In der vorliegenden Bachelor-Arbeit soll untersucht werden, inwieweit die Sozialberatung der Berliner Justiz Frauen in der Lebensmitte unterstützen kann und ob die derzeitigen Interventionsmethoden greifen sowie ergänzende Angebote implementiert werden sollten. Die Verfasserin dieser Arbeit ist seit 2009 Beraterin im Team der oben genannten Sozialberatung. Die Beobachtungen während dieser Beratungstätigkeit machten sie auf die Frauen zwischen 40 und 55 Jahren aufmerksam. Sie stehen häufig vor besonderen Herausforderungen, Themen wie Trennung, Trauer, Konflikte am Arbeitsplatz, Familie, Abgrenzung, Gesundheit, Energieverlust, Rollenverständnis, Sinnfragen, Einsamkeit, Gestaltung der noch zu erwartenden Lebenszeit, Angst vor Altersarmut und vermindertes Selbstwertgefühl stehen im Vordergrund. Aussagen wie: „Ich will die werden, die ich bin“(Love, 2002) sind in der Beratungsarbeit keine Seltenheit. Die Lebensmitte der Frau wird auch als Wechseljahre, Klimakterium oder Menopause bezeichnet. Dieses Spannungsfeld der sogenannten „besten Jahre“ zwischen Krise und Wandel wird in der vorliegenden Bachelor-Arbeit näher beleuchtet, um die bestmöglichen Interventionsmaßnahmen in der Sozialberatung für diese Zielgruppe anbieten zu können.
Die These lautet: Die Sozialberatung der Berliner Justiz kann in verschiedenen Lebenskrisen einen unterstützenden Beitrag leisten. Dies soll am Beispiel Frauen in der Lebensmitte dargestellt werden.
Daraus ergibt sich eine Hypothese: Frauen in der Lebensmitte stehen vor besonderen psychosozialen Herausforderungen.
Folgende Fragestellung soll mit Hilfe einer schriftlichen Befragung im Verlauf der vorliegenden Arbeit beantwortet werden: Welche Interventionsmaßnahmen der Sozialberatung der Berliner Justiz unterstützen Frauen in der Lebensmitte? Welche Ergänzungsangebote wären sinnvoll?
Der theoretische Teil dieser Arbeit befasst sich im ersten Kapitel mit der Lebensmitte im Allgemeinen und im Speziellen mit dem Klimakterium der Zielgruppe, der medizinischen Perspektive und den psychosozial wirkenden Faktoren. Des Weiteren erfolgt ein Exkurs in die Lebensmitte der Männer, sowie ein Überblick wie der Umgang mit den Wechseljahren gestaltet werden kann. Die Auswahl der Literatur erfolgte mit dem Fokus auf Lösungsorientierung, verbunden mit dem Wunsch den Wandel ganzheitlich besser zu verstehen und begleiten zu können.
INHALTSVERZEICHNIS
II ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
III ABBILDUNGSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 LEBENSMITTE
2.1 KLIMAKTERIUM / MEDIZINISCHE PERSPEKTIVE
2.2 PSYCHOSOZIALE FAKTOREN
2.3 MÄNNER IN DER LEBENSMITTE (KURZER EXKURS)
2.4 UMGANG MIT DEN WECHSELJAHREN (GESTALTUNGSMÖGLICHKEITEN DES WANDELS)
3 HISTORIE DER BETRIEBLICHEN SOZIALARBEIT
3.1 BEGRIFFSBESTIMMUNG
3.2 GESCHICHTE DER BETRIEBLICHEN SOZIALARBEIT
3.3 VORSTELLUNG DER SOZIALBERATUNG DER BERLINER JUSTIZ
3.4 ANGEBOTE DER SOZIALBERATUNG DER BERLINER JUSTIZ
4 METHODENTEIL
4.1 METHODISCHE VORGEHENSWEISE IM EMPIRISCHEN TEIL
4.2 HALBSTANDARDISIERTE FRAGEBÖGEN / ENTWICKLUNG DES FRAGEBOGENS
4.3 DURCHFÜHRUNG DER ERHEBUNG
4.4 ERGEBNISDARSTELLUNG
4.5 ANALYSE UND INTERPRETATION DER ERGEBNISSE
4.6 ZUSAMMENFASSUNG / DISKUSSION / FAZIT
LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS
ANLAGEN
ANSCHREIBEN
FRAGEBOGEN
II Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
III Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Lebenszufriedenheit nach Alter
Abbildung 2 Merkmale des Klimakteriums
Abbildung 3 Vergleich Menopause-Klimakterium viril
Abbildung 4 Entwicklung betrieblicher Sozialarbeit im Überblick
Abbildung 5 Paralleles Beratungsmodell
Abbildung 6 Anlass für Erstgespräche 2015
Abbildung 7 Männer- / Frauenanteil 2015
Abbildung 8 Altersverteilung Klienten_innen 2015
Abbildung 9 Aufgaben der Sozialberatung
Abbildung 10 Vergleich Leistungsangebot Parallel Beratungsmodell / Sozialberatung der Berliner Justiz
Abbildung 11 Rücklauf Fragebögen
Abbildung 12 Familienstand
Abbildung 13 Themen
Abbildung 14 Krise
Abbildung 15 Einschätzung / Unterstützung
Abbildung 16 Allgemein inhaltsanalytisches Ablaufmodell von Mayring
1 Einleitung
In der vorliegenden Bachelor-Arbeit soll untersucht werden inwieweit die Sozialberatung der Berliner Justiz Frauen in der Lebensmitte unterstützen kann und ob die derzeitigen Interven- tionsmethoden greifen sowie ergänzende Angebote implementiert werden sollten. Die Ver- fasserin dieser Arbeit ist seit 2009 Beraterin im Team der oben genannten Sozialberatung. Die Beobachtungen während dieser Beratungstätigkeit machten sie auf die Frauen zwischen 40 und 55 Jahren aufmerksam. Sie stehen häufig vor besonderen Herausforderungen, The- men wie Trennung, Trauer, Konflikte am Arbeitsplatz, Familie, Abgrenzung, Gesundheit, Energieverlust, Rollenverständnis, Sinnfragen, Einsamkeit, Gestaltung der noch zu erwar- tenden Lebenszeit, Angst vor Altersarmut und vermindertes Selbstwertgefühl stehen im Vor- dergrund. Aussagen wie: „Ich will die werden, die ich bin“(Love, 2002) sind in der Bera- tungsarbeit keine Seltenheit. Die Lebensmitte der Frau wird auch als Wechseljahre, Klimak- terium oder Menopause bezeichnet. Dieses Spannungsfeld der sogenannten „besten Jahre“ zwischen Krise und Wandel wird in der vorliegenden Bachelor-Arbeit näher beleuchtet, um die bestmöglichen Interventionsmaßnahmen in der Sozialberatung für diese Zielgruppe an- bieten zu können.
Die These lautet: Die Sozialberatung der Berliner Justiz kann in verschiedenen Lebenskrisen einen unterstützenden Beitrag leisten. Dies soll am Beispiel Frauen in der Lebensmitte dargestellt werden.
Daraus ergibt sich eine Hypothese: Frauen in der Lebensmitte stehen vor besonderen psychosozialen Herausforderungen.
Folgende Fragestellung soll mit Hilfe einer schriftlichen Befragung im Verlauf der vorliegen- den Arbeit beantwortet werden: Welche Interventionsmaßnahmen der Sozialberatung der Berliner Justiz unterstützen Frauen in der Lebensmitte? Welche Ergänzungsangebote wären sinnvoll?
Der theoretische Teil dieser Arbeit befasst sich im ersten Kapitel mit der Lebensmitte im All- gemeinen und im Speziellen mit dem Klimakterium der Zielgruppe, der medizinischen Per- spektive und den psychosozial wirkenden Faktoren. Des Weiteren erfolgt ein Exkurs in die Lebensmitte der Männer, sowie ein Überblick wie der Umgang mit den Wechseljahren ge- staltet werden kann. Die Auswahl der Literatur erfolgte mit dem Fokus auf Lösungsorientie- rung, verbunden mit dem Wunsch den Wandel ganzheitlich besser zu verstehen und beglei- ten zu können.
Im zweiten Kapitel wird die Historie der betrieblichen Sozialarbeit skizziert und die Sozialbe- ratung der Berliner Justiz vorgestellt.
Der empirische Teil umfasst die methodische Vorgehensweise der Untersuchung, gibt Ein- blick in die Entwicklung der Fragebögen, beschreibt die Durchführung der Erhebung, bein- haltet die Darstellung, Analyse, Interpretation der Ergebnisse und schließt mit einer Zusam- menfassung.
2 Lebensmitte
Die Lebenserwartung für Mädchen liegt laut statistischem Bundesamt derzeit durchschnittlich bei 83 Jahren, für Jungen sind 78 Jahre ermittelt worden (vgl. Statistisches Bundesamt 2016). Somit umfasst das mittlere Lebensalter etwa die Spanne zwischen dem 40. und 55. Lebensjahr.
Verena Kast ist Professorin für Psychologie und hat neben zahlreichen Publikationen ein Buch über das aktive Gestalten von Wendepunkten im Leben geschrieben, welches beleuchtet, wie aus Lebenskrisen Lebenschancen werden. Aus ihrer Sicht beginne in der Lebensmitte für einige die Zeit, in der die Verantwortung für Familie und Kinder aufhört im Mittelpunkt zu stehen. Es sei die sogenannte Hochebene erreicht, diese Zeit werde auch das „beste Alter“ genannt. Nun würden die konkreten Ergebnisse des bisherigen Lebensweges erkennbar. Im Umgang mit sich selbst und mit dem Leben sei eine spezifische Kompetenz erreicht. Die Bildung einer Weltanschauung sei vollzogen und soziale Kontakte seien gefestigt. Die Fähigkeit zu lieben sei entwickelt und könne ausgiebig gelebt werden.
Hier schließe sich allerdings die Lebenswende an. Die „besten Jahre“ erreicht zu haben, bedeute auch es kommen keine besseren mehr und eine Umwandlung der Werte folge. Laut Kast findet eine Veränderung des Identitätslebens statt (vgl. Kast 1996, S. 32).
Auch Psychoanalytiker Volker Münch, der in seinem Buch `Krise in der Lebensmitte´ Therapeuten_innen und Berater_innen zahlreiche Anregungen für ihre Arbeit aus der Perspektive der analytischen Psychologie gibt, greift die Veränderung des Identitätslebens auf indem er einen Teil von Eriksons Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung heranzieht. „Für die Lebensmitte hat der Psychoanalytiker Erik Erikson (1973) festgestellt, dass der vorherrschende und zu lösende psychosoziale Konflikt vor allem darin bestehe, dass man aufgerufen sei, in gleich welcher Weise generativ, also schöpferisch zu sein und etwas zu erreichen, was er mit >>Ich-Integrität<< bezeichnete. Sollte dies nicht zur Zufriedenheit gelingen, drohe innere und soziale Isolation und Verzweiflung.“ (Münch 2016, S. 59)
Carl Gustav Jung schrieb bereits im Jahre 1931 über die Lebenswende:
“Auf's tiefste unvorbereitet treten wir in den Lebensnachmittag. Schlimmer noch, wir tun es unter der falschen Voraussetzung unserer bisherigen Wahrheiten und Ideale. Wir können den Nachmittag des Lebens nicht nach dem selben Programm leben wie den Morgen, denn was am Morgen viel ist, wird am Abend wenig sein, und was am Morgen wahr ist, wird am Abend unwahr sein“. (Jung 1931, S. 455)
Die Psychologin Pasqualina Perrig-Chiello, deren Forschungsgebiet u.a. die Entwicklungs- themen im mittleren Lebensalter ist, geht davon aus, dass die Lebensmitte die Chance zur Vervollkommnung der Persönlichkeit bietet. Sie fragt sich jedoch gleichzeitig was mit der Midlife-Krise ist. Wenn klinische Psychologen befragt würden, bestätigten sie die Existenz der Midlife-Krise, da sie überwiegend mit problembehafteten Menschen arbeiten. Würden hingegen Entwicklungspsychologen befragt, würden wohl die meisten verneinen, da sie sich die Bevölkerung in ihrer Gesamtheit anschauen und feststellten, dass die individuellen Un- terschiede gravierend seien. Aus der Erfahrung von Pasqualina Perrig-Chiello zeige sich, dass das mittlere Lebensalter absolut eine Zeit sei, die sich anfällig für Krisen zeige, ganz ähnlich wie die Übergangsphasen der Pubertät und der Pensionierung (vgl. Perrig-Chiello 2012, S. 53ff).
Begriffsklärung: Krise
Zum besseren Verständnis soll an dieser Stelle erwähnt werden wie der Begriff Krise definiert und unterteilt wird. Der Duden benennt den Begriff als eine „schwierige Lage, Situation, Zeit [die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt]; [eine] Schwierigkeit, kritische Situation; [eine] Zeit der Gefährdung, des Gefährdetseins“(Duden 2016). Wenn Menschen an ihre individuellen Grenzen, die Grenzen ihres Handlungsrepertoires gelangen, entstehen Krisen (vgl. Kunz / Scheuermann / Schürmann 2004, S. 167). Der Sozialpsychiater Gerald Caplan formuliert eine Krisentheorie, welche besagt, dass eine Krise durch „eine akute Überforderung eines gewohnten Verhaltensrepertoires [sowie] durch belastende äußere und innere Erlebnisse“ (Kunz / Scheuermann / Schürmann 2004, S. 167) hervorgerufen wird. Es werden verschiedene Arten von Krisen unterschieden:
1. „Traumatische“ Krise nach Cullberg, sie wird ausgelöst durch unvorhersehbare meist plötzliche Schicksalsschläge, wie der Tod eines geliebten Menschen, Krankheit, Trennung oder Entlassung.
2. Veränderungskrise nach Caplan, sie entsteht in jedem Lebenslauf durch das Heran- wachsen, das Lösen vom Elternhaus, die eigene Hochzeit, die Geburt von Kindern, die Ablösung der leiblichen Kinder, das Altern … (vgl. Smoliner o.J., S. 1).
Unter psychosozialen Krisen definiert Sonneck : „den Verlust des seelischen Gleichgewichts, den ein Mensch verspürt, wenn er mit Ereignissen und Lebensumständen konfrontiert wird, die er im Augenblick nicht bewältigen kann, weil sie von der Art und vom Ausmaß her seine durch frühere Erfahrungen erworbenen Fähigkeiten und erprobten Hilfsmittel zur Erreichung wichtiger Lebensziele oder zur Bewältigung seiner Lebenssituation überfordert.“ (Sonneck, 1995, S. 31)
Kennzeichen der Lebensmitte
Charakteristisch an der Lebensmitte sei, dass viele Menschen erste Altersanzeichen rund um den 40. Geburtstag an sich feststellen, die Kinder gerade eine problematische Phase durchleben, die Eltern eventuell schon hilfebedürftig werden und das eigene Leben wie ein Lauf im Hamsterrad erscheine (vgl. Perrig-Chiello 2012, S. 53ff.)
„Man wird sich der eigenen Endlichkeit bewusst, fragt sich, was habe ich erreicht, was will ich noch erreichen, zieht Bilanz. Man zählt nicht mehr die Jahre nach der Geburt, sondern schaut eher auf die Zahl der Jahre, die wohl noch vor einem liegen. Wenn Frauen in diesem Alter noch keine Kinder haben, müssen sie sich damit auseinandersetzen, dass sie wahrscheinlich kinderlos bleiben.“ (Perrig-Chiello 2012, S. 53ff)
Die Übergangsphasen im Leben seien gekennzeichnet von Labilität. Sie seien verbunden mit Selbstzweifel, Spannungen und Angst, Konflikte und Schwierigkeiten, die wir im Leben schon immer getragen haben, werden laut Verena Kast in diesen Zeiten reaktiviert. Längst überwunden geglaubte psychosomatische Reaktionen würden nun erneut zutage treten. Probleme psychischer Natur, wie z.B. Autoritätsprobleme, die längst bewältigt schienen, würden sich wieder Raum verschaffen. Hinzu komme, dass sich alte Lebensthemen wieder melden könnten und die Konflikte in diesem Zusammenhang nun bearbeitet werden könnten. Hier biete sich die Chance, die Probleme der Vergangenheit zu bearbeiten und es bestehe die Möglichkeit sich von Autoritäten abzulösen und zu sich selbst zu finden (vgl. Kast 2000, S. 30ff).
Lebenszufriedenheit
Hannes Schwandt ist Ökonom und forscht derzeit als Postdoktorand in Princeton mit dem Schwerpunkt Lebenszufriedenheit. Er hat herausgefunden, dass eine Midlife Crisis ganz na- türlich, nichts Besonderes und fast unumgänglich ist. In einem Interview äußert er sich wie folgt zu diesem Thema: „Die Wissenschaft beschäftigt sich seit Jahren mit der Lebenszufrie- denheit von Menschen, es gibt verschiedene Studien, die zeigen, dass die Lebenszufrieden- heit u-förmig verläuft. Das heißt, man beginnt das Leben auf einem hohen Zufriedenheitsni- veau. Ab 30 nimmt die Zufriedenheit ab. Zwischen 40 und 50 Jahren ist sie dann auf dem niedrigsten Level - das ist das Tal, das man Midlife Crisis nennt. Ab 50 steigt sie wieder auf ein ähnlich hohes Niveau wie in jungen Jahren. Das ist eine Regularität, die man in über 80 Ländern gefunden hat - völlig unabhängig von Bildung, ausgeübtem Job oder ob Kinder vorhanden sind oder nicht.“ (Friese 2015, S. 23)
Die folgende Abbildung zeigt noch einmal deutlich die von Herrn Schwandt erwähnte U-Kurve der Lebenszufriedenheit.
Abb. 1 Lebenszufriedenheit nach Alter
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Broderick et al. 2010
Charakteristisch für die Zeit der „midlife-Crisis“ sei, dass sich die Zeitwahrnehmung verän- dern würde, die Endlichkeit des Lebens bewusster werde und damit verbunden die Frage nach dem Sinn des Lebens im Raum stehe (vgl. Münch 2016, S. 6). „Es vollzieht sich ein Wandel in Richtung zu vermehrter Introspektion und Selbstforschung.“ (Münch 2016, S. 6)
In die Zeit der Lebensmitte fällt auch das Klimakterium. Die medizinische Perspektive des Klimakteriums der Frau wird im kommenden Abschnitt kurz erläutert.
2.1 Klimakterium / Medizinische Perspektive
Das Klimakterium ist ein normaler physiologischer Lebensabschnitt, der definiert wird durch den Beginn der Menopause. Es handelt sich bei der Menopause um die letzte spontan Peri- odenblutung, nach der Minimum 12 Monate keine Menstruation erfolgt. Das durchschnittliche Alter der Menopause liegt in Mitteleuropa bei 51 Jahren (vgl. Runnebaum und Rabe 1994).
Physiologie
Das Ausbleiben der Regelblutung bedeutet für Frauen, dass sie biologisch unfruchtbar wer- den. Der Östrogenspiegel sinkt, da schlussendlich keine Follikel (Eiblässchen) mehr heran- reifen, in denen Östrogene produziert werden. Die Funktionalität der Ovarien (Eileiter) ändert sich und wird dafür verantwortlich gemacht, dass der Östrogenspiegel abnimmt (vgl. Long- cope 1990, S. 21). Das Klimakterium wird in Phasen unterteilt. Zum einen in die prä- menopausale Phase und zum anderen in die postmenopausale Phase. Diese Zeit ist von unterschiedlicher Dauer und wird sehr verschieden erlebt. Allgemein wird über die Zeit zwi- schen dem 45. und 55. Lebensjahr gesprochen. Zu den typischen Beschwerden gehören Schwindelgefühle, Hitzewallungen inklusive Schweißausbrüchen, Herzklopfen, Anstieg des Blutdrucks, Atemnot, Schlafstörungen und Kopfschmerzen. Durch die Veränderung des Hormonniveaus im Körper kann sich auch die Vaginal- und Blasenschleimhaut, sowie die Vulva (äußere weibliche Geschlechtsorgane) verändern. Der Schwund des festen Knochen- gewebes, also das Auftreten einer Osteoporose, ist ebenso möglich. Grundsätzlich wird da- von ausgegangen, dass ca. ein Drittel der Frauen massiv unter den Veränderungen, die das Klimakterium beinhaltet, leiden. Ein Drittel fühlt sich lediglich gelegentlich beeinträchtigt, während ein weiteres Drittel kaum Beeinflussung verspürt (vgl. Kast 2000, S. 92ff).
Seelische Beeinträchtigungen
Neben den körperlichen Symptomen können laut Psychiater Volker Faust, der neben der medizinischen Perspektive des Klimakteriums auch auf die psychosozialen Folgen schaut und einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, auch seelische Beeinträchtigungen entstehen. Hierzu gehört eine ausgeprägte Gemütslabilität, die sich in vermehrter Weinerlichkeit zeigt, verstärkte Ängstlichkeit bis hin zu länger anhaltenden Angstzuständen, traurige Verstimmun- gen, innere Unruhe, Nervosität, Anspannung und Reizbarkeit, die in Aggressivität münden kann. Diese Symptome finden sich häufig eingebettet in einer unerklärlich hartnäckigen Müdigkeit, dem Gefühl von Mattigkeit und Antriebsarmut. Des Weiteren können Freudlosig- keit, Konzentrations- und Merkstörungen sowie rasante seelische und körperliche Erschöp- fungszustände hinzukommen. Die Libido (sexuelle Lust) lässt nach und daraus folgt eine nachlassende sexuelle Aktivität. Verstärkt wird dieses Abebben durch die bereits erwähnte Veränderung der Schleimhäute und Vulva im Genitalbereich. Bei sexueller Erregung lässt die Durchfeuchtung nach und kann somit Schmerzen beim Geschlechtsverkehr verursachen (vgl. Faust o.J., S. 4ff).
Die folgende Abbildung zeigt eine Übersicht, welche Symptome des Klimakteriums altersbedingt, bzw. aufgrund der Menopause auftreten und welche auf den Östrogenmangel zurückzuführen sind.
Abb. 2 Merkmale des Klimakteriums
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Faust o.J., S. 5, aus Schloth / Ehlert 2001
An diesen Kurzüberblick der medizinischen Perspektive des Klimakteriums schließen sich im nächsten Abschnitt die psychosozialen Faktoren an, die das Klimakterium mit sich bringen kann.
2.2 Psychosoziale Faktoren
Die Veränderungen im Körper und das psychische Erleben in der Zeit des Klimakteriums werden laut Verena Kast von Frauen nicht getrennt. „Ich kenne mich nicht mehr, ich kann mich nicht mehr so auf mich verlassen, wie ich es früher konnte.“ (Kast 2000, S. 94) Dies ist nur eine unter vielen Aussagen, die eine starke Verunsicherung von Frauen aufzeigt. Diese Verunsicherung erstaune nicht, da ein wichtiger Aspekt unserer Wahrnehmung von Identität mit dem Erleben unseres Körpers zusammenhänge. Die Veränderung im Körper würde selbst dann deutlich erlebt werden, wenn während des Klimakteriums keine schwerwiegen- den somatischen Beschwerden auftreten würden. Plötzlich werde der Körper als Gegenüber erlebt, der verrücktspiele und auf dessen Reaktionen sich die Frauen nicht mehr verlassen können. Es entstehe ein Gefühl des Ausgeliefertseins und das Vertrauen, dass der Körper in einem gewissen Rahmen beeinflussbar sei, schwinde. Die Kohärenz des Ich-Komplexes verringere sich, dass Leben erscheine allgemein erschütterbarer als gewohnt und die Identi- tät würde als zerbrechlicher wahrgenommen werden. Frauen, die an Osteoporose leiden, hätten den Eindruck, ihre Knochen tragen sie nicht mehr. Klassische Übergangsphasen im
Leben zeichnen ähnlich wie die erwähnten Knochen aus, dass die generell tragende Basis nicht mehr existiere.
Auch das Ausbleiben der Monatsblutung führt zu einem neuen Zustand. Hier stelle sich die Frage, wie die Frau diesen Zustand bewerte. Wird das Ausbleiben eher als Verlust oder als Erleichterung empfunden? Beide Gefühle könnten auch gleichermaßen auftreten (vgl. Kast 2000, S. 96ff).
Gesellschaftsbild
Wenn Frauen in dieser Zeit in die Krise geraten, basiere diese aus der Perspektive von Volker Faust nicht selten auch darauf, „dass das Bild einer 50-Jährigen für junge Leute nichts Anziehendes hat. Dies sonderbarerweise im Gegensatz zum Mann gleichen Alters, der sich hier sogar noch „in den besten Jahren“ befinden soll. Da aber das werbepsycholo- gisch aufgezwungene Ideal unserer Zeit die Jugend ist, die mit allen Mitteln verlängert wer- den muss, hat die Frau in der „Mitte ihres Lebens“ einen schon psychologisch schweren Stand.“ (Faust o.J., S. 19)
Veränderungen im sozialen Umfeld
Volker Faust warnt davor, dass auch die Veränderungen im sozialen Umfeld nicht zu unterschätzen seien, sie würden einschneidend oder auch lebens-entscheidend sein. Folgende Belastungen führt er als Beispiele auf, die vorhersehbar und häufig sogar erwünscht seien und doch das Leben nachhaltig veränderten:
- Auch die jüngsten Kinder verlassen Stück für Stück das Haus. Benannt als „Leeres- Nest-Syndrom“ oder im Englischen „empty-nest-syndrom“.
- Die Partner entfremden sich, es kommt vielleicht gehäuft zu Trennungs- bzw. Schei- dungsgedanken.
- Die Eltern beginnen pflegebedürftig zu werden, langfristige belastende Aufgaben, de- ren Erledigung üblicherweise keinerlei Würdigung erfährt.
- Der Tod der Eltern, für viele Frauen sehr schmerzvoll, besonders, wenn eine enge Bindung bestand.
- Der Verlust der Fruchtbarkeit.
- Die eigene subjektive Wahrnehmung über das Einbüßen der Attraktivität.
- Das Nachlassen der Libido.
- Neuorientierung im Berufsleben (evtl. von der Hausfrauenrolle zurück ins Berufsleben oder auch umgekehrt, durch Beendigung des Berufslebens).
- Vermehrte Gedanken über das Ende des eigenen Lebens (vgl. Faust o.J., S. 5ff).
“Als psychosoziale Risikofaktoren gelten Trennung, Scheidung, Verwitwung, sonstige Ursa- chen eines Partnerverlusts, Auszug der Kinder-kurz: Einsamkeit.“ (Faust o.J., S. 6)
Rollenverständnis
Neben den erwähnten Veränderungen im sozialen Umfeld und den psychosozialen Risiko- faktoren ist in diesem Zusammenhang das Rollenverständnis der Frau zu betrachten. Unter- suchungen haben ergeben, dass Frauen, die mehrere Rollen gelebt haben, weniger Proble- me in dieser Phase hatten, als Frauen die sich nur über ihre Mutterrolle definierten (vgl. Kast 2000, S. 98ff). Zuzunehmen scheint die Zahl der Frauen, die ihre Mutterrolle jenseits des 40. Lebensjahrs wiederholen wollen, um die Wechseljahre besser bewältigen zu können. Die Beratung und Behandlung scheint für Gynäkologen_innen ausgesprochen schwierig, da die- se Frauen häufig eine Schwangerschaft um jeden Preis ermöglichen wollen. Hier erhoffen sie sich eine Wiederbelebung des eigenen und auch des Ehelebens (vgl. Buddeberg 2005, S. 136).
In den Untersuchungen ist die Tendenz sichtbar, dass die auftretenden Schwierigkeiten in dieser Zeit nicht ausschließlich auf das Hormondefizit zurückzuführen sind, sondern psychosoziale und psychologische Ereignisse als Ursache für die Probleme angeführt werden (vgl. Kast 2000, S. 98ff). „Solche Schwierigkeiten sind als Ausdruck eines Lebensübergangs zu sehen, eine Situation, in der das Alte nicht mehr gilt, das Neue aber noch nicht wirklich tragfähig und sichtbar ist. Und dieser Übergang dauert - analog zu den körperlichen Veränderungen - recht lang, ist daher besonders belastend, erschließt aber auch große Möglichkeiten zu Veränderungen im Leben.“ (Kast 2000, S. 99)
Einstellung zum Alter
Letztlich sei nach den Überlegungen zum Rollenverständnis laut Volker Faust die Einstellung zum Alter noch ein wichtiger Aspekt in der Lebensmitte der Frau. „In Würde“ alt werde ein Drittel aller Frauen. Sie akzeptierten die körperlichen Veränderungen, die mit dem Älterwer- den einhergehen und verhalten sich gesundheitsbewußt, um die Folgen zu mildern. Sie wür- den trotz der Wechseljahre ein positives Körpergefühl haben, weil sie z.B. nicht rauchen würden, körperlich aktiv seien und auf eine ausgewogene Ernährung achteten. Ein weiteres Drittel der Frauen über 50 Jahre ignoriere einfach den Alterungsprozess. Sie pflegten keinen gesundheitsbewußten Lebensstil und machten sich keinerlei Gedanken um die Wechseljahre und mögliche Auswirkungen. Das letzte Drittel der Frauen sei dagegen besorgt, sie quäle die Angst vor körperlichem Zerfall und vor Krankheiten. Diese Frauen würden vermehrt Medika- mente einnehmen und ängstlich jede geistige und körperliche Veränderung registrieren. Es gäbe einen nicht unerheblichen Prozentsatz von Frauen, die das Alter als Bedrohung erleb- ten. Sie würden sich erhoffen, dass der Alterungsprozess durch eine Hormon-Ersatztherapie verzögert werden könnte (vgl. Faust o.J., S. 6ff).
Die in diesem Abschnitt behandelten psychosozialen Herausforderungen bezogen sich auf die Zielgruppe Frauen in der Lebensmitte, jedoch soll ein kurzer Exkurs über die Lebensmitte der Männer nicht ausgespart werden und im nächsten Abschnitt erfolgen.
2.3 Männer in der Lebensmitte (kurzer Exkurs)
Die Veränderungen von Männern in der Lebensmitte gehen nicht wie bei Frauen mit so offensichtlich biologischen Veränderungen einher. Gegensätzlich zur Menopause der Frauen, die mit dem Verlust der Fertilität einhergeht, bleibt bei Männern meist die Funktion der Gonaden (Geschlechtsdrüsen) bis ins hohe Alter erhalten. Jedoch ist auch bei Männern eine Abnahme der Testosteronproduktion, sowie der Spermatogenese zu beobachten. Die Veränderungen des Hormonhaushaltes des alternden Mannes gehen eher schleichend voran. Etwa ein Viertel der Männer weisen selbst im betagten Alter noch Testosteronwerte auf, die mit den höchsten Werten junger Männer vergleichbar sind. Andere Männer weisen wiederum früh erniedrigte bzw. tiefnormale Testosteronwerte auf.
Begriffsbestimmung
Für die Beschreibung der physiologischen Hormonveränderung des Mannes im Alter werden verschiedene Begriffe verwendet. Unter anderem lauten diese Bezeichnungen PADAM (Partial Androgen Deficiency oft he Aging Male), Andropause, midlife crisis oder auch Klimakterium virile (vgl. Christ-Crain et. Al. 2001, S. 1ff).
Bereits 1939 wurde der Terminus „Klimakterium virile“ von Wermer geprägt. Er beschrieb die Symptome der Männer um das 50. Lebensjahr. Sie klagten über eine Beeinträchtigung der Gedächtnisleistung, Konzentrationsstörungen, Nervosität, Müdigkeit und reduzierte Stress- stabilität. Die damalige Annahme, dass die Symptome aufgrund des rasant abfallenden Tes- tosteronspiegels auftreten, ist durch den heutigen Wissensstand widerlegt worden. Das männliche Klimakterium unterscheidet sich stark von dem Klimakterium der Frau. Die Be- schwerden beim Mann kommen nicht so häufig vor wie bei der Frau, sie sind auch nicht un- ausweichlich, sie werden zum Teil verstärkt psychosozialen Einflussfaktoren zugeschrieben (vgl. Rieder 2003, S. 26ff).
Vergleich Menopause / Klimakterium virile
Die folgende Abbildung vergleicht die Menopause der Frau mit dem Klimakterium virile des Mannes.
Abb. 3 Vergleich Menopause - Klimakterium virile
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Christ-Crain et. Al. 2001, S. 1
“Während es beim weiblichen Geschlecht mit dem Einsetzen der Menopause zu einem ab- rupten Abfall der Ovarialfunktion (Eierstöcke) kommt, bleiben beim Mann die endokrinen und exokrinen Gonadenfunktionen bis ins hohe Alter erhalten. Endokrin heißt Testosteron- Produktion, exokrin die Spermatogenese (Samenzellen-Produktion). Oder besser: Sie blei- ben weitgehend erhalten, denn ein Rückgang der Androgene setzt schon in jüngeren Jahren ein, wenn auch mit großen individuellen Unterschieden. Im Durchschnitt ab dem 25. Lebens- jahr jährlich um 1,2% (was bis zum 75. Lebensjahr einer kontinuierlichen Abnahme von etwa 50% entspricht).“ (Faust o.J., S. 24) Die Symptome der Andropause sind sehr unterschied- lich ausgeprägt. Zu den nennenswerten Veränderungen, die durch den Androgen (männliche Sexualhormone)-Mangel verursacht werden, gehören die Abnahme von Muskelmasse und damit einhergehend mit der Reduktion von Kraft und die verminderte Knochendichte, die Fettmasse nimmt dagegen zu, der Hautturgor (Gewebedurchfeuchtung) ändert sich und in psychosozialer bzw. seelischer Sicht kann es zu depressiven Verstimmungen, Antriebsar- mut, Abnahme von Libido und Angststörungen kommen . Die möglichen psychovegetativen Beschwerden teils von Wermer schon erwähnt wie Schweißausbrüche, Hitzewallungen, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen und insgesamt ein Rückgang körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit, sowie abschließend auch der beruflichen Aktivität kann Konse- quenzen in Familie, Partnerschaft, Beruf, Nachbarschaft und Freundeskreis nach sich ziehen (vgl. Faust o.J., S. 25ff).
Bewältigungsversuche der Krise in der Lebensmitte
Abgesehen von der medizinischen Perspektive sind laut Pasqualina Perrig-Chiello starke Krisen bei Männern in der Lebensmitte häufiger zu beobachten als bei Frauen. Diese können dann mit radikalen Brüchen verbunden sein: Manche kündigen abrupt ihren Arbeitsplatz, verlassen ihre Familie, gehen ins Kloster oder suchen sich eine jüngere Partnerin. Frauen nehmen eher Hilfe an und ergreifen weniger drastisch die Flucht. In der Regel gehen Männer kompromisslosere Wege, da sie vieles verschwiegen, verleugnet und verdrängt haben. Wo Frauen ein breites Netzwerk haben, machen Männer ihre Probleme eher mit sich allein aus. Wenn die Macht oder Kraft zur Problemlösung fehlt, dann neigen Männer eher als Frauen dazu Alkohol zu konsumieren um die Sorgen zu ertränken (vgl. Perrig-Chiello 2012, S. 53ff).
Gegenperspektive - Negierung der Lebenskrise / Wechseljahre
Laut dem Psychologen Roland Kachler gibt es bei Männern keine große Lebenskrise in der Lebensmitte. Allerdings bestätigt er, dass sich um das 50. Lebensjahr des Mannes kritische Lebensereignisse häufen. In diese Zeit würden erste schwerere Erkrankungen fallen, die die Grenzen des Körpers aufzeigten, wie beispielsweise Rückenleiden oder ein Hörsturz, es könne zu Trennungen und Ehescheidungen kommen, die verlangten, dass ein Neuanfang vollzogen würde und komme es zum Verlust des Arbeitsplatzes, dann würde deutlich wer- den, dass Flexibilität, Schnelligkeit und Leistungsfähigkeit abnehmen (vgl. Kachler 2005, S. 3ff).
Die `Wechseljahre des Mannes´ machten sich Pharmafirmen zu nutze. Mehr und mehr Ärzte verschreiben Hormone. In Deutschland habe sich die Zahl der Verschreibungen verdreifacht. Gisela Schott von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft ist der Ansicht, dass die `Wechseljahre´ des Mannes eine Krankheitserfindung seien. Sie sieht die Verant- wortlichkeit für die werbewirksame „Modekrankheit“ bei den Marketing-Agenturen, die von den Pharmafirmen beauftragt wurden (vgl. n-tv, 2015). „Normale Prozesse des Lebens wür- den als medizinisches Problem definiert, neue Krankheitsbilder durch Werbemaßnahmen geradezu erfunden, meint Schott. Auch Prof. Helmut Schatz von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) erklärt: „Man kann nicht von einem männlichen Klimakterium spre- chen.“ Die Wechseljahre des Mannes, so die DGE, „gibt es nicht“.“ (n-tv, 2015)
Die Aufführungen machen deutlich, dass Männer die Lebensmitte anders erleben als Frauen, jedoch auch körperlich wie psychische Beschwerden und psychosoziale Faktoren eine Rolle spielen können.
Nach diesem kurzen Exkurs über die Lebensmitte des Mannes soll im nächsten Abschnitt der Umgang mit den Wechseljahren erläutert werden.
2.4 Umgang mit den Wechseljahren (Gestaltungsmöglichkeiten des Wandels) Rückbesinnung
Der Umgang mit den Wechseljahren bzw. mit dem Wandel in der Lebensmitte ist sehr indivi- duell. Die Frage, wie man dem Älterwerden eine positive Seite abgewinnen kann beantwortet Faust wie folgt. Er schlägt eine Rückbesinnung vor, denn wenn man das derzeitige Alter mit dem vor 20 Jahren vergleichen würde, komme man vielleicht zu der Erkenntnis, dass damals auch nicht alles perfekt war. Weiterhin hält er den Blick in die zukünftige Zeit für sinnvoll, da viele Menschen Ich-Stärke und Gelassenheit dazugewinnen, weil sie viele schwierige Her- ausforderungen in ihrem Leben schon meistern konnten. Es sei befreiend sich nicht mehr mit Selbstzweifeln, Minderwertigkeitskomplexen und Ängsten rumzuschlagen (vgl. Faust o.J., S. 21).
Verena Kast hingegen beobachtet, dass Frauen im Klimakterium sogar einen Blick zurück in die Adoleszenz wagen. Sie schauen in die Vergangenheit und erinnern sich, welches Mäd- chen sie einmal waren, welche Charakterzüge sie hatten und wovon sie damals geträumt haben. Frauen erkennen, dass ihr eigenes Selbst ihnen vielleicht in dieser Zeit näher war, als in den nachfolgenden Jahren (vgl. Kast 2000, S.105ff). Es ist festzustellen, „daß -fragt man Frauen nach ihrem Mädchen-Dasein - so um das zehnte Lebensjahr herum zum Aus- druck kommt, daß sich in dieser Zeit noch eine wesentlich eigenständigere, profiliertere, inte- ressantere Persönlichkeit zeigte. Mit der Anpassung verliert das Mädchen - wenn sie sich dann anpaßt - wichtige Aspekte ihres originären Selbst. Das würde sich ändern, wenn Mäd- chen mehr für Originalität und weniger für Anpassung gelobt würden und wenn Frauen sich nicht nur in Beziehung auf den Mann sehen würden.“ (Kast 2000, S. 107) Verena Kast for- dert die Frauen auf sich mit ihrer Identität inklusive den Identitätsbrüchen auseinanderzuset- zen, sie sollen sich nicht Theorien unterwerfen, wie die Identität der Weiblichkeit zu sein hat. Frauen sollten in Frauengruppen miteinander in den Austausch gehen, Identität suchen und das Identitätserleben in unterschiedlichen Situationen des Lebens beschreiben. Sie ruft die Frauen auf einen eigenen Ort zu finden (vgl. Kast 2000, S.107ff).
Vergleich Rückbesinnung Kast / Faust
Im Vergleich der Theorien von Kast u. Faust in Bezug auf die Aufforderung zur Rückbesin- nung in der Lebensmitte fällt auf, dass Faust vorschlägt sich an die Zeit des jungen Erwach- senenalters zu erinnern, in der auch nicht alles optimal verlief, während Kast die Zeit der Adoleszenz favorisiert, da die Mädchen in dieser Phase noch am ehesten sie selbst waren und wenig angepasst. Die Beratungspraxis der Verfasserin dieser Arbeit zeigt, dass der Blick in die Adoleszenz hilfreich ist, um zu erfahren was den Klientinnen einst wichtig war, welche Hobbys, Visionen und Bedürfnisse sie hatten, um die Selbstfindungsphase der Lebensmitte zu unterstützen.
Wegweiser für Männer
Für die Männer in und jenseits der Lebensmitte gibt Roland Kachler drei Kompassnadeln mit auf den Weg, um nicht versehentlich in alte Gleise zurückzufallen.
Es sei gut, wenn drei Prozesse wahrgenommen werden:
- Zentrierung: das Wesentliche im Inneren spüren
- Intensivierung: das Leben und sich selbst erleben, auch die Kleinigkeiten, bewusster, klarer, deutlicher, eben intensiver, denn das Leben im Hier und Jetzt wird zur eigent- lichen Lebenszeit (Im Vergleich zur Gesamtlebenszeit liegt eine längere Vergangen- heit zurück, als Zukunftszeit bevor steht.)
- Integration: Lebensthemen, wenn auch manchmal nur Puzzleteile fügen sich zu ei- nem Ganzen zusammen. Es ordnet sich vieles von allein.
Wenn diese Grundprozesse zugelassen und wahrgenommen werden würden, dann vollziehe sich die Transformation ins Alter wie von selbst. Es würde spürbar sein, dass diese Lebensphase etwas Kostbares, ganz Neues beinhalte und mit dem früheren Leben nicht mehr zu vergleichen sei (vgl. Kachler 2004, S. 9).
Nach diesen Vorschlägen der zitierten Therapeuten_innen für Frauen und Männer, wie ein positiver Umgang mit der vulnerablen Lebensmitte gelingen kann, soll an dieser Stelle noch ein Blick in die Praxis der Zielgruppe erfolgen.
Empfehlungen für Frauen
Es gibt unterschiedliche Empfehlungen für Frauen. Im Folgenden werden einige davon dargestellt und die Vor- und Nachteil der einzelnen Empfehlungen erläutert.
Das Feministische Frauen Gesundheitszentrum e. V. Berlin veröffentlichte 2016 eine aus- führliche Broschüre über die Wechseljahre, die Frauen praktisch begleiten soll. Diese Publi- kation klärt u.a. über die Wechseljahre auf, sie zählt mögliche Beschwerden und ihre Ursa- chen auf, berichtet über die Geschichte der Hormontherapie, erläutert die Wirkung der Kom- plementärmedizin und gibt zahlreiche Anregungen, wie Frauen den Wandel und die Verän- derungen akzeptieren lernen können. Es wird u.a. empfohlen sich ausgewogen zu ernähren, ausreichend Bewegung und Entspannung in den Alltag einzubauen, evtl. das Heilfasten für sich zu entdecken, sich Fußreflexzonenmassagen, Atem- bzw. Aromatherapien oder Hormon Yoga zu gönnen.
Bevor eine Frau eine Hormontherapie beginnt, sollte sie sich für eine Gynäkologin oder einen Gynäkologen entscheiden, die bzw. der sie nach den geltenden S3-Leitlinien berät. Es ist ein ausführliches Gespräch mit der Fachärztin oder dem Facharzt zu führen. Inhalt des Gespräches sollte die persönliche Krankengeschichte sein und der Nutzen sowie das Risiko einer Hormonbehandlung sollten erläutert werden. Weiterhin ist die Frage zu klären, in welchen Zeitabständen die Kontrolluntersuchungen stattfinden werden. Eine Frau sollte zuvor für sich herausfinden, ob sie wirklich Hormone einnehmen möchte, wenn ja, welche Gründe sie dafür hat und ob sie die Selbsthilfemaßnahmen sowie die Behandlung der Komplementärmedizin zur Linderung ihrer Beschwerden schon getestet hat.
Grundsätzlich wird ein ärztlicher Check Up ab dem 35. Lebensjahr empfohlen, damit die Frau ihre Risikofaktoren rechtzeitig erkennt. Häufig sind die Erhöhung des Blutdrucks, die veränderten Cholesterinwerte und eine Schilddrüsenunterfunktion nicht spürbar und daher lange unbemerkt. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für diesen Check Up alle zwei Jahre.
Die Autorinnen der Broschüre weisen darauf hin, dass jede Frau die Wechseljahre auf ihre individuelle Art erlebt und ihre ganz persönliche Expertin ist. Das eine richtige Rezept für die Zeit des Wandels existiert nicht. Jede Frau muss für sich herausfinden, was ihr gut tut. Die Haltung, dass die Wechseljahre ein Neuanfang für eine Lebensphase ist und kein Schluss- punkt, wird den Frauen mit auf den Weg gegeben (vgl. Burgert / Sachse 2016, S. 6ff).
Zusammenfassung
In diesem Kapitel ging es um eine Annäherung im Allgemeinen. Es wurde das Klimakterium, welches in die Lebensmitte der Zielgruppe fällt, erst von der medizinischen Perspektive dargestellt und anschließend die relevanten psychosozialen Faktoren der Frauen in der Lebensmitte aufgezeigt. Anschließend erfolgte ein Geschlechtervergleich der Lebensmitte. Abschließend wurde ein Einblick in einen möglichen Umgang mit den Wechseljahren und deren Gestaltungsmöglichkeiten angerissen. Um sich der Fragestellung dieser Bachelor-Arbeit zu nähern, denn es gilt weiterhin zu klären, welche Interventionsmaßnahmen der Sozialberatung der Berliner Justiz die Klientinnen in der Lebensmitte unterstützen können, soll das nächste Kapitel zuvor einen kurzen Einblick in die Historie der Betrieblichen Sozialarbeit geben und die Sozialberatung der Berliner Justiz vorgestellt werden, um den Leser_innen einen Überblick des fascettenreichen Arbeitsgebiets zu gewähren.
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