Es soll mit Hilfe der vorliegenden Arbeit der Problemstellung nachgegangen werden, welchen Einfluss das MT als singuläre Interventionsmaßnahme auf die Wettkampfangst im Leistungssport „Tennis“ ausübt.
Auf Basis der erläuterten Problemstellung besteht die übergeordnete Zielsetzung darin, mit Hilfe einer Prä-Postmessung und der damit verbundenen Erhebung sportpsychologisch und biometrisch relevanter Daten sowie mittels der Bestimmung sportartspezifischer Kennzahlen im Rahmen einer Einzelfallstudie empirisch zu untersuchen, ob ein Mental Training im Rahmen eines sechswöchigen Interventionsprogramms zu einer Reduzierung der Wettkampfangst beim betrachteten Probanden führt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Problemstellung
2 Zielsetzung
3 Gegenwärtiger Kenntnisstand
3.1 Emotionen
3.1.1 Begriffliche Differenzierung zwischen Emotionen und Gefühlen
3.1.2 Bedeutung von Emotionen und deren Steuerung im Sport
3.2 Angst
3.2.1 Begriffserläuterung von Angst
3.2.2 Erklärungsmodelle zur Angstentstehung
3.2.3 Symptome der Angst
3.3 Wettkampfangst
3.3.1 Entstehung der Wettkampfangst
3.3.2 Angstformen im Sport
3.3.3 Wissenschaftliche Modelle zur Erklärung des Angst-Leistungszusammenhangs
3.3.4 Bedeutung der Diagnostik in der Sportpsychologie
3.4 Entspannungstraining
3.4.1 Bedeutung von Spannung und Entspannung im Wettkampfsport
3.4.2 Ziele und Funktionen von Entspannungsverfahren im Wettkampfsport
3.4.3 Entspannungsmethoden
3.5 Mentales Training
3.5.1 Begriffserklärung des Mentalen Trainings
3.5.2 Ansätze des Mentalen Trainings
3.5.3 Methoden des Vorstellungstrainings
3.5.4 Wirkungsweise des Mentalen Trainings
3.5.5 Voraussetzungen für Mentales Training
3.5.6 Stufenmodell des Mentalen Trainings nach Eberspächer
3.5.7 Prozessmodell sportpsychologischer Intervention nach Beckmann und Elbe
3.6 Tennis als Wettkampfsport
3.6.1 Erklärung der Rückschlagsportart
3.6.2 Mentale Anforderungen in spezifischen Spielsituationen
4 Methodik
4.1 Formulierung der Forschungsfrage
4.2 Beschreibung der Stichprobe bzw. des Probanden
4.2.1 Rekrutierung der Stichprobe
4.2.2 Zusammensetzung der Stichprobe
4.2.3 Ort und Zeitpunkt der Untersuchung
4.3 Beschreibung der Messinstrumente
4.3.1 Beschreibung des Wettkampf-Angst-Inventar State (WAI-S)
4.3.2 Beschreibung des Wettkampf-Angst-Inventar Trait (WAI-T)
4.3.3 Beschreibung des Sphygmomanometers
4.3.4 Beschreibung des Aufschlagmessgerätes
4.4 Erfassung der Zielvariablen vor der Durchführung der Intervention
4.4.1 Erfassung des Wettkampfangstzustands des Klienten
4.4.2 Erfassung der Wettkampfängstlichkeit des Klienten
4.4.3 Erfassung der Aufschlaggeschwindigkeit des Klienten
4.4.4 Erfassung der Aufschlagquote und der Anzahl der Doppelfehler
4.4.5 Erfassung relevanter biometrischer Daten des Klienten
4.5 Darstellung des durchgeführten Interventionsprogramms
4.5.1 Erstgespräch / Vertrag
4.5.2 Zielbestimmung
4.5.3 Diagnose
4.5.4 Ableitung von Interventionsmaßnahmen
4.5.5 Durchführung der Maßnahme
4.5.6 Verhaltensoptimierung
4.5.7 Evaluation
4.6 Erfassung der Zielvariablen nach der Durchführung der Intervention
4.6.1 Erfassung des Wettkampfangstzustands des Klienten
4.6.2 Erfassung der Wettkampfängstlichkeit des Klienten
4.6.3 Erfassung der Aufschlaggeschwindigkeit des Klienten
4.6.4 Erfassung der Aufschlagquote und der Anzahl der Doppelfehler
4.6.5 Erfassung relevanter biometrischer Daten des Klienten
5 Ergebnisse
6 Diskussion
6.1 Ergebnisinterpretation/Kritische Methodendiskussion
6.1.1 Ergebnisinterpretation/kritische Methodendiskussion bzgl. der Interventionsergebnisse
6.1.2 Ergebnisinterpretation bzgl. der übergeordneten Fragestellung der Arbeit
6.2 Erläuterung möglicher Handlungsableitungen und weiterer Forschungsfragen/Problemstellungen
6.2.1 Erläuterung möglicher Handlungsableitungen für zukünftige Interventionen
6.2.2 Vorgehensweise während der Rehabilitationsphase
6.2.3 Mögliche Vorgehensweisen nach Abschluss der Rehabilitationsphase
6.2.4 Erläuterung möglicher weitere Forschungsfragen bzw. Problemstellungen
7 Zusammenfassung
8 Literaturverzeichnis
9 Abbildungs-, Tabellen-, Abkürzungsverzeichnis
9.1 Abbildungsverzeichnis
9.2 Tabellenverzeichnis
9.3 Abkürzungsverzeichnis
10 Anhang
10.1 Anhangverzeichnis
Gender Erklärung
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit die Sprachform des generischen Maskulinums angewendet. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form als geschlechtsunabhängig verstanden werden soll.
1 Einleitung und Problemstellung
„Er [Boris Becker] nimmt mir den Aufschlag ab, und obwohl ich noch 4:2 in Führung liege, spüre ich, wie etwas in mir reißt. Diesmal ist es nicht meine Hüfte, sondern mein Gehirn. Plötzlich kann ich meine Gedanken nicht mehr kontrollieren. Ich denke an Pete [Sampras], der [im Finale] auf mich wartet. Ich denke an meine Schwester Rita, deren Mann Pancho gerade einen langen Kampf gegen den Magenkrebs verloren hat. Ich denke an Becker, der immer noch von Nick [Bollettirie] trainiert wird, und an Nick, der braungebrannt wie ein Kotelett über uns in Beckers Tribünenbox sitzt. Ich frage mich, ob Nick Becker meine Geheimnisse verraten hat – zum Beispiel, wie ich Beckers Aufschlag durchschaut habe. Ich denke an Brooke, die diese Woche zusammen mit Petes Freundin . . . bummeln war. All diese Gedanken wirbeln mir durch den Kopf, machen mich zerstreut und unkonzentriert, und so gelingt es Becker, die Dominanz zu erringen, und er gibt sie nicht mehr her. Er gewinnt das Match in vier Sätzen“ (Agassi, 2009, S. 319 – 320).
Jene zitierten Zeilen stammen aus der Autobiographie des ehemaligen amerikanischen Tennisspielers, Andre Agassi, und gewähren einen Einblick in die mentalen und emotionalen Prozesse, welche zu der Niederlage des US-Amerikaners im Halbfinale des Turniers in Wimbledon im Jahr 1995 führten. In diesem Zusammenhang spiegelt der im Zitat geschilderte Verlauf des Matches die Aussage von Mayer und Hermann (2010, S. 8 – 9) wider, dass ein Sportler eine Handlung auf seinem individuell höchsten Niveau nur durchführen kann, wenn er ihr seine vollständige Aufmerksamkeit widmet und er dabei seine höchste Konzentration entwickelt. Erst dann ist es für Leistungs- und Spitzensportler möglich, sich insbesondere unter stressreichen Umständen, wie z. B. in entscheidenden Wettkampfsituationen, auf das Wesentliche zu konzentrieren. Nach Imran (2010, S. 5) hat hierbei der Kopf, das Zentrum des Denkens, maßgeblich Einfluss auf sportliche Leistungen, insbesondere im Wettkampfbereich, wobei Beckmann und Elbe (2011, S. 18) diesbezüglich einen Schritt weiter gehen, indem sie konstatieren, dass von zwei gleichermaßen austrainierten und technisch entwickelten Athleten derjenige gewinnt, welcher mental stärker ist.
Doch was ist die sogenannte mentale Stärke?
Nach Loehr (1996, S. 19 – 20) beschreibt die mentale Stärke die Fähigkeit, sich ungeachtet der Wettkampfbedingungen an seiner oberen Leistungsgrenze zu bewegen. Demnach spielen Emotionen die entscheidende Rolle für die individuelle mentale Stärke und die damit verbundene Ausprägung der individuellen Leistungsfähigkeit (Beckmann & Elbe, 2011, S. 18), so dass insbesondere im Leistungs- und Spitzensport der Gefühlszustand des jeweiligen Sportlers über Sieg oder Niederlage entscheiden kann (Craft, Magyar, Becker & Feltz, 2003, S. 44). Der daraus resultierende Leistungsdruck wird durch die eigenen Erwartungen sowie durch die Ansprüche externer Personen oder Instanzen wie Trainer, Eltern oder auch Sponsoren verstärkt und macht den sportlichen Wettkampf zu einem emotional stark behafteten Ereignis (Cachay & Gahai, 1989, S. 26). Aus diesem Grund nimmt die theoretische Auseinandersetzung mit Emotionen im Kontext sportlichen Handelns eine Schlüsselstellung in der Sportpsychologie ein (Craft, Magyar, Becker & Feltz, 2003, S. 44).
In diesem Zusammenhang ist das psychologische Konstrukt der Angst besonders hervorzuheben (Hanin, 2007, S. 61). Nach Burton (1998, S. 145) übt das Gefühl der Angst im Vergleich zu allen psychologischen Phänomenen den stärksten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit eines Sportlers aus, so dass die Erfassung der Angst-Leistungs-Korrelation als Teilbereich der Sportpsychologie mit dem größten Forschungsinteresse beschrieben werden kann und nach Brand (2010, S. 32) neben Ärger und Aggression, zu den am häufigsten untersuchten Emotionen zählt. Im Kontext der Sportpsychologie spricht man hierbei von der Wettkampfangst (Ehrlenspiel, Beckmann & Strahler, 2008, S. 58) oder auch nach Baumann (2015, S. 271) von der „Angst im Sport“.
Es gibt eine unermessliche Vielfalt von Aussagen über das Phänomen der Wettkampfangst. Sie reichen von konkreten Angaben wie „Angst, sich beim Stürzen wehzutun“ (z. B. Radrennfahren) über „Angst, sich zu blamieren“ bis zu diffusen Abstraktionen wie „Angst vor dem Sieg zu haben“ (Baumann, 2015, S. 271). Wettkampfangst wird von Sportlern subjektiv als unangenehm erlebt, wirkt in der Regel leistungsmindern und drängt den jeweiligen Athleten dazu, diesen negativen Gefühlszustand zu vermeiden, zu beenden oder zu umgehen (Baumann, 2015, S. 270).
In jenem Kontext stellen sportpsychologische Trainingsverfahren etablierte und anerkannte Strategien zur Lern- und Leistungssteigerung im Leistungs- und Spitzensport dar. Athleten sollen durch das Erlernen und das Training von sportpsychologischen Techniken in die Lage versetzt werden, sich vor allem unter Wettkampfbedingungen kognitiv so zu regulieren, dass die optimale Leistung zum definierten Zeitpunkt abrufbar ist (Eberspächer, Immenroth & Mayer, 2002, S. 7), wobei nach Mayer und Hermann (2010, S. 72) das Mentale Training (MT) im Sinne des Aufbaus von Bewegungsvorstellungen eine entscheidende Rolle sowohl bei der Optimierung der Wettkampfleistung als auch bei der Regulation psychischer Faktoren spielt. Im Zuge dieser Erkenntnis soll mit Hilfe der vorliegenden Arbeit der Problemstellung nachgegangen werden, welchen Einfluss das MT als singuläre Interventionsmaßnahme auf die Wettkampfangst im Leistungssport „Tennis“ ausübt.
2 Zielsetzung
Auf Basis der erläuterten Problemstellung besteht die übergeordnete Zielsetzung darin, mit Hilfe einer Prä-Postmessung und der damit verbundenen Erhebung sportpsychologisch und biometrisch relevanter Daten sowie mittels der Bestimmung sportartspezifischer Kennzahlen im Rahmen einer Einzelfallstudie empirisch zu untersuchen, ob ein MT im Rahmen eines sechswöchigen Interventionsprogramms zu einer Reduzierung der Wettkampfangst beim betrachteten Probanden führt.
3 Gegenwärtiger Kenntnisstand
3.1 Emotionen
3.1.1 Begriffliche Differenzierung zwischen Emotionen und Gefühlen
Personen ist es nicht immer möglich, ihre Gefühle in Worte zu fassen. Sie versuchen, dieses Problem durch Umschreibungen, Metaphern oder symbolhaftes Kodieren zu lösen. Verbalisierungen, wie z. B.: „Ich habe ein mulmiges Gefühl“, oder: „Ich bin emotional am Boden“, zeigen, dass es vielerlei emotionale Zustände gibt, die sich schwer in Worte fassen lassen. Aufgrund dessen sollte zwischen Emotionen und Gefühlen differenziert werden können, um die Mitteilbarkeit und Bewusstmachung von Emotionen zu erleichtern (Baumann, 2015, S. 253).
Emotionen:
Je nach Forschungsgebiet variieren die Definitionen bzgl. des Terminus „Emotionen“.
Im Bereich der Psychologie benennt Plutschik (1984, S. 217) acht Grundemotionen (Anhang 1) und erläutert den Begriff „Emotionen“ wie folgt: „Eine Emotion ist eine erschlossene komplexe Abfolge von Reaktionen auf einen Reiz; sie umfasst kognitive Bewertungen, Veränderungen im subjektiven Erleben, Aktivierung des autonomen und zentralen Nervensystems, Handlungsimpulse sowie Verhalten, welches dazu bestimmt ist, auf denjenigen Reiz einzuwirken, der die komplexe Sequenz ausgelöst hat.“ Der portugiesische Neurowissenschaftler Damasio (2011, S. 122 – 123) erläutert hingegen, dass die evolutionär gebildeten Emotionen automatisch ablaufende Programme für Handlungen darstellen. Für den Bereich der Pädagogik konstatieren Oerter und Weber (1975, S. 73), dass mit dem Begriff der Emotionen der Gesamtbereich dessen erfasst, was im Zuge des Erlebens und des Erfahrens von Situationen als „Stimmung“, „Affekt“, „Gefühlserregung“ oder auch als „Gefühl“ bezeichnet wird. Eine erweiterte Definition wird vom deutschen Soziologen Esser (2005, S. 4) postuliert, nach dem Emotionen elementare, mit der Erfüllung biologischer und sozialer Grundbedürfnisse zusammenhängende Zustände der inneren Erregung als unmittelbare und nicht kontrollierbare innere Reaktion auf bestimmte wahrgenommene Reize in der inneren Befindlichkeit oder der äußeren Umgebung eines Organismus sind.
Gefühle:
Ähnlich wie die Begrifflichkeit der Emotionen wird auch der Terminus „Gefühl(e)“ je nach Forschungsgebiet unterschiedlich interpretiert. Diesbezüglich postuliert Esser (2005, S. 4), dass Gefühle bewusst wahrgenommene Emotionen sind, und spiegelt somit die Definition von Damasio (2011, S. 122 – 123) wider, nach dem Gefühle als Wahrnehmungen bezeichnet werden können, die im Körper und im Geist zusammengesetzt werden, wenn eine Person Emotionen erlebt. Laut Baumann (2015, S. 253) hingegen werden unter Gefühle diejenigen Emotionen eingeordnet, für die eine Bezeichnung vorhanden ist. Mit dem Wort erhält eine Emotion ein Etikett. Es gibt dem Individuum die Möglichkeit, sie als Gefühl abgrenzbar, unterscheidbar und mitteilbar zu machen. In diesem Kontext können Gefühle nach Dehner-Rau und Reddemann (2011, S. 18) über Bilder mitgeteilt oder auch versteckt werden. Zudem sind Gefühle spezifischer, auf konkrete Ziele, Anlässe oder Personen bezogen und vor kürzerer Dauer. Sie sind wie Emotionen mit Kognition verbunden, dem Gedächtnis sowie der individuellen Weltanschauung verbunden und werden durch frühere Lebenserfahrungen, persönliche Vorstellungen und Bewertungen beeinflusst. Welche Gefühle man hat, hängt somit von der individuellen Interpretation ab. Nach Seidel (2008, S. 161) äußert sich diese momentane emotionale Bestandsaufnahme im menschlichen Bewusstsein z. B. in einem Gefühl der Freude (Harmonie) oder der Traurigkeit (Missklang).
Neben der begrifflichen Differenzierung werden in der Literatur vereinzelt weitere Unterschiede zwischen Emotionen und Gefühlen im Zusammenhang mit deren Entstehung, deren Formen sowie deren Funktionen benannt. Zum besseren Verständnis der nachfolgenden Kapitel werden jene Unterscheidungen in den Anhängen 2 bis 4 ergänzend dargestellt. In Anbetracht der erläuterten Differenzierung beider Termini kann nach Häcker und Stapf (2004, S. 241) gefolgert werden, dass Gefühle und Emotionen gleichsam den Hintergrund des Erlebens bilden, was u. a. nach Bliesener et al. (2009, S. 133) auf eine weitgehende Gleichbedeutung der Begrifflichkeiten schließen lässt. Vor diesem Hintergrund verwenden Häcker und Stapf (2004, S. 241) den Ausdruck der „Emotionalität“ als Sammelbegriff für die individuelle Eigenart des Gefühlserlebens sowie der emotionalen Affektsteuerung und -verarbeitung, was die Begründung für den Verzicht auf eine begriffsbezogene Unterscheidung zwischen Emotionen und Gefühlen im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit darstellt.
3.1.2 Bedeutung von Emotionen und deren Steuerung im Sport
Jede Aktion im Sport wird in hohem Maß von Emotionen begleitet, deren inhaltliche Richtung und Intensität in engem Zusammenhang mit Motivation und Gedankenführung stehen (Baumann, 2015, S. 252). Aus diesem Grund sind Emotionen ein entscheidendes, vielleicht sogar das wichtigste Element für die sportliche Höchstleistung. Regelmäßige Unlust im Training wird die Wahrscheinlichkeit des Erfolges und damit die Motivation verringern. Ärger über Fehler kann motivieren, über die Ursachen nachzudenken und Fehler zu vermindern. Aber er kann auch zu Jammern und Kleinlichkeit führen und damit die Motivation verringern sowie die Fehlerquote erhöhen (Kogler, 2006, S. 102). In diesem Zusammenhang aktivieren Emotionen den Menschen. Im Gegensatz dazu lösen Angst- und Schmerzgefühle u. a. Vermeidungsreaktionen aus. Freude und Spaß haben wiederrum Zuwendung und ein höheres Aktivationsniveau zur Folge (Baumann, 2015, S. 252).
Im Folgenden wird jene Bedeutung der Emotionen im Sport mit Hilfe verschiedener Gesichtspunkte verdeutlicht, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Reaktionskomponenten und -modalitäten gelegt wird, welche an Emotionen beteiligt sind und auf verschiedenen Ebenen beschrieben werden müssen.
Emotionsmanagement:
Laut Baumann (2015, S. 256) und wie aus Anhang 2 ersichtlich, werden Emotionen durch Reize unterschiedlicher Art ausgelöst. Diese können im Körper selbst zu suchen sein, die Umwelt kann sie erzeugen oder sie entstehen durch Vorstellungen und Gedanken: Ein Sportler freut sich, weil er sich gesund und fit fühlt, einen anderen überfällt Ängstlichkeit beim Gedanken an den nächsten Wettkampf oder er wird beim Anblick des Gegners so nervös, dass er nicht in der Lage ist, seine optimale Leistung zu erbringen. Kogler (2006, S. 108) spricht in diesem Zusammenhang vom „Emotionsmanagement“: Die Kontrolle und das Hervorrufen der „richtigen“ Emotionen sind zentral für die erfolgreiche Sportausübung. Emotionen rufen Veränderungen im physiologischen Erregungsniveau hervor und deshalb spielen umgekehrt Techniken der Erregungskontrolle eine wichtige Rolle für die emotionale Kontrolle. Strategien der Emotionskontrolle helfen Denkmuster zu verändern, um eine passende emotionale Reaktion hervorzurufen oder – bei häufig überstarken Emotionen – die Intensität der Emotionen zu verringern und unfunktionelle Verhaltensweisen in den Hintergrund treten zu lassen. Nach Baumann (2015, S. 257) ergibt sich hierbei die Chance, Angst, Stress oder auch Nervosität zu bekämpfen, indem man den Zustand des Körpers ändert, Gedächtnisinhalte bewusster abruft oder die Wahrnehmung der Umwelt verändert. Vor allem kann man seine Gedanken bewusst auf die positive Bewältigung und Interpretation der belastenden Reize richten. Baumann (2015, S. 253 – 254) erörtert weiter, dass sowohl für den jugendlichen, ängstlichen Sportler als auch für den erwachsenen Hochleistungssportler die Regulation des psychischen Zustands weitgehend vom Bewusstseinsgrad seiner emotionalen Verfassung abhängig ist. Das Aufdecken der Ursachen von Gefühlen oder das Antizipieren zukünftiger Emotionen ermöglicht es, Emotionen in ihrem Intensitätsgrad und in ihrer Qualität sowie Richtung zu verändern.
Affekthandlungen:
Im Sport ist das Emotionsmanagement besonders zur Vermeidung von Affekthandlungen von Bedeutung. Unter einem Affekt versteht man einen extremen Erregungszustand, in dem das eigene Handeln außer Kontrolle gerät (Baumann, 2015, S. 254). Nach Esser (2005, S. 2) handelt bspw. jeder affektuell, der „sein Bedürfnis nach aktueller Rache, aktuellem Genuss, aktueller Hingabe, aktueller kontemplativer Seligkeit oder nach Abreaktion aktueller Affekte befriedigt“.
Affekte können in Formen der Angst, Wut oder Ekstase auftreten. Affekthandlungen sind situations- bzw. ereignisgesteuert. Sie treten in Situationen auf, die eine starke psychische Belastung für den Sportler bedeuten (Baumann, 2015, S. 254). In diesem Affektzustand ist der Mensch außerstande, folgerichtig zu denken. Er wägt weder seine Mittel und Möglichkeiten ab noch bedenkt er die Folgen seiner Handlungen. In Bezug auf den Wettkampfsport bedeutet das, dass ein Sportler, der sich im höchsten affektiven Erregungszustand befindet, weder in der Lage ist, die Situation nach objektiven Sachverhalten zu überprüfen noch rationale Argumente des Trainers zu befolgen. Die Entstehung von Affekthandlungen wird durch situationale oder persönliche Faktoren wie u. a. Ermüdung, Angst, Erwartungsdruck oder auch Enttäuschung gefördert (Baumann, 2015, S. 255). Um im Kontext des Leistungssports eine Steuerung des emotionalen Zustands, insbesondere im Hinblick auf wettkampftypische Emotionen wie Angst, Stress und Nervosität, zu erreichen, ist es deshalb notwendig, die verschiedenen Ursachen und auslösenden Faktoren differenziert zu betrachten. Die im Folgenden erläuterten Aspekte der Emotionen stellen in diesem Kontext die am häufigsten in der analysierten Fachlektüre umschriebenen und damit die zentralen Komponenten bzw. Faktoren dar. Über die Fragen, in welcher Beziehung z. B. die einzelnen Komponenten zu einander stehen, oder ob es für jedes Gefühl ein biologisches Äquivalent gibt, existieren zahlreiche sogenannte Emotionstheorien, welche im Detail nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein sollen und deshalb auszugsweise in Anhang 5 schematisch dargestellt werden.
Erfahrungskomponente der Emotionen:
Jener Aspekt der Emotionen zielt auf persönliche Gefühle, die in emotional gefärbten Situationen erfahren werden (Bourne & Ekstrand, 2008, S. 292). Aus Anhang 2 ist bereits bekannt, dass Emotionen durch Erinnerungen entstehen können. Hierbei wird durch das Gedächtnis all das, was in der Vergangenheit einmal bewusste Wirklichkeit war, als anschauliche oder unanschauliche Vorstellung wieder gegenwärtig. Während die Situation anschaulich wieder ins Gedächtnis gerufen werden kann, erfolgt das Erinnern von Gefühlen unanschaulich. Man kann sich z. B. genau an die Situation erinnern, in der man erregt und nervös oder selbstbewusst und sicher war, aber jene Gefühle können nicht wieder anschaulich vergegenwärtigt werden. Sie können jedoch in abgeschwächter Weise wieder auftreten, wenn man sich die Situation ihres Auftretens bildhaft vorstellt (Baumann, 2015, S. 259 – 260). Diesbezüglich bleibt das Erinnern an früher erlebte Gefühle an die Situation gebunden, in der sie auftraten (Baumann, 2015, S. 259). Die Gefühle werden dann als neuerliche, tatsächlich auftretende Empfindungen erlebt und nicht als Vorstellungen, die nur Bilder vergangener Realität sind. Diese Möglichkeit, Gefühle der Vergangenheit durch anschauliches Vorstellen der Situation ihres Auftretens wieder zu erleben, wenn auch in abgeschwächter Form, machen sich Sportler bei der Bekämpfung von Nervosität, Angst, Stress und Minderwertigkeitsgefühlen zunutze. So können sich positive Gefühle, die durch Wiedererkennen oder Erinnern wieder hervorgerufen werden, auf gegenwärtiges und zukünftiges Handeln positive auswirken. Weitere Methoden sind in diesem Kontext u. a. die Vermeidung von negativen Erinnerungen (z. B. Fehlschläge sollten vergessen werden) oder auch die unmittelbare Wiederholung, bei der z. B. ein fehlerfreier Versuch beim Weitsprung nach seiner Durchführung sofort gedanklich wiederholt wird (Baumann, 2015, S. 259 – 260).
Kognitive Komponente und Verhaltenskomponente der Emotionen:
Wie dem Anhang 2 zu entnehmen ist, wird ein Großteil der Gefühle durch die Wahrnehmung von Umweltreizen ausgelöst. Hierbei haben nach Baumann (2015, S. 261 – 262) nicht nur äußere Sinneskanäle, wie Hören und Sehen, sondern auch innere Reizinformationen des Tastsinns und der Bewegungsempfindung Einfluss auf die Gefühlsentstehung. Die Wahrnehmung sucht sich hierbei das aus, was gegenwärtigen Einstellungen und Erwartungen entspricht. Das im Bewusstsein entstehende Abbild der Umwelt wird durch die subjektive Bedeutungsordnung der wahrgenommenen Dinge bestimmt. Diese Bedeutungsordnung hängt wiederum von der Erfahrung ab, die man mit den jeweiligen Dingen gemacht hat. Entscheidend ist hierbei, dass es nicht die Dinge selbst sind, die bestimmte Gefühle hervorrufen, sondern die eigene Wahrnehmung. Um Gefühle durch Wahrnehmen auszulösen, zu vermeiden oder in eine bestimmte Richtung zu lenken, kommt es darauf an, die wahrzunehmende Situation so zu gestalten, dass eine Verknüpfung mit negativen Gefühlen möglichst vermieden wird bzw. Gefühle der Zuversicht sowie des Selbstvertrauens erzeugt werden. Dabei sind Gefühle stets an Situationen gebunden, die man kognitiv in ihrer Bedeutung erfasst und interpretiert. Nach Baumann (2015, S. 263) hängen Vorstellung, Gedächtnis und Wahrnehmung eng zusammen. Vorstellen bedeutet hierbei, dass man in Bildern denkt und Vergangenes vor seinem „geistigen“ Auge wieder sieht. Hierauf Bezug nehmend stellt Baumann (2015, S. 268) eine dogmatische Kausalkette fest, welche darin besteht, dass negative Gedanken negative Emotionen auslösen, die wiederum die gezielte Handlungsfähigkeit schwächen und damit zu einer schwachen sportlichen Leistung führt. Umgekehrt kann davon ausgegangen werden, dass sich positive Gedanken am Ende jener Kausalkette positiv auf die Leistung im Sport auswirkt. Dies kann aber nur erreicht werden, wenn sich die Gedanken so stabil im Bewusstsein ausbilden, dass eine Rückkehr zu den negativen Gedanken und Emotionen nicht mehr erfolgt und damit der sogenannte „Reboundeffekt“ ausbleibt.
In dieser Beziehung werden Gefühle und Sinnesempfindungen insbesondere durch das bildhafte Vorstellen erneut erweckt. Dabei wirken Worte und Begriffe oft wie Schubladen, sie kategorisieren und zerreißen die Ganzheit des Bildes und des Erlebens (Baumann, 2015, S. 263). An dieser Stelle wird der kognitive Aspekt um die Verhaltenskomponente ergänzt, die Personen zu emotionalem Ausdruck veranlasst: Weinen, Lachen, Ausdrucksreaktionen des Gesichts (Mimik) und Gesten (Gestik) aller Art (Bourne & Ekstrand, 2008, S. 292 – 293). Zudem beinhaltet jene Komponente nach Bitschnau (2008, S. 92), dass Emotionen Menschen auf das Handeln vorbereiten (sollen) und sie dazu bringen, Aktionen zu tätigen. Jene Definition spiegelt die Aussage Baumanns (2015, S. 263) wider, dass das Vorstellen zukünftiger Situationen auch das erfolgreiche Bestehen und das Lösen der Aufgaben inkludiert. In der Vorstellung werden dadurch die mit gelungenem Handeln verbundenen positiven Gefühle (Sicherheit, etc.) in die Zukunft verlagert. Das Gedächtnis, die Fähigkeit der bildhaften Vorstellung, die Wahrnehmung und Interpretation von Situationen werden durch Denkprozesse ausgelöst, gesteuert und für zukünftige Handlungen subjektiv aufbereitet. Die Inhalte und die Art des Denkens nehmen deshalb eine Schlüsselstellung für die subjektiven Emotionen ein. Nach Baumann (2015, S. 264) lässt sich die Beziehung der Gedanken und Gefühle untereinander nur unter Berücksichtigung aller Handlungsinstanzen, insbesondere der Zielsetzung und der subjektiv erlebten Umgebungsreize, beschreiben. Für die sportliche Leistung und das sportliche Verhalten kann dieser funktionelle Zusammenhang aus zwei gegensätzlichen Richtungen gesehen werden: Emotionen lösen Gedanken aus, oder Gedanken rufen Gefühle hervor. In diesem Bezug stellt das Denken eine Funktion der emotionalen Erregung dar. Es steht im Dienste von Bedürfnissen und Wünschen, die durch das Einschalten von Denkprozessen erfüllt werden. Das Denken setzt immer dann ein, wenn ein emotionaler Erregungszustand zum Handeln drängt: Der Ängstliche denkt bspw. darüber nach, wie er die angstauslösende Situation vermeiden kann, der Erfolgsorientierte gelangt durch Denken ans Ziel. Da der Mensch zur Selbstreflexion befähigt ist, leistet sein Denken nicht nur funktionale Aufgaben, sondern stellt eine eigenständige, bewusste Kraft dar, die ihn befähigt, Einfluss auf seine Emotionen zu nehmen, sie zu kontrollieren und zu variieren. Denken im Dienste emotionaler Antriebe stellt somit eine psychische Funktion mit entscheidendem Einfluss auf das sportliche Handeln dar.
Motivationale Komponente der Emotionen:
In Bezug auf den in Kapitel 3.1.2 erläuterten Einfluss der Emotionen auf die Motivation ist zunächst nach Baumann (2015, S. 143) festzuhalten, dass Bestleistungen von Sportlern in der Regel dann erbracht werden, wenn sie sich wohlfühlen, wenn sie mit den Emotionen der Freude, guten Laune, des Spaßes sowie der Zufriedenheit erfüllt sind. Freude und gute Laune sind Energiespender, die der Sportler zur optimalen Leistung braucht, und fördern zugleich die Bereitschaft zu schwierigem und hartem Training. Nur mit der Emotion der Freude kann ein Sportler „über sich hinauswachsen“. Angst, Unruhe oder zu große Ernsthaftigkeit verbrauchen hingegen Energie. Große Ernsthaftigkeit führt zu Hemmungen, denn sie ist meist ein emotionales Symptom für Bedenken, Sorgen und Unsicherheiten. Nach Bourne und Ekstrand (2008, S. 292) bestimmen auch die zwei Hauptdimensionen der Emotionen (Anhang 3) Folgen emotionaler Zustände. In diesem Kontext kann erwartet werden, dass unangenehme emotionale Zustände (und die Ursachen, von denen sie der individuellen Meinung nach hervorgerufen werden) als negative Anreize wirken und die jeweilige Person entsprechend motiviert sein wird, sie zu vermeiden oder ihnen zu entfliehen. Im Gegensatz dazu können angenehme Zustände und deren Ursachen als positive Anreize angesehen werden, durch die eine Person motiviert wird, sie zu erreichen. Hierbei steht die Stärke der Motivation in Abhängigkeit von der Intensität des vorausgesehenen oder erlebten. Je stärker oder intensiver die Emotion ist, desto größer wird die Motivation, sie zu erleben oder zu vermeiden. Ferner dient die motivationale Komponente nach Sokolowski (2002, S. 43) der Selektion handlungsförderlicher Informationen sowie der Verbesserung und Stabilisierung des Selbstwertes und - bei positiven Emotionen - hedonistischen Zwecken.
Jene Verbindung zwischen Emotionen und Motivation wird mit Hilfe des Rubikonmodells nach Heckhausen (1989, S. 212) in Anhang 6 verdeutlicht. Das Modell teilt den Motivationsprozess in verschiedene Phasen ein, wobei die Phase der Motivierung entweder mit der Absichtsbildung oder dem Rückzug endet. Diese sogenannte Fazit-Tendenz geht im Fall der Absichtsbildung in die Volitionsphase über. Während in der Motivationsphase ein Abwägen verschiedener Alternativen erfolgt und die Entscheidung noch grundsätzlich offen ist, erfolgt nach der Absichtsbildung die Ausrichtung der Kognition auf die gewählte Handlungsalternative. Die Volitionsphase beinhaltet die bewusste und willentliche Entscheidung für oder gegen ein Ziel (bzw. die Handlungsausführung), es folgt eine bewusste Kontrolle und Steuerung (Alfermann & Stoll, 2012, S. 114 – 116). In diesem Kontext zeigt Anhang 7, dass sich beide Phasen von Motivation und Volition in ihrer Handlungssteuerung nach den Kriterien des Bewusstseins, der Kontrolle sowie der Gefühle und Gedanken unterscheiden und beeinflussen lassen.
Ferner beinhaltet ein negativer emotionaler Zustand, wie der des Ärgers und der Frustration im Rahmen der Frustrations-Aggressions-Hypothese, ebenfalls motivationale Eigenschaften. Er kann eine aggressive Reaktion verursachen, die nach Möglichkeit gegen den Urheber der Zielbehinderung, z. B. einem Gegenspieler oder einem Schiedsrichter, gerichtet wird (Bourne & Ekstrand, 2008, S. 299). Ergänzend hierzu wird in Anhang 8 mit Hilfe eines Tierversuches aufgezeigt, inwiefern negative Emotionen als motivierende Kraft wirken können. Im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit der Wirkung von (negativen) Emotionen, wie Ärger und der daraus resultierenden Aggression, auf die Motivation soll an dieser Stelle der für den Sport relevante Aspekt der Aggressionsverschiebung angesprochen werden. In diesem Kontext ist das geeigneteste Objekt für die Aggression der Gegenstand, der die Quelle der Frustration ist. Oft ist es nicht möglich, die Aggression gegen diese Quelle zu richten, wenn z. B. ein Fußballspieler vom Schiedsrichter und dessen Entscheidung frustriert wird und zögert, ihm wütend gegenüber zu werden, aus Angst, eine gelbe Karte oder gar einen Platzverweis zu bekommen. So verschiebt er seine Aggression auf einen „unschuldigen Zuschauer“, bspw. einen Gegenspieler oder gar einen Mitspieler (Bourne & Ekstrand, 2008, S. 299). Zur Veranschaulichung jener Thematik wird in Anhang 9 eine Untersuchung dargestellt, welche sich mit dem sogenannten „Ersatzobjekt für die Aggression“ auseinandersetzt. Ein weiterer Gesichtspunkt, der mit der motivationalen Komponente zusammenhängt, ist der Aspekt der Kausalattribution. Nach Alfermann und Stoll (2012, S. 120) handelt es sich bei Attributionen, um die Zurückführung von Ergebnissen und Ereignissen auf deren Ursache, in der Regel auf die Ursachen, mit denen das Ergebnis kovariiert. Wenn z. B. ein guter Hochspringer dann unter seinem Leistungsniveau, wenn schlechte Wetterbedingungen vorliegen, so wird man als logische Ursache jene klimatischen Bedingungen annehmen. Diesbezüglich fanden Wright und Mischel (1982, S. 912) heraus, dass nach induzierter positiver Emotionslage Probanden neben günstigeren Einschätzungen vergangener eigener Leistungen und global günstigeren, aktuellen Selbsteinschätzungen auch höhere Erwartungen an zukünftige Erfolge haben als Probanden in negativer Emotionslage. Ebenfalls lassen sich deutliche Einflüsse angeregter Emotionen auf den Attributionsstil finden. So stellten Forgas, Bower und Moylan (1990, S. 814) fest, dass eine positive Stimmung zu einer hedonistischen Verzerrung durch Externalisierung bei Misserfolg führt, wogegen eine negative Stimmung gerade das Gegenteil, eine selbstkritische Verantwortungsübernahme, in den Attributionen bewirkt. Dieser Stimmungs-Kongruenz-Effekt lässt sich schon bei der Beurteilung von Handlungen finden. So nehmen z. B. gut gestimmte Personen mehr positive Handlungen an anderen wahr als schlecht gestimmte (Forgas & Bower, 1988, S. 190). Doch Attributionen stehen nicht nur in Abhängigkeit von Emotionen, sie beeinflussen sie zudem. So wird z. B. bei einem Zufallserfolg die Freude geringer ausfallen als nach einem harterkämpften Sieg. Nach einem Fußballspiel, das aufgrund einer Schiedsrichterfehlentscheidung verloren ging, wird weniger Enttäuschung oder gar Scham überwiegen, sondern vielmehr Ärger und Wut (Alfermann & Stoll, 2012, S. 122). Abschließend wird in Anhang 10 dieser Arbeit einige Beispiele für Attributionen und die damit verbundene Motivation in Anlehnung an das Selbstbewertungsmodell der Leistungsmotivation von Heckhausen (Alfermann & Stoll, 2012, S. 121) dargestellt.
Physiologische Komponente der Emotionen:
„Eine Person, die empört ist, kann rote Flecken bekommen, und eine frustrierte Person wird vielleicht blass“ (Kogler, 2006, S. 104). Biochemische Messungen zeigen psychophysiologische Veränderungen je nach Situation und Emotion. Die Forschergruppe um Levenson konnte eindrucksvoll zeigen, dass Herzfrequenz, Fingertemperatur, Hautleitwert (elektrodermale Aktivität) und Muskelspannung während der primären Emotionen (Ärger, Angst, Freude, etc.) unterschiedlich ausgeprägt sind (Levenson, Ekman & Friesen, 1990, S. 371). Nach Traue (1998, S. 119) zeigen jene Ergebnisse, dass „vermutlich alle Emotionen spezifische Auswirkungen auf die körperlichen Vorgänge“ haben. In diesem Zusammenhang erweitert Baumann (2015, S. 258) die physiologische Komponente der Emotionen, indem er neben deren Auswirkungen auf die Physis sein Hauptaugenmerk auf den Einfluss des Körperlichen auf die Emotionen legt. Für ihn spielt die Verfassung des Körpers eine entscheidende Rolle für Wohlbefinden oder Missbehagen. Körper und Geist, Körper und Emotionen stehen in einem engen wechselseitigen Zusammenhang, so dass die Schaffung einer guten physischen Konstitution einerseits eine positive Wirkung auf emotionale Prozesse haben kann, andererseits eine Anhebung der psychischen Stimmungs- und Gefühlslage erzielen kann sowie körperliche Missstimmigkeiten reduzieren oder beseitigen kann. Das Gefühl, einen trainierten Körper zu besitzen, hebt das Selbstvertrauen und das positive Lebensgefühl. Für den Sportler ist es wichtig, sich über den Zustand des In-Form-Seins bewusst zu werden. Das Gefühl der Leichtigkeit, der Lockerheit und der Körperbeherrschung kann gedanklich vorbereitet werden, indem sich der Athlet diesen Zustand immer wieder, z. B. während der Aufwärmphase, vergegenwärtigt. In diesem Kontext ist in Anhang 11 der vorliegenden Arbeit die Auswertung einer Studie vorzufinden, bei der Schauspieler ihrem Gesicht typische Ausdrucksmuster für bestimmte Emotionen gaben, um zu untersuchen, welchen Einfluss jene Mimik auf physiologische Parameter hat. Für Sportler mit psychischen Konflikten oder Stresssymptomen kann das Hervorrufen, Bewahren und Bestätigen positiver Körpergefühle eine Hilfe bei der Überwindung ihrer Probleme sein (Baumann, 2015, S. 259). In diesem Zusammenhang zeigt der Anhang 12 der vorliegenden Arbeit positive und negative Gefühle im Rahmen von Erlebnisdimensionen der eigenen Körperlichkeit.
Positive Körpergefühle sollte der Sportler bewusst erleben; er kann sie durch Affirmationen bekräftigen und durch den inneren Dialog lebendig lassen werden. Auf diese Weise wird es ihm gelingen, negative Gefühle oder Erlebnisweisen zu beseitigen oder ihre Wirkung auf seine Handlungsfähigkeit einzuschränken. Hierbei ist zu bedenken, dass nicht zwei Gefühle gleichzeitig erlebt werden können, sondern z. B. entweder „in Form sein“ oder „außer Form sein“. Die Möglichkeiten, über die Körpergefühle auf den psychischen Zustand und die Leistungsfähigkeit einzuwirken, sind von Sportler zu Sportler verschieden und hängen von der spezifischen Situation ab. Sportschützen bspw. erreichen durch körperliche Arbeit das Gefühl der Schwere. Sie verringern dadurch den Muskeltonus, um eine „ruhige Hand“ zu bekommen. Ausreichend Schlaf, gesunde Lebensweise, Entspannung durch angenehme Aktivitäten (z. B. Sauna, Baden, Massage, etc.) verbessern den emotionalen Zustand des Sportlers (Baumann, 2015, S. 258 – 259).
3.2 Angst
3.2.1 Begriffserläuterung von Angst
Der Begriff „Angst“ ist nach Rohracher (1971, S. 466) allgemein als eine emotionale Erregung zu verstehen, die sich als ein durch die Erwartung eines drohenden Übels erzeugtes Unlustgefühl darstellt. Im Gegensatz dazu definieren Bourne und Ekstrand (2008, S. 298) Angst als eine unangenehme Erfahrung mit negativem Anreizwert, d. h. der Mensch wird motiviert sein, der Angst zu entgehen, wenn sie auftritt, bzw. sie nach Möglichkeit von vornherein zu vermeiden. In Analogie seiner Emotionsdefinition versteht Spielberger (1972, S. 482) Angst als eine emotionale Reaktion auf das Erkennen oder vermeintliche Erkennen einer Gefahr, unabhängig davon, ob diese Gefahr auch objektiv gegeben ist. Eine umfassende Angstdefinition, welche ebenfalls zentrale Aspekte des Emotionsbegriffes beinhaltet, wird von Hackfort und Schwenkmezger (1985, S. 19) postuliert, nach denen Angst eine kognitive, emotionale und körperliche Reaktion auf eine Gefahrensituation bzw. auf die Erwartung einer Gefahren- oder Bedrohungssituation ist. Als kognitive Merkmale sind subjektive Bewertungsprozesse und auf die eigene Person bezogene Gedanken anzuführen, wobei das emotionale Merkmal die als unangenehm erlebte Erregung darstellt, welche sich auch in physiologischen Veränderungen manifestieren und mit Verhaltensänderungen einhergehen kann. Jene Komponente der Bedrohung wird auch von Beyer (1987, S. 54) in seiner Definition von Angst aufgefasst: „Angst ist eine Reihe komplexer emotionaler Zustände, die aufgrund realer oder vermuteter Bedrohungen durch äußere oder innere Faktoren verursacht werden“. Zieschang (1979, S. 239) fügt dieser Definition noch eine weitere Komponente hinzu, wenn er sagt, dass Angst immer dann herrscht, wenn der einzelne eine Situation als bedrohend und gefährdend einschätzt und über keine effektive Bewältigungsmöglichkeit verfügt. Bei jenem Ansatz wirkt nicht nur die gegenwärtige Situation, sondern auch die relevante Vergangenheit mit. Ferner ist der Begriff der Angst nach Bliesener et al. (2009, S. 38) vom lateinischen Wort „angustus“ abgeleitet, das die Bedeutung „eng“ hat. Tatsächlich sind Enge und Angst nicht nur begrifflich miteinander verwandt: Als Angst bezeichnet man allgemein eine Stimmung oder ein Gefühl der Beengtheit, Beklemmung oder Bedrohung, einen unangenehmen, spannungsreichen, oft quälenden emotionalen Zustand. Diese Eigenschaften der Angst machen sie nach Niklewski und Riecke-Niklewski (2009, S. 27 – 28) zu einem Teil des menschlichen Lebens. Angst ist lebensnotwendig und gehört zur „Grundausstattung“ des Menschen. Aus diesem Grund wird sie auch als primäre Emotion bezeichnet und zu den Basisemotionen gezählt, welche angeborene Reaktionsmuster auf innere und äußere Reize auslösen. Um die im Verlauf der vorliegenden Arbeit verwendeten Begrifflichkeiten differenzieren zu können und so ein besseres Verständnis bzgl. des Inhaltes der weiteren Kapitel zu erlangen, wird ergänzend in den Anhängen 13 bis 15 eine Unterscheidung zwischen dem Terminus der Angst und weiteren damit in Verbindung stehenden Begriffen aus der analysierten Literatur getroffen.
3.2.2 Erklärungsmodelle zur Angstentstehung
Seit Jahrtausenden versuchen Menschen die Thematik der Angst zu erklären und zu verstehen. Trotz dieser Tatsache oder womöglich deswegen gibt es bis dato noch nicht die eine Erklärung der Angst. Ebenso kann keine der heute existierenden Angsttheorien für sich in Anspruch nehmen, das Thema der Angst allumfassend erklären zu können, oder die eine Ursache für die Entstehung der Angst gefunden zu haben. Im Gegenteil: Je mehr wissenschaftliche Disziplinen sich thematisch mit der Angst beschäftigen, desto unterschiedlicher, und sogar widersprüchlicher wirken ihre Antworten (Niklewski & Riecke-Niklewski, 2009, S. 46). Aus diesem Grund werden im Folgenden die in der analysierten Literatur als entscheidend erachteten Erklärungsansätze bzgl. der Angstentstehung aufgezeigt.
Psychoanalytischer/Psychodynamischer Ansatz:
Die Grundlage für jenen Erklärungsansatz stellt das Persönlichkeitsmodell nach Freud (Anhang 16) aus dem Bereich der Tiefenpsychologie dar (Niklewski & Riecke-Niklewski, 2009, S. 47). Angst wird in jenem theoretischen Modell insgesamt begreifbar als Abwehr des „Ich“ (der Vermittlungsinstanz) vor unerwünschten Impulsen aus den beiden Bereichen des „Es“, der triebhaften Grundbedürfnisse, und des „Über-Ich“, des normativen Bereichs (Peters, 2013, S. 192). Vor dem Hintergrund des erläuterten theoretischen Modells gehen psychoanalytische bzw. psychodynamische Ansätze allgemein davon aus, dass Ängste durch das Eindringen tief im Unterbewusstsein liegender psychischer Konflikte in das Bewusstsein ausgelöst werden. Diese unbewussten psychischen Konflikte sind in früher Kindheit – etwa durch Gefühle der Schwäche oder Hilflosigkeit – entstanden. Ihr Eindringen in das Bewusstsein geschieht z. B. nach Wahrnehmung eines Symbols in Gestalt eines durchaus alltäglichen Gegenstandes, dessen Erscheinungsbild unbewusst mit dem psychischen Konflikt verbunden ist. Für die Umwelt und die betroffene Person ist allerdings nur die unerklärliche Angst vor dem alltäglichen Gegenstand wahrnehmbar (Peters, 2013, S. 192). Ferner liegt allen tiefenpsychologischen Modellen der Angst der psychoanalytische Gedanke zugrunde, dass ein großer Teil der menschlichen seelischen Prozesse unbewusst bleibt oder aufgrund seiner Bedrohlichkeit unbewusst gemacht werden muss. Zu diesen unbewusst gemachten bzw. abgewehrten Angstinhalten können gefährliche Wünsche, individuell persönliche Lebensgeschichten oder auch Triebe, die nicht mit unserer bewussten Vorstellung vereinbar sind, gehören. Hierbei entsteht Angst, wenn zu befürchten ist, jenen „Gefahren“ zu begegnen, also wenn sie bewusst werden und daher mit unserem Gewissen z. B. in Konflikt geraten (Niklewski & Rieke-Niklewski, 2009, S. 49 – 50). Ebenfalls in diesem Kontext stehend ist der Aspekt der Versuchungs- und Versagungssituation (VVS). Unter ihr können abgewehrte Kindheitskonflikte im Erwachsenenleben unter bestimmten Bedingungen reaktualisiert werden und dann als neurotischer Konflikt in Form einer Angstattacke in Erscheinung treten (Machleidt, Bauer, Lamprecht, Rhode-Dachser & Rose, 2004, S. 87). Ferner finden Psychoanalytiker bei Menschen, die z. B. unter einer Angststörung leiden, immer wieder unbewusste Konflikte, die von unterschiedlichen Bedürfnissen wie bspw. Selbständigkeit, Selbstbestimmung, Macht oder auch Egoismus handeln. Jene Bedürfnisse können oft nicht gelebt werden, da ansonsten andere Gefühle wie jenes der Sicherheit und der Geborgenheit, des Versorgt- und Behütetseins verloren gingen (Niklewski & Rieke-Niklewski, 2009, S. 51 – 52). In einer anderen psychoanalytischen Sichtweise liegt die Betonung auf der fehlenden inneren Sicherheit. Menschen mit Angststörungen haben in ihrer Kindheit gerade in den Phasen, in denen sie Urvertrauen, Selbstwertgefühl und Selbstkontrolle erwerben sollten, nicht genügend Sicherheit, Akzeptanz und haltende Grenzen erfahren. Anders als andere Kinder, die nach und nach die haltenden, bestätigenden, aber auch die kontrollierenden und Grenzen aufweisenden Seiten ihrer Eltern verinnerlichen konnten, blieben sie verwundbar in ihrem Selbst- und Weltverständnis (Niklewski & Rieke-Niklewski, 2009, S. 53). In diesem Zusammenhang ist zudem die Bindungstheorie des psychoanalytischen Ansatzes anzuführen, welche betont, wie entscheidend eine sichere Bindung in der Entwicklung eines Kindes ist. Jene Bindung entsteht im Laufe des ersten Lebensjahres und zeigt sich in einem ganz bestimmten Bindungsverhalten: Bei Unsicherheit sucht das Kind die Nähe seiner Bindungsperson, bei Trennung reagiert es hingegen mit Angst, die ein über Jahrzehnte stabiles Grundmuster darstellen kann und sich auch auf zukünftiges Reaktionsverhalten auf emotionale Belastungen auswirken kann (Niklewski & Rieke-Niklewski, 2009, S. 55).
Verhaltens- und lernpsychologischer Ansatz:
Der verhaltens- und lernpsychologische Ansatz zur Erklärung der Angstentstehung geht davon aus, dass Angst aus Umwelteinflüssen gelernt wird und demnach nicht seit früher Kindheit im Menschen verankert ist. Vielmehr wird das Lernmodell der Konditionierung (Lernen durch Verstärkung) als Angst ausbildend angenommen (Peters, 2013, S. 193). Das bekannteste Beispiel einer solchen Konditionierung ist der von J. B. Watson eigens durchgeführte Probandenversuch, welcher ergänzend zur Thematik in Anhang 17 erläutert wird. In diesem Zusammenhang ist die Forschungsarbeit vom amerikanischen Psychologen B. F. Skinner anzuführen. Von ihm stammen die Termini des operanten Konditionierens sowie der positiven bzw. negativen Verstärkung. Diesbezüglich wird angenommen, dass bei der Entstehung von Angststörungen mehr Verstärkungen dieses Lernprozesses hinzukommen müssen als bei der klassischen Konditionierung, die durch die Koppelung von zwei bis dahin unabhängigen Reizen entstanden ist. Verstärkt wird er entweder positiv, indem ein angenehmer Reiz immer wieder mit einem bestimmten Verhalten verknüpft wird. Oder negativ, wobei ein unangenehmer Reiz im Zusammenhang mit diesem Verhalten entfernt wird. Hierbei ist die negative Verstärkung, sprich der Wegfall eines negativen Reizes, sogar wirkungsvoller als die positive Verstärkung (Niklewski & Rieke-Niklewski, 2009, S. 58 – 59). Vor diesem Hintergrund und in Anlehnung an das in Anhang 18 dargestellte Experiment von Neal Miller kann festgehalten werden, dass Angstlernen durch direkte Konditionierung dadurch geschieht, dass man sich gegen Situationen wehrt, von denen man erfahren musste, dass sie mit unerwünschten Konsequenzen wie Schmerz, Bestrafung oder auch übermäßigem Stress verbunden waren. Angst kann demnach bspw. durch ein Reiz-Reaktions-Schema hervorgerufen werden, bei dem ein unter Umständen zuvor neutral angesehenes Objekt mit negativen Erfahrungen verknüpft wird (Peters, 2013, S. 193). Jene konditionierte Angst vor einem Objekt oder einer Situation kann sowohl durch die eigene unmittelbare Erfahrung, wie es im erläuterten Experiment mit dem Probanden Albert (Anhang 17) aufgezeigt wird, entstehen als auch durch die eigene Beobachtung des spezifischen Objektes bzw. der relevanten Situation hervorgerufen werden (Peters, 2013, S. 193). Ferner bildet der Aspekt der Konditionierung auch die Grundlage für die Zwei-Phasen-Theorie (Anhang 19) nach Mowrer, bei welcher ein Angstzustand ebenfalls als erlernte Verhaltensweisen gedeutet wird (Hackfort & Schwenkmezger, 1980, S. 97). Der Aneignungsprozess erfolgt hierbei in zwei Schritten. Im ersten Schritt kommt es zu einer klassischen Konditionierung, indem ein neutraler Reiz durch eine Kopplung mit einem angstauslösenden Stimulus ebenfalls zum Angstauslöser wird. Die Reaktion der Angst, welche zuvor nur einem angstauslösenden Reiz folgte, findet nun auch beim Auftreten des jetzt bedingten (ehemals neutralen) Reizes statt. Nach einer mehrfachen Kopplung reicht die alleinige Darbietung des ehemals neutralen Reizes aus, um die Reaktion hervorzurufen (Eysenck & Rachmann, 1971, S. 61). Der zweite Schritt besteht in der Stabilisierung der konditionierten Reaktion. Dazu wird die Angstreaktion so verfestigt, dass es zu einer Resistenz gegenüber Versuchen kommt, die Angstreaktion zu meiden. Dies erfolgt nach der Theorie von Mowrer gemäß dem Prinzip der instrumentellen Verstärkung. Hierbei wird zukünftiges Verhalten von den zu erwartenden Konsequenzen abhängig gemacht. Folgen einer bestimmten Handlung positive Auswirkungen, findet eine Bekräftigung statt. Dies führt wiederum dazu, dass das verstärkte Verhalten in Zukunft vermehrt gezeigt wird (Krohne, 1981, S. 31 – 36). Eine weitere Ursache für die Entstehung von Angst führen Niklewski und Riecke-Niklewski (2009, S. 62) in Form der Nachahmung an, welche auch als Modellernen bezeichnet wird. Ein exemplarisches Szenario ist für diesen Vorgang gegeben, wenn Kinder das Vermeidungsverhalten ihrer Eltern zunächst beobachten, um es nicht nur unmittelbar danach, sondern auch noch viele Jahre später nachzumachen. Hierbei findet beim Modelllernen eine kognitive Leistung statt, was den Unterschied zur klassischen Konditionierung darstellt und als Übergang zum kognitiv-psychologischen Ansatz gilt.
Kognitiv-psychologischer Ansatz:
Was in der Erläuterung des Modelllernens bereits angedeutet wurde, gewinnt im kognitiv-psychologischen Erklärungsmodell zentrale Bedeutung: Was Angst macht, ist nicht der Reiz, sondern dessen kognitive Repräsentation. Wie der Reiz im menschlichen Gehirn gespeichert wird, ist dementsprechend der entscheidende Aspekt. Zu diesem „Wie“ gehört nicht nur ein inneres Bild, ein sprachliches Symbol oder das Schema eines Handlungsablaufes, sondern immer auch eine subjektive Bewertung. Jene Bewertung – ob richtig oder falsch, realistisch und sinnvoll oder unangemessen und wenig zielführend, demnach dysfunktional – bestimmen letztendlich menschliche Emotionen (Niklewski & Riecke-Niklewski, 2009, S. 62 – 63). Der kognitiv-psychologische Ansatz erweitert somit den lerntheoretischen Ansatz, indem er feststellt, dass Anlässe zur Angst nicht unmittelbar per Reiz-Reaktion auch in Angst umgesetzt werden, sondern dass nach Auftreten des Angst auslösenden Reizes eine Phase der Interpretation zwischengeschaltet wird, die schließlich Angst auslösen kann (Peters, 2013, S. 193 – 194). Ein weiterer kognitiver Ansatz stellt nach Vormbrock (1983, S. 29) das State-Trait-Modell der Angst von Spielberger dar. Spielberger (1972, S. 29) nimmt an, dass die Angstreaktion nicht nur von der Situation bestimmt ist, sondern ebenfalls von der individuellen Bewertung abhängig ist. Das Modell konzipiert Angst zweidimensional in Form einer Zustands-Angst (State) und einer Eigenschaftsangst (Trait). Die State-Angst stellt einen emotionalen Zustand dar, welcher durch Anspannung, Besorgtheit, Nervosität, innere Unruhe und Furcht vor zukünftigen Ereignissen gekennzeichnet ist. Physiologisches Korrelat ist hierbei eine erhöhte Aktivität des autonomen Nervensystems. Trait-Angst ist hingegen definiert als eine erworbene, zeitstabile Verhaltensdisposition, welche bei einem Individuum zu Erlebens- und Verhaltensweisen führt, mit denen eine Vielzahl von objektiv wenig gefährlichen Situationen als Bedrohung wahrgenommen werden. Der Bewertungsprozess wird nach Vormbrock (1983, S. 29) beim State-Trait-Modell u. a. von vergangenen Erfahrungen, von dem Wissen um Fähig- und Fertigkeiten zur Bewältigung und durch die objektive Gefahr der Situation beeinflusst. Ergänzend hierzu steht die kognitive Verarbeitung in starker Abhängigkeit von der individuellen Neigung zur State-Angst (Angst als Zustand) bzw. zur Trait-Angst (Angst als Eigenschaft). So werden bspw. nach Bierhoff-Alfermann (1986, S. 77) Situationen, die selbstwertbedrohlichen Charakter haben können, von Personen mit hoher Trait-Angst in stärkerem Maße als bedrohlich wahrgenommen als von Personen mit niedriger Trait-Angst. Wenn eine Situation als bedrohlich empfunden wird, resultiert daraus eine Reaktion mit Zustandsangst, deren Stärke proportional zum Ausmaß der erlebten Bedrohung ist. Eine Reduktion dieser Angst erfolgt erst mit der Beendigung der Situation oder mit der Bewältigung durch die Person mittels Lösungsstrategien. Die schematische Darstellung des Modells mit seinen Bedingungen und Folgen bzgl. der kognitiven Bewertung wird in Anhang 20 dargestellt. Auf Basis des kognitiv-psychologischen Ansatzes entwickelte sich die kognitive Verhaltenstherapie, bei der kognitive sowie verhaltensorientierte Verfahren eingesetzt werden, um eine Veränderung kognitiver Muster und damit verbundener Verhaltensweisen zu erreichen. In diesem Kontext legt jene Therapieform nach Niklewski und Riecke-Niklewski (2009, S. 65) weitere Entstehungsursachen für Angst offen, welche in Anhang 21 angeführt werden. Nach Laux, Möller und Deister (2013, S. 130) wird die lerntheoretische Vorstellung über das Zusammenspiel von psychischen und körperlichen Faktoren in Hinblick auf die Entstehung von Angst durch den Angstkreis (Anhang 22) zusammenfassend beschrieben. Nach Niklewski und Riecke-Niklewski (2009, S. 68) handelt es sich beim Angstkreis um einen Teufelskreis von Wahrnehmung körperlicher Signale, falscher Bewertung und den damit zusammenhängenden körperlichen und psychischen Alarmreaktionen, welche ebenfalls mit einer falschen Bewertung einhergehen. Aufgrund der Tatsache, dass die Denkfehler und Katastrophengedanken laut Niklewski und Riecke-Niklewski (2009, S. 70) im Angstkreis nicht korrigiert werden können, kommt es zu einer Chronifizierung der Angst und zur negativen Verstärkung von Vermeidungsverhalten.
3.2.3 Symptome der Angst
In bedrohlichen Situationen kann man inter- und intraindividuelle unterschiedliche Angstreaktionen beobachten. Einige Personen zeigen Reaktionen, die durch Angriff gekennzeichnet sind, andere äußern ihre Angst in Fluchtverhalten. Obwohl sich Angst der unmittelbaren Diagnose entzieht, kann man sie aufgrund bestimmter Merkmale erschließen (Größing, 1997, S. 74). In diesem Zusammenhang lassen sich Symptome in den Bereich der organischen Symptome, der motorischen Kennzeichen sowie der Verhaltensmerkmale unterteilen. Unter den Aspekt der organischen Symptome fallen hierbei alle körperlichen Veränderungen, die durch Angst bewirkt werden. Deutliche Anzeichen von Angst zeigen sich in Pupillenerweiterung, Pulsbeschleunigung, Gesichtsblässe, Zittern, Atemnot, Atmungsbeschleunigung oder -verlangsamung, Appetitmangel oder auch Magenbeschwerden (Baumann, 2015, S. 281). Nach Peters (2013, S. 194) handelt es sich hierbei um Reaktionen des vegetativen Nervensystems, deren Ausprägung in Abhängigkeit von der Aktivität des Sympathikus und des Parasympathikus steht. Die Motorischen Kennzeichen beinhalten nach Baumann (2015, S. 281) das Bewegungsverhalten, welches durch Angst koordinativ und adaptiv beeinflusst wird. Symptome, die auf Angst schließen lassen, sind Fehlanpassungen, Fehlleistungen oder auch linkische und unkoordinierte Bewegungen. Zudem zählen einerseits gehemmte Bewegungen sowie die Abnahme des Bewegungsumfangs oder auch Verkrampfungen zu den Angstsymptomen in der Motorik. Andererseits sind aber auch hypermotorische Merkmale wahrzunehmen, die sich in enthemmten Bewegungen äußern. In Bezug auf die Verhaltensmerkmale bedürfen Angstsymptome einer bedachtsamen Interpretation und sollten mit Hilfe von zusätzlichen Diagnosemaßnahmen abgesichert werden. Nach Müller-Wolf (1986, S. 120) betrifft dies Signale wie Abwehr- und Ausweichreaktionen. Jene drücken sich z. B. im Abbremsen vor Absprungmarken oder in der Auswahl weniger angstvoll erlebter Ersatzlösungen aus. Ferner stellen nach Baumann (2015, S. 281) sowohl Passivität, Zögern und Zurückhaltung als auch aggressives Handeln, Übereifer und Großsprechertum kennzeichnende Verhaltenssignale dar. Nach Müller-Wolf (1986, S. 121) ist in diesem Kontext Angebertum in Kombination mit Belehrung und Diffamierung anderer als weitere Verhaltensweise bzgl. der Angstsymptomatik zu benennen. Mit jenem Verhalten soll versucht werden, eine Distanz zu Schwächeren hervorzuheben, die eigene Position besser erscheinen zu lassen sowie die eigene Angst zu verbergen.
3.3 Wettkampfangst
3.3.1 Entstehung der Wettkampfangst
Nachdem auf die Entstehung der Angst im Allgemeinen bzw. im medizinischen Sinne bereits eingegangen wurde, soll an dieser Stelle die Entstehung der sportrelevanten Form der Angst, der Wettkampfangst, erläutert werden. Hierzu liefern Cerin, Szabo, Hunt und Williams in Anlehnung an das transaktionale Stressmodell von Lazarus (Anhang 23) eine Konzeption, welche die emotionalen Reaktionen sportlicher Wettkämpfe integriert. Nach Cerin, Szabo, Hunt und Williams (2000, S. 613) beschreibt jenes interaktionale Stressmodell der Wettkampfsituation (Anhang 24) die Entstehung von Wettkampfangst als einen mehrphasigen Prozess, der von den äußeren Faktoren der Wettkampfsituation beeinflusst wird. Wettkampfangst ist demnach das Ergebnis eines subjektiven Bewertungsprozesses, bei dem die Anforderungen der Umwelt mit den Fähigkeiten und Bewältigungsmöglichkeiten des Sportlers verglichen werden. Dieser Bewertungsprozess umfasst die Teilprozesse der primary appraisal, secondary appraisal sowie der coping und reappraisal. In der ersten Bewertungsstufe (primary appraisal) erfolgt die Einschätzung des Gefährdungspotenzials der Wettkampfsituation und der darauffolgenden Einstufung in neutral, positiv-angenehm oder belastend-bedrohlich. Sobald die Bewertung der Wettkampfsituation als bedrohlich eingestuft wird, ist die Grundvoraussetzung für die Entstehung von Wettkampfangst gegeben. In der zweiten Bewertungsstufe (secondary appraisal) werden Überlegungen angestellt, wie die Bedrohung des Wettkampfes (bspw. möglicher Misserfolg) überwunden werden kann, und ob die eigenen Ressourcen zur Bewältigung der Bedrohung ausreichen. Nach Lazarus und Folkmann (1991, S. 203 –204) kann in dieser Bewertungsstufe die Wettkampfsituation als Herausforderung (positive Bewältigung der Situation ist möglich), als Bedrohung (Bewältigung ist ungewiss) oder als Schädigung (negatives Ereignis ist bereits eingetreten) eingestuft werden. Werden die eigenen Ressourcen als unzureichend eingestuft, um die Bedrohung adäquat zu bewältigen, werden entsprechende somatische, emotionale und kognitive Angstreaktionen ausgelöst. Bei Wahrnehmung einer Bedrohung schließen sich Handlungen zum Abbau der Bedrohung an (coping). Coping-Strategien sollen den schädigenden Einfluss der Umweltbedingungen reduzieren und ein emotionales Gleichgewicht sichern. In der Neubewertungsphase (reappraisal) wird beurteilt, ob die Bewältigungsstrategien erfolgreich waren. Wird die Wettkampfsituation nicht mehr als Bedrohung eingestuft, dann besteht kein Handlungsbedarf mehr, womit der Prozess der Angstauslösung endet. Nach Jones (1995, S. 141) variieren die psychophysischen Reaktionen während des Wettkampfes individuell stark. Wie aus den Anhängen 24 bis 25 zu entnehmen ist, resultieren jene Unterschiede aus persönlichen Merkmalen und situativen Faktoren, welche somit entscheidende Bestandteile des interaktionalen Stressmodells der Wettkampfsituation darstellen. Aufgrund dessen sollen im Folgenden einige jener Einflussgrößen exemplarisch näher erläutert werden. In diesem Zusammenhang stellt u. a. der Aspekt des Selbstbewusstseins des jeweiligen Sportlers im Rahmen der persönlichen Faktoren eine wichtige Einflussgröße dar. Athleten mit einem stark ausgeprägten Selbstbewusstsein neigen dazu, sowohl geringere Angstzustände als auch geringere Intensitäten der Wettkampfängstlichkeit zu verspüren (Woodman & Hardy, 2003, S. 450). In Untersuchungen von Gould, Petlichoff und Weinberg (1984, S. 289 – 304) oder von Humara (1999, S. 101 – 114) wurde zudem die Komponente des Leistungsniveaus als beeinflussendes persönliches Merkmale untersucht. Hierbei zeigte sich, dass Sportler, die auf einem hohen Leistungsniveau agieren, geringere Wettkampfängste zeigen als Sportler mit niedriger sportlicher Expertise. Bestätigt wird jenes Ergebnis durch eine Untersuchung von Kim, Chung, Park und Shin (2009, S. 503 – 508), durch die herausgefunden werden konnte, dass die kognitiven Angstzustände von Profi-Golfern im Vergleich zu Amateur-Golfern vor Wettkämpfen geringer ausfallen. In diesem Zusammenhang berichten Wolframm und Micklewright (2008, S. 153 – 159) über geringere Ausprägungen der somatischen Wettkampfangst bei professionellen Dressurreitern im Vergleich zu den Amateuren. Die Autoren begründen die geringere Wettkampfangst damit, dass eine hohe Expertise mit hohem Selbstbewusstsein einhergeht und dementsprechend mit geringerer Tendenz, ein ängstliches Verhalten zu zeigen. Zudem wird angenommen, dass Anfänger deutlich aufgeregter sind als Spitzensportler. Spitzensportler sind primär aufgabenfokussiert, wohingegen Anfänger sich mehr auf ihre Angstgefühle konzentrieren. Nicholls, Polman und Levy (2010, S. 97 – 102) verglichen die Vorwettkampfangst von Sportlern auf nationalen/internationalen Leistungsniveau, Landesebene und auf Ligaebene des Hochschulsports mit jener von Anfängern. Ihre Ergebnisse stehen im Kontrast der bisher aufgezeigten Befunde. Sie dokumentierten die größte kognitive Wettkampfangst bei Sportlern, die auf nationalen und internationalen Wettkampfniveau agieren, wobei postuliert wurde, dass jene Ergebnisse als Folge des höheren Leistungsdrucks auf der Ebene des Profisports anzusehen sind. Nach Fernandez, Nunes, Vasconcelos-Raposo und Fernandez (2013, S. 709) nimmt der Faktor Wettkampferfahrung sowohl auf die Zustandsangst, als auch auf die Wettkampfängstlichkeit einen signifikanten Einfluss. Bei den Untersuchungen von Fernandez, Nunes, Vasconcelos-Raposo unnd Fernandez (2013, S. 705 – 714) stellte sich heraus, dass Sportler mit hoher Wettkampferfahrung geringere Wettkampfängste aufweisen, und Sportler mit wenig Wettkampferfahrung ein geringeres Selbstbewusstsein als Sportler mit hoher Wettkampferfahrung erkennen lassen. Diesbezüglich konstatieren Donzelli, Dugoni und Johnson (1990, S. 255 – 267), dass Sportler mit zunehmender Wettkampferfahrung seltener dazu neigen, Wettkampfangst zu erleben und bekräftigen somit die Ergebnisse von Fernandez, Nunes, Vasconcelos-Raposo und Fernandez. In Bezug auf das Merkmal des Alters berichtet McEwan (1995, S. 1115) über eine negative Korrelation von Alter und Wettkampfangst. In einer Untersuchung der Wettkampfangst von Langstreckenläufern bestätigen Sanchez et al. (2004, 149 – 156), dass ältere Sportler geringere Ausprägungen der Zustands- und Wettkampfängstlichkeit zeigen. Eine negative Korrelation von Alter und kognitiver Wettkampfängstlichkeit konnte in einer Studie von Modroño und Guillén (2011, S. 281 – 294) mit Windsurfern belegt werden. Den negativen Zusammenhang von Alter und Wettkampfangst begründen die Autoren jeweils mit der größeren Erfahrung der älteren Sportler. Nach Martens, Burton, Vealey, Bump und Smith (1990, S. 143) entwickeln Sportler mit zunehmender Erfahrung Strategien, auftretende Ängste im Wettkampf zu bewältigen. Ferner hat nach Katsikas, Argeitaki und Smirniotou (2009, S. 32) der Aspekt des Geschlechts im Hinblick auf die Wettkampfangst ein hohes Gewicht. Zahlreiche Befunde wie bspw. jene von Abrahamsen, Roberts und Pensgaard (2007, S. 449 – 464) oder auch von Cruz, Dias und Fonseca (2010, S. 23 – 31) belegen, dass Frauen höhere Ausprägungen der kognitiven Wettkampfangst zeigen. Nach Cruz, Dias und Fonseca (2010, S. 26) sind jene Befunde auf die Tatsache zurückzuführen, dass die gesellschaftliche Akzeptanz Schwäche in Form von Angst zu zeigen für Frauen deutlich größer ist. In Bezug auf die situativen Einflussfaktoren sollen im Rahmen der vorliegenden Arbeit ebenfalls die in der analysierten Literatur als entscheidend erachteten Komponenten näher erläutert werden. In diesem Kontext kann zunächst allgemein festgehalten werden, dass alle Sportarten sowohl unterschiedliche physiologische als auch unterschiedliche psychologische Anforderungen an die Sportler stellen. Taylor (1995, 339 – 357) beschreibt vier sportspezifische Faktoren, die Einfluss auf die Psyche der Sportler nehmen. Jene Faktoren stellen sich als motorische Hauptbeanspruchungsform, als Anforderungen an die Bewegungsausführung (feinmotorische oder grobmotorische Handlungsformen), als Dauer des Wettkampfes sowie als Sportarten dar, die entweder mehrfach auftretende Einzelbelastungen erfordern (z. B. zwei Halbzeiten im Fußball) oder am Stück durchgeführt werden (Marathonlauf). Elferink-Gemser, Visscher und Lemmink (2003, S. 88 – 97) ergänzen die Einflussfaktoren der psychische Belastungen um die Komponente der Sportart (Team- oder Individualsportart). Eine Studie von Aufenanger (2005, S. 29 – 33) untersuchte die Wettkampfangst von close und open skill Sportarten. Open skill Sportarten, die zumeist Teamsportarten sind, erfordern die ständige Adaptation der Bewegungen an sich verändernde Situationsbedingungen. Bei close skill Sportarten werden die Handlungen unter stabilen Bedingungen ausgeführt. Dabei bleiben die Aktionen des Sportlers von der Umwelt unbeeinflusst, so dass der Sportler die Geschwindigkeit seines Handelns eigenständig bestimmt (z. B. das Lauftempo des Marathonläufers). Die Studienergebnisse dokumentieren eine geringere somatische Wettkampfängstlichkeit für open skill Sportarten verglichen mit close skill Sportarten. Nach Aufenanger (2005, S. 41) unterstützen diese Ergebnisse die Befunde von Martens, Burton Vealey, Bump und Smith (1990, S. 117 – 190), welche eine geringere Wettkampfangst bei Teamsportlern im Vergleich zu Individualsportlern diagnostizieren. Eine weitere Differenzierung der Sportarten unternehmen Mellalieu, Hanton und O'Brien (2004, S. 326 – 334), indem sie die Wettkampfängstlichkeit von Kontakt- und Nicht-Kontaktsportarten untersuchten. Die Studie wurde mit 79 professionellen Golfern und 87 Rugbyspielern durchgeführt und dokumentiert eine stärkere kognitive Wettkampfängstlichkeit der Rugbyspieler. Auch jene Ergebnisse decken sich mit den Befunden von Martens, Burton Vealey, Bump und Smith (1990, S. 117 – 190) die eine höhere kognitive Wettkampfangst bei Kontaktsportarten diagnostizieren, wobei jene Befunde auf den erläuterten angstauslösenden Faktor der Verletzungen und des Schmerz zurückgeführt wurden. Jene primären Angstauslöser (Anhang 26 bis 27) stehen somit in enger Verbindung mit der Entstehung der Wettkampfangst. Hierbei können nach Baumann (2015, S. 272) primäre Angstauslöser als angeborene Ängste angesehen werden, die immer dann auftreten, wenn sie an Situationen gekoppelt werden, die eine existenzielle Bedrohung darstellen, ohne dass der Mensch über Lernerfahrungen verfügt. Es handelt sich somit um eine angeborene Disposition, die in Gefahrensituationen Angst bedingt und eine Vermeidungsreaktion auslöst. Ferner ist nach Baumann (2015, S. 273 – 274) zu berücksichtigen, dass primärer Angstauslöser auch die Ursache für Folgeängste (Anhang 28) sein können.
3.3.2 Angstformen im Sport
Angepasste und unangepasste Angst:
Wie im Rahmen dieser Arbeit erläutert übernehmen Ängste die Funktion eines Warnsignals, durch das der jeweiligen Person eine Gefahr signalisiert werden kann und sie vor Schäden bewahren kann. Allerdings zeigen sich Angstzustände auch in Situationen, denen keine objektive Bedrohung zu Grunde liegt. Man spricht in diesem Kontext von unbegründeten oder unangepassten Ängsten. Diese treten z. B. bei Sportlern auf, die aus Angst vor dem Gegner, oder vor der Versagensfolge (bspw. Blamage) ihre Normalleistung nicht erreichen (Baumann, 2015, S. 276). Zudem sind unangepasste Ängste in der Regel an schmerzliche Erfahrungen gekoppelt. So wird ein Junge, der einmal beim Vorturnen einer Übung vom Gerät fiel und ausgelacht wurde, zukünftig versuchen, dieser diffamierenden Situation aus dem Weg zu gehen, obwohl er objektiv fähig wäre, eine fehlerfreie Übung zu turnen. Ferner können übergroße Härte oder auch unfaires Verhalten in den Spielsportarten auf unangepasste Ängste zurückzuführen sein. Dies ist der Fall, wenn Sportler z. B. aus objektiv unbegründeter Angst zu versagen, zu aggressivem Handeln oder zur Anwendung unfairer Mittel neigen (Baumann, 2015, S. 277). Im Gegensatz dazu sind angepasste Ängste auf wahrnehmbare Gefahrenobjekte, wie bspw. gefährliche Geräte, schwieriges Gelände oder eine zu schwierige Aufgabenstellung, bezogen. Aus diesem Grund gelten sie als konditionierte Angstreaktionen und werden auch als Realängste bezeichnet. Sie sind rational begreiflich, realistisch zu begründen und lösen Schutz- und Fluchthandlungen aus. Das Erkennen angepasster oder unangepasster Ängste im Sport gestaltet sich zumeist schwierig. Ein begründetes Urteil, ob Ängste tatsächlich unangepasst sind, kann erst abgegeben werden, wenn die Abwägung persönlicher Voraussetzungen und Fähigkeiten mit der angstauslösenden Aufgabe zu einem negativen Ergebnis führt, so dass an dieser Stelle eine objektive Begründung der Angst vorliegt (Baumann, 2015, S. 276).
Erwartungsängste:
Die meisten Ängste im Sport entstehen aus der gedanklichen Vorwegnahme angstbesetzter Situationen und Erlebnisse. Dabei machen Gedanken sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht keinen Unterschied zwischen Realität und Vorstellung. In diesem Kontext stehen auch die bereits erläuterten unangepassten Ängste, da sie aufgrund ihrer ausgeprägten Zukunftsperspektive auch als Erwartungsängste bezeichnet werden. Erwartungsangst gründet in der Antizipation subjektiv erlebter, unlustvoller, hilfloser, diffamierender oder auch gefährlicher Situationen (Baumann, 2015, S. 277). Die Erwartungsangst ist an früher erlebte, angstauslösende Ereignisse gekoppelt. Sie stellt sich ein, wenn zukünftige Situationen Ähnlichkeiten mit den vergangenen Erlebnissen aufweisen. Diese „Angst vor der Angst“ kann durch die unbeschränkten Möglichkeiten der Fantasie geschürt und gesteigert werden. Dadurch gelangt der Sportler in einen Angstzustand, der durch die Anforderungen der zukünftigen realen Situation nicht begründbar ist (Baumann, 2015, S. 278). Dabei erlebt der Sportler bereits in seiner Vorstellung eine zukünftige Situation mit dem Bestreben, sie abzuwenden. Hierbei entstehen Fragen wie: „Was passiert, wenn ich wieder verliere?“ oder wie: „Was soll ich tun, wenn mich wieder die Panik erfasst?“ (Baumann, 2015, S. 277). Jener Fantasieanteil der Bedrohungsantizipation ist es, der zur emotionalen Reaktion führt und den koordinierten und geplanten Handlungsablauf in Frage stellen kann (Baumann, 2015, S. 278). In diesem Zusammenhang ist ebenfalls die Versagensangst zu identifizieren, welche aus der Sorge darüber entsteht, was geschehen könnte, wenn man versagt. Sie ist die Folge hoher Erwartungen, die dem eigenen Können nicht mehr entsprechen. Ihr Auftreten ist in der Regel unangepasst. Ein Beispiel hierfür stellt der jugendliche Sportler dar, welcher die Fähigkeit verloren hat, sich leistungsgerecht einzuschätzen. In diesem Szenario kann jener Sportler zudem von Fremderwartungen gesteuert werden (Baumann, 2015, S. 276). Dabei kann die Bedrohung bei Erwartungsängsten sozialer Art sein, wie z. B. die Aussicht, sich zu blamieren oder die Mannschaftzugehörigkeit zu verlieren. Sie kann aber auch durch die eigene Person bedingt sein, wenn bspw. Gefahr besteht, selbst gesetzte Ziele nicht zu erreichen. Ferner ist es ebenfalls möglich, dass sie durch materielle Faktoren hervorgerufen wird. Dies spiegelt sich z. B. in der Angst von Sportlern wider, keine Prämie zu erhalten (Baumann, 205, S. 277).
Soziale Ängste:
Jedes Individuum ist geprägt von den ihn umgebenden Strukturen. Innerhalb seiner Umwelt baut der Mensch soziale Bindungen und Beziehungen auf, die zum Erreichen einer sozialen Identität notwendig sind. Diese Verbundenheit kann zu primären und sekundären Bezugspersonen aber auch zu distanzierten Personen, wie z. B. zu den Zuschauern, zur Öffentlichkeit oder zu den Medien, bestehen. Durch den Verlust oder die Trennung von diesen existentiell bedeutsamen Personen wird die eigene bzw. soziale Identität gefährdet. Die Erwartung eines solchen Zustandes wird als soziale Angst erlebt (Baumann, 1998, S. 233). Dies macht die angstinduzierende Wirkung sozialer Diffamierung nachvollziehbar. Auch in Situationen des „Betrachtetwerdens“, wenn sich bspw. ein Sportler den urteilenden Blicken anderer ausliefert, besteht die Gefahr des Verlustes, der Abwertung oder der Minderung sozialen Ansehens. Insbesondere in Sportarten, in denen sich junge Athleten in ihrer geistig-körperlichen Ganzheit präsentieren, findet man zahlreiche Varianten von Hemmungen und Ängsten. Hierbei handelt es sich in der Regel um Situationen wie bspw. beim Vorturnen einer Übung in der Schule, in denen der Einzelne aus dem Schutz der Gruppe heraustritt und Ängste aufgrund der Bedrohung des Selbstwertgefühls entstehen. Weitere soziale Ängste entstehen aus der Gefahr, das Vertrauen des geliebten oder geachteten Trainers zu enttäuschen, keine Anerkennung mehr zu erhalten, die Achtung der Mannschaftkameraden zu verlieren, die Mannschaftszugehörigkeit in Frage zu stellen oder auch den Erwartungen der Öffentlichkeit nicht mehr gerecht werden zu können. Jene Ängste resultieren aus Bereichen, die der jeweilige Sportler nicht selbst kontrollieren kann. Er hat weder Einfluss auf die Reaktion der Zuschauer und der Medien noch auf die Anerkennungsäußerungen anderer (Baumann, 2015, S. 278 – 279).
Angstkonflikt:
Wenn sich ein Individuum zwischen einem Aversions- und einem Appetenzverhalten entscheiden muss, wird von einem Angstkonflikt bzw. Annäherungs - Vermeidungskonflikt (Appetenz-Aversions-Konflikt) gesprochen. Die Person hat einerseits das Bedürfnis, etwas zu tun, andererseits wird sie gehemmt durch ihre Ängste vor unangenehmen Folgen (Baumann, 1998, S. 234). Ein Beispiel hierfür stellt die Situation dar, wenn ein Fußballspieler ein Tor schießen möchte, er jedoch gleichzeitig Angst vor einem Fehlschluss und der daraus möglicherweise resultierenden Kritik seiner Mitspieler hat. Er steht demnach zwischen dem Bedürfnis, etwas zu tun, der Hinwendung, und dem Wunsch, es aus Angst vor den unangenehmen Folgen zu unterlassen, der Ablehnung (Baumann, 2015, S. 279). Überwiegen in diesem Zusammenhang die Ängste, kommt es zur Unterlassung (Aversion), behalten die antreibenden Impulse die Oberhand, handelt der jeweilige Sportler im Sinne seiner Hinwendung, auch wenn er objektiv nicht über ausreichende Mittel verfügt. Im Rahmen jener Annäherungs-Vermeidungskonflikte kann es zudem zu untergeordneten emotionalen Konfliktsituationen kommen. Die ist z. B. der Fall, wenn zwei Angststrebungen einander unvereinbar gegenüberstehen. Häufig handelt es sich dabei um Realängste bzw. um das Vorliegen primärer Angstauslöser, die zu meiden, negative soziale Folgen nach sich ziehen würde und die aufgrund dessen wiederum angstprovozierend wirken. Es handelt sich hierbei um einen Angst-Angst-Konflikt. Als Beispiel kann in diesem Kontext ein Skifahrer herangezogen werden, der Angst hat, sich im schwierigen Gelände durch einen Sturz zu verletzen. Gleichzeitig ist ihm bewusst, dass er den Spott der anderen Fahrer ertragen müsste, wenn er die Fahrt verweigert. Da die Angst vor Letzterem überwiegt, entschließt er sich zur Abfahrt. Eine ähnliche Verhaltensweise ist bei Spielern zu erkennen, die Angst vor dem Gegner haben. Sie neigen häufig zu aggressivem Angriffsverhalten, da die Angst vor einer Blamage noch größer ist (Baumann, 2015, S. 280).
3.3.3 Wissenschaftliche Modelle zur Erklärung des Angst-Leistungszusammenhangs
Nach Lazarus (2000, S. 244) stellt der sportliche Wettkampf eine Angstsituation dar. Die Begründung hierfür spiegelt sich in der Tatsache wider, dass die eigene Rangposition, Kompetenz und Leistungsfähigkeit im Wettkampf für Sportler, Kameraden, Gegner, Schiedsrichter, Trainer und Zuschauer schonungslos offengelegt wird. Der Ausgang eines Wettbewerbes entscheidet in der Regel über die Zukunft des Sportlers: Anhand der sportlichen Leistung in der Angstsituation wird das Urteil über die Erfüllung des Selbstbildes, über die Position innerhalb der Mannschaft, die Notwendigkeit und den Umfang zukünftigen Trainings oder gar über das Karriereende gefällt (Lazarus, 2000, S. 244). Im Folgenden wird ein Überblick über die Vielzahl der in der Literatur zu findenden Theorien gegeben, die versuchen, den Zusammenhang von Angst und sportlicher Leistung zu erklären.
Drive-Theorie (Trieb-Theorie):
Die Drive-Theorie (Anhang 29), welche im Jahr 1943 nach Hull entstand und im Jahr 1966 von Spence und Spence modifiziert wurde, postuliert einen positiven linearen Zusammenhang von Angst und Leistung. Traditionsgemäß bezieht sich die Theorie dabei vornehmlich auf die physiologische Erregung. Bei einer Erhöhung der Erregung und Aktivierung steigt nach der Drive-Theorie die Wahrscheinlichkeit der Anwendung eines „dominanten“ Verhaltens aus der Menge der möglichen Reaktionen. Dabei sollen folgende Eigenschaften zu beobachten sein (Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 279):
- Die Stärke einer Reaktion kovariiert mit der Intensität des Angstreizes.
- Die Reaktionen passen sich den Reizen an, bei einer Reihe von (gleichen) Angstreizen nehmen die Reaktionen ab.
- Die Reaktionsstärke auf Angstreize ist interindividuell verschieden.
In Bezug auf gut beherrschte oder recht simple Bewegungsmuster führen Angstreize demnach zu einer Verbesserung der Leistung. Ob diese Einschränkung die Anwendbarkeit der Drive-Theorie für komplexe sportliche Bewegungen zulässt, bleibt offen (Weinberg, 1989, S. 97). Im Gegensatz dazu finden sich in der Literatur vereinzelte Beispiele, welche die Drive-Theorie für sportliche Bewegungen gültig erscheinen lassen: Low und McGrath untersuchten im Jahr 1971 den Zusammenhang von Angst und Leistung bei Baseballspielern und fanden einen positiven, linearen Zusammenhang von Aktivierung und Leistung bzgl. der Situation, wenn die Aufgabenschwierigkeit konstant gehalten wird (Low & McGrath, 1971; zitiert nach Häcker, 1983, S. 53). Demgegenüber gelang es Kleine und Schwarzer (1991, S. 24) in einer Metaanalyse nicht, einen positiven linearen Zusammenhang von Angst und sportlicher Leistung nachzuweisen. In diesem Kontext wiesen Noteboom, Barnholt und Enoka (2001, S. 2100) eine Minderung der Leistung bei einer entsprechenden Erhöhung der Angstwerte nach.
Inverted U-Modell:
Die umgekehrt U-förmige Hypothese (Anhang 29) von Yerkes und Dodson aus dem Jahr 1908 bietet eine alternative Erklärung des Angst-Leistungs-Zusammenhangs. Sie sagt aus, dass die Leistung mit wachsender Angst bis zu einem bestimmten Punkt zunimmt; sie ab diesem Punkt im Zuge einer weiteren Steigerung der Angst jedoch wieder abnimmt, so dass im Bereich eines mittleren Angstwertes die Leistung als maximal angesehen werden kann (Weinberg, 1989, S. 99). Eine der populärsten Untersuchungen, die das umgekehrt U-förmige Modell bestätigen, ist die Forschungsreihe von Fenz und Epstein zur Thematik der Angst und Leistung bei Fallschirmspringern aus dem Jahr 1972. Sie zeigten, dass Springer, die kurz vor dem Absprung ihre hohe Erregung durch z. B. MT senkten, sehr gute Leistungen im Sprung erbrachten. Diejenigen Springer, welche mit deutlich höherer Erregung das Flugzeug verließen, wurden in ihrer Leistung als schlecht bewertet (Fenz & Jones, 1972, S. 2). Zudem konnte Taylor (1987, S. 150) zeigen, dass das Modell bzgl. der kognitiven und somatischen Angst sowie bzgl. der Selbstwirksamkeit (SWE) den Zusammenhang von Angst und Leistung bei feinmotorischen und anaerob klassifizierten Sportarten (z. B. Tennis, Basketball, etc.) anwendbar ist. Nach Kleine und Schwarzer (1991, S. 24) lassen sich jedoch insgesamt ebenso viele Untersuchungen finden, die das Inverted-Modell widerlegen, wie solche, die eine Bestätigung des Modells ergeben, so dass ein eindeutiger Nachweis der umgekehrt U-förmigen Beziehung zwischen Angst und Leistung indessen noch aussteht.
Multidimensionales Modell:
Um die Einflüsse verschiedener Angstkomponenten auf die Leistung berücksichtigen zu können, erweiterte Martens im Jahr 1990 die vorhandenen Theorien um einen multidimensionalen Aspekt. Man hatte bei zahlreichen früheren Untersuchungen bereits den zeitlichen Verlauf von Angstkomponenten bzw. Messgrößen betrachtet und unterschiedliche Verläufe von somatischer und kognitiver Angst bzw. Erregung festgestellt (Jones, 1995, S. 458). Beide Größen ließen sich separat manipulieren und sollten nach Martens dementsprechend auch im Zusammenhang von Angst und Leistung berücksichtigt werden. Die kognitive Angstkomponente hat hierbei einen negativ linearen und die somatische Angstkomponente einen schwachen, umgekehrt U-förmigen Zusammenhang mit der Leistung (Kerr, 1997, S. 97). Trägt man die beiden Angstkomponenten additiv auf, so entsteht eine Angst-Leistungsoberfläche wie sie Anhang 30 zu entnehmen ist. Die dort erkennbaren drei Zusammenhänge wurden u. a. in einer Untersuchung von Burton im Jahr 1988 bestätigt (Jones, 1995, S. 461). Allerdings konnte in anderen Studien entweder lediglich der umgekehrt U-förmige Zusammenhang von somatischer Angst und Leistung (Jones, 1995, S. 462) oder lediglich die negativ-lineare Beziehung zwischen kognitiven Angstkomponenten und Leistung nachgewiesen werden (Grasso, 2000, S. 14). Kritisiert wird u. a. am Angstmodell von Martens, dass die jeweiligen Angstkomponenten als unabhängig angenommen werden. So erscheint es logisch, dass ein Sportler, der in hohem Maße kognitiv erregt ist, lediglich niedrigere Werte in seiner SWE erreicht. Auf eine ähnliche Weise könnte bereits das Empfinden und Erleben physiologischer Erregung zu einer Zunahme der Besorgnis führen. Durch diese Nicht-Berücksichtigung von möglichen Abhängigkeiten der einzelnen Angstwerte untereinander würde es zu signifikanten Verfälschungen des Angstmodells kommen (Jerome & Williams, 1999, S. 248).
Individual Zones of Optimal Functioning (IZOF):
Das IZOF-Modell von Hanin aus dem Jahr 2000 stellt eine weiterführende Betrachtung der Emotions-Leistungs-Relation dar, indem es sich nicht nur auf „negative“ Emotionen (Angst, Aggression, etc.) beschränkt, sondern davon ausgeht, dass sich sportliche Leistung vor dem Hintergrund eines wesentlich breiteren Emotionsspektrums in Verbindung mit weiteren Faktoren, wie u. a. der Ausprägung der Selbstwirksamkeitsüberzeugung, entfaltet. So können z. B. sowohl „negative“ Emotionen als „positive“ Emotionen (Freude, etc.) entweder als funktional oder als dysfunktional für die Leistungsfähigkeit im Rahmen des IZOF-Modells angesehen werden. Zudem wird in diesem Kontext angenommen, dass nicht unbedingt nur eine Emotion den Erlebenszustand dominiert, sondern vielmehr ein „Emotions-Mix“ möglich ist. Darüber hinaus betont das Modell die interindividuellen Unterschiede. Während die Leistungsfähigkeit mancher Sportler durch dominant „negative“ oder „positive“ Emotionen beeinträchtigt wird, verbessern sich andere unter vergleichbaren Erlebensumständen (Brand, 2010, S. 34). In Bezug auf die Emotion der Angst hat demnach jeder Sportler eine individuelle Angstzone, in der seine Leistung maximal sein wird (Kerr, 1997, S. 94). Dies wurde mit Hilfe einer von Salminen, Liukkonen, Hanin und Hyvönen (1995, S. 725 – 730) an 253 Athleten durchgeführten Untersuchung bestätigt, indem optimale Angstwerte in einem Spektrum von 26 Punkten bis 67 Punkten auf der Angstskala des State-Trait-Angstinventars verzeichnet wurden. Trotz dieser Tatsachen stellt das IZOF-Modell keine eigenständige Theorie zum Angst-Leistungs-Zusammenhang dar. Es vermag letztendlich für den einzelnen Sportler vorherzusagen, welche Emotionswerte für eine maximale sportliche Leistung anzustreben sind. Es trifft im Gegenzug dazu keine Aussage darüber, wie die einzelnen Emotionen die sportliche Leistung beeinflussen bzw. miteinander interagieren (Raglin & Hanin, 2000, S. 109).
Katastrophenmodell:
Dieses komplexere Modell wird in Anhang 31 dargestellt. Es handelt sich hierbei um das Katastrophenmodell von Fazey und Hardy, welches den unterschiedlichen Verlauf der Leistung bei verschiedenen Werten der kognitiven Zustandsangst berücksichtigt (Hardy, 1990, S. 88). Unter der Voraussetzung niedriger kognitiver Angst besteht in diesem Modell zufolge ein umgekehrter U-förmiger Zusammenhang zwischen Aktivierung und Leistung. Dies jedoch mit der Einschränkung, dass die individuell optimale Leistung in diesem Zustand (niedrige kognitive Angst) nicht erreicht werden kann. Nur im Zustand höherer kognitiver Angst führt die mittlere Aktivierung zu optimaler Leistung. Allerdings verbindet sich mit diesem Zustand (höhere kognitive Angst) das Risiko, dass bei weiter ansteigender Aktivierung die Leistung nicht wie im Zustand niedriger kognitiver Angst graduell wieder abnimmt, sondern dass die Leistung dann völlig zusammenbricht und eine Leistungs-„Katastrophe“ eintritt. Aus regulatorischer Perspektive ist es demnach im Zustand höherer kognitiver Angst noch möglich, die eigene Aktivierung zurückzufahren und dadurch Leistungsfähigkeit zurückzugewinnen. Im Zustand höherer kognitiver Angst ist dieses Zurückfinden zur vor der „Katastrophe“ bestehenden Leistungsfähigkeit demgegenüber unmöglich (Brand, 2010, S. 33).
Übersicht:
Analog zu den bisherigen Ausführungen in dieser Arbeit, wie u. a. in Kapitel 3.1.2, postulieren die aufgeführten Modelle einen tendenziell negativen Zusammenhang zwischen Angst und sportlicher Leistung. Nach Brand (2010, S. 33) spiegeln die Modelle den empirisch immer wieder gezeigten Zusammenhang wider, dass die sportliche Leistung durch die kognitive Angstkomponente (Besorgtheit) empfindlicher gestört wird, als durch übergroße Aktivierung oder die somatische Angstkomponente (Aufgeregtheit).
3.3.4 Bedeutung der Diagnostik in der Sportpsychologie
„(Sport-)psychologische Diagnostik ist ein systematisches Sammeln und Aufbereiten von Informationen mit dem Ziel, Entscheidungen und daraus resultierenden Handlungen zu begründen, zu kontrollieren und zu optimieren" (Jäger & Petermann, 1999, S. 71).
In Anlehnung an jene Definition stellt die Diagnostik ein wesentliches Element der systematischen sportpsychologischen Betreuung dar. Mit ihrer Hilfe kann sich ein Bild über den zu betreuenden Sportler gemacht werden und herausgefunden werden, wo individuelle Stärken und Schwächen liegen. Auf der Grundlage jener Informationen können dann gezielt auf den Sportler abgestimmte Maßnahmen ergriffen werden. Bei einer sportpsychologischen Diagnostik können verschiedene Verfahren zur Anwendung kommen. So können apparative Messungen, wie z. B. mit Hilfe einer Elektroenzephalografie (EEG), vorgenommen werden, die u. a. den momentanen Aktivierungszustand, die koordinativen Fähigkeiten oder die Wahrnehmung messen. Hierbei kommen jedoch überwiegend Fragebögen zum Einsatz, vornehmlich wegen ihrer simplen und ökonomischen Einsetzbarkeit. Bei den in der psychologischen Diagnostik verwendeten Fragebögen handelt es sich in der Regel um Tests. Ein Test zeichnet sich dadurch aus, dass er systematisch entwickelt wurde und seine Zuverlässigkeit ebenso geprüft wurde wie die Frage, ob der Test auch tatsächlich das misst, was er messen soll. Dementsprechend sollten ausschließlich Tests zum Einsatz kommen, deren Gütekriterien festgesetzten Standards entsprechen (Beckmann & Elbe, 2011, S. 35). Die Effektivität einer sportpsychologischen Intervention hängt maßgeblich von der Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Problemrelevanz der Eingangsdiagnostik ab. Eine Vernachlässigung jenes diagnostischen Prozesses führt zwangsläufig zu Spekulationen und Fehleinschätzungen im Hinblick auf die jeweilige Problematik (Beckmann & Elbe, 2011, S. 36). In diesem Kontext zeigt eine Studie von Vealey und Garner-Holman (1998, S. 438) in Verbindung mit einer deutschen Studie (Ziemainz, Neumann, Rasche & Stemmler, 2006, S. 55), dass zirka 82 Prozent der befragten Sportpsychologen Fragebögen oder psychologische Inventare in ihrer Arbeit mit Sportlern verwenden, woraus sich noch einmal die Bedeutung der Diagnostik im Bereich des Sports ableiten lässt.
3.4 Entspannungstraining
3.4.1 Bedeutung von Spannung und Entspannung im Wettkampfsport
Das Wechselspiel von Spannung und Entspannung, also von physischer sowie psychischer Be- und Entlastung, kennzeichnet das dynamische Geschehen der sportlichen Tätigkeit. Sowohl Spannung als auch Entspannung können sich positiv oder negativ auf die Leistung auswirken. „Ich bin gespannt, ob ich heute die erforderliche Höhe zur Qualifikation überspringe.“ Jene Aussage eines Sportlers beruht auf der Freude und der Erwartung des Wettkampfes, so dass sich die Spannung in diesem Beispiel positiv auf das Leistungsergebnis auswirkt. Spannung beruht in der Regel auf einer Ungewissheit des Ergebnisses oder des Verlaufs eines zukünftigen Ereignisses. Psychische Spannung, die in Erwartung einer positiven Leistung begründet liegt, mobilisiert die psychogenetischen Leistungsreserven des Sportlers. Je nach Sportart sollte hierbei ein angemessener, optimaler Spannungsgrad erreicht werden. Psychische Spannung sollte hingegen nie zu einer erhöhten Spannung des Muskeltonus, zu einer verkrampften Bewegungsausführung oder zu gehemmten Koordinationsabläufen führen. „Da bin ich aber gespannt, ob ich heute wieder so viele Doppelfehler wie im letzten Match machen werde.“ Die Vorstellung, einen Fehler wieder zu begehen, konzentriert die Gedanken in fataler Weise auf jene gefährdete Handlungsphase. Angst und Unsicherheit, gepaart mit dem Wunsch nach Erfolg, lassen den Aktivierungsgrad des Nervensystems unverhältnismäßig hoch ansteigen. Der erhöhte Spannungsgrad der Muskulatur verhindert das ökonomische Zusammenspiel aktiver sowie passiver Muskelpartien. Spannungszustände, die durch Angst, Zögern oder auch Aggression entstehen, verhindern eine optimale Leistung. Insgesamt hängt die Höhe des optimalen Spannungsgrads von der Sportart und dem individuellen Leistungsstand ab. Je höher das Können ist und je besser die Technik beherrscht wird, desto höher kann sowohl der negative als auch der positive Spannungszustand sein. Aufgrund dessen wird ein wenig geübter Sportler durch angstvolle Spannung seine Trainingsleistung im Wettkampf nur schwer realisieren können (Baumann, 2015, S. 110 – 111).
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