Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Don Quijote als Vorbild der lateinamerikanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts
2.1 - Die Imitation des „Don Quijote“
2.1.1 Fernández de Lizardi mit dem Roman „Periquillo Sarniento“
2.1.2 Juan Montalvo mit dem Roman „Capítulos que se le olvidaron a Cervantes“
2.2 - Die Adaption des „Don Quijote“
2.2.1 Tulio Febres Cordero
2.2.2 Alberdi
2.3 Jorge Luis Borges mit Pierre Menard, autor del Quijote
3. Die lateinamerikanische Identifikationsfigur: Don Quijote
4. Das Konzept einer lateinamerikanischen Synthese im Don Quijote
5. Die Gegensätze der Literatur im Don Quijote
5.1 Jorge Luis Borges
5.2 Carlos Fuentes
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„El Héroe de los Molinos de Viento está vivo y muy vivo, apostado en cada encrucijada del mundo“ (Febres Cordero, 1930, S. 248 zitiert aus León Guevara, 2005, S. 15). Mit diesen Worten unterstrich Febres Cordero die Bedeutung von der Identifikationsfigur Don Quijote für die Welt, insbesondere in Lateinamerika.
Dementsprechend beschäftige ich mich inn dieser Hausarbeit mit der Fragestellung, inwiefern sich die lateinamerikanischen Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts an Cervantes und seinem Werk „Don Quijote“ sowie seinem Protagonist Don Quijote orientieren, ihn rezipieren und welche Bedeutung Cervantes für lateinamerikanische Autoren hat.
Dafür wird zunächst im 2. Kapitel auf die Orientierung der lateinamerikanischen Autoren auf das Werk und die Figur Don Quijote eingegangen. Dabei wird zwischen einer Imitation des Werks wie beispielsweise bei Lizardi und Montalvo und einer Adaptation des Werks wie z.B. bei Febres Cordero oder Alberdi unterschieden.
In Kapitel 3 wird der Stellenwert des Don Quijote als lateinamerikanische Identifikationsfigur verdeutlicht.
Kapitel 4 zeigt auf, inwiefern das Werk und die Figur des Don Quijote als Modell einer lateinamerikanischen Synthese verstanden werden kann. Im Fokus soll dabei das identitätsphilosophische Paradigma stehen.
Dieses lateinamerikanische Paradigma wird im 5. Kapitel erneut aufgegriffen und auf die Weltliteratur übertragen.
Zum Schluss werden im Fazit die zuvor gewonnenen Erkenntnisse und getätigten Aussagen resümiert.
2. Don Quijote als Vorbild der lateinamerikanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts
Nach der Unabhängigkeit Lateinamerikas entwickelte sich im 19. Jahrhundert zum einen ein identitätsphilosophischer- und zum anderen ein literarischer Quijotismo. „Don Quijote“ von Cervantes wurde zum unumstrittenen Vorbild nahezu aller lateinamerikanischer Romanautoren dieser Zeit. In diesem Kapitel wird gestützt auf Strosetzki zwischen der Imitation von Don Quijote (Kap. 2.1) und der Applikation von Don Quijote (Kap. 2.2) unterschieden. In 2.3 wird dann dass Essay „Pierre Menard, autor del Quijote “ von Jorge Luis Borges vorgestellt, der in seinem Essay, die Nachahmungen des „Don Quijote“ von Cervantes parodiert.
2.1 Die Imitation des „Don Quijote“
In diesem Unterkapitel geht es um die unterschiedliche Imitation des Don Quijote von Cervantes durch viele lateinamerikanische Autoren des 19. Jahrhunderts. Stellvertretend werden in 2.1.1 Fernández de Lizardi mit seinem Roman „Periquillo Sarniento“ und in 2.1.1 Montalvo mit seinem Werk „Capítulos que se le olvidaron a Cervantes“ thematisiert. Die Imitation erfolgt bei Lizardi durch viele Parallelen zwischen dem Original und seinem Roman „Periquillo Sarniento“. Montalvo hingegen versucht den Schreibstil, die Figurenkonstellationen und die Lokalität aufrechtzuerhalten und sein Werk kann auch als ein Kapitel, das im Don Quijote von Cervantes hätten enthalten sein können, verstanden werden.
2.1.1 Fernández de Lizardi mit dem Roman „Periquillo Sarniento“
Fernández de Lizardi veröffentlichte 1816 mit „Periquillo Sarniento“ den ersten postkolonialen lateinamerikanischen Roman. Bereits in seiner Rechtfertigungsschrift, der sogenannten „Apología“ nimmt Lizardi Bezug auf „Don Quijote“ und legitimiert damit seine realistische Darstellungsweise, die beim Leser zwar keine Neugier erzeugen würde, sich jedoch nicht von der des Cervantes unterscheide (vgl. Strosetzki, 1991, S. 379).
„Mas yo, con su licencia, tomo el 'Quijote' de Cervantes, la obra maestra en clase de romances, y no veo en su acción nada raro, nada extraordinario, nada prodigioso. Todos los sucesos son demasiado vulgares y comunes, tales como pudieran acontecer a un loco de las circunstancias de don Alonso Quijada“ (Fernández de Lizardi, 1976, S. 14).
Auch seine vielen eingeschobenen und moralisierenden Episoden rechtfertigt er mit „Don Quijote“. „Don Quijote también moralizaba y predicaba a cada paso, y tanto que su criado le decía que podía coger un púlpito en las manos y andar por esos mundos predicando lindezas“ (Fernández de Lizardi, 1976, S. 15).
Doch auch die Erzählung des Romans selbst bezieht sich häufig auf Cervantes oder sein Werk „Don Quijote“. Beispielsweise auf Seite 111 muss Cervantes, als „desgraciado poeta“ für die Problematik der Wahl des richtigen Berufs herhalten. Auf der Inventarliste, die Periquillo für seinen Gläubiger anfertigt, steht „Don Quijote“ (S. 187) und auf S. 278 vergleicht Periquillo seine leere Truhe mit dem leeren Helm des Mambrin von Don Quijote (vgl. Fernández de Lizardi, 1976, S. 111, 187 und 278). Auch als Periquillo sich bereits als Vizekönig wähnt wird Don Quijote erwähnt: „Así continuaba el nuevo Quijote en sus locuras caballerescas, que iban tan en aumento de día en día y de instante en instante“ (Fernández de Lizardi, 1976, S. 489). Neben der Erwähnung des Autors Miguel de Cervantes Saavedra, spricht Lizardi in seinem Roman auch von sich selbst. Er tritt dabei als „El Pensador“ oder auch als „un tal Lizardi“ auf. Doch Lizardi bekennt sich nicht zum Autor von „Periquillo Sarniento“, sondern ist vielmehr der Freund und Verwalter der Memoiren von Periquillo. „El Pensador“ tritt erst am Ende des Romans auf und hält das Manuskript der Biographie in seinem Besitz. Auch im „Don Quijote“ von Cide Hamete Benengeli erwirbt der Erzähler fremde Manuskripte. Dementsprechend kommt J. Skirius zu der Feststellung, dass beide Erzähler die Funktion eines Herausgebers, Kommentators und Kritikers erfüllen (vgl. Skirius, 1982, S. 264). Demzufolge imitiert Lizardi die berühmte Technik der Entstehungsgeschichte als Erzählung in der Erzählung von Cervantes und die Fiktionalisierung des Autors (vgl. Strosetzki, 1991, S. 381).
Ein hohes Maß an Parallelität lässt sich auch bei den Protagonisten feststellen, so legen beide ihren ursprünglichen Namen ab, um einen neuen mit Symbolwert zu tragen (vgl. Vento, 1965, S. 4). Am Ende erlangen sowohl Don Quijote, als auch Periquillo, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen, das Gefühl der Reue und sterben, nachdem sie zuvor ihr Testament für die Verbliebenen aufgesetzt hatten (vgl. Parkinson de Saz, 1981, S. 1070).
2.1.2 Juan Montalvo mit dem Roman „Capítulos que se le olvidaron a Cervantes“
Der Roman „Capítulos que se le olvidaron a Cervantes“ wurde 1895, kurz nach dem Tod des Autors Juan Montalvo veröffentlicht. Montalvo orientierte sich am Schreibstil, an der Figurenkonstellation und an den Lokalitäten seines Vorbilds Cervantes. So erweckt der Roman von Montalvo den Eindruck, als würde es sich um Kapitel handeln, die so auch Teil des Originals sein könnten. Bereits im Vorwort bezieht sich Montalvo auf „Don Quijote“, spricht von einem gewagten Versuch, ein so großes Werk imitiert zu haben und bezeichnet den „Don Quijote“ als ein universales Werk, an dem sich jeder lateinamerikanischer Schriftsteller zu orientieren habe: „El que no tiene algo de Don Quijote no merece el aprecio ni el cariño de sus semejantes“ (Montalvo, 1972, S. 45).
Der Roman beginnt mit dem achten Kapitel des ersten Teils des „Don Quijote“ und wie bei Cervantes, lässt auch Montalvo seinen Protagonist Don Quijote die Realität mithilfe seiner Phantasie verstehen. Beispielsweise sieht Don Quijote in einem verlumpten Schäferkind am Flussufer den Thronfolger und ein Gehöft erscheint ihm als Schloss. Aufgrund der Imitation des Originals, wird die Erzählung nicht in einen lateinamerikanischen Rahmen gepresst, sondern vielmehr wird das bestehende Landschaftsbild durch lateinamerikanische Elemente ergänzt.
Dadurch verleiht Montalvo der Landschaft melancholischen Charakter und einen Aspekt der Romantik. Montalvo beschreibt dies in seinem Werk mit „el zumbido de los insectos invisibles que a la caída del sol cantan a su modo los secretos de la naturaleza, todo estaba convidando al recogimiento y la melancolía y Don Quijote no tuvo que hacer el menor esfuerzo para sentirse profundamente triste“ (Montalvo, 1972, S. 65).
Montalvo behandelt in den eingeschobenen Erörterungen und Monologen seines Romans „Capítulos que se le olvidaron a Cervantes“ Themen wie die „Vergänglichkeit, der Baum als Lebewesen und Schöpfung Gottes, die Freundschaft und Gefahr des Stolzes, […] die locura, die moralischen Vorzüge von Armut und Bescheidenheit, die Gerechtigkeit und Gleichheit“ sowie die politischen Themen wie Besitz, Recht und Gesetz. Darüber hinaus übt Montalvo sehr deutlich Kritik an den Mönchen, den Klerikern und der gesamten Kirche (vgl. Montalvo, 1972, S. 78-79, 126, 231-232, 206-207, 81). Dies wird insbesondere darin deutlich, dass Don Quijote auf drei Gestalten trifft, die auf allen Vieren durch die Gegend pilgern, um Buße zu tun. Auch wenn in der Erzählung nur wenige politische Anspielungen zu finden sind, verzichtete Montalvo in seinem Werk nicht auf die Kritik an der politischen Situation oder an der Gesellschaft. Vielmehr entfernte er die zahlreichen politischen Anspielungen für die veröffentlichte Fassung, die in der ersten Fassung noch enthalten waren, allerdings nicht mehr existiert. Dies könnte auf der einen Seite daran liegen, dass Montalvo politische Probleme befürchtete und auf der anderen Seite auch vom europäischen Leser Wertschätzung für seine Imitation des „Don Quijote“ erfahren wollte. Als Beispiel für eine Kritik an der politischen Situation in Lateinamerika ist die an einem Baum erhängte Person zu sehen. Don Quijote erkennt in der Person einen „bekannten Räuber[...], der denselben Namen trägt wie der Regierungschef Ecuadors, Ignacio de Veintemillas, in dem Montalvo einen Verräter der Liberalen sah“ (Strosetzki, 1991, S. 383). Obwohl Montalvo einen „curso de moral“ anstrebt, konkretisiert er diesen nicht weiter, sodass kein Bezug zur lateinamerikanischen Problematik hergestellt werden kann.
Im Fokus steht für Montalvo vielmehr die Literatur. Seiner Ansicht nach fehle es den Schriftstellern seiner Zeit an schriftstellerischen Fähigkeiten. Beispielsweise kritisiert er Fernández de Avellaneda, der „Don Quijote“ als erster versucht hat zu imitieren. In seiner Imitation habe er „Don Quijote“ in seiner wahren moralischen Größe beraubt. Montalvo selbst hingegen versuche diese wahre Moral zu wahren und schreibt „encarnación sublime de la verdad y la virtud en forma de caricatura, este don Quijote es de todos los tiempos y de todos los pueblos“ (Montalvo, 1972, S. 3-4). Aber es geht Montalvo nicht nur um die Wahrung eines moralischen und ehrhaften Don Quijote, sondern auch um eine Bewahrung der spanischen Sprache. Bei Fernández de Avellaneda stellt Montalvo diesbezüglich eine Überfremdung durch Gallizismen fest. Er selbst orientiert sich zum einen an Cervantes und verwendet Archaismen, zum anderen verfremdet Montalvo das Original aber auch und nutzt amerikanische Ausdrücke und Redewendungen (vgl. Uribe-Echevarría, 1949, S. 67). Imbert zu Folge verehre Montalvo die literarische spanische Sprache und dies führe dazu, dass ihm der literarische Stil seines Romans wichtiger ist, als sein inhaltlicher Wert (vgl. Imbert, 1973, S. 28).
2.2 Die Adaptation des „Don Quijote“
In diesem Unterkapitel geht es um die unterschiedliche Applikation des Don Quijote von Cervantes. Dabei nutzen die lateinamerikanischen Schriftsteller den hohen Bekanntheitsgrad des „Don Quijote“ und verfremden die Figuren und Figurenkonstellationen des Romans, um es auf die Situation im eigenen Land zu applizieren. Beispielhaft werden in dieser Arbeit in 2.2.1 Tulio Febres Cordero mit seinem Roman „Don Quijote en América o sea la cuarta salida del ingenioso hidalgo de la Mancha“ und in 2.2.2 Juan B. Alberdi mit seinem Werken „Cartas Quillotanas“ und „Peregrinación de Luz del Día o Viaje y Aventuras de la Verdad en el Nuevo Mundo“ aufgeführt. Während Febres Cordero das blinde Vertrauen seines Landes in die europäische Propaganda für den naturwissenschaftlichen Fortschritt parodiert, geht es in der Parodie von Alberdi um den „blinden Glauben an die Durchsetzbarkeit demokratischer Reformen durch Dekrete auf der Grundlage moderner politischer Theorien“ (Strosetzki, 1991, S. 391). Die Verfremdung zu Cervantes findet dadurch statt, dass sowohl Febres Cordero, als auch Alberdi eine der Gegenwart unangemessene Zukunftsvision kritisieren. Bei Cervantes geht es hingegen um eine Kritik an den fahrenden Rittern, sprich der Vergangenheit.
2.2.1 Tulio Febres Cordero
Tulio Febres Cordero thematisiert in seinem Roman „Don Quijote en América o sea la cuarta salida del ingenioso hidalgo de la Mancha“ die Geschichte, die Tradition und die Mythen Venezuelas. Der „Don Quijote“ von Cervantes diente Febres Cordero zur Orientierung, um das eigene Werk in die Gegenwart Venezuelas zu versetzen. Demzufolge behandelt er eher patriotische Ziele als literarische und richtet sich „gegen den Fortschrittsgedanken, gegen die Missachtung des Kreolen und gegen die sklavische Nachahmung des Auslands“ (Strosetzki, 1991, S. 386).
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