Der Hausarzt bei Buddenbrooks. Krankheit und Tod im 19. Jahrhundert


Redacción Científica, 2017

45 Páginas


Extracto


Inhaltsübersicht

Einleitung

Die zum Tod führenden Krankengeschichten
Antoinette und Johann Buddenbrook sen.
Lebrecht Kröger
Konsul Johann Buddenbrook jun.
Gotthold Buddenbrook
James Möllendorpf
Clara Tiburtius, geb. Buddenbrook
Elisabeth (Bethsy) Buddenbrook, geb. Kröger
Senator Thomas Buddenbrook
Hanno Buddenbrook

Ärzliche und pflegerische Betreuung im 19. Jahrhundert
Krankenpflege
Ärzte
Sterbebegleitung
Die Nerven
Intensivtherapie bei Typhus

Zwei Langzeitkrankengeschichten
Hanno, Umstände seiner Geburt und weitere Entwicklung
Christian Buddenbrook – ein Lebensweg in die Anstalt

Die Buddenbrooks im medizinhistorischen Kontext

Resümee

Anmerkungen

Literatur

Die aus dem Roman übernommenen Textstellen sind kursiv gesetzt. Hierbei wird jeweils das Kapitel angegeben, dem sie entnommen sind, z. B.: (2 /4) = zweiter Teil, viertes Kapitel.

Diese Zitierweise erlaubt die Benutzung aller Textausgaben des Romans:

Thomas Mann, Buddenbrooks. © S.Fischer Verlag, Berlin 1901.

Alle Rechte vorbehalten S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.

Der Autor dankt dem S.Fischer-Verlag für die die freundlich erteilte Zitiererlaubnis.

Zahlen in Klammern verweisen auf die Anmerkungen

Einleitung

Buddenbrooks von Thomas Mann, erschienen im Jahre 1901, ist einer der meistgelesenen und bekanntesten Romane der neueren deutschen Literatur. Geschildert wird die Geschichte einer Lübecker Großkaufmannsfamilie über vier Generationen von 1835 bis 1877. Zu den Nebenfiguren der Romanhandlung gehören die Hausärzte der Familie: Doktor Grabow und sein Nachfolger Doktor Langhals. Das Wirken dieser beiden Ärzte steht im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen.

Thomas Mann verarbeitet in Buddenbrooks nicht etwa Krankengeschichten zu einem Roman, vielmehr gestaltet er einen über mehr als vier Jahrzehnte reichenden Familienroman mit zahlreichen daran beteiligten Personen. Deren Befindlichkeitsstörungen, Leidensgeschichten, Krankheiten, insbesondere sol-che, die zum Tode führen, beschreibt der Autor eingehend, teilweise bis hin zu einzelnen Symptomen genau. Kein Detail ist hier erfunden, alles ist irgendwo erlebt, verbürgt, durch intensive Studien angeeignet. So ermöglicht der Romantext fast nebenbei Einblicke in gesundheitliche Probleme dieser Menschen und die ärztliche Realität im neunzehnten Jahrhundert.

Im ersten Teil der Abhandlung werden die Sterbefälle dargestellt und hier und da aus heutiger Sicht kommentiert. In einem zweiten Abschnitt werden Aspekte der Medizin und des ärztlichen Wirkens im 19. Jahrhundert, soweit sie im Roman aufscheinen, geschildert und gegebenenfalls aktuell beleuchtet. Schließlich werden zwei lebenslange Krankengeschichten ausgebreitet, die des kleinen Hanno, der sechzehnjährig stirbt, und die seines Onkels Christian, dessen Leiden ihn am Ende in eine psychiatrische Anstalt bringt. Die Darstellung erfolgt soweit möglich in enger Anlehnung an den Originaltext. Am Ende erfolgt eine Einordnung in die medizinhistorischen Gegebenheiten.

Zur Erinnerung und für diejenigen, die den Roman nicht gelesen haben, werden hier die wesentlichen Personen der Romanhandlung vorgestellt. Diese beginnt mit Johann Buddenbrook sen. und seiner zweiten Frau Antoinette. Deren Sohn Johann jun. ist verheiratet mit Elisabeth (Bethsy), geb. Kröger, Tochter von Lebrecht Kröger. Dieser Ehe entstammen vier Kinder: Thomas, Antonie (Tony), Christian und Clara. Thomas heiratet Gerda Arnoldsen aus Amsterdam. Deren Sohn Hanno ist der letzte Träger des Namens Buddenbrook. (Der ersten Ehe von Johann Buddenbrook sen. entstammt der Sohn Gotthold, dessen Mutter nach der Entbindung starb.) Der Titel Konsul (1) geht von Johann jun. zunächst an seinen Halbbruder Gotthold und nach dessen Tod 1856 an Thomas Buddenbrook. Dieser wird dann 1863 auch noch zum ehrenamtlichen Senator der Stadt Lübeck gewählt wird.

Die zum Tod führenden Krankengeschichten

Antoinette und Johann Buddenbrook sen. (1765 - 1842)

(2 /4) Es war nicht bloß Altersschwäche, was die alte Madame Antoinette Buddenbrook, [….], an einem kalten Januartag endgültig auf ihr hohes Himmelbett im Schlafzimmer des Zwischengeschosses darniederwarf. Die alte Dame war rüstig gewesen bis zuletzt und hatte ihre dicken weißen Seitenlocken mit mit aufrechter Würde getragen;[….]. Eines Tages aber, ganz plötzlich, hatte sich ein halb unbestimmbares Leiden eingestellt, ein leichter Darmkatarrh anfangs nur, gegen den Dr. Grabow ein wenig Taube und Franzbrot verordnet hatte, eine mit Erbrechen verbundene Kolik, die mit unbegreiflicher Schnelligkeit Entkräftung herbeiführte, einen sanften und hinfälligen Zustand, der beängstigend war. Als dann Doktor Grabow mit dem Konsul eine kurze, ernste Unterredung draußen auf der Treppe gehabt hatte, als ein zweiter, neu hinzu-gezogener Arzt, [...], neben Grabow aus und ein zu gehen begann, da änderte sich langsam die Physiognomie des Hauses. [….]; der Gedanke an den Tod hatte sich Einlaß verschafft und herrschte stumm in den weiten Räumen.

Droben saß Johann Buddenbrook am Krankenbette und blickte, die matte Hand seiner alten Nette in der seinen, mit erhobenen Brauen und ein wenig hängender Unterlippe stumm vor sich hin. [….] Der Alte mochte sich erinnern, wie er vor sechsundvierzig Jahren zum ersten Male am Sterbebett einer Gattin gesessen hatte, [….]. Er dachte nicht viel, er sah nur unverwandt und mit einem leisen Kopfschütteln auf sein Leben und das Leben im Allgemeinen zurück, das ihm plötzlich so fern und wunderlich erschien, [….]. Manchmal sagte er mit halber Stimme vor sich hin: „Kurios! Kurios!“ … Und als dann Madame Buddenbrook ihren letzten, ganz kurzen und kampflosen Seufzer getan hatte, [….], - da änderte sich seine Stimmung nicht, da weinte er nicht einmal, aber dies leise, erstaunte Kopfschütteln blieb ihm, und dies beinahe lächelnde „Kurios!“ wurde sein Lieblingswort … Kein Zweifel, daß es auch mit Johann Buddenbrook zu Ende ging.

Alsbald übertrug er die Firma seinem Sohn und bisherigen Associé Johann als alleinigem Inhaber. Danach aber, … als der Alte fortan sich weigerte, noch einen Fuß ins Kontor zu setzen, da nahm seine Apathie in erschreckender Weise zu, da genügte, Mitte März, ein paar Monate nur nach dem Tode seiner Frau, irgendein kleiner Frühlingsschnupfen, um ihn bettlägerig zu machen, - und dann, in einer Nacht, kam die Stunde, wo die Familie auch sein Bett umstand, wo er zum Konsul sagte: „Alles Glück – Jean! Und immer courage!“ Und zu Thomas: „Hilf deinem Vater!“ Und zu Christian: „Werde was Ordentliches!“ – Worauf er schwieg, alle anblickte und sich mit einem letzten „Kurios!“ nach der Wand kehrte.

Die Todesursache der alten Frau Buddenbrook bleibt unbekannt, da kommen viele Erkrankungsmöglichkeiten im Bereich des Bauches in Frage. Mit heutigen diagnostischen und therapeutischen Verfahren würde man das schnell abklären und möglicherweise erfolgreich behandeln können. Ob dem 77jährigen Johann Buddenbrook sen. mit einer Optimierung seiner Herzkreislaufsituation und einer stimmungsaufhellenden Therapie zu einem längeren Leben hätte verholfen werden können, bleibt Spekulation.

Lebrecht Kröger (1768 - 1848)

Die folgende Episode ereignet sich 1848 während der Revolution in Lübeck. Die Mitglieder der „Bürgerschaft“ waren im Saal der Bier- und Tanzwirtschaft der Witwe namens Suerkringel (2) versammelt, während auf der Straße der Mob tobte. Die Sitzung konnte nicht eröffnet werden, die Bürgerschaftsmitglieder konnten den Saal aber auch nicht verlassen.

Lebrecht Kröger, Konsul Buddenbrooks achtzigjähriger Schwiegervater tobte: (4 /3) „Wo ist mein Wagen? … Ich befehle meinen Wagen!“ kommandierte Lebrecht Kröger gänzlich außer sich. Seine Wut explodierte, er bebte am ganzen Leibe. „Ich habe ihn auf fünf Uhr bestellt! … Wo ist er? … Die Sitzung wird nicht abgehalten. Was soll ich hier? … Ich bin nicht gesonnen, mich narren zu lassen! … Ich will meinen Wagen! … Insultiert man meinen Kutscher? Sehen Sie nach, Buddenbrook!“

Als der Wagen schließlich vorfahren kann, höhnt der Alte: (4 /4) „Beliebt der Pöbel, mich in mein Haus zurückkehren zu lassen?“ Da fliegt auch noch ein Stein durch das offene Wagenfenster, ohne weiter Schaden anzurichten. Dann aber kam es ganz tief aus ihm heraus, langsam kalt und schwer, ein einziges Wort: „Die Canaille.“ [….] Der Konsul entsetzte sich, als er hier in das Gesicht seines Schwiegervaters sah. Es war gelb und von schlaffen Furchen zerrissen. Der kalte, feste und verächtliche Ausdruck, den der Mund bis dahin bewahrt, hatte sich zu einer schwachen, schiefen, hängenden und blöden Greisengrimasse verzerrt… Der Wagen hielt an der Terrasse. [….] Am Fuße der Stufen knickte der Greis in die Knie. Der Kopf fiel so schwer auf die Brust, daß der hängende Unterkiefer mit klappendem Geräusch gegen den oberen schlug. Die Augen verdrehten sich und brachen. Lebrecht Kröger, der à la mode-Kavalier, war bei seinen Vätern.

Der achtzigjährige Mann, sein Leben lang ein dominanter Typ, gerät aus der Situation heraus in einen hochgradigen Erregungszustand, wahrscheinlich mit stark erhöhtem Blutdruck, und stirbt vermutlich einen plötzlichen Herztod. Das ist nicht ungewöhnlich.

Konsul Johann Buddenbrook jun. (1800 - 1855)

(4 /11) Was folgt, geschah im Spätsommer des Jahres fünfundfünfzig. an einem Sonntagnachmittage. Buddenbrooks saßen im Landschaftszimmer und warteten auf den Konsul, der sich unten noch ankleidete. [….]

Die Luft war dumpf. Draußen war das letzte Stück Blau verschwunden, und tief, schwer und trächtig hing der dunkelgraue Himmel hernieder. [….]

Die Schwüle schien verdoppelt, die Atmosphäre schien einen sich binnen einer Sekunde rapide steigernden Druck auszuüben, der das Gehirn beängstigte, das Herz bedrängte, die Atmung verwehrte. […] Und dieser unentwirrbare Druck, diese Spannung, diese wachsende Beklemmung des Organismus wäre unerträglich geworden, wenn sie den geringsten Teil eines Augenblicks länger gedauert hätte, wenn nicht auf ihrem sofort erreichten Höhepunkt eine Abspannung, ein Überspringen stattgefunden hätte… ein kleiner erlösender Bruch, der sich unhörbar irgendwo ereignete, den man gleichwohl zu hören glaubte… wenn nicht in demselben Moment, fast ohne daß ein Tropfenfall vorhergegangen wäre, der Regen hereingebrochen wäre, daß das Wasser im Rinnstein schäumte und auf dem Bürgersteig hoch emporsprang. … [….]

„So“ sagte Tom. „Das kühlt in zwei Minuten. Nun werden draußen die Tropfen an den Bäumen hängen, und wir werden in der Veranda Kaffee trinken. Thilda, mach mal das Fenster auf.“ [….]

Da kam Line, das Folgmädchen Line im Laufschritt durch die Säulenhalle und fuhr so heftig in das Zimmer herein, daß Ida Jungmann beschwichtigend und vorwurfsvoll ausrief: „Gott, ich sage! …“ Lines ausdruckslose blaue Augen waren weit aufgerissen, und ihre Kinnbacken arbeiteten eine Weile vergebens… „Ach Fru Konsulin, ach nee, nu kamen S’ man flink, … ach Gottes nee, wat heww ick mi verfiert…! [….] oäwer dat is mit den Herrn, und ick wollt man die Stiefel bringen, un doar sitt Herr Konsul doar upp’m Lehnstauhl und kann nich reden und kiemt man immer bloß so, un ick glöw, dat geht nich gaut, denn der Herr Konsul is ook goar tau geel …“

„Zu Grabow!“ schrie Thomas und drängte sie zur Tür hinaus. „Mein Gott! O mein Gott!“ rief die Konsulin ,indem sie die Hände neben ihrem Gesicht faltete und hinauseilte … „Zu Grabow… mit einem Wagen…sofort!“ wiederholte Tony atemlos. Man flog die Treppe hinunter, durchs Frühstückszimmer, ins Schlaf-zimmer. Aber Johann Buddenbrook war schon tot.

Schwierige Wetterverhältnisse, wie sie beim Durchzug einer Gewitterfront bestehen, sind ein Stressfaktor für Herz und Kreislauf, vielleicht Anlass, sicherlich nicht Ursache des plötzlichen Todes, der den 55jährigen aus guter Gesundheit heraus trifft, wahrscheinlich Folge eines akuten Herzinfarks. An Hinweisen in der Vorgeschichte des Konsuls hatte es nicht gefehlt. Gelegentlich hatte er Schwindelanfälle bemerkt und in letzter Zeit Kongestionen und Herzklopfen nach körperlichen Belastungen. Der heutige Mensch ist gut beraten, mit solchen Symptomen ärztlichen Rat zu suchen. Moderne Kardiologie vermag da manches vorzeitige Ableben zu abzuwenden.

Gotthold Buddenbrook (1796 -1856)

(5 /4) Im Mai geschah es, daß Onkel Gotthold, Konsul Gotthold Buddenbrock, nun sechzigjährig, in einer traurigen Nacht von Herzkrämpfen befallen ward und in den Armen seiner Gattin, der geborenen Stüwing, eines schweren Todes starb.

So stirbt „man“ heute nicht mehr. Der 60jährige wäre bei akutem oder neuerlichem Auftreten von Brustschmerzen notfallmäßig in die Klinik gebracht worden, wo man ihm vielleicht hätte helfen können.

James Möllendorpf (gest. 1863)

(7 /3) James Möllendorpf, der älteste kaufmännische Senator, starb auf groteske und schauerliche Weise. Diesem diabetischen Greise waren die Selbsterhaltungstriebe so sehr abhanden gekommen, daß er in den letzten Jahren seines Lebens mehr und mehr einer Leidenschaft für Kuchen und Torten unterlegen war. Doktor Grabow, der auch bei Möllendorpfs Hausarzt war, hatte mit aller Energie, deren er fähig war, protestiert, und die besorgte Familie hatte ihrem Oberhaupt das süße Gebäck mit sanfter Gewalt entzogen. Was aber hatte der Senator getan? Geistig gebrochen, wie er war, hatte er sich irgendwo in einer unstandesgemäßen Straße, [….], ein Zimmer gemietet, eine Kammer, ein wahres Loch, wohin er sich heimlich geschlichen hatte, um Torte zu essen… Und dort fand man auch den Entseelten, den Mund noch voll halb zerkauten Kuchens, dessen Reste seinen Rock befleckten und auf dem ärmlichen Tische umherlagen. Ein tödlicher Schlaganfall war der langsamen Auszehrung zuvorgekommen.

Heißhunger auf Süßes ist auch heute noch ein bekanntes Phänomen bei Diabetikern, dank der modernen Behandlungsmöglichkeiten nicht mehr ganz so gefährlich wie zu Zeiten, als Diät die einzige therapeutische Option war. Disziplin bei der Nahrungsaufnahme ist aber weiterhin eine wesentliche Grundlage der Behandlung, schließlich treten Herzinfarkt und Schlaganfall bei Diabetikern immer noch häufiger auf, als in der übrigen Bevölkerung.

Clara Tiburtius, geb. Buddenbrook (1838 - 1864)

(6 /7) Da war ferner des Konsuls Schwester in Riga. … Daß ihre Ehe mit dem Pastor Tiburtius ohne Kindersegen geblieben war, mochte hingehen, denn Clara Buddenbrook hatte sich niemals Kinder gewünscht und besaß ohne Zweifel höchst wenig mütterliches Talent. Aber ihre Gesundheit ließ, ihren und ihres Mannes Briefen zufolge, allzuviel zu wünschen übrig, und die Gehirnschmerzen, an denen sie schon als junges Mädchen gelitten, traten, so hieß es, neuerdings periodisch in fast unerträglichem Grade auf. Im Juli 1864 wird bekannt (7 /6): s ie liegt, es steht schlimm mit ihr, und der Doktor fürchtet, daß es Tuberkeln sind … Gehirntuberkulose …. Bald darauf musste Konsul Buddenbrook zum Begräbnis seiner Schwester nach Riga reisen.

Die Tuberkulose kommt als Ursache neurologischer Erkrankungen heutzutage so gut wie nicht mehr vor.

Elisabeth (Bethsy) Buddenbrook, geb. Kröger (1805 – 1871)

(9 /1) „Für irgendwelche ernstliche Beunruhigung ist natürlich fürs erste platterdings keine Ursache vorhanden; ich bitte Sie … eine Patientin von der verhältnismäßigen Widerstandskraft unserer verehrten Frau Konsulin… Meiner Treu, als gedienter Ratgeber kenne ich diese Widerstandskraft. Für ihre Jahre wirklich erstaunlich … was ich Ihnen sage…“ „Ja eben, in ihren Jahren…“ sagte der Senator unruhig und drehte an der langen Spitze seines Schnurbartes. „Ich sage natürlich nicht, daß Ihre liebe Frau Mutter wird morgen wieder spazieren gehen können”, fuhr Doktor Grabow sanftmütig fort. „Diesen Eindruck wird die Patientin nicht auf Sie gemacht haben, lieber Herr Senator. Es ist ja nicht zu leugnen, daß der Katarrh seit vierundzwanzig Stunden eine ärgerliche Wendung genommen hat. Der Schüttelfrost gestern abend gefiel mir nicht recht, und heute gibt es da nun wahrhaftig ein wenig Seitenstechen und Kurzluftigkeit. Etwas Fieber ist auch vorhanden – oh, unbedeutend, aber es ist Fieber. Kurz, lieber Senator, man muß sich wohl mit der vertrackten Tatsache abfinden, daß die Lunge ein wenig affiziert ist …“

„Lungenentzündung also?“ fragte der Senator und blickte von einem Arzte zum anderen… „Ja, - pneumonia“, sagte Doktor Langhals mit ernster und korrekter Verbeugung. „Allerdings, eine kleine rechtsseitige Lungenentzündung“, antwortete der Hausarzt, die wir sehr sorgfältig zu lokalisieren trachten müssen…“ „Danach ist immerhin Grund zu ernster Besorgnis vorhanden?“ Der Senator saß ganz still und sah dem Sprechenden unverwandt ins Gesicht. „Besorgnis? Oh… wir müssen, wie gesagt, darum besorgt sein, die Erkrankung einzuschränken, den Husten zu mildern, dem Fieber zu Leibe zu gehen … nun, das Chinin wird seine Schuldigkeit tun… Und dann noch eins, lieber Senator … Keine Schreckhaftigkeit den einzelnen Symptomen gegenüber, nicht wahr? Sollte sich die Atemnot ein wenig verstärken, sollte in der Nacht vielleicht ein wenig Delirium stattfinden, oder morgen ein bißchen Auswurf sich einstellen … wissen Sie, so ein rotbräunlicher Auswurf, wenn auch Blut dabei ist … Das ist alles durchaus logisch, durchaus zur Sache gehörig, durchaus normal. [….]

[….]

Nein, die alte Konsulin fühlte wohl, daß sie trotz der christlichen Lebensführung ihrer letzten Jahre nicht eigentlich bereit war, zu sterben, und der unbestimmte, Gedanke, daß, sollte dies ihre letzte Krankheit sein, diese Krankheit ganz selbständig, in letzter Stunde und in großer Eile, mit Körperqualen ihren Widerstand zerbrechen und die Selbstaufgabe herbeiführen müsse, erfüllte sie mit Angst.

Sie betete viel; aber fast mehr noch überwachte sie, sooft sie bei Besinnung war, ihren Zustand, fühlte selbst ihren Puls, maß ihr Fieber, bekämpfte ihren Husten … Der Puls aber ging schlecht, das Fieber stieg desto höher, nachdem es ein wenig gefallen war, und warf sie aus Schüttelfrösten in hitzige Delirien, der Husten, der mit inneren Schmerzen verbunden war und blutigen Auswurf zu Tage förderte, nahm zu, und Atemnöte ängstigten sie. Das alles aber kam daher, daß jetzt nicht mehr nur ein Lappen der rechten Lunge, sondern die ganze rechte Lunge in Mitleidenschaft gezogen war, ja, daß, wenn nicht alles täuschte, auch schon an der linken Seite Spuren des Vorganges bemerkbar waren, den Doktor Langhals, indem er seine Fingernägel besah, „Hepatisation“ nannte, und über den Doktor Grabow sich lieber weiter gar nicht ausließ … Das Fieber zehrte unablässig. Der Magen begann zu versagen. Unaufhaltsam, mit zäher Langsam-keit, schritt der Kräfteverfall vorwärts.

[….]

Aber es war längst der Tag gekommen, da die doppelseitige Lungenentzündung nicht mehr wegzuleugnen gewesen war.

[….]

Gräßliche Merkmale der beginnenden Auflösung zeigten sich, während die Organe, von einem zähen Willen in Gang gehalten, noch arbeiteten. Da, seit die Konsulin sich mit einem Katarrh hatte zu Bette legen müssen, Wochen vergangen waren, so hatten sich durch das Liegen an ihrem Körper mehrere Wunden gebildet, die sich nicht mehr schlossen und in einen fürchterlichen Zustand übergingen. Sie schlief nicht mehr; erstens, weil Schmerz, Husten und Atemnot sie daran hinderten, dann aber, weil sie sich selbst gegen den Schlaf auflehnte und sich an das Wachsein klammerte. Nur für Minuten ging ihr Bewußtsein im Fieber unter; aber auch bei bewußten Sinnen sprach sie laut mit Personen, die längst verstorben waren. [….]

Und dann kam die kurze Besserung, das Aufflackern, ein Nachlassen des Fiebers, eine täuschende Rückkehr der Kräfte, ein Stillewerden der Schmerzen, ein paar klare und hoffnungsvolle Äußerungen, die den Umstehenden Tränen der Freude in die Augen trieben. …

„Kinder, wir behalten sie trotz alledem!“sagte Thomas Buddenbrook. „Wir haben sie Weihnachten bei uns und erlauben nicht, daß sie sich dabei aufregt wie sonst…“

Aber schon in der nächstfolgenden Nacht wurden sie von seiten Frau Permaneders (3) in die Mengstraße berufen, da die Kranke mit dem Tode kämpfe.

Auch so stirbt „man“ schon lange nicht mehr. Eine fieberhafte Bronchitis, eine beginnende Pneumonie bei bis dahin gesunden Patienten wird heutzutage ambulant mit einem geeigneten Antibiotikum behandelt und die Patienten werden zumeist nicht einmal mehr bettlägerig. Sollte dies ausnahmsweise einmal nicht Erfolg bringen, gibt es zusätzlich die Möglichkeiten der klinischen Intensivtherapie.

[...]

Final del extracto de 45 páginas

Detalles

Título
Der Hausarzt bei Buddenbrooks. Krankheit und Tod im 19. Jahrhundert
Autor
Año
2017
Páginas
45
No. de catálogo
V353970
ISBN (Ebook)
9783668402560
ISBN (Libro)
9783668402577
Tamaño de fichero
659 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Thomas Mann, Buddenbrooks, Medizingeschichte, Literaturgeschichte
Citar trabajo
Dr. med. Heinz Bongards (Autor), 2017, Der Hausarzt bei Buddenbrooks. Krankheit und Tod im 19. Jahrhundert, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/353970

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