.4.3.2 Intereffikationsmodell
2.3.4.3.3 Interpenetrationsmodell
2.4 Zwischenfazit

3 Politik und Medien im Wandlungsprozess - Entwicklungen und Tendenzen
3.1 Gesellschaftlicher und politischer rukturwandel
3.1.1 Ausdifferenzierung, Komplexitätssteigerung, Individualisierung, Globalisierung
3.1.2 Politik zwischen neuen Anforderungen und Akzeptanzverlust
3.1.2.1 Die Politisierung des vorpolitischen Raums
3.1.2.2 Politikverdrossenheit und Volatilität der Wähler
3.2 Medien und Mediensystem im rukturwandel
3.2.1 Kommerzialisierung, verschärfter Wettbewerb, Diversifizierung
3.2.2 Beschleunigung, Informationsflut, Arbeitsteilung
3.3 Mediatisierung öffentlicher Kommunikation über Politik
3.3.1 mbolische Politik
3.3.2 Personalisierung und Unterhaltungsorientierung
3.4 Professionalisierung politischer Öffentlichkeitsarbeit
3.5 Neuer Deutungsversuch: Interpenetrationsmodell und -zone(n)
3.6 Zwischenfazit

4 Akteure öffentlicher Kommunikation über Politik und die tuation in Berlin - Ein mikroanalytischer Bezugsrahmen (Forschungsstand)
4.1 Akteursrollen
4.1.1 Politische Akteure
4.1.1.1 Politiker
4.1.1.2 Politikvermittlungsexperten
4.1.2 Medienakteure: Journalisten/Hauptstadtkorrespondenten
4.2 Politisch-journalistische Produktionsgemeinschaft
4.2.1 Interaktionsformen auf Vorder- und Hinterbühne politischer Öffentlichkeit
4.2.1.1 Pressekonferenzen, -mitteilungen und Interviews
4.2.1.2 Gesprächszirkel und Hintergrundkreise
4.2.2 Die tuation am Regierungssitz Berlin

5 Methodisches Vorgehen
5.1 Erkenntnisinteresse und forschungsleitende Fragen
5.1.1 Leitfragen an die Hauptstadtkorrespondenten von Printmedien
5.1.2 Leitfragen an die Bundestagsabgeordneten
5.1.3 Leitfragen an die Politikvermittlungsexperten
5.2 Erhebungsmethode, ichprobe und Vorgehen
5.2.1 Konzeption der Leitfäden
5.2.2 Auswahl der Gesprächspartner und Profil der Befragten
5.2.3 Durchführung der Interviews
5.2.4 Methodisches Auswerten - Die qualitative Inhaltsanalyse

6 Darstellung der Ergebnisse: Berliner Beziehungsgeflechte. Zum Verhältnis von Politikern, Politikvermittlungsexperten und Hauptstadtkorrespondenten von Printmedien
6.1 Berufliches lbstverständnis bzw. Bedeutung von Pressearbeit für Politiker und deren Einstellung zu Pressearbeit
6.1.1 Berufliches lbstverständnis der Hauptstadtkorrespondenten
6.1.2 Einstellung der Politiker zur Pressearbeit
6.1.3 Berufliches lbstverständnis der Politikvermittlungsexperten
6.1.4 Zwischenfazit
6.2 Interaktionsbedingungen und -muster
6.2.1 Interaktionsbedingungen und -muster zwischen Hauptstadt- korrespondenten und Politikern
6.2.2 Interaktionsbedingungen und -muster zwischen Hauptstadt- korrespondenten und Politikvermittlungsexperten
6.2.3 Interaktionsbedingungen und -muster zwischen Politikvermittlungs- experten und Politikern
6.2.4 Zwischenfazit
6.3 Fremdbilder (vermutete Erwartungen der anderen)
6.3.1 Hauptstadtkorrespondenten: Vermutete Erwartungen von Politikern und Politikvermittlungsexperten
6.3.2 Politiker: Vermutete Erwartungen von Hauptstadtkorrespondenten und Politikvermittlungsexperten
6.3.3 Politikervermittlungsexperten: Vermutete Erwartungen von Politikern und Hauptstadtkorrespondenten
6.4 Erwartungen an die anderen Akteure
6.4.1 Gegenseitige Erwartungen von Politikern und Hauptstadt- korrespondenten
6.4.2 Gegenseitige Erwartungen von Hauptstadtkorrespondenten und Politikvermittlungsexperten
6.4.3 Gegenseitige Erwartungen von Politikvermittlungsexperten und Politikern
6.4.4 Zwischenfazit
6.5 Beschreibung des Verhältnisses zwischen den Akteuren aus cht der Befragten
6.5.1 Politiker und Hauptstadtkorrespondenten: Beschreibung des Verhältnisses zueinander
6.5.2 Hauptstadtkorrespondenten und Politikvermittlungsexperten: Beschreibung des Verhältnisses zueinander
6.5.3 Politikvermittlungsexperten und Politiker: Beschreibung des Verhältnisses zueinander
6.5.4 Zwischenfazit
6.6 Probleme und Konflikte zwischen Hauptstadtkorrespondenten und politischen Akteuren
6.6.1 Hauptstadtkorrespondenten: Probleme und Konflikte im Verhältnis zu Politikern und Politikvermittlungsexperten
6.6.2 Politiker und Politikvermittlungsexperten: Probleme und Konflikte im Verhältnis zu Hauptstadtkorrespondenten
6.6.3 Zwischenfazit
6.7 Beurteilung der Einflussverhältnisse zwischen Politik und Medien
6.7.1 Hauptstadtkorrespondenten: Beurteilung der Einflussverhältnisse zwischen Politik und Medien
6.7.2 Politiker und Politikvermittlungsexperten: Beurteilung der Einfluss- verhältnisse zwischen Politik und Medien
6.7.3 Zwischenfazit

7 hlussbetrachtungen

8 Literaturverzeichnis

9 Audiovisuelle Quellen und Audioquellen

Anhang 1: Anschreiben

Anhang 2: Interviewleitfaden Hauptstadtkorrespondenten

Anhang 3: Interviewleitfaden Politiker

Anhang 4: Interviewleitfaden Politikvermittlungsexperten

Anhang 5: Transkriptionsregeln und transkribierte Interviews

Anhang 6: Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Anhang 7: Abkürzungsverzeichnis und Hinweise

1 Einleitung

Der Kanzler war zu fast schon erwartungsgemäßer Hochform aufgelaufen. Eine schmeichelnde Bemerkung hier, eine mit Augenzwinkern vorgetragene Rüge dort - und alle, anwesende Journalisten wie auch Gerhard Schröder, fanden die Debatte irgendwie... munter. So drückte es der Bundeskanzler selbst aus, nachdem die Podiumsdiskussion zwischen ihm und Vertretern der Magazine DER SPIEGEL und stern zu Ende gegangen war. Man hatte sich unter gleichlautendem Titel über Die Rolle der Medien (vgl. Leinemann/Jürgs 2003) im politischen Prozess ausgetauscht, gegenseitige Wahrnehmungsmuster offen angesprochen und regelmäßiges Gelächter verzeichnen können (vgl. ebd.). Alle Teilnehmer und Besucher machten den Eindruck, rundum zufrieden zu sein. Mittendrin der Kanzler, dessen ins NDR -Mikrofon gesprochenes und in die Blöcke der schreibenden Journalisten diktiertes Wort vom „munter[en]“ (ebd.: 102) Gespräch mit kaum milderem Lächeln hätte versehen werden können (vgl. N.N. 2003x1 ).

So fröhlich die Diskussion auch zu sein schien: Einen Zeitpunkt gab es, an dem Gerhard Schröder seine staatsmännische Miene aufsetzte und ernst wurde. Wie er denn seine Beziehung zu Journalisten charakteri- sieren würde, war Deutschlands mächtigster Politiker da gefragt worden. „Ich würde mein Verhältnis zu Journalismus als ein Arbeitsverhältnis beschreiben, bei dem jede Seite weiß, dass man aufeinander angewiesen ist“ (zit. n. Leinemann/Jürgs 2003: 90), gab er zur Antwort. Und es hatte den Anschein, als sei der Bundeskanzler, den zu dessen eigenem Ärgernis (vgl. Gaus 2003x) nicht wenige bereits zum „Medien- kanzler“ (Meng 2002) ausgerufen haben, an dieser Stelle nachdrücklich darum bemüht, betont sachlich zu formulieren. Tunlichst keine Gedanken an allerlei denkwürdige Geschichten aufkommen lassen, die allzu leicht daran erinnern könnten, dass Schröder das Spiel mit den Medien liebt und eine „Offenheit gegenüber Journalismus“ (zit. n. Gaus 2003x) pflegt.

An jene vergleichsweise harmlose Anekdote zum Beispiel, als sich Herausforderer Schröder im Wahlkampf 1998 während eines Abstechers in die amerikanische Hauptstadt Washington vor dem begleitenden Journa- listen-Tross aufbaute und es ihm gelang, alle zu animieren, unter seinem Dirigat Ehefrau Doris - ehemals selbst Journalistin - übers Handy ein Geburtstagsständchen darzubringen (vgl. Niejahr/Pörtner 2002: 69). Kein Gedanke auch daran, dass Schröder zeitweise sogar dazu übergegangen war, engsten Berater aus den Reihen einzelner Chefredaktionen - beispielsweise jener einer heute nicht mehr existierenden Wochenzeitung - zu rekrutieren. Als bloßes Arbeitsverhältnis jedenfalls ist dies kaum zu deuten, und die Reihe der Vorkomm- nisse, bei denen nicht nur der Kanzler, sondern auch übrige Politiker und Journalisten eine zumindest frag- und untersuchungswürdige Liaison eingingen und dies weiterhin tun, ließe sich fast beliebig fortsetzen.

Schröder als Parsprototo, als Symptom der fortschreitenden Annäherungen von Politik und Medien? Beide scheinen sich zu brauchen, sich gegenseitig anzuziehen und gleichzeitig regelrecht abzustoßen, wie zahlrei- che Skandale, die durch Journalisten aufgedeckt wurden, aber auch kolportierte, mutmaßliche Äußerungen von Regierungsmitgliedern wie jene Joschka Fischers, Journalisten seien nichts anderes als „Fünf-Mark- Nutten“ (zit. n. Mertes 2001: 65), belegen. Im Berliner Regierungsviertel, wo die Akteure der Bundespolitik und der Presse unmittelbar aufeinander treffen, wird das ambivalente Verhältnis, das beide Gruppen zu pflegen scheinen, gleichsam spürbar: Eben noch rauschen Spitzenpolitiker, aber auch einfache Abgeordnete wortlos an den Presseleuten vorbei, wimmeln Fragen mit gönnerhaften Gesten ab; später sitzen dieselben Politiker mit denselben Journalisten, die zuvor kaum eines Blickes gewürdigt wurden, vorgeblich einträchtig in den Cafés rund um das Haus der Bundespressekonferenz oder die Abgeordnetenbüros zusammen und tauschen sich im Gespräch aus.

Ob dabei Diskretion oder Geschwätzigkeit überwiegt? Will man jedenfalls im Bild bleiben, das BILD -Chef- redakteur Kai Diekmann zeichnet, indem er das tägliche Geschäft der Hauptstadtkorrespondenten als „journalistische[n] und politische[n] Teppichhandel“ (zit. n. Koelbl 2001: 112) darstellt, so gleicht der Berliner Gendarmenmarkt zeitweilig einem Basar. Auf ihm scheint es trotz des möglicherweise vorhandenen und von außen kaum zu beurteilenden Bemühens um Diskretion nicht zuletzt auch deswegen manchmal tur- bulent zuzugehen, weil noch eine dritte Akteursgruppe mitmischt, die in Diensten der Politik steht und deren Profession es ist, ein wachsames Auge auf die abgewickelten Geschäfte zu werfen: Experten der Politik- vermittlung, die sich darauf verstehen müssen, das Bestmögliche für ihre Auftraggeber aus der Politik heraus- zuschlagen und gleichzeitig deren Geschäftspartner, die Journalisten, nicht zu verärgern, um aus beider Mund ein Gerne wieder! vernehmen zu dürfen. Wie auf seinem orientalischen Abbild in Marrakesch oder anderswo geht unter Umständen aber auch in Berlin nicht jedes Geschäft glatt und im Einvernehmen aller über die Bühne. Daraus ließe sich ableiten, dass in allen drei Gruppen raffinierte und weniger geschickte Händler anzutreffen sind. Die ganz menschlichen Folgen wären dann - außer den intensiven Kontakten auf der Grundlage zufrieden stellender Geschäftsbeziehungen - zeitweilig zu verzeichnende Probleme, Kränkungen oder auch verbaler und schriftlicher Schlagabtausch.

1.1 Erkenntnisinteresse

All diese denkbaren Handlungen vollziehen sich vor dem Hintergrund einer sich stetig komplexer gestalten- den - auch politischen - Landschaft. Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft hat dazu geführt, dass sich den Bürgern Geschehnisse des politischen Bereichs im Wesentlichen medienvermittelt präsentieren. Die Ansich- ten, die Menschen zu Fragen politischen Belangs entwickeln, speisen sich in der Hauptsache aus denjenigen Informationen, die den Filter des journalistischen Bereichs durchlaufen haben und sie durch Fernsehen, Hörfunk, Zeitungen, Zeitschriften oder Internet erreichen. Wenn Luhmann festhält, dass wir alles, was wir über unsere Gesellschaft, also auch über Politik, wissen, durch die Massenmedien wissen (vgl. 2004: 9), gewinnt die Kommunikation auf dem oben hypothetisch entworfenen politischen Basar eine allgemeine, öffentliche Bedeutung. Sie gilt es demnach ebenso wissenschaftlich zu ergründen - und dies auch, zumal die Vielzahl der hierzu ausgearbeiteten, meist makroanalytischen Analysen nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass sich die tatsächlichen Kommunikationsprozesse zwischen Politik und Medien sowie damit verbundene Erwartungen und Einstellungen der Akteure dem Blick der Öffentlichkeit fast immer entziehen.

1.2 Fragestellung

Die vorliegende Arbeit macht es sich zum Ziel, das einleitend auf der Basis begründeter Vermutungen skizzierte Verhältnis zwischen Politikern, Politikvermittlungsexperten und Hauptstadtkorrespondenten von Printmedien zu beschreiben. Ohne Gefahr zu laufen, Vorfestlegungen bezüglich des Verhältnisses der beteiligten Akteure zu treffen, steht die allgemein gehaltene Frage im Vordergrund, wie sich das Beziehungsgeflecht zwischen den drei Akteursgruppen gestaltet. In diesem Zusammenhang ist von Interesse, welches Selbstverständnis sie ihrer Tätigkeit zugrunde legen, welche Interaktionsmuster zwischen den handelnden Personen konkret gestaltet, welche Hintergedanken hierbei eine Rolle spielen, welche Erwartungen sie an die jeweils anderen hegen, wie sie die Arbeit der mit ihnen in Kontakt tretenden Akteure wahrnehmen, ob und welche Probleme sich aus der Interaktion ergeben und wie sie die Einflussverhältnisse zwischen Politik und Medien einschätzen.

Die Beantwortung dieser Fragestellungen soll mittels Befragung von Personen, die am skizzierten Prozess beteiligt sind, und sich anschließender qualitativer Analyse des erhobenen Materials erfolgen. Diesbezüglich muss angesichts der vergleichsweise schmalen Basis der Untersuchung, ihrer Ansiedelung auf mikroanalytischer Ebene und des eng begrenzten Zeitrahmens der Befragungen darauf hingewiesen werden, dass die Reichweite der abschließend zu treffenden Aussagen überaus begrenzt ist. Demgemäß handelt es sich bei der hier vorliegenden Arbeit lediglich um eine Fallstudie, der allenfalls daran gelegen ist, einer übergeordneten Theorie politisch-medialer Kommunikationskultur ein Mosaikstück anzugliedern.

1.3 Aufbau der Arbeit

Um zunächst einen überwiegend theoretischen Zugang zur Thematik der eigenen Untersuchung zu ermöglichen, sollen in Kapitel 2 im Wesentlichen systemtheoretisch untermauerte Ansätze zur Erläuterung der politisch-medialen Beziehungen dargelegt werden. Dabei wird zu untersuchen sein, wodurch sich Politik und Medien sowie politische Öffentlichkeitsarbeit als Schnittstelle beider Systeme auszeichnen. Aufbauend auf Kapitel 3, das sich Wandlungsprozessen innerhalb der Gesellschaft und des politischen Systems sowie Veränderungen des Systems der Massenkommunikation widmet, soll zu einem erneuten Erklärungsmodell des komplexen sowie obig hypothetisch verkürzt und deswegen vorbehaltlich skizzierten Verhältnisses hingeführt werden. Unter Berücksichtigung dessen wendet sich Kapitel 4 schließlich der Akteursebene zu, versucht, wiederum auf der Grundlage bestehender Erkenntnisse, die Rollenzusammenhänge der handelnden Personengruppen näher zu beschreiben. Damit verbunden sind die Darlegung des For- schungsstandes und die Einordnung verschiedener Interaktionsformen. Ferner ist auf die Situation in der Hauptstadt Berlin einzugehen, in der die Akteure von Politik und Medien erst seit dem Umzug von Parlament und eines Großteils der Regierung im Jahre 1999 aufeinandertreffen.

Kapitel 5, in dem sowohl die gewählte Erhebungsmethode als auch die hierauf gründende Ausarbeitung der Fragebögen sowie die Durchführung der Befragungen erläutert werden, leitet über zur Darlegung der eige- nen Untersuchungsergebnisse in Kapitel 6. Sie sind in Anlehnung an die thematisch strukturierten Fragen- kataloge ebenfalls untergliedert und werden - unter Ausnahmen - mit einem kurzen Zwischenfazit versehen. So wird eingangs aufzuzeigen sein, welche Bedeutung Politiker der Zusammenarbeit mit Medienvertretern beimessen, welches berufliche Selbstverständnis Hauptstadtkorrespondenten und Politikvermittlungsexperten ihrer Arbeit zugrunde legen (Kapitel 6.1); daraufhin erfolgt die Darstellung der wahrnehmbaren Interaktionsmuster (Kapitel 6.2) sowie der vermuteten Erwartungen der und die Erwartungen an die jeweils anderen Arenenakteure (Kapitel 6.3 und 6.4), der sich die Darlegung der von den Befragten erbetenen Charakterisierungen ihres Verhältnisses zu denselben (Kapitel 6.5), der gegebenenfalls festzustellenden Probleme und Konflikte zwischen politischen Akteuren und Hauptstadtkorrespondenten (Kapitel 6.6) sowie der Beurteilung der Einflussverhältnisse zwischen Politik und Medien (Kapitel 6.7) anschließen.

Schlussbetrachtungen sollen abschließend dazu dienen, den Bogen zwischen ihnen und den in Kapitel 2 und 3 beschriebenen, vorwiegend systemtheoretischen Erklärungsansätzen der Beziehungen im politischmedialen Geflecht zu spannen.

2 Politik, Öffentlichkeit und Medien - Ein makroanalytischer Bezugsrahmen

Innerhalb demokratisch verfasster Gesellschaften beziehen staatliches Handeln und allgemeinverbindliche Entscheidungen des politischen Systems2 ihre Legitimität fortwährend aus dem Grundprinzip der Volks- souveränität. Das Volk, also die Gesamtheit aller Bürger, ist, wie Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes besagt, Inhaber der Staatsgewalt. Und so muss es als unerlässlich erachtet werden, die Menschen in den politischen Willensbildungsprozess einzubinden und an Entscheidungen zu beteiligen. Die demokratische Verfasstheit eines Staates erschöpft sich somit nicht in einem auf Gewaltenteilung und gegenseitiger Kontrolle basierenden Institutionensystem, sondern ist ebenso ein Erörterungs- und Entscheidungsverfahren, das einer angemessenen Kommunikationsweise und dementsprechender Kommunikationsverhältnisse bedarf (vgl. Meyer 2001: 15).

Die Ausdifferenzierung funktionaler Teilsysteme innerhalb moderner Gesellschaften bringt es mit sich, dass Kommunikation, die sich dem politischen Prozess widmet, verstärkt in die Öffentlichkeit verlagert wird und sich nicht mehr nur auf der Basis interpersoneller Kommunikation vollziehen kann (vgl. Jansen/Ruberto 1997: 19). Vielmehr sind es die Massenmedien3, die als eine auf breite öffentliche Kommunikation spezialisierte Institution Bedeutung gewinnen, soll zwischen Bürgern und Politik ein Austausch möglich sein. „Sie sind als [.] Vermittler und Kommunikatoren zum festen Bestandteil des politischen Kommunikationsprozesses geworden.“ (Ebd.: 19; vgl. Altmeppen/Löffelholz 1998a: 416)

Um einen theoretischen, deswegen fast immer makroanalytischen Bezugsrahmen aufzuspannen und somit einen nachvollziehbaren Zugang auch zur mikroanalytischen Untersuchung des Verhältnisses zwischen Politikern und Journalisten zu ermöglichen, muss einer wissenschaftlichen Analyse daran gelegen sein, wiederkehrende Begriffe einzugrenzen. Aus diesem Grund ist eine Herleitung und Klärung der verwendeten Grundkonzepte unumgänglich, und so sollen im Folgenden zunächst Definitionen und Zusammenhänge von Politik, Öffentlichkeit und Medien dargestellt werden.

2.1 Politik und politische Kommunikation

Angesichts der Komplexität gesamtgesellschaftlicher Strukturen kann es nicht ausreichen, in einem weiten Sinne all das unter den Begriff Politik zu erfassen, was im politisch-administrativen System geschieht (vgl. Jarren/Donges/Weßler 1996: 11). Auch der Versuch, Politik zu definieren, indem auf Zielbestimmungen po- litischen Handelns, so zum Beispiel die Verbesserung der Lebensbedingungen oder Förderung von Frieden und Freiheit, abgehoben wird, greift zu kurz. Vielmehr verlangen diese - zugegebenermaßen recht grobe - systemtheoretische Einordnung und die Deutung des Politikbegriffs auf normativer Grundlage nach einer Vertiefung nicht nur im Hinblick auf die dem gesellschaftlichen Teilsystem Politik zugeschriebenen Formen (polity -Dimension), Inhalte (policy -Dimension) und Prozesse (politics -Dimension), sondern auch auf dessen Funktionen. Dabei werden in Anlehnung an Bentele (vgl. 1998: 141) unter Funktionen diejenigen objektiven Konsequenzen verstanden, die das jeweilige System - in diesem Fall die Politik - in einem größeren Zu- sammenhang zeitigt.

So schlüsselt Gerhards die Aussage Luhmanns (1986: 171), das politische System sei für die Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen über die Gestaltung der Gesellschaft verantwortlich, nach verschie- denen Stadien des Zustandekommens dieser Entscheidungen auf. Er identifiziert (a) Formulierung und Aggregation, (b) Herstellung und (c) Durchsetzung kollektiv verbindlicher Entscheidungen und weist allen Stufen ihre jeweiligen Akteure4 zu (vgl. Gerhards 1994: 93). Auf diesem Konzept aufbauend und die dem Staat vorbehaltene Monopolisierung legitimer Gewalt einbeziehend, sprechen Gerhards und Neidhardt von einer doppelten Sonderstellung des politischen Systems: „Politik kommt sowohl eine besondere, übergeord- nete Stellung als Problemadressat zu (Input), als auch eine Sonderstellung als Problemlösungssystem, als Steuerungsakteur der Gesamtgesellschaft (Output).“ (1990: 8f.) Darüber hinaus gehört für Luhmann (1986: 170) ein Innehaben bzw. Nichtinnehaben der Positionen, in denen öffentliche Gewalt ausgeübt werden kann, zu den Charakteristika des politischen Systems. Dieses Entweder-Oder, die Zuweisung von Regierung mit oder Opposition ohne Machtposition, strukturiere als einheitlicher Code die gesamte Politik.

Gehorcht die Politik jedoch demokratischen Regeln, kann sich politische Macht nicht allein auf das staatliche Gewaltmonopol stützen. Vielmehr bedarf es der Gewähr, dass die Interessen der Allgemeinheit von der Politik wahrgenommen, operationalisiert und durchgesetzt werden.5 Diese Aufgabe über- nimmt, wie auch in Eastons Systemmodell der Politik (siehe nebenstehende Abbildung)6, im Sinne einer intermediären Funktion das Kommunikationssystem Öffentlichkeit (vgl. Gerhards/Neidhardt 1990: 9f.). Demnach ist politisches Handeln in demokratischen Staaten daran gebun- den, Entscheidungen durchschaubar zu machen und zu rechtfertigen. Erst diskursive Verfahren, die eine Rückkopplung des politischen Systems zu den übrigen Teilsystemen ermöglichen, bewirken die für die lang- fristige Stabilität des Systems notwendige Legitimität. Nicht nur vor Wahlen sind die Akteure der politischen Arena daher darauf angewiesen, „für sich und ihr Handeln [...] Resonanz zu erzeugen, Aufmerksamkeit zu gewinnen, sich zu präsentieren und zu rechtfertigen, das Publikum über politische Planungen und Entschei- dungen zu informieren und Unterstützung zu generieren“ (Tenscher 2003: 32; vgl. auch Mertes 2001: 67). Deswegen erscheint es keinesfalls übertrieben, wenn in diesem Zusammenhang von Legitimation durch Kom- munikation die Rede ist (vgl. Sarcinelli 1994a: 23, Habermas 1992: 196, ebenso schon Oberreuter 1979: 67).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.1: Systemmodell nach Easton (1967: 32).

Aufgrund der herausragenden Bedeutung kommunikativen Handelns für das politische System darf es nicht verwundern, dass das Spektrum jener wissenschaftlichen Disziplinen, die sich politischer Kommunikation widmen, ausgesprochen breit ist.7 Dies kann bereits als Hinweis darauf gewertet werden, dass der Begriff der politischen Kommunikation, der im weiteren Verlauf eine nähere Betrachtung verlangt, mannigfaltige Interpretationen erfährt - und zulässt.

Dabei vermag Marcinkowski (2001: 239ff.) etliche der bisher aufgestellten Erklärungsansätze schlüssig zu entkräften, indem er darauf hinweist, dass sie in wenig überzeugender Weise auf die Wirkungsdimension politischer Kommunikation abzielten8 und überdies definitorische Schwächen auf den Begriff der Öffentlich- keit abwälzten9. Anderen Definitionsversuchen ist zu Eigen, dass sie politische Kommunikation entweder in einer räumlichen Dimension ansiedeln oder als Prozess verstanden wissen wollen. In beiden Fällen gehen die Überlegungen davon aus, dass politische Kommunikation, die - in räumlichem Sinne - im Dreieck zwischen Politikern, Journalisten und den durch Meinungsumfragen zutage tretenden Äußerungen der Bürger verortet ist (vgl. Wolton 1990: 12)10 oder sich - bezogen auf den Prozesscharakter - zwischen politischer Führung, Medien und Bevölkerung vollzieht (Perloff 1998: 8)11, klar zu trennen sei von der Herstellung politischer Entscheidungen. In anderen Untersuchungen wird eine solche Loslösung politischer Kommunikation vom eigentlichen politischen Prozess allerdings schlichtweg bestritten. Mit Verweis auf das zu verzeichnende Phänomen, dass Themen, die sich nicht mediengerecht aufarbeiten lassen, gar nicht erst Eingang in den politischen Prozess finden, wird angeführt, dass die Darstellung von Politik, die Jarren und Donges (2002: 22a) zum Komplex politischer Kommunikation zählen, eine solche Relevanz gewinnt, „dass sie sich nicht mehr vom übrigen politischen Handeln trennen lässt“ (Jarren/Donges/Weßler 1996: 11). Politische Kommunikation sei demnach nicht nur Mittel - und, wie oben gezeigt, notwendiger Bestandteil - der Politik, sondern selbst auch Politik (vgl. Saxer 1998a: 25).

Diesem Ansatz, der eine Abgrenzung zwischen Politik und politischer Kommunikation hinfällig werden ließe, widersetzt sich gleichwohl Marcinkowski und bezeichnet politische Kommunikation als die „operative Dimen- sion des Politischen“ (Marcinkowski 2001: 246). Damit verharrt er zwar im Vagen, doch gewinnt seine Überlegung an Plausibilität, wenn er dafür eintritt, die Formulierung politische Kommunikation von vornher- ein auszusparen und stattdessen von „öffentlicher Kommunikation über Politik“ (ebd.: 243) zu sprechen. Hierdurch verlagert auch Marcinkowski eine Konkretisierung des Begriffs auf die Bedeutung von Ö ffentlich- keit. Anders als im Falle der Definition Nimmos und Swansons, deren Ablehnung Marcinkowski gerade damit begründet (siehe Fn. 9), vollzieht er diese Verlagerung jedoch bewusst, um anschließend den Begriff der po- litischen Ö ffentlichkeit einer Analyse zu unterziehen. Dies soll daher auch im Folgenden geschehen, um im Zugriff darauf noch einmal auf die in diesem Kapitel angestellten Überlegungen zurückzukommen.

2.2 Politische Öffentlichkeit

Bezeichnet man Öffentlichkeit als ein spezifisches Kommunikationssystem, das sich gegenüber anderen Sozialsystemen abgrenzt und auf der Basis des Austauschs von Informationen und Meinungen gründet (vgl. Gerhards/Neidhardt 1990: 15), so handelt es sich bei politischer Öffentlichkeit, ganz allgemein formuliert, um den Ort, an dem Bürger und politische Entscheidungsträger - Wählende und Wählbare, Regierte und Regierende - sich fortwährend und wechselseitig Kommunikationsangebote unterbreiten. Demnach ist in politischer Öffentlichkeit eine Untergliederung allgemeiner Öffentlichkeit zu erkennen, bei der es sich weniger um ein empirisch zu untermauerndes Modell, sondern vielmehr angesichts ihres Ursprungs in der Zeit der Aufklärung um ein Postulat, einen anzustrebenden Zustand handelt (vgl. Schulz 1997: 87). Auf der Überlegung fußend, dass der Gesellschaft durch Öffentlichkeit Selbstbeobachtung ermöglicht wird (vgl. Marcinkowski 1993: 113ff., Gerhards 1994: 87, Altmeppen/Löffelholz 1998a: 416), dient politische Öffentlichkeit der Beobachtung und Vermittlung zwischen Publikum und den Akteuren des politischen Systems. So werden Informationen, Themen und Meinungen gesammelt, als Input (vgl. Kapitel 2.1) weiter- geleitet, vom politischen System verarbeitet12 sowie als Output weitergegeben und angewandt. An die Stelle der Unterteilung des politischen Prozesses nach den Dimensionen von polity, politics und policy, wie sie aus politikwissenschaftlicher Sicht (vgl. Kaase 1998: 101ff., Alemann 1994: 12ff.), aber auch in der Kommuni- kationswissenschaft (vgl. Jarren/Grothe/Rybarczyk 1993: 11ff.) vorgenommen wird, kann somit das Input- Throughput-Output-Schema treten.

Als Voraussetzung für die Erfüllung des Gesamtprozesses - bestehend aus Input, Throughput und Output - stellt Neidhardt unterschiedliche Ansprüche: Demnach muss Öffentlichkeit offen sein für alle gesell- schaftlichen Gruppen sowie für alle Themen und Meinungen von kollektiver Bedeutung (Transparenz- funktion), sollten Öffentlichkeitsakteure mit den Themen und Meinungen anderer diskursiv umgehen und ihre eigenen Themen und Meinungen unter dem Druck der Argumente anderer gegebenenfalls revidieren (Vali- dierungsfunktion) und muss diese von Öffentlichkeitsakteuren diskursiv betriebene öffentliche Kommunikation öffentliche Meinung erzeugen, die als zentrale normative Größe der Willensbildung in demokratischen Systemen vom Publikum als überzeugend wahrgenommen und akzeptiert werden kann (Orientierungs- funktion).13 (Vgl. Neidhardt 1994: 8f.)

Insbesondere auf die freie Zugänglich- keit zur kommunikativen Verhandlung von Angelegenheiten, die allgemeinen Belang aufweisen, deutet auch Marcinkowski hin und entwirft ein Mehrebenensystem, über das prinzi- piell zugängliche Foren offener Kommunikation lose miteinander ver- bunden sind (siehe untenstehende Ab- bildung mit den durchlässigen Ebenen der Medien-, Versammlungs- und Be- Abbildung 2.2: Zusammenhang von Ö ffentlichkeit, politischer Kommunikation und politischer Ö ffentlichkeit; Quelle: Marcinkowski (2002: 256). gegnungsöffentlichkeit).14 Davon wie- derum grenzt er - trotz Hinweises auf die Möglichkeit gezielter Indiskretionen oder illegaler Informationsbeschaffung - jene Formen heimlicher Interaktion15 klar ab, die nicht nur im politischen Bereich anzutreffen sind und als Vier-Augen-Gespräche, nicht-öffentliche Sitzungen oder aktenförmige Kommunikation stattfinden. (Vgl. Marcinkowski 2001: 247)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.2: Zusammenhang von Öffentlichkeit, politischer Kommunikation und politischer Öffentlichkeit; Quelle: Marcinkowski (2002: 256).

Führt man sich jene analytischen Überlegungen anhand nebenstehender Grafik vor Augen, wird noch einmal verständlich, dass sich die Begriffe politische Kommunikation und politische Ö ffentlichkeit nur im Zusammenhang erklären lassen. In dieses feinmaschige Raster fügt sich schließlich auch Bergsdorfs Definition ein, wonach politische Kommunikation zu verstehen sei als „alle sprachlichen Äußerungen oder Handlungen mit anderen Symbolen [...], die mit politischer Relevanz, von wem auch immer, getan werden“ (Bergsdorf 1990: 30). Dies nämlich korrespondiert auffällig mit der oben bereits dargelegten Auffassung, den Begriff politische Kommunikation durch die Formulierung von der ö ffentlichen Kommunikation ü ber Politik zu ersetzen (zu den verschiedenen Typen öffentlicher Kommunikation über Politik siehe Kapitel 2.3.3).

2.3 Massenmedien und politischer Prozess

Mehr als jedes andere ist ein demokratisch verfasstes politisches System dazu angehalten, Inhalte an die übrigen Teilsysteme zu vermitteln und mitzuhelfen, dass Themen und Informationen von öffentlichem Belang weitergeleitet werden. Der Staat ist, so stellt Blöbaum fest, „auf ein Vermittlungsinstrument angewiesen, das die Beziehungen zwischen ihm und seinen Bürgern herstellt“ (1994: 296).16 Ein wichtiger Träger dieser Kommunikations- und Vermittlungsleistung sind die Medien. Wenn in diesem Zusammenhang häufig von Mediengesellschaft die Rede ist, so wird damit häufig eine Wertung verknüpft, indem auf mutmaßlich durch Medien verursachte gesellschaftliche Veränderungen hingewiesen wird. Dabei meint Mediengesellschaft nichts anderes, als dass innerhalb moderner Gesellschaften medienvermittelte Kommunikation eine all- gegenwärtige und alle Sphären des gesellschaftlichen Seins durchwirkende Prägekraft entfaltet (vgl. Saxer 1998b: 53).

Medienkommunikation nimmt im oben dargelegten Mehrebenensystem öffentlicher Kommunikation nicht ohne Grund die ranghöchste Position ein, haben Fernsehen, Hörfunk, Internet und gedruckte Massenmedien in der Bevölkerung doch einen Grad der Durchdringung und Akzeptanz erreicht, der seit Jahren auf hohem Niveau im Steigen begriffen ist.17 Die Herausbildung öffentlicher Meinung zu Fragen politischen Gewichts ließe sich in komplexen Gesellschaften, die sich durch Ausdifferenzierung in verschiedenste Subsysteme auszeichnen, ohne Massenmedien kaum mehr bewerkstelligen. Eine allgemeine Wahrnehmung der Themen und Meinungen im Sinne einer Durchdringung der (politischen) Öffentlichkeit stellt sich erst ein, wenn Informationen von den Medien aufgegriffen und berichtet werden. Der Bedarf hierfür „wächst nicht nur linear, sondern exponentiell, weil jedes zusätzliche gesellschaftliche Teilsystem sowohl interne als auch externe Kommunikationsstrukturen ausdifferenzieren und betätigen muss“ (ebd.: 53).

Der Bedeutung der Medien für den politischen Prozess trägt denn auch der Gesetzgeber Rechnung. Artikel 5 Abs. 1, Satz 2 des Grundgesetzes stellt ausdrücklich die Freiheit der Presse heraus und misst funktionieren- den, ausschließlich an die in Artikel 5 Abs. 2 GG angeführten Schranken gebundenen Medien Verfassungs- rang bei.18 Dahinter steht die Überlegung, dass Journalismus durch gedruckte Presseerzeugnisse, Hörfunk, Fernsehen und neuerdings das Internet nicht zu unterschätzende Leistungen für die Gesamtgesellschaft erbringt. Welche Funktionen Massenmedien in Bezug auf das politische System erfüllen, soll im folgenden

Kapitel eingehender behandelt werden. Im Anschluss daran erfolgt eine Darlegung der verschiedenen makroanalytischen Beziehungsmodelle, die das Verhältnis zwischen Politik und Medien zu charakterisieren versuchen.

2.3.1 Politische Funktionen der Massenmedien

Im Rahmen des Vorhabens, die Bedeutung der Massenmedien für den Bestand und die Entwicklung demo- kratischer Systeme sowie ihre Funktion innerhalb ebensolcher Staaten zu ergründen, lässt sich zunächst auf die primären Aufgaben der Medien - Information, Kritik/Kontrolle, später auch Unterhaltung und Orientie- rung (vgl. Altmeppen/Löffelholz1998b: 99) - verweisen. Politische Wirkung entfalten vornehmlich die beiden erstgenannten Ansprüche, weshalb auf sie - neben der ebenfalls relevanten Thematisierungsfunktion - im weiteren Verlauf Bezug genommen werden soll. Dabei „handelt es sich nur um Zusammenziehungen von zahlreichen Einzelleistungen zu einem sinnvollen Ganzen“ (Ronneberger 1987: 154). Daher muss bedacht werden, dass Medien zahllose darüber hinausgehende, normative Funktionen wahrnehmen, die zwar nicht gesetzlich verankert sind, aber aus der demokratischen Verfasstheit eines Staates heraus allgemein ange- nommen werden. So stellt zwar auch Jarren auf die klassischen Funktionszuschreibungen ab (vgl. 1988: 621), bezweifelt jedoch, dass eine einfache Berufung hierauf - gleich einer Benennung - wenig zur Real- analyse politischer Kommunikationsprozesse beizutragen vermag. Unter Einbettung in einen größeren Zusammenhang und Einbeziehung übriger Systeme mag jedoch genau das gelingen.

In Anbetracht der Informationsleistung19 dient die Kommunikation mittels Massenmedien dem Verständi- gungsprozess zwischen Regierenden und Regierten. „Mit Hilfe der Medien sagt man [im Original ebenfalls kursiv; Anm. d. Verf.] sich gegenseitig, was man für richtig hält [...]“ (Wildenmann/Kaltefleiter 1965: 15), denn erst durch das Zutun der Massenkommunikationsmittel wird der Raum politischer Öffentlichkeit erzeugt.20 Die Konsumenten der Informationen nutzen die hergestellte Öffentlichkeit und die sich in ihr offen- barenden Interessen, um sich zu orientieren. Und dies in umso höherem Maße, je weniger in komplexen Ge- sellschaften die primären Orientierungen des Einzelnen an seiner unmittelbaren Umwelt ausreichen, um fun- dierte Meinungen herauszubilden und angemessene Entscheidungen zu treffen. Mit diesem Anspruch verbin- det Ronneberger gedanklich seine Unterteilung in die integrativ wirkende politische Sozialisationsfunktion der Massenkommunikationsmittel (vgl. 1964: 296), die durch die Verbreitung der Auffassungen politischer Akteure das politische Vorstellungsvermögen jedes Einzelnen und seine Inhalte stimulieren, bestimmen und folglich als Integrationsfaktoren fungieren (vgl. hierzu insbes. auch Maletzke 1987).

Dabei können, aber müssen Themen, die durch Massenmedien Publizität erlangen, nicht selbst im sozialen System Journalismus21 hergestellt werden. Demnach besteht die besondere Leistung der Medien nicht nur in der Herstellung, sondern insbesondere auch in der Publikation von Themen. Dies hat unter anderem zur Folge, dass das politische System in Konkurrenz mit anderen Subsystemen der Öffentlichkeit sowohl auf der Themen- als auch auf der Veröffentlichungsebene permanent danach strebt, zur Erzielung des nötigen Macht- und Zustimmungsgewinns Resonanz im Mediensystem auszulösen. (Vgl. Jarren/Altmeppen/Schulz 1993: 119) Ob diese Bemühungen ihre beabsichtigte Wirkung erzielen, wird innerhalb des journalistischen Systems auf der Grundlage seiner eigenen Normen, Strukturen und Programme entschieden, da die Vermittlungskapazität der Massenmedien begrenzt ist.22 Dies deutet darauf hin, dass die Medien ihre prägende Kraft auch deswegen entfalten, weil sie die Agenda der öffentlich diskutierten Angelegenheiten maßgeblich beeinflussen, indem sie selektieren, strukturieren und somit eine Thematisierungsfunktion wahrnehmen (vgl. Marcinkowski 1993: 46ff., Perloff 1998: 208ff. sowie grundlegend zur Agenda-Setting - Funktion McCombs/Shaw 1972). Dies darf selbst dann nicht außer Acht gelassen werden, wenn mittlerweile vielfach in die Diskussion eingebracht und durch Studien untermauert wird, dass der Agenda-Setting -Prozess nicht nur von den Medien in Richtung des (politischen) Publikums verläuft, sondern eben auch ein nicht zu unterschätzender Einfluss der Bevölkerung auf die Medienagenda zu verzeichnen ist (vgl. Brosius/Weimann 1995: 325).

Die Kritik- und Kontrollfunktion der Massenmedien richtet sich nach Ansicht Ronnebergers - wenn auch von Glotz und Langenbucher in wesentlichen Teilen bestritten23 - nicht nur auf die Überwachung aller staatlichen Institutionen wie Regierung, Parlament, Rechtsprechung und Verwaltung. Sie ist vielmehr allumfassend und konstruktiv und daher systemstabilisierend zu verstehen: „Wir haben es mit einer Art von Selbstkontrolle eines gesellschaftlich-staatlichen, pluralistischen Gesamtsystems zu tun.“ (Ronneberger 1964: 297)24 Als Voraus- setzung hierfür kann die Freiheit der Medien von staatlichem, aber auch von gesellschaftlichem Zwang und Druck verstanden werden.

2.3.2 Erklärungsansätze zum Verhältnis von Politik und Medien

Angesichts des Stellenwerts, den Massenmedien aufgrund der skizzierten Funktionen und ihren Folgen im politischen Prozess haben, häufen sich die Versuche, die Beziehungen zwischen politischem und journalistischem System theoretisch wie empirisch greifbar zu machen. Kennzeichen fast all dieser Ansätze sind die Kernfragen, wie sich die Einflussverhältnisse zwischen Medien und Politik darstellen und ob in der Beziehung beider Systeme Dominanzen festzustellen sind. Dabei erfolgt die Analyse sowohl auf der Makro- wie auch auf der Mikroebene öffentlicher Kommunikation über Politik25.

2.3.2.1 Medien als Vierte Gewalt: Das Autonomie-Modell

Journalismus stellt sich aus systemtheoretischem Blickwinkel als ein selbstreferentieller gesellschaftlicher Teilbereich dar, der auf der Basis seiner oben beschriebenen Funktionen nach eigenen Regeln funktioniert und eigene Strukturen herausbildet (vgl. Altmeppen/Löffelholz 1998b: 99, Marcinkowski 1993).26

Dennoch haben sich sowohl in der Politik- als auch in der Kommunikationswissenschaft Entwürfe durchgesetzt, die sich klar von einem makroanalytisch gedeuteten Autonomie-Modell mit seinem allzu normativen Anspruch, Medien hätten als Vierte Gewalt zu fungieren und Distanz zum politisch-administrativen System zu wahren (vgl. zum Gewaltenteilungsparadigma insbes. Bergsdorf 1982) abheben. Dem liegt vor allem der Gedanke zugrunde, den Altmeppen und Löffelholz zusammenfassen:

„Selbstreferenz bedeutet [.] nicht, dass der Journalismus in der Gesellschaft völlig autark agiert. Bekanntlich beziehen sich Journalismus und politisches System auf vielen Ebenen aufeinander. Beide haben in einem koevolutiven Prozeß Strukturen entwickelt, die auf eine Anpassung an das jeweils andere System zielen. Diese strukturellen Kopplungen [...] ermöglichen, dass der Journalismus und das politische System sich wechselseitig aufeinander einstellen und damit auch beeinflussen können [...].“ (Löffelholz/Altmeppen 1998b: 99)

2.3.2.2 Starke Medien, schwache Medien: Die Steuerungsmodelle

Auch aus dieser Überlegung heraus entwickelt sich die Vorstellung, das Kräfteverhältnis zwischen Politik und Medien unter stärkerem Verweis auf mikroanalytische Prozesse als Beziehung charakterisieren zu können, die durch Über- und Unterordnung geprägt wird. Die Ansichten darüber, wer wem seine Regeln aufzwingt oder - noch weitergehend - wer wen instrumentalisiert, gehen jedoch auseinander. So stellt Kepplinger fest, die Grenzen zwischen journalistischem und politischem System hätten sich zugunsten des journalistischen verschoben. Im Prozess der Beschaffung, Verarbeitung und Verbreitung von Informationen seien die Medien anderen Teilsystemen und insbesondere der Politik überlegen. Ursächlich hierfür sei vor allem ihre ausge- prägte Selektionsfähigkeit. Sie bezieht Kepplinger sowohl auf die Auswahl der Mitarbeiter27 als auch die Inhalte und Folgen der Berichterstattung. (Vgl. 1985: 258ff.) Die Agenda der in der Öffentlichkeit behan- delten Angelegenheiten werde von den Medien dominiert (vgl. ebenso Oberreuter 1982: 70)28. Sie könnten bestimmen, welche Themen in die öffentliche Diskussion eingebracht oder aus ihr verbannt werden. Obwohl die Medien in struktureller Hinsicht gegenüber der Politik kaum über ausreichendes Sanktionspotential zur Machtausübung verfügen, geleiten die oben erwähnten Begründungen und weitere, die allerdings Stich- haltigkeit vermissen lassen29, Kepplinger zur der Annahme, die politischen Institutionen seien in weitrei- chende Abhängigkeit von den Medien und deren Kommunikationsregelen gelangt: „Das System der Massenkommunikation ist in einigen Fällen zur funktionalen Voraussetzung für andere Systeme und Sub- systeme geworden [...].“ (Kepplinger 1985: 261; vgl. insbes. auch Oberreuter 1982: 23)

Dagegen stellen die Vertreter anderer Erklärungsansätze die Instrumentalisierungsstrategien der Politik gegenüber dem System der Massenkommunikation in den Mittelpunkt. Sie stimmen mit Hans-Ulrich Jörges, dem Berliner Büroleiter und stellvertretenden Chefredakteur des Magazins stern überein, der feststellt:

„Die Medien werden eher zum Instrumente der Politik gemacht. Die Politik versucht, die Herrschaft über die Medien zu erringen. Die Politik versucht, sich auch den kritischen Anfragen von Medien zu entziehen; sie versucht, sie zu steuern, sie versucht, sie durch Drohungen und Verlockerungen - ein System von Druck - gefügig zu machen.“ (Jörges 2004x)

Angesichts der Konflikthaltigkeit des politischen Geschäfts und des ständigen Legitimationsdrucks habe die Politik das Bestreben, sich des Potentials ihrer Steuerungsmöglichkeiten zu bedienen (vgl. Schatz 1979: 82f.). Deshalb sei ein Rückgang der Autonomie der Medien gegenüber dem politisch-administrativen System zu verzeichnen. Jansen und Ruberto (1997: 69ff.) weisen ebenso wie Schatz (1979: 85ff.) sowie auch Marcinkowski und Bruns (2000: 218f.) auf eine ganze Reihe von Einflussmöglichkeiten hin. Hierzu zählen sie vor allem die Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten über Vertreter der Politik mit Sitz in den entsprechenden Gremien der Sender; zu denken wäre überdies jedoch - unabhängig von Modellen, die eine unmittelbare Einwirkung auf die Arbeit von Redaktion und Verlag ausschließen sollen - an Beteiligungen der Parteien im Pressemarkt30. Der Einfluss auf Alimentierung, Personalpolitik, Produktions- bedingungen, Programmstruktur von Seiten des politisch-administrativen Systems führe bei den öffentlich- rechtlichen Medien zu einem Verlust der Unabhängigkeit.31 Daneben sei das Bemühen des politischen Sys- tems, mit Hilfe mediengerechter Aufbereitung und Vermarktung von Inhalten und Ereignissen auf die Ge- samtheit der Medien einzuwirken, an der Professionalisierung politischer Öffentlichkeitsarbeit (siehe Kapitel 3.4) und am gezielten Betreiben einer an Wohlverhalten des einzelnen Journalisten gekoppelten Nachrichtenpolitik32 abzulesen (vgl. Schatz 1979: 88f.).

Unterfüttert wird diese Ansicht durch Analysen Baerns’. Demnach ist der Einfluss der Öffentlichkeitsarbeit (siehe Kapitel 2.3.3) auf die politische Berichterstattung verhältnismäßig stark ausgeprägt und die „These zulässig, Öffentlichkeitsarbeit sei fähig, journalistische Recherchekraft zu lähmen und publizistischen Leistungswillen zuzuschütten“ (Baerns 1991: 99). Dagegen wird allerdings vielfach recht harsch eingewandt, es handele sich um eine tendenziöse Interpretation empirischer Studien (vgl. Schantel 2000: 85), man dürfe auch die Existenz einer Nicht-Determinierung der Medien durch politische Öffentlichkeitsarbeit nicht ausschließen (vgl. Saffarnia 1993: 419).

Zu bedenken gilt es, dass beiden zuvörderst dargelegten Meinungen ein ähnlich einseitiges Problembe- wusstsein zugrunde liegt. In der Interpretation gelangen die Vertreter der unterschiedlichen Ansätze indes zu völlig konträren Ergebnissen: Während die Steuerungsversuche der Politik in Bezug auf die Medien unter dem Einfluss der Instrumentalisierungsthese zum Machtgewinn des politischen Systems geraten, wird genau dies in Folge der Dependenzthese als Angleichung der Politik an das System der Massenkommunikation gewertet. Gerade hierdurch wird allerdings erkennbar, dass Bestandteil beider Ansätze die systemtheoretisch nicht aufrechtzuerhaltende Prämisse ist, Subsysteme seien steuerbar. Folglich bleibt der im Autonomie- Modell noch zum Tragen gekommene Verweis auf die Selbstreferentialität von Systemen genauso unberück- sichtigt wie die Annahme, dass strukturelle Kopplungen zu verzeichnen sind, die in Subsystemen allenfalls Irritationen oder Resonanzen auszulösen vermögen. Daher wird der analytische Blick auf die Beziehung zwi- schen Medien und Politik von vornherein zu sehr getrübt, als dass von einer schlüssigen Beschreibung des Verhältnisses die Rede sein könnte.

2.3.2.3 Wechselseitige Abhängigkeiten: Interdependenz-Modell, Supersystem, Symbiose

Die Synthese beider Ansichten - nicht ihre jeweilige Ablehnung (vgl. Tenscher 2003: 51) - bildet das Inter- dependenz-Modell mit dem Hinweis auf die gegenseitige Abhängigkeit der Systeme Politik und Medien. Es integriert die oben skizzierten Einflussmöglichkeiten beider Seiten und weist weder der Politik noch den Medien eine dominante Rolle zu. Vielmehr wird überzeugend berücksichtigt, dass beiden Systemen eigene Rationalitäten und Logiken innewohnen, die zur Aufrechterhaltung der jeweiligen funktionalen Identität bei- tragen, Irritationen und Resonanzen durch übrige Systeme aber nicht ausschließen (vgl. Marcinkowski 1994: 61, ebenso Altmeppen/Löffelholz 1998b: 99). So überwiegt denn heute in der Kommunikationswissenschaft diese Ansicht bei weitem, und auch Oberreuter hat erkannt, dass sich auf der allzu einseitigen Dependenz- these, die den Massenmedien in der Beziehung zur Politik die Übermacht zuschreibt, nicht mehr beharren lässt. Er stellt inzwischen auch fest, dass sich Politiker den Medienzwängen anpassen und durch die Aus- nutzung der Eigengesetzlichkeiten der Massenkommunikationsmittel im Gegenzeug die Medien zu instru- mentalisieren beginnen. „Politik und Medien machen sich wechselseitig zu Opfern.“ (Oberreuter 1989: 25) Ebenso, wenngleich differenzierter, urteilen Saxer und Jarren. Sie deuten das Verhältnis zwischen Medien und Politik sehr viel mehr unter mikroanalytischem Blickwinkel. Zwischen den Angehörigen beider Systeme vollziehe sich eine komplexe Interaktion; beide seien in einer funktional notwendigen Tauschbeziehung auf- einander angewiesen. Auf der einen Seite benötige die Politik zur Entscheidungsfindung und Legitimation die gesellschaftlichen Forderungen und Unterstützungen, die, wie bereits erläutert, im Wesentlichen durch Medien vermittelt werden. Andererseits sind die Massenkommunikationsmittel auf Informationen aus dem politischen System angewiesen. „Politik und Publizistik stehen mit anderen Worten in einem [dauerhaften] gegenseitigen Problemlösungs-, freilich auch -schaffungszusammenhang [...]“ (Saxer 1981: 502; vgl. insbes. auch Sarcinelli 1994a: 39, Neidhardt 1994: 15, Langguth 200033 ). In diesem Zusammenhang wird nicht verschwiegen, dass diese Kommunikationsgemeinschaft auch eine Gefahr in sich birgt:

„Das Mediensystem wandelt sich immer mehr zu einem umfassenden Kommunikationssystem, und dieses Kommunikationssystem wächst mit dem politischen System und anderen gesellschaftlichen Systemen an zahlreichen Berührungsflächen zusammen. Die Unterscheidung zwischen administrativen und journalistischen Rollen wird in diesen Überlappungsbereichen kaum noch möglich sein.“ (Ronneberger 1983: 502)

Dies gleicht im Wesentlichen der überspitzten Aussage des Hauptstadtkorrespondenten Richard Meng, der in den Journalisten allenfalls noch den medialen Flügel der politischen Klasse zu erkennen meint (2002: 14). Und so muss denn auch die Warnung Plassers (1985: 15) oder die äußerst gewagte Festlegung Stöcklers (1992: 95, 272f.) zumindest zur Kenntnis genommen werden, der fortschreitende Distanzabbau zwischen Politik und Medien könne letztlich zur Verschmelzung zu einem politisch-technokratischen Super- system führen, wodurch das Prinzip der Gewaltenteilung und wechselseitigen Kontrolle in Frage gestellt werde.34 Jene Annahme schließlich ließe es legitim erscheinen, die Beziehung zwischen Politik und Medien im Vorfeld der Verschmelzung als symbiotisches Verhältnis zu beschreiben. Diese Wortwahl trifft Miller, definiert Symbiose als das enge Zusammenleben zweier unterschiedlicher Organismen in einem Verhältnis zum gegenseitigen Nutzen und schreibt: „It would be difficult to find a more accurate description of the bond between some Washington officials and reporters.” (Miller 1978: 1) Auch Sarcinelli (1987: 220, 1991: 477f.), Saxer (1992: 94f.) und der Leiter des Ressorts Innenpolitik der S ü ddeutschen Zeitung, Heribert Prantl (o. J.) greifen den Begriff aus dem Tierreich auf und lassen hierdurch allzu sehr den Verdacht aufkommen, es handele sich um eine im Einklang beider Systeme befriedete Beziehung ohne größeres Konfliktpotential.

Zwar mag an dieser Stelle noch dahinstehen, wie empfänglich das Tauschverhältnis Publizit ä t gegen Infor- mation im Falle von Journalisten und Politikern für Konflikte ist. Gleichwohl verdient die Tatsache Erwäh- nung, dass die Weitergabe von Informationen an Journalisten anderen Akteuren des politischen Systems und bisweilen auch denselben Politikern, welche sich als Auskunftsquelle betätigten, schon manches Mal geschadet hat.35 Der Madenpicker auf dem Nashorn, den Prantl (o. J.) bemüht, um seine Charakterisierung des Verhältnisses von Politik und Medien zu untermauern, kann unter Umständen das Nashorn gehörig zwicken. Deswegen erweist sich der Symbiose-Begriff als eher hinderlich, zumal er dazu beitragen könnte auszublenden, dass politische und journalistische Akteure jeweils vor nicht übereinstimmenden System- hintergründen und unter dem Eindruck verschiedener Handlungsorientierungen interagieren: Die Angehörigen beider Akteursgruppen erfüllen jeweils unterschiedliche Rollen36 oder bilden ebensolche aus. Und sie verfolgen unterschiedliche Ziele; während Politiker ihre Machtstellung zu verfestigen oder auszu- bauen trachten, geht es Journalisten um den Zugang zu Exklusiv-Informationen, der ihre Stellung innerhalb der Redaktion oder beim Publikum zu verbessern hilft (vgl. Jarren/Röttger 1999: 207, ebenso Ronneberger 1983: 499). Außerdem kann der These, Politik und Medien fügten sich zu einem Supersystem zusammen, entgegengehalten werden, dass sich politisches Handeln - gerade in den Arkanbereichen des politischen Systems wie beispielsweise vertraulichen Lagebesprechungen - nicht immer auf Medien bezieht; ebenso wenig sind die Medien auf die Politik als Berichterstattungsobjekt festgelegt und verbindlich angewiesen.

Vor dem Hintergrund jener Überlegungen ist es sinnvoll, die Beziehung zwischen Politik und Medien weder als Symbiose zu deuten noch einen Verschmelzungsprozess zu einem Supersystem zu konstatieren. Bislang - demnach ohne Einbeziehung der in Kapitel 3 einer näheren Betrachtung zu unterziehenden Wandlungs- prozesse in Politik- und Mediensystem - muss davon ausgegangen werden, dass sich die Akteure beider Systeme und somit die Systeme selbst in einem interdependenten Abhängigkeitsverhältnis befinden. Dabei leuchtet das Interdependenz-Modell auch gerade deswegen ein, weil es stärker als andere Erklä- rungsansätze ebenso die im Zentrum der vorliegenden Studie stehende Mikroebene des politisch-medialen Beziehungsgeflechts berücksichtigt.

2.3.3 Öffentliche Kommunikation über Politik als Vermittlungsleistung

Wie bereits mehrfach erwähnt, generiert und legitimiert sich staatliche Macht in demokratischen Staaten einerseits durch das Votum des Volkes mittels Wahlen, andererseits bedarf die Herstellung allgemein- verbindlicher Entscheidungen durch das politische System der Begründung. Die Akteure des politisch- administrativen Bereichs stehen somit unter permanentem Darstellungs- und Rechtfertigungsdruck. Zudem muss ihnen, sollen künftig (weiterhin) die eigenen Ansichten bezüglich staatlichen Handelns realisiert werden, daran gelegen sein, Stimmungen und Ansichten innerhalb der Gesellschaft aufzugreifen. Dies dient nicht zu- letzt dazu, den Bürgern zu signalisieren, ihre Ansprüche und Erwartungen an das politische System (siehe Input-Output-Modell; S. 9) ernst zu nehmen und umsetzen zu wollen. Demnach handelt es sich bei der kommunikativen Vermittlung politischer Ziele und Inhalte durch Regierung, Parteien, Opposition usw. (vgl. hierzu Gebauer 1998, Wiesendahl 1998, Steffani 1998) um einen wesentlichen Bestandteil moderner Demokratien. Aus diesen Informationen speist sich wiederum die Entscheidungsfähigkeit der Bevölkerung. „Prozesse politischer Informierung von Bürgern betreffen die Vermittlung von Bedeutungsinhalten, die zu entscheidungsrelevanten Aspekten aktueller politischer Konstellation aussagekräftig sind.“ (Schmitt-Beck 2000: 34) Zur Gewährleistung all dessen, wegen des ständigen Wettbewerbs, in dem die politischen Akteure stehen, und aufgrund der Selbstverständlichkeit, mit der politisches Handeln heute auch als mediale Kommunikationsaufgabe verstanden werde (vgl. Meng 2002: 14), wartet die Politik mit eigenen Kommuni- kationsleistungen auf; diese Output-Seite politischer Public Relations 37 erlangt ihre Bedeutung aber auch des- wegen, weil die gewachsene Eigenständigkeit des Mediensystems gegenüber der Politik38 eine Professionali- sierung und Intensivierung kommunikativ vermittelnden Handelns des politischen Bereichs und seiner Sub- systeme unerlässlich gemacht hat.

Im Hinblick auf die eigene Untersuchung des Verhältnisses der drei Akteursgruppen (Politiker, Hauptstadt- korrespondenten und in der politischen Öffentlichkeitsarbeit Tätige) sollen im folgenden Kapitel die Funktio- nen, Möglichkeiten und Instrumente politischer Öffentlichkeitsarbeit näher beleuchtet werden. Hierzu ist es wiederum nötig, Begriffe ab- und klar einzugrenzen und bisher auf wissenschaftlicher Grundlage hergeleitete Definitionen kritisch zu hinterfragen. Unter Einbeziehung fortlaufender Wandlungsprozesse in Gesellschaft und Mediensystem (siehe Kapitel 3.1 sowie 3.2) wird die Funktionsweise politischer Öffentlichkeitsarbeit sowie deren Bedeutung für Politik und Medien später zu einem erneuten Versuch der theoretischen Charakterisierung des Verhältnisses zwischen politischem und journalistischem System geleiten.

2.3.4 Politische Öffentlichkeitsarbeit

Um sich dem Begriff der politischen Ö ffentlichkeitsarbeit verständlich anzunähern, muss es als Notwendigkeit erachtet werden, zunächst eine Einordnung unterschiedlicher Typen öffentlicher Kommunikation über Politik vorzunehmen. Dabei haben die jeweiligen Kommunikationsprozesse ihren Ursprung auf den verschiedenen Akteursebenen - Institutionen und Personen des politischen Systems auf der einen sowie übrige Akteure auf der anderen Seite. Stellenwert für die Analyse öffentlicher Kommunikation über Politik von Seiten der Politik selbst erlangen vier Ausprägungen: (1) direkte, interpersonale Kommunikation über Politik in Gestalt politi- scher Gespräche, in Form von Parteiveranstaltungen, Lobbyarbeit an den Schnittstellen zwischen Politik und Wirtschaft, aber auch innerparteilicher oder innerinstitutioneller Kommunikation, (2) politische Bericht- erstattung, die sich durch das Zusammenspiel von Politik und Medien ergibt, das Gegenstand der vorliegen- den Studie ist, (3) politische Werbung, die vor allem in Wahlkämpfen zutage tritt und in erster Linie als Ein- wegkommunikation in Richtung der Adressaten verläuft und (4) politische Öffentlichkeitsarbeit. (Vgl. Bentele 1998: 131ff., insbes. auch Tenscher 2003: 7739 )

Eine Definition des letztgenannten Strangs öffentlicher Kommunikation über Politik gestaltet sich insofern schwierig, als gerade die Vielfalt dessen, wodurch sich politische Öffentlichkeitsarbeit auszeichnet, beträcht- lich ist. Um normative Festlegungen zu vermeiden, ist es ratsam, sich anders als Paulis-Balleis (1987)40 und Rossmann (1993: 85) im Zuge der Begriffsbestimmung von möglichen Inhalten und Zielen politischer Öffentlichkeitsarbeit zu lösen, vielmehr deskriptiv vorzugehen und sich den Akteuren zuzuwenden. Dem- gemäß fällt Bergsdorfs Beschreibung aus, der in Bezug auf die Außendarstellung der Bundesregierung die Ansicht vertritt, unter politischer Öffentlichkeitsarbeit werde der „Aufbau von Beziehungen zwischen dem Auftraggeber oder Kommunikator einerseits [...] und dem Adressaten andererseits“ (1989: 256) verstanden. Allerdings bleibt diese Definition deswegen unbefriedigend, weil ihr die Unterscheidung zwischen aktueller Informations- bzw. Pressepolitik und nicht-aktueller, auf Längerfristigkeit angelegter Öffentlichkeitsarbeit als Basis dient (vgl. ebd.: 258). Informationspolitik wäre daher eher als spezielle Ausprägung politischer Öffent- lichkeitsarbeit zu verstehen, die sich primär über die Medien an die anderen Öffentlichkeiten richtet.

Allumfassender ist hingegen Ronneberger, der auch die gesamtgesellschaftliche Funktion politischer Öffent- lichkeitsarbeit hervorhebt. Er charakterisiert sie als - eben auch für die Gesamtgesellschaft bedeutsames - politisches Handeln politischer Institutionen und Organisationen, bei dem dieses „mit PR-Rollen zusammen- trifft, bzw. von PR-Rollen mitbestimmt, modifiziert und geleitet wird“ (Ronneberger 1978: 3). Sein Ansatz trägt in überzeugender Weise dem Umstand Rechnung, dass politische Öffentlichkeitsarbeit nicht losgelöst von den im politischen System angesiedelten Initiatoren der Kommunikationsleistungen gesehen werden kann. Der hier favorisierte Erklärungsversuch tut dies ebenso, bezieht aber übrige Systeme mit ein, wenn, wie zu Beginn dieses Kapitels ausgeführt, politische Öffentlichkeitsarbeit als „Teil eines Kommunikations- managements politischer Institutionen und Akteure mit ihren externen und internen Umwelten“ (vgl. Bentele 1998: 130) beschrieben wird. Freilich verlangt diese vorsichtige Einordnung politischer Öffentlichkeitsarbeit als Subsystem der Politik (vgl. insbes. Brosda/Schicha 2002: 47f.; ebenso Jarren/Donges 2002b: 134ff.) eine nähere Betrachtung hinsichtlich der Funktionen und auch des Instrumentariums. Während die Frage nach den Akteursrollen politischer Öffentlichkeitsarbeit erst in Kapitel 4.1.3, das sich der Handlungsebene widmet, beantwortet werden soll, wird im Folgenden überdies auf systemtheoretische Erklärungsversuche des Verhältnisses zwischen journalistischem System und politischer Öffentlichkeitsarbeit einzugehen sein.

2.3.4.1 Funktionen

Die wesentliche Aufgabe politischer Öffentlichkeitsarbeit besteht darin, an der Schnittstelle zwischen Politik- und Mediensystem Themen und Themeninterpretationen für die öffentliche Kommunikation her- und bereit- zustellen sowie den Zeitpunkt der Veröffentlichung zu kontrollieren. Dies lässt sich unter den beiden Schlag- worten des Agenda-Settings sowie des Agenda-Buildings (vgl. Schönbach 1992: 328) zusammenfassen. So sammeln, produzieren und formulieren Akteure politischer Öffentlichkeitsarbeit politische Themen und entscheiden in Absprache mit den Politikern darüber, welche Angelegenheiten wann und in welcher Form relevant und demnach veröffentlichungswürdig sind oder nicht. Mit jener Thematisierungsfunktion politischer Öffentlichkeitsarbeit, in der die Kommunikationsbeziehungen zwischen Politik und Medien gleichsam institutionalisiert sind (vgl. Pfetsch 2003: 40), geht ferner die Aufgabe einher, den Auftraggebern durch Interpretationen und Bewertungen zu Positionsgewinnen zu verhelfen: „Ziel dabei ist, die Person, Organisation oder Institution, für die Öffentlichkeitsarbeit betrieben wird, als kompetent für oder zumindest besorgt um die Probleme darzustellen. Letztlich handelt es sich dabei natürlich wieder um den Versuch, Images zu beeinflussen.“ (Ebd.: 328) Hierdurch wird ersichtlich, dass sich politische Öffentlichkeitsarbeit auch am Anspruch messen lassen muss, vor dem Hintergrund der spezifischen Handlungsrationalität des politischen Systems, des Erringens von Mehrheiten, langfristig41 persuasiv zu wirken, um letztlich Zustimmung zu erzeugen bzw. zu optimieren (vgl. Paulis-Balleis 1987: 25, Fn. 40; ebenso Gerhards 1994: 99). Zu- sammenfassend lässt sich Rolke zustimmen, der schreibt:

„Aus der reaktiven Rolle des PR-Managers ist eine proaktive Rolle geworden. Im harten Wettbewerb um das knappe Gut Aufmerksamkeit können es die exponierten Akteure der Gesellschaft nicht mehr dem Zufall überlassen, welche Issues, Images und Reputationen wahrgenommen werden. Informationsprozesse müssen mit oder auch mal ohne die Medien gestaltet, gelenkt und entwickelt werden. Dazu bedarf es professioneller Mittler, die im Sinne einer übergeordneten Ziel- setzung (strategische Ebene) Medienberichterstattung zu beeinflussen suchen (Determination) (...).“ (1999: 440f.)

Diesbezüglich kommt politischer Öffentlichkeitsarbeit der Produktionsdruck der Medien (siehe Kapitel 3.2 und seine Untergliederungen) entgegen, denn die Chance der unbearbeiteten Übernahme von PR-Material kann als desto größer erachtet werden, je geringer die wirtschaftlichen und personellen Ressourcen eines Mediums sind (vgl. Saxer 1993: 16). Klar ist aber auch, dass sich politische Öffentlichkeitsarbeit nicht nur an die Medien richtet und ihre Funktion im Issues Management besteht. Zu ihren Aufgaben zählt ebenso die aktive Gestaltung der Kommunikation innerhalb des politischen Systems und der Beziehungen zu Organi- sationen, die für die interne und externe politische Arbeit bedeutsam sein können. (Vgl. Jarren/Donges 2002b: 98)

2.3.4.2 Methoden

Das Instrumentarium, das politischer Öffentlichkeitsarbeit dabei zur Verfügung steht, ist ebenso vielschichtig wie sie selbst. In Abgrenzung zu politischer Werbung als ebenfalls vorhandenem Mittel, um öffentliche Kommunikation über Politik etwa durch Anzeigen und Spots herzustellen bzw. anzuregen, muss zunächst je- doch darauf hingewiesen werden, dass politische Öffentlichkeitsarbeit bei der Wahl ihrer Methoden in der Regel auf unentgeltliche Kommunikation zurückgreift. Informationen und Themen, aber auch Personen wer- den dem Mediensystem zur freien Verfügung angeboten und eben nicht oktroyiert. Um bei aller Unwäg- barkeit dieses Unterfangens einen gewissen Erfolgsgrad sicherzustellen, ist gleichwohl in Betracht zu ziehen, dass sich die Kommunikationsangebote in besonderer Weise der Logik der Medien angleichen und unter- werfen. (Vgl. Bentele 1998: 139f., ebenso Pfetsch 2003: 40f.) Beispielhaft hierfür sind Pressemitteilungen, die sich in der Art und Weise ihrer Formulierung im Idealfall daran orientieren, wie Nachrichten in Fern- sehen, Hörfunk oder Printmedien dem Publikum dargereicht werden. Zu denken wäre außerdem an die Erarbeitung von Presseinformationen, -konferenzen, -fotos, Statements und Leserbriefen sowie die Bearbei- tung von Interviews bzw. die Mitwirkung an deren Zustandekommen. Bentele (1998: 140) führt neben direk- ten Formen der Kommunikation wie Gesprächen und Vorträgen PR-Medien (unter anderem Folder, Broschüren, Newsletter, Zeitschriften) und spezialisierte PR-Verfahren (beispielsweise Pressegespräche, Präsentationen und sogenannte Events) an, mit denen Aufmerksamkeit und bestenfalls Resonanz im System der Massenkommunikationsmittel generiert werden sollen.

Wesentlicher als jene Auflistung erscheint jedoch die Unterteilung der verschiedenen Ausdrucksformen, die Bentele vornimmt: Er differenziert zwischen spontaner, routinisierter sowie politischer Öffentlichkeitsarbeit auf der Grundlage strategischer Planung. In diesem Zusammenhang wird auch festgestellt, die Branche professioneller politischer Öffentlichkeitsarbeit beklage häufig selbst einen Mangel an durchdachtem, auch an längerfristigen Zielen orientiertem Denken. (Vgl. ebd.: 140) Diese nur aufgegriffene Diagnose soll an dieser Stelle unwidersprochen bleiben, zumal anhand der in Kapitel 6 zu erörternden Untersuchungen eigene Befunde dargelegt werden.

2.3.4.3 Exkurs: Deutungsversuche zum Verhältnis von Öffentlichkeitsarbeit und Medien

Politische Öffentlichkeitsarbeit wird nach der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht nicht als eigenständiges gesellschaftliches Funktionssystem, sondern als Subsystem der Politik betrachtet. Die Beschreibung des Verhältnisses zwischen politischer PR und Journalismus findet sich demnach im Beziehungsmodell von Politik und Medien wieder. Dennoch ist ein Exkurs in die Darlegung des Verhältnisses zwischen Journalismus und PR-System nötig. Denn die Frage nach dem Einfluss von Öffentlichkeitsarbeit und der Austauschverhältnisse zwischen ihr und dem journalistischen System stellt sich vor allem dann, wenn man bedenkt, dass Public Relations, wie auch Tenscher (2003: 91) meint, in erster Linie der strukturellen und prozessualen Beobachtung der Medien und anderer relevanter Akteure des gesellschaftlichen Umfeldes dienen, und man ferner ausdrücklich ihre Aufgabe, steuernd tätig zu werden, hervorhebt. Die Beantwortung der Frage erfolgt auf ganz unterschiedliche Weise und jeweils vor dem Hintergrund verschiedener Untersuchungsergebnisse und theoretischer Ansätze.

2.3.4.3.1 Determinationsansatz

Als eine der ersten Analysen zum Verhältnis zwischen (in diesem Fall explizit politischer) Öffentlichkeitsarbeit und journalistischem System kann die von Baerns (1991) vorgelegte und in Kapitel 2.3.2.2 bereits erwähnte Studie gelten. Anhand einer Untersuchung des Zusammenhangs zwischen tagesaktueller Berichterstattung zur nordrhein-westfälischen Landespolitik und Kommunikationsangeboten politischer Öffentlichkeitsarbeit gelangt sie zu der Ansicht, publizistische Aussagen würden weitgehend von Öffentlichkeitsarbeit dominiert.42 Die Initiative der Journalisten zur eigenen Themenrecherche stuft sie dahingehend „vernachlässigbar gering“ (Baerns 1991: 88) ein. So darf es nicht verwundern, wenn Matthias Scheeben, Chef einer Agentur für Öffentlichkeitsarbeit, auf die Frage, wie viel Prozent der Berichterstattung beispielsweise der Wirtschaftszeitung Handelsblatt übrig bliebe, falls der Input der als Öffentlichkeitsarbeiter Tätigen43 eingestellt werde, selbstbewusst antwortet: „Nur der Kopf von Seite 1.“ (Zit. nach Merten 1999: 409)

Dabei decken sich Scheebens Ansicht und Baerns’ Bilanz in etwa mit Schlussfolgerungen, die andere auf der Grundlage von Untersuchung ziehen, die nicht nur auf politische Öffentlichkeitsarbeit ausgerichtet sind. So hält Rossmann als Ergebnis seiner Studie zum Einfluss der Kommunikationsangebote seitens Greenpeace auf Umweltjournalismus fest, dass „die Kontrolle über die Themen der Berichterstattung nicht bei den Journalisten liegt. Stattdessen gelingt es Greenpeace [im Original nicht kursiv; Anm. d. Verf.], nach Maß- gabe eigener Arbeitsschwerpunkte ausgewählte Umweltprobleme zu öffentlichen Themen zu machen“ (Rossmann 1993: 93). Vergleichbare Befunde fördern auch Fröhlich (1992) hinsichtlich der Berichterstattung lokaler Tageszeitungen44 sowie Barth und Donsbach (1992) wie Rossmann in Bezug auf Umweltthemen zutage.

Kritisch muss jedoch erwähnt werden, dass die Analyse Barths und Donsbachs daran krankt, dass unter anderem die Frage nicht als Variable berücksichtigt wurde, ob eine Botschaft, die mittels Öffentlichkeitsarbeit Eingang in die Medienberichterstattung findet oder nicht, bereits thematisiert wurde oder ob es sich um eine neue Information handelt (vgl. Barth/Donsbach 1992: 163). Zusätzlich wird, wie bei Baerns, der Fehler be- gangen, nur den Einfluss von Seiten der Öffentlichkeitsarbeit auf die Medien zu untersuchen; die umgekehrte Einflussrichtung bleibt unbeachtet. Fröhlich immerhin merkt trotz vorgelegter Ergebnisse selbstkritisch an, die Parallelität zwischen dem von Abteilungen der Öffentlichkeitsarbeit angebotenem Material und der letzt- endlichen Berichterstattung könne auch als „,Gemeinschaftswerk’ von PR und Presse“ (Fröhlich 1992: 46) verstanden werden, weshalb die entscheidende Frage Wer determiniert wen? nicht zu beantworten sei.

2.3.4.3.2 Intereffikationsmodell

Dieser Erwägung hingegen räumen Bentele, Liebert und Seeling hohen Stellenwert ein. Unter sehr verengen- dem handlungstheoretischen Blickwinkel charakterisieren sie das Verhältnis von PR-System und Medien als „komplexes Verhältnis eines gegenseitig vorhandenen Einflusses, einer gegenseitigen Orientierung und einer gegenseitigen Abh ä ngigkeit 45 zwischen zwei relativ autonomen Systemen. Die Kommunikationsleistungen jeder Seite sind nur m ö glich, weil die jeweils andere Seite existiert und mehr oder weniger bereitwillig ,mitspielt’ [im Original ebenfalls kursiv; Anm. d. Verf.].“ (Bentele/Liebert/Seeling 1997: 249) Dieses differenziertere Theoriemodell mit seinen reziproken Einflussbeziehungen wird anschließend unter dem Schlagwort der „Intereffikation“ (ebd.: 249), der gegenseitigen Ermöglichung46, erläutert.

Demnach ist zwischen - jeweils wechselseitigen - beabsichtigten, zielgerichteten, als Induktionen be- zeichneten Kommunikationsanre- gungen oder -einflüssen sowie kommunikativem und organisatori- schen Anpassungshandlungen, sog. Adaptionen, zu unterscheiden.47 Beide gründen auf Erwartungen und Erfahrungen der Akteure der jeweili- gen Systeme; während sich erst genannte in Medienresonanzen niederschlagen, wie sie in obig angeführten Studien von Baerns, Barth und Donsbach sowie Fröhlich untersucht wurden, sind letztere als Handlungsorientierungen an den sozialen Gegebenheiten der jeweils anderen Seite zu verstehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.3: Beziehung zwischen dem System der Öffentlichkeitsarbeit undjournalistischem System - doppeltes und gleichzeitig duales Intereffikationsmodellnach Bentele/Liebert/Seeling (1997: 242).

Aufgeschlüsselt nach den jeweiligen Systemen lassen sich folgende Induktions- bzw. Adaptionsleistungen erkennen: Von Seiten der Öffentlichkeitsarbeit tragen Themensetzung und -generierung (Agenda-Setting, Agenda-Buildung; siehe Kapitel 2.3.3.1), sowie die Bestimmung des Zeitpunktes der Informationsfreigabe, aber eben auch die mit den Themen verknüpfte Bewertung mit dem Ziel des Positionsgewinns zur Induktion bei. Dabei besteht die Adaptionsleistung darin, sich den Regeln und Routinen des Journalismus anzupassen bzw. - noch weitergehend - zu unterwerfen.

Die Medien wiederum verfügen aufgrund der Selektion der Informationsangebote, ihrer Entscheidungsgewalt darüber, wie sie Informationen gewichten und gegebenenfalls durch Anreicherung mit weiteren Hintergrün- den verändern, und durch journalistisches Agenda-Setting über eigene Einflüsse auf die Kommunikation zwischen ihnen und dem System der Öffentlichkeitsarbeit. Adaptionen lassen sich verzeichnen, indem sich Medien unter Umständen nach den organisatorischen, sachlich-thematischen und zeitlichen Vorgaben des PR-Systems richten.

Anders als im Schaubild dieser Beziehung (siehe Grafik der vorherigen Seiten), die wegen ihrer Symmetrie den Anschein erweckt, Adaptionen und Induktionen stünden im Gleichgewicht, ist jedoch nicht davon auszu- gehen, dass den Anpassungsprozessen des einen Systems gleichstark ausgeprägte Kommunikationseinflüsse des anderen gegenüberstehen. Ebenso ist Benteles, Lieberts und Seelings Einsicht festzuhalten, die Adaptionsleistungen des einen seien mit den Induktionsleistungen des anderen Systems nicht deckungsgleich. Vielmehr bedingen sich Adaptionen und Induktionen, wie durch Doppelpfeile kenntlich gemacht, auf jeder Seite wiederum selbst. (Vgl. Bentele/Liebert/Seeling 1997: 240f.) Das so skizzierte Modell, dem es bisher an empirischer Unterfütterung mangelt (vgl. Schantel 2000: 70ff.), bezieht anders als im Rahmen zahlreicher Medienresonanzanalysen auch die journalistische Seite und ihre Adaptions- und Induktionsleistungen ein. Trotzdem kann es, wie nachfolgend zu beschreiben, nur schwerlich überzeugen.

2.3.4.3.3 Interpenetrationsmodell

Denn die Grundannahme, Maßnahmen des Systems der Öffentlichkeitsarbeit fänden mittels Induktionen unter Umständen einen direkten Niederschlag im Mediensystem, ist zwar dann nachvollziehbar, wenn man die Beziehung unter handlungstheoretischer Perspektive betrachtet. Der Systemtheorie aber und ihrer Prämisse, soziale Systeme seien autopoietisch und allenfalls Irritationen anderer Systeme ausgesetzt, wird das allzu kausal begründete Intereffikationsmodell nicht gerecht.

Trotz jener Vorbedingung der operativen Geschlossenheit von Systemen kann jedoch auch die Systemtheorie einen Erklärungsansatz zum Verhältnis von journalistischem System und dem System der Öffentlichkeitsarbeit liefern - und dies mit Hilfe des Interpenetrationsmodells. So nimmt Luhmann eine Penetration dann an, „wenn ein System die eigene Komplexität [...] zum Aufbau eines anderen Systems zur Verf ü gung stellt [im Original ebenfalls kursiv; Anm. des Verf.]“ (1988: 290). Interpenetration definiert er dementsprechend als die wechselseitige Gegebenheit der Penetration, „wenn also beide Systeme sich wechselseitig dadurch ermöglichen, dass sie in das jeweils andere ihre vorkonstituierte Eigenkomplexität einbringen“ (ebd.: 290; vgl. ebenso Fuchs 1992: 182). Den Unterschied zum Intereffikationsmodell, der durch Luhmanns Verwen- dung des Wortes erm ö glichen kaum deutlich wird, kommt dabei durch andere zur Sprache: Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit stellen sich, so Löffelholz in konkretem Bezug auf beider Verhältnis, ihre Strukturen wechselseitig zur Verfügung, um strukturelle Kopplungen zu ermöglichen, ohne die eigene Systemlogik aufzugeben. Seine nähere Begründung:

„Sie privilegieren sich gegenseitig, weil sie füreinander zwar Umwelt repräsentieren, aber in besonderer Weise voneinander profitieren. Bezug aufeinander nehmen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit, indem sie sich beobachten. [...] Da der Journalismus und die Öffentlichkeitsarbeit ihre Umwelt nur selbstreferentiell beobachten können, kommuniziert der Journalismus dabei nicht mit seiner Umwelt, etwa der Öffentlichkeitsarbeit, sondern beobachtet diese, indem er über sie kommuniziert. Wegen dieser beobachterabhängigen Konstruktion bleibt die Referenz der Beobachtung der Beobachter. So gelingt es dem Journalismus, Fremdreferenz einzubeziehen, also Offenheit zu erzeugen, obwohl er selbstreferentiell arbeitet und operativ geschlossen ist.“ (Löffelholz 2000: 196)

Auf diese Weise glückt es Löffelholz, aber auch Scholl und Weischenberg (1998: 133) sowie Szyszka (1997: 222), die auf eine Win-Win-Situation mit gegenseitiger Abhängigkeit ebenso wie gegenseitiger Vorteilsge- winnung hinweisen, nachvollziehbar, in das Verhältnis zwischen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit das Gemeinschaftswerk beider zu integrieren und handlungstheoretisch erfassbare Merkmale aufzugreifen.

Gleichfalls vermeidet Löffelholz gekonnt den Rückgriff auf kausale Kommunikationsprozesse, die der systemtheoretisch begründeten Autopoiesis sozialer Systeme zuwiderliefe.

Da allerdings, wie einleitend angemerkt, politische Öffentlichkeit als Subsystem der Politik aufgefasst wird, kann die Modellierung eines Beziehungsmodells von politischer PR und journalistischem System dahinstehen. Beider Austauschbeziehungen finden ihren Niederschlag in der Beschreibung des Verhältnisses von Politik und Medien in Kapitel 3.5. Indem es die Erfahrungen und Einschätzungen von Praktikern politischer Öffent- lichkeitsarbeit sowie jene von Medienakteuren in die eigene Untersuchung einzubeziehen und ebenso den Systemkontext zu berücksichtigen gilt, ist es allerdings sinnvoll, das Gedankengerüst des Interpenetrations- modells zur vorübergehenden und zu überprüfenden Grundlage späterer Überlegungen zu machen.

2.4 Zwischenfazit

Die in diesem Oberkapitel dargelegten Gedankenmodelle zu Politik, Medien und Öffentlichkeit sowie die theoretisch fundierte Betrachtung deren Verhältnis zueinander belegen trotz unterschiedlichster Deutungen, dass politisches und journalistisches System eng miteinander verknüpft sind. Das Bindeglied zwischen beiden bildet öffentliche Kommunikation über Politik (politische Kommunikation; siehe Fn. 25), die nicht nur, aber vor allem durch Medien hergestellt wird.

Im Widerspruch zu Saxer (vgl. 1998a: 25) wird öffentliche Kommunikation über Politik, wie in Kapitel 2.1 und 2.2 deutlich gemacht, allerdings nicht derart weitgehend gedeutet, sie als Politik selbst zu definieren. Vielmehr handelt es sich bei ihr - auf der Grundlage einer Verbindung von öffentlicher Kommunikation über Politik und des Mehrebenensystems der Öffentlichkeit - um die operative Dimension des Politischen, die aus Marcinkowskis Überlegungen und Grafik (S. 11) ersichtlich wird.

Hierzu tragen die Massenmedien, wie in Kapitel 2.3.1 ausgeführt, einen wesentlichen Teil bei. Ihre explizit politische Funktion besteht unstreitig darin, das Publikum über politische Geschehnisse und die Auffassungen der politischen Akteure zu informieren, ihm dadurch Orientierung zu geben, selbst Themen in die Öffentlich- keit einzubringen sowie Kritik und Kontrolle - in welchem Ausmaß auch immer - auszuüben. In Anbetracht der Bedeutung der Medien für den politischen Prozess wurden in Kapitel 2.3.2 und seinen Untergliederungen die verschiedenen, systemtheoretisch geprägten Modelle zur Erläuterung der Beziehung zwischen politischem und journalistischem System dargelegt. Dabei konnte festgestellt werden, dass in der Wissenschaft eine Abkehr vom allzu starren Autonomie-Ansatz, der betont normativ von einer Distanz beider Systeme ausgeht, zu verzeichnen ist (Kapitel 2.3.2.1). Auch die Ansicht, Politik und Medien befänden sich im Verhältnis von Unter- und Überordnung, konnte - unabhängig von der Frage, wer wen dominiert oder gar steuert - zumindest theoretisch und deswegen vorübergehend widerlegt werden (Kapitel 2.3.2.2). Dies vor allem unter systemtheoretisch gestütztem Hinweis darauf, dass Systeme Selbstreferentialität aufweisen, sich allenfalls strukturell zu koppeln vermögen und deshalb keineswegs von Steuerung gesprochen werden kann.

Die sich in Kapitel 2.3.2.3 anschließenden Ausführungen zur Interdependenz zwischen Politik und Medien folgten dem Gesichtspunkt zu verzeichnender wechselseitiger Abhängigkeiten. Jene, so konnte gleichfalls begründet werden, geleitet aber weder zu der Unterstellung, beide Systeme befänden sich im Prozess der Verschmelzung zu einem politisch-medialen Supersystem, noch untermauert sie das gedankliche Bild, beide gingen eine Symbiose ein. Auf der Annahme fußend, dass zwischen Politik und Medien ein interdependentes Abhängigkeitsverhältnis besteht, wurde in Kapitel 2.3.3 und seinen Untergliederungen abschließend die Bedeutung öffentlicher Kommunikation über Politik als Vermittlungsleistung verdeutlicht. In diesem Zu- sammenhang konnte auf den hohen Stellenwert politischer Öffentlichkeitsarbeit als Teil eines Kommunika- tionsmanagements politischer Akteure und Institutionen mit ihren externen und internen Umwelten sowie ihres Verhältnisses zum Journalismus eingegangen werden. Dabei wurde ersichtlich, dass unter Zuhilfenahme eines mannigfaltigen Instrumentariums (Kapitel 2.3.3.2) die Aufgabe politischer Öffentlichkeitsarbeit darin zu sehen ist, zur Erzielung von Resonanz im Mediensystem Agenda-Setting und -Building zu betreiben und darüber hinaus persuasiv zu wirken, um Positionsgewinne für ihre Initiatoren zu erzielen. In Bezug darauf, wie sich die Beziehungen zwischen Öffentlichkeitsarbeit und journalistischem System gestalten, konnte im Exkurs von Kapitel 2.3.4.3 und seinen Untergliederungen - anders als durch meist medienresonanzanalytische Untersuchungen belegt - die Meinung verneint werden, das Mediensystem ließe sich von PR-Maßnahmen determinieren. Auch die handlungstheoretisch geprägte Ansicht, Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit befänden sich mittels wechselseitiger Induktions- und Adaptionsleistungen im Verhältnis gegenseitiger Ermöglichung (Intereffikation), konnte letzte Zweifel nicht ausräumen; dies vor allem deswegen, weil jene Argumentation vom unter Umständen kausalen Zusammenhang der kommunikativen Prozesse zwischen bei- den Systemen ausgeht. Die Autopoiesis sozialer Systeme als Grundannahme der Systemtheorie wahrt hin- gegen die von Löffelholz entworfene Interpenetrationsbeziehung. Demgemäß stellen sich Journalismus und das System der Öffentlichkeitsarbeit ihre Strukturen wechselseitig zur Verfügung, sind damit - unter Ein- schränkungen (siehe Fn. 45) - beiderseits Voraussetzung füreinander, können sich jedoch gegenseitig nicht determinieren.

3 Politik und Medien im Wandlungsprozess - Entwicklungen und Tendenzen

Auch und vor allem theoretisch Denkmodelle, wie sie im vorangegangenen Kapitel erörtert wurden, bedürfen des wissenschaftlichen Belegs. Sie müssen sich an den Umständen, die sie selbst beschreiben sollen, und den Gegebenheiten orientieren, wie sie sich darstellen, allerdings - unter konstruktivistischen Maßgaben - nur schwerlich objektiv abbilden lassen. Insofern ist es nötig, auch Ansätze zur Erläuterung des Verhältnisses zwischen Politik, politischer Öffentlichkeitsarbeit und Medien immer unter Vorbehalt zu formulieren. Bei den erläuterten Erklärungsbefunden handelt es sich deswegen keinesfalls um Klärungen, um allgemein und sozu- sagen für alle Zeiten als gültig erkannte Paradigmen. Vielmehr sind sie - bestenfalls regelmäßig - an der Wirklichkeit zu überprüfen, um möglicherweise zu verzeichnende Wandlungsprozesse hinreichend zu berück- sichtigen. Diesen feststellbaren Entwicklungen, deren Beschreibung, weil kaum trennbar, vielfach bereits die Akteursebene der beteiligten Systeme (siehe insbesondere Kapitel 4 und seine Untergliederungen) einbezieht, sollen sich die folgenden Unterkapitel widmen, bevor darauf aufbauend ein erneuter Deutungsversuch des Verhältnisses zwischen Politik und Medien unternommen wird.

3.1 Gesellschaftlicher und politischer Strukturwandel

Wie schon in Kapitel 2 deutlich wurde, ist es - legt man systemtheoretische Überlegungen zugrunde - un- strittig, dass zwischen verschiedenen Systemen strukturelle Kopplungen zu registrieren sind. Dabei kann kaum fest umrissen werden, innerhalb welchen Systems die Irritationen durch andere Systeme dergestalt ausfallen, dass der Grad struktureller Anpassung oder Orientierung größer ist als in den anderen. Dies ist nach der hier vertretenen Ansicht auch davon abhängig, welche Bedeutung sich das jeweilige System innerhalb des Gesamtsystems der Gesellschaft selbst zuschreibt oder - ohne verallgemeinern zu wollen - anders ausge- drückt: welches Selbstverständnis die Akteure eines Systems an den Tag legen. Dennoch kann kaum von der Hand gewiesen werden, dass die originäre Bezugsgröße jedweden Systems das Gesamtsystem der Gesell- schaft ist. Da das politische System wiederum als zentrales Steuerungssystem der Gesamtgesellschaft fungiert (vgl. Kapitel 2.1), ist es folgerichtig, mit der Betrachtung zu verzeichnender Wandlungsprozesse zunächst auf gesellschaftlicher und der mit ihr eng verknüpften politischen Ebene einzusetzen.

3.1.1 Ausdifferenzierung, Komplexitätssteigerung, Individualisierung, Globalisierung

Wenn im vorangegangenen Oberkapitel mehrmals verkürzend die Rede davon war, moderne Gesellschaften zeichneten sich durch die Ausdifferenzierung funktionaler Teilsysteme aus, so wurde damit auf eine Theorie aufmerksam gemacht, deren Grundannahmen bereits seit geraumer Zeit vorgebracht werden48 und für Luhmann zentrale Bedeutung gewinnen. Seit Ablösung der streng hierarchischen, von Adel und Klerus dominierten Ordnung europäischer Gesellschaften im 18. Jahrhundert vollzieht sich ein Prozess49, in dessen Verlauf sich soziale Teilsysteme herausbilden und „in einem Gesamtsystem ihre Ordnungsform [dadurch] gewinnen [.], dass sie im Blick auf das Gesamtsystem Funktionen bedienen [...]“ (Fuchs 1992: 73). Dies wertet Luhmann als evolutionäres Ergebnis eines Prozesses der Komplexitätsreduzierung. Wenn beispiels- weise dem politischen System, wie bereits ausgeführt, die Funktion zugeschrieben wird, kollektiv bindende Entscheidungen herbeizuführen, oder die Wirtschaft - abgesehen etwa von der moralischen Verpflichtung, zur Schaffung von Arbeitsplätzen beizutragen - einzig für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen zu sorgen hat, geht mit der Ausdifferenzierung aufgrund von Spezialisierung nicht nur ein Zugewinn an Leistungsfähigkeit einher. Indem sich spezialisierte Zusammenhänge herausbilden, die aus der unendlichen Vielfalt von Handlungsmöglichkeiten sinnhaft selektieren und damit Komplexität reduzieren, sind gesell- schaftlicher Fortbestand, Ordnung und Stabilität vorstellbar. (Vgl. Luhmann 1989: 7) Allerdings vermerkt Luhmann auch, dass Systemdifferenzierung unvermeidlich zur Steigerung der Komplexität des Gesamtsystems führt (vgl. Luhmann 1985: 261)50, gleichbedeutend spricht Willke von der „Riskiertheit“ (1992: 315) moderner Gesellschaften. Und bereits Lippmann formuliert in Bezug auf Gesellschaft und Politik:

„The world that we have to deal with politically is out of reach, out of sight, out of mind. It has be explored, reported, and imagined. […] The real environment is altogether too big, too complex, and too fleeting for direct acquaintance.” (1949: 29, 16)

Zu beidem - gesteigerter Komplexität ebenso wie Riskiertheit - trägt auch bei, dass das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft grundlegenden Wandlungen unterworfen ist. Die Individualisierung nämlich stellt eine Kernentwicklung moderner Gesellschaften dar und beschreibt „den Prozeß ihrer fortschreitenden soziokulturellen Ausdifferenzierung zwischen den Polen einer Zunahme an Freiheiten für das Individuum und auch neuen Zwängen der Integration“ (Steinmaurer 1999: 273). Anders als noch in früheren Jahrzehnten und in der Bundesrepublik vor allem seit den Studentenprotesten der späten Sechziger Jahre begreifen die Bürger in der Folge um sich greifender Liberalität die umfassende Entfaltung ihrer Persönlichkeit als ur- eigenes Bedürfnis; dies manifestiert sich zugleich im Verhältnis des einzelnen zur Gesamtgesellschaft. Beck (1986: 206) erfasst drei Dimensionen dieses soziologischen Phänomens: (1) Unter der Freisetzungs- dimension versteht er die Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen und -bindungen, (2) in der sogenannten Entzauberungsdimension greift er den Verlust traditionaler Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und leitende Normen auf, in der (3) Kontroll- und Reintegrationsdimension verweist er auf neue Arten der sozialen Einbindung.51

Die Komplexität vermag zudem eine Entwicklung zu steigern, die in jüngster Zeit vornehmlich im Hinblick auf ökonomische Veränderungen unter dem Schlagwort der „Globalisierung“ zusammengefasst wird. Begünstigt durch die Entwicklung moderner Kommunikations- und Informationstechnologien sowie schnellerer Transportmöglichkeiten eröffnen sich - positiv formuliert - neue Perspektiven für Effizienz und Produktivität. Dem entspricht in seiner vorläufigen Ausklammerung negativer Aspekte der Globalisierungstendenzen die Feststellung einer Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, wonach einzelne Staaten zu einem System vernetzter interdependenter Volkswirtschaften zusammenwachsen (vgl. Deutscher Bundestag 1998: 101). Zu bedenken gilt es jedoch ebenso, dass sich wirtschaftlicher Wettbewerb vermehrt vom Faktor geographischer Nähe abkoppelt und die Produktionsbedingungen eines Landes mit jenen weit entfernter Gebiete in Konkurrenz treten. Dabei haben sich Qualitäts- und Produktionsniveaus einstmals kaum mitein- ander zu vergleichender Staaten derart schnell angeglichen, dass die Frage, welchen Standort Unternehmen wählen, heute in bedeutendem Maße davon beeinflusst ist, wie hoch der Preis des Faktors Arbeit veranschlagt wird. In der Bundesrepublik, die diese schmerzliche Erfahrung seit einigen Jahren machen muss und dabei aufgrund des hohen Lohnniveaus ins Hintertreffen gerät, schienen sich zahlreiche Politiker52 angesichts wegbrechender Konstanten deutscher Wirtschaftspolitik zunächst in das Schicksal globaler Unbe- rechenbarkeit gefügt, sich schließlich aber doch auf die Durchführung erforderlicher Reformen besonnen zu haben.

Dennoch konnte nicht verhindert werden, dass nationale Politik - und dies wird hier als die wesentliche poli- tische Dimension der Globalisierungsfolgen verstanden - eine Minderung ihres Einflusses hinzunehmen ge- zwungen ist, die sich auch im Vertrauensverlust der Bürger (siehe Kapitel 3.1.2.2) niederschlägt; das politi- sche System einzelner Staaten sieht sich mit der Aufgabe konfrontiert, Entscheidungen in Abstimmung mit anderen zu treffen, um hierdurch Gegebenheiten zu meistern, die sich der Regelungshoheit jedes einzelnen zumeist entziehen. Demgemäß weist Beck darauf hin, dass das „Ordnungsprinzip territorialer Vergesell- schaftung und des kulturellen Wissens, auf denen die vertrauten Selbst- und Weltbilder beruhen, aus den Fugen geraten“ (vgl. 1998: 17) ist.

3.1.2 Politik zwischen neuen Anforderungen und Akzeptanzverlust

Wie bereits zu ersehen, ist das politische System aufgrund der oben skizzierten gesellschaftlichen Um- wälzungen vor schwierige Herausforderungen gestellt. Gleichzeitig befindet sich die Politik als zentrale Problemlösungsinstanz in einem Dilemma: Erwarten sich viele Bürger noch immer, in erster Linie habe der Staat - und gemeint ist damit insbesondere die Politik - für das Wohlergehen aller Sorge zu tragen, er sei verantwortlich dafür, dass gewissermaßen von der Wiege bis zur Bahre niemand ins soziale und finanzielle Abseits gerate, so bildet sich bei genauso wenigen und vielfach auch bei denselben Menschen in Anbetracht der konkreten Lage die Ansicht heraus, das politische System sei mit dieser Aufgabe heillos überfordert.

3.1.2.1 Die Politisierung des vorpolitischen Raums

Die Anspruchshaltung vieler Bürger ist dabei auch die Folge einer Entwicklung, die einhergeht mit Demo- kratisierungsprozessen im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Anders als Anhänger liberaler Grundprinzipien, wonach auf die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft zu vertrauen sei, begriffen schon der Gründer der Sozial- demokratischen Partei Deutschlands, Ferdinand Lassalle, sowie der britische Ökonom John Maynard Keynes den Staat als eigenständigen Akteur, der gesellschaftliche Mängel zu kompensieren habe. Die von Seiten der Gesellschaft an die Politik herangetragenen Forderungen haben demnach auch in der Bundesrepublik - abzulesen an der Vielzahl von Interessenvertretungen, Bürgerinitiativen und Demonstrationen - stetig zuge- nommen. Eingedenk dessen muss der Staatsgewalt daran gelegen sein, traditionelle Politikfelder zuun- gunsten des vorpolitischen Raums, des Bereichs, auf den die Politik keinen Zugriff hat, zu vergrößern bzw. neue zu erschließen.53 (Vgl. Kepplinger 2000: 81)

Ein Blick auf die fortlaufend steigende Zahl der gesetzlichen Regelungen beweist, dass die Politik dieser Not- wendigkeit, die Staatstätigkeit auszuweiten, nachkommt. Nicht weniger als 1.928 geltende Gesetze, 2.946 Rechtsverordnungen und über 84.900 Einzelvorschriften werden im Abschlussbereich des Sachverständi- genrates Schlanker Staat mit Stand vom 1. Juli 1997 (vgl. Oswald 1998) angeführt. Neue regelungsbe- dürftige Bereiche wie beispielsweise die Umweltpolitik traten im Gefolge der zunehmenden Bedrohung natürlicher Lebensgrundlagen und der damit zusammenhängenden Sensibilisierung der Bevölkerung hinzu, auf anderen Gebieten setzt die Politik eigenständig neue Akzente. So kann auch die von der Bundes- regierung angedachte Ausbildungsplatzabgabe als Kennzeichen einer weiteren Einengung des vorpolitischen Raums gesehen werden, indem das einst auf Freiwilligkeit basierende Ausbildungssystem der Unternehmen und Betriebe unter Umständen ab Herbst 2005 gesetzlichen Zwängen unterworfen werden soll.

3.1.2.2 Politikverdrossenheit und Volatilität der Wähler

Angesichts der zuvor beschriebenen Politisierung vieler Bereiche, die dem Zugriff der Politik ehemals verwehrt waren, trifft Kepplinger die Feststellung, das politische System sei strukturell überfordert, und macht somit hierfür nicht vorrangig die individuellen Unzulänglichkeiten der Politiker verantwortlich (vgl. 2000: 13). Die Folgen jener Überlastung der Politik, aber auch anderer, im Folgenden zu erläuternder Faktoren lassen sich bereits seit einigen Jahren auch an Umfragewerten politischer Meinungsforschungsinstitute54 und noch besser an der Wahlbeteiligung ablesen. Zwar gehen aus Anlass der Bundestagswahlen noch immer mehr als 75 Prozent der Bundesbürger an die Wahlurnen, doch der Trend zeigt stetig nach unten. Lässt man Kommunal- und Europawahlen, die eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen und daher noch größeren Schwankungen unter- worfen sind55, außer Acht, so kann eine Beteiligung von etwas mehr als 60 Prozent bereits als Normalfall gelten. Es steht zu befürchten, dass der historische Tiefststand, als anlässlich der Thüringischen Landtagswahl 2004 knapp 53 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten, in Zukunft noch unterboten werden wird.

Dennoch weigern sich zahlreiche Politikwissenschaftler, die Wahlmüdigkeit vieler Bürger als Indiz für deren generelle Entfremdung vom politischen System zu werten. Schließlich habe die Kenntnis der Menschen darüber, wie politische Zusammenhänge zu erklären sind, eher Zuwächse verzeichnen können (vgl. Kaase 1998: 32). Und auch Küchler nimmt demgemäß eine sinnvolle Unterscheidung zwischen der Unzufriedenheit mit der Staatsform, dem Spektrum der etablierten Parteien sowie der konkreten Art und Weise, wie Politik gemacht wird, als relevanten Einstellungsobjekten vor (vgl. 1982: 40). Dabei beziehen sich die verschiedenen Formen der Verdrossenheit auf unterschiedliche Phasen eines Prozesses. Diese Differenzierung weiß Pöttker zu bestätigen, der seine Befunde folgendermaßen zusammenfasst:

„Gibt es also Politikverdrossenheit? Diese Frage muss aufgrund reichlich vorhandener empirischer Daten eindeutig mit Ja beantwortet werden, wenn man darunter ein wachsendes Missfallen an dem konkreten, ö ffentlich sichtbaren Vollzug von Politik durch die Parteien [im Original ebenfalls kursiv; Anm. d. Verf.] und ihre typischen Vertreter sowie an dem als zu gering eingeschätzten Einfluss der Bürger auf diese Praxis versteht, nicht eine generelle Unzufriedenheit mit den Ideen der Demokratie und ihrer parlamentarisch-repräsentativen Grundordnung.“ (Pöttker 1996: 61)

Gleichsam belegen Studien, dass sich aufgrund der in Kapitel 3.1.1 beschriebenen Individualisierungs- tendenzen innerhalb der Gesellschaft längerfristige Bindungen an Parteien lockern und die Zahl der Wechselwähler genauso steigt wie auch die Masse derjenigen, die ihre Wahlentscheidung zum Beispiel von den Persönlichkeiten der Kandidaten oder speziellen Themengebieten abhängig machen (vgl. Schultze 1991: 18ff., Jung 1991: 212ff.).

Die sich vergrößernde Distanz zu und die nachlassende Identifikation der Bürger mit den Parteien sowie die daraus resultierende Volatilität der Wähler, die ihre Gunst mal auf diese oder jene Partei bzw. diesen oder jenen Kandidaten verteilen oder ihre Stimme überhaupt nicht abgeben, zwingt die Politik in ihrer Gesamtheit dazu, verstärkt um Unterstützung zu werben. Da sich vor allem Parteien immer seltener auf ihre ehemals anerkannte Autorität berufen können, führt dies dazu, dass für das politische System die Medien als Vermitt- lungs- und Artikulationsinstanzen an Bedeutung gewinnen. Den Wandlungsprozessen, die sich daraus für den Journalismus ergeben, aber auch sonstigen Veränderungen des Mediensystems, die sich vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen vollziehen, sind die folgenden Kapitel gewidmet.

3.2 Medien und Mediensystem im Strukturwandel

Es gilt innerhalb der Kommunikationswissenschaft als weidlich diskutierte Frage, ob Medien Trends der Gesellschaft nur aufgreifen und verstärken oder aber selbst setzen. Auch an der Intensität, mit der die Debatte hierüber geführt wird, lässt sich erkennen, dass sich die Medien selbst stetig fortentwickeln und welcher Stellenwert ihnen in Bezug auf die Einstellungen des Publikums zugeschrieben wird. Die Wandlungen vollziehen sich dabei nicht nur auf inhaltlicher Ebene, auf deren Grundlage sich beispielsweise die Frage nach den Medien als Trendsettern oder eben Nicht-Trendsettern beantworten ließe. Vielmehr sind auch strukturelle Veränderungen innerhalb des Mediensystems zu erkennen, die schließlich Auswirkung ebenfalls auf inhaltliche Aspekte der Berichterstattung zeitigen.

3.2.1 Kommerzialisierung, verschärfter Wettbewerb, Diversifizierung

Obwohl die Medien, wie bereits dargelegt (Kapitel 2.3.1), politische Funktionen übernehmen und hierdurch als gesellschaftliche Institution betrachtet werden, ist die Medienwirtschaft - unter Ausnahme öffentlich-recht- licher Anstalten - auch als privates Geschäft von Verlagen und anderen Medienunternehmen zu verstehen. Dementsprechend ist insbesondere die gegenwärtige Medienentwicklung geprägt durch einen Prozess der Kommerzialisierung. Welche Tragweite dies hat, wird durch Saxers umfassende Definition deutlich:

„Als ,Kommerzialisierung von Medien’ wird die Verstärkung ökonomischer Einflüsse, in erster Linie desjenigen der Werbewirtschaft, auf die Strukturen und Funktionen von Mediensystemen und der Konsequenzen für die Medienproduktion, die Medienmitarbeiter, die Prozesse von Medienkommunikation und deren Rezipienten sowie allgemein in kultureller, wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht bezeichnet.“ (Saxer 1998c: 10)

Das Vordringen erwerbswirtschaftlicher Kriterien bei der Medienproduktion wird dabei entscheidend durch die Expansion des Mediensystems, die Liberalisierung der Medienbranche (vgl. Meier/Jarren 2001: 155ff.) sowie den sich hierdurch verstärkenden Wettbewerb begünstigt. Zu beobachten ist dies im Wesentlichen auf dem Fernseh- und Hörfunkmarkt, wo seit Etablierung des dualen Rundfunksystems private Anbieter um die Gunst der werbetreibenden Industrie und infolgedessen im Kampf um Marktanteile auch um jene der Rezipienten buhlen. Ebensolche Tendenzen lassen sich aber gleichfalls auf dem Gebiet der Printmedien erkennen. Dort hat man sich nicht nur der Konkurrenz der Online-Medien zu erwehren; mittlerweile treten auch einst branchenfremde - und ebenso international tätige - Unternehmen gegen traditionelle Verlage an und setzen eine Spirale in Gang, die den Wettbewerb zusätzlich anheizt und zu vielfältigen Konzentrations- prozessen führt.56 Die größte Zeitungskrise seit dem Zweiten Weltkrieg, die selbst der ehemals stetig erfolgsverwöhnte Springer -Verlag konstatiert (vgl. Röper 2002: 478, Döpfner 2004x), trägt auf dem Tages- zeitungsmarkt in jüngster Zeit zu deutlichen Zusammenlegungstendenzen und zum Rückgang publizistischer Vielfalt57 bei.

[...]


1 Zusätzlich mit x gekennzeichnete Angaben beziehen sich auf audiovisuelle Quellen bzw. Audioquellen, die nicht im Literaturverzeichnis, sondern eigens unter 9 Audiovisuelle Quellen und Audioquellen (S. 124) belegt sind. Direkten Zitaten, die nicht zusätzlich mit Seitenangaben belegt sind, können selbige entweder nicht zugeordnet werden, da es sich um Internet-Quellen handelt, oder aber sie beziehen sich auf Aufsätze, die, wie im Literaturverzeichnis zu ersehen, nur auf einer einzigen Seite vorzufinden sind.

2 Der Begriff des sozialen Systems wird, da sich die eigene Untersuchung auf Mikroebene ablaufender Prozesse zwischen den beteiligten Akteuren widmete (siehe Kapitel 6), im Folgenden unter prozessualem Blickwinkel als ein von einer Umwelt abgrenzbarer „Zusammenhang von wiederholbaren und sich wiederholenden Vorgängen (Operationen) der sinnhaften Differenzbildung und Verknüpfung“ (Gukenbiehl 2003: 390) definiert.

3 Sie werden im Luhmannschen Sinne als „alle Einrichtungen der Gesellschaft (...), die sich zur Verbreitung von Kommunikation technischer Mittel der Vervielfältigung bedienen“ (2004: 10) verstanden.

4 Demnach übernehmen Interessengruppen und Parteien die Formulierung und Aggregation, Regierung und Parlament die Herstellung sowie die politische Administration die Durchsetzung kollektiver Ziele (vgl. Gerhards 1994: 93).

5 Gerhards und Neidhardt sprechen in diesem Zusammenhang von einer gesamtgesellschaftlich zentralen Rückkopplungsschleife, die der Kontrolle des politischen Systems durch die Bürger dient (1994: 9).

6 Unter Berücksichtigung ähnlicher Forschungsansätze vertieft Schulz (1997: 32ff.) Eastons Input-Output-Modell und weist bereits auf die Filter- und Kontrollfunktion der Medien hin.

7 Zu soziologischen, rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Aspekten politischer Kommunikation sowie Anmerkungen anderer Wissenschaftsgebiete vgl. insbesondere die Beiträge in Jarren/Sarcinelli/Saxer (1998 : 138ff.).

8 So muss sich Graber ihrer Definition, wonach unter politischer Kommunikation das Senden und Empfangen sowie die Verarbeitung von Botschaften zu verstehen sei, die wahrscheinlich eine signifikante Wirkung auf den politischen Prozess haben (vgl. Graber 1993: 305), anlasten lassen, dass die Frage, ob eine Botschaft politischer Kommunikation zuzurechnen sei oder nicht, immer erst im nachhinein zu beurteilen wäre. Andererseits müsste vorausgesetzt werden, dass sich die Wirkung einer Botschaft auf den politischen Prozess identifizieren und - was noch schwerer vorstellbar ist - sogar messen ließe.

9 Nimmo und Swanson etwa deuten politische Kommunikation als „(...) the strategic use of communication to influence public knowledge, beliefs and action on political matters” (1990: 9) und betonen somit deren instrumentellen Charakter. Dieser jedoch muss dann zumindest als zweifelhaft gelten, wird nicht nur medienvermittelte, sondern auch interpersonelle Kommunikation in die Überlegung einbezogen. Letzterer schließlich kann in den meisten Fällen nur geringer Einfluss auf die Öffentlichkeit zugeschrieben werden, weshalb es einer Abgrenzung des Öffentlichkeitsbegriffs (public knowledge usw.) bedarf.

10 Für Wolton fungiert politische Kommunikation als Bindeglied zwischen dem Kommunikationsraum der politischen Akteure sowie der allgemeinen Öffentlichkeit, als Modus zur öffentlichen Austragung von Konflikten, wenn er feststellt: „Political Communication is defined as the space in which contradictory discourse is exchanged between three actors with the legitimate right to express themselves in public on politics, namely politicians, journalists and public opinion by means of opinion polls“ (1990: 12).

11 Perloff etwa hebt auf den Austausch politischer Botschaften ab und bezeichnet politische Kommunikation als „the process by which a nation’s leadership, media and citizenry exchange and confer meaning upon messages that relate to the conduct of public policy” (1998: 8) und hebt deren Prozesscharakter noch einmal hervor: „First, political communication is a process“ (ebd.: 8).

12 Gerhards und Neidhardt bezeichnen dieses Prozesselement in Anlehnung an Etzioni als „Modus des Throughputs“ (1990: 13).

13 Ebenfalls auf der Basis diese drei normativen Funktionen von Öffentlichkeit entwirft Habermas (1990) sein diskursives Modell öffentli- cher Meinungsbildung, das den auf Verständigung und Einverständnis abzielenden Charakter öffentlicher Kommunikation betont.

14 Ebenso teilen Gerhards und Neidhardt (1990: 20ff.) Öffentlichkeit in verschiedene Ebenen auf. Sie unterscheiden hierbei nach (1) einfachen Interaktionssystemen, die entstehen, wenn Menschen mehr oder weniger zufällig aufeinander treffen, (2) öffentlichen Veranstaltungen, die thematisch zentriert sind und in denen bereits nach Leistungs- und Publikumsrollen unterteilt werden kann, und (3) Massenmedienkommunikation.

15 Unter Interaktionen werden aus soziologischer Sicht nachfolgend all jene Beziehungszusammenhänge verstanden, welche durch die physische Anwesenheit zweier oder mehr Personen, die sich in ihrem Verhalten aneinander orientieren und sich gegenseitig wahrnehmen können, gekennzeichnet sind (vgl. Jäckel 1995: 463).

16 Altmeppen und Löffelholz (1998b: 98) weisen den Medien in gleichem Sinne eine Rolle als Mediatoren zu.

17 Die Nutzung von Fernsehen und Hörfunk gehörte 2003 für jeweils über 80 Prozent der Deutschen zum täglichen Leben. Immerhin 59 Prozent geben bei einer Befragung durch forsa an, täglich eine Zeitung zu lesen, wobei der leichte Abwärtstrend der vergangenen Jahre aufgehalten werden konnte; 39 nutzen täglich das Internet (vgl. Schmitt-Walter/Sandhöfer 2003: 7). Seit 1999 stieg die durchschnittliche Nutzungsdauer des Fernsehens wellenartig von etwa 150 auf 156 Minuten täglich, im Falle des Hörfunks konnte eine Zunahme von 150 auf 160 Minuten verzeichnet werden; dahinter rangieren das Internet mit einem verhältnismäßig kräftigen Anstieg auf 49 Minuten durchschnittlicher Nutzungsdauer sowie die Zeitungen mit etwa konstant 22 Minuten (vgl. ebd.: 14ff.).

18 In diesem Zusammenhang sei insbesondere auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen, dessen Richter sich im SPIEGEL -Urteil vom 5. August 1966 genötigt sahen festzuhalten, dass „eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse [.] ein Wesenselement des freiheitlichen Staates“ (Erster Senat des Bundesverfassungsgerichts 1967: 174) ist.

19 Ronneberger bezeichnet sie als „Generalfunktion“ (1978: 17) der Medien, aus der sich weitere Einzelfunktionen ableiten lassen.

20 Aus der Verantwortung der Massenmedien, die sie im Meinungs- und Entscheidungsfindungsprozess übernehmen, leiten Wildenmann und Kaltefleiter weitere Forderungen ab: Demnach sei die Informationsleistung an den Bewertungskriterien der Vollständigkeit, Verständlichkeit und Objektivität zu messen (vgl. 1965: 15ff.). Vor allem letzterer, aus konstruktivistischer Sicht zunächst heikel erscheinender Anspruch wird schließlich doch zugänglicher, wenn Wildenmann und Kaltefleiter mit gebotener Zurückhaltung, allerdings vereinfachend Objektivität als „Verzicht auf bewußte Manipulation“ (ebd.: 22) definieren.

21 Statt vom sozialen System Journalismus (vgl. Blöbaum 1994, Weischenberg 1994, Löffelholz 2000) bzw. journalistischen System sprechen andere vom publizistischen System (vgl. Marcinkowski 1993), vom System der Massenmedien (vgl. Luhmann 2004) oder der Öffentlichkeit (vgl. Görke 1999). Dabei mag an dieser Stelle weitgehend dahinstehen, worauf die Unterscheidung gründet. Allerdings ist zu bedenken, dass, spräche man wie Marcinkowski vom publizistischen System, diesem auch veröffentliche Produkte der politischen Öffentlichkeitsarbeit und somit politische PR überhaupt zuzurechnen wären. Von einer solchen Annahme allerdings ist, wie sich in Kapitel 2.3.4 erweisen wird, nicht auszugehen. Als Synonyme für den Begriff des journalistischen Systems werden im Folgenden daher ausschließlich die Formulierungen Mediensystem und System der Massenkommunikationsmittel verwandt.

22 Verwiesen sei in diesem Kontext auf Forschungsarbeiten bezüglich der Nachrichtenauswahl, die sich in die drei Richtungen der Gatekeeper - (vgl. einen Überblick bei Robinson 1973), der News Bias - (vgl. insbes. Kepplinger et al. 1989) sowie der NachrichtenwertForschung (vgl. hierzu Schulz 1990, Staab 1990, Eilders 1999) unterteilen lassen.

23 Ihrer Ansicht nach geraten die Medien infolge einer zugewiesenen Kritikfunktion zu sehr in den Verdacht publizistischer Ideologie (vgl. Glotz/Langenbucher 1993: 43). Stattdessen sprechen beide von einer richtungsneutral vermittelnden Moderatorenfunktion der Medien, die auch vernachlässigte Interessen in der Gesellschaft gezielt zu berücksichtigen hätten (vgl. ebd.: 43ff.).

24 In diesem Zusammenhang macht Baum auf die historischen Wurzeln des diesen Zweck erfüllenden, politischen Journalismus im Herausbildungsprozess des liberalen Bürgertums aufmerksam (vgl. 1994: 91).

25 An dieser Stelle sei abschließend daran erinnert, dass aufgrund der in den Kapiteln 2.1 und 2.2 angestellten Überlegungen an die Stelle des Begriffs der politischen Kommunikation die Formulierung von der ö ffentlichen Kommunikation ü ber Politik getreten ist. Dies wird im weiteren Verlauf trotz umständlicher sprachlicher Formulierungen, die hierdurch nötig werden, konsequent weitergeführt.

26 Als empirisch identifizierbare Merkmale der Selbstreferenz, durch die sich Eigenständigkeit ausdrückt, bestimmen Scholl und Weischenberg die Orientierung von Journalisten an anderen Medien, Kollegenorientierung in der Redaktion bei Veröffentlichung sowie das Gegenlesen (vgl. 1998: 147ff.). Kohring wertet es insbesondere als Ausdruck journalistischer Selbstreferentialität, wenn Selbst- beobachtungen innerhalb des sozialen Systems Journalismus dazu dienen, System-Umwelt-Unterscheidungen zu treffen und diese ge- nutzt werden, eine Stabilisierung oder Ausweitung des eigenen Operationsbereichs herbeizuführen (vgl. 1999: 195). Auch Blöbaums Überlegungen reichen über die Handlungsebene hinaus, indem er darauf hinweist, dass das Mediensystem zunehmend als eigener Be- reich der Gesellschaft, insbesondere als Wirtschaftsfaktor, wahrgenommen werde und eine Ausdifferenzierung innerhalb der Medien selbst festzustellen sei (1999: 184f.).

27 Kepplinger bricht dies in seinen Ausführungen zusätzlich auf die Individualebene herunter, indem er auf die Flexibilität der Journalisten hinweist. Sie besäßen im Vergleich zu Politikern mehr berufliche Alternativen und seien zudem weniger formalen Verhaltensregeln unterworfen als Mitarbeiter anderen Institutionen (vgl. Kepplinger 1985: 58).

28 In dieselbe Richtung weisen die Aussage des Medienberaters Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, wonach „das Diktat der Medien [.]das politische Kommunikationsgeschäft“ bestimmt (zit. n. Leif 2003: 212), und die Einschätzungen des stellvertretenden Regierungssprechers Gerd Langguth (vgl. 2000).

29 Als Begründung für die überragende Stellung der Medien führt Kepplinger überdies an, das Publikum erwarte sich von ihnen im Gegensatz zur Politik keinerlei Urteilskonstanz und sie seien weitgehend von moralischer Verantwortung befreit (vgl. Kepplinger 1985: 259f.). Dies allerdings kann angesichts der in den Medien selbst und in der Öffentlichkeit bereits zahlreich geführten Diskussionen über journalistische Ethik und Verantwortung (z. B. Gladbecker Geiseldrama, Fall Sebnitz, Kampagnenjournalismus der Boulevard-Medien) kaum überzeugen.

30 So verfügt etwa die Medienholding der SPD, dd_vg., nach der mehrheitlichen Übernahme der in finanzielle Schwierigkeiten geratenen „Frankfurter Rundschau“ über direkte und indirekte Beteiligungen an 25 regionalen Tageszeitungen (vgl. Röper 2004: 31).

31 Die Redakteure der Kundenzeitschrift des Bonner Media-Unternehmens Medien-Tenor etwa meinten im Frühjahr 2002 auf der Grundlage empirischer Untersuchungen darauf hinweisen zu müssen, S ä chsische Zeitung und Leipziger Volkszeitung hätten mit Verzögerung und später zurückhaltender über den Spendenskandal der Kölner SPD und dafür umso intensiver über entsprechende Vorkommnisse bei der CSU berichtet, was auf SPD-Beteiligung an ebendiesen Zeitungen zurückzuführen sei.

32 Jansen und Ruberto betonen explizit die Steuerungsmöglichkeiten der Politik durch informelle Kommunikationsbeziehungen. So min- dere beispielsweise die vertrauliche Einbeziehung von Journalisten für die Politiker das Risiko einer ungünstigen Berichterstattung (vgl. 1997: 82).

33 Langguth weist auf „eine massive Interdependenz“ und im Kontext des Schaffungszusammenhangs ausdrücklich darauf hin, dass „vieles in der Politik [.] ausschließlich wegen der Berichterstattung“ (2000) stattfinde.

34 Der frühere Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion und heutige Stellvertreter, Wolfgang Schäuble, geht diese Problematik vorsichtiger an, indem er auf die Wahrnehmung der Menschen Bezug nimmt. Er spricht lediglich von der Gefahr, dass Politik und Medien „von der Bevölkerung eher als Einheit verstanden werden“ (Schäuble 2001: 11).

35 Als Beispiel hierfür kann der Fall des früheren Hamburger Innensenators Ronald Schill dienen, der die Mitteilung, der 1. Bürgermeister der Stadt sei angeblich homosexuell, in einer Pressekonferenz offen legte, danach nicht nur von seinem Amt entlassen wurde, sondern auch unter mediales Trommelfeuer geriet. Ebenso lässt sich - blendet man aus, dass die Tatsache, innerhalb einer Beziehung glücklich zu sein, nur unter Umständen eine politische Information darstellt - die Swimmingpool-Affäre des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping anführen, dessen im Zusammenspiel mit der Presse entstandene Urlaubsbilder aus Mallorcinischen Schwimmbecken ihn ebenfalls unter großen Druck der Medien brachte.

36 Der Rollenzusammenhang eines Akteurs oder Rollenträgers wird hier in Anlehnung an Weischenberg (vgl. 1994: 429ff.) als diejenige Dimension verstanden, durch die demographische Merkmale, eigene Einstellungen, bestimmte Erwartungen an die Art der Berufsausübung, vor allem aber spezifische Einflüsse der jeweiligen sozialen Systeme der Akteure in die Tätigkeit einbezogen werden.

37 Public Relations sollen in Anlehnung an Merten und Westerbarkey als kommunikatives System verstanden werden, das die jeweiligen Auftraggeber zur Konstruktion wünschenswerter Wirklichkeiten nutzen (vgl. Merten/Westerbarkey 1994: 205ff.); die Begriffe Public Relations (PR) und Öffentlichkeitsarbeit werden im Folgenden synonym verwandt.

38 Unabhängig davon und ohne Vorgriff darauf, wie sich das Verhältnis zwischen Politik und Medien auf der Grundlage der späteren eigenen Untersuchung charakterisieren ließe, muss festgestellt werden, dass sich mit Blick in die weiter zurückliegende Vergangenheit das journalistische gegenüber dem politischen System emanzipiert hat.

39 Tenscher allerdings lässt politische Berichterstattung gerade deswegen außer Acht, da sie sich nicht als genuiner Bestandteil des von ihm als „Kommunikationsmix“ (2003: 71) der Politikvermittlung bezeichneten Bereichs erweist. Stattdessen führt er überdies Verkaufs- förderung in Form von Werbemitteln an, die beispielsweise an Wahlkampfständen der Parteien vorzufinden sind (vgl. ebd.: 77f.).

40 Paulis-Balleis hebt die planmäßige Strategie zur Präsentation von Programmen, Themen und Personen des politischen Systems gegen- über den Umweltsystemen heraus und schreibt ihr die Absicht zu, „Einstellung und Verhalten dieser Umweltsysteme im Sinne des Ziels der Gewinnung politischer Unterstützung durch Einstellungsintensivierung oder -veränderung zu beeinflussen“ (1987: 25). Dadurch allerdings unterläuft der Fehler, Ausarbeitung und Durchführung einer Strategie für politische Öffentlichkeitsarbeit selbst zu halten; dies führt dazu, dass die Instrumente, derer sich politische Öffentlichkeitsarbeit bedient, insbesondere aber auch die sich Nutzen verspre- chenden Personen und Institutionen gänzlich unbeachtet bleiben. Außerdem legt Pauli-Balleis den Fokus zu sehr auf den persuasiven Charakter jener Kommunikation, die im Rahmen politischer Öffentlichkeitsarbeit stattfindet, und unterschlägt somit deren auch gesamt- gesellschaftlich relevante Funktionen.

41 Hierin wird bereits ein Unterschied zu Werbung mittels Werbespots und Anzeigen als Maßnahmen politischer PR ersichtlich, die, weni- ger argumentativ und sachlich unterfüttert, auf die Erzeugung vergleichsweise kurzfristig unterstützender und persuasiver Wirkung abzielt.

42 Baerns stützt sich dabei auf ihre Untersuchungsergebnisse, wonach die analysierten Zeitungen nur elf Prozent der Beiträge selbst recherchiert hatten; im Falle der Nachrichtenagenturen waren es sogar nur acht Prozent (vgl. 1991: 88).

43 Eine Auflistung jener Bezeichnungen, die in verschiedenen Studien anstatt der Formulierung politische Ö ffentlichkeitsarbeiter verwandt werden, findet sich bei Tenscher (2003: 110). Er entscheidet sich für den terminus technicus der Politikvermittlungsexperten, worunter er all diejenigen fasst, „die in einer, d. h. institutionalisiert, oder f ü r eine politische Organisation bzw. für einen politischen Akteur - also assoziiert - tätig sind, ohne selbst ein vom Volk gewähltes oder delegiertes politisches Mandat hauptberuflich auszuüben [im Original ebenfalls kursiv; Anm. d. Verf.]“ (ebd.: 111) und deren Funktion in den in Kapitel 2.3.4.1 dargelegten Aufgaben zu sehen ist. Die Formulierungen Politikvermittlungsexperte, politischer Ö ffentlichkeitsarbeiter oder Pressesprecher werden ungeachtet etwaiger definitorischer Unterschiede, die in verschiedenen Studien zutage treten, in dieser Arbeit synonym verwandt.

44 Sie kommt überdies zu dem erwähnenswerten Ergebnis, dass von Öffentlichkeitsarbeitern angebotenes Material eine größere Chance hat, zum Thema der Medienberichterstattung zu werden, wenn es keine expliziten Wertungen enthält (vgl. Fröhlich 1992: 47).

45 Der Grad gegenseitiger Abhängigkeit kann hierbei allerdings, wie auch Bentele, Liebert und Seeling zumindest nicht ausschließen, gegebenenfalls gegen Null tendieren. Zunehmend nämlich richten sich PR-Maßnahmen in der Informationsgesellschaft direkt an die jeweiligen Adressaten, außerdem darf investigativer Journalismus, der sich Öffentlichkeitsarbeit bewusst entzieht, nicht außer Acht gelassen werden (vgl. Löffelholz 2000: 192f.).

46 Weniger zutreffend, aber dennoch zur Erklärung geeignet versteht Rolke Interreffikation als flexible Anpassung oder Zwang zur Anpassung an die Arbeitsweise des jeweils anderen Systems (vgl. 1999: 441).

47 Zusätzlich differenzieren die Wissenschaftler Adaptionen und Induktionen innerhalb psychisch-sozialer, sachlicher und zeitlicher Dimension (vgl. Bentele/Liebert/Seeling 1997: 243f.).

48 Zum wissenschaftshistorischen Abriss funktionaler Ausdifferenzierung der Gesellschaft siehe insbesondere Schimank (1996).

49 Unter soziologischem Blickwinkel wird dies als Übergang von der stratifikatorisch differenzierten (nach ständischen Schichten gegliederten) zur funktional differenzierten Gesellschaften bezeichnet (vgl. Schimank 1996: 150).

50 Außerdem muss jedes soziale System, um in einer komplexen Umwelt bestehen zu können, eine hinreichende Eigenkomplexität aufweisen, was bedeutet, dass es genügend verschiedenartige Handlungen und Handlungsverkettungen zustande bringen können muss (vgl. Schimank 2002: 17). Auch dies steigert die Komplexität des Gesamtsystems noch einmal.

51 Bedauerlicherweise schweigt sich Beck über konkrete Formen jener neuen sozialen Einbindung aus, die den Begriff der Individualisierung gleichsam ins Gegenteil verkehren. Zu denken wäre jedoch beispielsweise an den um sich greifenden Starkult oder Integrationsmechanismen durch Orientierungen an kurzlebigen Trends.

52 Als im Vorfeld der Bundestagswahl 2002 eine Verbesserung der Konjunktur und der Arbeitsmarktsituation auf sich warten ließ, hielt man es in den Reihen der Regierung für angebracht, darauf hinzuweisen, Deutschland sei in den Strudel der stockenden Weltkonjunktur geraten, angesichts der Globalisierungstendenzen sei hiergegen kaum etwas zu unternehmen.

53 In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass die Erschließung neuer Politikfelder nicht mit Eingriffen der Politik in selbstreferentielle Mechanismen der Teilsysteme gleichzusetzen ist. Ohnehin, so ist auf Braun (1993: 203) zu verweisen, ist in den Teilsystemen eine Akzeptanz der Leitorientierungen seitens der Politik selbstverständlich, weshalb - unter Einschränkungen - politische Steuerung, besser: Einflussnahme, kaum notwendig erscheint.

54 Noch nie in der bundesdeutschen Geschichte waren die Bürger mit der Politik von Regierung und Opposition derart unzufrieden wie im Sommer 2004; nur 17 Prozent konnten laut Umfrageinstitut Emnid der Regierungsarbeit Positives abgewinnen, nur wenig mehr - allenfalls 22 Prozent - stimmten mit der Tätigkeit der Opposition überein (vgl. TNS Emnid 2004).

55 Schlusslicht in der Statistik bildet die Beteiligung der Brandenburger an den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2004. Nur knapp jeder vierte Wahlberechtigte, genauer: 25,2 Prozent, gab(en) dort seine /ihre Stimme ab.

56 Der Medienmarkt der Hauptstadt Berlin beispielsweise gilt als einer der am härtesten umkämpften ganz Europas. Wie die Auseinandersetzung um den noch immer nicht abgewickelten Verkauf des Berliner Tagesspiegel belegt (in sie war zeitweise auch der Bauer-Ver- lag involviert, dem als Neuling auf dem deutschen Tageszeitungsmarkt bislang einzig die Leipziger Volksstimme gehört), hat sich die. durch den Anzeigenschwund regionaler und überregionaler Tageszeitungen angefachte Konkurrenzsituation verschärft.

57 Ohne genaue Bezifferung der Anzahl publizistischer Einheiten verweist Röper auf die Einstellung einer Zeitung im Jahre 2001 und jene zweier Zeitungen im Jahr 2002 (vgl. 2002: 479). Unter Einbeziehung der Daten Schütz’, der für das Jahr 2001 - ohne Berücksichtigung der von Röper vermerkten Einstellung der Emsdettener Zeitung - 136 publizistische Einheiten zählt (vgl. 2001: 602), käme man zum Ende des Jahres 2002 demnach auf 133 bestehende publizistische Einheiten.

Ende der Leseprobe aus 138 Seiten

Details

Titel
Berliner Beziehungsgeflechte - Zum Verhältnis von Politikern, Politikvermittlungsexperten und Parlamentskorrespondenten von Printmedien
Untertitel
Eine Befragung
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Kommunikationswissenschaft)
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
138
Katalognummer
V35043
ISBN (eBook)
9783638350891
ISBN (Buch)
9783638704595
Dateigröße
1273 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die vorliegende Arbeit macht es sich zum Ziel, das Verhältnis zwischen Politikern des Bundestages, Politikvermittlungsexperten (Pressesprecher von Bundesministerien und Parteien) sowie Korrespondenten von Printmedien zu beschreiben. Hierzu wurden Interviews mit neun Bundestagsabgeordneten, sieben Pressesprechern von Bundesministerien und Parteien sowie sechs Parlamentskorrespondenten geführt. Sie alle gaben Einblick in die Beziehungsgeflechte zwischen Vertretern von Politik und Medien.
Schlagworte
Berliner, Beziehungsgeflechte, Verhältnis, Politikern, Politikvermittlungsexperten, Parlamentskorrespondenten, Printmedien
Arbeit zitieren
Rüdiger Strauch (Autor:in), 2004, Berliner Beziehungsgeflechte - Zum Verhältnis von Politikern, Politikvermittlungsexperten und Parlamentskorrespondenten von Printmedien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35043

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