Die aktuelle Diskussion um Arbeitszeitverlängerungen orientiert sich oft ausschließlich an vermeintlich wirtschaftlichen Kriterien, ohne gesundheitliche und soziale Effekte für die Beschäftigten zu berücksichtigen. Die Ergebnisse vorangegangener Untersuchungen deuten jedoch darauf hin, dass mit zunehmender Dauer der Arbeitszeit mit einem Anstieg von gesundheitlichen und sozialen Beeinträchtigungen zu rechnen ist.
In der vorliegenden Bachelorarbeit wird gezeigt, dass mit zunehmender Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit das Risiko für Beeinträchtigungen der Gesundheit und der sozialen Teilhabe der Beschäftigten ansteigt. Darüber hinaus zeigt sich, dass die negativen gesundheitlichen und sozialen Effekte weiterer potenziell ungünstiger Arbeitszeitmerkmale wie Schichtarbeit, variable Arbeitszeiten, schlechte Planbarkeit der Arbeitszeit sowie Arbeit an Abenden oder am Wochenende durch lange Arbeitszeiten weiter verstärkt werden. Da hohe körperliche und/oder psychische Arbeitsanforderungen das Risiko gesundheitlicher Beeinträchtigungen schon von sich aus erhöhen, führen diese insbesondere bei langen und/oder in der Lage versetzten Arbeitszeiten zu einer weiteren Erhöhung des Beeinträchtigungsrisikos. Der Zusammenhang zwischen langen Arbeitszeiten und gesundheitlichen sowie sozialen Beeinträchtigungen kann damit als wissenschaftlich gesichert gelten.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
2. Definition Gesundheit und betriebliches Gesundheitsmanagement
2.1 Definition und Prävalenz langer Arbeitszeiten
2.2 Aufgaben der Arbeits(Zeit)gestaltung
2.3 Gesundheitliche und soziale Auswirkungen langer Arbeitszeiten – ein erster Überblick
2.3.1 Arbeitsdauer und Unfallrisiko
2.3.2 Auswirkungen der Arbeitszeit auf die Gesundheit
3 Ätiologie psychischer Erkrankungen
3.1 (Früh)diagnostik – Erkennen von Gefährdungen für den Erhalt psychischer Gesundheit im Betrieb
4 Zukunftsforschung – Wie werden wir in 20 Jahren arbeiten?
4.1 Die Zukunft der Arbeit
4.2 Gestaltungsprämissen zukunftsweisender Arbeit
4.3 Zukunft der betrieblichen Gesundheitsförderung
5 Soziologische Sicht auf den Wandel der Arbeitswelt
5.1 Atypische Beschäftigung
5.2 Zuwanderung
5.3 Zunahme der Beschäftigung Älterer
6 Zukünftige Arbeitswelten aus Unternehmenssicht
6.1 Demografie und Fachkräfteengpässe
6.2 Reaktionen der Unternehmen
6.3 Gesundheitsförderung als wichtiger Baustein zur Fachkräftesicherung
7 Methode
8 Ergebnisse
9 Diskussion
10 Ausblick
Literaturverzeichnis
Anlagen
Bibliografische Angaben
Nachname, Vorname: Börner, Doreen
Thema der Bachelorarbeit: Betriebliches Gesundheitsmanagement - gesundheitliche und psychosoziale Auswirkungen flexibler Arbeitszeiten
Topic of thesis: Operational Health Management - health and psychosocial effects of adaptable working hours
61 Seiten, Hochschule Mittweida, University of Applied Sciences,Fakultät Medien, Bachelorarbeit, 2016
Abstract
Die aktuelle Diskussion um Arbeitszeitverlängerungen orientiert sich oft ausschließlich an vermeintlich wirtschaftlichen Kriterien, ohne gesundheitliche und soziale Effekte für die Beschäftigten zu berücksichtigen. Die Ergebnisse vorangegangener Untersuchungen deuten jedoch darauf hin, dass mit zunehmender Dauer der Arbeitszeit mit einem Anstieg von gesundheitlichen und sozialen Beeinträchtigungen zu rechnen ist.
In der vorliegenden Bachelorarbeit wird gezeigt, dass mit zunehmender Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit das Risiko für Beeinträchtigungen der Gesundheit und der sozialen Teilhabe der Beschäftigten ansteigt. Darüber hinaus zeigt sich, dass die negativen gesundheitlichen und sozialen Effekte weiterer potenziell ungünstiger Arbeitszeitmerkmale wie Schichtarbeit, variable Arbeitszeiten, schlechte Planbarkeit der Arbeitszeit sowie Arbeit an Abenden oder am Wochenende durch lange Arbeitszeiten weiter verstärkt werden. Da hohe körperliche und/oder psychische Arbeitsanforderungen das Risiko gesundheitlicher Beeinträchtigungen schon von sich aus erhöhen, führen diese insbesondere bei langen und/oder in der Lage versetzten Arbeitszeiten zu einer weiteren Erhöhung des Beeinträchtigungsrisikos.
Der Zusammenhang zwischen langen Arbeitszeiten und gesundheitlichen sowie sozialen Beeinträchtigungen kann damit als wissenschaftlich gesichert gelten.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Stunden
Abbildung 2: Unfallrisiko als Funktion der Dauer der Arbeitszeit
Abbildung 3: Psychovegetative, muskulo-skelettale und andere gesundheitliche Beeinträchtigungen in Abhängigkeit von der wöchentlichen Arbeitszeit in Deutschland
Abbildung 4: Klassifikation psychischer Störungen nach ätiologischen Einflüssen
Abbildung 5: Bevölkerungsprojektion nach Altersgruppen
Abbildung 6: Differenzierung eigenständiger Funktionen im resilienten Unternehmen
Abbildung 7: Integration subjektiver und objektiver Dimensionen am Beispiel der betrieblichen Funktionsbereiche
Abbildung 8: Anteile Atypischer Beschäftigungsverhältnisse
Abbildung 9: Ab – und Zuwanderungen zwischen Deutschland und dem Ausland in Millionen
Abbildung 10: Anteil der Unternehmen, die im Fachkräftemangel ein Risiko für ihre wirtschaftliche Entwicklung sehen
Abbildung 11: Wie wollen Sie zukünftig auf eventuelle Fachkräfteengpässe reagieren?
Abbildung 12: Hat oder wird das Thema »Gesundheitsförderung im Betrieb« über den gesetzlichen Arbeitsschutz hinaus bei Ihnen einen größeren Stellenwert erhalten?
Vorwort
An dieser Stelle möchte ich mich recht herzlich bei allen bedanken, die mir bei der Anfertigung der Bachelor-Thesis zur Seite standen. Meine Dankbarkeit gilt auch meinen Studienkommilitonen. Die Unterstützung war in jeglicher Form, wie Empfehlungen von Internetseiten, oder Literaturtipps hilfreich. Ebenso gilt ein besonderes Dankeschön an die Befragten für die Teilnahme an meiner Studie und die hohe Kooperationsbereitschaft. Außerdem möchte ich meiner Familie, meinem Partner und meinen Freunden danken, dass sie mich während dieser Zeit ertragen und so liebevoll unterstützt haben.
1. Einleitung
Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit, mehr als die optimale biologische Funktionsfähigkeit des Organismus und mehr als das bloße „Schweigen der Organe“ – Gesundheit umfasst vielmehr sowohl körperliches als auch geistig-seelisches und soziales Wohlbefinden sowie die Fähigkeit zur aktiven Bewältigung der Anforde-rungen in den verschiedenen Bereichen der Lebens- und Arbeitswelt, den eigenen Bedürfnissen und den gesellschaftlichen Ansprüchen entsprechend. Gesundheit in diesem umfassenden Sinn ist zum einen von den genetischen Anlagen, welche die Individuen von Natur her besitzen, und zum anderen von der gesellschaftlich-kulturellen Umwelt, die von den Menschen geschaffen wird, abhängig. Neben dem (in seinen tatsächlichen Auswirkungen auf die Gesundheit vielfach überschätzten) vor allem medizinischen System der Gesundheitsversorgung und dem gesundheitsrelevanten Verhalten der Menschen (zum Beispiel Ernährung, Genussmittelkonsum, Bewegung) ist es vor allem die (in ihrer Bedeutung für die Gesundheit vielfach unterschätzte) Umwelt, die einen wesentlichen Einfluss auf die Gesundheit der Menschen hat. Neben den Belastungen der natürlichen Umwelt (zum Beispiel Verunreinigung von Luft, Wasser, Boden) sind insbesondere die verschiedenen Sphären der gesellschaftlichen Umwelt (Arbeits-und Lebenswelten) entscheidend für die Gesundheit. Gesundheit in diesem umfassenden Sinn des körperlichen, geistig-seelischen und sozialen Wohlbefindens sowie der Leistungsfähigkeit zur aktiven Lebensbewältigung verlangt nach einer ganzheitlichen Betrachtung der unterschiedlichen Einflüsse, die in der betrieblichen Arbeitswelt auf die Menschen wirken. Das Gesundheitsmanagement muss die betrieblichen Maßnahmen, die sich explizit oder implizit auf die Gesundheit der Arbeitenden auswirken können, ganzheitlich in einem integrierten Gesamtkonzept unter aktiver Mitwirkung aller Beteiligten umsetzen. Die Gesundheitspolitik setzt die normativen Ziele, und das betriebliche Gesundheitsmanagement sorgt für die strategische und operative Umsetzung im Unternehmen. Das betriebliche Gesundheits-management beinhaltet die gezielte Steuerung und die koordinierte Integration aller Unternehmensstrukturen und Prozesse in der Absicht, die Gesundheit und das Wohlbefinden sowie die Leistungsfähigkeit und die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten zu erhalten und zu fördern. Nicht in allen Unternehmen herrscht eine Kultur der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen, die es ermöglicht, die verschiedenen Interessen beider Betriebsparteien als gleichberechtigt anzuerkennen und einen tragfähigen fairen Ausgleich der Position auch im Hinblick auf eine ganzheitliche Gesundheitspolitik zu finden. Vielfach wird die Unterordnung der gesundheitsbezogenen Interessen und Bedürfnisse unter die Markterfordernisse und Rentabilitätsansprüche verlangt; zu oft beharrt man auf einem Herr-im-Hause Standpunkt bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen und lässt die gebotene Beteiligung der Beschäftigten oder die Mitwirkung ihrer Interessenvertretung nicht oder nur widerwillig zu. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) werden durch arbeitsbedingte Erkrankungen und Arbeitsunfälle jedes Jahr wirtschaftliche Verluste in Höhe von rund 4% des weltweiten Bruttosozialproduktes verursacht (Bödeker/Friedel/Röttger/Schröer 2002:45). Ein verbessertes Gesundheitsmanagement im Betrieb ist daher geeignet, der vorzeitigen Frühinvalidität in Form verminderter Erwerbsfähigkeit ebenso wie der krankheitsbedingten verfestigten Arbeitslosigkeit wirksam vorzubeugen. Denn bei den wichtigsten Krankheiten, die für die verminderte Erwerbsfähigkeit der Rentner sowie für die gesundheitlichen Einschränkungen der Langzeitarbeitslosen verantwortlich sind, handelt es sich um Erkrankungen, deren Ursachen zu einem erheblichen Teil auf negative Belastungen in der Arbeitswelt zurückzuführen sind.[1]
2. Definition Gesundheit und betriebliches Gesundheitsmanagement
Was ist Gesundheit?
Definition: „Gesundheit ist ein Zustand vollkommen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen.“[2]
Was ist betriebliches Gesundheitsmanagement?
Definition: Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ist die systematische und zielorientierte Steuerung aller Unternehmensprozesse mit dem Ziel, Gesundheit, Leistung und Erfolg für das Unternehmen und alle seine Beschäftigten zu erhalten und zu fördern.[3]
2.1 Definition und Prävalenz langer Arbeitszeiten
Die Frage, welches Ausmaß die Dauer der Arbeitszeit annehmen darf, steht bereits seit langer Zeit immer wieder zur Diskussion. Bereits Anfang des vorherigen Jahrhunderts veröffentlichten SCHNEIDER (1911) und TEISSL (1928) Studien zum Unfallrisiko in Abhängigkeit von der Arbeitszeit. Die Autoren konnten damals bereits zeigen, dass mit zunehmender täglicher Arbeitszeit sowie zunehmender Zeit ohne Arbeitspausen das Unfallrisiko steigt. Auch hundert Jahre später besitzen derartige Themen noch große Aktualität (HÄNECKE et al., 1998; FOLKARD & LOMBARDI, 2006). Dabei hat sich der Fokus der Untersuchungen weiter ausgedehnt, wie etwa auf die Zusammenhänge zwischen langen Arbeitszeiten und der Leistung oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Beschäftigten (SPURGEON et al., 1997; CARUSO et al., 2004a). Die aktuell wieder zunehmenden Forderungen nach einer Ausdehnung der Arbeitszeiten sowohl auf der wöchentlichen als auch auf längerfristiger Basis, wie etwa der Lebensarbeitszeit, bestärken die hohe Relevanz derartiger Untersuchungen. Eine staatliche Regelung der Arbeitszeiten in Deutschland fand das erste Mal im Jahr 1839 in Form des Preußischen Regulativs (eigentlich: Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken) statt, mit dem der preußische König Friedrich Wilhelm III. die Kinderarbeit einschränkte. In diesem Regulativ wurde festgelegt, dass Jugendliche unter 16 Jahren maximal zehn Stunden pro Tag in Fabriken eingesetzt und Kinder unter neun Jahren nicht zur Arbeit in der Industrie sowie im Bergbau herangezogen werden durften. Der Grund für diese Regulierung der Arbeitszeit war allerdings nicht, wie man vermuten könnte, der Schutz der Beschäftigten. Es lag vielmehr die vorherige Feststellung zugrunde, dass aufgrund häufiger körperlicher Beeinträchtigungen (aus-gelöst durch die bereits in der Kindheit üblichen sehr langen Arbeitszeiten in gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen) nicht mehr genügend Wehrdiensttaugliche zur Verfügung standen. Aus Gründen des Gesundheitsschutzes wurden erst 1897 gesetzliche Arbeitszeitregelungen insbesondere für Frauen und Jugendliche durch die Gewerbeordnung festgeschrieben. Relativ kurz darauf wurde durch die internationale Arbeiterbewegung die Einführung des 8-Stunden-Tages gefordert und im Washingtoner Abkommen von 1918 als Ziel festgelegt (GRAF, 1961).
Die europäischen Mitgliedsstaaten unterliegen der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung. Die europäische Richtlinie sieht eine durchschnittliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche bei einer maximalen Arbeitszeit von 60 Wochenstunden vor. Eine explizite Begrenzung der täglichen Arbeitszeit ist nicht genannt, wohingegen eine Ruhezeit von täglich mindestens 11 Stunden vorgeschrieben ist. Seit 2008 wird auf europäischer Ebene diskutiert, die so genannte Opt-Out-Klausel in die Arbeitszeitrichtlinie einzubringen. Diese Klausel erlaubt den Arbeitnehmern, freiwillig auf den Schutz durch das Arbeitszeitgesetz zu verzichten. Somit können die Arbeitszeiten der Beschäftigten mit Opt-Out-Klausel auch ohne Ausgleich verlängert werden. Zum jetzigen Stand der Diskussion ist noch keine Entscheidung bezüglich des Einschlusses der Opt-Out-Klausel in die Arbeitszeitrichtlinie gefallen. Aktuell gilt in Deutschland das auf der europäischen Richtlinie aufbauende Arbeitszeitgesetz (ArbZG, 1994), in dem festgelegt ist, dass die maximale tägliche Arbeitsdauer grundsätzlich acht Stunden nicht überschreiten darf. In Ausnahmefällen kann die tägliche Arbeitszeit auf zehn Stunden ausgeweitet werden, jedoch nur, wenn innerhalb von sechs Monaten die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit acht Stunden nicht überschreitet (ArbZG §3). Zwischen zwei Arbeitsperioden ist eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden vorgeschrieben (ArbZG §5 Abs. 1). Beschäftigte dürfen demnach durchschnittlich bis zu 48 (kurzfristig auch 60) Wochenstunden arbeiten (abgesehen von Ausnahmen, vgl. ArbZG §§18 - 21a), womit sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts prinzipiell nichts an der gesetzlich erlaubten maximalen Arbeitsdauer geändert hat.
Aufbauend auf den oben angeführten gesetzlichen Regelungen bietet es sich an, Arbeitszeiten als „lang“ zu definieren, wenn sie 40 Stunden pro Woche oder 8 Stunden pro Tag überschreiten. Dauerhafte Arbeitszeiten von über 48 Stunden pro Woche sind gemäß der europäischen Richtlinie sowie ArbZG gesetzwidrig. Die wöchentlichen Arbeitszeiten in Deutschland und Europa unterliegen bereits seit Jahrzehnten einem Trend zur Arbeitszeitverkürzung, der sich in Westdeutschland auf tariflicher Ebene in der Einführung der 5-Tage-Woche (1955/56), der 40-Stunden-Woche (1965) und 1990 in der 35-Stunden-Woche widerspiegelte. So lag im Jahr 1970 die durchschnittliche tarifvertragliche Arbeitszeit in Deutschland bei 41,5 Stunden pro Woche (SPITZNAGEL & WANGER, 2004), und sank über die folgenden 30 Jahre auf durchschnittlich 37,7 Stunden pro Woche (LEHNDORFF, 2003). Die Arbeitszeit ist ein wesentliches Merkmal für die Qualität der Arbeit, da sie sowohl eine Beziehung zur Bezahlung wie auch zur Arbeitsbelastung sowie zur Möglichkeit des Ausgleichs beruflicher und privater Belange hat. Einen Überblick über den zeitlichen Verlauf der Arbeitszeiten pro Woche in Deutschland, bietet Abb. 1. Die Gruppe der Erwerbstätigen setzt sich aus Arbeitnehmern, Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen zusammen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1 Durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Stunden
2014 arbeiteten Vollzeitbeschäftigte 42 Stunden pro Woche. 35,3 Stunden betrug die gewöhnliche Wochenarbeitszeit aller Erwerbstätigen in Deutschland 2014. Da die Arbeitszeit erheblich von dem Anteil der Teilzeitbeschäftigten abhängig ist, sollten Voll-zeitbeschäftigte (41,5 Stunden pro Woche) und Teilzeitbeschäftigte (18,8 Stunden) jedoch getrennt voneinander betrachtet werden. Insgesamt hat die gewöhnliche Wo-chenarbeitszeit seit 1991 (38,4 Stunden) um rund 3 Stunden abgenommen. Bei separater Betrachtung der Voll- und Teilzeitbeschäftigten fällt jedoch auf, dass die Arbeitszeit besonders bei den Vollzeitbeschäftigten über die Jahre relativ konstant geblieben ist. Bei den Teilzeitbeschäftigten ist ein leichter Rückgang von 20 (1991) auf knapp 19 Stunden (2014) zu verzeichnen. Die mittlere Arbeitszeit aller Erwerbstätigen wird dabei von dem steigenden Anteil Teilzeitbeschäftigter beeinflusst. Dieser betrug 14 % von allen Erwerbstätigen im Jahr 1991 und stieg bis 2014 auf 28 % an. Die längerfristige Entwicklung der Arbeitszeiten ist allerdings nicht genau abschätzbar. Es erscheint einerseits möglich, dass es in einer folgenden Periode mit höherer Arbeitslosigkeit zu einer Arbeitszeitverkürzung zum Zwecke der Beschäftigungssicherung kommt. Andererseits wäre es ebenso denkbar, dass aufgrund einer erhöhten Arbeitslosenzahl die verbleibenden Beschäftigten umso mehr und damit länger arbeiten müssen. Es ist hingegen auch möglich, dass der bisher erkennbare langfristige Trend hin zur Arbeitszeitverlängerung trotz der Wirtschaftskrise bestehen bleibt und die momentane Kurzarbeit nur eine kurzfristige Abweichung vom Trend darstellt.
Neben der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeiten nahm in den letzten Jahren die Häufigkeit der Beschäftigung in variablen sowie in potenziell ungünstig gelegenen Arbeitszeiten (Schicht- und Nachtarbeit, Arbeit an Abenden, Samstagen und Sonntagen) ebenfalls zu (vgl. KÜMMERLING et al., 2008; SEIFERT, 2009). Die Arbeitszeiten werden also nicht nur länger sondern auch in biologisch und sozial ungünstig gelegene Zeiten verschoben bzw. verlängert. Mögliche negative Auswirkungen dieser Entwicklung können eine Steigerung gesundheitlicher Beeinträchtigungen der Beschäftigten aber auch eine Einschränkung ihrer Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe sein. Damit wird deutlich, dass nicht nur der Gesundheitsaspekt von der Arbeitszeitgestaltung betroffen sein kann, sondern potentiell auch die soziale Zeit für die Lebensgestaltung außerhalb der Arbeit. Diese Diskussionspunkte werden später noch einmal aufgegriffen.
2.2 Aufgaben der Arbeits(Zeit)gestaltung
Definition Arbeitszeitgestaltung:
Maßnahmen zur Festlegung der pro Tag zu absolvierenden Arbeitsstunden sowie der Lage der Arbeitsstunden innerhalb des Tages bei konstanter Stundenmenge (zum Beispiel bei gleitender Arbeitszeit). Arbeitszeitgestaltung im Rahmen der Arbeitszeitflexibilisierung kann zur Erhöhung der Produktivität sowie Senkung der Fehlzeiten beitragen. Ziel der Arbeitsgestaltung ist es, die aus der Arbeit resultierende Belastung und Beanspruchung zu analysieren, zu bewerten und die Tätigkeit anhand arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse so zu gestalten, dass sie nicht zu Beeinträchtigungen des Beschäftigten führt. Das ergonomische Leitbild ist, die Arbeit an den Menschen anzupassen und nicht umgekehrt. Für die Bewertung und damit als Gestaltungsgrundlage von Arbeitssystemen werden in der Regel arbeitswissenschaftliche Kriterien herangezogen, wie etwa die von HACKER & RICHTER (1984) definierten hierarchischen Kriterien der Ausführbarkeit, Schädigungslosigkeit, Beeinträchtigungsfreiheit und Persönlichkeitsförderlichkeit. Die Arbeit sollte danach so gestaltet sein, dass der Mensch auf Grund seiner biologischen und psychischen Leistungsvoraussetzungen in der Lage ist, die Arbeit ohne Risiken auch über einen längeren Zeitraum hinweg auszuüben (Ausführbarkeit). Das Kriterium der Schädigungslosigkeit beinhaltet die Vermeidung gesundheitlicher Schädigungen (zum Beispiel Berufskrankheiten).
Es dürfen darüber hinaus im Rahmen der Beeinträchtigungsfreiheit auch keine kurzen und reversiblen Einschränkungen des gesundheitlichen Wohlbefindens auftreten. Neben den drei Kriterien zur Vermeidung negativer Beanspruchungsfolgen wird mit dem Kriterium der Persönlichkeitsförderlichkeit ein positives und nach oben hin unbegrenztes Gestaltungsziel aufgestellt. Im klassischen Sinne (HACKER & RICHTER, 1984; ULICH, 1998) weisen persönlichkeitsförderliche Arbeitsbedingungen Merkmale auf, welche eine Weiterentwicklung der Fähigkeiten und Einstellungen der Beschäftigten ermöglichen, wie etwa durch Lernen oder die Möglichkeit zu selbstständigen Tätigkeiten. ULICH (1998, S. 139f) betont, dass insbesondere die kognitive und soziale Kompetenz, das Selbstkonzept und die Leistungsmotivation der Beschäftigten durch die Arbeitsbedingungen gefördert werden sollten. Die zugrunde liegende Annahme ist dabei, dass die Persönlichkeit des Menschen durch seine Arbeit geformt wird (RUBINSTEIN, 1958, zitiert nach ULICH, 1998). Der daraus entstehende, empirisch erfassbare soziale Rhythmus schafft eine normative Zeitstruktur für die Gesellschaft und macht damit die gemeinschaftliche Nutzung von Zeit möglich. Auf diese Weise dient die gemeinschaftliche soziale Zeitstruktur als Mittel für die (aktive und passive) Sozialisation. Diese kann in ausreichendem Umfang aber nur dann erfolgen, wenn dem Menschen genügend Zeit in seinem sozialen Umfeld zur Verfügung steht. Die Arbeitszeitgestaltung kann hier wirksam werden, indem sie den Beschäftigten (sozial nutzbare) Zeit lässt, um ihre persönlichen Bedürfnisse zu erfüllen, aber auch um ausreichend Zeit neben der Arbeit zu schaffen, um die Persönlichkeitsentwicklung zu ermöglichen.
Die Arbeit sollte darüber hinaus dahingehend gestaltet werden, dass die Belastung optimiert und nicht einfach nur minimiert wird, da sowohl aus übermäßig hohen als auch durch sehr geringe Anforderungen durch die Tätigkeit (sogenannte Überforderung durch Unterforderung) negative Beanspruchungsfolgen resultieren können (HACKER & RICHTER, 1984). Wie oben bereits erwähnt, ist die Gestaltung der Arbeit auf den Dimensionen der Belastungsintensität und der Arbeitszeit möglich.
Aufgrund ihres großen Einflusses auf die Gestaltung der Arbeitssituation ist die Ar-beitszeitgestaltung ein traditioneller und wesentlicher Aspekt des Arbeitsschutzes. Die Arbeitszeitgestaltung soll dabei einerseits die arbeitswissenschaftlichen Anforderungen erfüllen, die Arbeit so zu gestalten, dass gesundheitliche oder soziale Beeinträchtigungen, Unfallrisiken und negative psychische Beanspruchungsfolgen minimiert werden und die Leistung der Arbeitnehmer optimiert wird. Andererseits sollen die Arbeitszeiten auf den Bedarf der Unternehmen ausgerichtet sein, die etwa aufgrund technischer Voraussetzungen einen Betrieb rund um die Uhr erfordern. Im Hinblick auf die Einhaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sind bei der Arbeitszeitgestaltung besonders folgende Arbeitszeitkonstellationen von Interesse (BEERMANN, 2004, S. 182):
- Überstunden und lange Arbeitszeiten,
- flexible und nicht vorhersehbare Arbeitszeiten,
- unterschiedliche Schichtsysteme, besonders solche mit Nachtarbeit,
- massierte Arbeitszeiten (insbesondere 12-Stunden Schichten).
Die Arbeitszeitgestaltung kann auf allen oben genannten Dimensionen der Arbeitszeit ansetzen. Dabei gibt es für die Gestaltung einiger Dimensionen bereits rechtliche Rahmenbedingungen: Für die Gestaltung von Schicht- und Nachtarbeit (Lage und Verteilung der Arbeitszeit) existieren umfangreiche, gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse, die laut Gesetz bei der Arbeitszeitgestaltung zu berücksichtigen sind (ArbZG § 6, Abs. 1). Für die praktische Umsetzung dieser Anforderungen gibt es eine Reihe von Leitfäden und Handlungsempfehlungen (zum Beispiel WEDDERBURN, 1991; BEERMANN, 2005). Im Bereich der flexiblen Arbeitszeiten (Gestaltung der Dynamik) wurden zwar bereits ebenfalls Gestaltungsempfehlungen auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse vorgelegt (z. B. JANßEN & NACHREINER, 2006). Da diesen Empfehlungen jedoch zurzeit noch nicht der Status gesicherter arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse zukommt, ist deren Anwendung im Gegensatz zu den Erkenntnissen zur Gestaltung von Nacht- und Schichtarbeit noch nicht gesetzlich verpflichtend. Die Dauer der Arbeitszeit ist bereits rechtlich durch die EU-Richtlinie und das ArbZG begrenzt. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass je nach Art der Tätigkeit die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen nicht automatisch zu „gesunden“ Arbeitszeiten führt. Es wurde oben bereits deutlich, dass rechtliche Vorgaben bezüglich der Arbeitsdauer in der Praxis teilweise sehr unterschiedlich umgesetzt werden. Auch wenn die gesetzliche Begrenzung der Arbeitszeit teilweise auf der Erkenntnis fußt, dass übermäßig lange Arbeitszeiten die Gesundheit der Beschäftigten beeinträchtigen, liegen noch wenig wirklich belastbare und differenzierte Ergebnisse zur Einhaltung der Gestaltungskriterien der Ausführbarkeit, Schädigungslosigkeit, Beeinträchtigungsfreiheit sowie Persönlichkeitsförderlichkeit bei langen Arbeitszeiten vor. Es wäre jedoch sehr wichtig, gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu den Auswirkungen langer Arbeitszeiten zu gewinnen und bei der Gestaltung umzusetzen, sodass die Gefährdung der Beschäftigten aufgrund der Arbeitszeitgestaltung minimiert wird.
2.3 Gesundheitliche und soziale Auswirkungen langer Arbeitszeiten – ein erster Überblick
Im Allgemeinen ist es schwierig bis unmöglich, die Belastung und Beanspruchung einzelner Personen direkt zu messen (vgl. dazu NICKEL, 2004; SCHMIDTKE, 2002). Eine weitere Erschwerung ergibt sich insbesondere dann, wenn weiterhin der Anteil der Beanspruchung, der durch die Arbeitszeit entsteht, herausgerechnet werden soll. Ein möglicher und eher pragmatischer Ansatz ist, kurz- und längerfristige Beanspruchungs-folgen wie gesundheitliche Beeinträchtigungen, kognitiven Leistungsabfall und das Unfallrisiko oder aber betriebswirtschaftliche Kennzahlen wie etwa die Produktivität als Indikator für die Leistung der Beschäftigten zu messen.
Dabei sollten die Arbeitsbedingungen möglichst genau erfasst werden, sodass die Effekte der Arbeitszeit(dauer, -lage, -verteilung und -dynamik) – von möglichen Konfundierungen befreit – auf die Beanspruchungsfolgen bestimmt werden können. Richtet man sich dabei nach den Ar-beitsbewertungskriterien von HACKER & RICHTER (1984), so ist die Arbeitszeit in erster Linie dann gut gestaltet, wenn keine der negativen Beanspruchungsfolgen, wie zum Beispiel gesundheitlichen Beschwerden, in einem Zusammenhang zur Arbeitszeit stehen und der Beschäftigte somit keine durch die Gestaltung der Expositionsdauer verursachte Beeinträchtigungen erleidet. In der Literatur findet man eine Reihe von Untersuchungen, in denen Beanspruchungsfolgen, wie Ermüdung, gesundheitliche Beeinträchtigungen oder die Leistung der Beschäftigten ermittelt und in den Zusammenhang mit der (in der Regel täglichen oder wöchentlichen) Dauer der Arbeitszeit gebracht werden. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die bisherigen Erkenntnisse zu den Zusammenhängen zwischen der Dauer der Arbeitszeit, dem Unfallrisiko, der Leistung und Produktivität sowie gesundheitlichen und sozialen Beeinträchtigungen der Beschäftigten gegeben werden. Ebenso werden Einschränkungen der vorliegenden Untersuchungen und der daraus resultierende notwendige Forschungsbedarf dargestellt.
2.3.1 Arbeitsdauer und Unfallrisiko
HACKER & RICHTER (1984) fordern als Grundprinzip die Ausführbarkeit der Arbeit über den ganzen Arbeitstag, aber auch über längere Zeiträume wie prinzipiell gesehen auch über das Arbeitsleben. Das Auftreten von Arbeitsunfällen gilt als ein Indikator dafür, dass die Arbeit nicht forderungsgerecht und schädigungslos ausgeführt werden kann. Wenn also lange Arbeitszeiten mit einem erhöhten Unfallrisiko verbunden sind, dann können bereits die ersten beiden hierarchischen Kriterien nicht erfüllt werden. Dabei muss es nicht immer zu katastrophalen Unfällen wie etwa Tschernobyl oder der Exxon Valdez kommen. Auch meldepflichtige Unfälle oder kleinere Verletzungen der Beschäftigten können bereits Hinweise auf deren Ermüdung oder Erschöpfung geben, die aus der Intensität und Dauer der Belastung resultieren können. Eine methodische Stärke der Untersuchung des Unfallrisikos ist, dass objektive Daten über Unfälle (mit und ohne Zeitverlust) verwendet werden können, die aus den Unternehmen selbst oder aus öffentlichen Archiven stammen können und somit nur in geringem Maße subjektiven Verzerrungen unterliegen. In der Literatur ist aus älteren (SCHNEIDER, 1911; VERNON, 1921; TEISSL, 1928) wie auch aus neueren Studien (FOLKARD, 1996; HÄNECKE et al., 1998; NACHREINER, 2002) mittlerweile bereits gut belegt, dass das Unfallrisiko der Beschäftigten nach der 8. bzw. 9. Arbeitsstunde exponentiell ansteigt.
FOLKARD & LOMBARDI (2004, 2006) entwickelten auf Basis dieser und anderer Untersuchungen ein Risikomodell zur Vorhersage der Wahrscheinlichkeit von Unfällen in Abhängigkeit von verschiedenen Merkmalen der Arbeitszeit. Die zusammengetragenen Ergebnisse zeigen, dass im Vergleich von Früh-, Spät- und Nachtschichten bei vergleichbarem Grundrisiko in der Nachtschicht das höchste Unfallrisiko besteht. Je mehr Schichten (Tage) in Folge gearbeitet wird, desto höher wird das Unfallrisiko. Dabei ist der Anstieg des Risikos über mehrere Nachtschichten in Folge wesentlich steiler als über mehrere Tagschichten in Folge. Auch die Länge der einzelnen Schichten trägt substantiell zur Erhöhung des Unfallrisikos bei. So steigt, wie oben beschrieben, das Risiko für einen Unfall ab der 8. Arbeitsstunde exponentiell an. Neben der Schichtdauer beeinflusst die Arbeitsdauer seit der letzten Pause die Höhe des Unfallrisikos, wobei das Risiko mit zunehmender Zeit ohne Pause fast linear ansteigt. Neben der Lage wirkt folglich die Dauer der Arbeitszeit zum einen auf der täglichen Basis und zum anderen mit einer kumulativen Komponente über mehrere Schichten hinweg auf die Höhe des Unfallrisikos.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 Einige Untersuchungen belegen, dass das Fehler- und Unfallrisiko nach 8-9 Arbeitsstunden exponentiell ansteigt (Akerstedt, 1995; Folkard, 1996; Hänecke et al. 1998; Nachreiner, 2002). Selbst ein Ansteigen des Risikos für tödliche Unfälle in Abhängigkeit der täglichen Arbeitszeit lässt sich nachweisen (Akkermann & Nachreiner, 2001).
Auch wenn sich die berechnete Risikoerhöhung in den verschiedenen Untersuchungen etwas unterscheidet, lässt sich insgesamt ein deutlicher Trend der Steigerung des Unfallrisikos mit zunehmender (täglicher und wöchentlicher) Arbeitszeit nachweisen.
2.3.2 Auswirkungen der Arbeitszeit auf die Gesundheit
Nach der Ausführbarkeit und Schädigungslosigkeit wird von HACKER & RICHTER (1984) das Gestaltungskriterium der Beeinträchtigungsfreiheit genannt. Als beeinträchtigungsfrei werden Arbeitsbedingungen dann bezeichnet, wenn keine kurz- oder langfristigen Beeinträchtigungen des gesundheitlichen Wohlbefindens durch die Tätigkeit verursacht werden. Diese negativen und in der Regel längerfristigen Beanspruchungs-folgen können, wie im Modell beschrieben, durch die Intensität als auch die Extensität der Belastung hervorgerufen werden. Sowohl in älteren wie auch in neueren Reviews und Untersuchungen (vgl. SPARKS & COOPER, 1997; SPURGEON et al., 1997; WORRALL & COOPER, 1999; ETTNER & GRZYWACZ, 2001; VAN DER HULST, 2003; CARUSO et al., 2004a; DEMBE et al., 2005; KECKLUND, 2005; CARUSO, 2006; RÄDIKER et al., 2006; RÜTERS et al., 2008) werden negative Effekte langer Arbeitszeiten auf die Gesundheit berichtet. In den Untersuchungen von NACHREINER et al. (2005) sowie RÄDIKER et al. (2006) wurden die berichteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen in psychovegetative, muskuloskelettale (Muskel-Skelett-), und allgemeine Beschwerden klassifiziert und in Zusammenhang mit der berichteten Anzahl der (tatsächlichen) wöchentlichen Arbeitsstunden gebracht. Wie in Abb. 3 zu erkennen ist, steigen die gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit zunehmender wöchentlicher Arbeitszeit deutlich an (die Faktorwerte sind aufgrund ihrer z-Standardisierung normalverteilt mit einem Mittelwert von Null und einer Standardabweichung von Eins). Der Anstieg der psychovegetativen Beeinträchtigungen ist dabei insbesondere bei den Beschäftigten oberhalb des Vollzeitbereiches (≥ 40 Wochenstunden) wesentlich steiler als der Anstieg der muskuloskelettalen und allgemeinen Beschwerden in diesem Arbeitszeitbereich. Die Zusammenhänge von langen Arbeitszeiten mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen können nicht nur auf allgemeiner Ebene gezeigt werden, sondern deuten sich ebenfalls für einzelne Symptome an.
2.3.2.1 Kardiovaskuläre Erkrankungen
Lange Arbeitszeiten können sich auf das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen auswirken. So berichteten z. B. LIU & TANAKA (2002), dass sich bei Arbeitszeiten über 61 Stunden pro Woche das Risiko für einen Myokardinfarkt verdoppelt, verglichen mit Arbeitszeiten von unter 40 Wochenstunden. Ergebnisse aus anderen Studien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3 Psychovegetative, muskuloskelettale und andere gesundheitliche Beeinträchtigungen in Abhängigkeit von der wöchentlichen Arbeitszeit in Deutschland (NACHREINER et al., 2005, S. 28)
weisen ebenfalls darauf hin, dass lange Arbeitszeiten das Risiko für Herz- Kreislauf-Erkrankungen deutlich erhöhen (HAYASHI et al., 1996; UEHATA, 1991). In Japan kam der plötzliche Tod durch Überarbeitung derart häufig vor, dass er mit dem Begriff Karoshi bezeichnet wurde. Häufig gehen dem Karoshi, der in der Regel durch einen Herz-infarkt oder Schlaganfall ausgelöst wird, viele Überstunden beziehungsweise lange Arbeitszeiten ohne Pause und weitere arbeitsbedingte Stressoren voraus. Da Karoshi in Japan als berufsbedingte Erkrankung anerkannt ist, besteht sogar das Anrecht auf Entschädigung für die Hinterbliebenen. Es lassen sich allerdings auch gegenteilige Ergebnisse finden, wie etwa die von NAKANISHI et al. (2001). Dort wird ein positiver Effekt langer Arbeitszeiten auf die Entwicklung von Bluthochdruck berichtet. Da sich die meisten Studien zum Zusammenhang von Arbeitszeit und kardiovaskulären Symptomen aller-dings auf Stichproben japanischer Männer beschränken, ist ihre Generalisierbarkeit eingeschränkt (vgl. CARUSO et al., 2004a). SPURGEON (2003) und BEERMANN (2004) kommen dennoch zu dem Schluss, dass die negativen Auswirkungen langer Arbeitszeiten auf kardiovaskuläre Symptome als gesichert betrachtet werden können.
2.3.2.2 Muskel-Skelett-Erkrankungen
Bezüglich der Auswirkungen von langen Arbeitszeiten auf Muskel-Skelett- Erkrankungen herrscht kein einheitliches Bild vor. So ermittelten LIPSCOMB et al. (2002) und TRINKOFF et al. (2006) eine Erhöhung des Risikos muskuloskelettaler Beeinträchtigungen mit zunehmender Dauer der Arbeitszeit, insbesondere bei Arbeitszeiten von mehr als 12 Stunden pro Tag oder 40 Stunden pro Woche, wobei in den beiden er-wähnten Studien ausschließlich Krankenschwestern, teilweise mit Schichtarbeit, unter-sucht wurden. Dabei wurde bezüglich der Schicht nur abgefragt, ob die TeilnehmerInnen in einer anderen als der Tagschicht arbeiteten, so dass die potentielle Konfundierung zwischen Schichtarbeit und der Anzahl wöchentlicher Arbeitsstunden nicht kontrolliert werden konnte. Auch in der bereits oben beschriebenen Untersuchung von NACHREINER et al. (2005) wurden deutliche, fast lineare Zusammenhänge zwischen Muskel-Skelett-Beschwerden und der Arbeitsdauer berichtet (vgl. Abb. 3). GROSCH et al. (2006) hingegen fanden in einer für die U.S. Bevölkerung repräsentativen Stichprobe im Vergleich zur Gruppe der Vollzeitbeschäftigten (35-40 Std. pro Woche) erst bei über 70 Std. pro Woche eine gegenüber kürzeren Arbeitszeiten erhöhte Anzahl von Muskel-Skelett-Erkrankungen. Es scheint demnach einen negativen Effekt der Arbeitsdauer auf Muskel-Skelett-Erkrankungen zu geben, der jedoch hinsichtlich seiner Ausprägung eher schwach zu sein scheint und darüber hinaus auch wesentlich von weiteren Merkmalen der Arbeitszeit und der Arbeitsbedingungen abhängt.
2.3.2.3 Gastrointestinale Erkrankungen
[4] CARUSO et al. (2004b) berichten über deutliche Zusammenhänge zwischen gastrointestinalen Erkrankungen und Schichtarbeit, jedoch nur schwache Zusammenhänge dieser Erkrankungen mit langen Arbeitszeiten. In der untersuchten Stichprobe der Beschäftigten in der Automobilfertigung erhöhte sich mit 10 Stunden zusätzlicher Arbeits-zeit pro Woche das Risiko für die Verwendung von Medikamenten gegen gastrointestinale Krankheiten um 23 %. Wie bereits VAN DER HULST (2003) konstatiert, fehlen jedoch bislang weitere gesicherte Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen gastrointestinalen Beschwerden und langen Arbeitszeiten.
2.3.2.4 Weitere Symptome
KROENKE et al. (2006) berichten, dass das Diabetesrisiko bei Frauen durch lange Arbeitszeiten erhöht wird. Dabei steigern Arbeitszeiten von mehr als 40 Stunden pro Woche das Diabetesrisiko gegenüber einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20-40 Stun-den um etwa 20 %. In einer Studie an japanischen Männern konnte weiterhin gezeigt werden, dass das Diabetesrisiko bei mehr als 50 Überstunden pro Monat gegenüber weniger als 25 monatlichen Überstunden um den Faktor 3,7 erhöht ist (KAWAKAMI et al., 1999). Da der Diabetes mellitus jedoch von vielen anderen Faktoren, insbesondere von den Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten abhängig ist, wäre bei einer Korrelation zur Arbeitszeit die Kausalität fragwürdig. Aufgrund der umfangreichen Ergebnisse zu den negativen Auswirkungen von Schicht-arbeit auf Schlafstörungen und psychovegetative Symptome stellt sich die Frage, ob lange Arbeitszeiten ähnliche negative Effekte auch auf diese Symptome ausüben. Da die Dauer der Arbeitszeit einen direkten Einfluss auf die Lage der Arbeitszeit sowie auch auf das Ausmaß der Ruhezeiten der Beschäftigten ausübt, erscheinen Schlafstörungen in Folge langer Arbeitszeiten als durchaus plausibel. Je länger die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit ist, desto kürzer ist zudem die Schlafdauer (zum Beispiel VAN DER HULST, 2003; KRUEGER & FRIEDMAN, 2009). Eine verkürzte Schlafdauer kann wiederum mit einer Verminderung der Performanz, einem erhöhten Unfallrisiko sowie mit einem gesteigerten Risiko für verschiedene gesundheitliche Beeinträchtigungen zusammenhängen, wie etwa kardiovaskuläre Erkrankungen, Übergewicht oder eine Schwächung des Immunsystems (vgl. VAN DER HULST, 2003; CARUSO, 2006; HÄRMÄ, 2006; LOMBARDI et al., in Vorbereitung). NACHREINER et al. (2005) sowie RÜTERS (2008) berichten darüber hinaus eine Zunahme von Schlafstörungen sowie von psychovegetativen Beschwerden bei steigenden Wochenarbeitszeiten.
2.3.2.5 Maladaptive Verhaltensweisen
Neben diagnostizierten oder berichteten Erkrankungen sind ungesunde (sogenannte maladaptive) Verhaltensweisen, wie etwa ein erhöhter Konsum von Genussmitteln wie Alkohol oder Zigaretten, Gewichtszunahme oder Mangel an Bewegung, ein weiteres Indiz für eine Gesundheitsgefährdung. SHIELDS (1999) berichtet als Folge der Verlängerung der Arbeitszeit von 35-40 Std. auf über 41 Std. pro Woche eine ungesunde Gewichtszunahme bei Männern, eine gesteigerte Anzahl konsumierter Zigaretten bei beiden Geschlechtern und eine Zunahme des Alkoholkonsums bei Frauen. Untersucht wurden dabei ca. 3800 kanadische Erwerbstätige in einer dreijährigen Längsschnittstudie. Eine Steigerung des Alkoholkonsums und eine ungesunde Gewichtszunahme in Zusammenhang mit der Arbeitsdauer wurde ebenfalls von TRINKOFF & STORR (1998) und NAKAMURA et al. (1998) gezeigt. Auch auf die Gesundheit der Kinder von Erwerbstätigen haben lange Arbeitszeiten möglicherweise negative Folgen. Im Hinblick auf Karoshi (siehe oben) besteht die Vermutung, dass lange Arbeitszeiten nicht nur auf dem direkten Weg das Eintreten des plötzlichen Herztodes begünstigen. Vielmehr können gesundheitsschädliche Verhaltensweisen, die in Folge langer Arbeitszeiten auftreten, ebenfalls zum Entstehen von Karoshi beitragen. Lange Arbeitszeiten begünstigen folglich sowohl direkt als auch indirekt über die maladaptiven Verhaltensweisen das Eintreten des plötzlichen Herztodes.
2.3.2.6 Psychosoziale Auswirkungen
In der deutschsprachigen Arbeitspsychologie besteht Übereinstimmung dahingehend, dass dem Kriterium ‘Persönlichkeitsförderlichkeit’ bei der Bewertung von Arbeits-tätigkeiten zentrale Bedeutung zukommt. Dies wird auch in der weitgehend akzeptierten Definition humaner Arbeitstätigkeiten zum Ausdruck gebracht.
“Als human werden Arbeitstätigkeiten bezeichnet, die die psychophysische Gesundheit der Arbeitstätigen nicht schädigen, ihr psychosoziales Wohlbefinden nicht – oder allen-falls vorübergehend – beeinträchtigen, ihren Bedürfnissen und Qualifikationen entsprechen, individuelle und /oder kollektive Einflussnahme auf Arbeitsbedingungen und Arbeitssysteme ermöglichen und zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit im Sinne der Entfaltung ihrer Potentiale und Förderung ihrer Kompetenzen beizutragen vermögen.” (Ulich 1984, 2001a).
In den letzten zehn Jahren wird eine massive Zunahme von Arbeitsunfähigkeit und von Frühverrentung aufgrund psychischer Erkrankungen festgestellt. Dabei wird den veränderten Arbeitsbedingungen und den erhöhten Arbeitsanforderungen ein hohes Verursachungspotenzial zugeschrieben.
Ich möchte einen Überblick zum Forschungsstand und zu den potenziellen Auswirkungen von arbeitsweltlichen Strukturen auf die Erwerbsarbeit und auf die psychische Gesundheit von Erwerbstätigen geben.
Befundskizze
Die Auswertung der Krankenberichte der großen gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland zeigen über die letzten zehn Jahre einen besonderen Trend: Während der allgemeine betriebliche Krankenstand für beide Geschlechter in der Tendenz sinkt, wird parallel dazu ein deutlicher Anstieg der Arbeitsunfähigkeitstage (AU-Tage) aufgrund psychischer Erkrankungen registriert (Lohmann-Heislah, 2012). In diesem Zeitraum sind psychische Erkrankungen von Arbeitnehmern immer häufiger und anteilsmäßig (als AU-Dauer) immer umfangreicher die Ursache für betriebliche Fehlzeiten geworden und bilden inzwischen die Hauptursache für Erwerbsminderungsrenten und Frühverrentung (BundesPsychotherapeutenKammer [BPtK], 2014a). Die Störungsbilder konzentrieren sich auf depressive Störungen, Burnout-Syndrom, Angstzustände, Belastungsreaktionen und somatoforme Störungen, häufig auch in Verbindung mit Suchterkrankungen. Mit einer Zunahme um 96 % hat sich auch der Anteil der durch psychische Erkrankung bedingten AU-Tage in dieser Zeit fast verdoppelt. Bezogen auf Krankheitsformen sind in 2012 nach Muskel-Skelett-Krankheiten psychische Erkrankungen mit 14 % der zweithäufigste Grund für betriebliche Fehltage. Bedingt ist das auch durch die zunehmend hohe AU-Dauer bei diesen Erkrankungen (BPtK, 2014b). Die Zahl der Frühverrentungen infolge psychischer Störungen ist von 2001 bis 2012 um 41 % gestiegen. An dieser Zunahme sind vor allem Depressionen mit plus 96 %, Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen mit plus 74 % und Suchterkrankungen mit plus 49 % beteiligt. 2012 sind 42 % der Frühverrentungen psychisch bedingt. (BPtK, 2014b). In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass psychische Erkrankungen, im Vergleich zu körperlichen Erkrankungen, besonders früh zu vorzeitiger Verrentung führen. Diese Entwicklungen sind nicht nur unter gesundheitlichem sondern auch unter wirtschaftlichem Aspekt bedenklich. Die längere Arbeitsunfähigkeit bei psychischer Erkrankung bringt betriebswirtschaftliche und der weit vorzeitige Eintritt der Frühverrentung volkswirtschaftliche Kosten mit sich. Letzteres geht mit nur geringer Rentenzahlung und daher oftmals mit Altersarmut bei den Betroffenen einher. Die Zunahme psychischer Arbeitsbelastungen mit Krankheitsfolge wird europaweit festgestellt (Kuhn, 2010; Lohmann-Heislah, 2012) und dürfte perspektivisch für fortgeschrittene Industrieländer insgesamt gelten. In einer Auswertung deutscher und europäischer Untersuchungen erstellen Weber und Hörmann (2010) folgende länder- und branchen-übergreifende arbeitsbezogene Risikofaktoren für psychosoziale Gesundheit:
- Geringe soziale Unterstützung
- Führungsverhalten / Managementfehler
- „Ungerechtigkeit“ im Unternehmen
- Interpersonelle Konflikte (Mobbing)
- Fehlende Kontroll- und Einflussmöglichkeit/Fremdbestimmtheit
- Arbeitsüberlastung (Zeitdruck, Multitasking)
- Lange Arbeitszeit / Monotonie
- Arbeitsplatzunsicherheit
- Fehlende Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Anforderungen.
Erklärungsansätze
Als ursächlich für die beobachteten Phänomene – zunehmende Stressbelastungen sowie Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung wegen psychischer und psychosomatischer Erkrankungen– werden relativ allgemein die gegenwärtigen, gesellschaftsstrukturell bedingten, „postfordianischen“ Arbeitsbedingungen angesehen. Andererseits ist zu argumentieren, dass bislang kaum eindeutige, belastbare kausale Nachweise für diese Zusammenhänge vorliegen. Es lässt sich lediglich konstatieren, dass mit zunehmendem Strukturwandel der Arbeitswelt bei den Erwerbstätigen Belastungserleben, Fehltage und Frühverrentung markant zunehmen. In einem Bericht über die Anhörung im Bundesausschuss für Arbeit und Soziales im Mai 2013 formuliert die Bundespsy-chotherapeutenkammer, dass die psychische Gesundheit der Beschäftigten … durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst (wird), die neben der individuellen Konstitution vor allem mit Belastungen und Ressourcen im privaten und beruflichen Umfeld zusammenhängen …. Im Einzelfall wird es oft schwierig, einen eindeutigen Zusammen-hang zwischen beruflicher Beanspruchung und einer psychischen Erkrankung nachzuweisen. (BPtK, 2013, S. 5)
Psychosoziale und betriebliche Maßnahmen zur Gesundheitsförderung
In Deutschland hat der Gesetzgeber im Sozialgesetzbuch (SGB) V die gesetzlichen Krankenkassen beauftragt, die Prävention psychischer Gesundheit von Erwerbstätigen sicherzustellen.
Das erfolgt über drei Präventionsfelder:
- Individueller Ansatz: Verhaltensprävention in Form von Gruppen- und Einzelangeboten
- Setting-Ansatz: Informationsgebung sowie Entwicklung und Förderung von präventiven Verhaltensweisen, Einstellungen und Strukturen in Kindergärten, Schulen, Stadt-teilen, sozialen Wohngruppen, Migrantentreffpunkten unter anderem
- Betriebliches Gesundheitsmanagement: Verhaltens- und Verhältnisprävention im Rahmen von betrieblichen Organisationen
Verhaltensprävention fokussiert Maßnahmen, die im Einflussbereich des/der Erwerb-stätigen liegen, zum Beispiel Techniken zur Entspannung, Achtsamkeit, Stressbewältigung und Zeitmanagement. Verhältnisprävention zielt auf die betrieblichen Arbeitsbedingungen und Organisationsstrukturen. Der Arbeitsplatz als Lebenswelt kann „viel stärker Verhältnis- und verhaltenspräventiv genutzt werden, um Belastungen der Beschäftigten zu verringern und ihre Widerstandsfähigkeit zu stärken“ (BPtK, 2013, S. 5). Zudem kommt (individuelle) gesundheitliche Selbstfürsorge in Betracht (Haubl, 2013a; Keupp & Dill, 2010). Selbstfürsorge ist ein grundlegender präventiver Ansatz, doch birgt er die Gefahr, in fataler Weise die öffentliche wie auch individuelle Tendenz zu einer Privatisierung oder Individualisierung arbeitsweltlicher Gesundheitsgefährdung zu befördern. Verhaltensprävention darf weder gesetzgeberisch noch betrieblich dahingehend missverstanden werden, dass Arbeitgeber ihre Fürsorgepflicht auf die Arbeitnehmer/in abwälzen, „indem sie Gesundheitsgefährdungen zu einer persönlichen Schwäche der Arbeitnehmer/innen erklären“ (Haubl, 2013b, S. 186). Die implizite Erwartung ist, dass Arbeitnehmer/innen für sich selbst sorgen sollen und sich zunehmend optimieren in der Anpassung an inhumane arbeitsweltliche Strukturen und Bedingungen. Ein nachhaltiger gesundheitlicher Erfolg kann nur durch die Integration beider Präventionsformen erwartet werden. Das kann über ein betriebliches Gesundheitsmanagement erfolgen, bei dem auch die Hintergründe arbeitsweltlich bedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen auf der strukturellen und organisatorischen Ebene der Betriebe und zudem auch im Rahmen gesellschaftlicher Bedingungen erfasst und bearbeitet werden.
Betriebliches Gesundheitsmanagement in Bezug auf psychische Gesundheitsgefährdungen erfolgt auf drei Ebenen (in Anlehnung an Siegrist, 2013):
1. Aufklärung von Entscheidungsträgern über die negativen Folgen (inclusive betrieblicher Kosten) belastungsreicher Arbeitsbedingungen und Motivierung zu Investitionen in die betriebliche Gesundheitsförderung, auch unter dem Aspekt eines „return of investment“.
2. Erstellung eines Belastungsprofils des jeweiligen Betriebes anhand von Gefähr-dungsbeurteilungen, Mitarbeiterbefragungen und weiteren Daten (Rixgens & Badura, 2012). Darauf bezogen kommen präventive Maßnahmen zum Einsatz. Sie erfolgen im Wesentlichen in drei Bereichen:
a) Stärkung der individuellen Kompetenzen im funktionellen Umgang mit Arbeitsaufgaben und Belastungen: Neben Arbeitstechniken und Zeitmanagement umfasst das realistische Einschätzung und Bewältigung von belastenden Anforderungen und konsequente Einplanung von Entspannung und Erholungsphasen in den Arbeitsalltag. Zum Einsatz kommen unter anderem Entspannungsverfahren (Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation, Yoga) und Stressmanagement (siehe auch Kaluza, 2011). Entsprechende Maßnahmen gelten auch bei der Wiedereingliederung erkrankter Mitarbeiter/ innen in den betrieblichen Alltag. Bislang überwiegt deutlich die (individualisierende) Verhaltensprävention, verhältnispräventive Maßnahmen werden auf unter 10 % geschätzt (Haubl, 2013b). Zur Konsequenz hat das inzwischen eine relativ flächendeckende Individualisierung (!) arbeitsweltlicher Gesundheitsgefährdungen.
b) Entwicklung einer betrieblichen Kultur der Anerkennung und Wertschätzung, förderlicher zwischenmenschlicher Beziehungen und Konfliktlösungsfähigkeiten im Arbeitsall-tag (siehe auch Badura & Steinke, 2011). Das umfasst auch Verhaltensweisen und soziale Kompetenzen von Führungskräften wie auch eine (wirkungsvolle) Einforderung von gerechten und fairen Arbeitsbedingungen.
c) Auf der strukturellen Ebene der Personal- und Organisationsentwicklung fokussieren gesundheitsfördernde Maßnahmen unter anderem hohe Verausgabungszwänge. Dem kann durch Schulungsmaßnahmen, individualisierte Arbeitszeitgestaltung (eigene Arbeitsplanung und -durchführung, Pausengestaltung), Einrichtung alters- und qualitätsgemischter Teams oder durch verbesserte materielle und immaterielle Gratifikationen (zum Beispiel berufliche Statussicherung) begegnet werden. Bedingungen der Organisationskultur haben großen Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeiter. Die Untersuchungen von Haubl, Voß und Mitarbeitern (Haubl, 2013a; Haubl & Voß, 2011) zu Arbeit und Leben in Organisationen liefern vier zentrale Faktoren („Resilienzfaktoren“), die Einfluss auf Überforderung, Erschöpfung und Demoralisierung von Erwerbstätigen haben (siehe auch Haubl, 2013b):
[...]
[1] Oppolzer, A. (2010): Gesundheitsmanagement im Betrieb
[2] Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1946
[3] Wegner& Hetmeier, UK-Bund 2008
[4] „Gastrointestinal“ = Magen und Darm betreffend.
- Arbeit zitieren
- Doreen Börner (Autor:in), 2016, Betriebliches Gesundheitsmanagement. Gesundheitliche und psychosoziale Auswirkungen flexibler Arbeitszeiten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/351243
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