Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zentrale Erkenntnisse über die indirekte Messung von Einstellungen
3. Einstellung gegenüber homosexuellen Frauen und Männern
4. Methode zu Messung impliziter Einstellungen gegenüber homosexuellen Frauen und Männern
4.1 Herleitung der Messmethode
4.2 Durchführung
4.3 Auswertung der Ergebnisse
5. Einschätzung der Machbarkeit der vorgeschlagenen Messmethode
5.1 Gütekriterien
5.2 Mögliche Probleme und Fehlerquellen
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
8. Anhang
1. Einleitung
Die Akzeptanz von Homosexualität ist ein aktuelles Thema: Der Großteil der deutschen Gesellschaft toleriert gleichgeschlechtliche Liebe - und trotzdem fühlen sich homosexuelle Frauen und Männer nicht akzeptiert. Kann es sein, dass die so gewollte Toleranz tief im Inneren eines Individuums gar nicht vorhanden ist?
Menschen verarbeiten Informationsprozesse auf zwei unterschiedlichen Ebenen: entweder mit geringem kognitiven Aufwand, indem sie automatische Entscheidungsprozesse in Anspruch nehmen oder sie nutzen aktiv vorhandene kognitive Ressourcen und entscheiden bewusst und kontrolliert (Ranganath, Smith & Nosek, 2008). Aufgrund dieser Modelle ist anzunehmen, dass Einstellungen von diesen beiden Ebenen Einfluss auf das Verhalten ausüben (Fazio & Towels-Schwen, 1999). Ergebnisse direkter Messverfahren, wie Befragungen, spiegeln in diesem Sinne nur die kontrollierten, sogenannten expliziten Einstellungen wieder. Dem Probanden wird so ermöglicht, kontrolliert zu antworten und Strategien zu entwickeln. Antworttendenzen bzw. Methodeneffekte, wie Soziale Erwünschtheit sind kaum zu vermeiden
Um automatische Prozesse und sogenannte implizite Einstellungen zu messen, werden indirekte Messverfahren genutzt. Vor allem bei gesellschaftlich sensitiven Themen wie der sexuellen Orientierung oder bei Themen, zu denen eine politisch Korrekte Meinung vorherrscht, ist es wichtig, dass den Probanden keine Möglichkeit zur strategischen Selbstdarstellung gegeben wird. Dies ist mit indirekten Messmethoden möglich. So lässt sich herausfinden, ob diskriminierende Verhaltensweisen in impliziten Einstellungen begründet sein könnten, auch wenn eine Person scheinbar positiv gegenüber Homosexualität eingestellt ist.
In der vorliegenden Arbeit wird so eine indirekte Messmethode vorgeschlagen, mit der implizite Einstellungen von Heterosexuellen gegenüber homosexuellen Frauen und Männern festgestellt werden können.
2. Zentrale Erkenntnisse über die indirekte Messung von Einstellungen
Seit Anfang des 21. Jahrhunderts fokussiert sich die Forschung zunehmend auf die Messung impliziter Einstellungen (Cunningham, Preacher & Banaji, 2001). Diese hängen zusammen mit automatischen Entscheidungsprozessen und repräsentieren „irrespectively unidentified (or inaccurately identified) traces of past experience that mediate favorable or unfavorable feeling, thought, or action toward social objects“ (Greenwald & Banaji, 1995).
Um implizite Einstellungen zu messen, werden indirekte Messmethoden genutzt. Dies bedeutet, dem Probanden ist nicht bewusst, dass die Einstellung gemessen wird und er hat keine Kontrolle über das Messergebnis (Fazio & Olson, 2003). Indirekte Messmethoden unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Art der angesprochenen Informationsverarbeitung und sind damit entweder deliberativ oder spontan.
Projektive Verfahren sind Beispiele für deliberative Methoden zur Einstellungsmessung. Der Proband erhält die Aufgabe, Eigenschaften eines Untersuchungsgegenstandes auf etwas völlig abwegiges zu übertragen, die Einstellung z.B. zu einem Produkt wird also nicht direkt erfragt. Die zur Erklärung genutzten Formulierungen spiegeln dann die Einstellung des Probanden wieder. Deliberative Verfahren geben dem Probanden die Möglichkeit, Informationen zu verarbeiten, zu evaluieren und eine bewusst gesteuerte Antwort zu liefern. Ihr zukünftiges Verhalten bezüglich des gemessenen Einstellungsmerkmals lässt sich so vorhersagen (Vargas, Sekaquaptewa & von Hippel, 2007).
Indirekte spontane Methoden zur Einstellungsmessung sind zum Beispiel der Implizite Assoziationstest (IAT) (Greenwald, McGhee, Jordan & Schwartz, 1998) und das affektive oder evaluative Priming. Dies sind die beiden bisher am meisten erforschten Methoden. Sie basieren auf der Messung von Reaktionszeiten und messen die Einstellung (positiv oder negativ) eines Probanden gegenüber des Untersuchungsgegenstandes mit Hilfe der Assoziationsstärke. Beide Verfahren werden am Computer durchgeführt.
Beim IAT müssen Probanden zwei Entscheidungsaufgaben (z.B. Blume vs. Insekt sowie angenehmes vs. unangenehmes Wort) durch Betätigung der richtigen Taste bewältigen, die im letzten Schritt kombiniert werden. Wenn sich stark assoziierte Kategorien eine Taste teilen (z.B. „Blume“ und „unangenehm“) geschieht die Ausführung der Aufgabe schneller, wenn sich wenig assoziierte Kategorien eine Taste teilen (z.B. „Blume“ und „unangenehm“), verzögert sich die Reaktionszeit (Greenwald u.a., 1998).
Das affektive Priming kommt ohne Parallelaufgaben aus. Hier soll der Proband normierte Begriffe oder Bilder, die sogenannten „Targets“ klassifizieren. Zuvor sehen die Probanden Primes, also Stimuli, die direkt die zu messenden Einstellung betreffen. Diese werden jedoch sehr kurz oder sogar maskiert dargeboten, so dass dem Probanden der Inhalt des Primes nicht bewusst ist. Wird der Prime automatisch mit dem dargebotenen Target assoziiert, geschieht die Klassifizierung schneller als, wenn Prime und Target nicht miteinander assoziiert werden.
Auf Basis der Reaktionszeiten kann also die implizite Einstellung des Probanden mit beiden vorgestellten Methoden gemessen werden. Zudem schlagen sich die Effekte in der Reaktionsgenauigkeit nieder, was in Abschnitt 4. Näher erläutert wird.
Weitere Verfahren zur Messung impliziter Einstellungen sind unter anderem der Extrinsic Affective Simon Task (EAST), der Evaluative Movement Assessment (EMA) oder die Affect Misattribution Procedure (AMP).
3. Einstellung gegenüber homosexuellen Frauen und Männern
Die Einstellung der deutschen Gesellschaft zur Homosexualität ist in den letzten 40 Jahren immer positiver geworden. Das zeigt der Wandel zwischen den Antworten zu zwei Umfragen, die 45 Jahre auseinander liegen. Im Jahr 1968 halten 45% der Befragten in Westdeutschland die geplante Legalisierung von Homosexualität bei Männern für „nicht richtig“ (Abb. 3.1). Doch 2013 sind 87% der befragten Deutschen der Meinung, Homosexualität solle in der Gesellschaft akzeptiert werden (Abb. 3.2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3.2 Ca.1.000 Befragte in Deutschland, keine Angabe zu an 100 fehlenden Prozentpunkten. Eigene Darstellung. Datenquelle: Pew Research Center, 2013.
Auch Warnecke leitet seinen Artikel „Wie geht es Homosexuellen in Deutschland?“ ein, indem er die Toleranz von heterosexuellen gegenüber homosexuellen Menschen in Städten hervorhebt. Dennoch vermutet er, dass „die heile Homo-Welt der Städter womöglich eine trügerische ist“. Grund dafür ist das Verhalten Heterosexueller, das von Vorurteilen beladen ist und bis hin zu Diskriminierung führt sowie rechtliche Gegebenheiten, die auch heute noch nicht denen von heterosexuellen komplett gleichgestellt sind (Warnecke, 2010).
Wie kann es also sein, dass Befragungen eine solch positive Einstellung wiederspiegeln, das Verhalten heterosexueller gegenüber homosexueller Menschen jedoch häufig negativ geprägt ist? Zu vermuten ist, dass zum einen bei Befragungen „politisch korrekt“ und sozial erwünscht geantwortet wurde, um Sanktionen, wie abschätzige Bemerkungen, aus dem Weg zu gehen. Zum anderen kann es sein, dass explizite Einstellungen positiv sind, da die Befragten sich selbst und anderen ihre negative Einstellung zu Homosexualität nicht eingestehen. Beides sind Argumente für die Verwendung von indirekten Messmethoden, die den Störfaktoren „soziale Erwünschtheit“ verhindern und implizite statt explizite Einstellungen messen.
Eine mögliche Erklärung für die Inkongruenz von expliziter Einstellung und Verhalten ist begründet im MODE-Modell von Fazio & Towels- Schwen (1999). Selbst wenn die expliziten Einstellungen positiv sind, können die möglichen negativen impliziten Einstellungen das Verhalten einer Person beeinflussen. Dies ist vor Allem der Fall, wenn die kognitiven Ressourcen beschränkt sind, also unter Bedingungen wie Zeitdruck, Erschöpfung, Ablenkung und bei geringem Involvement. Zudem spiegelt vor allem das nonverbale Verhalten implizite Einstellungen wieder, wie Fazio & Olsen (2003) festgestellt haben. Verbale Äußerungen entstammen kontrollierbaren, motivierten kognitiven Prozessen wohingegen die Grundlage nonverbalen Verhaltens häufig automatische Prozesse sind.
So kann es vorkommen, dass eine Person, dessen explizite Einstellung gegenüber Homosexuellen positiv ist, sich automatisch von einem homosexuellen Paar abwendet.
Auf Grundlage dieser Erkenntnisse ist die Forschungsfrage, die der Methode zur Messung impliziter Einstellungen gegenüber homosexuellen Menschen in Kapitel 4 zugrunde liegt, die gleiche, wie in Steffens Studie von 2005: Hat tatsächlicher ein starker Einstellungswandel zum Thema Homosexualität stattgefunden oder sind die positiven expliziten Einstellungen eher in der wachsenden Zurückhaltung, sich und anderen negative Einstellung einzugestehen, begründet?
Steffens (2005) fand bei der Messung von impliziten und expliziten Einstellungen von 208 Personen heraus, dass die expliziten Einstellungen eher positiv sind, die impliziten stattdessen relativ negativ. Die Ausnahme machten die Einstellungen von heterosexuellen Frauen gegenüber homosexuellen Frauen, die ebenfalls positiv waren.
Auch in weiteren Studien wurden tatsächlich Diskrepanzen zwischen expliziten und impliziten Einstellungen zu homosexuellen Menschen gemessen:
Seise, Banse & Neyer (2002) führten Messungen impliziter sowie expliziter Einstellungen zu Homosexualität an 110 Personen durch. Sie fanden beispielsweise heraus, dass affektive Einstellungen heterosexueller Frauen und Männer gegenüber homosexuellen des gleichen Geschlechts negativer sind als gegenüber homosexuellen des anderen Geschlechts.
Die explizite Einstellung heterosexueller Personen zu Homosexualität war abhängig von der Ausschließlichkeit ihrer sexuellen Orientierung und von der Qualität und Quantität ihrer Kontakte zu homosexuellen Frauen und Männern.
Steffens und Wagner (2006) führten zudem eine Messung an einer repräsentativen Stichprobe von 2.006 Personen durch. Ergebnisse waren zum Beispiel, dass Frauen eine positivere Einstellung gegenüber Homosexualität haben als Männer. Männer haben eine positivere Einstellung zu weiblicher Homosexualität als zu männlicher, Frauen unterscheiden hier nicht.
Alle genannten Studien nutzten den IAT als indirekte Methode zur Messung der Einstellung, welcher auch unter https://implicit.harvard.edu/im- plicit/Study?tid=-1 online kostenlos durchgeführt werden kann. Die konvergente und diskriminante Validität des IAT zur Messung der Einstellung gegenüber homosexuellen Frauen und Männern wurde bewiesen, die interne Konsistenz als zufriedenstellend eingeschätzt (Banse, Seise & Zerbes, 2001).
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