Leseprobe
I. Inhaltsverzeichnis
1. Interkulturelle Kompetenz als Werkzeug für interkulturelle Herausforderungen
2. Interkulturelle Kompetenz
2.1 Kulturbegriff und Interkulturalität
2.3 Kompetenz
2.4 Interkulturelle Kompetenz und ihre Dimensionen
3. Das Lernprozessmodell und mögliche Methoden zur Ausgestaltung
3.1 Stufen des Lernprozessmodells nach Hoopes
3.2 Mögliche Methoden zur Ausgestaltung
4. Kritische Reflexion
5. Probleme der Entwicklung der interkulturellen Kompetenz bei Berufsschülern
II. Literaturverzeichnis
1. Interkulturelle Kompetenz als Werkzeug für interkulturelle Herausforderungen
Im europäischen Vergleich wird Deutschland als das beliebteste Zielland von Flüchtlingen gesehen.[1] Allein im Jahr 2015 suchten 1.091.894[2] Flüchtlinge Schutz in Deutschland. Dadurch werden Bund und Länder herausgefordert, die Integration von Flüchtlingen verstärkt zu fördern. Einer der wichtigsten Aspekte im Hinblick auf die Integration von Flüchtlingen ist die Bildung. Das Erlernen der deutschen Sprache und die Eingliederung in Schule, Ausbildung und Studium sind wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration in unsere Gesellschaft. Die Bundesländer ermöglichen daher den jungen Geflüchteten den Zugang zu Bildungsangeboten, denen sie entsprechend ihrer schulischen Vorbildung zugeordnet werden. Diese Bildungsangebote erstrecken sich über alle Bereiche, angefangen in der Grundschule bis hin zur beruflichen oder akademischen Ausbildung. Mit der Aufnahme junger Flüchtlinge in das Bildungssystem geht eine erhöhte kulturelle Heterogenität in den Schulklassen einher.[3]
In der beruflichen Schule beträgt der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund oft über 40 %.[4] Dadurch wird der Berufsschulalltag vermehrt durch interkulturelle Situationen geprägt und die Schüler und Schülerinnen[5] müssen Herausforderungen bewältigen, wie das Überwinden von Missverständnissen oder Konflikten, die auf die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe zurückzuführen sind. Um sich in solchen interkulturellen Situationen richtig zu verhalten, benötigen sie Wissen, Fähigkeiten, Verhaltensgrundlagen und -einstellungen, die zusammengefasst als interkulturelle Kompetenz bezeichnet werden.
Der Erwerb von interkultureller Kompetenz ist ein Prozess, der auf der Auseinandersetzung mit dem „Eigenem“ und „Fremden“ basiert. In der Literatur sind verschiedene Lernmodelle zu finden. Eines dieser Modelle ist das Lernprozessmodell von Hoopes, welches sich über sechs Entwicklungsstufen erstreckt (vgl. Abschnitt 3). Ziel dieser Arbeit ist es, Möglichkeiten einer methodischen Ausgestaltung dieses Modells aufzuzeigen, die innerhalb der berufsschulischen Ausbildung anwendbar sind.
Im ersten Abschnitt erfolgt die terminologische Auseinandersetzung mit der interkulturellen Kompetenz. Da der Begriff ein in der Literatur viel diskutiertes und komplexes System ist, dient dieser Abschnitt zur Eingrenzung für diese Arbeit und soll zum Verständnis von interkultureller Kompetenz beitragen. Die Erklärung des Lernprozessmodells sowie dessen mögliche methodische Ausgestaltung werden im zweiten Abschnitt thematisiert. Dabei wird darauf geachtet, dass die Methoden im Unterricht Anwendung finden können. Abschließend erfolgt eine kritische Reflexion und eine Auseinandersetzung mit Problemen bei der interkulturellen Kompetenzentwicklung bei Berufsschülern.
2. Interkulturelle Kompetenz
Die interkulturelle Kompetenz ist einfach ausgedrückt die Fähigkeit, mit Menschen einer anderen Kultur zu interagieren. Um ein tiefgründigeres Verständnis von interkultureller Kompetenz zu erlangen, bedarf es zunächst einer sprachwissenschaftlichen Betrachtung des Begriffes. Dafür werden die zentralen Begriffe „Kultur“, „Interkulturalität“ und „Kompetenz“ separat betrachtet und definiert. Die abschließende Darstellung der interkulturellen Kompetenz und ihrer Dimensionen bilden die Grundlage für das weitere Vorgehen.
2.1 Kulturbegriff und Interkulturalität
In der Fachliteratur zur interkulturellen Kompetenz wird der Begriff „Kultur“ sehr häufig behandelt und umschrieben. Eine eindeutige Definition ist jedoch nicht möglich. Auf die Frage „Was ist Kultur?“ gibt es eine Vielzahl von möglichen Antworten, angefangen bei Bildung und Geschichte über Essen und Umgangsformen bis hin zu Normen und Werte. Diese Vieldeutigkeit des Begriffes resultiert aus dem ständigen Wandel des Verständnisses von Kultur.[6]
In der Kulturwissenschaft werden drei Kulturbegriffe unterschieden:
- der intellektuell-ästhetische Kulturbegriff, der mit Bildung und Kunst verknüpft wird. Er beinhaltet ein Bündel ästhetischer und moralisch-ethischer Werte, die unter anderen durch die Werke von bedeutenden Schriftstellern, Komponisten, Künstlern und Erfindern repräsentiert werden.
- der materielle Kulturbegriff, der sich auf die Wirklichkeitsbereiche wie z.B. Schul-, Streit- und Esskultur konzentriert.
- der anthropologische Kulturbegriff, der die Kultur als eine Gesamtheit der kollektiven Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster einer Gesellschaft darstellt.[7] Dieser beschreibt Kultur einerseits als ein System von Einstellungen, Überzeugungen und Wertorientierung, die sowohl im Verhalten und Handeln als auch im Denken von Menschen sichtbar werden.[8] Anderseits wird die Kultur als ein Orientierungssystem gedeutet, in dem die Menschen einer Gesellschaft aufwachsen und es übernehmen, um sich damit im Leben zurechtzufinden.[9] Im anthropologischen Verständnis wird die Kultur zudem in drei Dimensionen unterteilt: die mentale, die soziale und die materiale Dimension. Die mentale Dimension von Kultur beinhaltet kulturelle Standardisierungen wie kulturspezifische Codes, Denkweisen, Gefühle und Handlungsmuster. Soziale Interaktionen, Strukturen und Institutionen werden der sozialen Dimension zugeordnet. Die materiale Dimension umfasst dagegen Medien und andere kulturelle Artefakte z.B. Bilder und Bauwerke. Dabei ist zu beachten, dass die soziale und materiale Dimension beobachtbar sind und die mentale Dimension nicht. In einer Interaktion können jedoch aus den beobachtbaren Dimensionen Rückschlüsse auf die nicht sichtbare Dimension gezogen werden.[10]
Ein weiterer Aspekt der Kultur sind ihre Bezugsgrößen. Diese können territorial-geografisch wie z.B. die Kulturen Europas, Afrikas oder Indiens, sozial/soziokulturell wie z.B. die Kultur der Bauern oder des Bürgertums oder religiös wie z.B. die Kultur des Christentums oder des Hinduismus sein.[11]
Im Kontext der interkulturellen Kompetenz wird der Begriff Kultur mit der Nationalkultur gleichgesetzt.[12] Zudem wird im Rahmen dieser Arbeit die interkulturelle Kompetenz im anthropologischen Sinn der Kulturwissenschaft verstanden.
Nach dem anthropologischen Kulturverständnis wachsen Menschen von Geburt an in die Kulturen hinein und erlernen sie durch soziale Lernprozesse. Ihr Denken, ihre Wahrnehmung sowie ihr Handeln sind durch ihren kulturellen Hintergrund geprägt. In Situationen, in denen Angehörige verschiedener Kulturen aufeinandertreffen, kommunizieren und interagieren, entsteht eine Überschneidungssituation, die als Interkultur bezeichnet wird. Die Interkultur entspricht weder der einen noch der anderen Kultur. Sie entsteht durch das gemeinsame Wirken der unterschiedlichen kulturellen Faktoren, die sich gegenseitig fördern oder miteinander konkurrieren.[13] Demnach ist die Interkulturalität das Ergebnis von Kommunikation und Interaktion zwischen Individuen verschiedener Kulturen. Diese zeichnet sich durch neue Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster aus, welche durch das Zusammenwirken der kulturellen Faktoren entstehen.[14]
2.3 Kompetenz
Im alltäglichen Sprachgebrauch wird der Begriff „Kompetenz“ in zwei unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet. Zum einen findet dieser Anwendung als Synonym für Verantwortlichkeit sowie Zuständigkeit und zum anderen als Befähigung eines Menschen, unabhängig vom Handlungsbereich situationsgerecht zu agieren.[15] Im Hinblick auf die interkulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit situationsgerecht zu handeln von Bedeutung. In diesem Sinne umfasst die Kompetenz das Wissen, die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die einen Menschen befähigen, den Anforderungen aus beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sowie den unterschiedlichen sozialen Rollen gerecht zu werden und sachgemäß, individuell und verantwortungsbewusst zu handeln.[16] Eine bekannte Kompetenz ist die allgemeine Handlungskompetenz, die sich aus dem Zusammenspiel von fachlichem, individuellem, sozialem und methodischem Handeln ergibt.
2.4 Interkulturelle Kompetenz und ihre Dimensionen
Die interkulturelle Kompetenz ist ein komplexes System, das sich in drei Dimensionen gliedert. Jede dieser Dimension beinhaltet verschiedene Teilkompetenzen und steht für sich, jedoch stehen alle drei in Korrelation zueinander. Die drei Dimensionen sind die kognitive, die affektive und die pragmatisch-kommunikative Dimension.[17]
Die kognitive Dimension beinhaltet die Aneignung von Wissen, um das Verhalten des fremdkulturellen Interaktionspartners zu interpretieren und das eigene Verhalten in interkulturellen Situationen zu reflektieren. Demnach ist neben dem Wissen über die fremde Kultur auch ein Wissen über die eigene Kultur notwendig. Die kultur- bzw. länderspezifischen Kenntnisse umfassen sowohl geografische, geschichtliche, religiöse, politische und wirtschaftliche Aspekte als auch das Wissen um die Verhaltenscodes im Alltag.[18] Zudem ist es wichtig, dass diese Wissenskomponente nicht nur oberflächlich auf einzelne Werte und Normen sowie Denk- und Verhaltensweisen eingeht, sondern die innere Logik einer fremden Kultur aufschlüsselt. In diesem Zusammenhang wird auch die Bedeutung des Kulturverständnisses deutlich. Ohne zu wissen, was Kultur ist, wodurch sie geprägt wird und welche Auswirkungen sie haben kann, ist es schwer, ein Feingefühl der Fremdkultur oder ein Verständnis der eigenen Kultur zu bekommen. Besonders die Wahrnehmung der eigenen Kultur ist von Bedeutung, da erst die Reflexion der eigenen Kultur ein Gespür für Kulturunterschiede ermöglicht. Dadurch wird auch das Gefühl für die Ursachen von Missverständnissen und Problemen sensibilisiert.[19] Ein weiterer wichtiger Aspekt ist auch das Wissen um die Andersartigkeit, welches beim Aufbau von Offenheit und Toleranz notwendig ist und somit eine Voraussetzung für einen friedfertigen Umgang mit Angehörigen anderer Kulturen darstellt. Die Erkenntnis, dass das Fremde das Eigene bedingt, kann ebenfalls in der affektiven Dimension Angst- und Ablehnungseffekte gegenüber fremdkulturellen Interaktionspartnern vermindern.[20]
Die affektive Dimension kann als das bewusste Wahrnehmen der kulturellen Unterschiede beschrieben werden. Ein wichtiger Bestandteil ist die interkulturelle Sensibilität. Auf der affektiven Ebene können viele Missverständnisse entstehen, die durch eine Sensibilisierung vermindert werden. Für die interkulturelle Sensibilität werden Fähigkeiten einer interkulturell kompetenten Person definiert. Dazu zählen Fähigkeiten des Fremdverstehens, Fähigkeit zur Stressbewältigung und Komplexitätsreduktion, Verhaltensflexibilität, Empathie und Unvoreingenommenheit sowie Ambiguitätstoleranz, d.h. die Fähigkeit, mit Widersprüchen zwischen dem eigenen Werte- und Normensystem und dem des Anderen umzugehen. Außerdem gehört eine offene und tolerante Einstellung sowie die Bereitschaft zur Akzeptanz, zum Respekt und zum interkulturellen Lernen dazu.[21]
Die pragmatisch-kommunikative Dimension beinhaltet die Umsetzung des Wissens und der Fähigkeiten. Sie enthält drei spezifische Fähigkeiten: die Bereitschaft zur Kommunikation, die Kommunikationsfähigkeit und die soziale Kompetenz. Unter Kommunikationsfähigkeit wird die fremdsprachliche Kompetenz verstanden. Für einen produktiven interkulturellen Austausch ist es notwendig, die Sprache des Anderen zu sprechen. Die Sprache agiert dabei als Instrument, welches Ideen und gedankliche Muster transportiert.[22] Die Kommunikationsfähigkeit und die Bereitschaft zur Kommunikation implizieren das aktive Zuhören. Insbesondere durch das aktive Zuhören werden Deutungsunterschiede verstanden und somit Missverständnisse vermindert. Ebenfalls von Bedeutung ist die Fähigkeit, Respekt, Empathie und Flexibilität in der kulturspezifischen Art und Weise zu kommunizieren.[23] Die soziale Kompetenz ist die Fähigkeit, zwischenmenschliche Beziehungen und Vertrauen aufzubauen. Durch eine gute Beziehung werden mehr Informationen über angebrachtes und effektives Verhalten und über die eigenen Verhaltensweisen gewonnen.[24]
Zusammengefasst lässt sich die interkulturelle Kompetenz als eine Kompetenz definieren, die eine Person dazu befähigt, auf Grundlage von Wissen und einer Vielzahl von Teilkompetenzen, insbesondere die Handlungs- und Reflexionsfähigkeit in interkulturellen Situationen effektiv und adäquat zu interagieren. Demnach ist ein Individuum einer Kultur in der Lage, in einer kulturellen Überschneidungssituation die Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster des Angehörigen einer anderen Kultur zu erkennen, zu respektieren und entsprechend in der Interaktion darauf zu reagieren.
[...]
[1] Vgl. BaMF (2015), S. 186ff.
[2] BaMF (2015), S. 5.
[3] Vgl. KMK (2016), S. 2ff.
[4] Vgl. BiBB (2006), S. 47.
[5] Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit ausschließlich die männliche Form benutzt. Es können dabei aber sowohl männliche als auch weibliche Personen gemeint sein.
[6] Vgl. Straub et. al. (2007), S. 7ff. Auf eine Darstellung der Entwicklung des Kulturbegriffes wird verzichtet, da dieser Abschnitt nur den Kulturbegriff aufzeigen soll, welcher zum Verständnis der interkulturellen Kompetenz im Rahmen dieser Arbeit beiträgt.
[7] Vgl. Lüsebrink (2008), S. 10f.
[8] Vgl. Maletzke (1996), S. 16.
[9] Vgl. Thomas et. al. (2003), S. 22f.
[10] Vgl. Erll/Gymnich (2008), S.22f.
[11] Vgl. Lüsebrink (2008), S. 14.
[12] Vgl. Ebd., S. 11ff.
[13] Vgl. Erll/ Gymnich (2008), S. 36.
[14] Vgl. Ebd., S. 35 und Stumpf (2006), S. 36.
[15] Vgl. Straub et. al. (2007), S. 37.
[16] Vgl. KMK (2011), S. 13.
[17] Vgl. Erll/Gymnich (2008), S. 11 und Straub et.al. (2007), S. 43.
[18] Vgl. Antor (2007), S. 113f.
[19] Vgl. Stüdlein (1997), S. 157ff.
[20] Vgl. Schenk (2001), S. 56.
[21] Vgl. Stüdlein (1997), S. 154f und Erll/Gmnych (2008), S. 13.
[22] Vgl. Antor (2007), S. 121f.
[23] Vgl. Stüdlein (1997), S. 159ff.
[24] Vgl. Ebd.