Inwiefern ist der buddhistische Begriff »Achtsamkeit« in der heutigen Bildungswissenschaft relevant? Anwendung in der Schule


Tesis (Bachelor), 2016

68 Páginas, Calificación: 2,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Auftrag der Bildung und aktuelle Probleme der Bildungswissenschaft
2.1 Aktuelle Problemfelder
2.1.1 Globalisierung
2.1.2 Werteverlust durch Individualisierung
2.1.3 Schutz der Demokratie und der Menschenrechte
2.1.4 Gewalt
2.1.5 Heterogenität der Schüler und Inklusion
2.1.6 Veränderte Kindheit: Stress, Ängste
2.2 Neue bildungspädagogische Ansätze
2.2.1 Die emanzipatorische Erziehungswissenschaft
2.2.2 Vom Lehren zum Lernen: verständnisorientiertes Lernen ...
2.2.3 Das globale Lernen
2.2.4 Der schülerorientierte Unterricht; die Gestaltpädagogik
2.2.5 Die Individualpädagogik
2.2.6 Verständnisintensives Lernen
2.3 Schulpädagogik
2.3.1 Methodik
2.4 Zusammenfassung

3. Überblick über die buddhistische Lehre
3.1 Buddhistisches Welt- und Menschenbild
3.2 Der Begriff Achtsamkeit im Buddhismus

4. Achtsamkeit in der westlichen Welt
4.1 Westliche Begriffsdefinitionen und Modelle
4.1.1 Das Modell von Kabat-Zinn MBSR
4.1.2 Das Modell von Shapiro
4.1.3 Die Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (MBCT)
4.1.4 Freeze-Frame Meditation von Doc Childre
4.1.5 Das »Cultivating Emotional Balance Program« (CEB)
4.2 Achtsamkeit im Blick der Forschung

5. Achtsamkeit in der Bildungswissenschaft
5.1 Aktuelle Umsetzungsformen und Forschungsergebnisse
5.1.1 Freundlichkeitscurriculum von Davidson
5.1.2 Das Projekt »Cultivating emotional Balance«
5.1.3 Mindfulness in Schools Project
5.1.4 Mindful schools program
5.1.5 Move-into-learning
5.1.6 Mind up
5.1.7 Konzepte für die Schule in der Schweiz
5.1.8 Das Bielefelder Projekt
5.1.9 Der Ansatz von Fr. Kaltwasser
5.1.10 . Die Schulung von Achtsamkeit nach Thich Nhat Hahn ...
5.1.11 Meditieren mit Kindern für Kindergarten und Grundschule.
5.2 Ergebnisse der Forschung im Bildungsbereich
5.2.1 Forschung des Center for Investigating Healthy Minds
5.2.2 Untersuchung von Black und Fernando
5.2.3 Studie von Klatt et al
5.2.4 Erforschung des Mindfulness in Schools Program (MiSP). .
5.2.5 Deutsche Forschungsergebnisse
5.3 Probleme und Grenzen
5.3.1 Probleme, die aus der Achtsamkeitspraxis heraus entstehen können (»Nebenwirkungen«)
5.3.2 Probleme, die aus der Umsetzung vom Buddhistischen ins Westliche entstehen können

6. Fazit und Ausblick

7. Literatur

1. Einleitung

Wir erleben heute eine veränderte Welt, die die Bildungswissenschaft vor neuen Aufgaben stellt. Einerseits entsteht ein vorwiegend mechanistisches Weltbild. Quantenphysiker wie Hans-Peter Dürr sprechen von der Verdrän- gung der geistigen Dimension unserer Existenz in der modernen Welt und beschreiben dies als einen schwerwiegenden Verlust (ebds., 2012, S. 15). In dieser Zeit der Technologisierung ist die Frage der Zukunftsfähigkeit der Menschheit zentral. Um Zukunft zu gewährleisten, braucht es neue Impulse. In einer Welt, die weder friedlich noch gerecht ist, trägt der Mensch die Ver- antwortung für diese (ebds., S. 15ff.). Durch die machbare Vernetzung über große Entfernungen und Zeiträume hinweg entstehen heute aber auch neue menschliche Gemeinschaften. Hierfür ist die Überwindung von Angst vor dem Fremden notwendig. So kann ein großes Potential an Kreativität bei der Lö- sung der aktuellen Probleme entfaltet werden (Hüther und Spannbauer, 2012, S. 125). Durch die gezielte Förderung der sozialen Kompetenzen, aber auch durch die Stärkung entsprechender Werte könnte dieser Weg bereitet werden. Andererseits befinden wir uns in einer Zeit der Globalisierung. Die Flücht- lingsproblematik stellt die Demokratie vor neue Herausforderungen. Die De- mokratie befindet sich heute mehr denn je im Spannungsfeld zwischen dem Wohl des Einzelnen und den Menschenrechten eines jeden Menschen auf dieser Welt einerseits und dem Allgemeinwohl andererseits. Allen Bildungsan- strengungen zum Trotz erleben wir heute ein Wiederaufleben faschistischer und rassistischer Ideologien. Daher stellt sich die Frage, was kann Bildung noch tun, um die Sicherung der Menschenrechte durch Demokratie zu ge- währleisten, und zu verhindern, dass Hass und Verachtung Teil der Kultur bleiben. Gibt es Möglichkeiten, den Menschen im Rahmen der Bildung zu fes- tigen? Die Autorin hält es für nötig, in der heutigen Zeit nach weiteren Mög- lichkeiten der Verminderung von Radikalisierung innerhalb des Bildungssys- tems zu forschen. Der Begriff der Achtsamkeit im Buddhismus beinhaltet ent- sprechende moralische Werte. Seine Heiligkeit der Dalai Lama betont immer wieder die Bedeutung des gegenseitigen Respekts der Religionen unterei- nander sowie der Menschlichkeit. Dies kann eine Gegenrichtung zu der aktu- ellen Situation der Radikalisierung von Religionen darstellen. Des Weiteren könnte Achtsamkeit eine Rolle bei der Vermittlung von Grundkompetenzen wie Respekt, Empathie und Mitgefühl einnehmen.

Das buddhistische Gedankengut hat sich in den letzten Jahrzenten in der westlichen Welt verbreitet. Yoga, Achtsamkeit und Meditation sind selbstver- ständliche Angebote in der Erwachsenenbildung und kommen auch langsam in der Bildung von Kindern an. Der Friedensnobelpreis wurde 1989 seiner Hei- ligkeit dem Dalai Lama, Tenzin Gyatso, religiöses und früheres politisches Oberhaupt der Tibeter, verliehen. Der Dalai Lama folgt der buddhistischen Ethik: Er bemüht sich um das Glück aller Wesen und kämpft für ein friedliches Miteinander. Dieser Preis würdigt seine Haltung von Toleranz und Respekt, die von seiner tiefen Religiosität herrühren. Die Auszeichnung des Dalai Lamas hat das Interesse für Tibet, seine Kultur und den Buddhismus verstärkt. Inzwi- schen sind die Bücher des Dalai Lamas weit verbreitet (Universal Lexikon, 1989).

Auch die Wissenschaft interessiert sich für den Buddhismus. 2011 beschäftig- te sich ein Kongress an der Universität Hamburg mit dem Thema »Achtsam- keit: eine buddhistische Praxis für die Gesellschaft heute«. Er beschäftigte sich mit der Frage, welche Impulse die buddhistische Tradition der westlichen Gesellschaften geben kann. Im Kongress brachte man Vertreter verschiede- ner Wissensgebiete zusammen, sowohl aus den Wissenschaften wie aus den religiösen Traditionen, um die Grenzen dazwischen aufzubrechen. In diesem Rahmen wurde auch das pädagogische Potential diskutiert, das vielverspre- chend scheint. (Zimmermann, 2015, S.11).

Die von mir subjektiv empfundene positive Wirkung von Achtsamkeitsübungen und Meditationen hat mich überrascht. Ich habe mittlerweile zwei Jahre eige- ner Erfahrung. So ist das Interesse gewachsen, sich dem Thema bildungs- wissenschaftlich zu nähern, auch angesichts der heutigen gesellschaftlichen und bildungspolitischen Herausforderungen. Die Einbeziehung der Achtsam- keit könnte das Potential zur Erfüllung der heutigen Aufgaben, wie Überwin- dung von Fremdheit, Schutz der Welt und Wiedereingliederung einer geistigen Dimension beitragen. Es lohnt sich, dieses Potential zu untersuchen.

Aus diesen Gedanken sowie dem persönlichen Interesse heraus entwickelte sich die Forschungsfrage:

Inwiefern ist der Begriff »Achtsamkeit« in der heutigen Bildungswissenschaft relevant und kann darin umgesetzt werden, speziell innerhalb des Schulsystems?

Für die Beantwortung der Frage wird zunächst auf den Auftrag von Bildung in der heutigen Welt eingegangen sowie auf die besonderen aktuellen Heraus- forderungen. Es wird betrachtet, in welchen Lerntheorien und pädagogischen Konzepten Achtsamkeit einen berechtigten Platz einnehmen kann. Die Auf- gaben von Schule werden beleuchtet, um später klären zu können, ob Acht- samkeit dort einen Platz einnehmen kann. Der Achtsamkeitsbegriff entstammt ursprünglich aus der buddhistischen Philosophie. Daher wird in Kapitel 3 diese vorgestellt. In Kapitel 4 wird dann auf die westliche Definition und Umsetzung von Achtsamkeit eingegangen. Da die Bildungswissenschaft sich auf Kennt- nisse anderer Wissenschaften wie die Psychologie und Medizin stützen muss, wird als nächstes beleuchtet, wie die Wirkung von Achtsamkeit in der Psycho- logie und Medizin eingeschätzt werden. Hierfür werden aktuelle Forschungs- ergebnisse herangezogen. Es wird dargestellt, welche Wirkungen der Medita- tion nachgewiesen wurden. In Kapitel 5 wird auf den Einsatz von Achtsamkeit in der Bildung eingegangen, so wie sie bisher durchgeführt wird. Die aktuellen Forschungsergebnisse zu Achtsamkeit im Unterricht werden in unter 5.2 vor- gestellt. Abschließend wird die Forschungsfrage diskutiert und im Fazit und Ausblick weitere Möglichkeiten erörtert und ein zusammenfassendes Ergebnis sowie offene Fragen vorgestellt.

In dieser schriftlichen Darstellung wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll.

2. Der Auftrag der Bildung und aktuelle Probleme der Bildungswissen- schaft

Pädagogik sollte ein eigenes Prinzip und eine eigene Aufgabe besitzen und nicht nur ausführendes Organ von Politik, Weltanschauungen oder Religionen sein. Wissenschaftliche Pädagogik muss ihre Eigenständigkeit beibehalten und sich immer wieder neu an den gesellschaftlichen, politischen und kultu- rellen Bedingungen ausrichten. (Klafki/Braun, 2006, S. 40 ). Schon Rousse- au postulierte: »In der natürlichen Ordnung sind alle Menschen gleich; ihre gemeinsame Berufung ist: Mensch zu sein (ebds.,1971, S. 14). Rousseau, der Kindheit und Jugend als vollwertige Stadien der menschlichen Entwicklung sah, stellte hier die Weichen. So folgt, dass Pädagogik dem Menschen zur Entwicklung verhelfen soll, so dass aus diesem Prozess ein mündiger Er- wachsener, der die Gesellschaft mitgestaltet und kritikfähig ist, hervorkommt. Aus diesen Gedanken Rousseaus entstanden weitere pädagogische Bewe- gungen mit Pestalozzi, Kant und viele andere. (Klafki/Braun, 2006, S. 40 ff.). Was bedeutet konkret ein mündiger Mensch? Klafki formuliert dafür drei Grundfähigkeiten: »Selbstbestimmungsfähigkeit, Mitbestimmungsfähigkeit, Solidaritätsfähigkeit« (Klafki, 1994, S.140). Dementsprechend hat der Staat zentrale bildungspolitische Aufgaben. Diese beruhen auf den demokratischen Prinzipien von Gleichheit der Lebens- und Bildungschancen und auf die Selbstbestimmung eines jeden Einzelnen. Die bildungspolitische Aufgabe ist, den Menschen zum Leben in der modernen Gesellschaft zu befähigen, über die reine Vermittlung von Voraussetzungen für einen Arbeitsantritt hinaus, und neben den Allokations-, Selektions- und Legitimations- und Identifikationsfunktionen. Dazu bedarf es eines Konzeptes der Allgemeinbildung, das diesen Anforderungen entspricht. (ebds. S. 72 ff.).

Für eine zeitgemäße Bildung müssen die aktuellen Problemfelder beachtet werden, auf die im Folgenden eingegangen wird.

2.1 Aktuelle Problemfelder

2.1.1 Globalisierung.

Wir befinden uns in einer Zeit der zunehmenden Globalisierung. Dies ist laut Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) ein Pro- zess der zunehmenden Abhängigkeit der Märkte und Produktion der ver- schiedenen Länder. Sie beinhaltet die raum-zeitliche Ausdehnung sozialer Praktiken über staatliche Grenzen sowie die Entstehung transnationaler Insti- tutionen und die Vermischung von Kulturen (Müller, 2002, 3. Absatz). Das wesentliche Attribut von Globalisierung ist die Transnationalisierung, das heißt, die Überschreitung nationaler Grenzen (Beck 1997, S. 46). Dies verän- dert den Arbeitsmarkt und somit die Qualifikationsanforderungen, was zur Notwendigkeit einer neuen Beschreibung von Schule im 20. Jahrhundert führt (Lang-Wotjasik 2008, S. 19ff). Die Globalisierung braucht neue Bildungskon- zepte, und diese brauchen ein neues Leitbild (Seitz 2002, S. 236).

2.1.2 Werteverlust durch Individualisierung

Ein Problem stellt die heutige Überbetonung der Individualisierung dar. Dies führt zu einer stärkeren Betonung des Individuums, das auf Kosten der Ge- meinschaft seine Interessen vertritt. Gleichzeitig löst sich das Individuum zu- nehmend aus traditionellen Abhängigkeiten wie Kirche, Vereinen und Famili- enstrukturen. Die Konsequenz ist ein Verlust an Geborgenheit und Orientie- rung. Dies geschieht schon in der Kindheit, wobei Genuss und Vergnügen im Vordergrund stehen. Dies führt zur Intoleranz und erschwert die Erziehung zu einer zukunftstragenden Gesellschaft. Die Erziehung zur sozialen Verantwor- tung gestaltet sich schwieriger (Posch&Altrichter, 1993, S. 62). Der zuneh- mende Raum für individuelle Gestaltungsmöglichkeiten der Lebens- und Ar- beitsform, führt zur Pluralisierung, auch der moralischen Werte, so dass die Orientierung auf Basis einer allgemeingültigen Moral fehlt (Lang-Wotjasik, 2008 S. 70).

Die Religion als zentrale Instanz für die Werteorientierung verliert in der west- lichen Kultur zunehmend an Bedeutung. Es gibt mittlerweile ein Nebeneinan- der verschiedener Religionen sowie eine Verdrängung der Religion aus dem Alltag, während sich alternative, nicht traditionelle Lebensweisen durchsetzen (Hamann/Hamann, 2002, S. 114 ff.). So liegt der Anteil der Christen unter den Jugendlichen zwischen 13 und 29-Jährigen bei 17%, Atheisten verschiedener Formen liegen bei fast 50% (Wippermann, 1998, S. 236 ff.). es fehlt dann aber eine höhere Instanz, ein höheres Wesen, das lenkt. Das menschliche Bedürf- nis nach spiritueller Orientierung bleibt unbefriedigt (Hammerschmid, 2007 S. 16ff.).

Hier fordert die moderne Informationsgesellschaft die Bildungswissenschaft heraus, vielfältige Orientierungshilfen zu bieten. Gerade junge Menschen ver- langen nach Richtung und Sinn im Leben und suchen nach Maßstäben für ihr Verhalten. Geschieht dies nicht, werden diese Menschen anfällig für Reizan- gebote und Ideologien. Die Schule bekommt einen dementsprechenden Er- ziehungs- und Bildungsauftrag, der unter anderem zur Ausbildung der Persön- lichkeit führt (Hamann/Hamann, 2002, S.7 ff.). In manchen Kreisen ist die Notwendigkeit ethischer Bildung umstritten; jedoch wird sie durch die zuneh- mende Individualisierung, der Globalisierung und der Säkularisierung unver- zichtbar. Sie gehört zur Bildung der Persönlichkeit, zur Entfaltung von Quali- täten, die das gelingende Gestalten des eigenen Lebens ermöglichen, sowie zur Grundlage eines gemeinschaftlichen soziokulturellen Lebens. Die Idee, es gäbe eine neutrale Bildung ohne ethischen Hintergrund ist schlichtweg falsch (ebds., S. 9 ff.). Allerdings führt dieser neue Auftrag der ethischen Bildung zu erhöhten Ansprüche an die Schule, die die fehlenden oder fehlgeleiteten pä- dagogischen Handlungen von anderen Seiten ausgleichen muss (ebds., S. 9). Moralische Erziehung hat sich schon immer damit befasst, die jeweiligen be- stehenden Normen zu vermitteln. Jungen Menschen soll vermittelt werden, sich an die Normen der Gemeinschaft zu halten, sich mitmenschlich zu ver- halten, die Würde aller zu respektieren und gewaltlos zu handeln (ebds., S. 13). Die Methoden der moralischen Bildung sind unterschiedlich, je nachdem, welcher Schwerpunkt im Fokus liegt (ebds., S. 14). Uhl definiert eine »mora- lisch gute Persönlichkeit« als »ein zusammenfassender Ausdruck für die Ge- samtheit der Wertüberzeugungen und Tugenden, die den Menschen zu mora- lisch gutem Erleben und Handeln inspirieren (Uhl, 1996, S. 19ff.). Er benennt vier Gruppen von Erziehungsmittel der Moralerziehung: das Vermitteln von moralischem Wissen und Bewusstsein dafür; das Fördern der Urteilsfähigkeit und der klaren Wertung von Handeln; die Förderung der Empathie; die Anre- gung des Lernens durch Nachahmung (ebds., S. 20). Dehnert betrachtet die moralische Erziehung als Prozess, der bestimmte Phasen durchlaufen muss. Am Anfang stehen Zuwendung und Geborgenheit, dann werden gemeinsame Aktivitäten angeboten (unter kontrollierten Rahmenbedingungen) und danach beteiligen sich Jugendliche selbst am Aufbau und übernehmen Verantwortung, und am Ende des Prozesses wird über moralische Probleme und Einsichten diskutiert (Dehnnert, 1998. S. 120 ff.).

2.1.3 Schutz der Demokratie und der Menschenrechte

Der Umgang mit Demokratie und ihre Vermittlung ist eine der Aufgaben von Bildung. Demokratiepädagogik strebt die politische Sozialisation an und bein- haltet die Entwicklung demokratischer Werte, Wissen und Handlungsmög- lichkeiten (Beutel, 2013, S.178). Demokratie ist Aufgabe und Ziel von Bildung und Erziehung und somit Aufgabe von Schule und Jugendarbeit (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, 2001, S. 18). Da Demokratie gelernt werden muss, ist Demokratie ein päda- gogischer Begriff. Um Demokratie zu erfahren, müssen die Gefühle von Zu- gehörigkeit, Mitwirkung und Verantwortung erlebt werden (ebds., S. 19). Das bedeutet, in der Schule müssen demokratische Prinzipien erfüllt werden, um Demokratie erfahrbar zu machen. Die Schule muss die Gleichheit und Würde aller anerkennen. So hat Demokratie gleichzeitig Aufgabe und Qualität der Schule zu sein (ebds., S. 20 ff.).

Ab Anfang der 90er Jahre nimmt die Radikalisierung fremdenfeindlicher und rechtextremer Jugendlicher zu, mit einem Anteil von 15 bis 30 %. Besonders die hohe Verbreitung im Osten ist beunruhigend (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, im Folgenden BLK, 2001, S. 9ff.). Der Zulauf der Jugendlichen beginnt schon ab dem Alter von 13 Jahren. Insgesamt stellt man bei mehr als 50% der Deutschen eine Fremdenfeindlichkeit mittleren Ausmaßes fest (ebds., S. 11).

2.1.4 Gewalt

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das institutionalisierte Erziehungs- und Bildungswesen von Machtverherrlichung und Gewalt betonte Themen weit- gehend befreit und demokratisiert. Dennoch ist Kindheit und Jugend dem Ein- fluss einer Gesellschaft ausgesetzt, die vor allem in den Medien und der All- tagskultur noch durchaus Gewaltverherrlichung vermittelt. Eine sofortige di- rekte Nachahmung von Gewalttaten findet selten statt, ist aber kein Grund, die Gewaltdarstellungen für ungefährlich zu halten. Ihr Konsum erhöht die Wahrscheinlichkeit von aggressiven Einstellungen, Phantasien und Handlungen (Müller-Kohlenberg, 1999, S.177ff.). Der Einfluss der Medien auf die Gewaltbereitschaft ist bisher zu wenig erforscht worden. Fest steht, dass in den USA die Jugendlichen den Medien mehr Stunden ausgesetzt sind als dem Schulunterricht. Die Heranwachsenden sehen in den Medien bis zum 18. Lebensjahr durchschnittlich 200.000 Gewaltakte (BLK, 2001, S. 14).

Von der Fremdenfeindlichkeit abgesehen, ist auch die Gewalt in Schulen zu- nehmend zum Problem geworden. Hier sind deutliche Verbindungen zwischen didaktischer, pädagogischer und räumlich-ökologischer Qualität der Schule und Gewalt festzustellen. Eine Verbesserung der Qualität führt zu Gewaltfrei- heit. Schicht und Bildung spielen aber auch eine Rolle bei der Gewaltbereit- schaft, die in den unteren und bildungsfernen Schichten höher ist. Die Ge- waltbereitschaft ist höher an Haupt- und Mittelschulen und vorwiegend ein männliches Problem, was nach einer entsprechend auf das männliche Ge- schlecht ausgerichtete Pädagogik verlangt (ebds., S. 11ff.).

Das Fehlen von Selbstwirksamkeit spielt eine zentrale Rolle bei negativen Kreisläufen. Die Erfahrung von schlechten Leistungen wird zur Erfahrung des schlechten Schülers, die das Selbstbild schwächt und anfällig für die Rekrutierung durch Kreise extremer Ideologien aller Art macht. Schule sollte vorbeugend die Selbstwirksamkeit, soziale Kompetenzen und die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler fördern (ebds., 2001, S. 58ff.).

Gewaltprävention gehört zu den Aufgaben von Schule und sollte nicht isoliert stattfinden, sondern im Alltag integriert werden (Hurrelmann, 2007, S. 141).

2.1.5 Heterogenität der Schüler und Inklusion

Der berechtigte und erwünschte Ausbau der Inklusion behinderter Kinder im Schulsystem stellt Bildung und Schule ebenfalls vor neue Herausforderungen. Inklusion ist in der BRD noch weit von ihrer Verwirklichung entfernt (Prengel, 2013, S. 4). Gudjons stellt einige Probleme für Schule und Unterricht fest: die Belastung durch gesellschaftliche Veränderungen inklusive der familiären Strukturen, der überwiegend wissensorientierte Unterricht sowie Lern- und Verhaltensstörungen der Schüler (Gudjons, 1997, S. 24). Die Schule hat ge- nerell auch zunehmend mit Kindern mit Problemen oder Defiziten zu tun. Es wird eine Zunahme von Kindern mit Störungen festgestellt. Kinder verarmen in der heutigen Zeit sinnlich, die Zahl der Störungen wie ADS (Aufmerksamkeits- Defizit Syndrom) steigen. Unter den Kindern mit Problemen befinden sich die Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit sowie diejenigen mit Aufmerksamkeitsdefi- zit und Hyperaktivität. Ihre Zahl nimmt zu. Diese Aufmerksamkeitsstörungen haben drei hauptsächliche Symptome: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität (Dönges, 2005, S. 9). Es wird diskutiert, was die Ursache der Zunahme von Störungen ist. Diese führt Frau Kaltwasser auf die mangelnde Entspannungsfähigkeit zurück (Kaltwasser, 2008, S. 20).

Ein angemessener Umgang mit der Heterogenität der Schülergruppen seitens der Schulen, Lehrkräfte und Schulpolitik wird erwartet, außerdem die Durch- führung von Inklusion (Sandfuchs, 2014, S. 5). Dies ist eine große Wende in der Schulkultur (ebds., S. 5). Schon die Reformpädagogik hat hier die Anfänge gemacht, indem sie der kindlichen Individualität vertraut (Sandfuchs, 2002, S. 45 ff.). Helmke und Weinert (1997, S. 96) sehen das Vorhandensein von Kin- dern mit Lern-, Erziehungs- oder Verhaltensprobleme als ungünstige Aus- gangslage, die ein potentielles Risiko darstellt. Es bedarf einen sinnvollen Umgang damit und einer entsprechenden Didaktik (ebds., S. 97). Es gibt eine Reihe von Vorschlägen, wie der gemeinsame Unterricht aller Kinder gelingen soll. Der lernorientierte Frontalunterricht eignet sich wenig für den Erwerb von sozialen Kompetenzen und kann kaum das gemeinsame Arbeiten fördern (Klippert, o.J., S. 1).

Schon seit 1970 wird die Forderung nach individueller Förderung im Unterricht stärker (Sandfuchs, 2002, S. 12). Die Basisaufgabe der Schule ist die »größtmögliche Förderung aller Kinder« (Flitner, 1987 S. 42). Die Schulen sollten Maßnahmen treffen, die nicht auf die Probleme, die ein Krankheitsbild mit sich bringt, ausgerichtet sind. Vielmehr sollen sie eine Schulentwicklung vorantreiben, die der Bewältigung von Konflikten und anderen Anforderungen wie Integration, gerecht wird (ebds., S. 15). Zu den zentralen Aspekten inklu- siver Schulentwicklung gehört die Wertschätzung von Vielfalt (Erbring, 2016, S.27).

Prengel (2013, S. 4) nennt vier Merkmale der Inklusion: das gemeinsame Besuchen der Schule wohnortnah, die multiprofessionelle Kooperation, der individualisierte Unterricht mit Bildung temporärer Untergruppen und Einzelbetreuung und die inklusive pädagogische Beziehung (ebds., S. 4). Die inklusive pädagogische Beziehung ist eine Haltgebende, respektvolle und Zugehörigkeit bildende Beziehung (ebds., S.4).

Im Umgang mit Heterogenität und Inklusion beschäftigen sich Programme und Vorschläge hauptsächlich mit der Suche nach einer Didaktik, die den kogniti- ven Erfolg steigern soll. So gibt es das System der Helfer (Mitschüler, die schwächere Mitschüler unterstützen) (Ferdin, 2014, S. 19), oder das Modell des verständnisintensiven Lernens (Verein für Verständnisintensives Lernen e.V., 2016, ohne S.).

2.1.6 Veränderte Kindheit: Stress, Ängste

Die Lebenswelt der Kinder hat sich verändert. 42 % der Kinder in Deutschland geben 2013 an, Angst vor schlechten Schulnoten zu haben. (Schneekloth/ Andersen, 2013, S. 55). Als nicht positiv sehen die Schule 21 % der Kinder zwischen 6 und 11 Jahren (ebds., S.53). Angst und Stress aber behindern Lernprozesse, während erhaltener Wissensdurst und Freude diese begünsti- gen. Daher sollte die ganzheitliche Ausbildung als Ziel von Bildung beachtet werden (Kaltwasser, 2008, S. 12). Tatsächlich ist es der Auftrag der Schule, die Entwicklung einer gesamten Persönlichkeit, die Verantwortung tragen kann, reflektiert, Menschenrechte respektiert und selbstbestimmt leben kann und die demokratischen Werte achtet, zu fördern (Staatsinstitut für Schulqua- lität und Bildungsforschung München, 2016). Persönlichkeitsbildung beinhaltet auch die Fähigkeit, Stress selbsttätig zu vermindern. Die Frage ist, wie kann pädagogisch Stressbewältigung vermittelt werden?

2.2 Neue bildungspädagogische Ansätze

Durch all die vorgehend angesprochenen Themen geprägt, ist heutige Bildung ein komplexer Gegenstand. Es gibt verschiedene Auffassungen darüber, was Bildung und Schule bieten müssen (Lang-Wotjasik, 2008, S.17). Einige Bildungswissenschaftler haben sich mit den vorher genannten Problemfelder beschäftigt und moderne Bildungstheorien entwickelt. Hier hebt sich die Reformpädagogik hervor. Diese besteht aus mehreren Reformbewegungen ab Ende des 19. Jahrhunderts und stellt den Versuch dar, eine neue Pädagogik, die das Glück des Kindes im Zentrum hat und das angstfreie Lernen ermöglichen will, zu entwickeln (Skiera, 2010,S.3 ff.). Dabei wurde die „alte Schule“ kritisiert. Diese Kritik richtet sich gegen die Einseitigkeit des Lehrens, den starren Stundenplänen, die Dominanz des Lehrplans, der Fächerstrukturierung, den Benotungs- und Disziplinsystem, der Klassenbildung nach Alter, die eingeschränkte Kommunikation und generell gegen die gesamte Schulstruktur (ebds. S. 16). Die Reformpädagogik geht von der Achtung vor dem Kind aus. Wichtige Vertreter dieser Pädagogik sind Dewey, Montessori, Key, Ott und Steiner. (Oelkers, 2010,S.10). Die klassische Reformpädagogik eröffnet Fragen und führt die Pädagogik weiter, sie ist Quelle neuen Sehens, Denkens und Handelns der Pädagogik (Fauser, 2013,. S.25).Diese Bewegung der Reform wird heute noch weiter verfolgt. Fauser benennt vier Problemkreise heutiger Bildung, die er als neue Themen der Reform definiert. Diese Bereiche sind: die Individualität und Selbständigkeit der Kinder, anderes Lehren und Lernen, Sozialkultur und Erziehung und Demokratie und Zukunft. Im Bereich anderes Lernen und Lehren sieht er die Aktivierung der Sinne, die Konzentration und die Übung der Stille angesiedelt (Fauser, 2013 S. 27).

Es gibt unterschiedliche aktuelle Wege der Reformpädagogik, die nun kurz vorgestellt werden.

2.2.1 Die emanzipatorische Erziehungswissenschaft

Klafki hat für das 21. Jahrhundert eine emanzipatorische Erziehungswissen- schaft entworfen. Innerhalb dieser sollten in Interaktionsprozessen einige Grundfähigkeiten entwickelt werden: Kommunikationsfähigkeit (als Fähigkeit, die Gefühle, Beweggründe, Interessen etc. ausdrücken zu können), reflektier- te Rollenübernahme und Rollendistanz, Frustrationstoleranz und Resilienz, kommunikative Problemlösung, Selbsterkenntnis und Reflexion (als Erkennen der eigenen Emotionen und Triebe), Kreativität und Problemlösefähigkeit, Kri- tikfähigkeit, Toleranz, soziale Kompetenz (Beziehungen aufnehmen können, kooperatives Verhalten), Empathie, Selbststeuerungsfähigkeit und die Fähig- keit, Werte und Normen zu diskutieren. Dabei werden diese Fähigkeiten im- mer von demokratischen und menschenrechtlichen Zielen geleitet, und nicht etwa missbraucht (ebds., 2016, S. 88 ff). Es ergeben sich sechs Sinn-Dimensionen von Bildung nach Klafki: die pragmatische Dimension (Bil- dung für das praktische Alltagsleben), die Aufgabe des Verstehens und Han- delns gegenüber den Schlüsselproblemen der modernen Welt, die ästhetische Dimension (die Aufgabe, die Ästhetik zu fördern und zu erleben), das Verste- hen der Menschheitsprobleme, die ethische Bildung und die Bewegungskom- petenz (ebds., 164 ff). Die ethische Bildung beschäftigt sich mit Werten und Tugenden. Die Werte sind Orientierungsmaßstäbe für das Handeln. Die Tu- genden sind auf die Werte bezogene Handlungseinstellungen, die als konkre- tes Tun erscheinen. Dazu gehören Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit, Mut, Gerech- tigkeit, Toleranz, Friedensbereitschaft (ebds., S. 180). Der reale Schulalltag ist eine Quelle für ethische Erfahrungen. Es ist sinnvoller, die ethischen Alltags- probleme zu eruieren, als sich mit den makro-ethischen Problemen theore- tisch zu befassen. Denn Ethik braucht einen erfahrbaren Handlungsbezug. Daher sollte Ethik fächerübergreifend stattfinden, aber nicht beiläufig (ebds., S. 180 ff.). Bildung ist dabei eine notwendige Bedingung für eine zivile Welt- gesellschaft. Auf persönlicher Ebene vermittelt Bildung kulturelle Güter, aber auf gesellschaftlicher Ebene erschafft sie Handlungsräume und birgt das Po- tential Konflikte und Krisen zu bewältigen (Leschinsky/Cortina, 1979, S. 42).

Das Individuum findet seinen Platz in der Gesellschaft durch Selbstverant- wortung (ebds., S. 44). Aufgaben hierzu sind in der Schule die Vermittlung von elementaren Kulturtechniken, die Persönlichkeitsentwicklung und die Allge- meinbildung. Dabei ist die Heterogenität der Schüler eine Herausforderung. Benachteiligte Schüler sind besonders zu fördern (Einsiedler et all, 1979, S.329 ff.).

2.2.2 Vom Lehren zum Lernen: verständnisorientiertes Lernen

Um neue, zeitgemäße Kompetenzen zu fördern, braucht das 21. Jahrhundert einen neuen Lernbegriff. Hier findet ein Paradigmawechsel vom Lehren zum Lernen statt. Die Vorstellung des Lehrens, in der eine alte Generation der Neuen systematisch Wissen vermittelt, ist überholt. Dagegen ist Lernen ein individueller Prozess, in dem Bildung erschlossen wird. Lernen wird als Ent- wicklung von Kompetenzen gesehen, schon seit Humboldt (Fauser, Prenzel, Schratz, 2013, S.236 ff.). Bildung bedeutet für Humboldt »die höchste und proportionierlichste Ausbildung seiner Kräfte in ihrer individuellen Eigenthüm- lichkeit« (ebds., 1986, S. 105). Dieser neue Lernbegriff sollte nach Fleisch- mann auf sechs Erkenntnissäulen aus Psychologie, Neurobiologie und Päda- gogik basieren. Diese Säulen sind: 1. Lernen ist Kompetenzerwerb (weg vom fächerkonzentrierten Lernen; die Kompetenzen und nicht das Wissen stehen im Vordergrund), 2. Lernen ist ein konstruktiver Prozess (Handlungen und Erfahrungen werden mit einbezogen, Kopf, Herz und Hand), 3. Lernen ist ein kommunikativer Prozess (er geschieht vor allem innerhalb von Interaktionen), 4. Lernen ist ein individueller Prozess, 5. Lernen basiert auf Motivation (braucht also Freiraum) und 6. Lernen beruht auf Beziehung (Fleischmann, 2012, S. 42ff.). All diese Grundsätze werden im verständnisorientierten Lernen berücksichtigt (ebds., S. 44).

2.2.3 Das globale Lernen

Seitz schlägt als Lösungsweg das globale Lernen vor, das als eine Bildungs- arbeit für den offenen und konstruktiven Umgang mit Globalisierung definiert wird. Hier werden Friedens- und Menschenrechtserziehung miteinbezogen. Die gesellschaftliche Entwicklung wird als Entfaltung menschlicher Gestal- tungsmöglichkeiten gesehen (Seitz, 2002, S. 236ff.). Dabei ist das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit ein Grundelement, der mit anderen zusammen das magische Hexagon der zukunftsfähigen Entwicklung ausmachen. Er soll Leit- bild einer zukunftsfähigen Entwicklung sein. Das Hexagon beinhaltet kulturelle Selbstbestimmung, ökologische Nachhaltigkeit, demokratische Partizipation, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, gewaltfreie Konfliktkultur und soziale Ge- rechtigkeit (ebds., S. 241 ff.). Die Entwicklung der Globalisierung benötigt transkulturelle Normen und Gerechtigkeitsvorstellungen (ebds., S. 253). Der- zeit konzentriert sich aber die Bildung zur Globalisierung auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. So haben Reformkonzepte, die eine echte zukunfts- weisende Qualität besitzen, wenig Chancen, sich zu entwickeln (ebds., S. 341 ff.). Globales Lernen besteht aus verschiedenen pädagogischen Konzepten, die sich auf die gesellschaftliche Globalisierung beziehen. Diese Pädagogik soll den Menschen befähigen, sich die Kompetenzen und das Wissen anzu- eignen, die sie benötigen, um sich in dieser neuen Welt zurecht zu finden, hin zu einer Weltgesellschaft. Sie verpflichtet sich den Menschenrechten, der Ge- rechtigkeit und der internationalen Solidarität. Sie empfiehlt eine Erziehung und Bildung, die zur internationalen Verständigung, zu Weltfrieden und zur Wahrung der Menschenrechte führt. Genau dieses verabschiedete die UNESCO in der 18. Generalkonferenz. Das Dokument fordert eine globale Anschauungsweise, in allen Bildungssektoren (ebds., S. 366 ff.). Ein inte- grierter Rahmenaktionsplan zur Erziehung für Frieden, Demokratie und Men- schenrechte wurde in Genf in der 44. Internationalen Bildungskonferenz vor- gestellt. Dieser fügt neue Aspekte hinzu, wie die Kultur des Friedens und die Fähigkeit zur gewaltlosen Konfliktlösung (ebds., S 371 ff.). Dies ist nur mit einer didaktischen Neuorientierung erreichbar, die die Persönlichkeitsentwick- lung in den Mittelpunkt stellt (ebds., S. 376). Ein komplexes, ganzheitliches Lernen mit »Kopf, Herz und Hand« und Einbeziehung der Erfahrungsdimen- sion und der Lernstile werden hierfür gefordert (ebds., S. 382).

Seitz setzt sich auch mit den Gefahren des globalen Lernens auseinander. Die Orientierung am Leitbild menschlicher Entwicklung und sozialer Gerechtigkeit kann zu Überforderung führen, da sie sehr anspruchsvoll ist. Auch findet der Prozess der Globalisierung vor allem auf der kognitiven Ebene statt, so dass das ganzheitliche Lernen nicht stattfinden kann (Seitz, 2002, S.384). Pädago- gisches Handeln im internationalen Kontext ist Kommunikationsproblemen ausgesetzt. Grenzübergreifende Bildungskooperation benötigt entsprechen- des politisches Handeln, um Ungerechtigkeit zu überwinden, davon ist die Welt noch weit entfernt (ebds., S. 386).

2.2.4 Der schülerorientierte Unterricht; die Gestaltpädagogik

Unter den aktuellen reformpädagogischen Ansätzen befindet sich auch der schülerorientierte Unterricht von Rogers. Dieser betont besonders die Wich- tigkeit der hilfreichen Beziehung. Die Fähigkeit des Lehrers zu bedingungslo- ser Wertschätzung und zur Empathie ist dafür von hoher Bedeutung. Rogers schließt an der »Pädagogik vom Kinde aus« an. Ähnlich gelagert ist die Ge- staltpädagogik, von Perls gegründet. Sie integriert humanistische Ansätze und fügt eine tiefenpsychologische Fundierung hinzu. Ganz spezifisch ist der Ge- staltansatz, der davon ausgeht, dass ein Subjekt selektiv fokussiert und dann Erfahrungen aktiv strukturiert. Wesentlich dafür ist der Kontaktprozess zwi- schen dem Subjekt und dem Umfeld. Unter dem zivilisatorischen Prozess ver- liert der Mensch den Kontakt zu sich selbst, und hier setzt die Gestaltpädago- gik an. Sie möchte das Selbst wiederbeleben, das aus Geist, Seele und Kör- per besteht. Die sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit, awareness, soll entwickelt werden (Bürmann, 1999, S. 65ff.). In der Gestaltpädagogik taucht dieser Be- griff »awareness«, der im Deutschen in Achtsamkeit übersetzt wird, bereits als Teil eines pädagogischen Konzeptes, auf. »Das Konzept der awareness lässt sich auch verstehen als Kultivierung einer phänomenologischen Wahrneh- mungsfähigkeit, die sich auf das richtet, was wir bei zielgerichtetem Handeln auszublenden pflegen. Awareness stell sich somit als bewusstseinsmäßiges Aufspüren und Zulassen der normalerweise athematisch fungierenden Wahr- nehmungs- und Erfahrungshorizonten dar. Ihr Zulassen setzt eine gewisse Entlastung von Handlungsdruck voraus. Als interesseloses Interesse „ist sie mit Erfahrung und Erkenntnis um ihrer selbst willen, nicht mit der Sicherung oder Bedürfnisbefriedigung des Organismus befasst(...).“ (Bürmann, 1999 S. 66). In gestaltpädagogischen Fortbildungen für Lehrer werden didaktische Methoden gelehrt, unter anderem Phantasiereisen, gelenkte Erinnerungen, visuelle Symbolisierung durch Malen und szenische Inszenierung (ebds., S.72). Meditation wird nicht aufgezählt.

2.2.5 Die Individualpädagogik

Johann Christoph Greiling prägte den Begriff Individualpädagogik schon 1793. Das pädagogische Handeln muss sich an jedes Individuum in seiner Einzigar- tigkeit wenden (Greiling, 1793, S. 120). Krawitz leitet aus der Individualpäda- gogik Konsequenzen für Bildung und Erziehung ab. So muss das »leib- lich-gesitig-seelisch unteilbare und unverwechselbare einzelne Kind« mit sei- nen Möglichkeiten und Bedürfnissen sowie »seinen immer vorhandenen Be- grenzungen und Behinderungen« im Fokus stehen (Krawitz, 2000, S. 91).

2.2.6 Verständnisintensives Lernen

Dies ist eine pädagogische Lerntheorie, entstanden aus der Synthese ver- schiedener Reformprojekte zur Schul- und Unterrichtsentwicklung unter Ein- beziehung der aktuellen Erkenntnisse aus der Lernforschung. Sie stellt ein Lernen in den Mittelpunkt, das aus intensivem Verstehen entsteht, das wiede- rum aus der intensiven Beschäftigung mit einem Gegenstand oder Thema hervorgeht. Beim Verstehen geht es um die Erschließung von Sinn, weiter gefasst als das Begreifen, das körperlicher ausgerichtet ist. Es wird durch Verstehen gelernt. Die eigene Erfahrung wird über der Erfahrung aus zweiter oder dritter Hand gestellt. Das vorstellende Denken wird gegenüber dem logi- schen Denken betont. Der Prozess der Regel- und Gesetzesfindung wird ge- genüber dem bloßen Handeln nach Normen bevorzugt. Der Lernprozess ist wichtiger als das Ziel und das Lernen ist aktiv-konstruktiv statt reproduktiv (Fauser, Heller, Waldenburger, 2015, S. 16ff.). Ein Bereich des verständnisin- tensiven Lernens ist das imaginative Lernen. Der Mensch ist in der Lage, sich Dinge vorzustellen. Er greift dabei auf Erfahrungen zurück und kann sich da- bei alle Sinnesqualitäten vergegenwärtigen. Die Imagination ermöglicht auch, sich neue Dinge vorzustellen. Vorstellungen sind sinnesbezogener als Be- griffe, können chaotischer bzw. lebendiger verknüpft werden und sind indivi- duell und subjektiv (ebds., S. 20). Das ideale verständnisintensive Lernen be- sitzt vier Dimensionen: Erfahrung/Handeln/Wahrnehmung, Begreifen, Vorstel- lung und Metakognition. Durchläuft der Lernprozess all diese Phasen, gewinnt das Lernen eine besondere Tiefe, die des verständnisintensiven Lernens (ebds., S. 21). Darüber hinaus müssen im Lernprozess drei Bedürfnisse erfüllt werden, damit Lernen positiv erlebt wird: das Kompetenzerleben, das Auto- nomieerleben und die Eingebundenheit (ebds., S. 22). Für die pädagogische Praxis wurde ein Entwicklungsprogramm für Unterricht und Lernqualität ent- wickelt. Es ist ein berufsbegleitendes dreijähriges Fortbildungsprogramm für Lehrkräfte (ebds., S. 42). Innerhalb dieses werden unter anderem Methoden des verständnisintensiven Lernens gelernt. Dazu gehören die Ankermethoden werden, um das Ankommen in einer Gruppe oder Lernsituation zu erleichtern. Als Ankermethoden werden unter anderem Meditationen sowie Übungen zur Geistesgegenwart genutzt (ebds., S. 92 ff.).

2.3 Schulpädagogik

Um zu klären, ob der Begriff Achtsamkeit in der Schule Platz einnehmen kann, müssen wir uns mit Schule und Unterricht beschäftigen. Tatsächlich ist es der Auftrag der Schule, die Entwicklung einer gesamten Persönlichkeit zu fördern, die Verantwortung tragen kann, reflektiert, Menschenrechte respektiert und selbstbestimmt leben kann und die demokratische Werte achtet, zu fördern (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München, 2016). »Schule als pädagogische Praxis hat ihren umfassenden pädagogischen Auf- trag im Sinne der griechischen Paideia zu leisten. Und dieser Auftrag (...) heißt: »Geleit zur Umwendung des ganzen Menschen in seinem Wesen« (Krawitz, 2000 S. 92). Aufgabe der Schule ist es, Bildung und Mündigkeit an alle zu vermitteln. Es sind zwei Arten von Mündigkeit zu unterscheiden: kultu- relle und politische Mündigkeit. Die kulturelle Mündigkeit ist Voraussetzung für Teilhabe; hier wird das kulturell tradierte Wissen weitergegeben. Die politische Mündigkeit besteht in der Erprobung der demokratischen Grundprinzipien (Lang-Wojtasik, 2008, S. 146ff.). Schule muss die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler fordern, auch die Selbstkompetenz. Die Grundlage dafür ist die Distanzierungsfähigkeit, also die Möglichkeit, eigene Gefühle nicht wertend zu beobachten. Ebenso sind Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion grundle- gend wichtig (Kaltwasser, 2008, S. 42). Die Schüler brauchen Raum und Gelegenheit, diese Fähigkeiten zu üben (Kaltwasser, 2008, S. 26 ff.).

Die Bedeutung von Kompetenzorientierung in der Bildung und Berufsausbil- dung gewinnt immer mehr an Aufmerksamkeit (Bethscheider, Höhns, Münschhausen, 2011, S.9). Kompetenzen sind als Fähigkeiten zu verstehen, die zur Bewältigung von gezielten Situationen notwendig sind. Sie entspringen der psychologischen Theorienbildung und finden vor allem im Kontext der Entwicklung von Handlungskompetenzen Anwendung. Die Schulung von Kompetenzen findet im Ganzen der Erziehungsarbeit durch Eltern und Bil- dungseinrichtungen statt (Bethscheider, Höhns, Münschhausen, 2011, S. 10). Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung hat einen Orientierungsrahmen für nachhaltige Entwicklung entworfen, der als Leitbild zukunftsfähiger pädagogischer Prozesse fungieren soll. Dort sind ihre didaktischen Prinzipien und Schlüsselqualifikationen festgehalten. Zu den Schlüsselqualifikationen gehören Phantasie und Kreativität, Wertorientierung, Selbstreflexionsfähigkeit, Gemeinsinnorientierung, Ganzheitlichkeit und vielfäl- tige Wahrnehmungs- und Erfahrungsfähigkeit (Seitz, 2002, S. 421 ff.). Auch Hamman benennt notwendige Schlüsselkompetenzen, die auf die gesamte Persönlichkeit abziehen. Hierzu gehören die Identitätskompetenz, die Gerech- tigkeitskompetenz, die Werturteilskompetenz und die religiöse Kompetenz. Diese Kompetenzen dienen der Orientierung in der Welt (Hamman, 2002a, S. 60ff.). In der Schule soll neben dem Kognitiven noch eine stabile Persönlich- keit entwickelt werden. Dazu braucht es soziale und personale Kompetenzen, die gelernt und geübt werden müssen. Auf Grund mangelnden Raumes ge- schieht dies bisher nebenher (Elsholz/Keuffer, 2015, S. 149). Der Schule werden neue Belastungen zugemutet, die in den gesellschaftlichen Verände- rungen inklusive die der familiären Strukturen, den Schülern selbst (Lern- und Verhaltensstörungen) aber auch durch schulimmanente Gegebenheiten, wie der überwiegend wissensorientierter Unterricht, begründet liegen (Gudjons, 1997, S. 24).

Eben die schnellen Veränderungen von Beruf, Ökonomie, Technik, Kultur und miteinander ergeben immer wieder neue Anforderungen an das Individuum.

[...]

Final del extracto de 68 páginas

Detalles

Título
Inwiefern ist der buddhistische Begriff »Achtsamkeit« in der heutigen Bildungswissenschaft relevant? Anwendung in der Schule
Universidad
University of Hagen
Calificación
2,0
Autor
Año
2016
Páginas
68
No. de catálogo
V353639
ISBN (Ebook)
9783668397293
ISBN (Libro)
9783668397309
Tamaño de fichero
839 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Achtsamkeit Schule Bildungswissenschaft Bachelorarbeit Fernuni Hagen Meditation Buddhismus
Citar trabajo
Doris Rafaela Castillo Cueva (Autor), 2016, Inwiefern ist der buddhistische Begriff »Achtsamkeit« in der heutigen Bildungswissenschaft relevant? Anwendung in der Schule, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/353639

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