Der arme Heinrich Hartmanns von Aue


Seminararbeit, 2003

31 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hartmann von Aue: Leben und Werk

3. Der männliche Protagonist: Heinrich

4. Die Krankheit als rigoroser Wendepunkt
4.1. Exkurs: Aussatz im Mittelalter
4.2. Strafe oder Prüfung?
4.3. Die Rolle des Mädchens
4.4. Die Opfermotivik in Religion und Geschichte

5. Die Heilung

6. Schlussbetrachtung

1. Einleitung

Um alle Fragen zu klären, die sich aus dem Verständnis des Armen Heinrichs ergeben, soll zunächst kurz auf den Autor der Erzählung, Hartmann von Aue, eingegangen werden, um in einem nächsten Schritt etwas über die Überlieferung des Armen Heinrich zu sagen.

Im Anschluss daran wird die Figur Heinrichs bis zum Krankheitsausbruch skizziert. In einem kurzen Exkurs soll darauf folgend ein Bild von der Aussatz-Auffassung des Mittelalters gezeichnet werden, um die Tragfähigkeit und das Ausmaß von Heinrichs Schicksal besser begreifen zu können und auf dieser Grundlage die Frage nach Strafe oder Prüfung Gottes solide beleuchten zu können. An dieser Stelle ist es notwendig, auch auf die Rolle des Mädchens einzugehen, die sowohl quantitativ als auch qualitativ gesehen nicht unterschätzt werden darf. Auf diesem Hintergrund folgt ein weiterer Exkurs, der den Opferbegriff näher betrachtet und die Basis für das richtige Verständnis der Blutopfer-Motivik schaffen soll. Den letzten Teil der Arbeit soll die genaue Betrachtung der Wandlung Heinrichs bilden.

2. Hartmann von Aue: Leben und Werk

Von Hartmann von Aue sind nur wenige biographische Angaben überliefert, so dass man, um etwas über seine Person in Erfahrung zu bringen, auf seine Selbstzeugnisse angewiesen ist, derer einige in seinen Werken zu finden sind. Eine Schlüsselstelle, wenn man so sagen möchte, für das Verständnis Hartmanns von Aue findet sich im Prolog des Werkes Der arme Heinrich, in dem der Leser erfährt, dass Hartmann Ministerialer zu Aue war, lesen und schreiben konnte und sich Ritter nannte.

Dies ist mehr, als man von manch anderem mittelalterlichen Autor je erfahren wird. Hartmann war, um es zu konkretisieren, also unfreien Standes, gehörte einer Gruppe auf der untersten Stufe der Feudalhierarchie an und besaß eine Schulbildung, die er nur von einer Klosterschule haben konnte, wo das Trivium, lateinische Autoren sowie Bibelkunde gelehrt wurden. Nach sprachlichen Befunden stammte Hartmann von Aue aus dem alemannischen Sprachraum, doch dort ist ein freiadeliges Geschlecht zu Aue zu dieser Zeit nicht nachzuweisen. Geboren wurde er vermutlich um 1160/65. Nach dem Tod seines Dienstherren nahm er an einem Kreuzzug teil, wahrscheinlich an dem von 1197/98. Gestorben ist Hartmann von Aue wohl nach 1210, denn zu dieser Zeit wird er bei Gottfried von Straßburg als Lebender erwähnt.

In diese spärlichen Daten lassen sich Hartmanns Werke einordnen: Sein erstes Werk, Die Klage, ist ein 1914 Verse umfassendes Reimpaargedicht, dessen Thema ein Disput zwischen herze und lîp über Fragen des Minnewerbens ist. Ein weiteres Werk ist der Artusroman Erec, angelehnt an die französische Vorlage Chrétien de Troyes´, mit dem zentralen Thema der Vereinbarkeit von gelebter Minne und zu erfüllenden gesellschaftlichen Pflichten, gefolgt von einem weiteren Artusroman, dem Iwein. Auch dieser basiert auf einer Vorlage Chrétien de Troyes´. Der Held der Erzählung, Iwein, lernt ritterliches Ethos und persönliches Glück zu finden. Die Minne tritt hier aber anders als beim Erec in den Hintergrund und das Herrschaftsproblem wird hervorgehoben. Die Legendendichtung Gregorius geht auf die Legende des historischen Papstes Gregor zurück und hat die Inzestliebe eines adeligen Geschwisterpaares zum Thema mit dem Ziel, zu verdeutlichen, dass jeder Mensch sich unbewusst mit einer nur von Gott zu vergebenden Schuld beladen kann. Der arme Heinrich, der das Thema dieser Arbeit ist, wurde vom mittelalterlichen Publikum kaum gelesen, erfuhr aber in der neuhochdeutschen Literatur rege Bearbeitung. Neben allen diesen Werken sind von Hartmann 17 Minnelieder und drei Kreuzzugslieder überliefert. Die Zuordnung der Werke zu Hartmann von Aue ist nicht problematisch, da er sich in den allermeisten selbst im Prolog nennt.[1]

Die Entstehung des Werkes wird in zeitlicher Nähe zum Iwein vermutet und somit im Spätwerk Hartmanns angesiedelt, was den Entstehungszeitraum auf etwa 1200 festlegt. Die Forschung grenzt Hartmanns Schaffensperiode zwischen 1180 und 1200 bzw. zwischen 1190und 1205 ein.[2] Neben dem Erec gilt Der arme Heinrich als das am schlechtesten überlieferte Werk Hartmanns von Aue.

Überliefert sind drei vollständige Handschriften, die zwei Redaktionen A und B vertreten. Neben den Handschriften sind noch drei Fragmente C, D und E bekannt. Die Heidelberger Handschrift A, die für die Texterstellung maßgeblich war, ist 1870 verbrannt.[3]

3. Der männliche Protagonist: Heinrich

Hartmann von Aue entwirft zu Beginn der Erzählung ein „glänzendes Bild“[4] seines männlichen Protagonisten, des armen Heinrichs, und hebt dessen Weltbild ebenso hervor wie den vollkommenen Tugendkatalog hervorstechender positiver Eigenschaften, der ihn auszeichnet und zu einem einzigartigen Menschen werden lässt:

sîn herze hâte versworn

valsch und alle dörperheit

(...)

âne alle missewende

stuont sîn êre und sîn leben.

(...)

er was ein bluome der jugent,

der weltvreude ein spiegelglas,

staeter triuwe ein adamas

ein ganziu krône der zuht.

er was der nôthaften vluht,

ein schilt sîner mâge,

der milte ein glîchiu wâge:

im enwart über noch gebrast.

Er was des râtes brücke

und sanc vil wol von den minnen.

(...)

er war hövesch unde wîs.“[5]

Heinrich entspricht also exakt dem Ideal höfischer Lebensführung, wie es zu seiner Zeit als erstrebenswert galt und seine Beschreibung zeichnet ihn als Repräsentanten vollkommenen Rittertums aus, „ voll tugent, êre, triuwe, zuht, milte, wîsheit[6] und allem, was dazu gehört. Ohly und Cormeau stimmen darin überein, dass dieser Tugendkatalog keinerlei Hinweise auf jegliche Art von wie auch immer gearteter Kritik enthält. Letzterer bezeichnet Heinrich aufgrund von Hartmanns Beschreibung sogar als „makellos“,[7] was in Anbetracht der Tatsache, dass das reine Genussleben im Mittelalter als sündhaft empfunden wurde, besondere Beachtung finden muss. Denn gerade in dieser Betrachtung wird deutlich, was Heinrich noch auszeichnet: Er ist eben kein Prasser oder Verschwender, wie es als verwerflich anzusehen wäre, sondern genießt lediglich das an allen begehrenswerten Dingen reiche Leben, das ihm aufgrund seiner Abstammung und seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten ermöglicht wird. Diese Tatsache allein macht ihn sicherlich nicht zu einem schlechten Menschen: „Das glückliche Leben ist an sich keine Schuld vor Gott, gibt er es doch selbst als Geschenk.“[8] Daher scheinen seine Mitmenschen ihm diese Art des Lebens auch zu gönnen, zumal er eben die oben genannten Tugenden aufweist. Heinrich ist „vom Glück verwöhnt, aber durch seine Qualitäten des Glückes wert“[9].

Auffällig ist der einseitig weltliche, irdische Bezug, auf den sich Heinrichs Qualitäten und sein Ansehen auszurichten scheinen:

alsus kunde er gewinnen

der werlte lop unde prîs.[10]

Von einer religiösen Dimension ist nicht die Rede, Heinrich genießt allein höchstes weltliches Ansehen. Dass darin eine potentielle Gefahr für den weiteren Verlauf von Heinrichs Leben liegt, bringt der Autor mit folgenden Worten bereits früh zur Sprache:

„dirre werlte veste,

ir staete und ir beste

und ir groeste mankraft,

diu stât âne meisterschaft.[11]

So muss es zwangsläufig passieren, dass Heinrichs vermeintlich ideales Dasein „ wertlîcher wünne[12] in eine Krise schweren Ausmaßes gerät: „ in ergreif die miseluht[13]. Die sein Leben prägende Hochstimmung wird in tiefste Niedergeschlagenheit umgekehrt, als ihn aus heiterem Himmel der Aussatz befällt. An dieser Stelle bekommt der Leser erstmalig ein Bild vom Gefühlserleben Heinrichs. Hartmann versucht, die gravitas des Schicksalsschlages mit dem Bild der Naturgewalten auszudrücken, wobei das Stilmittel der Anapher, das er hier anwendet, die Stelle noch weiter betont:

„sîn swebendez herze daz verswanc,

sîn swimmendiu vreude ertranc,

sîn hôchvart muose vallen,

sîn honec wart ze gallen.

ein swinde vinster donnerslac

zebrach im sînen mitten tac,

ein trüebez wolken unde dic

bedahte im sîner sunnen blic.“[14]

Der Autor nennt zwar die Dimension des Schicksalsschlages, nicht aber explizit den Grund.[15] Dafür werden die Auswirkungen umso deutlicher: Heinrichs vollkommenes Leben verliert schlagartig seine Qualität. Die Menschen, die ihm Ansehen und Respekt entgegengebracht haben, sind plötzlich angewidert von seiner Krankheit und wenden sich ab:

„dô man die swaeren gotes zuht

ersach an sînem lîbe,

manne unde wîbe

wart er dô widerzaeme.“[16]

Aber auch Heinrich selbst begegnet seinem Schicksal in Form der ihn befallenden Krankheit nicht vorbildlich, wie man es von einem Mann seines Wesens und seiner Eigenschaften hätte erwarten dürfen, sondern verflucht den Tag seiner Geburt und zeigt, wie hilflos er plötzlich ist:

verfluochet und verwâzen

wart vil dicke der tac,

dâ sîn geburt ane lac.[17]

Als ihm dann auch noch seine einzige Zuversicht, die Hoffnung auf Heilung durch einen fachkundigen Arzt, den er mit seinem Reichtum ohne weiteres bezahlen könnte, genommen wird, ist er so verzweifelt, dass ihm ein Weiterleben in diesem Zustand regelrecht nicht möglich scheint:

„und dar nâch vür die selben vrist

enhete er ze sîner genist

dehein gedingen mêre.

des wart sîn herzesêre

alsô kreftic unde grôz,

daz in des aller meist verdrôz,

ob er langer solde leben.“[18]

[...]


[1] Vgl.: Mertens, Volker: Hartmann von Aue. In: Deutsche Dichter, Leben und Werk deutschsprachiger Autoren. Bd.1 Mittelalter. Hrsg.: Grimm, Gunter E., Max, Frank R. Stuttgart, 1994. S.164 – 179 (Im Folgenden zitiert als: Mertens 1994)

[2] vgl.: Hartmann 1993. Nachwort S.100ff

[3] ebd., S.95f.

[4] Kollwitz, Sigrun: Hartmanns von Aue „Armer Heinrich“. Die Rezeption der mittelalterlichen Dichtung durch Gerhart Hauptmann. Eine Untersuchung zu den sprach- und gestaltverändernden Faktoren, ihre Ursachen und Bedingungen in der modernen Fassung im Vergleich zur mittelalterlichen Quelle. Berlin 1976. S.45 (Im Folgenden zitiert als: Kollwitz 1976)

[5] Hartmann 1993, V.50-74

[6] Ohly, Walter: Die heilsgeschichtliche Struktur der Epen Hartmanns von Aue. Berlin, 1958. S.42 (Im Folgenden zitiert als: Ohly 1958

[7] Cormeau, Christoph: Hartmanns von Aue „Armer Heinrich“ und „Gregorius“. Studien zur Interpretation mit dem Blick auf die Theologie zur Zeit Hartmanns. München, 1966. S.6 (Im Folgenden zitiert als: Cormeau 1966)

[8] Cormeau 1966, S.7

[9] de Boor, Heinrich: Die höfische Literatur. Vorbereitung, Blüte, Ausklang. Geschichte der deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart; Bd.2. München, 1953. S.78 (Im Folgenden zitiert als: de Boor 1953)

[10] Hartmann 1993, V.73f.

[11] ebd, V.97-100

[12] Hartmann 1993, V.79

[13] ebd., V.119

[14] ebd., V.149-156

[15] vgl.: Cormeau 1998. S.151

[16] Hartmann 1993, V.120-123

[17] Hartmann 1993, 160ff.

[18] ebd., V.239-245

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Der arme Heinrich Hartmanns von Aue
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
31
Katalognummer
V35565
ISBN (eBook)
9783638354448
Dateigröße
561 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Heinrich, Hartmanns
Arbeit zitieren
Mareike Moers (Autor:in), 2003, Der arme Heinrich Hartmanns von Aue, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35565

Kommentare

  • Gast am 1.6.2012

    wie gehts Dir inzwischen, Sigrun? Herzlichen Gruß, Ulla

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Titel: Der arme Heinrich Hartmanns von Aue



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