Sport und Männlichkeit. Die Konstruktion von Männlichkeit im Fußball


Examensarbeit, 2016

69 Seiten, Note: 1,6


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung und Nennung des Themas

2. Theoretische Konzepte zur Konstruktion von Männlichkeit
2.1 Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit
2.2 Ernste Spiele des Wettbewerbs
2.3 Die Negation zum Weiblichen
2.4 Prekarisierte Männlichkeit
2.5 Soziale Konstruktion von Geschlecht im Sport

3. Fußball als Männliche Weltsicht
3.1 Die Geschichte des Fußballs als eine männliche Sportart
3.2 Fußball - ein ernste(n)s Spiel(e) des Wettbewerbs um Männlichkeit
3.3 Der Erhalt der traditionellen Strukturen
3.3.1 durch Ausschluss des Weiblichen
3.3.2 durch Ausschluss von marginalisierten Männlichkeiten
3.4 Männlichkeit im Stadion und in der Kabine
3.4.1 Die maskuline Sprache des Fußballs
3.4.2 Männlichkeit der Fankultur
3.4.3 Frauen im Stadion
3.4.4 Männlichkeit in der Kabine
3.5 Homosexualität im deutschen Profifußball
3.5.1 Die Konstruktion des Begriffs Homosexualität
3.5.2 Der schwule Fußballer Marcus Urban
3.5.3 Thomas Hitzlsperger: Outing eines Fußball-Profis
3.5.4 Homophobie im Fußball
3.6 Fußball und die Krise der Männlichkeit
3.6.1 Wandel der Stadien- und Zuschauerkultur
3.6.2 Der Einfluss der Homosexuellen im Fußball
3.6.3 Der Einfluss der Frauen

4. Fazit der Ergebnisse im Rahmen der Wissenschaftlichen Hausarbeit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung und Nennung des Themas

„Das Fußballspiel ist rituelle Jagd, stilisierter Kampf und symbolisches Geschehen.“ (Morris, 2016)

„Fußball ist einfaches Spiel mit einfachen Regeln. Und sein Sinn liegt ausschließlich in ihm selbst. Was zählt, ist das Team. Und das besteht keinesfalls nur aus elf Spielern, sondern aus uns allen - ein Paradies für Emotionen, weil wir alle natürlich Sieger sein wollen“. (Morris, 2016)

Millionen Menschen fiebern mit, wenn der Ball rollt. Er verbindet Nationen auf der ganzen Welt, vereint die Menschen eines Landes unter einer Flagge und ist auf der anderen Seite eines der wichtigsten Sprachrohre von regionalen Rivalitäten. Er lässt Fanherzen höher schlagen, bringt Menschen zum Jubeln und treibt anderen im selben Moment Tränen in die Augen: Kein Sport ist in Deutschland so beliebt wie der Fußball. Gerade erst zeigte die WM 2014 in Brasilien, welche Stimmungskraft und Euphorie ein Sport unter den Menschen auslösen kann. Neue Zuschauerrekorde an den TV-Bildschirmen, Tausende feierten friedlich auf den bundesweiten Public Viewing Events den Gewinn des Weltmeistertitels der Nationalmannschaft.

Der Fußball ist in seinem Ursprung und in seiner populären Grundeinstellung vor allem ein Männersport. Denn bei aller Freude und meist einem aktuellen Anlass geschuldeter, geschlechterübergreifender Begeisterung, ist mit dem Fußball unvermeidlich ein Männlichkeitsbegriff verknüpft. Der Ball, der Platz, der Kicker. Männer dominieren den aktuellen Leistungssport im Fußball, hauptsächlich männliche Fans unterstützen diesen Sport als leidenschaftliche Fans von der Seitenlinie und trotz aller gesamtdeutschen Euphorie wird dieser Sport unvermeidlich mit einem männlichen Stereotypen verbunden. In seiner langen Geschichte durchlebte der Fußball die unterschiedlichsten Imagephasen, was aber blieb, war die stetige, zwangsläufige männliche Kodierung, zumindest in jenen Ländern, in denen er zur Riege der nationalen Kernsportarten zählt. So lässt sich diese These ungehindert auch für Deutschland festhalten: In seinem grundsätzlichen Verständnis ist Fußball ein Sport von Männern und für Männer.

So gilt Fußball auch als Inbegriff des Männlichen und zeichnet sich durch seine soziale Aufladung aus. Er ist ein Ort des Wettbewerbs zwischen Männern und eignet sich deshalb besonders für die Konstruktion von Männlichkeiten. So können hegemoniale Männlichkeiten durch den Fußball also auf traditionelle Männlichkeitsvorstellungen zurückgreifen und sich dadurch „männlich machen“ (Sülzle, 2005b).

Fußball und die Fußballfankultur sind wichtige Orte gesellschaftlich wirksamer Konstruktionen von Männlichkeiten. Fußball ist Männersport und Fußballfans sind normalerweise männlich. Mit Fußballfans wird Grölen und Saufen, Kameradschaft und Gewalt assoziiert. Zumindest für manche Fans ist das Fußballstadion der letzte Ort, an dem sie echte Männlichkeit leben können. Kurz: Fußball ist eine Männerwelt.

Doch wie findet die Konstruktion von Männlichkeit im Fußball statt und wieso kann sich an diesem Ort das traditionelle hegemoniale Männlichkeitsbild vor der Modernisierung der Geschlechterverhältnisse schützen?

Die vorliegende Wissenschaftliche Hausarbeit untersucht die moderne Auslegung des Fußballspiels als eine ausschließlich männlich konnotierte Struktur, innerhalb welcher sich die traditionelle hegemoniale Männlichkeit zu schützen versucht. Dazu ziehe ich zunächst als Grundlage die Theorie hegemonialer Männlichkeit, das Konzept der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“, die Negation des Weiblichen und die soziale Konstruktion von Geschlecht im Sport heran. Anschließend wird auf dieser Grundlage die Struktur des modernen Fußballs als vergeschlechtliche Institution dargelegt. Darauf folgt die gezielte Betrachtung der Sportart Fußball als ein „ernsten Spiel(e) des Wettbewerbs“, gefolgt von den Strukturen des Fußballs, der Männlichkeit im Stadion und in der Kabine, sowie der Homosexualität im Profifußball. Abgeschlossen wird die Arbeit mit dem Wandel der Fußballkultur, sowie einem knappen Fazit, das noch einmal ein rückblickendes Resümee auf die Konstruktion von hegemonialer Männlichkeit im Fußball geben soll.

2. Theoretische Konzepte zur Konstruktion von Männlichkeit

„Wann ist ein Mann ein Mann?“, diese Frage stellt Herbert Grönemeyer (1984) in seinem Lied „Mann“ und beantwortet die Frage mit „ … Männer geben Geborgenheit … Männer stehn‘ ständig unter Strom, Männer baggern wie blöde, Männer lügen am Telefon, Männer sind allzeit bereit, Männer bestechen durch ihr Geld und ihre Lässigkeit … außen hart und innen ganz weich, werden als Kind schon auf Mann geeicht … “ (Grönemeyer, 1984).

Männlichkeit ist keine naturgegebene Tatsache, sondern das Produkt einer kontinuierlichen Konstruktionsleistung. Männer müssen genauso wie Frauen tagtäglich Geschlecht in Interaktionsprozessen (re)produzieren und darstellen, so schreibt Simone de Beauvoirs „man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ (Beauvoir, 2000, S. 334).

Candace West und Don H. Zimmerman (1987) entwickelten das Konzept des „doing gender“, einen Ansatz, welcher den permanent ablaufenden Prozess der Geschlechtsherstellung zu erklären versucht. Dieser aktionsorientierter Analyseansatz begreift Geschlecht als das Produkt von performativen Tätigkeiten. West und Zimmerman nehmen an, dass man im Alltag permanent das sozial erlernte und erwartete Geschlecht herstellt, was letztendlich in einer Stabilisierung der bestehenden Geschlechterverhältnisse resultiert. Demnach ist Geschlecht nicht als feste Eigenschaft zu verstehen, sondern vielmehr als das Ergebnis von sozialen Prozessen, in denen Geschlecht als folgenreiche Unterscheidung hergestellt und verfestigt wird (Gildemeister, 2004, S. 137). Das Geschlecht wird als soziale Konstruktion begriffen, denn ein „Geschlecht hat man nicht einfach, man muss es „tun“, um es zu haben“ (Behnke & Meuser, 1999, S. 41).

Die dreistufige Neufassung der „sex-gender“ Differenzierung bildet einen zentralen Baustein des „doing gender“-Ansatzes. Dabei unterscheiden West und Zimmerman bei ihrem Konzept zwischen den Begriffen „sex“, „sex-category“ und „gender“. Der Begriff „sex“ bezeichnet die Geburtsklassifikation des Geschlechtes auf der Grundlage von gesellschaftlich vereinbarten biologischen Kriterien, „sex-category“ die Zuordnung zu einem Geschlecht auf Basis der gesellschaftlich zu erwartenden Darstellung einer identifizierbaren Zugehörigkeit, die jedoch nicht zwangsläufig mit der Geburtsklassifikation identisch sein muss. Mit dem Begriff „gender“ beschreiben West und Zimmerman schließlich die intersubjektive Validierung von Geschlecht. Dazu müssen sich bestimmte Handlungen und Verhaltensweisen an normativen Vorgaben orientieren, um in Interaktionsprozessen angemessen interpretiert zu werden (Gildemeister, 2004, S. 138).

Paula-Irene Villa (2006) teilt den Prozess des „doing gender“ in verschiedene Kategorien auf um an ihnen zu klären, wie der Vorgang in der Praxis abläuft. Im Anschluss an Hirschauer (1989) beschreibt sie die Geschlechtskonstruktion als ein Zusammenspiel von Geschlechtsdarstellung und -attribution.

Die Geschlechtsdarstellung geschieht, indem jedes Individuum dafür sorgen muss, dass es als Mann oder Frau erkannt wird, indem man sich hinsichtlich bestimmter Eigenschaften, wie Kleidung, Stimme, Gestik, Mimik sowie einem „angemessenen“ Verhalten gegenüber dem anderen Geschlecht an normativen Vorgaben orientiert.

Bestimmte Eigenschaften und Wertungen, welche einem Geschlecht zugeschrieben werden, beschreibt die Geschlechtsattribution. Erst durch die Geschlechtsattribution kommt es in der sozialen Interaktion dazu, dass man von anderen Individuen als Mann oder Frau betrachtet wird. Anhand des Zusammenspieles von Geschlechtsdarstellung und Geschlechtsattribution lässt sich schließlich die Geschlechtszugehörigkeit zweifelsfrei festlegen (Villa, 2006, S. 91f). Durch die alltägliche kontinuierliche (Re-)Produktion von geschlechtlich konnotierten Praktiken erfolgt die Herstellung von Geschlecht, da es durch die permanente Ausübung von bestimmten Handlungen, Sprechweisen oder auch der Kleidungswahl zur unmittelbaren Einverleibung der sozial konstruierten Geschlechtsnormen kommt. „Doing gender“ ist demnach sowohl „das Ergebnis, wie auch die Rechtfertigung verschiedener sozialer Arrangements, sowie ein Mittel, eine der grundlegenden Trennungen der Gesellschaft zu legitimieren“ (Gildemeister, 2004, S. 132). Damit meint Gildemeister, dass es erst durch die alltägliche (Re)Produktion der binären Geschlechterteilung dazu kommt, dass die Differenz jener Geschlechter als „natürlich“ und „angeboren“ erscheint.

Ein Individuum wird erst zum Mann oder Frau, wenn es im Diskurs dazu gemacht wird, dies ist eine zentrale Rolle bei der (Re)Produktion der binären Geschlechtereinteilung. Villa versteht darunter „Systeme des Denkens und Sprechens, die das, was wir von der Welt wahrnehmen, konstituieren, indem sie die Art und Weise der Wahrnehmung prägen“ (Villa 2012, S. 20). Für Villa sind performative Sprechakte ein elementarer Bestandteil der sozialen Praxis. Für sie sind performative Äußerungen somit „Formen der Rede, die das, was sie besagen, dadurch, dass etwas gesagt wird, produzieren“ (Villa, 2012, S. 26). Dies bedeutet, dass performative Äußerungen das ausführen, was gesagt wird, indem es gesagt wird. Es muss jedoch an dieser Stelle erwähnt werden, dass performative Äußerungen stets von der sozialen Position des Sprechers abhängig sind. Schließlich steht nicht jedem Individuum dasselbe Maß an Macht und Autorität zu.

Michael Meuser schließt an das Konzept des „doing gender“ an, indem er mit dem Begriff des „doing masculinity“ all jene Praktiken umschreibt, die für die Konstruktion und Darstellung von Männlichkeit verantwortlich sind. Eine elementare Form der Männlichkeitskonstruktion erfolgt dabei durch die bewusste Negation zur Weiblichkeit. Den Bezugspunkt für das „doing masculinity“ sieht Meuser in homosozialen Cliquen verankert, indem sich Männer untereinander beweisen müssen. Dies geschieht insbesondere durch körperliche Auseinandersetzungen, Mutproben, Wortgefechte oder sonstige Duellsituationen. Meuser beschreibt den Nutzen und die Auswirkungen von derartigen Praktiken wie folgt:

"Die jungen Männer sind einerseits ständig gefordert, ihre Männlichkeit unter Beweis zu stellen - insofern ist ihre Männlichkeit fragil -, sie wissen aber andererseits und werden darin durch die Gruppe bestärkt, was sie tun müssen, um sich als Mann zu beweisen - insofern gibt es eine habituelle Sicherheit. Es sind die ernsten Spiele des Wettbewerbs, in denen Männlichkeit sich formt, und die homosoziale Gemeinschaft sorgt dafür, dass die Spielregeln in das inkorporierte Geschlechtswissen der männlichen Akteure eingehen" (Meuser, 2008a, S. 38).

Die Adoleszenz betrachtet Meuser somit als essentiell wichtige Phase für die Stabilisierung und Inkorporierung von „männlichen“ Wert- und Normvorstellungen. Neben dem Wettbewerb zeigt sich der Prozess des „doing masculinity“ häufig auch in Form von Gewaltakten, dem fahrlässigen Umgang mit der eigenen Gesundheit oder einer generellen Abneigung gegenüber Gefühlen und Emotionen. All jene Praktiken sind es, die im Zusammenspiel dafür sorgen, dass ein Mann als „männlich“ wahrgenommen wird und trägt zur hegemonialen Männlichkeit bei.

2.1 Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit

Die industriekapitalistisch getragene männliche Herrschaft wird laut Connell (1999, 1998), durch Macht, Sexualität und Arbeit im modernen Geschlechterverhältnis strukturiert und reproduziert. Er begreift Männlichkeit als „historisch bewegliche Relation“ (1999, S. 102), sowohl zwischen Männern und Frauen, als auch in der Gruppe unter Männern, die an aktuelle sozialstrukturelle Verhältnisse rückgebunden ist.

Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit als gesellschaftliche und kollektive Konstruktion von Männlichkeit, stellt Connell (1999, S. 97) wie folgt dar: „Hegemoniale Männlichkeit ist … jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende Position einnimmt, eine Position allerdings, die jederzeit infrage gestellt werden kann.“. Dieses Konzept inkorporiert einerseits die männliche Dominanz und weibliche Unterordnung, geht aber andererseits davon aus, dass es zudem untereinander konkurrierende Männlichkeiten gibt, die einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen.

Männlichkeit ist demnach die Dominanz und Unterordnung gegenüber Frauen und marginalisierten Männern und ein wichtiges Ausdrucksmittel der hegemonialen Männlichkeit. Connell schreibt dazu: „Am wichtigsten in der heutigen westlichen Gesellschaft ist die Dominanz heterosexueller Männer und die Unterordnung homosexueller Männer“ (Connell, 2000, S. 99). Michael Meuser beschreibt dieses von Connell entworfene theoretische Konstrukt im Zusammenhang von Dominanz und Unterordnung im Geschlechterverhältnis als „doppelte Dominanz- und Distinktionsstruktur“ (Meuser, 2000, S. 7). Also sowohl heterosozial, d.h. Männer gegenüber Frauen als auch homosozial d.h. unter Männern:

„Geschlecht ist eine relationale Kategorie, nicht nur in dem Sinne, dass Männlichkeit allein in Relation zur Weiblichkeit bestimmt werden kann und vice versa, sondern zudem in der Hinsicht, dass der gesellschaftliche Status eines Individuums auch in den Beziehungen zu den Mitgliedern der eigenen Genus-Gruppe bestimmt wird“ (Meuser, 2000, S. 7).

Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit integriert somit eine gesellschaftliche, kulturell-symbolische und individuelle Dimension von Geschlecht. Die Reproduktion von Männlichkeit im Kontext von Staat, Institutionen und Milieus wirken auf gesellschaftlicher Ebene, die kulturell-symbolische Ebene bezieht sich hingegen auf die diskursive Rezeption und mediengestützte Repräsentation normativer Leitbilder und Orientierungsmuster. Auf der individuellen Ebene spricht Connell die körperlich getragenen Handlungs- und Deutungsvollzüge konkreter Personen im sozialen Kampf um die Dominanzposition an und eröffnet damit einen Blick auf Männlichkeit in der Spannung zwischen individuellem Handeln und gesellschaftlicher Entwicklung. Stärker als Connell geht es Meuser um Männlichkeit als ein generatives Prinzip praxeologischer Reproduktion von Geschlecht im Sinne einer Strukturkategorie. Hier steht nicht ein „spezifisches Normen- und Wertesystem“ zur inhaltlichen Bestimmung von Männlichkeit im Vordergrund, sondern der geschlechtstypische Konstruktionsprozess der Zweigeschlechtlichkeit als kulturelle Differenzachse (Meuser, 2006, 175).

An den Brennpunkten sozialer Ungleichheit, die gesellschaftliche Milieus durchziehen, schließt Männlichkeit eng an. Connell stellt in seiner Theorie die Pluralität von Männlichkeitskonstruktionen innerhalb einer Gesellschaft ins Zentrum, die in einem hierarchischen Bezug zueinander organisiert sind. Männer mit Zugang zu gesellschaftlich relevanten Machtressourcen repräsentieren ein bestimmtes Männlichkeitsbild und bilden ein kulturell verfügbares Orientierungsmuster für die Gestaltung von Geschlechterarrangements und Identitätsbezügen. Eine grundlegende Annahme besteht in der Normativität und Akzeptanz hegemonialer Männlichkeit unter Männern, da sie bezüglich ihrer Geschlechterkategorie gemeinsam von der Abwertung von Weiblichkeit profitieren. Dieses bewusste oder unbewusste männerbündische Einverständnis bezeichnet Connell als „patriarchale Dividende“, eine Handlungs- und Deutungsoption, die Männern als symbolische Gewalt gegenüber Frauen ausspielen können. Darunter versteht er beispielsweise Vorteile in der Verteilung von emotionalem und finanziellem Kapital und Ausschluss von Frauen aus Führungspositionen.

Die idealtypische Verkörperung hegemonialer Männlichkeit besitzt nur eine kleinen Gruppe von Männern, so Connell, der Großteil der Männer beziehe sich freiwillig oder zwanghaft mit Zustimmung oder Abgrenzung auf dieses massenmedial gestützte Männlichkeitsmodell und organisiere sich in einer komplizenhaften, untergeordneten oder marginalisierten Männlichkeit (Connell, 2000, S. 102).

Meuser (2006a, S. 164) lehnt sich für den Prozess der Aneignung von Männlichkeit als „Regelwerk“ zur Geschlechterkonstruktion an den habitus-theoretischen Lernbegriff der „Strukturübung“ im Sinne eines vorreflexiven, praktischen Lernprozesses an. Mit der Beteiligung an den homosozialen unter Männern ausgerichteten „ernsten Spieler des Wettbewerbs“ (Meuser, 2006a, S. 168) bestätigen die Mitspieler den kompetitiven Modus der Geschlechterkonstruktion und erlernen ihn zugleich körperlich-sinnlich als männlichen Habitus. Eine „Einheit in der Differenz“ wird durch die generative Wirkung ermöglicht, diese verbindet männlich sozialisierte Personen über soziale Felder hinweg. Die Pluralisierung von Männlichkeitsbildern sei dementsprechend als Reflex auf die Fragmentierungsprozesse moderner Gesellschaften zu lesen (Meuser & Behnke, 1998).

Die besondere Bedeutung der homosozialen Dimension liege im geschlechtsexklusiv, emotional eingeschriebenen Kapital der „patriarchalen Dividende“, Männlichkeit bilde daher einen konjunktiven Erfahrungsraum (Meuser, 2000, S. 66), den die Beteiligten gegenüber Frauen sozial schließen. Distinktion und Konjunktion im Rahmen hegemonialer Strukturen formen die Ausbildung von Orientierungsmustern, Werthaltungen und Deutungsschemata. Im Zentrum des männlichen Wettstreits steht die Verbindung von Konkurrenz und Solidarität, die als Nebenprodukt männlicher Sozialisation eine habituelle Sicherheit in Bezug auf geschlechtliche Verortungspraxen erzeugt (Meuser, 2005b).

Die verschiedenen „kontextgebundenen Versionen hegemonialer Männlichkeit“ (Scholz, 2004, S. 46) stehen, wie die Individuen, die sie aushandeln, ihrerseits in einem symbolischen Wettstreit um die kulturell-symbolische Dominanz. Das hierarchische Verhältnis der hegemonialen Männlichkeit reproduziere das Geschlechterverhältnis in Form einer „männlichen Hegemonie“ (Scholz, 2004, S. 46). Zudem wird Geschlecht als relationale Kategorie konzipiert, einerseits im Verhältnis zwischen Männern und Frauen und andererseits im Bezug zu emotionalen Gehalt und Machtbeziehungen. Obwohl sie nur von einer geringen Anzahl von Männern verkörpert werden kann, versteht Meuser hegemoniale Männlichkeit „als generatives Prinzip des männlichen Geschlechterhabitus“ (Meuser, 2000b, S. 59). Die Auslebung dieses geschlechtlichen Habitus erzeugt habituelle Sicherheit. Mit habituelle Sicherheit meint Meuser (1998, S. 119) „eine Sicherheit, die ein Handeln betrifft, das unter den Geltungsbereich eines bestimmten Habitus und in den Rahmen einer bestimmten Sozialordnung fällt, hier derjenige der Zweigeschlechtlichkeit.“

Während man als nicht-hegemoniale Männlichkeit nach Connell (1995, S. 78ff) „untergeordnete“, „komplizenhafte“ und die „marginalisierte“ Männlichkeit versteht. Als untergeordnet bezeichnet er die homosexuelle Männlichkeit, als komplizenhaft, die Männlichkeit derjenigen Männer, die die hegemoniale Männlichkeit nicht verkörpern, diese aber unterstützen, sodass sie an der „patriarchalen Dividende“ teilhaben. Als marginalisiert versteht er die Männlichkeit untergeordneter sozialer Klassen oder ethische Gruppen.

2.2 Ernste Spiele des Wettbewerbs

Der männliche Habitus wird in den „ernsten Spielen des Wettbewerbs“ erworben, den die Männer unter sich austragen. Pierre Bourdieu vermerkt, der männliche Habitus werde „konstruiert und vollendet ... nur in Verbindung mit dem den Männern vorbehaltenen Raum, in dem sich, unter Männern, die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen“ (1997a, S. 203). Dabei stellt Bourdieu die Aspekte der kompetiven Struktur von Männlichkeit und den homosozialen Charakter der sozialen Felder heraus, in denen der Wettbewerb stattfindet (Bourdieu, 2005, S. 83). Die Spiele des Wettbewerbs, die Bourdieu anführt, werden in all den Handlungsfeldern gespielt, welche die Geschlechterordnung der bürgerlichen Gesellschaft als die Domänen männlichen Gestaltungswillens vorgesehen hat: In der Ökonomie, der Politik, der Wissenschaft, den religiösen Institutionen, im Militär sowie in sonstigen nicht privaten Handlungsfeldern. Den Frauen ist in diesen Feldern eine marginale, gleichwohl für die Konstitution von Männlichkeit nicht unwichtige Position zugewiesen: „Von diesen Spielen rechtlich oder faktisch ausgeschlossen, sind die Frauen auf die Rolle von Zuschauerinnen oder, wie Virginia Woolf sagt, von schmeichelnden Spiegeln verwiesen, die dem Mann das vergrößerte Bild seiner selbst zurückwerfen, dem er sich angleichen soll und will“ (Bourdieu, 1997a, S. 203).

Der Wettbewerb trennt die Beteiligten nicht, er ist zugleich in ein- und derselben Bewegung ein Mittel männlicher Vergemeinschaftung. Wettbewerb und Solidarität gehören untrennbar zusammen (Meuser, 2003a). An der Institution des Duells und der darin zu verteidigenden „männlichen Ehre“ lässt sich exemplarisch ablesen, wie in ernsten Spielen des Wettbewerbs der männliche Habitus geformt wird. „Wirkliche Ehre“ kann nur die Anerkennung bringen, die - so Bourdieu (1997a, S. 204) - von einem Mann gezollt wird, „der als ein Rivale im Kampf um die Ehre akzeptiert werden kann“. In der bürgerlichen Gesellschaft war die Klassenzugehörigkeit das Kriterium, das darüber entschied, wer als Rivale in Frage kam. Anhand des Ehrenhändels lässt sich ein fundamentales Prinzip der Konstruktion und Reproduktion von Männlichkeit verdeutlichen: Eine doppelte Abgrenzung, die zu Dominanzverhältnissen sowohl gegenüber Frauen als auch gegenüber anderen Männern führt. Bourdieu (1997a, S. 215) spricht in diesem Zusammenhang von der „libido dominandi“ des Mannes „als Wunsch, die anderen Männer zu dominieren, und sekundär, als Instrument des symbolischen Kampfes, die Frauen“.

Die Geschlechterordnung befindet sich seit ca. drei Jahrzehnten in einem sich beschleunigenden Transformationsprozess. Die Veränderungen in den Beziehungen der Geschlechter zueinander haben unter anderem die Konsequenz, dass die Frauen in zunehmend geringerem Maße die Funktion von „schmeichelnden Spiegeln“ erfüllen. Auch wenn der männliche Habitus in den ernsten Spielen, welche die Männer unter ihresgleichen austragen, konstituiert wird, ist die Position des Mannes in der Geschlechterordnung nicht losgelöst von derjenigen, welche die Frau einnimmt. Bourdieu (1997a, S. 204) sieht in der „weiblichen Unterwerfung“ eine „unersetzliche Form von Anerkennung“, eine „Anerkennung, die denjenigen, der ihr Gegenstand ist, in seiner Existenz rechtfertigt und darin, so zu existieren, wie er existiert“. Der „Vermännlichungsprozess“ sei wahrscheinlich „nur mit dem insgeheimen Einverständnis der Frauen ganz zu vollenden“.

Meuser (2001, S. 8) schreibt, dass sich gerade unter den Bedingungen der Transformation der Geschlechterordnung die zentrale Bedeutung erweist, die der homosozialen Männergemeinschaft für die Reproduktion des männlichen Habitus zukommt. Es sind vor allem diese Gemeinschaften, in denen Männer unter ihres gleichen sind, welche das für den männlichen Habitus generative Prinzip der hegemonialen Männlichkeit als zentrales Kriterium von Männlichkeit bekräftigen. Diese Gemeinschaften sind ferner soziale Räume, in denen Männer Verunsicherungen, welche durch den Wandel der Geschlechterverhältnisse induziert werden, auffangen können und die ihnen habituelle Sicherheit vermitteln. In dieser Hinsicht lässt sich die homosoziale Männergemeinschaft als ein kollektiver Akteur der Konstruktion der Geschlechterdifferenz und von hegemonialer Männlichkeit begreifen.

2.3 Die Negation zum Weiblichen

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bezeichnete Otto Weininger die Überwindung angeborener weiblicher Charaktereigenschaften als die zentrale Aufgabe des Mannes. Nur dieser habe die Fähigkeit, durch klares Denken vermeintlich unmännliche Eigenschaften, wie z.B. die Anti-Typen und Frauen unterstelle (sexuelle) Zügellosigkeit, zu überwinden (Schmale, 2003, S. 23ff). Männliche Geschlechtsidentität bildet sich über eine Abgrenzung von Frauen, sowie gegenüber allem was weiblich ist. Diese Abgrenzung äußert sich nicht selten in Gestalt einer Abwertung des Weiblichen (Böhnisch & Winter 1993).

Bereits im 17. Jahrhundert wurde die männliche Überlegenheit von Teilen der Gesellschaft angezweifelt und somit bedroht. Ausdruck hierfür war beispielsweise die Darstellung des entblößten männlichen Geschlechts in der Hochkunst (Schmale, 2003, S. 140f). Derartige Herabwürdigungen von Männlichkeit sind ebenso wie der zunehmende gemischtgeschlechtliche Umgang Ursprung von männlicher Unsicherheit in Bezug auf ihre Geschlechtsrolle. Der zunehmende geschlechterübergreifende Umgang führt dazu, dass männliches Verhalten auch von Weiblichkeit beeinflusst wurde, die sich zunächst in Relation zur hegemonialen Männlichkeit als zentralen Organisationsmomentes bürgerlicher Gesellschaften definierte. Diese Beeinflussung des männlichen Verhaltens fand seit jeher zumeist nicht in Form einer aktiven Übernahme typisch weiblicher Verhaltensweisen durch den Mann, sondern durch unbewusste und bewusste Abgrenzung zu diesen statt. Neben der Marginalisierung von Minderheiten wie z.B. den Homosexuellen, diente also auch die Abgrenzung und Abwertung der Frauen bzw. allem weiblichen dazu, sich der eigenen männlichen Identität bewusst und sicher zu sein.

Ausgehend von einer tradierten weiblichen Dominanz in der Erziehung, kommt es zu unterschiedlichen Individuations- und Differenzierungsprozessen von Mädchen und Jungen. Die Gleichheit zwischen Mutter und Tochter lässt den weiblichen Individuationsprozess anders verlaufen als den der Jungen (Rose, 1997). Das Mädchen wird demnach von der Mutter als „Verdoppelung“ erlebt und kann im Vergleich zu Jungen länger und unbefangener Einssein mit der Mutter (Hagemann-White, 1984, S. 95). Der Junge hingegen findet keine so starke Mutter-Kind-Dyade vor. Er wird aus der mütterlichen Symbiose verstärkt heraus gedrängt und auf sich selbst verwiesen. Der Junge weiß damit sehr früh, dass er anders als die Mutter ist, findet aber nur selten eine entsprechende Identifikationsfolie, da der Vater meist räumlich und emotional abwesend ist. Die Rolle des Vaters, der ihm Geborgenheit geben und als Spiegel der Gleichheit dienen könnte, fehlt dem Jungen (Bönisch, 1993, S. 54). Die Individuation des Jungen erfordert daher nicht in Anlehnung an den Vater, sondern als negative Abgrenzung gegen die Mutter (Rose, 1995, S. 74). Der Junge erlebt sogar nach Hagemann-White eine doppelte Negation: „Frau ist, wer kein Mann ist. Eine Frau ist nicht Mann.“ (Hegemann-White, 1983, S. 92). Der Junge entwickelt demnach demonstrativ sich abgrenzende Tugenden der Härte, Unverletzlichkeit, Selbständigkeit und Leistungsfähigkeit. Die Herstellung der Männlichkeit wird zum aktiven Prozess, der sich durch Abgrenzung zum typisch weiblichen definiert (Hagemann-White, 1983, S. 94).

Die genannte häufige Abwesenheit stabiler männlicher Bezugspersonen in der Familie hat zur Folge, dass die Negation typisch weiblicher Verhaltensweisen auch bei der Männlichkeitskonstruktion gegenwärtig aufwachsender Jungen eine hervorgehobene Rolle spielt (Schmale, 2003, S. 257). Sofern sie gleichgeschlechtlicher Identifikationsmodelle im sozialen Umfeld nicht vollständig entbehren, begegnen sie ihnen doch oftmals nur als hervorgehobene oder moralische Instanzen. Die Abwesenheit realer, verfügbarer und alltäglicher männlicher Modelle im sozialen Nahraum hat besonders Einfluss auf die Entwicklung von Jungen im Alter von etwa fünf bis sieben Jahren.

Mit dem Erlangen des von Piaget untersuchten „kognitiven Stadiums der konkreten Operationen“ (Jantz & Brande, 2006, S. 71) realisieren Kinder die Unumkehrbarkeit des Geschlechts und die Abwertung Angehöriger des anderen Geschlechts und ihrer Eigenarten erreicht ihren Höhepunkt. Parallel hierzu gewinnt die Identifikation mit Gleichgeschlechtlichen an Bedeutung. Auf der Suche nach männlicher Identität müssen Jungen jedoch feststellen, dass Männlichkeit keine Begründung in sich selbst zu haben scheint, sondern sich lediglich in der Negation zu Weiblichkeit definiert. Es entsteht eine „Nicht-Identität“, da Verhaltensmaxime wie „nicht ängstlich sein“ oder auch „nicht emotional sein“ die entscheidenden Richtlinien für akzeptiertes männliches Verhalten darstellen (Jantz & Brandes, 2006, S. 71f).

2.4 Prekarisierte Männlichkeit

Gravierende Umbrüche in der Erwerbssphäre bzw. auf dem Arbeitsmarkt zeichnen den Begriff der Prekarisierung aus. Sie sind ein Beleg dafür, dass seit einiger Zeit das Normalarbeitsverhältnis erodiert, zugunsten von unsicheren, zeitlich befristeten, niedrig bezahlten Arbeitsverhältnissen. Diese neuen Arbeitsverhältnisse reichen oftmals weder für die unmittelbare Existenzsicherung aus, noch ermöglichen sie eine langfristig und angemessene Altersversorgung. Dazu gehört auch, dass Phasen von längerer oder kürzerer Arbeitslosigkeit zur „Normalität“ werden. Die auf bestimmte fachliche Fähigkeiten begrenzte Arbeitskraft wird zunehmend durch einen Arbeitskrafttypus ersetzt, der auf die ganze Person, ihre fachlichen wie sozialen Kompetenzen, ihre Phantasie und Kreativität wie ihr organisatorisches und Zeitmanagement zugreift. Prekär werden also nicht nur Arbeitsverhältnisse, sondern auch bislang praktizierte räumliche und zeitliche Formen der individuellen Lebensführung und damit auch die ihnen entsprechenden Familien- und Geschlechterarrangements. Traditionell geprägte Arbeitsteilungen, etwa zwischen dem Familienernährer und der (zuverdienenden) Hausfrau werden fragwürdig und mit ihnen bislang gängige Klassifikationen von Männlichkeit und Weiblichkeit (Castel, 2000).

Männlich sozialisierte Beschäftigte, die sich der Zone der Prekarisierung zuordnen lassen, sind dabei, ihren Klassenstatus als Teil einer anerkannten Arbeiterschaft mit materieller Sicherheit und gradueller Wohlstandssteigerung zu verlieren und ihren Geschlechtsstatus als komplizenhaft hegemoniale Männer, die durch die Versorgerposition ihre überlegene Stellung in Beziehungen zu Frauen aufrechterhalten konnten, einzubüßen.

Die beiden Transformationen wirken auf sie kumulativ, es lässt sich in diesem Sinne von einer doppelten Erosion der strukturellen Bedingungen für durch Erwerbsarbeit vermittelte hegemoniale Männlichkeit sprechen. Während es für sie selbst schwerer wird, sichere Erwerbsarbeit zu finden, wird es für Frauen einfacher (wenn auch nach wie vor schwerer als für Männer), damit erodiert nicht bloß die Möglichkeit dieser Männer, das Familieneinkommen zu erzielen, sondern gleichzeitig wird ihre patriarchale Dividende sowohl in der öffentlichen Sphäre, am Arbeitsplatz, als auch in der privaten Sphäre, durch ihre erwerbstätigen Partnerinnen, die nicht mehr ohne weiteres bereit sind, die Familienarbeiten zu übernehmen, angefochten.

Diese doppelte Erosion lässt sich an einem Beispiel illustrieren: dem „Reproduktionsproblem niedrig qualifizierter Männer“ (Scholz, 2009, S. 89). Immer weniger heterosexuellen jungen Männern, die weiterhin einen Kinderwunsch haben, gelingt es, diesen zu realisieren. Dies ist der kumulative Effekt mehrerer Faktoren. Zunächst gelingt es niedrig qualifizierten Männern immer weniger, eine beständige Partnerschaft aufzubauen, einerseits aufgrund unterschiedlicher Partnerschaftsvorstellungen zwischen Männern und Frauen, andererseits aufgrund ihrer schlechten Erwerbsaussichten, die sich negativ auf die Partnerfindung auswirken. Ist eine Partnerin gefunden, wird die „Konsolidierung“ der Partnerschaft durch den unsicheren Erwerbsstatus und damit dann auch die Realisierung des Kinderwunsches verzögert, denn durch veränderte Vorstellungen von aktiver Vaterschaft und die gestiegenen Anforderungen an Flexibilität und Mobilität, sowie den unsicheren Erwerbsstatus werden Vereinbarkeitsprobleme auch für Männer verschärft (Scholz, 2009, S. 89ff). Das Gelingen der Konstruktion von hegemonialer Männlichkeit wird also fortwährend von zwei Seiten blockiert – durch die Schwierigkeit, eine sichere Erwerbsarbeit zu finden und durch die egalitäreren Ansprüche der potentiellen Partnerinnen.

Trotz der neuen ökonomischen Bedingungen an der Erwerbsarbeit halten Männer an ein auf Erwerbsarbeit orientierten Lebenslauf zur männlichen Identifikation fest: „dass sich Männer trotz der Veränderungen im Erwerbssystem an einem auf Arbeit zentrierten Lebenslauf orientieren und Erwerbsarbeit weiterhin die zentrale Referenz für männliche Identitätskonstruktionen ist.“ (Scholz, 2009, S. 86) Dabei wird zwar sehr wohl eine „soziale Verunsicherung“ konstatiert, „[d]ie Versuche, diese Verunsicherung zu bewältigen, bewegen sich …[jedoch] im Rahmen tradierter Männlichkeitskonzepte“ (Meuser, 2009, S. 258). Dörre geht hier weiter und konstatiert, dass sich „geschlechtliche Deutungs- und Handlungsschemata“ durch die Prekarisierung eher noch „verfestigen.“ (Dörre, 2007, S. 298) In der Abwehr gegen die eigene, durch den beruflichen Abstieg induzierte „Zwangsfeminisierung“ (Dörre, 2007, S. 297), entwickeln die Betroffenen (sowohl Männer als auch Frauen) Strategien, in denen die Konstruktion von Männlichkeit bzw. Geschlecht noch an Relevanz gewinnt.

Hinzu kommt die „pragmatische[n] Modernisierung“ von Vaterschaft (Scholz, 2009, S. 93). Dabei handelt es sich um den „freiwillige(n) Ausstieg“ einiger, vor allem junger Männer, die mit berufstätigen Frauen und oft auch Kindern zusammenleben, „aus der industriegesellschaftlichen Männlichkeitskonstruktion“ (Scholz, 2009, S. 93). Dieser Ausstieg kann zu Verunsicherung führen, aber auch gelingen und zwar jenseits von hegemonialer Männlichkeit. Junge Facharbeiter aus dem Arbeitermilieu weisen dabei in der Praxis oft egalitärere Geschlechterpraxen auf als Gleichaltrige aus dem akademischen Milieu. Die pragmatische Modernisierung gelingt insbesondere dann, wenn keine explizite Geschlechterpolitik verfolgt wird: „Es ist der Pragmatismus, die Notwendigkeit des Alltagslebens, die zu stärker egalitären Arrangements führen.“ (Scholz, 2009, S 93f).

Die Reaktionen der Subjekte auf die Veränderung ihrer strukturellen Lage sind somit äußerst unterschiedlich. Sie reichen von der Beibehaltung oder der Verschärfung und Redramatisierung traditioneller Rollenvorstellungen bis zur „pragmatischen Modernisierung“, von der Übernahme gewaltbereiter und faschistischer Einstellungen bis zum Aushandeln der Möglichkeiten eines würdigen Lebens. Die doppelte Erosion der strukturellen Bedingungen der durch Erwerbsarbeit vermittelte hegemoniale Männlichkeit und die vielfältige Reaktion der Subjekte auf diese Lage lässt sich als Suchbewegung interpretieren, die beide Richtungen kennt: der unter verstärkten Anstrengungen unternommene Versuch, erneut Anschluss zu finden an eine hegemonial-komplizenhafte Männlichkeit und die (zuerst pragmatische) Akzeptanz der neuen Position, die mit all ihren von der Desintegration aus der hierarchisierten Gesellschaft herrührenden Nachteilen zugleich auch einen Vorteil beinhaltet: Die Möglichkeit eines egalitären Lebens.

Es ist dieser Suchbewegung geschuldet, dass die Differenzen innerhalb der prekarisierten, marginalisiert-untergeordneten Männlichkeiten zunehmen. Mehr noch nehmen die Differenzen zwischen einer neuen aggressiv-dominanten, transnationalen Business-Männlichkeit und den zuletzt betrachteten marginalisiert-untergeordneten Männlichkeiten zu. Die Transformation der Arbeit in Form einer partiellen Feminisierung der Erwerbsarbeit stellt nicht ein Problem für die hegemoniale Männlichkeit an sich dar. Sie verteilt aber die Chancen zur Aneignung hegemonialer Männlichkeit neu. Dabei kommt es auf einer Seite der Relation zu einer neuen Monopolisierung von Eigenschaften, die mit Männlichkeit assoziiert werden und somit zu einer Intensivierung hegemonialer Männlichkeit. Am anderen Ende kommt es zu einer doppelten Erosion der strukturellen Bedingungen für die Konstruktion hegemonialer Männlichkeit, die zu einer Suchtbewegung führt, die nicht nur Verlierer kennt.

2.5 Soziale Konstruktion von Geschlecht im Sport

Die Herstellung und Demonstration von Leistungsunterschieden und Hierarchien ist das Ziel von Sport. Daher ist es auch ein Feld, auf dem Geschlechterdifferenzen produziert und inszeniert werden (Pfister, 2006, S. 34).

Gerade im Sport hat sich Geschlecht als ein soziales Ordnungsmuster halten können, weil zugeschriebene Geschlechtermerkmale vorrangig auf biologische Voraussetzungen zurückzuführen werden können und damit von selbst als „natürlich“ und „natürlich ungleich“ erscheinen (Hartmann-Tews, 2006, S. 50). Sport dient also als ein Spiegel der Gesellschaft, entwickelt sich im gesellschaftlichen Kontext und wird wie Männlichkeit im hohen Maß sozial bestimmt (Neuber, 2006, S. 131).

Frauen wurden eine lange Zeit aus dem Inklusionsprozess systematisch ausgeschlossen. Dies begründete die Geschlechteranthropologie mit ihrem anatomischen Vergleich und den hieraus abgeleiteten psychischen Eigenschaften der Geschlechter, die die Frauen als defizitäre Wesen erscheinen ließen (Hartmann-Tews, 2006, S. 42). Das Differenzparadigma bei der Beurteilung der sportlichen Leistungsfähigkeit der Frau wurde vor allem von der sportmedizinischen Literatur genutzt. Im Vergleich zum Körper und den körperlichen Fähigkeiten des „starken Geschlechts“ wird die Frau nach wie vor als „Mängelwesen“ dargestellt, sie gilt als kleiner, schwächer, breithüftiger und kurzatmiger als der Mann. Dabei wurde nicht berücksichtigt, dass der Sport von Männern für Männer entwickelt wurde, nicht zuletzt, um die physischen Stärken des Mannes zu inszenieren (Pfister, 2006, S. 34).

Die Leibesübungen der Knaben wurden in Preußen als notwendiger und unentbehrlicher Bestandteil der Erziehung förmlich anerkannt und bereits 1842 in den höheren Schulen und 20 Jahre später (1862) an den Volksschulen eingeführt. Beim Turnen ging es in erster Linie um Drill und Disziplinierung des Körpers, die „als unsterblicher Schutzgeist unseres Volksheeres“, als „unentbehrlicher Bestandteil des Turnens“ und als Voraussetzung zur Förderung der Wehrkraft galten. In den Turnvereinen standen die Übungen an Großgeräten und leichtathletische Übungen im Mittelpunkt, die Mut, Kraft, Geschicklichkeit und Ausdauer, kurz Männlichkeit, produzierten und inszenierten. Der Turnunterricht an höheren Mädchenschulen wurde dagegen erst am Ende des 19. Jahrhunderts obligatorisch eingeführt. Nach der Reichsgründung 1870/71 änderte sich in Deutschland das Alltagsleben und mit dem Modernisierungsprozess kam es zu einer Neudefinition der Geschlechterverhältnisse. Neben der zunehmenden Frauenerwerbstätigkeit und dem Beginn der Spielbewegung 1891 mit dem Import von Spielen aus England, beteiligten sich bald auch Frauen an vielen Sportarten, vom Tennis über das Schwimmen bis zum Skifahren. So befolgten auch Frauen Prinzipien wie Konkurrenz, Überbietung und Rekord, welche männlichen Normen und Verhaltensmustern entsprachen. Männliche Domänen waren und bleiben bis heute zahlreiche Sportarten, wie Boxen, Skispringen bis hin zum Fußball, die Mut, Stärke und Ausdauer voraussetzten und intensive Körperkontakte beinhalteten (Pfister, 2006, S, 29 ff).

In nahezu allen Sportdisziplinen auf Wettkampfebene finden offizielle Trennungen der Geschlechter und damit eine Geschlechterdifferenzierung statt. In einigen Disziplinen werden Frauen oder Männer ausgeschlossen oder es gibt Regeländerungen für die unterschiedlichen Geschlechter. Dadurch wird der Prozess der Geschlechterkonstruktion im Sport auch durch institutionelle Arrangements erhalten (Hartmann-Tews, 2006, S. 42f). Sport ist dazu prädestiniert, die Zugehörigkeit zu einer Geschlechtskategorie hervorzuheben und zu inszenieren. Der leistungs- und wettkampforientierte Sport ist für männliche Jugendliche und Erwachsene zur Herstellung und Demonstration von männlicher Identität geradezu ideal (Alfermann, 2006, S. 73).

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Ende der Leseprobe aus 69 Seiten

Details

Titel
Sport und Männlichkeit. Die Konstruktion von Männlichkeit im Fußball
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Sportwissenschaften)
Note
1,6
Autor
Jahr
2016
Seiten
69
Katalognummer
V351348
ISBN (eBook)
9783668383050
ISBN (Buch)
9783960950059
Dateigröße
565 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fußball, Männlichkeit, hegemoniale Männlichkeit, Homosexualität im Fußball, Ernste Spiele des Wettbewerbs, Heteronormativität, Frauenfußball, Männerfußball, Dekonstruktion von Männlichkeit, Krise der Männlichkeit, Prekarisierte Männlichkeit, Negation zum Weiblichen, Soziale Konstruktion von Geschlecht, Traditionelle Strukturen, Geschichte Fußball, Fankulturen
Arbeit zitieren
Bianca Monetta (Autor:in), 2016, Sport und Männlichkeit. Die Konstruktion von Männlichkeit im Fußball, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/351348

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