Gedanken zum Essay von Matthias Hoesch "Drei Kriterien für eine faire Verteilung von Flüchtlingen - und wann sie irrelevant werden"

Eine kritische Auseinandersetzung


Dossier / Travail, 2016

21 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Vorstellung des Essays von Matthias Hoesch
2.1. Drei Kriterien für eine faire Verteilung von Flüchtlingen
2.1.1. Allgemeine Hilfspflicht
2.1.2. Territoriale Gerechtigkeit
2.1.3. Wiedergutmachung
2.1.3.1. Armutsflüchtlinge
2.1.3.2. Bürgerkriegsflüchtlinge
2.1.3.3. Klimaflüchtlinge
2.2. Die ideale Theorie
2.3. Die nicht-ideale Theorie

3. Hoeschs Fazit und eigene Ergänzungen
3.1. Sorgen der Bevölkerung – Überfremdung?
3.2. Wiedergutmachung – Folgeverantwortung

4. Eigenes Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der Onlineausgabe der ZEIT wurde im August 2015 mit zehn gängigen Mythen rund um Flüchtlinge und Asyl aufgeräumt. Im Artikel mit dem treffenden Titel Haben wir wirklich keinen Platz mehr in Deutschland? war unter anderem zu lesen, dass häufige Stimmen beklagen, Deutschland habe keinen Platz mehr für noch mehr Flüchtlinge. „Es gebe ohnehin kaum noch bezahlbare Wohnungen in deutschen Städten. Wo sollten also weitere Flüchtlinge unterkommen? Besonders die vielen Berichte von übervollen Erstaufnahmestellen erwecken diesen Eindruck. Und ja, einige Städte sind mit der Organisation der Flüchtlingsunterkünfte überfordert.“[1] Ein weiterer, jedoch irreführender, Vorwurf von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) lautete: „Wir können die Probleme Afrikas doch nicht dadurch lösen, dass die Hälfte der Menschen Afrikas nach Europa kommt“.[2] Und der dritte der zehn dargestellten Mythen beklagt, dass es „den Flüchtlingen“ doch gar nicht so schlecht gehen könne, da die große Mehrheit im Besitz eines Smartphones sei. Diese und viele weitere Fragen, Klagen und Missbilligungen bestehen trotz großer Aufklärungsarbeit von Pro Asyl und anderen Flüchtlingshilfsorganisationen. Jedoch ist die Situation aktuell, so ist in einem früheren Artikel der ZEIT zu lesen, zum Beispiel „mit der von 1993[3] überhaupt nicht vergleichbar, nicht nur wegen der Zahlen, die damals viel höher waren. (…) Was sich vor allem geändert hat, ist die Stimmung in der Bevölkerung. Da ist ein viel größeres Verständnis für Flüchtlinge, viel mehr Hilfsbereitschaft.“[4]

Dennoch ist kaum zu leugnen, dass sich die Meinungen der deutschen Bürger zur Flüchtlingsthematik sehr unterscheiden und sehr von ihrem jeweiligen personellen Kontext abhängen. Vor dem Hintergrund der letzten Monate, die gefüllt waren mit Angriffen auf Flüchtlingsheime, Zulauf zur islam- und fremdenfeindlichen Organisation Pegida, aber auch Nachrichten über neue Hilfsorganisationen, Initiativen und Kooperationen zugunsten der angekommenen und angenommenen Flüchtlinge, traf die Gesellschaft für Analytische Philosophie (GAP) mit ihrer für 2015 ausgeschriebenen Preisfrage genau den Nerv der Zeit: „Welche und wie viele Flüchtlinge sollen wir aufnehmen?“ Wer kann diese Frage überhaupt gebührend beantworten und auf Grundlage welcher Erkenntnisse, Zahlen, Fakten oder Emotionen? Die GAP wählte bewusst diese Formulierung für ihre Preisfrage, mit der sie „Philosophinnen und Philosophen aller Qualifikationsstufen (…) dazu [aufruft], sich an dem Wettbewerb zu beteiligen“.[5] Denn durch den gegebenen Interpretationsspielraum wird nicht festgelegt, um welche Flüchtlinge es sich handelt oder wer hinter dem „Wir“ steckt. Aus den preisgekrönten drei Essays zusammen mit weiteren ausgewählten sieben Texten entstand eine Sammlung philosophischer Essays, die im Reclam Verlag in einem Sammelband veröffentlicht wurden. Es entstand ein breites Spektrum an Meinungen und Argumentationen, das dem Leser wertfrei Antwortmöglichkeiten bietet. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, dem Leser einen dieser Essays zusammenfassend vorzustellen und ihn im Folgenden kritisch zu beleuchten. Es werden an passenden Stellen weiterführende Anmerkungen angebracht sowie Ergänzungen oder gegenteilige Meinungen vorgestellt.

2. Vorstellung des Essays von Matthias Hoesch

Die Wahl für einen der Hausarbeit zugrunde liegenden Text fiel auf den Gewinner der Preisfrage der GAP, Matthias Hoesch, mit seinem Essay über die Kriterien für eine faire Verteilung von Flüchtlingen entschieden. Sein Ansatz erscheint mir allumfassend und umsichtig und dennoch mutig und bestimmt, und spiegelt Konrad Otts Werk über Zuwanderung und Moral (2016) wider. Darin schreibt Ott, dass „das Recht auf Asyl ernstzunehmen bedeutet, sich nachdrücklich daran zu erinnern, wer vor wem warum fliehen musste.“[6] Diese Fragen werden von Hoesch in seinem Essay ebenfalls aufgegriffen: Sein Essay über die „allgemeine Hilfspflicht, territoriale Gerechtigkeit und Wiedergutmachung: Drei Kriterien für eine faire Verteilung von Flüchtlingen – und wann sie irrelevant werden“ ist das Resultat, eine ehrliche Antwort, die den Lesenden auf manchmal unangenehme Verantwortungspflichten hinweist und ebenso die Bevölkerung wie die Politik zum Handeln bittet.

Im Folgenden werden die Hauptargumente identifiziert und Argumentationslinien Hoeschs analysiert. Erweiternd werden diese auf der Basis eigener Recherchen mithilfe von weiteren Publikationen, Interviews und Veröffentlichungen kritisch hinterfragt und weiter ergänzt Matthias Hoesch untermauert seine Argumentation der fairen Verteilung von Flüchtlingen anhand der oben genannten drei Verpflichtungen, woraus sich jeweils unterschiedliche Kriterien ableiten lassen, die dann wiederum bei der Bestimmung des Aufnahmeumfangs von Flüchtlingen helfen sollen. Laut Hoesch ließe sich idealerweise gegebenenfalls sogar ein Verteilungsschlüssel ableiten, dem alle potentiellen Aufnahmestaaten zustimmen würden. Der Autor unterteilt seine Arbeit in drei Abschnitte: im ersten Teil erläutert er die drei Verpflichtungsgründe allgemeine Hilfspflicht, territoriale Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Im zweiten Teil vollzieht er ein Gedankenexperiment im Falle einer idealen Theorie, um diese im dritten Teil mit der sogenannten nicht-idealen Theorie zu kontrastieren. Schlussfolgernd ruft Hoesch die Leser dazu auf, mehr von der Politik zu fordern und sich auch selbst Gedanken über polemische Sachverhalte zu machen, die dann wiederum Diskussionsstoff für zukünftige politische Debatten liefern können und sollen.

2.1. Drei Kriterien für eine faire Verteilung von Flüchtlingen

2.1.1. Allgemeine Hilfspflicht

Mit dem ersten Verpflichtungsgrund, der allgemeinen Hilfspflicht, weist Hoesch den Leser darauf hin, dass für ihn nicht die Art der Notlage ausschlaggebend für eine Hilfeleistung ist, sondern deren Schwere. Für Hoesch ist demnach die Bedrohung menschlicher Grundbedürfnisse ausschlaggebend für die Frage, ob Hilfeleistung erbracht werden soll oder nicht. Ob es sich um politisch Verfolgte oder Hungerleidende handelt, ist in erster Linie nicht von Belang. Die Art der Hilfeleistung hingegen ist nicht immer die gleiche: es gibt auf der einen Seite die Hilfe vor Ort und auf der anderen Seite die „Hilfe durch Aufnahme in einen anderen Staat“[7], wobei es gilt, die einzelnen Notlagen genauer zu betrachten, um die geeignete Hilfeleistungen einzuleiten. Das Problem der Hilfeleistung vor Ort wird laut Hoesch dadurch verkompliziert, „dass die meisten Staaten ihrer moralischen Pflicht, vor Ort zu helfen, nicht ausreichend nachkommen“.[8] Gemessen an den geleisteten Zahlungen für die geplante Entwicklungszusammenarbeit haben nur weniger als 10 Staaten – prozentual gesehen ein sehr geringer Teil – ihre Hilfspflichten hierfür erfüllt: durch die Millenniumsziele haben sich die reicheren Industriestaaten dazu verpflichtet, 0,7% ihres BIPs für den Fortschritt der Entwicklungszusammenarbeit beizusteuern. Aus diesem Versäumnis leitet Hoesch seinen ersten Grundsatz ab:

Potentielle Aufnahmeländer müssen all diejenigen Zuwanderungswilligen aufnehmen, die in ihrem Herkunftsland unverschuldet ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen können und denen vor Ort entweder nicht geholfen werden kann oder faktisch nicht geholfen wird. [9]

Spannend ist, dass Hoesch in diesem Grundsatz bewusst zur Formulierung „Zuwanderungswillige“ greift und nicht, wie so oft, den Begriff „Flüchtling“ verwendet. Damit vermeidet er von vornherein eine negative Konnotation des Wortes Flüchtling, die allzu oft mit dem Gefühl des Mitleids und der Annahme einhergeht, dieser Person ohne Ausnahme helfen zu müssen. Hoesch übermittelt dem Lesenden nach und nach seine Auffassung des Wortes Flüchtling, die sich mit der Definition der Genfer Flüchtlingskommission deckt. Diese lautet in Artikel 1 wie folgt: Ein Flüchtling ist eine Person, die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will. [10]

Dass ein Staat dennoch Hilfe leisten muss, sofern dieser in der Lage dazu ist, zeigt Hoesch in der Erweiterung seines ersten Grundsatzes:

Je besser ein Staat wirtschaftlich dasteht und je erfolgversprechender er Flüchtlinge in die Gesellschaft integrieren kann, einen desto größeren Anteil an der Gesamtzahl an Flüchtlingen sollte er übernehmen. [11]

Sukzessive ist für Hoesch eindeutig, dass eine allgemeine Hilfspflicht immer dann besteht, wenn das unverschuldete Leiden eines Zuwanderungswilligen und die wirtschaftliche Kraft eines potentiellen Aufnahmestaates zusammen kommen. Eine jede Person ist dazu verpflichtet, im Rahmen seiner Handlungsmöglichkeiten zu helfen und darf nicht die Augen vor der Not verschließen.

Hoeschs Ausführung zur allgemeinen Hilfspflicht ist nicht in sich geschlossen, sondern vielmehr eine Hinführung zu weiteren Fragen: Der Lesende selbst ist gefordert, sich weitere Gedanken über eine mögliche Realisierung des ersten Grundsatzes zu machen. Was passiert, wenn aufnahmefähige Länder eine Hilfeleistung in Form von Aufnahme trotzdem verweigern? Hierzu lässt sich Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heranziehen, welcher vom Recht auf Asyl handelt. Allerdings gewährt er dieses Recht nur sehr eingeschränkt, „nämlich als Recht des Menschen, es in anderen Ländern zu suchen“.[12] Durch den genannten Artikel wird jedoch kein Staat dazu verpflichtet, politisch Verfolgten auch tatsächliches Asyl zu gewähren, die tatsächliche Ausführung hängt allein vom Staat selbst ab. Bedarf es gegebenenfalls sogar im Sinne einer kosmopolitischen Weltanschauung einer Weltregierung, die, mit Blick auf die allgemeine Hilfspflicht und eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen, für Ordnung und Einhaltung der allgemeinen Hilfspflicht sorgt?

Weiterhin stellte sich die Frage, welchen Zweck die Millenniumsziele haben, wenn sich eine verschwindend geringe Anzahl von Ländern dazu verpflichtet fühlt, zur Erreichung dieser Ziele einen minimalen Anteil des Bruttoinlandsproduktes abzugeben. Somit scheitert eine Hilfe vor Ort schon an der wichtigen Finanzierung und es bleibt „nur“ noch die Aufnahme der Menschen, die den Mut finden, alles aufzugeben, um für sich und ihre Familien nach Hoffnung in einem fremden Land und/oder Kontinent zu suchen.

2.1.2. Territoriale Gerechtigkeit

Als Ausgangspunkt für den zweiten Verpflichtungsgrund seines Essays nutzt Hoesch die aus der philosophischen Tradition übliche Annahme des „ursprünglichen Gemeinbesitzes“, die besagt, dass „aus moralischer Sicht niemand ein besonderes Recht geltend machen [kann], dass ihm ein größerer Anteil an der Erdoberfläche zustehe als einem anderen“, denn die Erdkugel sei keine Schöpfung des Menschen.[13] Dennoch beanspruchen Staaten häufig unverhältnismäßig viel Erdoberfläche, so der Autor, wodurch sie weite Teile der Menschheit von deren Gebrauch und dem daraus resultierenden Profit ausschließen. Hoeschs These lautet, dass Staaten, die einen Teil der Erdoberfläche für sich beanspruchen, damit eine gewisse Verantwortung dafür übernehmen, dass dem Rest der Menschheit noch ausreichend Erdoberfläche übrig bleibt, die besiedelt und genutzt werden kann.[14]

Lässt sich dies vor Ort nicht bewerkstelligen und sind Menschen aus diesem Grund dazu gezwungen, ihren Aufenthaltsort zu verlassen, sind Staaten dazu verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen. Diese Tatsache formuliert Hoesch in seinem zweiten Grundsatz:

Menschen, denen das Verbleiben auf dem Territorium ihrer Herkunft nicht zugemutet werden kann, sind aufgrund des ursprünglich paritätischen Rechts auf Nutzung der Erdoberfläche von anderen Ländern aufzunehmen. [15]

Die Verpflichtung eines Staates zur Aufnahme von Flüchtlingen wächst proportional zur beanspruchten Fläche, von der dieser Staat andere Menschen ausschließt. Umgekehrt steigt der Anteil an der Gesamtzahl der Flüchtlinge, die ein Staat übernehmen soll, „je geringer die Bevölkerungsdichte (gemessen an nutzbarem Land) und je höher der Wert an vorhandenen natürlichen Rohstoffen pro Einwohner“. Hiermit erweitert Hoesch seinen zweiten Grundsatz. In einem Gastbeitrag für den Kölner Stadt-Anzeiger erklärt er seine Argumente denen kantianische Aussagen zugrunde liegen: Kant verwies darauf, „dass die Erde ursprünglich im Gemeinbesitz aller Menschen gestanden habe“. Weiterhin erläutert Hoesch Kants Auffassung, dass „jede Migrationsbeschränkung nicht nur mit dem Ausschluss Fremder aus einer politischen Gemeinschaft verbunden ist, sondern auch mit dem exklusiven Beanspruchen eines Territoriums. Wenn aber aus moralischer Perspektive jeder Mensch gleichermaßen ein Anrecht auf die Erdkugel erheben kann, gibt es nicht nur eine abstrakte moralische Hilfspflicht, Notleidenden ein Aufenthaltsrecht zu gewähren. Vielmehr tut jeder Staat, der einen Teil der Erde exklusiv für sich beansprucht, nichts weiter als seine Schuldigkeit, wenn er eine angemessene Verantwortung gegenüber der Menschheit im Ganzen übernimmt.“[16]

2.1.3. Wiedergutmachung

Den ersten Teil seiner Arbeit beendet Hoesch mit dem dritten Verpflichtungsgrund, der Wiedergutmachung. Hoesch unterstreicht, dass im Gegensatz zu den anderen beiden Verpflichtungsgründen Wiedergutmachung nicht für alle Menschen möglich und erforderlich ist, sondern nur für diejenigen, „denen wir zuvor in irgendeiner Form Schaden zugefügt haben“, unabhängig davon, ob eine Notsituation vorliege.[17]

2.1.3.1. Armutsflüchtlinge

Drei Flüchtlingsgruppen können nach Meinung des Autors konkrete Wiedergutmachungsansprüche geltend machen. Das sind zum einen die sogenannten Armutsflüchtlinge, die aufgrund des globalen Wirtschaftssystems darunter leiden müssen, dass ihrem (armen) Land systematisch Schaden zugefügt wird und es deshalb die Armut nicht überwinden kann. Diesen (meist wirtschaftlichen) Schaden durch die Aufnahme von Armutsflüchtlingen wiedergutzumachen kann von Industriestaaten „dann moralisch [erwartet werden], wenn sie keine anderen Kompensationsmaßnahmen ergriffen haben“.[18] Beim Lesen dieser Passage stellte sich mir sofort die Frage, an welche „Kompensationsmaßnahmen“ Hoesch wohl beim Schreiben gedacht hat. Naheliegend wären finanzielle Ausgleichszahlungen, die meines Erachtens jedoch nicht ethisch vertretbar sein können. Denn wenn es als verantwortungsbewusst gelten würde, (nicht-finanziellen) verursachten Schaden mit monetären Kompensationsmaßnahmen ausgleichen zu können, wären den Verursachern von Schäden keine Grenzen gesetzt, sofern sie finanziell gut aufgestellt wären. Meiner Meinung nach kann die Existenz einer Familie, die zum Beispiel vom Weltmarktpreis eines Gutes abhängt, nicht monetär aufgewogen werden, wenn diese zerstört wurde. Denn wer legt den Preis für eine nicht-abgeschlossene Schulausbildung fest oder für die versäumte Chance, selbstbestimmt handeln zu können? Wer definiert den monetären Schaden von persönlichen, kulturellen, gesellschaftlichen oder gar generationellen Verlusten? Und wie lassen sich Ausbeutung und Unterdrückung finanziell entschädigen? Eine finanzielle Kompensationsmaßnahme bringt meines Erachtens den Geschädigten nicht den nötigen Respekt entgegen sondern degradiert sie vielmehr zu Menschen, denen durch „bloße Allmosengabe“ Wiedergutmachung widerfahren ist.

2.1.3.2. Bürgerkriegsflüchtlinge

In seinem Essay sieht Hoesch die Bürgerkriegsflüchtlinge als eine weitere Flüchtlingsgruppe mit Anspruch auf Aufnahme als Wiedergutmachung an. Denn viele potentielle Aufnahmestaaten haben eine Mitschuld bzw. „Mitverantwortung am Ausbruch und der Eskalation von Bürgerkriegen“, die von ihren Aktivitäten wie zum Beispiel im Waffenhandel, im globalen Finanzsystem oder durch die Außenpolitik entsteht. Diese Mitschuld kann durch die Aufnahme der Bürgerkriegsflüchtlinge gelindert werden. Es gilt meiner Meinung nach, einen Zusatz zu dieser Formulierung hinzuzufügen: „Die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen kann das Geschehene nicht rückgängig machen“. Zwar mag die Hilfeleistung gegenüber diesen Flüchtlingen für eben diese Menschen der lang ersehnte Schutz darstellen, doch ist diese Wiedergutmachungsform in meinen Augen das Mindeste, das Industriestaaten (die häufigsten Verursacher) tun können. Wir (die Industriestaaten) sollten uns zusätzlich verstärkt auf internationale Gerechtigkeit und sozialen Frieden konzentrieren und den Waffenhandel unterbinden. Heimbach-Steins schreibt im Arbeitspapier Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik zu diesem Thema, es gehe „um die Sicherung der Lebensgrundlagen weltweit, um globale Verwirklichung von Lebens- und Teilhabechancen, um die Vermeidung von Kriegen und die Entschärfung von Konflikten. Dazu gehört nicht zuletzt eine Überprüfung der politischen Rahmenbedingungen und der Praxis des Waffenhandels, auch und gerade in Deutschland, das zu den größten Waffenexporteuren der Welt gehört.“[19]

Im Zuge eines Interviews für die ZEIT wurde der Grüne-Politiker Winfried Kretschmann im September 2014 nach seiner Meinung gefragt bezüglich der Legitimität der Unterscheidung zwischen Armuts- und Bürgerkriegsflüchtlingen. Daraufhin antwortete er mit der Warnung, diese Unterscheidung nicht gleichzusetzen mit „guten und schlechten Flüchtlingen“. Es gehe in erster Linie um die Verpflichtung, „politisch Verfolgten Asyl zu gewähren. Aber die Armut in der Welt zu bekämpfen ist eine globale Aufgabe, die sich nicht mit dem Asylrecht lösen lässt. Wir brauchen eine humane Zuwanderungspolitik, die Menschen nicht zwingt, es über das Asylrecht zu versuchen.“[20] Diese Ansicht teile ich auch. Es kann nicht Ziel der europäischen Politik sein, durch verbesserte Systeme in der Flüchtlings- und Asylpolitik die Symptome der Flüchtlingskrise zu behandeln, indem Europa eine gewisse Anzahl an Flüchtlingen aufnimmt. Gerade die beiden großen Themen der Armut und des Bürgerkriegs verlangen eine Ursachenbekämpfung, die auf eine langfristige und nachhaltige Verbesserung der Lebenssituationen in den Herkunftsländern abzielt und Unabhängigkeit fördert.

[...]


[1] ZEIT ONLINE: Haben wir wirklich keinen Platz mehr in Deutschland? (18.8.2015)

[2] Ebd.

[3] „1993 hatte es die Regierung Kohl plötzlich mit 440.000 Flüchtlingen zu tun plus 400.000 Spätaussiedlern, 200.000 Übersiedlern aus der untergegangenen DDR, zudem mit Tamilen, Vietnamesen und schwer traumatisierten Flüchtlingen aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg.“ (ZEIT ONLINE: „Die linke Lebenslüge“)

[4] ZEIT ONLINE: Die linke Lebenslüge (3.7.2014)

[5] Grundmann/Stephan (2016): Welche und wie viele Flüchtlinge sollen wir aufnehmen?, S. 13

[6] Ott (2016): Zuwanderung und Moral, S. 54

[7] Grundmann/Stephan (2016): Welche und wie viele Flüchtlinge sollen wir aufnehmen?, S. 17

[8] Ebd.

[9] Ebd., S. 18

[10] UNHCR (1951): Abkommen über die Rechtstellung der Flüchtlinge, S. 2

[11] Grundmann/Stephan (2016): Welche und wie viele Flüchtlinge sollen wir aufnehmen?, S.19

[12] www.Menschenrechtserklärung.de - Asylrecht

[13] Grundmann/Stephan (2016): Welche und wie viele Flüchtlinge sollen wir aufnehmen?, S.19

[14] Ebd., S.19 - 20

[15] Ebd., S. 20

[16] Kölner Stadt-Anzeiger: Gastbeitrag von Matthias Hoesch (06.1.2016)

[17] Grundmann/Stephan (2016): Welche und wie viele Flüchtlinge sollen wir aufnehmen?, S. 21

[18] Ebd.

[19] Heimbach-Steins (2015): Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik, S. 21 - 22

[20] ZEIT ONLINE: Das Boot ist nie voll (25.9.2014)

Fin de l'extrait de 21 pages

Résumé des informations

Titre
Gedanken zum Essay von Matthias Hoesch "Drei Kriterien für eine faire Verteilung von Flüchtlingen - und wann sie irrelevant werden"
Sous-titre
Eine kritische Auseinandersetzung
Université
University of Augsburg
Note
1,3
Auteur
Année
2016
Pages
21
N° de catalogue
V353765
ISBN (ebook)
9783668398368
ISBN (Livre)
9783668398375
Taille d'un fichier
600 KB
Langue
allemand
Mots clés
Allgemeine Hilfspflicht, territoriale Gerechtigkeit, Wiedergutmachung, Flüchtlinge
Citation du texte
Carolin Buck (Auteur), 2016, Gedanken zum Essay von Matthias Hoesch "Drei Kriterien für eine faire Verteilung von Flüchtlingen - und wann sie irrelevant werden", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/353765

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