In dieser umfangreichen Zulassungsarbeit erstellt Sandra Lill ein erlebnispädagogisches Konzept, welches die fächerübergreifende Umsetzung eines Projekts im Deutsch- und Sportunterricht vorstellt. Hierzu werden zunächst das Buch und der Film zu Mark Twains "Tom Sawyer" analysiert und für die Bearbeitung im Deutschunterricht (etwa an Gymnasien) aufbereitet. Der Lehrer erhält alle nötigen Informationen, um das insgesamt sechswöchige Projekt durchzuführen. Neben der Literatur- und der Filmanalyse im Deutschunterricht findet parallel dazu im Sportunterricht ebenfalls eine Vorbereitung auf die Erlebniswoche statt. Nach dieser sechswöchtigen Vorbereitungsphase, deren Ablaufplan detailliert dargestellt wird, findet eine fünftägige Exkursion statt, auf der die Schülerinnen und Schüler die Abenteuer von Huck Finn und Tom Sawyer wie etwa das Lagerfeuer oder die Floßfahrt in heimischer Umgebung (beispielhaft hierfür die Isar im Titel, selbstverständlich lässt sich das Projekt aber an verschiedenste Umgebungen anpassen) nachempfinden können. Das gesamte Projekt ist geprägt von Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung und folgt fundiert den erlebnispädagogischen Grundsätzen, die ebenfalls erläutert werden. Insbesondere das metaphorische Lernen wird hierbei berücksichtigt und gefördert.
Nach einem kurzen Überblick über den Aufbau der Arbeit, erfolgt im zweiten Kapitel bereits die Literatur- und Filmanalyse. Kapitel 3 ordnet ausgewählte Elemente der Analysen in die Erlebnis- und Sportpädagogik ein. Hierbei legt sie besonderen Wert auf metaphorisches Lernen, was der Sache voll entspricht. Kapitel 4 präsentiert die präsentiert die Umsetzung des Themas im schulischen Rahmen. Hierbei stellt die Autorin einen Bezug zum Lehrplan der Fächer Deutsch und Sport für die 8. Klasse am bayerischen Gymnasium her und konzipiert die Vorbereitungswochen an der Schule sowie die Exkursion.
Inhalt
1. Einleitung
1.1. Thema und Motivation
1.2. Aufbau
2. Literatur- und Filmanalyse
2.1. Literaturanalyse
2.1.1. Der Erzähler
2.1.2. Die Handlung
2.1.3. Die Figuren
2.1.4. Der Raum
2.1.5. Die Zeit
2.1.6. Praxisbezogene Anwendung der Analysetechniken
2.1.6.1. Analyse des allwissenden Erzählers
2.1.6.2. Analyse der Handlung und Einteilung in Unterkapitel
2.1.6.3. Analyse der Figuren mit Fokus auf ihren Umgang mit Schwäche
2.1.6.4. Analyse des Raumes auf der Insel
2.1.6.5. Analyse der erzählten Zeit von fünf Tagen
2.2. Filmanalyse im Genre „Abenteuerfilm“
2.2.1. Handlungsanalyse
2.2.2. Analyse der Figuren
2.2.3. Analyse der Bauformen
2.2.3.1. Visuelle Bauformen: Kamera und Einstellungen
2.2.3.2. Auditive Bauformen: Dialog, Geräusche und Musik
2.2.4. Analyse der Normen und Werte
2.2.5. Praxisbezogene Anwendung der Analysetechniken
2.2.5.1. Handlungsanalyse
2.2.5.2. Figurenanalyse
2.2.5.3. Analyse der Bauformen
2.2.5.4. Analyse der Normen und Werte
3. Einordnung ausgewählter Elemente in die Erlebnis- und Sportpädagogik
3.1. Das metaphorische Lernen in der Erlebnispädagogik
3.1.1. Grundlagen und Vorgehensweise
3.1.2. Begriffsklärung und Anwendung auf Tom Sawyer
3.2. Das metaphorische Lernen und die Sportpädagogik
4. Vorschlag einer Umsetzung des Themas im schulischen Rahmen
4.1. Schulischer Bezug im Lehrplan
4.1.1. Ebene 1: Das bayerische Gymnasium
4.1.2. Ebenen 2 und 3: Fachprofil Deutsch in Klasse 8
4.1.3. Ebenen 2 und 3: Fachprofil Sport in Klasse 8
4.1.4. Bekanntmachung des Staatsministeriums zu Klassenfahrten
4.2. Konzipierung des Projekts inklusive der Klassenfahrt
4.2.1. Erste Vorbereitungswoche: Kapitel 1-8, Eindruck/Ausdruck
4.2.2. Zweite Vorbereitungswoche: Kapitel 9-18, Leistung/Wagnis
4.2.3. Dritte Vorbereitungswoche: Kapitel 19-24, Gesundheit/Fitness
4.2.4. Vierte Vorbereitungswoche: Kapitel 25-30, Miteinander/Kommunikation
4.2.5. Fünfte Vorbereitungswoche: Kapitel 31-36, Floßbau
4.2.6. Sechste Vorbereitungswoche: Organisation, Rettungsschwimmen
4.2.7. Fünftägige Exkursion
4.2.7.1. Montag
4.2.7.2. Dienstag: Motiv „Floßfahrt in die Freiheit“
4.2.7.3. Mittwoch: Motive „Bande“ und „Rauchen“
4.2.7.4. Donnerstag: Motive „Maske“ und „Brief“
4.2.7.5. Freitag: Motiv „Heimkehr in die Gesellschaft“
4.3. Risikoanalyse
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
7. Abkürzungsverzeichnis
8. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
9. Anhang
Anhang 1: „To-do“-Liste der Literaturanalyse nach Silke Lahn
Anhang 2: „To-do“-Liste der Filmanalyse nach Werner Faulstich
Anhang 3: Sequenzplan der Insel-Episode, eigene Darstellung
Anhang 4: Konzept des siebenwöchigen Projekts, eigene Darstellung
Anhang 5: Anwendung des metaphorischen Lernmodells, eigene Darstellung
Anhang 6: Arbeitsblatt Deutschstunde 3, eigene Darstellung
Anhang 7: Arbeitsblatt 1 Deutschstunde 6 nach Werner Faulstich
Anhang 8: Arbeitsblatt 2 Deutschstunde 6 nach Werner Faulstich
Anhang 9: Arbeitsblatt Deutschstunde 7 nach Werner Faulstich
1. Einleitung
1.1. Thema und Motivation
Meine erlebnispädagogische Ausbildung im Rahmen des ExpeT der TU München eröffnete mir eine neue Welt. Sie bereicherte mein Lehramts-Studium des Sports und der Germanistik um einen neuen Aspekt in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, den ich nicht mehr missen möchte. Das Lernen in der Natur durch die sinnliche Auseinandersetzung mit der Umwelt, die Entwicklung der Persönlichkeit im Dialog mit der landschaftlichen und sozialen Umgebung und die Verbesserung der Gesundheit durch die Bewegung an der frischen Luft sind für mich zu essentiellen Bestandteilen meines Begriffs von Pädagogik geworden.
Als Zulassungsarbeit zum ersten Staatsexamen wähle ich daher ein Thema, welches meine Freude an der Literatur, wiedergespiegelt in meinem Studienfach Deutsch, und den Sport mit der Erlebnispädagogik verbindet. Das Fach Sport ist repräsentiert durch das Sammeln verschiedenster Bewegungserfahrungen in der Natur und die Verknüpfung der sechs Sinnperspektiven nach Dietrich Kurz mit der Disziplin des Schwimmens. Das Fach Deutsch gilt im Sinne seiner Betrachtung literarischer Werke und der Vermittlung der Freude am Lesen als Bezugspunkt, da sich meine Arbeit mit einer literarischen Vorlage von Weltformat auseinandersetzt: dem Buch „Tom Sawyer“ des amerikanischen Autors Mark Twain (1835-1910), dessen Kenntnis auch im deutschsprachigen Raum heute weit verbreitet ist.
Die Wahl dieses Werkes, das a) nicht deutschsprachig im Original ist und b) im 19. Jahrhundert geschrieben wurde und spielt, muss selbstverständlich begründet werden. Das siebenwöchige Projekt, welches im Verlauf dieser Arbeit konzipiert wird, soll den Schülerinnen und Schülern (SuS, siehe Abkürzungsverzeichnis) einen Rahmen für Selbsterfahrung, Stärkung der Klassengemeinschaft und Persönlichkeitsentwicklung bieten. Die leibliche Erfahrung der Natur, das Begreifen der Umwelt mit allen Sinnen und die Entwicklung der Jugendlichen durch soziale Kontakte und ergreifende Erlebnisse stehen dabei während der fünftägigen Klassenfahrt am Ende des Projekts im Vordergrund. Durch die Leiblichkeit und Sinnlichkeit der Erlebnisse ist der Bezug zum Schulfach Sport gegeben. Den Begriff des Sportes fasse ich hierbei weiter als das reine Leistungsdenken im Wettkampfbereich, und interpretiere ihn stattdessen als gesundheitsförderndes, ganzheitliches Sich-Bewegen in einem natürlichen Umfeld, in dessen Wechselwirkung der „Sportler“ reifen und sich selbst erfahren kann. Die Vorlagen dafür sind vollkommen unabhängig von Sprache und Kultur. Aus diesem Grund empfinde ich es als akzeptabel und sogar positiv - weil horizonterweiternd -, ein englischsprachiges Werk für die bayerische Zielgruppe zu wählen.
Einige Argumente, die für den Jugendroman Mark Twains sprechen, sind die charismatische Hauptfigur, die vielen abwechslungsreichen Szenen in der Natur und die spannenden Erlebnisse, denen der Titelheld dort ausgesetzt ist. Obwohl „Tom Sawyer“ bereits 1876 in deutscher Ausgabe veröffentlicht wurde, besitzt das Werk einen noch immer spürbaren Zeitgeist. Der Junge, der sich in seiner kleinen Heimatstadt großer Beliebtheit erfreut und ein weitgehend intaktes Familienleben genießen darf, ist innerlich ebenso von Zweifeln und Ängsten geplagt wie sein Freund Huck, der Außenseiter, der außerhalb jeglicher gesellschaftlicher und familiärer Konventionen aufwächst und von den Erwachsenen der Stadt geächtet wird. Im Spannungsfeld dieser beiden Extrempositionen zwischen Beliebtheit und Ausgestoßensein findet sich auch heute noch jeder Pubertierende wieder und sucht seinen Platz in Familie und Gesellschaft.
Das Anlegen einer Maske zur Integration und Anpassung innerhalb des Freundeskreises, in dem oftmals keine Schwäche gezeigt werden darf, und deren mögliche Ablegung außerhalb des gewohnten Umfeldes in der Natur werden in einigen Abschnitten des Buches so deutlich, dass sich mir die Konzipierung eines entsprechenden erlebnispädagogischen Projektes bereits bei der ersten Lektüre förmlich anbot. Die Entstehungszeit des Buches vor über hundert Jahren war daher ebenfalls kein Hinderungsgrund für seine Wahl als Vorlage dieser Arbeit. Den Ort des Geschehens, also die amerikanischen Landschaften um den Mississippi, für bayerische Schülerinnen und Schüler in die eigene Heimat übertragbar zu machen und sie auf den Spuren Mark Twains ähnliche Abenteuer wie Tom erleben zu lassen, soll Aufgabe dieser Zulassungsarbeit sein. Ob dabei tatsächlich die Isar, wie im Titel dieser Arbeit, oder ein anderes bayerisches Gewässer Schauplatz des Abenteuers ist, kann in der Realisierung frei entschieden werden.
1.2. Aufbau
Als Vorlage dient einerseits der Jugendroman „Tom Sawyer“ von Mark Twain in der deutschsprachigen, vollständigen Ausgabe[1]. Zudem erschien 2011 eine deutschsprachige Verfilmung der Regisseurin Hermine Huntgeburth mit Heike Makatsch, Benno Fürmann u.a., die ebenfalls in dieser Arbeit berücksichtigt wird.
In Kapitel 2 dieser Zulassungsarbeit wird zunächst die Theorie der Literaturanalyse vorgestellt und daraufhin ein Abschnitt des Buches ausführlich betrachtet, der in sich abgeschlossen ist und von den Erlebnissen dreier Freunde auf einer Insel handelt[2]. Ich werde hier verschiedene Motive herausarbeiten, die die Persönlichkeitsentwicklung der drei Jugendlichen beeinflussen.
Anschließend wende ich mich der Analyse der Verfilmung zu[3]. Hier wähle ich eine Szene, die an die Buchvorlage angelehnt ist, dieser allerdings nicht exakt entspricht. Der Spannungsbogen im Film ist deutlicher als der des Buches auf den Handlungsstrang um den Antagonisten Indianer Joe aufgebaut. Tom und Huck begeben sich hier auf eine Insel und entdecken dort ein Geisterhaus, in welchem es fast zur Konfrontation mit dem Verbrecher kommt. Sowohl aus dem Buch als auch aus dem Film sollen Aspekte herausgearbeitet werden, die innerhalb des Schulprojekts umgesetzt werden können.
In Kapitel 3 sollen einige Motive, die ich aus Buch und Film extrahieren konnte, erlebnis- und sportpädagogisch eingeordnet und ihre Auswahl begründet werden. Als Rahmen der Erlebnispädagogik dient das Modell des metaphorischen Lernens, welches erläutert und daraufhin auf das Buch und den Film angewendet wird[4]. Der Begriff der Metapher wird in diesem Abschnitt näher erläutert werden und mit denen des Motivs und Symbols verglichen.
Aus der Sportpädagogik ziehe ich das Modell der Sinnperspektiven nach Dietrich Kurz heran. Alle sechs Aspekte (Eindruck, Ausdruck, Wagnis, Leistung, Gesundheit, Miteinander) sollen meines Erachtens im Schulsport gleichermaßen vertreten sein. Daher baue ich das Projekt „Tom Sawyer auf der Isar“ aus sportpädagogischer Sicht auf diesen Perspektiven auf.
Kapitel 4 führt zum praxisbezogenen Teil der Arbeit. Hier entsteht ein siebenwöchiges Projekt, welches inklusive einer Klassenfahrt in der Mittelstufe des bayerischen Gymnasiums umgesetzt werden kann. Einleitend dazu erfolgen eine partielle Darstellung des Lehrplans sowie eine Begründung der Maßnahme im schulischen Rahmen, die die Persönlichkeitsentwicklung und die psychische wie auch physische Gesundheit der Schülerinnen und Schüler fördern soll. Im Vorfeld der Fahrt werden die Jugendlichen sechs Wochen lang im Fach Deutsch mit dem Inhalt des Werkes vertraut gemacht. Sie eignen sich Grundsätze der Literatur- und Filmanalyse an. Im Fach Sport lernen sie im selben Zeitraum, die auf sie zukommenden Herausforderungen (z.B. die Überquerung eines Flusses) zu meistern. Ziel dieser Zulassungsarbeit ist, das Konzept so weit zu erarbeiten, dass zukünftige LuL[5] auf die Vorlage zurückgreifen und, mit einigen selbständigen Ergänzungen und individuellen Anpassungen, die Aktion durchführen können.
Das letzte Kapitel besteht aus einem Ausblick auf Themen, die sich im Schreibprozess ergeben haben und die Anlass zu wissenschaftlicher Forschung bieten. Es finden sich hier auch Ideen zur Präsentation der Ergebnisse des Projekts.
Ich habe das Ziel, mit dieser Arbeit einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Erlebnispädagogik mehr Raum im schulischen Geschehen einnimmt. Ich bin von ihrem pädagogischen Wert überzeugt und möchte noch weitere Lehrkräfte davon begeistern. Eine Kombination aus Weltliteratur, dem Schulfach Sport und pädagogisch angeleiteten Erlebnissen in der Natur ist daher das ideale Thema einer Hausarbeit für mich, dem ich mich nun widmen werde.
2. Literatur- und Filmanalyse
Dieses Kapitel bietet zunächst Informationen zur Vorgehensweise in der Literaturanalyse, so dass der Lehrer, der das Konzept der Klassenfahrt umsetzen möchte, auf diese Basis zurückgreifen und die SuS im Vorfeld des Ausflugs darin unterrichten kann. Die theoretischen Inhalte der Kapitel 2.1.1. bis 2.1.5., die ich als „To-do“-Liste zusammenfasse, werden in Kapitel 2.1.6. praktisch auf das Buch bezogen. Die Gliederung dieser Ergebnisse in die sechs Vorbereitungswochen des Projekts geschieht in Kapitel 4.2. der Arbeit.
Ebenso wird später mit der Filmanalyse verfahren, welche sich dem Werk von Hermine Huntgeburth widmet. Es erfolgt auch hier zunächst eine theoretische Erläuterung der Analysetechniken. Ziel ist wiederum, eine „To-do“-Liste der Filmanalyse zu erstellen, die dann praktisch auf den Film angewandt und in die Konzeption der Unterrichtsstunden aufgenommen werden kann.
Besonders aufmerksam sollen dabei diejenigen Aspekte analysiert werden, in welchen das a) Begreifen der Umwelt sinnlich wahrgenommen wird (der Sonnenaufgang nach der ersten Nacht unter freiem Himmel), b) körperliche Betätigung als Sport im weitesten Sinn erfolgt (das Durchqueren des Flusses) und c) die Figuren eine Entwicklung ihrer Persönlichkeit durch ein Erlebnis in der Natur erfahren (der Umgang mit der Angst im und nach dem Gewitter). Eine genauere Begründung der Auswahl dieser Kategorien und Szenen wird in Kapitel 3 erfolgen.
2.1. Literaturanalyse
Das folgende Kapitel liefert eine Einführung in die Erzähltextanalyse und orientiert sich dazu an dem gleichnamigen Werk von Silke Lahn aus dem Jahr 2013. Ziel ist es, die Herangehensweise an einige im Buch gestellten Leitfragen zur Erzähltextanalyse so weit darzustellen, dass eine das Projekt durchführende Lehrkraft mit der Thematik vertraut wird. Es soll am Ende des Kapitels eine zusammenfassende „To-do“-Liste der Literaturanalyse erarbeitet werden, welche im Anschluss in der Praxis auf den Jugendroman Mark Twains angewendet werden kann. Diese Vorgehensweise werde ich auch in dem Kapitel der Filmanalyse beibehalten.
2.1.1. Der Erzähler
Grundsätzlich muss zwischen dem Autor eines Textes und dem Erzähler unterschieden werden. Der Autor, der mit Namen, Lebensdaten etc. bekannt sein kann (oder anonym ist), hat den Text an sich geschrieben. Der Erzähler im Text entspricht diesem jedoch nicht. Selbst in biographischen Werken kann der Autor nicht identisch mit dem Erzähler sein. Ein Beispiel für die Unterscheidung der beiden Instanzen Erzähler und Autor ist Mark Twain, der in seinem zweiten Roman nach „Tom Sawyer“ eine Geschichte aus Sicht des Jungen Huck Finn verfasst. Der Autor bleibt dabei der erwachsene Mann Mark Twain, während der Erzähler in diesem Fall der Junge Huck ist. Die Erzählinstanz „ist fiktiv, also erfunden, und nicht identisch mit dem textexternen realen Autor – egal, wie zahlreich die Parallelen zwischen beiden auch sein mögen oder wie wenig der Erzähler konturiert sein mag“. (Lahn, 2013, S. 61)
Die Literaturwissenschaft ist inzwischen über das veraltete Modell des Ich- und Er-Erzählers hinausgewachsen und hat sich vom grammatischen hin zum ontologischen Modell entwickelt (Lahn, 2013, S. 76f.). Diese aktuellere Vorgehensweise ist daher diejenige, für die ich mich in dieser Hausarbeit entscheide.
„Die klassische Narratologie unterscheidet […] den offenen Erzähler und den verborgenen Erzähler, die man sich als die beiden Extrempunkte auf einer Skala vorstellen kann“ (Lahn, 2013, S. 63). Enthält ein Text viele Hinweise auf den Erzähler und behandelt ihn wie eine Figur, so liegt ein offener Erzähler vor. Er weist ein Persönlichkeitsprofil auf und ist dem Leser ebenso vertraut wie ein im Text beschriebener Charakter. Informationen über seinen Namen, sein Geschlecht, das Alter, den Beruf, seinen Familienstand, seine Abstammung, seine Heimat, Vorlieben und anderen Charaktereigenschaften können dem Text gegebenenfalls entnommen werden und dienen somit einer Beschreibung (Lahn, 2013, S. 64f.). Auch Informationen über seinen eigenen Vorgang des Erzählens offenbart der Sprecher gegebenenfalls, wie etwa, ob er den Text schriftlich oder mündlich tradiert, ob er sich vor Publikum befindet oder auch, ob es einen bestimmten Erzählanlass gibt.
Je weniger dieser Verweise auf den Erzähler vom Autor verwendet werden, umso verborgener bleibt er. Ein Extrembeispiel hierfür sind etwa Dramen, die die Dialoge rein als Auflistung und die Handlung in Form von Regieanweisungen beinhalten, oder Werke, die ausschließlich als innerer Monolog verfasst sind. Die Erzählung „Leutnant Gustl“ von Arthur Schnitzler ist etwa ein derartiges Beispiel. (Lahn, 2013, S. 63f.)
Ist der Erzähler erst identifiziert, so kann sein Verhältnis zur erzählten Welt untersucht werden. Stellt er selbst einen Teil der Geschichte dar, so spricht man vom homodiegetischen Erzähler. Ein heterodiegetischer Erzähler liegt dagegen vor, wenn er nicht in seiner eigenen Erzählung erscheint. Ein Sonderfall dieser Unterscheidung ist der autodiegetische Erzähler, der in seinem Text nicht nur eine Rolle spielt, sondern sogar die Hauptperson ist. (Lahn, 2013, S. 69)
Als nächstes muss sich die Analystin der Frage zuwenden, wann das erzählte Geschehen im Verhältnis zum Zeitpunkt des Erzählens stattfindet. Es gibt hier vereinfacht drei Möglichkeiten, die sie unterscheiden kann: die retrospektive, gleichzeitige oder prospektive Darstellung. Die erste Form, das retrospektive Erzählen, geschieht im Nachhinein der Handlung und wird grammatikalisch meist im Präteritum dargestellt. Bei einem nicht abgeschlossenen Geschehen, das retrospektiv erzählt wird, besteht die Möglichkeit, dass es in die zweite Form und die Zeitform des Präsens übergeht. Dies ist das gleichzeitige Erzählen in der Gegenwart, welches sozusagen „live“ das Geschehen verfolgt. Im dritten Fall, dem prospektiven Geschehen, lässt der Erzähler durch Vorausahnungen oder Orakelsprüche sein Wissen über die Zukunft in den erzählten Text einfließen. (Lahn, 2013, S. 92ff.)
Nach all diesen Betrachtungen über den Erzähler muss nun abschließend überlegt werden, an wen er sich eigentlich richtet. Genau wie zwischen Autor und Erzähler unterschieden werden muss, so ist diese Unterscheidung auch zwischen dem realen Leser eines Textes und dem fiktiven Gegenüber des Erzählers nötig. Dieses kann ebenso offen oder verborgen dargestellt sein wie der Erzähler selbst, und alle oben genannten Fragen nach Alter, Herkunft etc. können über den Adressaten ebenfalls gestellt und sollten im Rahmen der Analyse beantwortet werden. (Lahn, 2013, S. 96ff.)
2.1.2. Die Handlung
Zur übersichtlichen Darstellung der Handlung eines langen Werkes bietet es sich an, es zunächst in Kapitel und Unterkapitel zu gliedern. Anhand der dadurch entstehenden Liste kann festgestellt werden, ob Parallelhandlungsstränge oder Handlungsklammern verwendet werden. Eine Parallelhandlung liegt beispielsweise dann vor, wenn die Kapitel jeweils abwechselnd zwei verschiedene Schauplätze und unterschiedliche handelnde Charaktere beinhalten. In den meisten Fällen verknüpfen sich die beiden Stränge im Laufe des Romans. Eine Handlungsklammer ist etwa daran zu erkennen, dass beispielsweise das erste und das letzte Kapitel bestimmte Gemeinsamkeiten aufweisen. (Lahn, 2013, S. 222)
Die Handlung eines Romans kann entweder durch den Plot („plot driven“) entstehen, wenn die Ereignisse relativ figurenunabhängig im Vordergrund stehen, oder durch die Figuren („character driven“) vorangetrieben werden, die ihre eigenen Absichten und Ziele verfolgen. Es sind jedoch auch hier Mischformen denkbar. „Handlungsorientierte Genres wie zum Beispiel der Abenteuerroman sind besonders deutlich plot driven“ (Lahn, 2013, S. 219), behauptet Lahn. Diese These muss in Kapitel 2.1.6.2. weiter untersucht werden, da ich der Ansicht bin, dass Mark Twains Buch sowohl eindeutig dem Genre Abenteuerroman zuzuordnen ist, als auch, dass der Titelheld für den Handlungsverlauf hauptverantwortlich ist. Ob der Roman also „plot driven“ oder „character driven“ ist oder vielleicht einer Mischform dieser Muster entspricht, wird die praxisorientierte Analyse im weiteren Verlauf dieser Arbeit zeigen.
2.1.3. Die Figuren
In der Darstellung der Figuren kann zunächst zwischen „telling“ und „showing“ unterschieden werden (Lahn, 2013, S. 237). Ersteres ist der Fall, wenn der allwissende Erzähler die Informationen über die Figur liefert, er sie beschreibt und dem Leser vorstellt. Zeigt die Figur ihre Eigenschaften dagegen implizit oder stellt sie sich in wörtlicher Rede selbst vor, so spricht man von „showing“. Innerhalb eines Romans kann die jeweilige Form der Darstellung von Figur zu Figur unterschiedlich sein. In der Analyse muss festgehalten werden, welcher Methode sich der Autor bedient.
Daraufhin werden die Hauptfiguren, deren Profilierung durch Handeln, Rede, äußere Merkmale und Interaktion geschehen kann, so genau wie möglich beschrieben. Der Leser einer Literaturanalyse sollte die Figuren bildlich vor Augen haben, ihre Herkunft (soweit im Buch erwähnt) kennen, um ihre aktuellen Lebensumstände wissen und ihre Ziele und Absichten kennen. Auch soziale, kulturelle oder psychologische Aspekte spielen hierbei eine Rolle und können betrachtet werden. (Lahn, 2013, S. 246)
Zuletzt müssen die Beziehungen zwischen den einzelnen, dem Leser inzwischen wohlbekannten Charakteren betrachtet werden. Es empfiehlt sich hierfür die Anfertigung einer Illustration als Figurenkonstellation, in welcher beispielsweise die Hauptfigur in der Mitte platziert und durch Pfeile mit ihren Mit- und Gegenspielern verbunden ist. Die Beschriftung der Pfeile sollte den wichtigsten Aspekt des Verhältnisses zweier Figuren zueinander kennzeichnen, wie etwa Verwandtschaft, Liebe, Freundschaft oder Feindschaft.
2.1.4. Der Raum
Der in einem Roman dargestellte Raum kann auf ein einzelnes Zimmer beschränkt sein, eine Stadt oder ein Land umfassen oder sich über mehrere Galaxien erstrecken. Zunächst sollte der Handlungsraum daher abgegrenzt werden. Es ist denkbar, dass es beispielsweise zwei oder mehr Orte gibt, an welchen sich ein Großteil der Handlung abspielt, oder auch, dass die Handlung in Form einer Reise von Ort zu Ort verläuft. Bei einigen Texten bietet es sich der Übersichtlichkeit halber an, eine Art Landkarte zu erstellen, auf welcher der Weg der Hauptfigur(en) eingetragen werden kann. Ob die Ortsnamen fiktiv sind oder sich in der Realität wiederfinden, kann ebenfalls festgehalten werden. Weiterhin muss zwischen Erzählraum und Handlungsraum unterschieden werden. Ersterer „definiert den Ort, an dem der Erzähler sich aufhält und von dem aus er spricht“, der Handlungsraum hingegen „definiert den Ort oder die Orte, wo die Figuren agieren und die Geschehnisse stattfinden“. (Lahn, 2013, S. 248)
Zudem kann untersucht werden, ob es der Erzähler ist, der die im Text erscheinenden Räume einführt und beschreibend öffnet, oder ob die Figuren selbst diese Aufgabe erfüllen und dem Leser durch ihr Handeln und Reden vermitteln, in welcher Umgebung sie sich befinden. (Lahn, 2013, S. 247ff.) Diese Unterscheidung lässt sich durch die bereits aus der Figurenanalyse bekannten Begriffe „telling“ und „showing“ beschreiben.
Auf ähnliche Art, wie bei den Figuren die Hauptfiguren erkannt werden können, gibt es auch Hauptschauplätze und Nebenschauplätze. Je weniger Zeit der Analytiker zur Verfügung hat, umso mehr sollte er sich auf die Hauptschauplätze konzentrieren. Die exakte Beschreibung eines Ortes kann etwa für die Adaption eines Romans als Theaterstück oder Film erforderlich sein, aber auch für ein erlebnispädagogisches Projekt in der Natur ist es wichtig, eine Vorstellung von den Orten zu haben, an denen die Handlung im Original spielt. Je genauer die Textvorlage den Teilnehmern in dieser Hinsicht bekannt ist, umso leichter fällt die Identifikation mit den Ereignissen oder im gegenteiligen Fall die Abgrenzung der eigenen Realität von der Vorlage. Einige wenige Handlungsräume sollten daher möglichst genau beschrieben werden.
2.1.5. Die Zeit
Bei der Betrachtung dieses Aspektes liegt ein wichtiger Unterschied zwischen der Erzählzeit und der erzählten Zeit, der dem Analytiker bewusst sein muss. Die Erzählzeit eines Werkes beträgt genau die Zeit, die der Leser benötigt, um das Buch vom ersten bis zum letzten Buchstaben zu lesen. Sie wird meist in Seiten oder Wörtern angegeben, da das Lesetempo jedes Rezipienten unterschiedlich ist und eine Angabe in Stunden und Minuten daher nicht funktioniert. Eine Analyse der Erzählzeit ist im Rahmen einer klassischen Literaturuntersuchung nicht nötig.
Die erzählte Zeit einer Geschichte ist die Zeit, die innerhalb des Werkes dargestellt wird. Spielt das gesamte Geschehen an einem einzigen Tag, so beträgt die erzählte Zeit exakt diese 24 Stunden. Sie kann sich jedoch auch über mehrere Monate, die gesamte Lebensspanne einer Figur oder viele Jahrhunderte erstrecken. Für die Analyse ist die erzählte Zeit relevant, da der Untersuchende feststellen sollte, welche Zeitspanne die Geschichte insgesamt einnimmt. Innerhalb dieser Spanne, welche als Zeitstrahl visualisiert werden kann, ist es anschließend möglich, einzelne und wichtige Ereignisse zu fixieren und so einen Überblick über den chronologischen Ablauf der Handlung zu erhalten.
Der zeitliche Aspekt schließt die Theorie der Textarbeit ab. Die „To-do“-Liste der Literaturanalyse, die ich erstellt habe, findet sich in Anhang 1 der Arbeit. Sie wird im nun folgenden Kapitel zur Analyse eines Ausschnitts des Buches „Tom Sawyer“ herangezogen.
2.1.6. Praxisbezogene Anwendung der Analysetechniken
Ich werde im Folgenden der von mir erarbeiteten „To-do“-Liste folgen und Schritt für Schritt das Werk Mark Twains analysieren. Wie bereits erwähnt, werde ich dabei nicht den gesamten Roman berücksichtigen, sondern nur die Kapitel 13-18. Ein grober Überblick über die in deren Vorfeld geschehene Handlung soll zunächst dem Leser die Ausgangssituation der Figuren vorstellen.
Kapitel 1-8 dienen vor allem der Charakterisierung der Figuren, insbesondere der der Hauptfigur Tom. In diesem Abschnitt gewinnt er etwa eine Schlägerei, bringt die anderen Jungen des Dorfes durch einen Trick dazu, ihm die Arbeit des Zaunstreichens abzunehmen, erheischt sich durch eine List Aufmerksamkeit in der Schule und flirtet mit Becky, einer Klassenkameradin. Auch seine Freunde Huck und Joe werden dem Leser am Rande vorgestellt, wobei Joe aus ähnlichen Verhältnissen wie Tom kommt und Huck ein aus der Dorfgemeinschaft Ausgeschlossener ist und allein lebt.
In den Kapiteln 9-12 entsteht ein neuer Handlungsstrang. Tom und Huck beobachten einen Mord auf einem Friedhof, den ihr Gegenspieler Indianer Joe verübt und seinem betrunkenen Kumpanen Muff Potter in die Schuhe schiebt, der sich an nichts erinnert. Sie verspüren daraufhin große Angst vor dem Verbrecher sowie ein schlechtes Gewissen, da sie sich nicht trauen, als Augenzeugen aufzutreten und den unschuldig der Tat verdächtigten Muff Potter durch ihre Aussage zu entlasten.
Die Kapitel 13-18 spielen sich größtenteils auf der Insel „Jackson Island“ im Mississippi ab, auf der die Jungen Tom, Huck sowie ihr Klassenkamerad Joe Harper einige Tage als Bande verbringen. Nur Tom verlässt das Eiland kurzzeitig, um in die Stadt zurückzukehren und seine Tante Polly unbemerkt zu besuchen. Das Abenteuer endet mit der durch Tom geplanten Wiederkehr zu den Familien, die um den Verlust der Kinder trauern, während ihres eigenen Gedenkgottesdienstes. Dieser Abschnitt soll im Folgenden entsprechend der im Vorfeld erarbeiteten „To-do“-Liste analysiert werden.
Im Anschluss an das 18. Kapitel erleben die Jungen weitere Abenteuer und müssen sich dem Bösewicht des Romans, Indianer Joe, stellen, wodurch die Handlungsklammer der Kapitel 9-12 wieder aufgegriffen wird.
2.1.6.1. Analyse des allwissenden Erzählers
Die Erzählstimme tritt allwissend auf: „Zu überlegen, wer die Opfer ihrer Piratenstreiche sein sollten, kam ihnen nicht in den Sinn“ (Twain, 2011, S. 104). Da das Geschehen immer wieder von ihm kommentiert wird, liegt kein komplett verborgener Erzähler vor: „Wir wollen sie bei ihrem Rauchen, Schwatzen und Prahlen lassen, da wir im Augenblick keine weitere Verwendung für sie haben“ (Twain, 2011, S. 134). Er nennt sich selbst einen großen und weisen Philosophen (Twain, 2011, S. 27) und spricht den ansonsten verborgenen Adressaten teilweise direkt an (Twain, 2011, S. 17). Über sein Alter liegen Hinweise darauf vor, dass es sich um eine erwachsene Person und nicht ebenfalls einen Jugendlichen wie die Figuren handelt, da er über diese Lebensperiode mit einem gewissen emotionalen Abstand berichtet: „leichtsinnig, wie die Jugend nun einmal ist“ (Twain, 2011, S. 132). Auf der in Kapitel 2.1.1. dargestellten Skala zwischen offener und verborgener Stimme ist die Vorliegende daher nicht komplett an einem Ende anzusiedeln, für einen Schwerpunkt in Richtung der offenen Erzählinstanz liegen jedoch viel zu wenige Informationen über sie vor. Es handelt sich dadurch um einen relativ verborgenen Erzähler.
Er ist selbst keine der aktiven Figuren in der Geschichte, kennt sich jedoch mit deren Lebensumständen sowohl räumlich als auch zeitlich aus und weiß so etwa, dass Streichhölzer „damals in dieser Gegend noch kaum bekannt“ (Twain, 2011, S. 106) waren. Er kann daher als homodiegetisch (Teil der erzählten Welt) bezeichnet werden, nimmt jedoch keine ins Geschehen eingreifende Rolle ein. Über seine Erzählsituation liegen keine Informationen im Text vor. Der Erzählzeitpunkt befindet sich aufgrund der Verwendung des Präteritums nach Ablauf der Handlung, wodurch die Retrospektive vorliegt.
2.1.6.2. Analyse der Handlung und Einteilung in Unterkapitel
Der zu bearbeitende Abschnitt besteht aus sechs Kapiteln. Diese können der Übersichtlichkeit halber weiter unterteilt werden. Einen entsprechenden Vorschlag habe ich in Form der folgenden Tabelle ausgeführt. Es entstehen so vierzehn Abschnitte, aus welchen die Handlung besteht.
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Tabelle 1: Unterkapitel der Kapitel 13-18 im Buch (eigene Darstellung)
Eine Handlungsklammer liegt zwischen den Kapiteln 15 und 18 vor, die beide nicht auf der Insel, sondern im städtischen Umfeld spielen. Dieser Verlauf der Handlung wird in Kapitel 4.3. aufgegriffen werden, wenn die Klassenfahrt angelehnt an die Inhalte des Romans konzipiert wird. Zunächst wende ich mich der weiteren Literaturanalyse zu.
Mark Twain treibt seine Handlung in der Unterscheidung Lahns „character driven“ voran. Die Figuren, in erster Linie Tom, sind durch ihre Ziele und die Absicht, als Piraten auf der Insel zu leben, verantwortlich für den Fortgang der Handlung. Die Aussage Silke Lahns, ein Abenteuerroman wäre grundsätzlich „plot driven“ (siehe Kapitel 2.1.2. dieser Arbeit), ist somit für diesen individuellen Fall widerlegt[6].
2.1.6.3. Analyse der Figuren mit Fokus auf ihren Umgang mit Schwäche
Die Hauptfigur in den vorliegenden Kapiteln ist Tom Sawyer, die Nebenfiguren Huck Finn und Joe Harper. Als Hauptperson identifizierbar ist Tom rein objektiv durch den Buchtitel, sowie durch die Beschreibung seiner Exkursion in die Stadt, bei der der Erzähler ihn beschreibend verfolgt und nicht etwa bei Huck und Joe im Lager verweilt. Diese drei Jungen sollen nun charakterisiert werden. Die am Rande ebenso auftretenden Dorfbewohner spielen in diesem Abschnitt eine sehr untergeordnete Rolle und werden daher hier vernachlässigt.
Ich beginne mit dem Titelhelden des Romans, Tom Sawyer. Sein konkretes Alter wird im Buch nicht genannt, er befindet sich etwa im dreizehnten bis fünfzehnten Lebensjahr. Auch sein Aussehen bleibt bis auf seine „kurzen Locken“ (Twain, 2011, S. 37) weitgehend unerwähnt, die er sich gerne glatt kämmt. Durch diese nur sehr vage Erwähnung körperlicher Merkmale bietet der Erzähler den Lesern ein größeres Identifikationspotential an. Tom lebt mit seiner Tante Polly und seinem Halbbruder Sid in der kleinen Stadt St. Petersburg am Mississippi. Er hat sich im Vorfeld des 13. Kapitels in seine Mitschülerin Becky verliebt, die diese Liebe jedoch nicht erwidert. Als er sie auf dem Schulhof sah, begann er, mit ihr zu flirten, „sie aber wandte sich ab, die Nase hoch in die Luft“ (Twain, 2011, S. 102). In der Ausgangssituation des Kapitels 13 fühlt Tom sich daher „gedemütigt und niedergeschmettert“, „niedergedrückt und verzweifelt“. Diese Informationen liefert der Erzähler durch die Methode des „telling“.
Der Junge beschließt, von nun an das Leben eines Verbrechers zu führen, „um der schlechten Behandlung und dem Mangel an Verständnis daheim zu entgehen, indem er in die weite Welt“ wandert. Die Wahl fällt schließlich auf das Piratendasein. (Twain, 2011, S. 103f.)
Joe Harper befindet sich zu Beginn in einer ähnlichen Ausgangssituation wie Tom und startet das Abenteuer „mit hartem, entschlossenem Blick“. Er wurde von seiner Mutter fälschlicherweise eines Diebstahls verdächtigt und verprügelt und fühlt sich demnach von ihr verstoßen und „in die lieblose Welt hinausgetrieben“ (Twain, 2011, S. 104). Sein Plan sah zunächst vor, Eremit zu werden, jedoch schließt er sich gerne Toms Vorhaben an, ein Verbrecherleben als Pirat zu führen. Er bleibt in der Darstellung schemenhaft hinter Tom und Huck zurück, die beide deutlicher charakterisiert werden und auch im weiteren Verlauf des Romans im Gegensatz zu Joe eine tragende Rolle einnehmen. Dennoch – oder gerade deshalb – bietet auch Joe Potential zur Identifikation der Leser. Er ist der erste, der es wagt, seinen durch Heimweh hervorgerufenen Wunsch nach Rückkehr zu den Familien laut zu äußern und wird für diese Schwäche von Tom verachtet, obwohl dieser ähnlich fühlt. (Twain, 2011, S. 117)
Der Dritte im Bunde, Huck Finn, kommt aus niedrigeren sozialen Verhältnissen als seine zwei Mitstreiter. Während Tom und Joe bei ihren Familien leben, die Schule besuchen und eine gesellschaftlich genormte Erziehung genießen, wächst Huck ohne Mutter und mit alkoholsüchtigem Vater auf, der ihn sich größtenteils selbst überlässt. Der Erzähler führt ihn ein als „den jugendlichen Paria des Ortes, Huckleberry Finn, den Sohn des Trunkenboldes der kleinen Stadt“ (Twain, 2011, S. 56). Sein Leben spielt sich daher außerhalb gesellschaftlicher Konventionen ab, wodurch ihm das Piratenleben willkommen ist und er sich den beiden anschließt, ohne zu zögern. Durch seine Fähigkeit des Pfeifenrauchens, die den beiden Freunden Tom und Joe vor der Inselepisode fehlt, besitzt er eine machtvolle und beneidete Position, da dieses Ritual im Buch als Motiv der Freiheit und des Erwachsenwerdens der Jugendlichen verwendet wird. Es wird eine tragende Rolle in der erlebnispädagogischen Bearbeitung spielen.
Was für die Analyse im Rahmen dieser Hausarbeit besonders im Fokus steht, ist die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen im Verlauf ihrer Naturerfahrung auf der Insel. Festzuhalten ist daher bei Tom und Joe die Niedergeschlagenheit zu Beginn des Abenteuers, siehe oben. Sie ist verursacht durch negative Erfahrungen mit den Menschen in ihrem Umfeld und durch den Verlust des Vertrauens in sie. Sie fühlen sich alleingelassen und von ihren Familien abgelehnt und sogar verstoßen. Aus diesem Gefühl heraus entsteht der Plan, ihren Liebsten zu beweisen, dass diese sie entgegen ihrer Vorwürfe und Bestrafungen doch lieben und vermissen würden, wenn sie verschwunden sind. Diese Thematik zeigt sich in dem Plan, mit einem Paukenschlag während des Gottesdienstes zurückzukehren und so die geballte Freude und Liebe der Angehörigen zu erfahren. Auch dieses Motiv der Heimkehr wird sich in der Praxis wiederfinden.
Ein besonderes Augenmerk liegt weiterhin auf Toms heimlicher Exkursion in die Stadt zu seiner Tante, der er sich zwar nicht zeigen, ihr aber eine Nachricht hinterlassen will, um die tiefe Trauer durch seinen Verlust von ihnen zu nehmen. Das Motiv des Briefes an die Familie findet sich im Konzept später wieder. Er verheimlicht diesen Plan vor seinen Freunden und amüsiert sich stattdessen über deren Heimweh. „Schließlich wagte Joe, vorsichtig einen Fühler auszustrecken, um abzutasten, wie die anderen wohl über eine Rückkehr in die Zivilisation dächten - […] Toms sengender Hohn ließ Joe in sich zusammenschrumpfen“ (Twain, 2011, S. 117). Der Umgang mit derartigen Gefühlen, die als Schwäche interpretiert werden, findet innerhalb dieser Gruppe nur herablassend und wenig einfühlsam statt. Auch als Tom und Joe nach ihrer ersten Erfahrung des Rauchens eine große Übelkeit überkommt, wird diese Reaktion nicht offen gezeigt. Sie bevorzugen es stattdessen, unter einem Vorwand einzeln in den Wald zu gehen und sich dort zu übergeben, um den Schein ihres durch nichts zu erschütternden Charakters zu wahren. Auf der Klassenfahrt soll später der Initiationsritus des Rauchens durch ein Solo (Übernachtung allein unter freiem Himmel) umgesetzt werden.
Die Beziehungen der nun vorgestellten Charaktere zueinander können als Figurenkonstellation bildlich veranschaulicht werden. Da Toms Bruder Sid und auch der Gegenspieler der Jungen, Indianer Joe, keine tragende Rolle in diesem Abschnitt der Buchvorlage innehaben, werden sie im Gegensatz zu der entsprechenden Figurenkonstellation der Filmanalyse hier vernachlässigt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Figurenkonstellation im Buch (eigene Darstellung)
2.1.6.4. Analyse des Raumes auf der Insel
Ausgangspunkt des Geschehens ist der Hof von Toms Schule, von dem aus er sich in die Wildnis begibt. Er trifft auf seinem Weg anschließend Joe und Huck. Die drei Jungen sammeln daraufhin als Nahrungsmittel Schinken und Speck sowie Utensilien zu deren Zubereitung (Twain, 2011, S. 105f.) und verabreden sich um Mitternacht am Flussufer. Sie setzen anschließend per Floßfahrt auf Jackson Island im Mississippi über. Hier spielen sich für Joe und Huck die nächsten fünf Tage ab, nur Tom unternimmt eine Exkursion zurück zu seiner Familie nach St. Petersburg. Der Handlungsraum ist also auf diese Gegend beschränkt, wobei der Nebenschauplatz die Stadt St. Petersburg und der Hauptschauplatz die wenige Kilometer entfernte Insel Jackson Island ist. Es existiert weder ein gleichnamiger realer Ort noch diese fiktive Insel in Amerika, eine Ortschaft namens Jackson Island liegt jedoch in der Nähe des Mississippi etwa 50 Kilometer nördlich von Memphis im Bundesstaat Arkansas. Über den Erzählraum, aus dem der Erzähler berichtet, ist nichts bekannt.
Die Insel ist „etwa drei Meilen lang und eine Viertelmeile breit“ (Twain, 2011, S. 114) und durch einen nur etwa 200 Yard schmalen Kanal vom nächsten Ufer getrennt, welches jedoch, so erfährt der Leser, nicht dasjenige ist, an welchem St. Petersburg liegt, sondern zum Staat Illinois gehört. Jackson Island ist daher nur schwimmend oder per Boot / Floß erreichbar und bietet daher eine größere Unzugänglichkeit und Privatheit als ein Ort am Festland. Auf der Insel stellt das aufgeschlagene Lager den Hauptschauplatz dar. Es besteht nicht aus Zelten, sondern nur aus einer die Vorräte schützenden Plane, die über ein Gebüsch gespannt ist. Die Jungen „selbst aber wollten bei gutem Wetter unter freiem Himmel schlafen, wie es sich für Räuber geziemte“ (Twain, 2011, S. 108).
[...]
[1] Ich verwende die Ausgabe des Anaconda-Verlags, welche ebenfalls die Fortsetzung „Huckleberry Finn“ von Mark Twain beinhaltet.
[2] Grundlage für diesen ersten Theorieteil ist das Werk „Einführung in die Literaturanalyse“ von Silke Lahn und Jan Christoph Meister. Ich habe bereits in meinem Germanistikstudium mit ihm gearbeitet.
[3] Dazu ziehe ich Werner Faulstichs „Grundkurs Filmanalyse“ heran, welches mir ebenfalls bereits durch das Studium bekannt ist.
[4] Ich beziehe mich dabei auf Stephen Bacon und Cornelia Schödlbauer. Eine Hinzunahme von Carl Gustav Jungs Theorie der Archetypen habe ich erwogen, dann jedoch verworfen. Ihre Anwendung auf die Erlebnispädagogik im Rahmen dieser Hausarbeit erschien mir zu wenig begründbar.
[5] Lehrerinnen und Lehrer, siehe Abkürzungsverzeichnis. Die Verwendung von Begriffen in ihrer maskulinen oder femininen Form dient allein der besseren Lesbarkeit und ist in jedem Fall geschlechterneutral zu werten.
[6] Grund hierfür kann die Besonderheit der Jugendspezifik sein, da eine von den Charakteren getriebene Handlung für die durch die jugendlichen Hauptfiguren besonders zu beachtende Zielgruppe junger Leser ansprechender ist und zu mehr Identifikation führen kann als eine durch den Plot entstehende Handlung.
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