Wie kann ein kleines oder mittelständisches Unternehmen ohne Umsatzwachstum nachhaltig und langfristig bestehen?

Konsequenzen des Wachstumsstopps und Vergleich verschiedener Unternehmen


Thèse de Bachelor, 2013

123 Pages, Note: 1,6


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Die Problemstellung und ihre Relevanz im aktuellen Kontext
1.2. Die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit
1.3. Der Aufbau der vorliegenden Arbeit

2. Die vorherrschende Theorie des Wirtschaftswachstums
2.1. Die heutige Definition von Wirtschaftswachstum
2.2. Die Beschreibung des aktuellen Kontextes
2.3. Argumente und Gründe für Umsatzwachstum
2.3.1. Wirtschaftswachstum schafft Lebensqualität und Wohlstand
2.3.2. Wachstum erhält den Sozialstaat
2.3.3. Wirtschaftswachstum schafft Arbeitsplätze
2.3.4. Umweltschutz erfordert und fördert Wachstum
2.3.5. Das Geld- und Zinssystem erfordert Wachstum
2.3.6. Gründe für Umsatzwachstum aus Sicht der Unternehmen

3. Die Wachstumskritik und Argumente gegen Wachstum
3.1. Eine kurze Einführung in die Wachstumskritik
3.2. Argumente und Gründe gegen Umsatzwachstum
3.2.1. Der Kapitalismus und Wachstum
3.2.2. Die Problematik des exponentiellne Wachstums
3.2.3. Der Mythos vom Wohlstand durch Wachstum
3.2.4. Schafft Wachstum wirklich Arbeitsplätze?
3.2.5. Das Umsatzwachstum und Innovation
3.2.6. Die Problematik eines Wachstumsfokusses
3.2.7. Mehr Umweltschutz durch Wachstum?
3.2.8. Das Geld- und Zinssystem braucht Wachstum
3.3. Eine Vorstellung einiger alternativer Wirtschaftsmodelle
3.3.1. Die Postwachstumsökonomie
3.3.2. Die Gemeinwohl-Ökonomie
3.3.3. Eine Zusammenstellung weiterer alternativer Wirtschaftsmodelle

4. Die empirische Untersuchung: „Wie kann ein kleines oder mittelständisches Unternehmen ohne Umsatzwachstum nachhaltig und langfristig bestehen?“
4.1. Die Definition und Wichtigkeit eines kleinen oder mittelständischen Unternehmens in Deutschland
4.2. Die Definition von nachhaltigem Wirtschaften
4.3. Der Überblick über existentes Vorwissen
4.4. Das Ziel der Untersuchung
4.5. Die Konzeption und Auswertung des Fragebogens
4.5.1. Die Erläuterung der Erhebungsmethode
4.5.2. Die Beschreibung des Fragebogenaufbaus und des Antwortdesigns
4.5.3. Die Auswahl der Untersuchungsteilnehmer
4.5.4. Die Durchführung und Auswertung des Fragebogens
4.6. Einschränkende Faktoren der empirischen Untersuchung
4.6.1. Die Abgrenzung der verwendeten Antworten
4.6.2. Sonstige Einschränkungen

5. Der Vergleich der befragten Unternehmen in vier Schritten
5.1. Die Einteilung der Unternehmen
5.2. Schritt 1: Die Ermittlung von Tendenzen aus der Umfrage
5.2.1. Marktsättigung, Subventionen und Fremdkapital
5.2.2. Umsatzwachstum als Unternehmensziel und Wunsch nach mehr Wachstum
5.2.3. Notwendigkeit und Nutzen von Wachstum
5.2.4. Gesellschaftliche und politische Zwänge
5.2.5. Wachstumsstopp und die Konsequenzen für Unternehmen
5.3. Schritt 2: Der Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit, Wachstum und staatlichen Eingriffen
5.4. Schritt 3: Bedingungen eines nachhaltigen Führungsstils und Auswirkungen anderer Wachstumsansichten in den Unternehmen
5.5. Schritt 4: Die notwendigen Bedingungen für einen Wachstumsstopp aus Sicht der Unternehmen

6. Die Zusammenfassung

7. Die Schlussfolgerungen und Ausblicke

8. Danksagung

9. Anhang

10. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Alles wächst, das ist in der Natur selbstverständlich. In den verschiedenen Lebenszyklen, die ein Organismus durchläuft, erfolgen verschiedene Arten von Wachstum. Am Beispiel eines Apfelbaums gesehen wächst dieser zu Beginn erst einmal in der Größe. Im Laufe der Jahre wird er zwar auch immer mehr Ernte bringen, aber vorrangig ist die Entwicklung eines soliden Stammes und genügend stabiler Äste, um die späteren Früchte tragen zu können. Nach erlangen seiner „gesunden Größe“ fängt ein neuer Lebenszyklus an, in dem der Apfelbaum hauptsächlich „qualitativ“ wächst, also Früchte trägt. Mal gibt es mehr, mal weniger Ernte, in manchen Jahren vielleicht nicht einmal einen einzigen Apfel. Die Gesamtgröße des Apfelbaums bleibt jedoch erhalten und nur die Qualität der Früchte verändert sich. Man könnte auch sagen, dass, systemtheoretisch betrachtet, jedes Wachstum in der Natur physikalisch begrenzt ist. Dies bedeutet, dass eine unkontrollierte und unbegrenzte Steigerung jeglicher Variablen, zum Beispiel der Erträge oder der Größe, automatisch zur Destabilisierung des gesamten Systems, in diesem Beispiel dem Apfelbaum, führt. Leopold Kohr schrieb schon fünfzig Jahre vor der eigentlichen Wachstumsdebatte: „In der Natur ist Wachstum ein Mittel zur Erreichung der optimalen Größe.“

Diese in der Natur zu beobachtende Entwicklung kann man auch auf andere Organismen übertragen, zum Beispiel auf ein Unternehmen im Kreislauf der Wirtschaft. In seiner Anfangsphase bedarf es viel Wachstum, um Lieferanten für Rohstoffe und Materialien und Abnehmer für die Produkte und Dienstleistungen zu finden und zu halten. Es müssen sich zuerst einmal passende Strukturen finden, Kunden gewonnen und Bekanntheit auf dem Markt erlangt werden. Erst wenn das Überleben gesichert ist, kann ein Unternehmen anfangen, darüber nachzudenken, ob es das reine Größen-Wachstum einstellt, um eventuell anderweitig weiter zu wachsen.

Die Frage nach dem Grund für ständiges Wirtschaftswachstum ist keine Neue. In den vergangenen Jahren hab unter anderem Zeitungen und Zeitschriften wie DIE ZEIT, SPIEGEL ONLINE und Frankfurter Allgemeine Zeitung verschiedene Beiträge und Berichte herausgegeben, die sich mit derartigen Fragestellungen beschäftigen. So hat zum Beispiel dieses Jahr der Volkswirt, Politologe und Redakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT die wachstumskritische Frage in einem Beitrag aufgegriffen, in dem es über das kontroverse Thema des „ewigen Konsums“ ging. Darin heißt es: „Viel spricht dafür, dass es in den hoch entwickelten Ländern bald um eine weitere, nicht weniger große Frage gehen wird: das ökonomische Problem. (...) Kann ein Unternehmen, das nicht mehr wächst, profitabel bleiben? (...) Wie muss man die Marktwirtschaft organisieren, wenn der Markt gesättigt ist?“1 Schon vier Jahre früher, zum Zeitpunkt der Weltwirtschaftskrise, sprach derselbe Autor über das Schrumpfen der Wirtschaft: „Die Wirtschaft wird schrumpfen, und die Natur wird wachsen. Das ist die gute Nachricht der Weltrezession.“2 In einer vom österreichischen Lebensministerium beauftragten Studie schreibt Hans Holzinger über einen Leitartikel in den Salzburger Nachrichten, der im selben Jahr anlässlich des Klimagipfels in Kopenhagen veröffentlicht wurde. Darin schlug auch der österreichische Journalist Martin Stricker eine „Methode“ für die Eindämmung des Klimawandels vor: es müsse einen „radikalen Umbau des westlichen Wachstumsmodells“ geben, denn „dieses Modell, wie die Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich gezeigt hat, [taugt] sowieso zu nichts mehr“.3

Im Folgenden wird die Problemstellung, die dieser Arbeit zugrunde liegt, näher erläutert und auf ihre Relevanz für das heutige Wirtschaftssystem eingegangen, um im Anschluss daran in eine Debatte um das Für und Wider von Wachstum einzusteigen. Danach wird die Zielsetzung der Arbeit und der durchgeführten empirischen Untersuchung beschrieben und die Ergebnisse der Studie vorgestellt und diskutiert.

1.1. Die Problemstellung und ihre Relevanz im aktuellen Kontext

In der aktuellen Diskussion um das Thema Wachstum im Allgemeinen werden immer mehr Stimmen laut, die sich für ein anderes Wirtschafstsystem aussprechen. Spätestens mit der Wirtschafts- und Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 wurden die Menschen aufgerüttelt und fingen an, sich Gedanken über das Wirtschaftssystem zu machen. Die Nuklearkatastrophie in Fukushima in Japan im Jahr 2011 verhalf Deutschland schlussendlich zu einem entscheidenden Schritt in der Energiewende. Hoffnungen von Seiten der Umweltschützer und Befürworter für ein alternatives Wirtschafts- und Gesellschaftssystems wurden geschürt und auch, dass ein Umdenken in Politik und Gesellschaft stattgefunden hat und Taten folgen werden. In den letzten zehn Jahren wurden zahlreiche Bücher, Berichte und Studien veröffentlich mit dem Ziel, das derzeitige System anzuprangern und dessen Fehler aufzuzeigen und ein alternatives Modell vorzuschlagen. Die nachfolgende Auswahl an veröffentlichter Literatur soll einen Eindruck der Fülle an Kritikern und Umdenkern vermitteln: Nachhaltige Zukunftsmärkte (Fichter/Paech/Pfriem, 2005); Wohlstand ohne Wachstum (Jackson, 2009); Die Wachstumsspirale (Binswanger, 2009); Exit: Wohlstand ohne Wachstum (Miegel, 2010); Wachsen ohne Wachstum (Fuchs, 2011); The Economics of Enough (Coyle, 2011); Ausgewachsen (Rätz et al, 2011); 2052 (Randers, 2012); Befreiung vom Überfluss (Paech, 2012). Dies ist nur ein Bruchteil der Veröffentlichungen der vergangenen Jahre und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der Stand der Wissenschaft ist sichtlich schon weit fortgeschritten, aufgrund der Aktualität des Themas wird sich jedoch noch lange keine Sättigung auf diesem Gebiet einstellen. Es gibt sehr viel Literatur zu konkreten Fragen des Wachstums und des Wohlstandes, wie anhand der oben gegebenen Ausführung zu sehen ist. Für die gewählte Fragestellung dieser Arbeit fehlt es jedoch an konkreter Fachliteratur, da sich der Großteil der vorhandenen Literatur auf die Makroebene bezieht. Ein Rückschluss von der Makro- auf die Mikroebene ist dadurch nur schwer möglich und würde großen Verfälschungen unterliegen. Aus diesem Grund wurde die zugrunde liegende Fragestellung gewählt, um einen Einblick in die Mikroebene der Unternehmen und Informationen über die Möglichkeit eines Wachstumsstopps in einem Unternehmen zu bekommen. In der folgenden Arbeit soll deswegen herausgefunden werden, ob und wenn ja, unter welchen Bedingungen ein kleines oder mittelständisches Unternehmen ohne Umsatzwachstum geführt werden kann und ob dies unter nachhaltigen Aspekten möglich ist.

1.2. Die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit

Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, herauszufinden, ob ein Unternehmen im aktuellen Kapitalismus auch ohne eine Umsatzsteigerung weiterhin bestehen kann. Weiterhin soll herausgefunden werden, ob in einem solchen Falle eine nachhaltige Führung des Unternehmens möglich ist und ob gegebenfalls sogar Zusammenhänge zwischen einer nachhaltigen und umsatzlimitierenden Unternehmensführung bestehen. Es soll nicht Ziel dieser Arbeit sein, ein Handbuch über notwendige Handlungsschritte herauszuarbeiten, mit dem ein Unternehmen ohne Umsatzwachstum nachhaltig bestehen kann. Vielmehr soll auf der Basis von literaturfundierten Argumenten gegen Umsatzwachstum und mit der Vorstellung alternativer Wachstums- und Wirtschaftsmodelle ein Informationspool entstehen, der mit praktischen Hinweisen und Erfahrungen von Seiten der an einer Umfrage teilgenommenen Unternehmen ergänzt wird. Außerdem soll den Unternehmen die Möglichkeit gegeben werden, aus ihrer Sicht notwendige Bedingungen, Gesetze und Veränderungen in Politik und Gesellschaft mitteilen und weitergeben zu können.

1.3. Der Aufbau der vorliegenden Arbeit

Nach der gegebenen Einleitung wird die aktuelle Diskussion über das Wachstumsthema näher beleuchtet und die vorherrschende Theorie des Wirtschaftswachstums dargestellt. Dabei wird die heutige Definition von Wirtschaftswachstum sowie eine Beschreibung des aktuellen Kontextes gegeben und eingehend auf die Konsumentwicklung, das Wachstum und den sich vollziehenden Wertewandel in Deutschland im letzten Jahrzehnt eingegangen. Abschließend werden in diesem Kapitel Argumente und Gründe für Umsatzwachstum aus der für die Arbeit verwendeten Literatur wiedergegeben. Im dritten Kapitel wird die Gegenseite des Themas dargestellt: es wird eine kurze Einführung in die Thematik der Wachstumskritik gegeben, um im Anschluss auf Argumente und Gründe gegen Umsatzwachstum einzugehen. Darauf folgend werden einige alternative Wachstumsansichten vorgestellt und etwas näher auf die Modelle der Postwachstums- und der Gemeinwohl-Ökonomie eingegangen. Den Hauptteil bildet die empirische Untersuchung, welche die Fragestellung der Arbeit anhand von Umfragen erörtert. Dafür werden kleine oder mittelständische Unternehmen sowie nachhaltiges Wirtschaften definiert und ein Überblick über schon vorhandenes Wissen gegeben, bevor das Ziel und die Herangehensweise an die Untersuchung und den dafür verwendeten Fragebogen erläutert werden. Im nächsten Kapitel werden die Ergebnisse der Untersuchung in vier Schritten ausgewertet: zuerst werden aus den gegebenen Antworten Tendenzen zu einigen Sachverhalten ermittelt, danach wird der Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit, Wachstum und staatlichen Eingriffen aus Sicht der Unternehmen erörtert, um im dritten Schritt auf die Bedingungen für einen nachhaltigen Führungsstil und die Auswirkungen anderer Wachstumsansichten in einem Unternehmen einzugehen. Im vierten und letzten Schritt werden die für Unternehmen notwendigen Bedingungen für einen Wachstumsstopp wiedergegeben. Abgeschlossen wird die Arbeit mit einer kurzen Zusammenfassung, den Schlussfolgerungen und möglichen Ausblicken und Hoffnungen.

Da die Thematik rund um die Wachstumskritik in den letzten Jahren immer häufiger Kern für Debatten und Diskussionen wurde und große Wochen- und Tageszeitungen gut recherchierte Berichte über die aktuellen Sachverhalte herausgegeben haben, werden in der vorliegenden Arbeit einige Zitate und Sachverhalte aus Zeitungsartikeln und ähnlichen Quellen stammen. Die dort herausgezogenen Argumente und Meinungen werden jedoch anhand von ausgesuchter Literatur belegt und erweitert.

Den Auftakt zu den kapitalismuskritischen Schriften, die für diese Arbeit verwendet wurden, machte Leopold Kohr schon vor mehr als fünfzig Jahren mit seinem Buch Das Ende der Gro ß en. Aus der zeitgemäßeren Literatur wurden unter anderem verwendet: Wachstum! von Paqué, Befreiung vomüberfluss von Paech, Die Wachstumsspirale von Binswanger, Nachhaltigkeit von Grundwald und Kopfmüller und Ausgewachsen von Rätz et al.

Abschließend soll gesagt werden, dass sich alle geschlechtsspezifischen Äußerungen in dieser Arbeit zu gleichen Teilen auf männliche und weibliche Personen beziehen. Des Weiteren ist anzumerken, dass die namentlich erwähnten Unternehmen und Personen in dieser Arbeit vor der Veröffentlichung der Zitate über die Nennung in Kenntnis gesetzt und um Erlaubnis gebeten wurden.

2. Die vorherrschende Theorie des Wirtschaftswachstums

Die Lobeshymnen auf das Universalheilmittel Wirtschaftswachstum für Krisen und andere Probleme gehen durch die Reihen der Politiker, Ökonomen, Wirtschaftswissenschaftler, ja fast schon durch jeden anderen Lebensbereich des heutigen Zeitalters. Vor allen Dingen nach Ende des zweiten Weltkrieges galt „Wirtschaftswachstum als Schlüssel für das Versprechen, „Wohlstand für alle“ zu schaffen“.4 Es wurde zum Grundstein der Wohlfahrtsstaaten und versprach, Sicherheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand zu bringen, so wie sie als oberste Ziele in der demokratischen und marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung verankert sind. „Ein ganz zentraler Grund für das ständige Wachstum ist die Tatsache, dass es in unserer von Geld und Profit gesteuerten Wirtschaft vor allem um eines geht: Aus einer bestimmten Geldsumme eine höhere Geldsumme zu machen.“5

Doch was bedeutet heute eigentlich Wirtschaftswachstum? Wie sieht die Erfolgsgeschichte von Wirtschaftwachstum in Deutschland der letzten Jahrzehnte aus? Was treibt das Wachstum in Deutschland an, was sind Wachstumstreiber und Wachstumszwänge? Und zu guter Letzt: welche Argumente sprechen explizit für Wirtschaftswachstum? Antworten auf diese Fragen sollen im folgenden Kapitel erarbeitet werden.

2.1. Die heutige Definition von Wirtschaftswachstum

Die meisten Tätigkeitsbereiche und Berufe haben irgend etwas mit Wachstum zu tun. Denn, wie in der Einleitung schon einmal erläutert, ist Wachstum etwas Natürliches und widerfährt jedem Organismus. Somit bildet es bei allen wirtschaftlichen Handlungen und Entscheidungen die allgegenwärtige Basis. Allgemein betrachtet versteht man unter Wachstum eine Zunahme von etwas in einem bestimmten Zeitablauf. Wirtschaftliches Wachstum beschreibt demnach die „Zunahme einer wirtschaftlichen Größe in einem Zeitablauf“, und wird als prozentuale Veränderung angegeben „im Sinn von monatlichen, vierteljährlichen oder jährlichen Wachstumsraten“, so die Bundeszentrale für politische Bildung (kurz: BPB). Laut dieser Einrichtung wird Wachstum grundsätzlich als Normalfall angesehen, sodass „man bei Konstanz wirtschaftlicher Größen auch von Nullwachstum (Stagnation) [spricht]“ und bei Schrumpfen der wirtschaftlichen Größe von „Minuswachstum“. Weiter heißt es:

„Der Wachstumsbegriff wird im engeren Sinn auf gesamtwirtschaftliche Größen bezogen und [wird] als dauerhafte (langfristige) Zunahme des realen

Bruttoinlandsproduktes [interpretiert]. Dieses reale Wachstum bedeutet eine Zunahme des Inlandsprodukts in Preisen eines Basisjahres. Veränderungen des allgemeinen Preisniveaus (Inflationsrate) im Betrachtungszeitraum werden im Gegensatz zum nicht preisbereinigten nominalen Wachstum herausgerechnet (Deflationierung).“6

Als weiteren Indikationsfaktor für den Zustand einer Volkswirtschaft wird das Produktionspotenzial hinzugegzogen. Es dient vor allen Dingen dazu, „den langfristigen Aspekt des Wirtschaftswachstums hervorzuheben und (...) das Wachstum von den eher kurzfristigen, konjunkturell bedingten Veränderungen des Sozialprodukts abzugrenzen.“6

Wirtschaftliches Wachstum ist aufgrund seiner Charakterisierung als „Normalzustand“ in sehr vielen Volkswirtschaften unter den Hauptzielen der Wirtschaftspolitik zu finden. Wachstum als politisches Ziel ist in der Bundesrepublik Deutschland seit 1967 mit dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft rechtlich vorgegeben. In diesem Gesetz wird das stetige und angemessene Wirtschaftswachstum neben den anderen drei Eckpfeilern, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, niedrige Arbeitslosigkeit und Stabilität des Preisniveaus, im sogenannten „magischen Viereck“ als Ziel der Wirtschaftspolitik verankert. Der genaue Wortlaut des Paragraphen eins dieses Gesetzes ist wie folgt:

„Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen.“7

Die BPB fügt erklärend hinzu:

„Diese vier Ziele werden deshalb als ‚magisch‘ bezeichnet, weil sie nicht alle gleichzeitig verwirklicht werden können. Zwischen den einzelnen Zielen bestehen vielmehr Konflikte und Wechselwirkungen, sodass sich wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Erreichung eines Ziels negativ auf die Realisierung anderer Ziele auswirken können.“8

Somit ist Wirtschaftswachstum in vielen Volkswirtschaften allgegenwärtig und bestimmt auch deren Politik. Wenn man also von Wirtschaftswachstum im Allgemeinen spricht, bezieht sich dieses hauptsächlich auf das vplkswirtschaftliche Wachstum des Bruttoinlandsprodukt eines Landes, mit dessen Hilfe sich die wirtschaftliche Gesundheit verschiedener Länder untereinander vergleichen lässt. Zumindest bisher, denn mittlerweile werden Forderungen laut, die besagen, dass das Bruttoinlandsprodukt nicht mehr aussagekräftig genug ist, um über den wirklichen Zustand und vor allen Dingen Wohlstand eines Landes Auskunft zu geben. Zu diesem Zweck wurde 2010 die sogenannte Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität ins Leben gerufen, um Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der sozialen Marktwirtschaft zu suchen. Ziel ist es, der aktuellen Diskussion über die Wohlstandsfrage auf den Grund zu gehen und die Frage zu erörtern, ob es Grenzen des Wachstums gibt und wie Deutschland in den nächsten Jahren mit möglicherweise geringeren Wachstumsraten umgehen wird.9

Es bleibt noch zu erläutern, dass das Wirtschaftswachstum in verschiedenen Bereichen existiert, sowohl auf der sogenannten Makro- also auch auf der Mikroebene. Bekannterweise wächst nicht nur die Makroebene (aus Sicht der Volkswirtschaft), in der das Bruttoinlandsprodukt eine entscheidende Rolle spielt. Auch auf der Mikroebene (aus Sicht der Betriebswirtschaft), welche die Unternehmen und die damit verbundenen Individuen miteinbezieht, gibt es Wachstum. Man unterscheidet lediglich den Bereich des Wachstums, wie zum Beispiel Umsatzwachstum, Absatzwachstum oder Qualitätswachstum. In allen Fällen spricht man jedoch von der Zunahme einer wirtschaftlichen Größe in einem bestimmten Zeitablauf.

Im folgenden Abschnitt wird näher auf den historischen und aktuellen Kontext des Wirtschaftswachstums und der damit verbundenen Konsumentwicklung und dem Wertewandel in Deutschland eingegangen.

2.2. Die Beschreibung des aktuellen Kontextes

„(...) Wir leben seit fast zwei Jahrhunderten in einer Welt des wirtschaftlichen Wachstums.“10, so leitet Karl-Heinz Paqué11 sein Buch mit dem Titel Wachstum! ein, in dem er die aktuelle Wachstumskritik zur Kenntnis nimmt und Argumente zugunsten von Wachstum dagegen stellt. Um das Wachstum und die Forderung auf dessen Verzicht richtig verstehen zu können, wirft er zunächst einmal einen Blick auf die vergangene Geschichte und mögliche Anfangspunkte des Wachstums in Deutschland. Hierbei legt er einige aussagekräftige Zahlen vor:

„In den 188 Jahren von 1820 bis 2008 stieg die wirtschaftliche Produktionsleistung der gesamten Welt (...) um etwa 2,2 Prozent pro Jahr. (...) [Das bedeutet], dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts mehr als 58-mal so viel produziert wurde wie 188 Jahre zuvor. Die Weltbevölkerung wuchs in der gleichen Zeit [nur] um ein Prozent pro Jahr (...).“

Natürlich war das Wachstum nicht überall gleich stark, sodass die Produktionsleistung pro Kopf in den verschiedenen Ländern unterschiedlich ausfiel. Dennoch gilt, so Paqué, dass fast alle Regionen gewachsen sind, und auch in fast allen Zeiträumen. Nach einigen Erläuterungen kommt Paqué außerdem zu dem Schluss, dass die Industrialisierung Westeuropas, welche stetiges Wachstum sozusagen als Leitmotiv hatte, „auf der

Grundlage eines wirtschaftlichen und technischen Fortschritt stattfand, der sich zuvor über Jahrhunderte erstreckt hatte, allerdings im Schneckentempo“. Für ihn führten im Wesentlichen drei Entwicklungen zu einem stärkeren Antrieb des Wachstums: „die Nutzung der Kohle als neue, höchst leistungsfähige Energiequelle; der Einsatz von Maschinen - und nicht nur Werkzeugen - in der Produktion; und die betriebliche Organisation in großen Einheiten, genannt Fabriken“.

Danach erklärt Paqué, wie durch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert ein machtvoller Prozess des Struktur- und Wertewandels in Gang gesetzt wurde: „Ein kraftvoller industrieller Fortschritt zieht den Wert aller Leistungen in der Wirtschaft nach oben, und nicht nur den der Industrie. Genau dies geschah seit dem frühen 19. Jahrhundert, und zwar mit nie da gewesener Geschwindigkeit.“12 Nach der Industrialisierung war der Weg geebnet für die am meisten diskutierte gesellschaftliche Veränderung, die Globalisierung. Der Welthandel nahm seit 1950 kontinuierlich und ohne große Schwankungen zu. Das Handelsvolumen erreichte im Jahr 2007 das 31-fache im vergleich zu 1950, wohingegen die Produktionsleistung „nur“ verachtfacht wurde.13 Aus seinen darauffolgenden Erläuterungen kommt Paqué zu dem Schluss, dass Wirtschaftswachstum und Globalisierung in der heutigen Zeit in einem sehr engen Zusammenhang stehen. Das daraus resultierende Ergebnis lautet „globales Wachstum“, welches nichts anderes ist „als die ökonomische Umsetzung all des Wissens, das in der Weltwirtschaft neu entsteht oder neu zur Anwendung kommt. Es ist (...) ‚Wertschöpfung‘.“14 Und diese wächst permanent und kontinuierlich, was dem meist als rein quantitativ gesehenen Wachstum den Charakter von unsinniger Anhäufung und Gier beschert.

Den obigen Ausflug in die geschichtliche Entwicklung der Volkswirtschaftslehre sieht Paqué als unbedingt nötig, um die Thematik Wachstum in ihrer ganzen Tragweite verstehen zu können. In der vorliegenden Arbeit soll die dargestelte Ausführung genügen, um sich nun auf die betriebswirtschaftliche Perspektive zu konzentrieren. Wie oben schon erwähnt gibt es sowohl auf der Makro- als auch auf der Mikroebene Wachstum. Der Unterschied dabei ist: auf der Makroebene spricht man von Wohlstand, wenn das Bruttoinlandsprodukt steigt, auf der Mikroebene spiegelt sich Wachstum in Form von Unternehmensumsätzen und -gewinnen wider, ist also im Erfolg sichtbar. Ohne diesen Unternehmenserfolg auf Mikroebene könnte das Bruttoinlandsprodukt auf Makroebene nicht wachsen. Somit sind beide Ebenen unwiderruflich miteinander verbunden.

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Tabelle 1: Bruttoinlandsprodukt in Deutschland in Milliarden Euro, 1999 - 2009 Veränderung zum Vorjahr in %, nominal und real

Um ein besseres Bild von den „unglaublichen Wachstumssprüngen“ zu bekommen, von denen Paqué in seinem Buch berichtet, ist es hilfreich, die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes zu betrachten. In Tabelle 1 15 wird die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes von 1999 bis 2009 sichtbar, mit der Unterscheidung des nominalen und realen Bruttoinlandsproduktes (Ersteres: nicht preisbereinigt, d.h. Inflationsrate nicht herausgerechnet, Letzteres: preisbereinigt)

Dabei lässt sich feststellen, dass sowohl das nominale als auch das reale Bruttoinlandsprodukt in den dargestellten zehn Jahren von 1999 bis 2009 stetig gestiegen ist. Allerdings lässt sich beim nominalen Bruttoinlandsprodukt eine Verlangsamung des Wachstums in den Jahren 2002 und 2003 erkennen, die sich im Jahr darauf jedoch schnell wieder erholt. Leider nicht für lange Zeit, wie die Tabelle zeigt, denn auch im Jahr 2005 gab es einen großen Einschnitt in das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes. Die Jahre 2006 und 2007 widerum erlebten im Gegensatz zum Vorjahr ein hohes Wachstum, welches aber schnell von der Weltwirtschafts- und Finanzkrise im Jahr 2008 verlangsamt wurde, um dann im Jahr 2009 sogar in ein Minuswachstum zu verfallen. Mit Ausnahme des Jahres 2009 lässt sich dennoch sagen, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt in den vergangenen zehn Jahren ein fast stetiges Wachstum erfahren hat.

Wenn man noch weiter in der Geschichte zurück geht, wird man erkennen, dass seit Ende des zweiten Weltkrieges eine stetige Zunahme am

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Grafik 1: Entwicklung des BIP seit 1950

Bruttoinlandsprodukt zu sehen ist, wie Grafik 1 16 zeigt. Grafik 2 17 im Anhang stellt das Bruttoinlandsprodukt im Jahresvergleich mit seinen Veränderungen zum Vorjahr in Prozent dar und verbildlicht somit die in Tabelle 1 gezeigte Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes von den Jahren 2001 bis 2011 noch einmal anhand eines Säulendiagramms. Das durchschnittliche Wachstum dieser elf Jahre betrug 0,7%.

Die Wachstumsprognose für 2012 belief sich ebenfalls auf diesen Wert. Interessant für das

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Grafik 3: Anteil der Wirtschaftsbereiche am Bruttoinlandsprodukt in Deutschland im Jahr 2012

bessere Verstehen des Brutto- inlandsproduktes und die vor- liegende Arbeit ist außerdem, aus welchen Wirtschaftssektoren das Bruttoinlandsprodukt „gespeist“ wird. Hierüber gibt Grafik 3 18 Aufschluss.

Wie zu vermuten war, kommt der größte Beitrag für das Bruttoinlandsprodukt aus dem Dienstleistungsbereich, denn er trägt 68,4 % zum gesamtem Bruttoinlandsprodukt bei. Danach folgt das produzierende Gewerbe (ohne Baugewerbe), welches seinen Beitrag mit 26 % leistet. Diese beiden Bereiche machen über 90 % des Bruttoinlands-produktes aus. Das Baugewerbe und die Land- und Forstwirtschaft sowie die Fischerei sind nur für 5,6 % des Bruttoinlandsproduktes verantwortlich. Die wichtige Information für dieses Kapitel ist die Tatsache, dass Dienstleistungsunternehmen fast zwei Drittel des Bruttoinlandsproduktes produzieren und demnach eine signifikante Rolle in der Debatte um Wachstum spielen. Als Dienstleistungsunternehmen bezeichnet man solche Unternehmen, die Dienstleistungen erstellen und verkaufen. Sie gliedern sich in Handelsunternehmen, Verkehrsbetriebe, Telekommunikationsunternehmen, Banken, Versicherungs- gesellschaften und sonstige Unternehmen wie zum Beispiel Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, Schneider, Friseure, Theater, Kinos, Schulen oder Krankenhäuser.19 Eine detailliertere Unterteilung der einzelnen Wirtschaftssektoren und ihrer Beiträge zum Bruttoinlandsprodukt stellt Grafik 420 im Anhang dar. Sie erläutert die Wirtschaftsstruktur in Deutschland und die prozentualen Beiträge zum Bruttoinlandsprodukt, welche gemessen werden als Anteil der nominalen Bruttowertschöpfung des jeweiligen Wirtschafts-bereichs an der nominalen Bruttowertschöpfung insge- samt.

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Tabelle 2: Verwendung des deutschen BIP 2012 in jeweiligen Preisen

Aus Tabelle 2 21 lässt sich herauslesen, dass über 50 % des deutschen Bruttoinlands- produktes für den privaten Konsum verwendet werden. Es ist wichtig zu erkennen, dass der Konsument als Endverbraucher eben so viel Einflusspotential hat und eine wichtige Rolle spielt wie die Unternehmen als Produzenten. Beide Parteien tragen, allein schon per Definition, zum Wachstum des Bruttoinlandsproduktes auf Volkswirtschaftsebene und zu Unternehmenserfolgen auf betriebswirtschaftlicher Ebene bei. Mithilfe der Grafik 5 22 im Anhang bekommt man einen guten Überblick über die Veränderungen der privaten Konsumausgaben in Deutschland jeweils im Vergleich zum Vorjahr, in den Zeiträumen von 1992 bis 2012. Daraus lässt sich eine stetige Abwärtstendenz in den Veränderungen zum Vorjahr feststellen, was jedoch nicht einen Rückgang der Konsumausgaben bedeutet, sondern eine kleinere Zunahme der Konsumausgaben mit jedem neuen Jahr. Die Gründe hierfür sind vielfältig und es würde einer eigenständigen Studie bedürfen, um die Aussagen dieser Grafik zu interpretieren. Dennoch ist sie relevant für die vorliegende Arbeit, da sie zeigt, dass es nicht nur in den Krisenjahren Einbrüche in den privaten Konsumausgaben gegeben hat, sondern auch in anderen Jahren. Diese Zusammenhänge sind unter anderem auch für die später erörterte Fragestellung der vorliegenden Arbeit nicht ohne Belang.

Auch in der Politik geht es, wie schon einmal erwähnt, in vielen Fällen ebenfalls um Wachstum, welches in dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft verankert ist. In dem schon zitierten Artikel der Wochenzeitung DIE ZEIT, mit dem Titel Jan Müller hat genug, sind auf der ersten Seite die Wachstumsparolen der Politiker zusammengestellt:

„‚Europa braucht mehr Wirtschaftswachstum‘, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich in einem Zeitungsinterview. ‚Die Wachstumsraten unserer Volkswirtschaft müssen wieder steigen‘, sagt SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. ‚Jetzt gilt es, das Wachstum zu stabilisieren‘, sagt FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle. ‚Wir müssen für Wirtschaftswachstum sorgen‘, sagt Linken-Parteichef Bernd Riexinger. ‚Wir brauchen eine Wachstumsstrategie‘, sagt Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Es ist der Refrain der Finanzkrise, der Euro-Krise, der Schuldenkrise: mehr Umsatz, mehr Gewinn, mehr Wachstum! In jedem Industrieland ist er zu hören. Politiker aller Parteien wollen, dass die Unternehmen ihres Landes von Jahr zu Jahr mehr Autos, mehr Zahnbürsten, mehr Fernseher, mehr T-Shirts, mehr Schreibtischstühle produzieren. In fünf Jahren, in zehn Jahren, in zwanzig Jahren. Immer mehr.“23

2.3. Argumente und Gründe für Umsatzwachstum

In diesem Kapitel sollen unter Zuhilfenahme der Autoren Christop Binswanger (Buch: Die Wachstumsspirale), Karl-Heinz Paqué (Buch: Wachstum!), Niko Paech (Buch : Befreiung vomüberfluss) und Hans Holzinger (Zukunftsdossier: Wirtschaften jenseits von Wachstum?) die Argumentation und die Gründe für Wachstum und im Speziellen für Umsatzwachstum dargestellt werden.

In Österreich beauftragte das dortige Lebensministerium im Jahr 2010 den Magister Hans Holzinger24 von der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen, anlässlich der internationalen Konferenz in Wien Wachstum im Wandel, ein Zukunftsdossier mit Befunden und Ausblicken unter dem Titel Wirtschaften jenseits von Wachstum? zu erstellen. Im ersten Teil der Studie erläutert Holzinger detailliert die Gründe und Begründungen für Wirtschaftswachstum. Danach gibt es fünf Argumentationen, die allesamt für Wirtschaftswachstum sprechen und in der heutigen Zeit als Begründung für ansteigenden Konsum und ansteigende Produktion dienen25:

(1) Wirtschaftswachstum schafft Lebensqualität
(2) Wachstum erhält den Sozialstaat und die Verteilungsspielräume
(3) Wirtschaftswachstum schafft Arbeitsplätze
(4) Umweltschutz erfordert und fördert Wachstum
(5) Das Geld- und Zinssystem erfordert Wachstum

Im Folgenden wird auf die einzelnen Argumente näher eingegangen.

2.3.1. Wirtschaftswachstum schafft Lebensqualität und Wohlstand

Zur ersten Argumentation „Wirtschaftswachstum schafft Lebensqualität“ kann gesagt werden, dass die vorherrschende Ansicht zu Wachstum dessen Aufgabe im Erhalt des Wohlstandes einer Nation sieht. Lange Zeit galt es als wichtigste Aufgabe einer Landesregierung, den Wohlstand des Volkes durch Konsumausweitung zu steigern. Heute gilt wohl mehr denn je das Motto „ich konsumiere, also bin ich“ (frei nach René Descartes). „Wir gewöhnen uns schnell an jeden neuen Standard von Wohlstand, sind erneut unzufrieden und verlangen alsbald nach mehr“26, so Robert Skidelsky, zusammen mit seinem Sohn Edward Autoren des Buches Wie viel ist genug. Je mehr wir haben, umso mehr wollen wir dazu. Auch Niko Paech27 stellt sich die Frage, „unter welchen Bedingungen Konsum Glück [stiftet]“. Seiner Meinung nach schützt die „permanente Neuerfindung der Konsumgesellschaft (...) vor Sättigungserscheinungen und Langeweile“.28

2.3.2. Wachstum erhält den Sozialstaat

Das zweite Argument, „Wachstum erhält den Sozialstaat und die Verteilungsspielräume“, spricht von der „Sicherung des gegebenen Wohlstandes sowie der Sicherung der Sozialsysteme“29, welche zunehmend als Argumentation für Wachstum zurate gezogen werden. Denn nur im Falle von Wachstum in der Wirtschaft fließen dem Staat genügend Einnahmen zu, um seine Funktionen und Aufgaben gebührend wahrzunehmen und den Wohlstand gerecht verteilen zu können. Außerdem sollen ökonomische Zuwächse helfen, genügend Verteilmasse zu produzieren, um „die Ansprüche der Zurückgebliebenen“ zu befriedigen, jedoch ohne den sogenannten Gewinnern etwas wegnehmen zu müssen. Es wird die Hoffnung gehegt, dass es durch Wachstum gelingt, gesellschaftlichen Differenzen auszugleichen, ohne die Gewinne von Einzelnen und die Verluste von anderen zu schmälern.30

2.3.3. Wirtschaftswachstum schafft Arbeitsplätze

Holzingers drittes Argument, welches besagt, dass Wirtschaftswachstum Arbeitsplätze schafft, bezieht sich auf die mehrheitlich vorherrschende Ansicht, dass jedes Jahr aufgrund des technischen Fortschritts die Arbeitsproduktivität in den Unternehmen steigt. Wenn dann nicht gleichzeitig die Produktionsmenge steigt, muss die Beschäftigung zwangsläufig sinken.31 Somit werden aufgrund des Fortschrittes, welcher Motor für und Resultat von Wirtschaftswachstum ist, automatisch neue Arbeitsplätze geschaffen. „1,5 Prozent Wirtschaft gelten als ‚Arbeitslosigkeitsschwelle‘, mindestens 2 Prozent als Grenze, um Arbeitslosigkeit zu verringern“32, die sogenannte Beschäftigungsschwelle. Je mehr Wachstum ein Unternehmen verzeichnet, desto wahrscheinlicher ist es, dass Maßnahmen zur Spezialisierung ergriffen werden, um den Unternehmenszweck mit der größtmöglichen Qualität und den bestmöglichsten Skaleneffekten auszuführen. Diese Spezialisierung wird wiederum durch sogenanntes „Outsourcing“ realisiert, wodurch vermehrt Arbeitsplätze geschaffen werden, die wiederum das Einkommen der Arbeiter verbessern. Das erhöhte Einkommen führt zu erhöhter Kaufkraft im Land. Dadurch wird die Nachfrage gesteigert und die Produktion angeregt. „In Deutschland wird davon ausgegangen, dass 2 Prozent weniger Wachstum bzw. Schrumpfung etwa eine Million mehr Arbeitslose bedeuten.“33

2.3.4. Umweltschutz erfordert und fördert Wachstum

Das vierte Argument zielt auf einen Themenbereich, der in den letzten Jahren ins Zentrum der Gesellschaft und Wirtschaft gerückt ist: „Umweltschutz erfordert und fördert Wachstum“, so Holzingers Annahme, denn „Umweltschutz können sich nur hoch entwickelte Volkswirtschaften leisten, so lautet eine Theorie der ökologischen Modernisierung“34. Neue Technologien, zum Beispiel zur Einsparung von Energie oder zur Förderung regenerativer Energiequellen, benötigen größere Investitionen, die wiederum nur durch Wachstum ausgeglichen werden oder durch die Aufnahme von Fremdkapital vorfinanziert werden können. Dasselbe Problem beschreibt auch Paech. Er spricht damit auch sogleich Holzingers letztes Argument an: „Das Geld- und Zinssystem erfordert Wachstum“.

2.3.5. Das Geld- und Zinssystem erfordert Wachstum

Dieses Argument führen sowohl Holzinger als auch Paech an. Für Paech ist der Grund für die Benötigung von Wachstum im Geld- und Zinssystem folgender: Das benötigte Fremdkapital für Investitionen kostet Zinsen, eventuelles Eigenkapital verlangt nach einer hinreichenden Rendite, um den Geldgeber zu überzeugen, so Paech. Deswegen muss ein Unternehmen beziehungsweise die Wirtschaft als Ganzes entsprechende Überschüsse erwirtschaften, die nicht geringer sind als „die Summe von Fremdkapitalzinsen, Eigenpaitalrenditen und Kosten der Instandhaltung bzw. Reproduktion des physischen Kapitals“35. Zum Abschluss äußerst sich Paech fast schon philosophisch: „Wachstum erzeugt Differenzen, deren Beseitigung - ganz gleich auf welchem Niveu - neues Wachstum notwendig macht.“

2.3.6. Gründe für Umsatzwachstum aus Sicht der Unternehmen

Wendet man sich der Perspektive der Unternehmen zu, so liefert hauptsächlich eines der oben genannten Argumente eine Begründung, weshalb ein Unternehmen unbedingt wachsen muss und folglich Umsatzwachstum verzeichnen sollte: „Das Geld- und Zinssystem erfordert Wachstum“. Hierüber schreibt Holzinger ausführlich in seinem Zukunftsdossier. Darin erläutert er, dass das Dilemma, in welchem sich die meisten Unternehmen sehen, Wirtschaftswachstum erzwingt, um überleben zu können. Im Allgemeinen nehmen Unternehmen Schulden in Form von Krediten, Fremd- oder Eigenkapital auf, um in Forschung und Entwicklung oder Innovation neuer Produktionsmaschinen oder anderes zu investieren. Danach müssen sie allerdings einen gewissen Mehrwert erwirtschaften, um die anfallenden Zinsen tilgen zu können. Diese werden jedoch mit jedem Jahr größer, sodass es auch eines höheren Mehrwertes bedarf, um den Kosten Herr zu werden.

Wichtig zu erwähnen ist auch, dass Unternehmen ohne eine wachsende Wirtschaft keine Gewinne realisieren könnten. Denn Wachstum wird zur Geldschöpfung benötigt, die wiederum zur Finanzierung von Investitionen verwendet wird. Außerdem ist es ohne Wachstum nicht möglich, gemachte Gewinne wieder zu realisieren.

Holzinger fasst die Gedanken des schweizer Ökonomen Christoph Binswanger36, die er in seinem Buch Die Wachstumsspirale zum Ausdruck bringt, folgendermaßen zusammen:

„Es wird produziert, um Geld zu verdienen, aber es kann andererseits nur produziert werden, wenn Geld schon vorhanden ist, das zum Start der Produktion eingesetzt wird. Essenziell für das Funktionieren der kapitalistischen Wirtschaft sei daher die ständige Vermehrung der verfügbaren Geldmenge (Kapitalschöpfung). Da ‚Unternehmungen‘ marktorientiert sind, produzieren sie Güter auf (mutmaßlichen) Bedarf hin. Um sie herzustellen, erwerben sie Ressourcen, Produktionsmittel, Arbeitszeit - alle drei sind in der Terminologie Binswangers ‚Energie‘ - und müssen dafür Geld aufnehmen. Dies begründe wiederum die Notwendigkeit, Zinsen aufzubringen und darüber hinaus auch noch einen Überschuss, ‚Gewinn‘ zu erzielen. In diesem Prozess des Wirtschaftens spielt für Binswanger der Faktor ‚Zeit‘ eine wichtige Rolle. Je schneller investiertes Kapital Gewinn erzielt, umso weniger fällt Zinslast an. Zum anderen werde (...) Geld zum ‚Promotionsfaktor‘. Es müsse immer mehr davon zur Verfügung gestellt werden, damit die Unternehmen die permanente Expansion (vor)finanzieren können. Denn zur Begleichung der Zinsen seien die Unternehmen angehalten, immer mehr Ertrag zu erwirtschaften.“37

Somit scheint es, als hätten Unternehmen keine andere Wahl, als stetig weiter zu wachsen. Eine Erhöhung der Investitionen in einem Unternehmen ermöglicht die Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Die Erhöhung der Investitionen und der Nachfrage sorgen dadurch im Unternehmen für zusätzliches Einkommen, welches die Produktionskosten der bereits produzierten Güter und Dienstleistungen übersteigt. Dieser Überschuss an Einkommen ist der Gewinn eines Unternehmens, welcher benötigt wird, um Zinsen zu bezahlen und, wenn nötig, entsprechende Summen an vorhandene Aktionäre auszuzahlen.

Binswanger erläutert in seinem Buch, dass das Ziel des Marktprozesses die Überwindung der Knappheit sei, was bedeutet, die Armut in Reichtum zu verwandeln, indem der Knappheit der verfügbaren Ressourcen entgegengewirkt wird. Der Ausweitungsprozess des Marktes und der damit größeren Möglichkeit zur Entknappung gründet wiederum auf der Notwendigkeit zur Vorfinanzierung der Produktion. In anderen Worten bedarf es Kapital, welches in Unternehmen durch die Verwandlung von Geld entsteht. Eine Unternehmung, so Binswanger, beginnt mit der Umwandlung von Geld in Kapital. Vorher jedoch müssen sich die Unternehmen das Geld leihen, entweder in Form von Fremd- oder Eigenkapital. Die damit einhergehenden Verpflichtungen wie Dividenden- oder Gewinnauszahlung und Interessenskonflikte wurden schon in vorherigen Ausführungen dargestellt. Eine weitere unabdingbare Voraussetzung für die Existenz einer Unternehmung ist demnach die Erzielung von Unternehmungsgewinnen, „also eines ‚Mehr‘ an Ertrag über dem Aufwand, der durch das Kapital vorfinanziert wird, (...) gleichgültig wie hoch das absolute Niveau des Ertrags und des Aufwands ist.“38 Der Zusammenhang von Kapital, Geldschöpfung und Gewinnen lautet demnach wie folgt: Die Entstehung von Gewinnen ist nötig, um das Risiko des Kapitaleinsatzes zu kompensieren. Diese Gewinne werden durch Investitionen, also durch die Erweiterung des Kapitaleinsatzes, mit Hilfe der Kredit- und Geldschöpfung ermöglicht und motivieren ihrerseits wiederum zu einer Erweiterung des Kapitaleinsatzes. Aus dem eben genannten Zusammenhang geht außerdem hervor, dass die Haushalte heute die Produktion von gestern kaufen, wodurch die Steigerung der Nachfrage der Steigerung des Angebots immer vorausgeht. Es ist dieser Spirallauf den Binswanger als die Wachstumsspirale bezeichnet.39

In einer Ausgabe der Wissensreihe Wirtschaft Konkret der Firma Euler Hermes wird eine Lobeshymne auf die kleinen und mittelständischen Unternehmen Deutschlands gesungen, denn sie seien „die Garanten für den Wohlstand in Deutschland, erwirtschaften Gewinne, zahlen Steuern, schaffen Arbeitsplätze und engagieren sich auch noch sozial.“ Weiter heißt es: „Wachstum ist die Grundvoraussetzung dafür, dass man Stärke entwickelt.“40 Denn wenn man diese Stärke einmal näher betrachtet, steht schnell fest, dass mit einer festen (unter anderem auch finanziellen) Basis den Unternehmen der finanzielle Spielraum ermöglicht wird, um auch gemeinnützig tätig zu werden und den Umweltschutz zu unterstützen.

Christian Neuhäuser41 beschreibt in einem Artikel mit dem Titel Faires Wachstum und die Rolle der Unternehmen die vorherrschende Meinung über die Funktion von Unternehmen, welche auschließlich in der Profitmaximierung liege. Durch die Steigerung des Profits steige auch das Bruttoinlandsprodukt und somit der Wohlstand einer Gesellschaft, wie weiter oben mehrmals angesprochen wurde. Außerdem seien Unternehmen meistens privates Eigentum oder börsennotiert, wodurch es auf die Interessen der Eigentümer, Anteilseigner und Aktionäre an Gewinnmaximierung verpflichtet sei. Als drittes Argument wird der wettbewerbsorientierte Markt genannt, welcher ein Unternehmen zu Wachstum zwinge, wolle es nicht an Marktanteil verlieren. Als letzten Grund für Wachstum wird Unternehmen die Unfähigkeit unterstellt, soziale Verantwortung zu übernehmen, denn sie handelten nur rein funktional hin zu Profitmaximierung.42

Im Zuge der realisierten Umfrage zur Fragestelltung der vorliegenden Arbeit ließen sich außerdem einige Meinungen dazu sammeln, warum ein Unternehmen wachsen muss. Im Anschluss ein kleiner Überblick:

Am häufigsten wird die Internationalisierung als Grund für ein kontinuierliches Wachstum eines Unternehmens genannt. Ohne beständiges Wachstum, in diesem Zusammenhang Umsatzwachstum, sehen viele Unternehmer keine Möglichkeit, die nötigen Mittel für eine Internationalisierung aufzubringen. Des Weiteren wird eine erstrebenswerte Position im internationalen Wettbewerb erwähnt, welche wiederum nur haltbar ist, wenn das Unternehmen stark am Markt vertreten ist und einen anschaulichen Umsatz vorweisen kann. Denn Verbraucher wollen starke Marken, die ihnen eine Heimat bieten können. Somit streben viele Unternehmen die Position eines Marktführers an, wozu sie allerdings unbedingt Wachstum benötigen. Hierbei lässt sich ein weiterer Wachstumstreiber herauslesen, der mitunter fast schon als Zwang gesehen werden kann: die Wünsche der Konsumenten. Es stellt sich die Frage, was den Impuls gibt: der Wunsch des Konsumenten nach einem neuen oder besseren Produkt, oder ein Unternehmen mit seiner Marketingstrategie, das dem Konsumenten ein neues Produkt vorstellt und in ihm den Wunsch des Kaufens wach rüttelt. Sei es das eine oder das andere, Tatsache ist, dass durch den Wunsch nach neuen Produkten eine Art Sog entsteht, dem sich weder die Unternehmen noch die späteren Konsumenten leicht entziehen können. Der Wunsch, besser zu sein als der Nachbar oder Konkurrent, treibt das Wachstum an und führt so, überspitzt formuliert, zu einer Art Teufelskreis, dessen Motor das Wachstum ist.

Ein weiterer Grund, weshalb Unternehmen auf Wachstum setzen, betrifft die Fixkosten und Fremdkapitalzinsen. Die klassische Theorie besagt, dass mit mehr Umsatzwachstum folglich auch der Absatz steigt, wodurch wiederum die zukünftige Stückzahlproduktion zunehmen wird. Dies ermöglicht eine bessere Verteilung der Fixkosten, welche dadurch, auf die Menge gesehen, geringer werden und die Kostenstruktur des Unternehmens entlasten. Bezüglich der Fremdkapitalzinsen ist es, wie oben schon einmal erwähnt, für ein Unternehmen wichtig, durch mehr Wachstum mehr Umsatz zu erwirtschaften, um genügend Mehrwert für die Deckung der Zinskosten zu erlangen und die Kapitalgeber zufrieden zu stellen.

Aufgrund der eben gegebenen Ausführungen ist es für ein Unternehmen von Notwendigkeit, weiter zu wachsen und sich fortzuentwickeln, um Innovation und Fortschritt zu generieren und im Wettbewerb mithalten zu können.

Paqué bringt in seinem Buch sein Unverständnis über und seine Sorge bezüglich eines Wachstumsverzichtes zum Ausdruck, denn für ihn ist dieser gleichzusetzen mit dem Zustand des Zurückfallens und des Zurückbleibens:

„Der Verzicht auf Wachstum, das ist eigentlich eine merkwürdige Forderung. Sie bedeutet nämlich den Verzicht auf die Umsetzung von neuem Wissen in eine qualitativ bessere und vielfältigere Produktwelt, und zwar privatwirtschaftlich und gemeinnützig. (...) Merkwürdig ist die Forderung (...) auch für hoch entwickelte Industrieländer: Warum sollten diese die Innovationskraft ihrer Industrien bremsen und damit möglicherweise im Lebensstandard stagnieren oder gar zurückfallen, wenn andere aufholen und die eigenen Pionierrenten dahinschwinden? Man muss sich die Tragweite von Prozessen des Zurückfallens auch quantitativ deutlich vor Augen führen. (...) Anders formuliert: Ein Land, das sich tatsächlich aus einem Geleitzug des Wachstums „ausklinkt“, sackt sehr schnell auf ein deutlich niedrigeres Einkommensniveau ab (...). Dies ist natürlich Reflex der hogen Geschwindigkeit des gesamten Zuges: Eine Welt, in der die Nachbarn schnell wachsen, zwingt auch einen selbst, wenigstens mitzuhalten. Das ist fast ein Gebot der wirtschaftlichen Selbstbehauptung, ob man das will oder nicht.“43

3. Die Wachstumskritik und Argumente gegen Wachstum

„Die Größe - und nur die Größe! - ist das zentrale Problem der menschlichen Existenz, im sozialen und im physischen Sinn“. Mit diesen Worten leitete der österreichische Ökonom Leopold Kohr44 sein Hauptwerk The Breakdown of Nations (Das Ende der Großen) ein. Es wurde erst 1957 in London veröffentlicht, was ein Indiz dafür ist, dass Kohr mit seinen Ideen seiner Zeit weit voraus war. In der Einleitung heißt es weiter:

„Da moralisches, physisches oder politisches Unheil nur von der Dimension abhängt, es sich demnach um ein Problem der Größenordnung handelt, liegt die einzige Lösung dieses Problems darin, die Substanz beziehungsweise den Organismus, der seine natürliche Größe überschritten hat, zu reduzieren. Es handelt sich hier grundsätzlich nicht um ein Problem des Wachsens, sondern um das des ‚Nicht- Weiterwachsens‘; die Lösung heißt deshalb nicht: Zusammenschluß, sondern Teilung.“45

Sein Lösungsansatz stellt das Ideal der Kleinheit der „krebsartigen Wucherung der Übergröße“ gegenüber. Mit diesen Worten soll das folgende Kapitel über alternative Wachstumsansichten eine inspirierende Basis erhalten und die Plattform für verschiedene Möglichkeiten bieten.

In den letzten Jahren, wenn nicht sogar schon Jahrzehnten, ließ sich ein immer stärkerer Wertewandel spüren. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden hochwertige Produkte mit langer Lebensdauer gefertigt, die fast jeder Bürger käuflich erwerben konnte. Als jedoch festgestellt wurde, dass sich ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Sättigung des Marktes einzustellen drohte, bedurfte es einer Lösung, um die stetige Nachfrage für Produkte zu sichern. Es enstand die sogenannte „geplante Obsoleszenz“, bei der die Lebensdauer von Produkten von Seiten der Hersteller absichtlich verkürzt wird oder Sollbruchstellen eingebaut werden. Als Erfinder dieses Phänomens nennt man den GM-Präsidenten Alfred

[...]


1 ZEIT ONLINE - Bereich Wirtschaft/Wachstumskritik: Wolfgang Uchatius (28. Februar 2013): Jan Müller hat genug, S. 7

2 ZEIT ONLINE - Bereich Wirtschaft/Kapitalismus: Wolfgang Uchatius (20. Mai 2009): Wir könnten auch anders, S. 2

3 Hans Holzinger (2010) - Zukunftsdossier: Wirtschaften jenseits von Wachstum?, S. 13 - Mehr Informationenüber Hans Holzinger auf Seite 16.

4 Hans Holzinger (2010) - Zukunftsdossier: Wirtschaften jenseits von Wachstum?, S. 14

5 Hans Holzinger (2010) - Zukunftsdossier: Wirtschaften jenseits von Wachstum?, S. 48 (Zitat)

6 http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/21136/wirtschaftswachstum - letzter Abruf 18.06.2013

7 http://www.gesetze-im-internet.de/stabg/__1.html - letzter Abruf 18.06.2013

8 http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20053/magisches-viereck - letzter Abruf 18.06.2013

9 Für mehr Informationen: Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission: http://www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/

10 Karl-Heinz Paqué (2010): Wachstum! - Die Zukunft des globalen Kapitalismus, S. 6, Carl Hanser Verlag: München

11 Prof. Dr. Dr. h. c. Karl-Heinz Paqué ist deutscher Volkswirtschaftler und Professor an der Otto-von-Guerike-Universität Magdeburg. Er war von 2002 bis 2010 Finanzminister von Sachsen-Anhalt.

12 Karl-Heinz Paqué (2010): Wachstum! - Die Zukunft des globalen Kapitalismus, S. 11-14

13 Karl-Heinz Paqué (2010): Wachstum! - Die Zukunft des globalen Kapitalismus, S. 19-20

14 Karl-Heinz Paqué (2010): Wachstum! - Die Zukunft des globalen Kapitalismus, S. 23

15 Tabelle 1: Agenda 21 - http://www.agenda21-treffpunkt.de/archiv/10/daten/g3299.htm - letzter Abruf: 20.06.2013

16 Grafik 1: CRP Infotec - http://www.crp-infotec.de/01deu/wirtschaft/bip_nominal.html - letzter Abruf: 20.06.2013

17 Grafik 2: Statistisches Bundesamt - Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 15. Januar 2012 in Wiesbaden, S. 17

18 Grafik 3: Statistisches Bundesamt: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/36846/umfrage/anteil-der- wirtschaftsbereiche-am-bruttoinlandsprodukt/ - letzter Abruf: 20.06.2013

19 Gabler Wirtschaftslexikon: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/2684/dienstleistungsunternehmen-v10.html - letzter Abruf 19.06.2013

20 Grafik 4: Statistisches Bundesamt - Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 15. Januar 2012 in Wiesbaden, S. 11

21 Tabelle 2: Statistisches Bundesamt - Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 15. Januar 2012 in Wiesbaden, S. 12

22 Grafik 5: Statistisches Bundesamt: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/75148/umfrage/private- konsumausgaben-im-vergleich-zum-vorjahr/ - letzter Abruf: 20.06.2013

23 ZEIT ONLINE - Bereich Wirtschaft/Wachstumskritik: Wolfgang Uchatius (28. Februar 2013): Jan Müller hat genug, S. 1

24 Mag. Hans Holzinger ist österreichischer Geograf und Germanist und seit 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Robert-Jungk-Bibliothek in Salzburg. Er lehrt an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt zum Thema "Partizipative Zukunftsgestaltung". Seine Themenschwerpunkte sind unter anderem Nachhaltigkeit und Partizipation, neue Wohlstandsbilder, Zukunft der Arbeit und sozialen Sicherung und nachhaltige Raum- und Stadtentwicklung. Er ist außerdem noch Mitglied des Entwicklungspolitischen Beirats des Landes Salzburg sowie des Salzburger Netzwerks „Bildung für nachhaltige Entwicklung“.

25 Hans Holzinger (2010) - Zukunftsdossier: Wirtschaften jenseits von Wachstum?, S. 6

26 Enorm-Magazin „Wirtschaft für den Menschen“, Ausgabe 03 - Juni/Juli 2013, S. 19

27 Niko Paech ist deutscher Volkswirtschaftler und seit 2010 Gastprofessor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an der Universität Oldenburg. Er ist einer der bedeutendsten deutschen Wachstumskritiker und genießt als Vorsitzender der Vereinigung für Ökologische Ökonomie (VÖÖ) und Mitglied des wissenschaaftlichen Beirats von Attac einen hohen Bekanntheitsgrad

28 Niko Paech (2012): Befreiung vomüberfluss - Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, S. 110, München: oekom verlag

29 Hans Holzinger (2010) - Zukunftsdossier: Wirtschaften jenseits von Wachstum?, S. 6

30 Niko Paech (2012): Befreiung vomüberfluss - Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, S. 111 - 112

31 ZEIT ONLINE - Bereich Wirtschaft/Ökonomie: Hans-Christian Müller (15. Februar 2011): Auf der Suche nach derüberzeugenden Wachstumskritik, S. 1

32 Hans Holzinger (2010) - Zukunftsdossier: Wirtschaften jenseits von Wachstum?, S. 7

33 Hans Holzinger (2010) - Zukunftsdossier: Wirtschaften jenseits von Wachstum?, S. 39 (Zitat)

34 Hans Holzinger (2010) - Zukunftsdossier: Wirtschaften jenseits von Wachstum?, S. 7

35 Niko Paech (2012): Befreiung vomüberfluss - Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, S. 104

36 Hans Christoph Binswanger ist schweizer Volkswirt, bekannter Geldtheoretiker und gilt weltweit als einer der bedeutendsten nichtmarxistischen Wachstumskritiker. Seit 1980 ist er Geschäftsführer der Forschungsgemeinschaft für Nationalökonomie. Er entwickelte die Idee der Ökosteuer, steht jedoch der Idee des grünen Wachstums skeptisch gegenüber. Seine Arbeitsschwerpunkte sind u.a. Umwelt- und Ressourcenökonomie, Geldtheorie und ökonomische Theoriegeschichte. gilt weltweit als einer der bedeutendsten nichtmarxistischen Wachstumskritiker.

37 Hans Holzinger (2010) - Zukunftsdossier: Wirtschaften jenseits von Wachstum?, S. 48

38 Hans Christoph Binswanger (2013): Die Wachtumsspirale - Geld, Energie und Imagination in der Dynamik des Marktprozesses (4. Auflage), S. 310ff., Metropolis Verlag: Marburg

39 Eine ausführliche Darstellung findet sich in seinem Buch Die Wachstumsspirale, 4. Auflage 2013, Metropolis Verlag: Marburg

40 Euler Hermes Wissensreihe: Wirtschaft Konkret Nr. 424 - Mittelstand in Deutschland, S. 4-5

41 Christian Neuhäuser ist promovierter akademischer Rat am Institut für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum und lehrt an der Universität Luzern Philosophie und Management sowie Philosophie und Medizin.

42 Aus Politik und Zeitgeschichte, 62. Jahrgang - 27-28/2012 - 2. Juli 2012, Christian Neuhäuser: Faires Wachstum und die Rolle der Unternehmen, S. 59

43 Karl-Heinz Paqué (2010): Wachstum! - Die Zukunft des globalen Kapitalismus, S. 27 - 30

44 Leopold Kohr (verstorben 1994 in England) war Nationalökonom, Jurist, Staatswissenschaftler und Philosoph. Er war Anarchist und Vordenker der Umweltbewegung und erhielt 1983 den „Alternativen Nobelpreis“.

45 Leopold Kohr (1957): Das Ende der Gro ß en, Einleitung. Salzburg/Wien 2002: Otto Müller Verlag

Fin de l'extrait de 123 pages

Résumé des informations

Titre
Wie kann ein kleines oder mittelständisches Unternehmen ohne Umsatzwachstum nachhaltig und langfristig bestehen?
Sous-titre
Konsequenzen des Wachstumsstopps und Vergleich verschiedener Unternehmen
Université
Furtwangen University
Cours
internationale BWL
Note
1,6
Auteur
Année
2013
Pages
123
N° de catalogue
V353778
ISBN (ebook)
9783668399563
Taille d'un fichier
1163 KB
Langue
allemand
Mots clés
unternehmen, umsatzwachstum, konsequenzen, wachstumsstopps, vergleich
Citation du texte
Carolin Buck (Auteur), 2013, Wie kann ein kleines oder mittelständisches Unternehmen ohne Umsatzwachstum nachhaltig und langfristig bestehen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/353778

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