Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
Einleitung
Distributive Gerechtigkeit
Prozedurale Gerechtigkeit
Interaktionale Gerechtigkeit
Interpersonale und informationale Gerechtigkeit
Struktur
Messung
Leader-Member-Exchange
Organisationales Commitment
Itemreduktion
Fragestellung
Methode
Versuchspersonen
Analyse
Itemauswahl
Konfirmatorische Faktorenanalyse
Kriteriumsvalidität
Untersuchungsinstrumente
Organisationale Gerechtigkeit
Leader-Member-Exchange
Organisationales Commitment
Kontrollvariablen
Ergebnisse
Itemauswahl
Internale Kriterien
Normalverteilung
Externale Kriterien
Skalenreliabilitäten
Multikollinearitätsdiagnose
WAHRGENOMMENE GERECHTIGKEIT IM ORGANISATIONALEN KONTEXT II
Konfirmatorische Faktorenanalyse
Kriteriumsvalidität
Diskussion
Stärken und Limitationen
Zukünftige Forschung
Literaturverzeichnis
Anhang
Zusammenfassung
Das Konstrukt der organisationalen Gerechtigkeit ist insbesondere in den letzten Jahren zu einem wichtigen Forschungsgegenstand geworden. Allerdings sind die Ergebnisse vieler Un- tersuchungen aufgrund der Verwendung unterschiedlicher Messinstrumente kaum vergleich- bar. Colquitt (2001) entwickelte daher ein einheitliches, international einsetzbares Messin- strument zur Erhebung organisationaler Gerechtigkeit. Hansen, Byrne und Kiersch (2013) konstruierten eine Kurzfassung von diesem Verfahren, da es mit insgesamt 20 Items recht lang ausfällt. In der vorliegenden Arbeit wird eine verkürzte Fassung der deutschsprachigen Übersetzung von Maier, Streicher, Jonas & Woschée (2007) präsentiert und validiert. Hierzu wurde einer Stichprobe von N = 272 Berufstätigen die deutschsprachige Version vorgelegt. Mittels eines systematischen Verfahrens wurde überprüft, welche Items für die Kurzfassung beibehalten werden sollen. Es zeigte sich, dass die Auswahl von der englischsprachigen Kurzversion von Hansen et al. (2013) abwich. Die Ergebnisse der konfirmatorischen Fakto- renanalyse konnten die angenommene vier-faktorielle Struktur organisationaler Gerechtigkeit bestätigen. Anhand der Zusammenhänge der vier Gerechtigkeitsdimensionen mit den Kon- strukten Leader-Member-Exchange (LMX) und organisationalem Commitment konnten erste Hinweise auf Kriteriumsvalidität für die verkürzte deutschsprachige Version erbracht werden. Die Ergebnisse werden hinsichtlich ihrer Stärken, Limitationen sowie Implikationen für zu- künftige Forschung diskutiert.
Einleitung
Gerechtigkeit ist ein omnipräsentes Phänomen und spielt in vielen verschiedenen Be- reichen unseres Lebens eine wichtige Rolle (Mikula, 1980). Auch im beruflichen Kontext sind Individuen nahezu tagtäglich von Entscheidungen betroffen, die Fragen nach gerechter Verteilung aufwerfen. Diese können sich beispielsweise auf Aufgabenzuweisungen, Kündi- gungen oder Lohnverhandlungen beziehen (Greenberg, 1996). Das damit verbundene Kon- strukt der organisationalen Gerechtigkeit definiert Greenberg (1987) als das Ausmaß, in dem Ereignisse in der Organisation als gerecht wahrgenommen werden. Dieser Forschungsbereich ist insbesondere in den letzten Jahren in den Fokus der sozialwissenschaftlichen Forschung gerückt. Verschiedene Autoren haben berichtet, dass die Anzahl der in diesem Kontext er- schienenen Artikel seit dem Jahr 1990 rasant angestiegen ist (z.B. Ambrose & Schminke, 2009; Colquitt & Greenberg, 2003). Im Rahmen ihrer Metaanalyse fanden Cohen-Carash und Spector (2001) circa 400 empirische und über 100 theoretische Arbeiten, die sich mit dem Gerechtigkeitserleben in Organisationen beschäftigen. Dieses Konzept kann somit als gut etabliert angesehen werden (Folger & Cropanzano, 1998; Greenberg, 1996; Greenberg & Colquitt, 2005).
Die Relevanz organisationaler Gerechtigkeit wird auch an der Veröffentlichung zweier Metaanalysen deutlich, die ausschließlich dieses Konstrukt untersucht haben (Cohen-Charash & Spector, 2001; Colquitt, Conlon, Wesson, Porte & Ng, 2001). Hierbei konnte gezeigt wer- den, dass organisationale Gerechtigkeit substantielle Zusammenhänge mit affektiven Arbeits- einstellungen (z.B. Arbeitszufriedenheit, Commitment), der Beziehung zur Führungskraft (z.B. Vertrauen, Leader-Member-Exchange, LMX) sowie funktionalem (z.B. Organizational Citizenship Behavior, OCB) und dysfunktionalem Verhalten (z.B. Kündigung, Diebstahl) aufweist.
Wichtig ist hierbei anzumerken, dass Gerechtigkeit in der sozialwissenschaftlichen Forschung nicht als ein objektives, einheitliches und klar abgrenzbares Konstrukt aufgefasst wird. Vielmehr gilt es als ein sozial definiertes Phänomen, welches subjektiv wahrgenommen und interpretiert wird. Wird im Folgenden von organisationaler Gerechtigkeit gesprochen, ist damit die individuell wahrgenommene Gerechtigkeit gemeint.
Seit Einführung des Konstrukts wurde vielfach über dessen Struktur und insbesondere die Anzahl der Dimensionen diskutiert (Colquitt et al., 2001). Mittlerweile herrscht aber Kon- sens darüber, dass sich die vier distinkte Facetten distributive, prozedurale, interpersonale und informationale Gerechtigkeit unterscheiden lassen (Colquitt, 2001). Im Folgenden soll daher erläutert werden, wie diese vier unterschiedlichen Gerechtigkeitsdimensionen im Rahmen der Gerechtigkeitsforschung entstanden sind.
Distributive Gerechtigkeit
Die distributive Gerechtigkeit wurde als erste Gerechtigkeitsdimension formuliert und geht auf John S. Adams (1965) und seine Equity-Theorie zurück. Adams geht in seinem An- satz davon aus, dass Menschen den eigenen Input mit dem erhaltenen Output in Relation set- zen und dieses Verhältnis mit dem Input-Output-Verhältnis von relevanten Bezugspersonen vergleichen. Bis ca. 1975 wurde die Gerechtigkeitsforschung von dieser Theorie bestimmt. Daher lag der Fokus vieler Arbeiten auch zunächst auf dieser Dimension. In der Operationali- sierung von Colquitt (2001) zielt distributive Gerechtigkeit auf die Frage ab, ob und in wel- chem Ausmaß das Ergebnis der Entscheidung mit Normen wie Gerechtigkeit oder Gleichbe- handlung übereinstimmt. Ähnlich wie in der Equity-Theorie von Adams (1965) vergleichen Individuen hier das eigene Ergebnis mit dem Ergebnis von relevanten Referenzpersonen.
Prozedurale Gerechtigkeit
In den darauffolgenden Jahren erkannte man allerdings, dass Individuen für die Beur- teilung von Gerechtigkeit nicht nur Vergleiche mit Bezugspersonen heranziehen. Es spielt ebenso eine Rolle, inwieweit das Vorgehen bei der Entscheidungsfindung als gerecht wahrge- nommen wird. Diese Wahrnehmung wird als prozedurale Gerechtigkeit bezeichnet (Levent- hal, 1980). Prozedurale Gerechtigkeit bezieht sich dabei auf die Möglichkeit der Einfluss- nahme w ä hrend der Entscheidungsfindung, die Einflussnahme auf das Ergebnis (Thibaut & Walker, 1975) oder die Erfüllung bestimmter Kriterien bei der Entscheidungsfindung. Le- venthal (1980) formulierte sechs solcher Kriterien, die im Folgenden näher erläutert werden sollen:
1. Konsistenz: Die Vorgehensweise sollte über Personen und Zeit hinweg gleich bleiben.
2. Unvoreingenommenheit: Die Entscheidungsträger sollten unbefangen sein.
3. Genauigkeit: Die Entscheidungen sollten auf korrekten Informationen basieren.
4. Korrigierbarkeit: Individuen müssen Einflussmöglichkeiten auf die als ungerecht wahrgenommene Entscheidung haben.
5. Repräsentativität: Alle Personen, die von der Entscheidung betroffen sind, müssen be- rücksichtigt werden.
6. Ethik: Das Ergebnis der Entscheidung muss mit ethischen und moralischen Werten der betroffenen Personen vereinbar sein.
Prozedurale Gerechtigkeit bezieht sich also auf die Art und Weise, wie innerhalb der Organisation die Entscheidungen getroffen werden. Daher wird diese Gerechtigkeitsdimension auch den kognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Aspekten der Organisation zugeordnet. Ein Beispiel für einen affektiven Aspekt wäre das Konstrukt des organisationalen Commitments (Martin & Benett, 1996; Mossholder, Bennett, Kemery & Wesolowski, 1998). Dies unterscheidet die prozedurale Gerechtigkeit von der distributiven, denn bei letzterer beziehen sich die Reaktionen auf das Ergebnis, und nicht auf die Organisation (Cropanzano & Folger, 1991; Sweeney & McFarlin, 1993).
Interaktionale Gerechtigkeit
Bies und Moag (1986) schlugen eine weitere Differenzierung innerhalb des Konstrukts der organisationalen Gerechtigkeit vor. Mit der interaktionalen Gerechtigkeit wollten sie den sozialen Aspekt innerhalb von Entscheidungsprozessen berücksichtigen (Bobocel & Holmvall, 2001). Interaktionale Gerechtigkeit liegt vor, wenn sich die Betroffenen von demjenigen, der die Entscheidungen trifft, während des Entscheidungsprozesses fair behandelt fühlen. Aspekte wie Respekt, Sensitivität und Begründung der Entscheidung spielen hierbei eine Rolle (Bias & Moag, 1986; Tyler & Bies, 1990).
Da sich interaktionale Gerechtigkeit auf das interpersonale Verhalten des Entscheidungsträgers bezieht, wird sie den kognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Reaktionen der direkten Quelle der Gerechtigkeit zugeordnet (Bies & Moag, 1986). Die Reaktionen beziehen sich somit auf die F ü hrungskraft, und nicht auf das Ergebnis (distributive Gerechtigkeit) oder die gesamte Organisation (prozedurale Gerechtigkeit).
Interpersonale und informationale Gerechtigkeit
Greenberg (1993) postulierte einige Jahre später ein Vier-Faktorenmodell organisatio- naler Gerechtigkeit, bestehend aus distributiver, prozeduraler, interpersonaler und informatio- naler Gerechtigkeit. Die Unterscheidung zwischen interpersonaler und informationaler Ge- rechtigkeit wurde durch Experimente von Greenberg selber angestoßen, in denen die Akzep- tanz von Entscheidungen am höchsten war bzw. dysfunktionales Verhalten am wenigsten gezeigt wurde, wenn Entscheidungen gleichermaßen interpersonal und informational gerecht gezeigt wurden (Greenberg, 1993; Greenberg, 1994). Greenberg sah den Respekt und die Sensitivität der interaktionalen Gerechtigkeit als interpersonale Facetten der distributiven Ge- rechtigkeit an, da sie Reaktionen hervorrufen, die sich auf das Ergebnis beziehen. Zum Bei- spiel kann Sensitivität jemanden trotz ungewollten Ergebnisses besser fühlen lassen. Den As pekt des Erklärens sah er als informationale Facette der prozeduralen Gerechtigkeit an, da Erklärungen oft die notwendigen Informationen beinhalten, um das Zustandekommen der Entscheidungen beurteilen zu können. Diese Annahmen wurden allerdings empirisch nie be- stätigt.
Struktur
Aus den zuvor beschriebenen Befunden ergeben sich konkurrierende Annahmen be- züglich der Struktur organisationaler Gerechtigkeit, die in der vorliegenden Arbeit anhand konfirmatorischer Faktorenanalysen gegeneinander getestet werden sollen. Beim Ein- Faktorenmodell wird organisationale Gerechtigkeit als ein globaler Faktor ohne differenzier- bare Facetten angesehen. Dieser Faktor soll die gesamte Varianz der Items hinreichend gut erklären können. Evidenz für diese Annahme sind hohe Korrelationen von bis zu r = .74 (un- korrigiert) zwischen den einzelnen Facetten (Welbourne, Balkin & Gomez-Meija, 1995). Beim Zwei-Faktorenmodell wird die Annahme überprüft, organisationale Gerechtigkeit setze sich aus den beiden Faktoren der distributiven und prozeduralen Gerechtigkeit zusammen. Die interpersonale und informationale Gerechtigkeit werden dabei der prozeduralen Dimensi- on zugeordnet. Beim Drei-Faktorenmodell wird neben der distributiven und prozeduralen Gerechtigkeit der von Bies und Moag (1986) vorgeschlagene dritte Faktor der interaktionalen Gerechtigkeit berücksichtigt. Die interaktionale Gerechtigkeit setzt sich dabei aus den beiden Faktoren der interpersonalen und informationalen Gerechtigkeit zusammen. Im Vier- Faktorenmodell werden die von Colquitt (2001) postulierten vier Dimensionen der prozedura- len, distributiven, interpersonalen und informationalen Gerechtigkeit untersucht. Diese sind ausreichend, um die gesamte Itemvarianz aufklären zu können.
Messung
Die beschriebene Debatte hinsichtlich der Struktur organisationaler Gerechtigkeit wurde zudem dadurch verschärft, dass viele unterschiedliche und zum Teil schlechte Messin- strumente vorlagen, die alle verschiedene Faktoren erfassten. Nicht selten kam es vor, dass Items für eine einzige Untersuchung formuliert wurden und keine Überprüfung der Kon- struktvalidität stattfand (Greenberg, 1990). Die Ergebnisse der verschiedenen Studien waren somit kaum vergleichbar.
Um diesem Missstand nachzugehen, entwickelte Colquitt (2001) ein einheitliches, vier-faktorielles Messinstrument zur Erhebung der vier Dimensionen organisationaler Gerech- tigkeit. Die insgesamt 20 Items (siehe Tabelle 2) formulierte er auf Grundlage einer genauen Analyse der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Literatur (Bies & Moag, 1986; Leventhal, 1980, 1980; Shapiro, Buttner, & Barry, 1994; Thibaut & Walker, 1975). Die Ergebnisse der konfirmatorischen Faktorenanalyse zeigten, dass das vier-faktorielle Modell besser passte als das Ein-, Zwei- oder Drei-Faktorenmodell. Seitdem ist dieses Verfahren eines der meist genutzten Erhebungsmethoden in der organisationalen Gerechtigkeitsforschung.
Bei dem von Colquitt und Kollegen (2001) entwickelten Fragebogen handelt es sich um ein indirektes Messinstrument, da die Teilnehmer/-innen nicht direkt nach ihrer wahrgenommen Gerechtigkeit gefragt werden, sondern über verschiedene Antwortkriterien auf diese geschlossen wird (Lind & Tyler, 1988). Zudem kann der Fokus der Fragen an den jeweiligen Forschungskontext angepasst werden (z.B. an die Organisation, den Vorgesetzten oder das letzte Leistungsbeurteilungsgespräch)
Zu dieser Zeit wurde von zahlreichen Forschern das Fehlen eines entsprechenden deutschen Messinstruments beklagt, welches einen internationalen Vergleich ermöglichen würde (Cohen-Carash & Spector, 2001). Da man aufgrund rechtlicher und kultureller Beson- derheiten nicht von der nordamerikanischen Stichprobe auf die Ergebnisse der deutschen Pro- banden/-innen hätte schließen können, übersetzten Maier, Streicher, Jonas und Woschée (2007) die 20 Items von Colquitt ins Deutsche. Auch hier bestätigten die Ergebnisse der kon- firmatorischen Faktorenanalyse die angenommene Vier-Faktoren-Struktur organisationaler Gerechtigkeit. Maier et al. (2007) konnten zudem erste Hinweise auf Konstruktvalidität für die deutschsprachige Version des Fragebogens von Colquitt (2001) liefern. Sie differenzierten in ihrer Untersuchung proximale (z.B. Zufriedenheit mit Partizipation, Entlohnung) und dista- le Kriterien (z.B. Leader-Member-Exchange, LMX, organisationales Commitment). Diese zeigten signifikante Zusammenhänge mit den vier Gerechtigkeitsdimensionen. Streicher et al. (2008) verwendeten diese Befunde als Grundlage ihrer Untersuchung und konnten weitere Belege für die Konstrukt- und Kriteriumsvalidität der deutschsprachigen Version des Fragebogens von Colquitt (2001) anführen. Sie konzentrierten sich in ihrer Un-tersuchung auf die informationale Gerechtigkeit und wählten daher als Fokus das letzte Leis-tungsbeurteilungsgespräch, da sie davon ausgingen, dass Informationen hierbei eine wichtige Rolle spielen. Anhand einer Stichprobe von N = 227 Beschäftigten diverser Unternehmen konnte die Konstruktvalidität durch Zusammenhänge der Gerechtigkeitsdimensionen mit Vorgesetztenverhalten aufgezeigt werden. Belege für die Kriteriumsvalidität lieferten Vorher- sagen hinsichtlich des Verhaltens und der Einstellungen der Beschäftigten (z.B. Kündigungs- absichten, Arbeitszufriedenheit).
Obwohl sich der englischsprachige Fragebogen von Colquitt (2001) als ein reliables und valides Messinstrument herausgestellt hat (z.B. Judge & Colquitt, 2004; Roch & Shanock, 2006), liegt ein Nachteil in seiner Anzahl von insgesamt 20 Items, die zur Erfassung der vier Gerechtigkeitsdimensionen notwendig sind. Hansen, Byrne und Kiersch (2013) kon- struierten daher eine verkürzte englischsprachige Version dieses Fragebogens. Sie entschie- den sich, drei Items pro Skala beizubehalten und wählten diese nach einer von Stanton und Kollegen (2002) beschriebenen Methode aus. Hierbei werden internale Kriterien, externale Kriterien sowie Expertenratings kombiniert betrachtet. Bei Abweichungen zwischen den Kri- terien empfehlen Stanton et al. (2002) diese in der genannten Reihenfolge zu präferieren. Sie konnten anhand von zwei Feldstichproben (N1 = 173, N2 = 517) Konstruktvalidität sowie kon- vergente und diskriminante Validität für die englischsprachige Kurzversion aufzeigen. Es wurden Kriterien gewählt, die oftmals mit organisationaler Gerechtigkeit in Verbindung gebracht werden und in der Gerechtigkeitsforschung einen wichtigen Stellenwert haben (z.B. Leistung, OCB). Wie auch bei der Originalversion von Colquitt (2001) passte das Vier- Faktorenmodell am besten zu den Daten. Hansen et al. (2013) testeten allerdings nur das Dreiund das Vier-Faktorenmodell gegeneinander. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass die verkürzte Fassung den psychometrischen Gütekriterien der Originalversion von Colquitt (2001) genügt und diese somit in der praktischen Anwendung ersetzen kann.
Leader-Member-Exchange
Im Folgenden sollen kurz die in dieser Untersuchung als Außenkriterien verwendeten Maße erläutert werden.
Das Leader-Member-Exchange-Konstrukt (Graen & Scandura, 1987) basiert auf der gleichnamigen Leader-Member-Exchange-Theorie (LMX-Theorie) von Graen und Cashman (1975). Anders als viele andere Führungsansätze bezieht sich die Leader-Member-Exchange- Theorie auf die dyadische Beziehung zwischen Führungskraft und einem einzelnen Mitarbei- ter (Bauer & Erdogan, 2015). Die Beziehungsqualität steht dabei im Fokus der Theorie. Merkmale dieser Beziehung sind Respekt, Loyalität, Unterstützung, Zuneigung, Intimität, Offenheit, Ehrlichkeit und Vertrauen (Graen & Scandura, 1987). Zudem wird angenommen, dass Führungskräfte nicht zu allen Mitarbeitern die gleiche Art von Beziehung führen (Bauer & Erdogan, 2015; Schyns, Knoll, 2015).
Organisationales Commitment
Eine allgemeingültige Definition von organisationalem Commitment existiert bis heu- te nicht. Moser (1996) umschreibt dieses Konstrukt als Bindung der Mitarbeiter an die Organisation, für die sie arbeiten. Mowday, Steers und Porter (1979) gelten als wichtige Pioniere in der Commitment-Forschung. Sie verstehen unter organisationalem Commitment das Aus- maß der Identifikation eines Mitarbeiters mit der Organisation und seine Einbindung in diese. Nach Moser (1996) sowie Porter, Steers, Mowday und Boulian (1974) gibt es drei typische Merkmale dieser affektiven Verbundenheit: Akzeptanz der Werte und Ziele der Organisation, die Bereitschaft, sich für die Organisation zu engagieren sowie der Wunsch, Mitglied der Or- ganisation zu bleiben.
Itemreduktion
Ein Nachteil des deutschsprachigen Messinstruments von Maier et al. (2007) besteht in seiner Länge von insgesamt 20 Items. Nach Rogelberg und Luong (1998) können aufgrund von langen Testverfahren Gefühle der Teilnahmem ü digkeit entstehen (siehe auch Schwarz, Groves & Schumann, 1998). Solche Effekte können auch aufgrund der Anzahl von Befragun- gen entstehen (Porter, Whitcomb und Weitzer, 2004). Durch diesen sogenannten Oversur- veying -Effekt erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für unvollständige Daten (Stanton, Sinar, Balzer & Smith 2002). Machen die Befragten wiederholend derartige Erfahrungen, nehmen vermutlich Anzahl als auch Qualität der Antworten ab. Diese Annahme wurde allerdings bis- her noch nicht bestätigt (Groves, Fowler, Couper, Lepowski, Singer & Tourangeau, 2004; Schnell, 1997). Um der Forderung nach effizienteren Verfahren nachzugehen, verwendeten viele Forscher sogenannte Ad-Hoc-Messungen (z.B. Bell & Ford, 2007; De Cremer & van Knippenberg, 2002). Bei Ad-Hoc-Messungen werden bestehende Testverfahren nach Belie- ben gekürzt, in dem eine bestimmte Anzahl an Items vor der Untersuchung spontan ausge- wählt wird. Dieses Vorgehen muss als problematisch angesehen werden, da in der Folge un- terschiedliche Messinstrumente entstehen. Diese können die Zusammenhänge zwischen Vari- ablen falsch schätzen und lassen Vergleiche zwischen verschiedenen Untersuchungen schwie- rig werden. Ein weiteres Problem besteht in unzureichenden Reliabilitäts- und Validitätsbele- gen für diese Verfahren (Stanton et al., 2002). Wurde in einer Untersuchung ein solches Ad- Hoc-Instrument verwendet, besteht somit stets das Risiko stichprobenabhängiger Ergebnisse (Hansen et al., 2013). Aufgrund der beschriebenen Annahmen ist es sehr überraschend, dass bislang noch keine Validierung der deutschen Kurzversion des Fragebogens von Colquitt (2001) vorliegt. Ziel dieser Arbeit ist es daher, ein verkürztes Messinstrument zu konstruie- ren, mit dem auf zeitökonomische Weise Daten zu organisationaler Gerechtigkeit erfasst wer- den können.
Fragestellung
Um eine verkürzte Fassung der deutschsprachigen Version des Fragebogens von Col- quitt (2001) konstruieren und validieren zu können, sollen in drei Schritten folgende Frage- stellungen bearbeitet werden: Im ersten Schritt sollen anhand verschiedener statistischer Indi- zes drei Items pro Skala ausgewählt werden. Die erste sich hierbei ergebende Frage ist, ob die Auswahl mit derjenigen von Hansen et al. (2013) übereinstimmt. Im zweiten Schritt soll ge- prüft werden, ob im vorliegenden Datensatz die von Colquitt (2001) angenommene Vier Faktorenstruktur organisationaler Gerechtigkeit bestätigt werden kann. Im letzten Schritt soll untersucht werden, ob sich ähnliche Zusammenhänge wie bei der deutschsprachigen Validierung von Maier et al. (2007) mit den Kriterien Leader-Member-Exchange und organisationalem Commitment ergeben.
Methode
Versuchspersonen
Es liegen zwei Teilstichproben vor (n 1 = 131, n 2 = 141), die sich aus insgesamt 92 Frauen und 176 Männern zusammensetzen (4 Personen ohne Angabe). Diese beiden Teil- stichproben entstammen aus einer größeren Studienreihe mit insgesamt 512 Probanden. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer/-innen betrug 38.5 Jahre (SD = 8.7; Min = 20.0, Max = 58.5). Sie waren in Unternehmen diverser Branchen beschäftigt und gehörten unterschiedli- chen Hierarchieebenen an. Für die Einteilung der Branchen wurden insgesamt 15 Kategorien formuliert, die sich an der Klassifikation der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesam- tes (2003) orientierten. Alle erhobenen Branchen sowie dazugehörige Häufigkeitsangaben sind in Tabelle 1 wiedergegeben. Die Teilnehmer/-innen wurden an öffentlichen Plätzen (z.B. U-Bahn, Straßenbahn) oder in Unternehmen rekrutiert. Vor der Teilnahme wurde ihnen versi- chert, dass ihre persönlichen Angaben vertraulich behandelt werden. Die meisten von ihnen waren in Unternehmen mit einer Größe von 500 bis 5000 Mitarbeitern (61.4%) beschäftigt. Die Befragten waren seit durchschnittlich 10.6 Jahren (SD = 9.2) in ihrem Unternehmen tätig. Unter diesen waren Personen mit Abitur bzw. Fachabitur als Schulabschluss am meisten ver- treten (64.7%). Der meist genannte berufsqualifizierende Abschluss war folglich der Univer- sitätsabschluss (40.1%). 89 der insgesamt 272 Personen waren selber als Führungskraft tätig.
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