Kompetenzorientierung und individuelle Förderung in der Sekundarstufe 1


Thèse de Master, 2015

87 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung in das Thema und Zielsetzung

2. Bildungspolitische Hintergründe
2.1 Die Verwendung des Begriffes Kompetenz
2.2 Bildungsstandards und ihre Verortung im Schulsystem
2.3 Der Weg zur Standardisierung im deutschen Bildungssystem
2.3.1 Konstanzer Beschluss (1997)
2.3.2 „PISA-Schock“ (2001)
2.3.3 Klieme-Expertise (2003)
2.3.4 Richtungsweisende Beschlüsse nach der Klieme-Expertise
2.4 Notwendigkeit der Standardisierung im deutschen Bildungssystem
2.5 Ziele von BildungsStandards
2.6 Grundlagen individueller Förderung im kompetenzorientierten บทterricht

3. Ausrichtung des Bildungs systems auf Bildungsstandards
3.1 Drei Typen von Bildungsstandards
3.2 Von der Input- zur Outputorientierung
3.3 Die Entwicklung von Kompetenzmodellen
3.4 Messung und Beurteilung von Kompetenzen im Unterricht
3.5 Kritik an Bildungsstandards

4. Praxis des kompetenzorientierten Unterrichts
4.1 Ziele und Methoden des kompetenzorientierten Unterrichts
4.2 Erste Forschungen zum Stand des kompetenzorientierten Unterrichts
4.3 Ablösung der traditionellen Lehrpläne durch Schulcurricula
4.4 Die Rolle der Lehrkraft im kompetenzorientierten Unterricht
4.5 Individuelle Förderung im kompetenzorientierten Unterricht

5. Beispielhafte Umsetzung im Unterricht
5.1 Konzeption von BildungsStandards am Beispiel der Bildungsstandards im
Fach Deutsch für den Mittleren Schulabschluss
5.2 Konsequenzen für die individuelle Förderung und den kompetenzorientierten Unterricht im Fach Deutsch in der SEK 1
5.3 Individuelle Förderpläne
5.4 Projekte

6. Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

1. Einführung in das Thema und Zielsetzung

Mit der Reform müssen sich für die Akteure Vorteile verbinden, die zusätzlichen Belastungen müssen Sinn machen und nach einer Weile müssen sich auch Erfolge einstellen. Anders sind Bildungsreformen nicht durchzuführen - auch die Einführung von Bildungsstandards nicht (Hubig & Rindermann 2012, S. 177).

Wegen der Einführung von Bildungsstandards, in denen die Kompetenzen definiert werden, die die Schülerinnen und Schüler in einem kompetenzorientierten Unterricht erreichen sollen, kam es in den letzten Jahren zu einem kontroversen Diskurs über die Schulentwicklung in Deutschland. Von ähnlicher Relevanz für das deutsche Bildungssystem ist aktuell weiterhin die Herausforderung, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass eine umfangreiche individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler gewährleistet werden kann.

Das als Einstieg verwendete Zitat von Hubig und Rindermann (2012) verweist bereits auf eine Grundvoraussetzung für das Gelingen der Reform der Bildungsstandards in Deutschland: Sie muss Vorteile gegenüber den bestehenden Schul- und Unterrichtstrukturen bieten.

Bildungsstandards müssen dafür zunächst von allen Beteiligten verstanden und akzeptiert werden. Nur dann können sie nachhaltig und erfolgreich implementiert werden. Es besteht jedoch noch Uneinigkeit darüber, ob Bildungsstandards eine Weiterentwicklung des Bildungs systems bedeuten. So wird immer noch massiv Kritik geübt an der bisherigen Entwicklung und Umsetzung von Bildungsstandards, die beispielsweise die individuelle Bildung der Schülerinnen und Schüler gefährden sollen (vgl. ebd., S. 169).

Bildungsstandards wurden speziell wegen den enttäuschenden Ergebnissen von internationalen Schulleistungsuntersuchungen, insbesondere von PISA 2000, gefordert und eingeführt. Eine darauf zeitnahe Reaktion stellte die Beauftragung einer Expertengruppe um Eckhard Klieme im Jahre 2003 dar, eine Expertise für die Einführung nationaler Bildungsstandards zu entwerfen. Die Kultusministerkonferenz (KMK) veröffentlichte bereits im selben sowie im folgenden Jahr Bildungsstandards in ausgewählten Fächern für bestimmte Jahrgänge. Die Entwicklung der Bildungsstandards erfolgte somit anfangs in einer rasanten Geschwindigkeit. Es folgte jedoch schnell die Einsicht, dass eine derartig massive Umstrukturierung der unterrichtlichen Praxis nicht innerhalb kürzester Zeit zu verwirklichen ist. Die Einführung von Bildungsstandards ist somit auch heute bei weitem noch nicht abgeschlossen. Es fehlt weiterhin an relevanten Bildungsstandards für bestimmte Jahrgänge als auch an geeigneten Kompetenzmodellen. Außerdem fehlt vielfach noch die Bereitschaft sowie die entsprechenden Kenntnisse, um Schule und den Unterricht im Sinne der Bildungsstandards kompetenzorientiert umzustrukturieren: „Sämtliche Schulvergleichsstudien belegen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Bereitschaft und der Offenheit für eine Sache und der Fähigkeit, mit den Sachen umzugehen“ (Ziener 2006, S. 22). Die Reformen können somit nicht einfach von der Bildungsadministration gefordert werden, ohne die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Bei allen Beteiligten im Bildungssystem muss zunächst ein Verständnis erzeugt werden, was Bildungs Standards sind und welche Ziele mit der Einführung verbunden sind. Speziell für die Schulen müssen geeignete Unterstützungssysteme geschaffen werden, damit die Einführung des kompetenzorientierten Unterricht konstruktiv umgesetzt werden und jede Schülerin und jeder Schüler gemäß seiner individuellen Voraussetzungen optimal gefördert werden kann.

Die vorliegende Arbeit soll aufzeigen, warum kompetenzorientierter Unterricht und eine umfangreiche individuelle Förderung noch nicht den Normalfall des Unterrichts in Deutschland darstellen. Der Fokus richtet sich dabei auf die Sekundarstufe I. Es werden Herausforderungen und Probleme in Bezug auf die praktische Anwendung von Bildungs Standards und der individuellen Förderung aufgezeigt. Verdeutlicht werden soll, wie sich eine individuelle Förderung im kompetenzorientierten Unterricht verwirklichen lässt. Zudem wird die Kritik an der Reform der Bildungs Standards ausführlich diskutiert. Es werden Wege und Möglichkeiten aufgezeigt, wie Schule und Unterricht sich verändern müssen, damit Kompetenzorientierung und individuelle Förderung im Unterricht verwirklicht werden können. Auch wird explizit auf den veränderten Rollenanspruch an den Beruf der Lehrerin und des Lehrers deutlich. Angemerkt werden soll aber bereits jetzt, dass nicht nur an die Lehrerinnen und Lehrer neue Ansprüche gestellt werden. Auch die Schülerinnen und Schüler Stehen im kompetenzorientierten Unterricht zunehmend mehr in der Pflicht. Die Reform der Bildungsstandards lässt sich nie auf nur einer Ebene verwirklichen.

Auch wenn nur wenige empirische Ergebnisse vorliegen, sollen die vorliegenden Daten im Verlauf der Arbeit angeführt werden, weil die nachhaltige Implementation von BildungsStandards in Zukunft auf wissenschaftliche Studien angewiesen ist. Ohne eine wissenschaftliche Grundlage kann weder Konsens noch ein professioneller Umgang mit Bildungsstandards in Deutschland möglich sein.

Die vorliegende Arbeit ist in insgesamt sechs Kapitel eingeteilt. Nach der Einführung in das Thema der Masterarbeit sowie der Beschreibung der Zielsetzung, werden in Kapitel 2 zwei wesentliche Begrifflichkeiten erläutert, um zum einen ein Grundverständnis für die gesamte Thematik zu erzeugen und zum anderen ein einheitliches Verständnis dieser Begriffe als Grundlage für die noch folgenden Kapitel zu schaffen. Es wird außerdem veranschaulicht, wie und warum sich ein Prozess der Standardisierung in Deutschland vollzieht und welche Ziele mit der Einführung von Bildungs Standards verbunden sind. In Kapitel 3 liegt der Fokus auf den konkreten Konsequenzen, die sich aus der Implementation ergeben. Nachdem die verschiedenen Arten von Bildungs Standards vorgestellt und die verstärkte Ausrichtung des Bildungssystems auf den Output dargestellt wurde, wird auf die Herausforderung eingegangen, angemessene Kompetenzmodelle zu entwickeln. Weiter wird der Frage nachgegangen, ob und wie sich Kompetenzen im Unterricht messen lassen. Das anschließende vierte Kapitel zeigt auf, wie ein kompetenzorientierter Unterricht in der Praxis aussehen kann. Es folgen empirische Ergebnisse über den bisherigen Stand der Entwicklung. Außerdem wird darauf eingegangen, wie sich die traditionellen Lehrpläne verändern müssen, damit kompetenzorientierter Unterricht und individuelle Förderung gelingen können. Die Rolle der Lehrerin oder des Lehrers im kompetenzorientierten Unterricht wird dafür explizit dargestellt. Von der Rolle ausgehend, werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie die Lehrkraft alle Schülerinnen und Schüler individuell fördern kann. Es wird deutlich, was beachtet werden muss, damit sich die Konzepte der individuellen Förderung und der Kompetenzorientierung in der Praxis verknüpfen lassen. Kapitel fünf zeigt am Beispiel des Faches Deutsch in der Sekundarstufe I auf, wie Bildungs Standards und Kompetenzmodelle formuliert werden und wie der Unterricht demgemäß gestaltet und individuelle Förderung erfolgreich verwirklicht werden kann. Zur Veranschaulichung werden noch explizit zwei Möglichkeiten angeführt, die dazu beitragen, dass die Reformen eine Weiterentwicklung des Schulsystems darstellen können. In dem abschließenden sechsten Kapitel werden die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst und ein abschließendes Resümee darüber gezogen, wie die bisherige Entwicklung der Bildungs Standards zu bewerten ist und ob Kompetenzorientierung und individuelle Förderung bereits einen Gewinn für das Bildungs system darstellen bzw. in Zukunft darstellen können.

2. Bildungspolitische Hintergründe

Damit deutlich wird, wie sich die Schulpraxis in Deutschland durch die Implementation von kompetenzorientierten Unterricht sowie die verstärkte Ausrichtung auf individueller Förderung verändert hat bzw. noch verändert, wird zunächst in 2.1 sowie in 2.2 verständlich gemacht, was unter „Kompetenzen“ bzw. „Bildungsstandards“ zu verstehen ist. Beides sind Schlüsselbegriffe, die das Schulsystem heutzutage maßgeblich prägen. Eine notwendige Definition von „individueller Förderung“ und die Relevanz in Bezug auf den kompetenzorientierten Unterricht, folgt am Ende des Kapitels, da zunächst der Kontext entscheidend ist, in welchem individuelle Förderung, als wichtiges Aufgabenfeld für Lehr-und Lernsituationen, betrachtet wird. Vorher werden noch die Merkmale guter Bildungsstandards angeführt, die in der Klieme-Expertise beschrieben werden. Kapitel 2.3 veranschaulicht, wie sich die Standardisierung im deutschen Bildungssystem schrittweise vollzogen hat. Außerdem wird auf die Beschlüsse eingegangen, die für die weiterhin aktuelle Debatte um Bildungsstandards relevant sind. Im Wissen über die zeitliche Entwicklung der Standardisierung, wird in Punkt 2.4 nochmal explizit darauf eingegangen, warum diese als dringend notwendig angesehen wird, damit das deutsche Bildungssystem in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben kann. Anschließend sollen exemplarisch Ziele von Bildungsstandards genannt und dargestellt werden (2.5). Auf weitere Ziele gehe ich im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit ein.

2.1 Die Verwendung des Begriffes Kompetenz

Der Begriff „Kompetenz“ wird heutzutage im Allgemeingebrauch und in der aktuellen bildungspolitischen Debatte anders verwendet als zu früheren Zeitpunkten. Die ursprüngliche Bedeutung von Kompetenzen als „streng geregelte und unpersönliche Zuständigkeiten, etwa die eines Richters oder einer Behörde“ (Oelkers 2003, S. 112) ist nicht mehr adäquat in Bezug auf den heutigen Gebrauch. Das Wort Kompetenz wird heutzutage nahezu inflationär verwendet, sodass ein Bedeutungswandel offensichtlich ist. Kompetenz ist Teil des allgemeinen Wortgutes geworden und vielfach wird jedes Wissen oder Können als Kompetenz deklariert. Es sollte jedoch offensichtlich sein, dass diese Art der Verwendung des Wortes Kompetenz in der bildungswissenschaftlichen Diskussion keinen Nutzen darstellen kann, um als Arbeitsbegriff fungieren zu können (vgl. Grabowski 2014, S. 10).

Grundlage für die Frage nach der Schulentwicklung und der Implementation des kompetenzorientierten Unterrichts stellt zumeist die Definition nach Weinert (2001) dar, der Kompetenzen als:

die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (S. 27f.)

beschreibt. Kompetenzen äußern sich stets in konkreten Handlungssituationen (vgl. Ziener 2006, S. 20). Auch die Klieme-Expertise bezieht sich auf die Definition nach Weinert, auch wenn sich die Expertise, ähnlich wie die BildungsStandards der KMK, aus pragmatischen Gründen im Kern auf die kognitiven Aspekte fokussieren (vgl. Herzog 2013, S. 11). Zentral für die Schülerinnen und Schüler sollen im Bildungsprozess bzw. im kompetenzorientierten Unterricht diejenigen Kompetenzen sein, die sie dazu befähigen, mündig und aktiv am gesellschaftlichen Feben teilhaben zu können, um so die dringenden Aufgaben der jeweiligen Gegenwart erfolgreich bewältigen zu können (vgl. Mugerauer 2012, S. 44).

Als Kompetenz lässt sich also im pädagogischen Bereich die „persönlich erreichte und automatisierte Fähigkeit, in bestimmten Wissensdomänen und nach Abschluss vieler verschiedener Fernsequenzen in begrenzter Generalisierung auf neue Anforderungen hin Probleme lösen zu können“ (Oelkers & Reusser 2008, S. 27) verstehen.

Den weiteren Ausführungen liegt dieses Verständnis von Kompetenz zugrunde.

2.2 Bildungsstandards und ihre Verortung im Schulsystem

Wird zunächst von dem Begriff der „Standardisierung“ ausgegangen, versteht sich darunter die Festlegung von entscheidenden Normen für soziale Interaktionsbereiche. Standards regeln die Interaktion von Menschen in wichtigen Lebensbereichen durch Angleichung und Vergleichbarkeit von Normen. Institutionen, wie die Schule, könnten ohne die Festlegung von Normen nicht bestehen (vgl. Herzog 2013, S. 14).

Bezogen auf das Schulsystem wird heutzutage von Bildungsstandards gesprochen. Nach Klieme (2004) sind Bildungsstandards eine „Form der Festlegung von Zielen für schulische Lehr- und Lernprozesse, insofern [sie] kann man sie als curriculare Dokumente verstehen, ebenso wie klassische Lehrpläne“ (S. 10). Anzumerken ist hier bereits, dass klassische Lehrpläne in den Schulen nicht mehr existent sein sollten (siehe Kapitel 4.3). Folgt man der Definition nach Klieme (2004), stellt sich die Frage, was genau unter der Form der Festlegung von Zielen zu verstehen und was das Charakteristische an Bildungs Standards ist.

Bildungsstandards sind zu verstehen als „Leistungs- bzw. Ergebnisstandards“ (Herzog 2013, S. 17). Sie drücken also aus, was Schülerinnen und Schüler im Unterricht lernen sollen. Der Begriff Bildungsstandard geht also von den Kompetenzen aus, die von den Schülerinnen und Schülern zu erreichen sind und klammert dabei zunächst einmal das Handeln der Lehrkräfte aus (vgl. ebd., S. 24). Bildungsstandards sind im Kern stets normativ, da sie nicht wissenschaftlich begründet werden können. Sie sind also Festlegungen, die möglichst vielen Beteiligten als sinnvoll erscheinen müssen, aber nie endgültig determiniert werden können. Entwickelte und umgesetzte Bildungsstandards sind daher bei Bedarf zu revidieren (vgl. Oelkers 2003, S. 136).

Die Bildungsstandards in Deutschland besitzen eine Präambel, in der die Relevanz des jeweiligen Faches für die Bildung bestimmt wird. Anschließend sind die Bildungsstandards so aufgebaut, dass die Kompetenzbereiche des jeweiligen Faches dargelegt werden, ehe für die einzelnen Kompetenzbereiche die relevanten Standards beschrieben werden. Abschließend folgen Aufgabenbeispiele für die jeweiligen Standards, die den einzelnen Anforderungsbereichen zugeordnet werden (vgl. Artelt & Riecke-Baulecke 2004, S. 13f.). BildungsStandards sollen den Schulen nur Kembereiche für die jeweiligen Fächer vorgeben, sodass diese mehr pädagogischen GestaltungsSpielraum besitzen.

In der Klieme-Expertise werden sieben Merkmale guter Bildungs Standards angeführt: Fachlichkeit, Fokussierung, Kumulativität, Verbindlichkeit für alle, Differenzierung, Verständlichkeit und Realisierbarkeit. Zu verstehen ist unter den einzelnen Merkmalen:

(a) Fachlichkeit: Bildungs Standards beziehen sich auf einen bestimmten Lembereich und verdeutlichen das Exemplarische einer Disziplin bzw. eines Unterrichtsfaches.
(b) Fokussierung: Standards fokussieren sich auf einen bestimmten Kembereich.
(c) Kumulativität: Standards beziehen sich auf Kompetenzen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht werden sollten.
(d) Verbindlichkeit für alle: Sie drücken Mindeststandards aus, die von allen Lernen (auf allen Schulformen) gefordert werden.
(e) Differenzierung: Es gibt nicht nur ein definiertes Mindestniveau, sondern verschiedene Kompetenzstufen.
(f) Verständlichkeit: Die Bildungsstandards sind eindeutig und plausibel formuliert.
(g) Realisierbarkeit: Sie müssen auf ein gutes Anforderungsniveau abgestimmt sein (vgl. Klieme 2009, S. 24f.).

Bildungs Standards, die diesen sieben Merkmalen nicht gerecht werden, sollten den Beteiligten bei der Frage nach der Chance auf eine weitreichende Implementation nie als plausibel und erfolgsversprechend genug erscheinen, sodass diese dringend überarbeitet werden müssen, um für die Praxis als nützlich und erfolgsversprechend gelten zu können.

2.3 Der Weg zur Standardisierung im deutschen Bildungssystem

Auch wenn der Begriff „Büdungsstandard“ erst im Zuge der Diskussion um die Ergebnisse der ersten PISA-Studie Bestandteil der Überlegungen zur Schulentwicklung wurde, lassen sich in der Bildungsgeschichte vergleichbare Vorläuferdebatten erkennen, die von der Thematik und Problematik deutliche Überschneidungen vorweisen (vgl. Criblez et al. 2009, S. 47).

Angeführt werden muss an dieser Stelle vor allem die Curicculumsdiskussion, die in den 1970er-Jahren geführt wurde. In Folge dieser kam wiederholt die Forderung auf, dass Schülerinnen und Schüler zunehmend dazu befähigt werden sollen, sich selbständig Wissen anzueignen, um ihre gesellschaftliche, soziale und politische Teilhabe zu steigern. Vehement wurde Kritik deutlich an der bisherigen oftmals einseitigen Ausrichtung an (zu abstraktem und insularem) Faktenwissen. Auch die Einsicht der Relevanz des lebenslangen Fernens verbreitete sich zunehmend, ebenso wie die Forderung nach einer Förderung und Entwicklung der individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten (vgl. Arnold 2006, S. 17). Die Curriculumsdiskussion leitete einen Perspektivenwechsel im deutschen Bildungssystem ein. Eine neue Ausrichtung der Fehrpläne an den Fernzielen und damit an den Resultaten, die durch den Unterricht erzielt werden, gelangte zunehmend in den Fokus. Können, welches unmittelbar im Beruf angewendet werden kann, wurde zunehmend von der Wirtschaft angefordert und deshalb Bestandteil der unterrichtlichen Praxis. Auch die Frage nach der Operationalisierung von Fernzielen wurde erstmals nachdrücklich diskutiert (vgl. Criblez et al. 2009, S. 47). Überlegungen hin zu einer stärkeren Output-Orientierung, wie sie auch nach den Ergebnissen von PISA 2000 gefordert wurde, lassen sich also bereits ab Mitte der 1970er-Jahre erkennen (vgl. Benner 2012, S. 102).

Die Entwicklung dahingehend, „grundlegende Zieldimensionen wie Fähigkeit zum kritischen Denken, Problemlösungsfahigkeit und Kooperationsfahigkeit“ (Klieme 2004, S. 10) als wünschenswert zu betrachten um den aktuellen und zukünftigen Anforderungen gerecht werden zu können, setzte sich fort und fand sich zunehmend auch in den Fehrplänen wieder. In den 1980er- und 1990er-Jahren wurde in diesem Zusammenhang zunächst von transferierbaren Schlüsselqualifikationen gesprochen, ehe der Terminus der life skills verstärkt in den Fokus gerückt wurde. In der Diskussion um zu erreichende Bildungsziele wurde in Bezug auf die Lebens­und Arbeitswelt immer mehr eine Zweckmäßigkeit der zu erwerbenden Lernziele priorisiert. In Folge wurde auch in der deutschen Fachdiskussion der Begriff der Kompetenz gebräuchlich (vgl. ebd., S. 10).

Auf die Frage, was neu an der Diskussion über und der Einführung von Bildungsstandards im Vergleich mit den historischen Vorläuferdebatten ist, wird in Punkt 2.2 eingegangen.

2.3.1 Konstanzer Beschluss (1997)

Bereits am 12.5.1995 beschloss die Kultusministerkonferenz „Standards für den Mittleren Schulabschluss in den Fächern Deutsch, Mathematik und erste Fremdsprache“ (KMK 2003, S. 4) zu erarbeiten. Die jeweilige Ausarbeitung war dabei den Ländern überlassen. Im Anschluss fand keine umfassende und konstruktive Umsetzung des Beschlusses statt. In Bezug auf die Einführung der Bildungsstandards in den Fächern Deutsch, Mathematik und erste Fremdsprache fehlte es an Expertise zur nachhaltigen Implementation in der unterrichtlichen Praxis sowie auch an einer Überprüfung der Wirksamkeit der beschlossenen Bildungsstandards (vgl. Elsenbast, Fischer, Schreiner 2004, S. 5). Richtungsweisend für die weitere Entwicklung des deutschen Bildungssystems war der Konstanzer Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 24.10.1997. Der Beschluss der KMK leitete die „empirische Wende“ ein (vgl. Tegge 2015, S. 30). In Zukunft sollten gemäß der empirischen Wende die Schulleistungen durch Vergleichsstudien dokumentiert werden. Die Länder wurden von der KMK in die Pflicht genommen, Instrumente zur Evaluation zu entwickeln und zu erproben, um genaue Ergebnisse über den Lern-und Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler zu erlangen und diesen als Ausgangspunkt für den Austausch über die notwendige Qualitätssicherung im Bildungs system zu nutzen. Die Durchführung von nationalen Vergleichs arbeiten (VERA) wurde als unabdingbar erklärt. Augenmerk wurde dabei auf die Entwicklung muttersprachlicher, mathematischer, naturwissenschaftlich-technischer und fremdsprachlicher Kompetenzen sowie übergreifender personaler und sozialer Kompetenzen gelegt. Zunächst sollte sich der Fokus dabei auf die SEK I richten (vgl. KMK 1997, 0.S.). Auch der Entscheid sich an internationalen Vergleichsuntersuchungen zu beteiligen, wurde durch den Konstanzer Beschluss getroffen. Verfolgt wurde dadurch ebenfalls das Ziel, die Qualität im Bildungssystem zu sichern und weiterzuentwickeln (vgl. Criblez et al. 2009, S. 69).

LeistungsStudien, national wie auch international, werden also trotz hoher Kosten regelmäßig durchgeführt, weil es nur durch eine empirische Überprüfung des Leistungs- bzw. Kompetenzniveaus der Schülerinnen und Schüler möglich ist, konkrete Aussagen über die Wirkung von Unterricht zu treffen. Die gewonnen Daten können so für die Schulenwicklung genutzt werden (vgl. Schwerdt 2010, S. 14f.).

2.3.2 „PISA-Schock“ (2001)

Auch wenn die KMK die regelmäßige Teilnahme an internationalen Vergleichsstudien erst mit dem Konstanzer Beschluss vereinbarte, nahm die Bundesregierung bereits 1995 an der TIMSS-Studie (Trends in International Mathematics and Science Study) teil. Die alle drei Jahre stattfindende Studie, die die mathematischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse der Schülerinnen und Schüler überprüft, offenbarte dabei schon enttäuschende Ergebnisse für das deutsche Bildungssystem (vgl. Storz 2009, S. 91). Auch wenn die Resultate in der deutschen Bildungslandschaft bereits zu intensiven Diskussionen um notwendige Reformen führten, kam es erst durch den sogenannten „PISA-Schock“ zu heftigen Reaktionen durch sowohl der Bildungspolitik als auch der breiten Öffentlichkeit. Die PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) wird seit 2000 alle drei Jahre durchgeführt und stellt ein umfangreiches Erhebungsprogramm dar, welches aufschlussreiche Erkenntnisse über das Leistungsniveau von fünfzehnjährigen Schülerinnen und Schülern bringen soll (vgl. Sälzer & Prenzel 2013, S. 11).

Die Ergebnisse der ersten PISA-Studie stellten die Effektivität des deutschen Schulsystems dabei massiv in Frage. Gemäß der Resultate verfügten die Schülerinnen und Schüler in Deutschland über ein unterdurchschnittliches Kompetenzniveau in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen. Ersichtlich war zudem eine enorme Leistungsheterogenität innerhalb dieser Grundbildungsbereiche. Auch wurden Bildungsbenachteiligungen in Deutschland ersichtlich, insbesondere durch den Zusammenhang von Herkunfts schicht und Leistungsniveau (vgl. Schwerdt 2010, S. 8).

Die Zusatzstudie PISA-E, die erstmals 2002 durchgeführt wurde, zeigte zudem, dass es zwischen den Bundesländern deutliche Unterschiede gibt. Im Sinne der erwünschten Vergleichbarkeit von Abschlüssen in Deutschland, die mit Zugangsberechtigungen verknüpft sind, müssen diese im Sinne des Gleichheitsgebots verringert werden. Eine eindeutige Definition und Sicherung von Standards ist dafür unabdingbar (vgl. Thies 2005, S. 8).

Die Ausrichtung des Schulwesens auf Standards war die Reaktion der Politik auf PISA. Auch wenn den Diskussionen um Standards oftmals eine eindeutige Definition als Grundlage fehlt, sollten Standards nach den ersten PISA-Ergebnissen das Mittel und der Weg zu besseren Ergebnissen bei den nachfolgenden Erhebungen darstellen und somit die Effektivität des deutschen Bildungssystems nachhaltig steigern (vgl. Oelkers 2003, S. 135).

2.3.3 Klieme-Expertise (2003)

Nach den bereits 1995 beschlossenen Standards der Kultusministerkonferenz für den Mittleren Schulabschluss, einigte sich die KMK im Mai 2002 in Eisenach darauf, die Entwicklung voranzutreiben und Bildungs Standards für den Primarbereich nach Jahrgangs stufe 4 sowie für den Hauptschulabschluss nach Jahrgangs stufe 9 zu entwickeln (vgl. Thies 2005, S. 9). Die Standards, die sich somit auf konkrete Schnittstellen in der Schullaufbahn fokussierten, sollten von den Ländern implementiert und ihr Erfolg regelmäßig kontrolliert werden (vgl. Criblez et al. 2009, S. 70f.). 2003 veröffentlichte eine im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie der Kultusministerkonferenz eingerichtete Expertengruppe unter Leitung von Prof. Dr. Eckhard Klieme die Expertise „Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards“, die den Arbeitsgruppen, welche mit der Entwicklung von BildungsStandards beauftragt wurden, als Grundlage dienen sollte. Die Expertise beinhaltet „gleichsam die Legitimation von Bildungsstandards in Absetzung von bisherigen Lehrplänen und entwirft Vorschläge zu deren konkreten Ausgestaltung“ (Wacker 2008, S. 142). Mangelte es den bisherigen Beschlüssen in Bezug auf die Einführung von Bildungs Standards noch an Reichweite und Konkretheit, sollte die Klieme-Expertise die „wissenschaftliche Grundlage der politischen Einführung von Bildungsstandards“ (Drieschner 2009, S. 25) in Deutschland darstellen.

Zentral für die Autorinnen und Autoren der Expertise ist die Notwendigkeit einer zunehmenden Output-Orientierung (siehe Kapitel 3.2) im Bildungssystem: „Der Output wird somit zum entscheidenden Bezugspunkt für die Beurteilung des Schulsystems und für Maßnahmen zur Verbesserung und Weiterentwicklung“ (Klieme et al. 2009, S. 12).

Auf die Frage, inwieweit die KMK dabei den besagten Vorschlägen der Expertengruppe gefolgt ist, wird im weiteren Verlauf noch detailliert eingegangen.

2.3.4 Richtungsweisende Beschlüsse nach der Klieme-Expertise

Nach den Entscheidungen über die grundsätzliche Ausrichtung des bildungspolitischen Systems in Deutschland hat die KMK 2003 und 2004 Bildungsstandards für das Ende der Primarstufe sowie für den Hauptschulabschluss und den Mittleren Schulabschluss verabschiedet. Da die Erarbeitung und Verabschiedung der Standards innerhalb kürzester Zeit erfolgt ist, musste sich die KMK den Bedenken der Öffentlichkeit stellen, dass die Standards zu überstürzt und nicht gründlich genug erarbeitet wurden (vgl. Kunze 2007, S. 236). Warum sich Bildungsstandards und kompetenzorientierter Unterricht in der unterrichtlichen Praxis nicht von dem einen auf den anderen Moment realisieren lassen, sollte spätestens in Kapitel 3 und 4 deutlich werden.

Die Arbeitsgruppen, die die Bildungsstandards entwickelten, setzten sich dabei zusammen aus Fachdidaktikem und Schulpraktikern aus den verschiedenen Bundesländern. Zusätzlich wurden die Arbeitsgruppen beziehungsweise Fachkommissionen unterstützt durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Bereich der Fachdidaktik und der Unterrichtsforschung, die den Prozess koordinierten. Als Hilfsmittel für die Erarbeitung der Bildungsstandards dienten den Arbeitsgruppen dabei neben der Klieme-Expertise (siehe 1.2.3) Standards der amerikanischen Mathematikdidaktikervereinigung (NCTM), der europäische Referenzrahmen für Sprache sowie bereits für internationale Schulleistungsuntersuchungen, die in der Fachsprache auch large-scale-assesments genannt werden, entwickelte Kompetenzstufen (vgl. Artelt & Riecke-Baulecke 2004, S. llf.).

Bildungs Standards wurden in Deutschland bisher für die Fächer Deutsch und Mathematik für die 4. Jahrgangsstufe, also das Ende der Primarschule, für die 9. Jahrgangs stufe (Hauptschulabschluss) in Deutsch, Mathematik und der ersten Fremdsprache (Englisch oder Französisch), für die 10. Jahrgangsstufe (Mittlerer Schulabschluss) in Deutsch, Mathematik, der ersten Fremdsprachen und den naturwissenschaftlichen Fächern Biologie, Chemie und Physik sowie für die allgemeine Hochschulreife in Deutsch, Mathematik und der fortgeführten Fremdsprachen entwickelt und verabschiedet (vgl. KMK 2012a, S. 5).

Obwohl die KMK wegen einer möglicherweisen vorschnellen Verabschiedung von Bildungs Standards viel kritisiert wurde, sahen auch die Bildungsministerien der Bundesländer die Dringlichkeit gegeben, schnell auf die enttäuschenden Ergebnisse der internationalen Vergleichsuntersuchungen zu reagieren, sodass beispielsweise Nordrhein-Westfalen zum Schuljahr 2005/06 kompetenzorientierte Kemlehrpläne oder Niedersachen ein Jahr später Kerncurricula einführte (vgl. Kunze 2007, S. 236), die zur Umsetzung der geforderten Standardisierung beitragen sollten. Ferner wurde von der KMK im Dezember 2003 beschlossen, das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) zu gründen (vgl. Criblez et al. 2009, S. 74). Das IQB folgt dabei dem Ziel der „Weiterentwicklung, Operationalisierung, Normierung und Überprüfung von Bildungsstandards“ (ebd., S. 74).

Im Juli 2006 kündigte die KMK per Beschluss an, dass die Schulleistungen der Schülerinnen und Schüler in Zukunft regelmäßig und länderüb ergreifend anhand eins Monitorings kontrolliert werden sollen. Das nationale Bildungsmonitoring setzt sich dabei zusammen aus vier, zum Teil bereits vorher bestehenden, Bereichen: Teilnahme an internationalen Schulvergleichsstudien, Durchführung von nationalen Vergleichs Studien zur Überprüfung der Leistungsfähigkeit einzelner Schulen, Überprüfung der BildungsStandards landesweit sowie eine gemeinsame Erklärung von Bund und Ländern über die Lage des Bildungssystems (vgl. ebd., S. 75f.). Eine wichtige Lorm der externen Evaluationen ist dabei die Schaffung von Schulinspektion: „Sie dient der operativen Steuerung und Kontrolle der schulischen Arbeit und wird immerhin als Kern des Qualitätssicherungssystems für Schulen bezeichnet. Dabei geht es um die kontinuierliche Begleitung und das Controlling der Schulentwicklung, des schulischen Personal- und des Ressourcenmanagements“ (Griese 2011, S. 185). Die Qualität von Schule muss also durch verschiedene Instanzen überprüft werden, um valide Aussagen zu ermöglichen.

Ergebnisse von Ländervergleichen führten unter anderem dazu, dass die KMK 2010 eine „Förderstrategie für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler“ (KMK 2010, S. 1) veröffentlichte. Das Ziel der FörderStrategie ist es, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die das angestrebte Minimum der zu erwerbenden Kompetenzen nicht erreichen, stark reduziert werden soll. Um dieses Ziel erreichen zu können, bedarf es einer effektiveren individuellen Förderung, um die Schülerinnen und Schüler beim Kompetenzerwerb erfolgreich unterstützen zu können, (vgl. Criblez et al. 2009, S. 225).

Um Schülerinnen und Schüler folglich bedarfsgerechter individuell fördern zu können und Bildungsungleichheiten, wie die Verbindung von sozialer Herkunft und der Stärke des Kompetenzerwerbs, zu reduzieren, investierte der Bund zwischen 2003 und 2009 vier Milliarden Euro in den Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen. Von der Fokussierung auf das Modell der Ganztagsschule verspricht sich der Bund eine tiefgreifende Weiterentwicklung in Bezug auf die Leistungsfähigkeit des deutschen Bildungs systems (vgl. ebd., S. 118f.).

2.4 Notwendigkeit der Standardisierung im deutschen Bildungssystem

Die bereits dargelegten Reaktionen auf die enttäuschenden Ergebnisse der (ersten) Schulvergleichsuntersuchungen bewirkten die Ausrichtung des deutschen Bildungssystems auf BildungsStandards und damit auch auf kompetenzorientierten Unterricht. Die Notwendigkeit zu reagieren und somit Veränderungen im deutschen Bildungs system zu erwirken, führte seit den 1990er-Jahren zu einer stärkeren Orientierung an den erzielten Ergebnissen von Unterricht (vgl. Criblez et al. 2009, S. 49).

Infolgedessen kamen Vertreter der Bildungspolitik zu der Einsicht, dass durch die Einführung von Prinzipien des New Public Managements die einzelnen Schulen mehr Handlungsfreiheiten erhalten sollten. Den einzelnen Schulen sollte also mehr Autonomie gegeben werden, um in dem von der Politik zugestandenen Rahmen quasi unternehmerisch tätig zu werden und durch die damit zusammenhängende gestiegene Verantwortung zu besseren Schulleistungen motiviert zu werden (vgl. Fend 2008, S. 108).

Die Orientierung an das New Public Management führte auch dazu, dass die Einzelschulen zunehmend Rechenschaft über die erbrachten Leistungen abliefern müssen (vgl. Criblez et al. 2009, S. 65). Um Rechenschaft abliefern zu können, bedarf es aber zunächst einmal der Standardisierung im Bildungssystem. Die erbrachten Leistungen der Schülerinnen und Schüler müssen zu diesem Zweck vergleichbar gemacht werden, um Aussagen über die Qualität der einzelnen autonomen Schulen treffen zu können.

Dadurch, dass in der Schule Prinzipien des New Public Managements als relevant betrachtet werden, wird Bildung „unter dieser Perspektive zu einem Kapital einer ökonomischen Ressource, die im Prozess der Arbeit verwendet werden kann“ (Rahm 2011, S. 37). Beim Kompetenzerwerb in der Schule wird somit verstärkt auf den möglichen Nutzen für die Arbeitswelt geachtet und der Unterricht dementsprechend gestaltet. Von der zunehmenden Standardisierung des deutschen Bildungssystems soll langfristig also auch der deutsche Arbeitsmarkt profitieren. Dennoch liegt der zentrale Fokus und damit der Grund für die Notwendigkeit der Standardisierung im deutschen Bildungssystem auf den Verbesserungen der Leistungen der Schülerinnen und Schüler. Zwangsläufig dürfte sich aus einem durchschnittlich höheren Kompetenzniveau der Schülerinnen und Schüler ein weitreichender Nutzen für die deutsche Wirtschaft ergeben.

2.5 Ziele von Bildungsstandards

Für Gabriele Friedl-Lucyshyn (2011) ist „der nachhaltige Aufbau wesentlicher, für den weiteren Lemfortschritt im jeweiligen Fach entscheidender Kompetenzen“ (S. 63) das zentrale Ziel bei der Einführung von Bildungsstandards. Die Kompetenzen, die in einem Fach von den Schülerinnen und Schülern erworben werden sollen, müssen dafür jeweils klar definiert werden, überdies hinaus gibt es aber auch noch überfachliche Kompetenzen, wie personale, kommunikative oder soziale Kompetenzen, die ebenfalls durch den Unterricht erreicht werden sollen (vgl. Lersch & Schreder 2013, S. 43).

Der Kompetenzerwerb wird nicht nur bei Gabriele Friedl-Lucyshyn als zentrale Aufgabe von Bildungsstandards und Unterricht aufgefasst. Speziell der Begriff der Lernkompetenz ist in diesem Zusammenhang häufig gebräuchlich. Mit dem Erwerb von Lemkompetenz verbindet sich die Vorstellung, dass Schülerinnen und Schüler die Fähigkeit des lebenslangen Lernens erwerben sollen. Lebenslanges Lemen ist die Voraussetzung dafür, der zunehmenden Komplexität der Umwelt in der Gegenwart und auch in Zukunft gerecht werden zu können (vgl. Solzbacher 2007, S. 219f.). Lernkompetenz umfasst vier unterschiedliche Kompetenzdimensionen: Sachkompetenz, Methodenkompetenz, Selbstkompetenz und Sozialkompetenz. Sind Kompetenzen in der Regel fachspezifisch definiert, sind diese vier Kompetenzbereiche fächerübergreifend existent und relevant (vgl. Faulstich-Christ 2010, S. 69). Sachkompetenz meint den Erwerb von Wissen in verschiedenen Fächern sowie Kenntnisse der überfachlichen Anwendung (vgl. Solzbacher 2007, S.224). Unter Methodenkompetenz wird die Fähigkeit verstanden, neue Aufgaben und Herausforderungen durch den Einsatz von verschiedenen Methoden erfolgreich bewältigen zu können. Selbstkompetenz bzw. personale Kompetenz meint den Grad der Selbständigkeit eines Individuums und dessen Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion. Sozialkompetenz ist die Fähigkeit, durch die jemand in verschiedenen sozialen Situationen Verantwortung für sich selber und für die anderen Beteiligten übernehmen kann. Sozialkompetenz befähigt also zum sozialen Handeln (vgl. Faulstich-Christ 2010, S. 69f.). In der Praxis sind die Kompetenzen jedoch zum Teil äußerst schwer voneinander zu trennen. Eine Operationalisierung ist also häufig nicht einfach möglich (vgl. Solzbacher 2007, S. 225). So wie auch in der Klieme-Expertise empfohlen, legen die KMK-Standards den Schwerpunkt auf fachspezifische Kompetenzen. Die fächerübergreifenden Kompetenzen werden in die fachbezogene Unterrichtspraxis integriert (vgl. Drieschner 2009, S. 47). Durch Erkenntnisse aus der Forschung wird die Entscheidung in der Klieme- Expertise für den Fokus auf fachgebundene Kompetenzen damit begründet, dass „fachbezogene Kompetenzen eine notwendige Grundlage für fächerübergreifende Kompetenzen“ (Klieme 2009, S. 75) darstellen.

Neben dem allgemeinen Ziel des Kompetenzaufbaus, lassen sich aber weitere Gründe anführen, warum Bildungsstandards eine sinnvolle Weiterentwicklung von Schule darstellen können. So geht mit Bildungsstandards beispielsweise die Hoffnung einher, das Bildungssystem in Deutschland zu vereinheitlichen, sodass Bildungsabschlüsse vergleichbar werden, um unter anderem die Qualität von Abschlüssen und Qualifikationen besser erfassen zu können. Gleichzeitig soll auch für mehr Transparenz gesorgt werden, damit Lehr-Lernleistungen gültiger, objektiver und zuverlässiger beurteilt werden können. Gewonnene Erkenntnisse über Schwächen und Stärken von Schülerinnen und Schülern sollen zudem als Ansatzpunkt für weitere Beschlüsse genutzt werden. Durch eindeutig definierte Standards und Kompetenzstufen, die jeder Schüler erreichen soll, steigt die Rechenschaftspflicht der einzelnen Schulen. Diese sehen sich daher gezwungen, ergebnisorientierter zu lehren und in Folge das Humankapital besser auszuschöpfen. Ein zentrales Anliegen bei der Einführung von Bildungsstandards ist auch das Ziel, die Bildungschancen aller Schülerinnen und Schüler zu verbessern, sodass der Anteil derjenigen, die auf dem Arbeitsmarkt bisher nahezu cháncenlos waren, drastisch reduziert werden kann (vgl. Becker 2004, S. 16f.).

Bildungsstandards tragen also zur Vereinheitlichung, Vergleichbarkeit und Überprüfbarkeit von Lernleistungen der Schülerinnen und Schülern bei. Durch Bildungsstandards soll sinnvoll festgelegt werden, was Schülerinnen und Schüler zu welchem Zeitpunkt in der Schullaufbahn können und wissen sollen. Dadurch wird sich insgesamt eine Steigerung der Qualität des Bildungssystems erhofft (vgl. Heid 2007, S. 33).

2.6 Grundlagen individueller Förderung im kompetenzorientierten Unterricht

Nach einer Definition vom Forum Bildung ist individuelle Förderung „gleichermaßen Voraussetzung für das Vermeiden und den rechtzeitigen Abbau von Benachteiligungen wie für das Finden und Fördern von Begabungen“ (vgl. Arbeitsstab Forum Bildung 2001, S. 7). Mit dem Konzept der individuellen Förderung verbindet sich somit das Ziel, jede einzelne Schülerin und jeden einzelnen Schülern im Rahmen der jeweils vorhandenen Möglichkeiten optimal zu fördern.

Auch wenn die Schülerinnen und Schüler im Unterricht das gleiche Ziele in Form von Standards erreichen sollen, muss der Lernweg jedoch, je nach Lerntyp und persönlichen Voraussetzungen, vollkommen unterschiedlich durch die zuständige Lehrkraft angeleitet und gestaltet werden (vgl. Kunze 2007, S. 246). Es wäre ein Fehler davon auszugehen, dass es homogene Lerngruppen gibt und somit individuelle Förderung keine Relevanz für Lehr- und Lernsituationen besitzt. Individualisierung des Unterrichts bzw. individuelle Förderung stellen grundlegende Herausforderungen für die unterrichtliche Praxis der Gegenwart dar (vgl. Beer 2007, S. 112). Folglich kommt der individuellen Förderung eine zentrale Rolle bei der Umsetzung von kompetenzorientierten Unterricht zu.

Bei individueller Förderung wird in Abgrenzung zum individualisierten Lernen in erster Linie von der Lehrerin oder dem Lehrer ausgedacht (vgl. Haag & Streber 2014, S. 51). Eine vollständige Trennung ist dabei aber nicht möglich, sodass die Begriffe oft synonym verwendet werden (vgl. Wiebke 2011, S. 11). Dies soll auch in der vorliegenden Arbeit so gehandhabt werden, auch wenn der Fokus auf

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Fin de l'extrait de 87 pages

Résumé des informations

Titre
Kompetenzorientierung und individuelle Förderung in der Sekundarstufe 1
Université
TU Dortmund
Note
1,7
Auteur
Année
2015
Pages
87
N° de catalogue
V355072
ISBN (ebook)
9783668411739
ISBN (Livre)
9783668411746
Taille d'un fichier
695 KB
Langue
allemand
Mots clés
kompetenzorientierung, individuelle, förderung, sekundarstufe
Citation du texte
Thorben Beermann (Auteur), 2015, Kompetenzorientierung und individuelle Förderung in der Sekundarstufe 1, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/355072

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