Eine Fallanalyse zur Problematik der Unterrichtsstörung

Exemplarische Erprobung ausgewählter Strategien zur Verbesserung des Lernverhaltens eines Schülers der 2. Klasse im Unterricht


Tesis (Bachelor), 2016

35 Páginas


Extracto


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II Theoretischer Hintergrund
2.1 Der Begriff „Unterrichtsstörungen“
2.2 Ursachen für Unterrichtsstörungen
2.3 Pädagogische Handlungsmöglichkeiten bei Unterrichtsstörungen

III Schulpraktische Untersuchung
3.1 Zielsetzung
3.2 Ergebnisse der angewandten Verhaltensanalyse
3.3 Festlegung des Zielverhaltens und der Maßnahmen
3.4 Darstellung und Durchführung der Maßnahmen
3.5 Datenerhebung mittels Beobachtung
3.6 Auswertung der Untersuchungsergebnisse

IV Fazit und Ausblick

V Anhänge

Tabellen

Abbildungen

VI Literaturverzeichnis

I Einleitung

Unterrichtsstörungen sind ein fester Bestandteil des schulischen Alltags und gehören zu den schwierigsten Herausforderungen der Lehrkräfte. Die Ursachen für derartige Störungen können sehr vielfältig sein und ihre Ausprägung fällt unterschiedlich stark aus. Ein störungsfreier Unterricht ist durchaus eine Illusion. In einer oft zitierten Unter­richtsstudie wurde bereits Ende der fünfziger Jahre ermittelt, dass Lehrkräfte durch­schnittlich alle 2,6 Minuten mit einem störenden Schülerverhalten konfrontiert werden.[1] Nach einer Mitte der neunziger Jahre in vier Bundesländern durchgeführten Schullei­terbefragung stellten an 75% bis 85% der Schulen Unterrichtsstörungen ein Problem dar, welches im großen Ausmaß die Wirksamkeit des Unterrichts beeinträchtigte.[2] Es gibt inzwischen eine Vielzahl relevanter Literatur, in welcher sich die Autoren mit die­sem speziellen Schwerpunktthema auseinandersetzen und diverse Verbesserungs­empfehlungen zur Vermeidung bestimmter Unterrichtsstörungen geben. Patentrezepte, die auf schnelle Lösungen zur Verringerung dieser Störungen verweisen, gibt es nicht. Die vorliegende Arbeit widmet sich der Leitfrage, ob ausgewählte Strategien zur Behe­bung von Unterrichtsstörungen und Verbesserung des Lernverhaltens eines Schülers der 2. Klasse führen können. Auf der Grundlage des eigenen Erkenntnisinteresses wird anhand bestimmter Techniken an einem Schülerfall ein greifbares Ergebnis zur positi­ven Modifikation des Lern- und Arbeitsverhaltens angestrebt.

Der Inhalt dieser Arbeit setzt sich aus folgenden Teilen zusammen:

Im ersten Abschnitt wird die theoretische Grundvorstellung des Begriffs der „Unter­richtsstörungen“ definiert und mögliche Ursachen dafür genannt. Dieser Hintergrund wird um die Beschreibung des Studienstands zu Handlungsmöglichkeiten sowie ‑strategien bei Unterrichtsstörungen im Bezug auf lerntheoretische Aspekte in der Klassenführung erweitert.

Im anschließenden Abschnitt folgt die eigene schulpraktische Untersuchung, welche zwei ausgewählte Strategien zur Verhinderung der Unterrichtsstörungen anhand eines konkreten Schülerfalls im Mathematikunterricht exemplarisch erprobt und analysiert. Nach einer angewandten Verhaltensanalyse werden das geplante Zielverhalten, die durchgeführten Maßnahmen und die Auswertung der Untersuchung vorgestellt. Zum Abschluss widmet sich das Fazit einer Zusammenfassung der Ergebnisse, der Diskus­sion der Leitfrage und einem Ausblick über das mögliche weitere Vorgehen zur Stabili­sierung des Zielverhaltens.

II Theoretischer Hintergrund

2.1 Der Begriff „Unterrichtsstörungen“

In der gegenwärtigen Zeit hat der Begriff „Unterrichtsstörungen“ an Bedeutung im schulischen Alltag gewonnen. Eine Definition nach Lohmann (2012) soll Klarheit zu diesem Begriff schaffen: Unterrichtsstörungen sind Ereignisse, die den Lehr-Lern-Pro­zess beeinträchtigen, unterbrechen oder unmöglich machen, indem sie die Vorausset­zungen, unter denen Lehren und Lernen erst stattfinden kann, teilweise oder ganz au­ßer Kraft setzen. Zu den Voraussetzungen zählen äußere und innere, das Lernen er­möglichende Bedingungen, wie z.B. physische und psychische Sicherheit, Ruhe, Auf­merksamkeit, Konzentration. Die Störungen können von Schülern oder Lehrern verur­sacht oder von außen hereingetragen werden, z.B. laute Zwischenrufe, verbale oder physische Attacken, […] usw.[3] Disziplinkonflikte und Unterrichtsstörungen sind auf­grund der vielfältigen Widersprüche in der Schulpraxis unausweichliche und bis zu ei­nem gewissen Grad normale Begleiterscheinungen von Unterricht.[4]

Es ist nicht klar festgelegt, welche Verhaltensweisen und Umstände als störend emp­funden werden, da es größtenteils von der subjektiven Einschätzung abhängt. Eine vollständige Auflistung aller Erscheinungsformen von Unterrichtsstörungen wäre end­los. Eder, Fartacek und Mayr (1987) fassen dennoch störendes Schülerverhalten in vier Kategorien zusammen: verbales Störverhalten (vorlautes Verhalten etc.), man­gelnder Lerneifer (geistige Abwesenheit etc.), motorische Unruhe (Zappeln etc.), ag­gressives Verhalten (Wutausbrüche etc.).[5] Einigen Untersuchungen zufolge sind die am häufigsten auftretenden Fehlverhalten den ersten drei Kategorien zuzuordnen, wo­bei das verbale Störverhalten den ersten Platz einnimmt.[6]

Unterrichtsstörungen haben oftmals schwerwiegende Folgen für die Beteiligten, wie beispielsweise die verlorene Lernzeit, emotionale Belastung und das aggressive Ver­halten der Lehrkräfte gegenüber ihren Schülern.[7]

2.2 Ursachen für Unterrichtsstörungen

Für Unterrichtsstörungen gibt es vielfältige Ursachen. Sie sind nach Nolting (2012) nicht nur in der Schule oder Klasse vorzufinden, sondern können individuelle, familiäre, gesellschaftliche, historische, zeittypische Gründe haben.[8] Lehrer und Schüler[9] können sich gegenseitig als Störfaktoren sehen, sodass Lehrer in bestimmten Situationen un­ter ihren Schülern aber auch Schüler unter ihren Lehrern leiden.[10]

Störendes Schülerverhalten ist zumeist nicht bewusst intendiert.[11] Der häufigste schuli­sche Störungsbeitrag ist nach Keller (2008) der Mangel an Normverdeutlichung, Grenzziehung und systematischer Verhaltenssteuerung.[12] Eine Untersuchung nach Eder, Fatacek und Mayr (1987) über erfolgreiches Handeln von Lehrern bei Disziplin­konflikten zeigt zudem einige Merkmale ineffektiver Klassenführung, welche weitere Ursachen für Unterrichtsstörungen darstellen können: häufiges, wirkungsloses Ermah­nen und Androhen von Bestrafung, hoher Zeitbedarf für disziplinarische Handlungen, mehr strafende als integrative Maßnahmen, sprunghaftes Ausprobieren verschiedener Maßnahmen, häufiges neutrales Abbrechen von Konflikten usw.[13]

Der störende Schüler hat nach Lohmann (2003) oft drei Absichten: der Langeweile zu entkommen, mit Mitschülern privat zu kommunizieren und Aufmerksamkeit (Zuwen­dung, Anerkennung) zu erhalten.[14] Zudem verlangen Schüler, dass ihre Interessen wahrgenommen, thematisiert und Kompromisse ausgehandelt werden.[15] Zusätzlich kann der Unterricht, in dem Schüler durch Lehrerbotschaften gekränkt oder entmutigt werden, Schüler verstören, sodass mit einer Gegenaggression gerechnet werden muss. Im Anhang auf den Seiten 17-18 sind in der Tabelle 1 nach Meyer (1989) weitere Ur­sachen für Unterrichtsstörungen seitens der Schüler, Lehrer, Institutionen, Eltern und Gesellschaft aufgelistet.[16]

2.3 Pädagogische Handlungsmöglichkeiten bei Unterrichtsstörungen

Classroom Management ist mit den Begriffen Klassenführung und Klassenmanage­ment assoziiert.[17] Es ist ein Schlüsselmerkmal von Unterrichtsqualität[18] und die Summe der Maßnahmen und Verhaltensweisen einer Lehrkraft, die darauf abzielen, optimale Lernbedingungen für die Schüler bereitzustellen.[19] Nach dem Wirtschaftspädagogen Prof. Dr. Karl Wilbers umfasst die Klassenführung alle präventiven und reaktiven Maß­nahmen mit dem Ziel in einer Klasse Bedingungen zu schaffen, die die Häufigkeit und Tragweite von Unterrichtsstörungen reduzieren, aber nicht komplett unterdrücken.[20] Laut Evertson und Weinstein (2006) verläuft der Unterricht durch effektive Techniken der Klassenführung insgesamt störungsärmer, es steht mehr Lernzeit zur Verfügung und die Lernleistungen als auch die sozio-emotionale Kompetenzentwicklung der Schüler solcher Klassen verbessert sich nachweislich.[21]

In neueren Ansätzen der Klassenführung wird hierzu zwischen proaktiven und reakti­ven Strategien nach Lohmann (2003) unterschieden.[22] Proaktive Strategien sind in den Bereichen Planung (Prävention) und Unterstützung (Antizipation) angesiedelt, die vor und während des Unterrichts gegen Unterrichtsstörungen präventiv wirken sollen.[23] Die Antizipation hat dabei das Ziel der Verhinderung von Störungen bei einer unmittelbar bevorstehenden Störung.[24] Reaktive Strategien bedeuten dagegen die Unterbindung auftretender Störungen durch Intervention (Aktion) und Problemlösung (Verände­rung).[25] Die reaktive Strategie ist dem behavioristischen Verhaltensinventar zuzuord­nen, in welchem versucht wird extrinsische Anreize (z.B. Belohnungen) und Sanktio­nen (z.B. schlechte Noten) seitens der Lehrperson zu setzen, um Störverhalten zu mi­nimieren und erwünschtes Verhalten zu fördern.[26] Die proaktiven Strategien sind im ökologischen Ansatz, in dem Classroom Management als Steuerung von Aktivitäts­strukturen gesehen wird, zu finden. Dieser Ansatz beruht hauptsächlich auf den Tech­niken der Klassenführung von Kounin.[27]

Als Lösungsvorschläge für den Umgang mit schwierigem Verhalten wird bisweilen ein Spektrum unterschiedlichster Modelle vorgestellt. Die Handlungskompetenz der Lehr­kräfte wird dennoch kaum durch theoretische Lösungsmodelle oder rezeptartige An­wendung einzelner Maßnahmen gestützt. In der Scholastik-Längsschnittstudie konnten Weinert und Helmke im Jahre 1997 nachweisen, dass der kognitive Lernerfolg neben Variablen auf Schüler- und Klassenebene durch vier Aspekte der Lehrerexpertise be­stimmt wird: die Klassenführungs-, die diagnostische, die unterrichtsmethodische und die fachliche Kompetenz.[28] Im Linzer Diagnosebogen zur Klassenführung konnten zudem Mayr, Eder und Fartacek im Jahre 2002 drei Dimensionen pädagogischen Handelns zusammenfassen: die Gestaltung des Unterrichts, die Förderung der Bezie­hung und die Kontrolle des Verhaltens.[29] Mayr resümiert seine Ergebnisse zu mögli­chen Störungshandlungen folgendermaßen: Es gibt kein Idealbild der Klassenführung, das es zu erreichen gilt – wir haben es vielmehr mit einem breiten Spektrum an Hand­lungsoptionen zu tun. [30] Diese Erkenntnisse decken sich mit denen von Weinert und Helmke: Es scheint eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Wege zum gleichen Ziel zu geben. Dies zeigt, wie problematisch es wäre, in präskriptiver Absicht von Schlüs­selmerkmalen oder notwendigen Bedingungen eines erfolgreichen Unterrichts zu spre­chen.[31]

Drei Dimensionen nach Lohmann sollen dennoch Vorgehensweisen zu Handlungs­möglichkeiten darstellen, Unterrichtsstörungen erfolgreich entgegenzuwirken: Suchen von Interventionsziele bzw. –adressaten (z.B. Verhalten einzelner Schüler/ Lerngrup­pen etc.), Beeinflussen des Geschehens im Klassenraum in verschiedenen Dimensio­nen (z.B. Beziehung, Organisation, Disziplinmanagement, Unterricht), Einsetzen proak­tiver und reaktiver Strategien anhand einiger Dimensionen.[32] In Tabelle 2 im Anhang auf Seite 18 sind Beispiele für proaktive und reaktive Strategien nach Lohmann anhand von drei Dimensionen zusammengestellt.

III Schulpraktische Untersuchung

3.1 Zielsetzung

In der vorliegenden Einzelfallstudie wird das störende Verhalten eines ausgesuchten Schülers[33] im Mathematikunterricht untersucht. Anhand ausgewählter Strategien wird angestrebt die von ihm ausgehenden Unterrichtsstörungen zu beheben und eine posi­tive Modifikation seines Lern- und Arbeitsverhaltens zu bewirken.

3.2 Ergebnisse der angewandten Verhaltensanalyse

Die angewandte Verhaltensanalyse hat zum Ziel, die im Unterricht störenden Verhal­tensauffälligkeiten von E. zu analysieren und eine bedeutende Verbesserung in we­sentlichen Verhaltensweisen zu erreichen. Zu diesem Zweck wurde ein qualitativer Verhaltensanalysebogen des Schülers E., im Folgenden E. genannt, angefertigt. Die Befragung der Klassenlehrkraft zum Schülerverhalten und eigene Beobachtung des Schülers im Unterricht im Zeitraum vom 16. bis zum 20. November 2015 konnten Ant­worten zu nachfolgend aufgeführten 8 Aspekten des Bogens liefern: Problembeschrei­bung, Entwicklung des Problemverhaltens, Situationsanalyse, Reaktionen auf das Problemverhalten (Konsequenzen), bisherige Modifikationsversuche, Bedingungsana­lyse, Selbststeuerungsversuche, Analyse von Stärken und Vorschlag zur Verhaltens­modifikation. Der ausgefüllte Verhaltensanalysebogen befindet sich im Anhang, in Ta­belle 3 auf den Seiten 19-22.

Folgende wesentliche Ergebnisse lassen sich aus der Verhaltensanalyse ablesen:

Schüler E. ist motorisch sehr unruhig und kann nur eine kurze Zeit still auf seinem Sitzplatz bleiben. Zudem ist er oft unkonzentriert und hat Schwierigkeiten sich an die Klassenregeln zu halten. Er spricht mehrfach ungefragt in den Unterricht und kommu­niziert häufig mit seinen Mitschülern. Das verbale und motorische Problemverhalten taucht im wiederholten Ablauf regelmäßig auf, wenn E. kein Interesse und keine An­strengungsbereitschaft am Lernen aufbringt, dafür aber eine stärkere Motivation zeigt mit den Mitschülern zu kommunizieren. Das Fehlverhalten ist am häufigsten und im stärksten Ausmaß am Anfang einer Unterrichtsstunde, in der Stillarbeitsphase während des Unterrichts und nach den großen Pausen zu lokalisieren. Zudem tritt es regelmä­ßig in jedem Unterrichtsfach auf, wenn es zu wenig Regeln und Strukturen gibt. Nach dem Erscheinen eines Fehlverhaltens wird E. des Öfteren durch die Lehr­kraft verbal ermahnt. Bei einer ersten lautstarken Ermahnung hört E. zunächst auf, das Problemverhalten weiter fortzuführen. Er zeigt dennoch umso häufiger die Tendenz nach wenigen Minuten das Störverhalten zu wiederholen, sodass die Lehrkraft ihn vor die Tür setzen muss. Werden in kurzer Zeit viele verbale Ermahnungen ausgespro­chen, ignoriert er diese und führt das störende Verhalten weiter fort. Die Mitschüler reagieren auf das störende Schülerverhalten nur dann, wenn dieses sie beim Bearbei­ten von Aufgaben hemmt, sowie das Erhalten einer Belohnung, wie die Gruppenmur­mel, gefährdet. Diese Schülerreaktionen verleiten ihn selten bis nie mit dem Problem­verhalten aufzuhören. Das Sammeln von positiven Verstärkern in der Gruppe (u.a. Gruppenmurmeln) hat bei E. einen geringen Einfluss auf das Einhalten der Klassenregeln, wie u.a. die stille Gruppenarbeit sowie das Warten am Platz bis er drangenommen wird, bewirkt. Nach längerer unregelmäßiger Anwendung dieser Tech­nik ist kein weiterer positiver Verhaltenserfolg bei E. zu verzeichnen. Individuelle Ver­haltensstärken, wie das individuelle Lehrerlob oder eine für ihn attraktive Belohnung (z.B. Fußballaufkleber), lassen sich bei E. in der Motivation einer Verhaltensänderung jedoch positiv festhalten.

Die meisten Schwierigkeiten mit dem Störverhalten hat die Lehrkraft, da der Schüler E. den Unterrichtsverlauf stört. In Stillarbeitsphasen beeinflusst das störende Verhalten ebenfalls die Mitschüler, welche sich nicht auf den Lerngegen­stand konzentrieren können. E. ist sein Fehlverhalten zwar oft bewusst, dennoch kann er es erst anhand der gemeinsamen Reflexion mit der Lehrkraft analysieren, nachvoll­ziehen und versuchen zu ändern. Seine selten auftretenden Selbststeuerungsversuche zu einer positiven Verhaltensänderung zeigen nur kurz andauernde Erfolge. Diese äu­ßern sich darin, dass E. sich mittels einer Belohnung in dem Ausmaß motiviert zeigt, dass er versucht sich auf den Lerngegenstand zu konzentrieren, um damit seine moto­rische Unruhe sowie sein verbales Störverhalten zu unterbinden.

Betrachtet man abschließend die familiären Aspekte von Schüler E., so kann festge­stellt werden, dass er in einem getrennt aufwachsenden Elternhaus mit wenigen es­senziellen Verhaltensregeln, Strukturen und fehlender Konsequenz seitens der Mutter konfrontiert wird. Für eine gelingende Verhaltensmodifikation müssen für E. klare Re­geln und Strukturen geschaffen werden.

3.3 Festlegung des Zielverhaltens und der Maßnahmen

Im vorliegenden Abschnitt kann auf der Grundlage der Verhaltensanalyse eine Festle­gung des Zielverhaltens und der ausgewählten Strategien weiter spezifiziert werden.

Für eine eindeutige Schwerpunktsetzung und Festlegung des Zielverhaltens wird sich im weiteren Untersuchungsverlauf auf das motorische und verbale Fehlverhalten im Bezug auf die Problematik des Regeleinhaltens fokussiert. Dafür werden für den Schüler E. vier bestimmte Regeln festgelegt, welche einen Aufbau des Zielverhaltens zur Folge haben sollen. Die erste verbale Regel bezieht sich auf einen Aufbau des ak­tiven Meldeverhaltens: Ich melde mich, wenn ich etwas sagen möchte. Dazu schließen sich zwei weitere Regeln an, welche gezielt einen Abbau eines verbalen Störverhal­tens, wie das ungefragte Hereinsprechen in den Unterricht oder die unerwünschte Kommunikation mit den Mitschülern, bewirken sollen: Ich spreche/rufe nicht ungefragt in den Unterricht hinein und Ich spreche nicht ungefragt mit meinen Mitschülern. Die vierte Regel Ich bleibe auf meinem Sitzplatz sitzen sorgt für einen Abbau des motori­schen Störverhaltens, und zwar des Herumlaufens im Klassenraum.

Aus der Breite verschiedener Handlungsmöglichkeiten bei Unterrichtsstörungen wur­den zwei Maßnahmen ausgewählt, welche sich auf das Verstärkungslernen beziehen: der Verstärkerplan, im Folgenden „Smileyplan“ genannt, und der Einsatz von dreifarbi­gen Smiley-Karten.

Die Mehrzahl der an Schulen durchgeführten Maßnahmen beruht auf den Prinzipien des Verstärkungslernens (operantes Lernen) und ist zentraler Baustein der pädagogi­schen Verhaltensmodifikation.[34] Die Grundidee ist, dass ein Hinweisreiz dem Schüler mitteilt, dass bestimmte Verhaltensformen in einigen Situationen erwünscht oder uner­wünscht sind. Aus der Verhaltensanalyse (Pkt. 3.2) ist bereits bekannt, dass der Ein­satz von Gruppenverstärkern nur zu kleinen Verhaltenserfolgen führt. Die im Bereich der Verhaltensstärken angewandte Analyse weist allerdings darauf hin, dass Schüler E. auf individuelles Lob und für ihn attraktive Belohnungen besonders positiv reagiert. Die Einführung eines individuell ausgerichteten Verstärkersystems könnte daher sinn­voll sein, weil seine motivierende Wirkung möglicherweise eine zunehmende Verhal­tensmodifikation bei E. anregen würde. Zudem sollen regelmäßige positive und nega­tive Verhaltensrückmeldungen im Schüler-Lehrer Gespräch, die zu einer Eigenreflexion und Einsicht eines aufgetretenen Fehlverhaltens führen, bei der Modifikation seines Verhaltens helfen. Durch das regelmäßige Einhalten der Regeln wird ein verbessertes Lern- und Arbeitsverhalten angestrebt. Das Lob seitens der Lehrkraft und der Eltern soll die positive Verhaltensänderung über einen längeren Zeitraum stabilisieren. Kom­plexe Verhaltensweisen, wie selbstgesteuerte Prozesse bestehend aus Selbstinstruk­tion, Selbstbeobachtung und Selbstverstärkung, sollen sich durch das Verstärkerlernen aufbauen.[35]

[...]


[1] vgl. Tausch, A.-M.: Besondere Erziehungssituationen des praktischen Schulunterrichts. Häufigkeit, Veranlassung und Art ihrer Lösung durch den Lehrer. In: Zeitschrift für experimentelle und angewandte Psychologie, 1958, S. 657-686.

[2] vgl. Schubarth, W.: Gewalt an Schulen. Ausmaß, Bedingungen und Prävention, Verlag für Sozialwissenschaften. Opladen, 1996, S. 33.

[3] vgl. Lohmann, G.: Mit Schülern klarkommen: Professioneller Umgang mit Unterrichtsstörungen und Disziplinkonflikten. 9. Auflage, Berlin: Cornelsen Scriptor, 2012, S. 13.

[4] vgl. Lohmann, G.: Mit Schülern klarkommen: Professioneller Umgang mit Unterrichtsstörungen und Disziplinkonflikten. 8. überarb. Auflage, Berlin: Cornelsen Scriptor, 2011, S. 14.

[5] vgl. Fartacek, W., Eder, F. & Mayr, J.: Schwierigkeiten von Lehrerstudenten und Lehrern im Umgang mit Schülern. Erziehung und Unterricht, 137/1, 1987, S. 14.

[6] vgl. Jürgens, B.: Schwierige Schüler?: Disziplinkonflikte in der Schule. Hohengehren: Schneider, 2000, S. 15 ff..

[7] vgl. ebenda, S. 13 ff..

[8] vgl. Nolting, H.-P.: Störungen in der Schulklasse. Ein Leitfaden zur Vorbeugung und Konfliktlösung, 10. vollständig überarb. Auflage, Weinheim : Beltz, 2012, S. 9f..

[9] Wird in der Arbeit der Begriff „Lehrer“ oder „Schüler“ benutzt, so sind beide Geschlechter gemeint: Lehrer und Lehrerinnen, bzw. Schüler und Schülerinnen.

[10] vgl. Winkel, R.: Der gestörte Unterricht. Diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, 8. Auflage, Hohengehren: Schneider Verlag Baltmannsweiler, 2006, S.9.

[11] vgl. Lohmann, G.: Mit Schülern klarkommen: Professioneller Umgang mit Unterrichtsstörungen und Disziplinkonflikten. Berlin: Cornelsen Scriptor, 2003, S. 21.

[12] vgl. Keller, G.: Disziplinmanagement in der Schulklasse. Unterrichtsstörungen vorbeugen – Unterrichtsstörungen bewältigen, 1. Auflage, Bern: Huber, 2008, S. 32.

[13] vgl. Lohmann, G.: Mit Schülern klarkommen, 2003, S. 22 f..

[14] vgl. ebenda, S. 20

[15] vgl. ebenda, S. 21 f..

[16] vgl. Meyer, H.: Unterrichtsmethoden II: Praxisband., 6. Auflage, Frankfurt am Main: Cornelsen, 1998, S. 233.

[17] vgl. Hartke, B.; Blumenthal, Y.; Carnein, O. & Vrban, R.: Schwierige Schüler, Sekundarstufe, 64 Handlungsmöglichkeiten bei Verhaltensauffälligkeiten, 5.-10. Klasse, Hamburg: Persen Verlag, 2014,S. 129.

[18] vgl. ebenda, S. 129.

[19] vgl. Kounin, J. S.: Techniken der Klassenführung (Original der deutschen Ausgabe, 1976), Münster: Waxmann, 2006, S. 7 ff..

[20] vgl. Wilbers, K.: Wirtschaftsunterricht gestalten. Lehrbuch. 2. Auflage. Berlin: epubli, 2014, S. 353.

[21] vgl. Evertson, C. M., Weinstein, C. S.: Handbook of classroom management: Research, practice, and contemporary issues . Mahwah, NJ: Erlbaum, 2006, S. 14.

[22] vgl. Lohmann, G.: Mit Schülern klarkommen, 2003, S. 30.

[23] vgl. Schied, M.: Schulpraktische Studien im Rahmen der Lehrerausbildung, Konzeptionalisierung und Evaluierung nach dem Gmünder Modell, Frankfurt am Main: Klinkhardt, 2013, S. 82.

[24] vgl. Lohmann, G.: Mit Schülern klarkommen, 2003, S. 31 f..

[25] vgl. ebenda, S. 31 f..

[26] vgl. Wellenreuther, M.: Lehren und Lernen – aber wie? Grundlagen der Schulpädagogik, Band 50, Hohengehren: Schneider Verlage, 2004, S. 257 ff..

[27] vgl. Kounin, J. S.: Techniken der Klassenführung, 2006, S. 148.

[28] vgl. Haag, L.: Klassenführung – erfolgreich unterrichten mit Classroom Management, Weinheim: Beltz, 2012, S. 47.

[29] vgl. ebenda, S. 49.

[30] vgl. Fartacek, W., Eder, F. & Mayr, J.: Schwierigkeiten von Lehrerstudenten und Lehrern im Umgang mit Schülern., S. 34.

[31] vgl. Helmke, A.; Weinert, F. E.: Unterrichtsqualität und Leistungsentwicklung. Ergebnisse

aus dem SCHOLASTIK-Projekt. In: Weinert, Franz E./Helmke, Andreas (Hgg.): Entwicklung im Grundschulalter. Weinheim: Psychologie Verlags Union, 1997, S. 251.

[32] Vgl. Lohmann, G.: Mit Schülern klarkommen, 2003, S. 31 f..

[33] In der Arbeit wird der untersuchte Schüler mit dem Namenscode Schüler E. oder E. bezeichnet.

[34] vgl. Preuss-Lausitz, U.: Schwierige Kinder – schwierige Schule: Konzepte und Praxisprojekte zur integrativen Förderung verhaltensauffälliger Schülerinnen und Schüler, Weinheim: Beltz, 2004, S. 70.

[35] vgl. Haag, L.: Klassenführung, S. 65.

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Detalles

Título
Eine Fallanalyse zur Problematik der Unterrichtsstörung
Subtítulo
Exemplarische Erprobung ausgewählter Strategien zur Verbesserung des Lernverhaltens eines Schülers der 2. Klasse im Unterricht
Autor
Año
2016
Páginas
35
No. de catálogo
V350691
ISBN (Ebook)
9783668373198
ISBN (Libro)
9783668373204
Tamaño de fichero
900 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
eine, fallanalyse, problematik, unterrichtsstörung, exemplarische, erprobung, strategien, verbesserung, lernverhaltens, schülers, klasse, unterricht
Citar trabajo
Anna Rezmer (Autor), 2016, Eine Fallanalyse zur Problematik der Unterrichtsstörung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/350691

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