Folter in der Türkei: Erscheinungsformen und Wirkungen - Die Bedeutung für die soziale Arbeit mit Flüchtlingen


Hausarbeit, 2001

33 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Folter
2.1 Definition

3. Folter in der Türkei
3.1 Einige Aspekte der historischen Entwicklung von Folter und deren Ursachen in der Türkei
3.2 Quantitäten von Folter und Menschenrechtsverletzungen in der Türkei
3.2.1 Schwierigkeiten quantitativer Bestimmungen
3.2.2 Aus den Berichten von Menschenrechtsorganisationen
3.2.3 Vertreibungspolitik in Nordwest-Kurdistan
3.3 Foltermethoden
3.4 Sexuelle Folter
3.5 Einführung der F-Type Gefängnisse

4. Folgen von Folter
4.1 Körperliche Nachwirkungen
4.2 Psychische Nachwirkungen
4.2.1 Die Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung
4.2.2 Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung
4.3 Die sozialarbeiterische Komponente im Umgang mit Flüchtlingen

5. Resümee

6. Literaturliste
6.1 Internet-Websites

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit Folterungen in der Türkei sowie dem sozialarbeiterischen Umgang mit den Flüchtlingen. Sie geht aus von der dort weitverbreiteten Praxis der Folter in den unterschiedlichen Formen.

Neben den hierzulande als sogenannte „GastarbeiterInnen“ angekommenen TürkInnen hat ein Teil der hier lebenden Menschen türkischer Nationalität einen Status als Flüchtling. Im Jahre 2000 stellten immerhin 14.335 Personen türkischer Herkunft einen Antrag auf Asyl beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, damit haben seit 1986 mehr als 250.000 Menschen von dort versucht hier politisches Asyl zu erhalten.1 Laut den Angaben des UNHCR’s beantragten wiederum im Jahre 2000 europaweit 23.540 türkische StaatsbürgerInnen Asyl2, was 5.7% der insgesamt gestellten Anträge waren.

Die Gründe für die nicht unerheblichen Flüchtlingsbewegungen aus der Türkei sind zwar unterschiedlicher Art, aber zumeist doch miteinander verknüpft. Sie sind nicht zuletzt einem repressiven Staatsapparat geschuldet, der spätestens seit dem Militärputsch vom 12. September 1980 unter General Kenan Evren, keine politische Entscheidung ohne Zustimmung des Militärapparates treffen kann Mit der Verfassung von 1982 wurde der „Nationale Sicherheitsrat“ geschaffen, in dem fünf hohe Offiziere zusammen mit fünf zivilen Amtsträgern sitzen und die Leitlinien der Politik des türkischen Staates bestimmen. Dieses Gremium stürzte beispielsweise 1994 den damaligen islamistischen Ministerpräsidenten Erbakan.3 Der Militärputsch von 1980 hatte massive Menschenrechtsverletzungen zur Folge. Das Gewerkschaftsforum Hannover beschreibt die damalige Situation derart: „In den 70-er Jahren hatten weder sozialdemokratische noch konservative Regierungen eine vom IWF diktierte neoliberale Wende durchsetzen können. Das gelang erst nach dem Militärputsch von 1980, der mit Billigung der NATO eine Militärjunta an die Macht brachte. Alle Massenorganisationen wie die Gewerkschaften und die Volksbewegung Dev-Yol (Revolutionärer Weg) wurden zerschlagen und die demokratischen Rechtewurden abgeschafft um Proteste unmöglich zu machen. Hunderttausende kamen in die Gefängnisse, Tausende gingen ins Exil, Hunderte ‚verschwanden‘, systematische Folter war an der Tagesordnung. Vor allem der wachsenden Oppositionsbewegung der kurdischen Bevölkerung wurde mit Massakern und Krieg vgl. Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (1986-1999 254.507 Personen) Internet begegnet.“4

Mit dem 15. August 1984 begann der bewaffnete Kampf der Partiya Karkeren Kurdistan (PKK) In Nordwest-Kurdistan5.6Damit einher gingen in den darauffolgenden Jahren massive Menschenrechtsverletzungen mit massenhaften Vertreibungen der BewohnerInnen in den umkämpften Gebieten und der Zerstörung vieler Dörfer durch das türkische Militär. Ein Teil der Flüchtlinge flieht innerstaatlich in größere Städte der Türkei, z.B. nach Istanbul oder Ankara und siedelt sich dort oftmals in den Gecekondos an; andere gelangen in westeuropäische Staaten, u.a. auch nach Deutschland.

Wie allerdings aus einem offiziellen Bericht des türkischen Parlamentes vom Mai diesen Jahres hervorgeht, stellt die Folter eine weitverbreitete Praxis dar, die nicht nur gegen politisch unliebsame Personen und ethnische Minderheiten angewandt wird, sondern beispielsweise auch systematisch gegen Kinder.7 Die Frankfurter Rundschau konstatiert in ihrer Ausgabe vom 09.03.2000: „Begünstigt werden Misshandlungen durch die zwar in den vergangenen Jahren etwas verkürzten, aber immer noch sehr langen Fristen, in denen die Festgenommenen völlig von der Außenwelt isoliert werden können. Personen, die einer politischen Straftat verdächtigt werden, können ohne Anklage, ohne Haftbefehl und ohne Kontakt zu Anwälten, Angehörigen oder Ärzten bis zu vier Tage lang festgehalten werden. In den unter Ausnahmezustand stehenden Südostprovinzen können Verdächtige sogar bis zu zehn Tage festgehalten werden.“8Zwar gibt es auf Grund internationalen politischen Druckes seitens der EU „einige kleine Verbesserungen in Menschenrechtsfragen. Den Blick fest auf die angestrebte EU-Mitgliedschaft gerichtet, wird die türkische Regierung in letzter Zeit vermehrt gegen die Folter aktiv.“9, aber eine grundsätzliche Wendung ist damit noch nicht eingetreten.

Für den/die SozialarbeiterIn, der/die mit türkischen/kurdischen MigrantInnen arbeitet, können sich neben den Problemen allgemeiner gesellschaftlicher Natur noch besondere durch die Nachwirkungen erlittener Folterungen und Misshandlungen ergeben, die eine intensive und sensible Arbeit mit den KlientInnen und die dazu entsprechenden Rahmenbedingungen Flugblatt des Gewerkschaftsforums Hannover zu einer Veranstaltung im Pavillon April 2001 erfordern.

Eine Intention dieser Hausarbeit liegt darin, das Bewusstsein bei den SozialarbeiterInnen um die speziellen Problemlagen von gefolterten Flüchtlingen aus der Türkei zu fördern und auf vorhandene Konzepte sowie Therapiemöglichkeiten bei Menschen mit Posttraumatischen Belastungsstörungen aufmerksam zu machen. Die Unterstützung dieser Personen umfasst sowohl eine medizinisch-therapeutische, Beratung in Asylrechtsverfahren wie auch die Unterstützung in allen lebenspraktischen Fragen. Die Komplexität der Problemstellungen erfordert ein enges Zusammenarbeiten und Kooperieren der verschiedensten Institutionen und Disziplinen.

Zunächst wird in dieser Hausarbeit, nachdem eine allgemeingültige Definition von Folter vorgestellt wurde, ein Bild der Folter in der Türkei gezeigt. In ihm werden die verschiedenen Aspekte wie Geschichte und Ursprung von Folter in der Türkei, von den Quantitäten und Arten der Folter, von der speziellen Situation bei den Politischen Gefangenen und der sexuellen Diskriminierung gegen weibliche Verhaftete beschrieben. Hierbei gilt zu betonen, dass die Quellenlage im Deutschen recht schwierig ist und sich im wesentlichen auf die Organisationen bezieht, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen sowie Folterungen einsetzen, wie u.a. Amnesty international, dem türkischen Menschenrechtsverein (IHD), medico international oder auch TAYAD, dem Solidaritätsverein der Angehörigen von Gefangenen. Angaben des türkischen Staates wurden in dieser Hausarbeit im wesentlichen nicht berücksichtigt, da sie aus Eigeninteresse entweder zumeist verschleiernd oder doch widersprüchlich sind. Das Aufzeigen der Repression in der Türkei ist mir deswegen von Wichtigkeit, weil ich denke, dass für ein adäquates Arbeiten mit dem Klientel ein Wissen darüber vorhanden sein muss aus welches Verhältnissen es kommt.

Im weiteren Verlauf werden die psychosomatischen Beschwerden durch Folter traumatisierter Menschen thematisiert, sowie deren etwaige Behandlungsmöglichkeiten in dafür vorgesehenen Einrichtungen und Kliniken. Für die Sozialarbeit werden einige Handlungsgrundsätzlichkeiten vorgestellt, welche die multiplen und sich oftmals überlagernden Probleme in besonderer Weise berücksichtigen. Nach einer zusammenfassenden Einschätzung folgt die Literaturliste sowie im Anhang eine Liste mit Einrichtungen, die spezifische Therapien für posttraumatisch Erkrankte in Deutschland und der Schweiz anbieten sowie eine kleine Auflistung von Menschenrechtsabkommen.

2. Folter

Folterungen sind ein altes Phänomen der Menschheitsgeschichte. Erinnert sei hier nur an die im mitteleuropäischen Raum bis in die Aufklärung hinein durchgeführten so genannten Hexenprozesse. An dieser Stelle kann und soll eine kurze Definition im Sinne der Vereinten Nationen ausreichen. Alles andere würde trotz damit verbundenen äußersten Skizzenhaftigkeit den Rahmen dieser Hausarbeit bei weitem übersteigen. In diesem Zusammenhang wird auf die im Anhang befindliche Auflistung von Menschenrechtsabkommen verwiesen.

2.1 Definition

In der Anti-Folter-Konvention der UN von 1984 wird Folter in Artikel 1, Satz 1 wie nachfolgend festgeschrieben:

„Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck Folter jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichen oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden.“10

An dieser Definition ist zu kritisieren, dass sie danach lediglich von staatlichen Institutionen ausgeübt bzw. veranlasst werden kann. Damit werden zum Beispiel Misshandlungen, die in einem Bürgerkrieg von den jeweiligen Parteien getätigt werden, ausgeklammert. Im weiteren folgt in der Anti-Folter-Konvention eine lückenhafte Formulierung, in der gesagt wird, dass„der Ausdruck ( Anmerk. d. Verf.: gemeint ist Folter) (...) nicht Schmerzen oder Leiden (umfasst), die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.“11Durch diesen Passus legitimieren einige Länder u.a. Bestrafungen wie Steinigen oder Auspeitschen.

3. Folter in der Türkei

Nach der allgemeinen Definition von Folter soll in diesem Abschnitt der Arbeit auf die unterschiedliche Aspekte von Folter speziell in der Türkei eingegangen werden.

3.1 Einige Aspekte der historischen Entwicklung von Folter und deren Ursachen in der Türkei

Dieser Abschnitt bezieht sich aufgrund der überaus schlechten deutschsprachigen Quellenlage lediglich auf einen längeren Artikel von Taner Ak am, welcher 1991 im Sammelband „Folter“, herausgegeben von Jan Philipp Reemtsma, unter dem Titel „Die >Normalität< der Folter“ und dem Untertitel „Die Wahrnehmung von Gewalt in der Türkei“ veröffentlicht wurde. Ak am beschreibt die Begriffe >hinrichten< und >Politik machen< als Synonyme. Er berichtet in seinem Artikel von einer langen Geschichte der Gewalt im Osmanischen Reich und in der späteren Türkischen Republik: „Ungefähr ein Drittel aller osmanischen Padischahs wurden ermordet. Weiterhin sind 76 von ca. 200 Wesiren des osmanischen Reiches keines natürlichen Todes gestorben. Auch hier kann eine bis in die Republik reichende Kontinuität festgestellt werden. In mittlerweile 67 Jahren türkischer Republik sind nur drei Ministerpräsidenten durch Wahlen an die Macht gekommen. Von diesen wurden wurde einer hingerichtet; die beiden anderen wurden noch 1980 in Haft genommen und unterlagen lange Zeit einem Verbot, sich politisch zu betätigen.“12Zudem betont er daran anschließend, dass es in der 600-jährigen Geschichte keine 20 Jahre ohne Krieg gegeben hätte, wobei hierbei noch nicht einmal die zahllosen Aufstände mit einbezogen wären.13 Der Terror und die Gewalttätigkeit beschränkt(e) sich nicht nur auf die herrschende Elite untereinander, sondern viel mehr und erst recht auf religiöse, ethnische Minderheiten sowie politisch Andersdenkende. Ein Terror, der nicht nur auf die Vergangenheit zu beziehen ist. Die Geschichte des osmanischen Reiches ist reich an Massakern, Hinrichtungen und Folterungen jeglicher Art. Den Hinrichtungen ging in der Regel die Folterung voraus und hatte nicht nur die Funktion der Bestrafung, sondern sollte ebenso ein abschreckendes Beispiel für die Bevölkerung darstellen. In dieser Tradition befand sich auch General Evren mit seinem Ausspruch: „Wenn erst einmal vier, fünf am Galgen baumeln, dann werden die Ereignisse schon aufhören.“14

Die Massaker an Minderheiten oder Aufständischen sind ungezählt und zumeist von einer rüden Brutalität, so z.B. gegen Angehörige der alevitischen Glaubensrichtung. Die Fatwas (religiöse Gutachten) des Scheich-ül-Islam besagen, das Umbringen von Aleviten sei zulässig und sichere einen Platz im Paradies und die Fermane (Erlasse) des Padischah, die niederträchtigen, ekel- erregenden Körper der Rotköpfe (ein Ausdruck für Aleviten) seien zu beseitigen, sind nicht nur traurige Erinnerungen an eine längst vergangenen Geschichte.15 Immer wieder waren auch ethnische Minderheiten wie bspw. die Armenier im Jahre 1915 oder die Kurden Opfer eines massiven Vernichtungswillen des osmanischen Reiches. Hierbei zahlte dieses z.B. im Jahre 1837 Kopfgelder für einen umgebrachten Aufständler aus ( „jeder, der einen kurdischen Kopf bringt, [erhält] 200 Kurusch als Belohnung, wer einen abgeschnittenen Fuß oder Hand, 100 Kurusch)“16. Nach diesen Beispielen aus dem osmanischen Reich soll an dieser Stelle die jüngere Geschichte angeschnitten werden. Ak am geht davon aus, dass in den Jahren zwischen 1976 - 1988 mehr als 650 000 Menschen in Untersuchungshaft gewesen sind, 500 000 davon nach dem Militärputsch vom 12.9.1980. Bei über 200 000 Menschen wurde ein Verfahren vor dem Militärgericht eröffnet. In dieser Zeit sind 230 Personen unter der Folter gestorben. Es ist davon auszugehen, dass alle Inhaftierten auch gefoltert wurden.17

Obwohl die Folter bereits im Jahre 1838 durch den Tanzimat-Erlass de facto verboten und dieses Verbot 1858 im neuen Strafgesetzbuch18 verankert wurde, bleibt die Tatsache bestehen, dass noch heutzutage in der Türkei gefoltert wird. Taner Ak am führt diesbezüglich einige Gründe an, die kurz angerissen sein sollen:

1. „Die osmanischen Padischahs (...) versuchten stets, ihren durch islamische Vorschriften eingeengten Spielraum zu erweitern und diese Erweiterung wiederum durch islamische Autoritäten bestätigen zu lassen“;19 was jene häufig genug taten. Dadurch entstand eine besondere Beziehung von Autorität und Staat, dessen Charakteristikum war (ist), dass die Politik im Sinne ihrer eigenen Interessen herumlaviert, daraus eine Kunst entwickelt hat, so dass ein Zurechtbiegen und Herumlavieren sein Handeln undurchschaubar machen.
2. Es gibt bei den Herrschenden ein rein funktionales Verhältnis zu den von ihnen geschaffenen Gesetzen.20
3. Aus der Historie versteht sich der Staat als derjenige, der alles für seine Untertanen regelt. Daraus ergibt sich unausgesprochene Selbstverständnis, dass die BürgerInnen keine individuellen Rechte haben, sondern lediglich Pflichten.
4. „Die Hierarchie als Form der Herrschaft führte zu einer gesellschaftlichen Verfaßtheit auf der Basis eines Führer-Gefolgschaft-Verhältnisses. Die an der Spitze dieser Auserwählten achteten immer darauf, jegliche Machtpotenziale außerhalb der Grenzen legitimer Herrschaft unter ihrer Kontrolle zu bringen.“21
5. Übersteigerter Nationalismus mit „überspannte(n) Theorien über die Überlegenheit und den Elitecharakter der Türken.“22
6. Zum Teil wird Europa und der Westen als „feindlich“ angesehen und damit gleichfalls die mit ihm verbundenen Werte, darunter ebenfalls die Menschenrechte.

3.2 Quantitäten von Folter und Menschenrechtsverletzungen in der Türkei

Dieser Abschnitt teilt sich in nochmals drei Unterabschnitte auf: Im ersten wird auf die Schwie- rigkeiten zur Heranziehung verlässlicher Zahlen eingegangen; im zweiten werden Bilanzen einiger Menschenrechtsvereine vorgestellt und im dritten wird eine besondere Form der Menschenrechtsverletzung in Nordwest-Kurdistan angerissen: die Vertreibung der dort lebenden Bevölkerung.

3.2.1 Schwierigkeiten quantitativer Bestimmungen

Eine genaue Bestimmung, der Anzahl von durch Folter und Misshandlungen betroffenen Personen, gestaltet sich aus mehreren Gründen als äußerst schwierig.

Ein Großteil von Misshandlungen bleibt dadurch im Dunklen, als dass die Betroffenen, die an ihnen begangenen Taten aus Angst vor weiterer Repression und erneuten Torturen nicht anzeigen. Für viele Menschen in der Türkei ist Folter etwas derartig Selbstverständliches, was quasi zu einer Verhaftung dazu gehört, dass sie von sich aus nicht auf die Idee kämen, eine ‚normale‘ Misshandlung an geeignete Stellen weiterzuleiten oder wie Taner Ak am schreibt:

„Folter ist etwas ganz Normales. Diese Normalität gilt nicht nur für den Folterer, sondern auch für die Gefolterten. Allein wenn nachgewiesen werden könnte, dass in der Polizeihaft einmal nicht gefoltert wurde, wäre dies in der Tat eine Nachricht wert.“23 Wie normal Folter auf Polizeistationen ist, zeigt ebenso nachfolgendes Beispiel: Im Frühjahr des Jahres 2000 besuchte die Menschenrechtskommission des türkischen Parlamentes unangemeldet mehrere Polizeistationen in Istanbul, Urfa und Erzincan. In allen Polizeistationen wurden Foltervorrichtungen gefunden. In Urfa und Erzincan sogar, obwohl bereits 1998 Misstände dort festgestellt werden mussten.24

Ein weiteres Hindernis zur genaueren Feststellung liegt in der Einschüchterung von denjenigen ÄrztInnen durch türkische Staatsorgane, die sich um die Belange von Gefolterten und Miss- handelten kümmern. Sie sind oftmals juristischen Verfahren ausgesetzt. In einer Stellungnahme zum Prozess gegen Professor Veli Lök, der sich im Jahre 2000 vor Gericht verantworten musste, schreibt die Beobachterdelegation des IPPNW als Einschätzung: „Diese Ärzte sollen jetzt durch die gegen sie eingeleiteten Prozesse in ihrer wichtigen Arbeit massiv behindert und mundtot gemacht werden. Durch die Beschlagnahmung von Patientenakten, wie in der Praxis von Dr. Zeki Uzun vorgenommen, soll verhindert werden, dass Patienten das an ihnen begangene Verbrechen der Folter öffentlich machen.“25

Ein zusätzliches Problem stellt die Tatsache dar, dass die Folter in der Regel nicht strafrechtlich belangt wird. Menschenrechtsgruppen verweisen darauf, dass selbst bei erdrückenden Beweisen für Folter die Polizisten in 90% der Gerichtsverfahren freigesprochen werden.26Der Rechtsanwalt Veysel Akay stellt in seiner Studie „Folter und die türkische Gerichtsbarkeit“ in diesem Zusammenhang fest, “dass in der Praxis die Vorschriften der Verfassung, des türkischen StGB und der StPO, angefangen von den Ermittlungsbehörden bis hin zu den Gerichten, konsequent ignoriert werden. Physische und psychische Folter zur Erlangung von Geständnissen und Aussagen stellen ermittlungstechnisch in der Praxis der türkischen Behörden und Gerichte die weitest verbreitete Form zur Gewinnung von Beweisen dar.“27

[...]


1 vgl. Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (1986-1999 254.507 Personen) Internet

2 siehe Europa Asylstatistik 2000 unter www.unhcr.de

3 vgl. in Erzeren, Ömer „Der lange Abschied von Atatürk“, S. 62 ff.

4 Flugblatt des Gewerkschaftsforums Hannover zu einer Veranstaltung im Pavillon April 2001

5 vgl. Celik, Serdar; „Die Geschichte des 15. August“ , im Eigenverlag S. 17 - 27;

6 Anmerkung zu den Zielen im Wortlaut: „Die HRK verfolgt das Ziel, den Kampf unseres Volkes um nationale Unabhängigkeit, eine demokratische Gesellschaft, Freiheit und Einheit unter der Führung der PKK gegen den Imperialismus,den türkischen Kolnialfaschismusund ihre einheimischen Lakaien bewaffnet zu führen.Zu diesem Zweck werden wir Gewalt gegen den kolonialfaschistischen Terror anwenden und die revolutionäre Kraft unseres Volkes hervorbringen und organisieren.“ Siehe ebd. S.20

7 vgl. Neue Zürcher Zeitung vom 31.05.2001

8 siehe Frankfurter Rundschau 09.03.2000

9 siehe Susanne Güsten in: Tagesspiegel vom 06.03.2001

10 in:www.amnesty-oelde.de/kampagnen

11 vgl. Friedenspolitischer Ratschlag des Kasseler Friedensforums und der Uni GhK unter: http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Menschenrechte/folter1 vom 08.07.01

12 Ak am, Taner; „Die Normalität der Folter“ in „Folter“ ; Reemtsma, Jan-Philipp (Hrsg.); Hamburg 1991

13 ebd. S. 161

14ebenda S. 162

15ebenda S. 162

16ebenda S. 163

17ebenda S. 164

18ebenda S. 170

19 ebenda S. 171/172

20ebenda S. 170

21ebenda S. 176

22 ebenda S. 160

23ebenda S. 155

24in: taz vom 13.5.2000 und Neue Zürcher Zeitung vom 31.05.2001

25aus: Demokratisches Türkeiforum e.V. Informationsbrief Nr. 124 - 04/2000

26vgl. taz vom 13.5.2000

27 in: Akay, Veysel; „Folter und die türkische Gerichtsbarkeit“; Zambon-Verlag, S. 168

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Folter in der Türkei: Erscheinungsformen und Wirkungen - Die Bedeutung für die soziale Arbeit mit Flüchtlingen
Hochschule
Hochschule Hannover  (Sozialarbeit)
Veranstaltung
Seminar
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
33
Katalognummer
V3546
ISBN (eBook)
9783638121903
ISBN (Buch)
9783638638203
Dateigröße
686 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Folter, Türkei, Erscheinungsformen, Wirkungen, Bedeutung, Arbeit, Flüchtlingen, Seminar
Arbeit zitieren
Jens Grünberg (Autor:in), 2001, Folter in der Türkei: Erscheinungsformen und Wirkungen - Die Bedeutung für die soziale Arbeit mit Flüchtlingen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3546

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