Der Kaufmann und der Kaiser. Vergleich von Vorbild und Warnbild in "Der guote Gêrhart"


Seminararbeit, 2012

13 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Rudolf von Ems – Autor der Erzählung „Der guote Gêrhart“

2. „Der guote Gêrhart“ – eine Inhaltszusammenfassung

3. Die Tugenden des Kaisers – die Tugenden Gêrharts

4. Die guten Werke des Kaisers – die guten Werke Gêrharts

5. Die Schlagwörter „guot“ und „ruom“ im Prolog

6. Die innere Haltung des Kaisers – reflektiert in seinem Gebet

7. Geld, Ehre, Gottesfurcht – drei mögliche Motive einer „guottât“

8. Handelt Gêrhart tatsächlich besser als Kaiser Otto? Abschließende Gedanken

Literaturverzeichnis

1. Rudolf von Ems – Autor der Erzählung „Der guote Gêrhart“

Ein Händler, der sein gesamtes Handelsgut hergibt, um[1] Gefangenen die Freiheit zu schenken; ein Nichtadeliger, der zum Herrscher über England erhoben wird, doch wieder zu seinem Kaufmannsstand zurückkehrt; ein Kaufmann, dessen Lebensgeschichte einen Kaiser in tiefe Reue stürzt – hinter der außergewöhnlichen Dichtung „Der guote Gêrhart“ steht ein großer Dichter des Mittelalters.

Über Rudolf von Ems’ Leben ist nur wenig bekannt. Er stammte aus einer Adelsfamilie, die in Vorarlberg ihren Wohnsitz hatte und starb – Vermutungen zufolge – als Begleiter des Königs Konrad IV auf einem Kriegszug in Italien.

Neben den Legenden „Barlaam und Josaphat“ und „Eustachius“ entstammt auch „Willehalm von Orlens“ seiner Feder. Er starb noch bevor er seine Dichtung „Weltchronik“ vollenden konnte.
Doch vor allen bereits genannten Werken schrieb er die Erzählung vom guten Kaufmann Gêrhart. Den Auftrag dafür erhielt er von dem Ministerialen Rudolf von Steinach. Er konnte diese Arbeit zwischen 1220 und 1225 beenden[2] und schuf dabei sein „künstlerisch vollkommenste[s] Werk“[3].

Während Rudolf von Ems hierbei die höfische äußere Form bewahrte[4], ist der Inhalt mit einem Nichtadeligen als Helden keineswegs typisch für die zeitgenössische Literatur.

2. „Der guote Gêrhart“ – eine Inhaltszusammenfassung

Die Rahmenhandlung berichtet vom Hochmut[5] des Kaisers Otto: Als Stifter des Bistums Magdeburg hält er sich für berechtigt, Gott zu fragen, was er als Lohn für seine gute Tat erhalten werde. Gott tadelt durch einen Engel das Verhalten des Kaisers und schickt ihn zu einem Kölner Kaufmann, dessen Geschichte und Taten dem Kaiser als Vorbild dienen sollen.

Die Binnenerzählung umfasst den wörtlichen Bericht, den der demütige Kaufmann dem Kaiser gibt. Es ist die Geschichte darüber, wie Gêrhart zu dem Beinamen „der Gute“ gekommen ist.

Ein Sturm treibt den Kaufmann nach Marokko, wo er mit seinem gesamten Handelsgut Christen freikauft, die nach einem Schiffsunglück in die Gefangenschaft geraten sind. Unter ihnen befindet sich auch Erêne, eine norwegische Königstochter. Als Gêrhart diese mit seinem Sohn verheiraten will, taucht auf der Hochzeit unerwartet der totgeglaubte Verlobte Erênes auf: Willehalm, Thronfolger von England. Die Schiffskatastrophe hat ihn von der norwegischen Prinzessin getrennt und er findet sie erst nach jahrelanger Suche auf ihrer Hochzeit in Köln wieder.

In seiner Demut gibt Gêrhart Willehalm die Königstochter zurück und begleitet die beiden auf ihrer Reise nach England.

In England wollen Ratsmänner Gêrhart zum König erheben, da sie meinen, der rechtmäßige Thronfolger wäre gestorben. Gêrhart lehnt die Krönung jedoch ab und verhilft Willehalm zum Wiedergewinn seiner Herrschaft.

Von diesem Bericht tief bewegt, erkennt der Kaiser Otto seinen Hochmut und veranlasst, dass Gêrharts Geschichte aufgezeichnet wird.

Es ist bemerkenswert, dass Rudolf von Ems in diesem Werk davon erzählt, wie ein einfacher Kaufmann dem Kaiser als Vorbild dient. Diese Gegenüberstellung zweier Männer, die beide erstrebenswerte Tugenden mit sich bringen, gute Werke getan haben und doch so unterschiedlich von Gott bewertet werden, erfordert eine genauere Betrachtung: Was genau ist der Grund, weshalb Gêrhart in der Erzählung vor Gott besser dasteht als der Kaiser?

3. Die Tugenden des Kaisers – die Tugenden Gêrharts

V. 80[6] Ez was, als ich ez hoere sagen,

hie vor ein rîcher keiser grôz.

der was der hoechsten genôz

an wirde und an manheit.

sîn miltiu zuht was alsô breit

daz sî in tet vil wîte erkant.

Mit diesen lobenden Worten stellt der Erzähler den Kaiser vor: „Es lebte einmal, so hörte ich, ein mächtiger, großer Kaiser. Im Bezug auf Würde und Tapferkeit war er mit den Besten vergleichbar. Seine edle Sittsamkeit war so bekannt, dass er auch in weiter Ferne dafür berühmt war.“[7]

Das Wort wirde, die erste Eigenschaft, die Kaiser Otto zugeschrieben wird, beschreibt sowohl sein hohes Ansehen, das er als guter Kaiser vom Volk genießt, kann aber auch auf ein edles Wesen deuten, welches sich in würdigem Handeln zeigt. Durch den Vergleich mit den hoechsten, den edelsten Menschen, stellt der Erzähler dar, mit welchem Maßstab sich der Kaiser messen lässt. Seine Tugenden sind also in höchstem Maße ausgeprägt und bewirken, dass sein guter Ruf bis in ferne Länder schallt.

Doch damit endet die Aufzählung der guten Eigenschaften nicht: Die Verse 88 bis 91 beschreiben, wie er pflichtbewusst den Frieden erhält, das Recht bewahrt, sich nicht der Betrügerei hingibt, sondern vorbildlich lebt. Die drei Eigenschaften gewaere, milte und kiusche lassen sich übersetzen mit „zuverlässig“, „freigiebig“ und „keusch“ und sie runden die Beschreibung des Kaisers ab – eine Aneinanderreihung von Tugenden, die mit den christlichen Wertvorstellungen übereinstimmen und erstrebenswert sind, um ein Gott wohlgefälliges Leben zu führen. Und gerade Gottes Gebote sind es, die der Kaiser, wie aus den Versen 100 bis 102 ersichtlich, mit allem Fleiß zu befolgen versucht.

Kann sich der Kaufmann Gêrhart mit einem solchen Vorbild überhaupt messen?

Der Protagonist wird in die Handlung eingeführt, als der Kaiser auf der Suche nach diesem in Köln seinen Blick über die versammelte Schar schweifen lässt. Neben den äußeren Merkmalen, wie seine teure Kleidung und seine schöne Gestalt, werden auch die Charaktereigenschaften in die Beschreibung eingewoben. Tatsächlich tauchen auch bei dem Kaufmann die Vokabeln zuht, kiusche und gewaere (Verse 772 bis 777) auf. Genau wie der Kaiser nimmt auch der Kaufmann Abstand von einem bösen Lebenswandel, beschrieben in dem Vers 774.

Es fällt auf, dass Gêrhart, im Gegensatz zu Otto, weder wirde noch milte zugeschrieben werden. Dies ist als eine Folge des Standesunterschieds zu erklären: In seiner Stellung als Adeliger und als Herrscher genießt der Kaiser Ehre und Ansehen und kann auch in einem Maße freigiebig sein, das die Möglichkeiten eines Kaufmanns bei Weitem übersteigt.

Gêrhart werden jedoch auch eigene Attribute zugeschrieben: Er ist getriuwe, wîse und wol gezogen (Verse 775 bis 777), also treu, weise und wohlerzogen. Letzteres fällt dadurch auf, dass es das einzige Attribut ist, das als Ergebnis eines äußeren Einflusses zu erkennen ist und das Gêrhart in der passiven Rolle zeigt, für das er sich folglich nicht rühmen könnte.

Schließlich sei das kleine Wort guot aus Vers 775 erwähnt: Die Gutmütigkeit, die dem guten Gêrhart zu diesem Zeitpunkt der Rahmenhandlung, also nach seinen Abenteuern, vom Volk sogar als Epitheton angehängt wird.

So heben sich beide Männer durch ihren edlen Charakter von der Masse ab.

Warum also der Kaufmann dem Kaiser als Vorbild gelten soll, wird durch den Vergleich der Tugenden nicht ersichtlich – vielmehr stellt sich folgende Frage: Was hat Gêrhart getan, dass ihm den Beinamen „der Gute“ eingebracht hat, welchen der Kaiser eben nicht besitzt?

4. Die guten Werke des Kaisers – die guten Werke Gêrharts

Die gute Tat, die der Kaiser Otto vollbracht hat, besteht darin, dass er das Magdeburger Erzstift gegründet hat. Dazu hat er Gut, Ministerialen, Ortschaften, Burgen und Ländereien als Schenkung hingegeben:

V. 179 „(…) sî [Otto und seine Gemahlin] gâben dran

eigen, dar zuo dienestman,

stete, bürge und ouch lant.

ditz ist noch Megdeburc genant“

Zum Erzbischof ist ein edler Fürst gewählt worden, dem Otto das Recht verliehen hat, der Krone den Schirmvogt zu wählen.

Davon, dass dieses Werk durchaus nicht gering zu schätzen ist, sprechen die Verse 184 bis 187:

„der keiser stiftez bî der zît

mit solhen kreften daz es treit

von rîcheit immer werdekeit

in hôhem namen hinnen für.“

[...]


[1] Vgl. Theil, Edmund: „Weltchronik – Rudolf von Ems. Karl der Große – der Stricker“, Bozen 1986, S. 15-16. Abweichungen werden eigens angegeben.

[2] Vgl. Thurnher (Hrsg.). „Rudolf von Ems. Der gute Gerhard.“ Übertragen von Karl Tober. Eugen Ruß Verlag, Bregenz 1962? S. XV

[3] Schnell, Rüdiger: „Rudolf von Ems. Studien zur inneren Einheit seines Gesamtwerkes“, Bern 1969, S.58

[4] Vgl. Thurnher (Hrsg.) Op. cit. S. XIX

[5] Vgl. Walliczek, Wolfgang: „Rudolf von Ems“ in: „Die Deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon“ Band 8 Rev – Sit. Walter de Gruyter Verlag. Berlin 1992, S. 327

[6] Alle Versangaben beziehen sich auf: Ems, Rudolf von: „Der guote Gêrhart“, hg. v. John A. Asher, Tübingen 19712

[7] Übersetzung durch den Autor.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Der Kaufmann und der Kaiser. Vergleich von Vorbild und Warnbild in "Der guote Gêrhart"
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
2,0
Jahr
2012
Seiten
13
Katalognummer
V355635
ISBN (eBook)
9783668414426
ISBN (Buch)
9783668414433
Dateigröße
477 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kaiser, Kaufmann, Gerhart, Rudolf, Ems, Rudolf von Ems, Der guote Gerhart, Charakterisierung, Inhalt
Arbeit zitieren
Anonym, 2012, Der Kaufmann und der Kaiser. Vergleich von Vorbild und Warnbild in "Der guote Gêrhart", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/355635

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