Soziale Landwirtschaft. Potenziale einer Verbindung von Landwirtschaft und Sozialer Arbeit mit Fokus auf Aquaponik


Master's Thesis, 2015

126 Pages, Grade: 1,9


Excerpt


Inhalt

Akürzungssverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

I. Theoretischer Teil
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Begriffliche Abgrenzung
2.1.1 Urban Farming, Urban Gardening und Aquaponik
2.1.2 Green Care, Grüne Sozialarbeit und Social Farming
2.1.3 Bauernhofpädagogik
2.1.4 Solidarische Landwirtschaft/CSA
2.2 Einordnung in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang
2.3 Hunger und Flüchtlingsproblematik
2.4 Weltagrarbericht
2.5 Geschichte der Sozialen Landwirtschaft

II. Empirischer Teil
3 Erarbeitung der Forschungsfragen
4 Methodisches Vorgehen
4.1 Zielstellung und Wahl des Erhebungsinstruments
4.2 Vorbereitung der Erhebung
4.3 Übersicht der befragten Teilnehmer und weiterer Kontaktpersonen
4.4 Leitfadengestütztes Experteninterview
4.5 Durchführung der Erhebung
4.6 Schwierigkeiten bei der Erhebung
5 Auswertung
5.1 Auswertungsschritte
5.1.1 Bestimmung des Ausgangsmaterials
5.1.2 Wahl der Auswertungsmethode
5.1.3 Zusammenfassende Inhaltsanalyse
5.2 Schwierigkeiten bei der Auswertung
6 Ergebnisdarstellung
6.1 Zielgruppen allgemein
6.1.1 Zielgruppen Aquaponik
6.1.2 Zielgruppen Bauernhofpädagogik
6.2 Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmale allgemein
6.2.1 Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmale Aquaponik
6.2.2 Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmale Bauernhofpädagogik
6.3 Erfolgskriterien
6.3.1 Schlüsselerlebnisse
6.4 Kompetenzprofil allgemein
6.4.1 Kompetenzprofil Aquaponik
6.4.2 Kompetenzprofil Bauernhofpädagogik
6.5 Best-Practice-Beispiele
6.5.1 Best-Practice-Beispiele Aquaponik
6.5.2 Best-Practice-Beispiele Bauernhofpädagogik
6.5.3 Steckbriefe bestehender Anlagen und Projekte
6.6 SWOT-Analyse der Sozialen Landwirtschaft
6.6.1 SWOT-Analyse der Aquaponik
6.6.2 SWOT-Analyse der Bauernhofpädagogik
6.7 Perspektiven
6.8 Vernetzung
6.9 Zusatzbefunde
6.9.1 Nutzerperspektive
6.9.2 Weitere Links und Empfehlungen
7 Beantwortung der Forschungsfragen
8 Diskussion der Ergebnisse
9 Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Anhangsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Funktionsweise des ASTAF-PRO (Aquaponik-System zur emissions­freien Tomaten- und Fischproduktion)

Abb. 2: Funktionsweise der Aquaponik

Abb. 3: Soziale Landwirtschaft im schematischen Modell von Green Care

Abb. 4: Ziele unterschiedlicher Bauernhofpädagogik-Programme

Abb. 5: NFT-Aquaponik-System

Abb. 6: Chronologie der eigenen Forschung

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Übersicht der befragten Teilnehmer und weiterer Kontaktpersonen

Tab. 2: Techniken der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring

Tab. 3: Zielgruppen Aquaponik

Tab. 4: Karree

Tab. 5: Aquaponics Deutschland e. V

Tab. 6: Growing Power, Inc

Tab. 7: hei-tro GmbH

Tab. 8: Aquaponik-Blog von Stephan Senfberg

Tab. 9: Der Tomatenfisch (ASTAF-PRO)

Tab. 10: Solution Farms

Tab. 11: Roof Water Farm

Tab. 12: Deutsche Arbeitsgemeinschaft Soziale Landwirtschaft (DASoL)

Tab. 13: Homepage und Fachzeitschrift GREEN CARE

Tab. 14: Gut Hohenberg

Tab. 15: Schullandheim Kinderbauerngut "Lindenhof" e. V

Tab. 16: Integrativer Bauernhofkindergarten Mölkau

Tab. 17: SWOT-Analyse Soziale Landwirtschaft

Tab. 18: SWOT-Analyse Aquaponik.

Tab. 19: SWOT-Analyse Bauernhofpädagogik

1 Einleitung

Die Idee einer Verknüpfung von Landwirtschaft und der ihr innewohnenden Methoden mit der Sozialen Arbeit ist nicht neu. Vielmehr rückte sie im Zuge der Industrialisierung und Weiterentwicklung der Agrartechnologie im Laufe der letzten Jahrzehnte in den Hintergrund (vgl. Limbrunner/van Elsen 2013, S. 10, 18 ff.). Die heute inzwischen hoch entwickelten Technologien der im folgenden als modern bezeichneten Landwirtschaft sind jedoch überwiegend abhängig von fossilen Brennstoffen und Phosphaten, deren Dezimierung durch eine Über­nutzung der Ökosysteme rasch voranschreitet. Dies macht ein Umdenken not­wen­dig. Die Tendenz geht hin zur verbrauchernahen Produktion, regionalem und saisonalem Konsum (vgl. Butler et. al. 2009, S. 175-177). Weltweit liefern Pro­jekte und Sozialunternehmen positive Impulse, schaffen ein Bewusstsein für die globale Ernährungssituation und werden zum Keim einer nachhaltigeren Land­wirtschaft.

Jedoch soll in dieser Arbeit nicht die Entwicklung von Landwirtschaft im Allgemeinen thematisiert werden. Im Zentrum der Betrachtung stehen statt­dessen die positiven Potenziale, Chancen und Möglich­keiten für die Soziale Arbeit, welche in einer (wiederkehrenden) Verknüpfung beider Disziplinen stecken. Ziel ist es verschiedene Ansätze und deren positives Potenzial zu unter­suchen und gegenüberzustellen. Auf diese Weise sollte erkennbar werden, welche landwirtschaftlichen Methoden für welche Ziel­gruppen und welche B­ereiche der Sozialen Arbeit geeignet sind. Die übergeordnete Forschungsfrage lautet daher: Welches positive Potenzial liegt in einer Verknüpfung von Land­wirt­schaft und Sozialer Arbeit? Ein besonderer Fokus wird hierbei auf die Methode der Aquaponik[1] gelegt, welche den Anstoß zur Bearbeitung der Thematik gab.

Bei der Erhebung handelt es sich um eine Voruntersuchung des Feldes, da insbesondere im Bereich Aquaponik noch wenig wissen­schaftliche Erkenntnisse bezüglich der Anwen­dung in der Sozialen Arbeit vorliegen.

Aufgrund einer unzureichenden Datenlage und der gleichsam kaum vorhandenen Fachliteratur zur expliziten Verknüpfung von Sozialer Arbeit und Aquaponik beruht ein wesentlicher Teil der Erkenntnisse und Schluss­folgerungen diesbezüglich auf der Korrespondenz mit Experten[2], welche u. a. in entsprechenden Projekten tätig sind oder waren. Zur Erschließung des theoretischen Teils der Arbeit wurden Werke von Limbrunner/van Elsen (2013), Müller (2012) und Meyer-Rebenstich (2013) heran­gezogen. Des Weiteren lieferten Berichte von Wiesinger et al. (2013) und Schockemöhle (2010) wegweisende Schlüsselinformationen. Ebenfalls als wichtige Ressourcen zu benennen sind die auf den Internetseiten von Aquaponics Deutschland e. V. (2015) und Stephan Senfberg (2012) zur Verfügung gestellten Informationen zum Thema Aquaponik.

Die vorliegende Arbeit ist in neun größere Abschnitte gegliedert. Der Einleitung folgt ein theoretischer Teil, der mit einer Abgrenzung zentraler Begriffe beginnt. Nach der Einordnung des Themenfeldes in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang finden aktuelle globale Herausforderungen nähere Betrachtung. Hierzu zählen vor allem die durch menschliches Handeln ausgelösten landwirt­schaftlichen Entwicklungen und die Flüchtlingsproblematik, aber auch der weltweit zu bekämpfende Hunger. Darüber hinaus wird ein Blick in die Historie der Sozialen Landwirtschaft gewagt.

Der empirische Teil umfasst die übrigen sieben Kapitel der Arbeit. Zunächst wird das methodische Vorgehen des Verfassers geschildert. Neben der Zielstellung wird auf Wahl des Erhebungsinstrumentes und die Vorbereitung der Befragung eingegangen. Einer Übersicht der Interviewpartner folgen Erläuterungen zur Durchführung der Erhebung und den dabei aufgetretenen Schwierigkeiten. Im Anschluss wird zu einer Analyse des Auswertungsprozesses übergegangen.

Die Struktur der Ergebnisdarstellung ist angelehnt an das zuvor gebildete Kategorien­system, das dieser Arbeit als Anhang beigefügt wurde. Es folgt eine ausführliche schriftliche Zusammenfassung der mittels der Erhebung gewonnenen Erkenntnisse. Neben den Zielgruppen, Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmalen Sozialer Land­wirtschaft werden mögliche Erfolgs­kriterien einzelner Bereiche untersucht. Ferner kommt es zu einer Betrachtung von Beispielen für gelingendes Handeln in zwei Teil­bereichen Sozialer Landwirt­schaft, Aquaponik und Bauernhofpädagogik. Diese und weitere Projekte, Unter­nehmen, Initiativen, Plattformen etc. werden im Anschluss steckbriefartig erfasst.

Anschließend erfolgt eine Analyse der Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken Sozialer Landwirtschaft im Allgemeinen und der zwei genannten Teilgebiete im Speziellen. Nachfolgend werden die mögliche Entwicklung des Arbeitsfeldes und der entscheidende Faktor der Vernetzung genauer untersucht. Unter Zusatzbefunde, dem letzten Teil der Ergebnisdarstellung, finden neben den Aussagen zu einer möglichen Nutzerperspektive auch weitere Links und Empfehlungen Beachtung. Es folgt eine konkrete stichpunktartige Beantwortung der forschungsleitenden Fragestellungen, bevor zur Diskussion der Ergebnisse übergegangen wird. Das abschließende Kapitel umfasst schließlich den Kern der Ergebnisse und einen weiterführenden Ausblick.

An dieser Stelle soll eine kleine Anmerkung zum Anhang erfolgen. Die Anhänge 9-30 wurden der Arbeit ursprünglich auf einem Datenträger beigefügt. Sie beinhalteten u. a. mehrere Transkripte der durchgeführten Interviews, auf die in der Arbeit Bezug genommen wird. Aus Platzgründen wurde auf ein Beifügen dieser zur gedruckten Fassung verzichtet.

I. Theoretischer Teil

Abbildung 1: Funktionsweise des ASTAF-PRO (Aquaponik-System zur emissionsfreien Tomaten- und Fischproduktion), Quelle: Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) (2012)

2 Theoretische Grundlagen

2.1 Begriffliche Abgrenzung

2.1.1 Urban Farming, Urban Gardening und Aquaponik

Unter dem Oberbegriff Urban Farming, auch Urban Agriculture, zu Deutsch Urbane Landwirtschaft, werden unterschiedliche Formen der Lebens­mittel­produktion im städtischen Raum und dessen unmittelbarer Umgebung zusammen­gefasst (vgl. Stierand 2008, S. 74). Die Produktion erfolge hierbei für den Eigenbedarf der jeweiligen Region. Der städtischen Landwirtschaft sind daher neben dem Gartenbau auch sämtliche im urbanen und periurbanen Raum stattfindenden Formen von Ackerbau und Tierhaltung, wie etwa die Aquaponik und urbane Imkerei, zuzuordnen.

„Hier suchen die Akteure der neuen Gartenbewegung auch nach Ruhe, nach Erdung, nach Begegnung mit der Natur. Aber sie suchen in einer paradox anmutenden Bewegung auch zugleich die Begegnung mit anderen und die Konfrontation mit den Themen, die der Garten nahelegt“

(Müller 2012, S. 9)

Mit diesen Worten weist Müller (2012) auf die vielschichtige Motivation der Akteure und die damit verbundenen Ursprünge des Phänomens Urban Gardening (im Folgenden auch kurz UG) hin. Das an Popularität gewinnende Gärtnern in der Stadt wird vielerorts dementsprechend interaktiv umgesetzt. Laut Müller gehe es den Menschen, welche es betreiben, nicht nur um eine gesunde Ernährung, die Gestaltung von Naturräumen, die Begegnung mit der Nachbar­schaft und einen Beitrag gegen die Abholzung von Waldflächen für die Nahrungs­mittelversorgung, sondern auch um die Frage nach der Flächen­nutzung in der Stadt.

Urban Gardening, auch urbaner Gartenbau genannt, bezeichnet daher eine oft kleinräumige Bewirtschaftung von urbanen Flächen, welche in Siedlungs­gebieten oder deren direktem Umfeld liegen (vgl. Ulrichs 2006, S. 12-13; Meyer-Rebenstich 2013, S. 6-14). Im Fokus stünden dabei, so Ulrichs, u. a. eine nachhaltige Nutzung der Kulturen, umweltschonende Produktion und der bewusste Konsum der erzeugten Nahrungsmittel. Als eine spezielle Form des Gartenbaus sei UG aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung und der parallel dazu schrumpfenden landwirtschaftlichen Nutzflächen zunehmend auch für die Bekämpfung von Armut von Bedeutung (vgl. ebd.). Rosol (2014) äußert sich zu der Diversität der Zielgruppen des Verfahrens wie folgt:

„Die Gärten haben des Öfteren eine spezielle Zielgruppe, beispielsweise allein­erziehende Frauen, Obdachlose, Senior/innen oder Migrant/innen. Für Migrant/innen sind neben dem Anbau von frischen, gesunden Nahrungsmitteln vor allem auch kulturelle Aspekte relevant. Sie nutzen die Möglichkeit, Pflanzen aus ihrer Heimat anzubauen und kulinarische Traditionen zu bewahren“

(Rosol 2014, S. 222)

Die Funktion und Relevanz des urbanen Gartenbaus sei dabei abhängig von der sozialen Absicherung vor Ort. Aus diesem Grund wären die Gärten zum Teil eben „nicht einfach nur Freizeitbeschäftigung, sie wirken existenziell, weil sie oft das Haushaltsbudget entlasten und dadurch hohe Mietkosten, extreme Armut und den Mangel an gesunden, vollwertigen Lebensmitteln abfedern müssen“ (Rosol 2014, S. 224).

Aquaponik

Eine sich stetig weiterentwickelnde und an Popularität gewinnende Form von Land­wirt­schaft, die man ebenfalls oft in urbanen Räumen findet, ist die Aquaponik. Sie verbindet die klassische Aquakultur mit der Hydroponik. Ersteres meint hier die Aufzucht aquatischer, also im Wasser lebender Organismen, wie z. B. Fischen, Muscheln und Algen. Hydroponik hingegen, auch Hydrokultur genannt, bezeichnet die Kultivierung von Pflanzen, beispielsweise Gemüse, in anorganischem Substrat. Dabei wird gänzlich auf den Einsatz von Erde verzichtet, was auch bei der Aquaponik der Fall ist (vgl. Aquaponics Deutschland e. V. 2015). Ein Aquaponik-System ist ein geschlossener Biokreis­lauf, dem lediglich Fischfutter und vergleichsweise sehr geringe Mengen Frisch­wasser hinzugefügt werden müssen.

Die Ausscheidungen der Fische enthalten Ammoniak (Nh4), eine chemische Verbindung von Stickstoff (N) und Wasserstoff (H) und damit ein stechend riechendes, farbloses, wasserlösliches und giftiges Gas. Ein Teil des Ammoniaks reagiert zu Ammonium (Nh5+), der konjugierten Säure zur Base Ammoniak. Im Anschluss erfolgt eine Grob­filterung des Wassers, bei der größere Schwebeteilchen wie Algen und Schlamm aus dem Wasser gefiltert werden. In einem weiteren Filter befinden sich nitrifizierende Bakterien, welche das Ammonium in Nitrit (NO2-) und schließlich in Nitrat (NO3-) umwandeln. Voraussetzung dafür ist, dass genügend Sauerstoff zur Verfügung steht (vgl. Aquaponics Deutschland e. V. 2015).

Das so gewonnene Nitrat kann von den meisten Pflanzen problemlos in großen Mengen aufgenommen werden. Im nächsten Schritt fließt daher das nährstoffreiche Wasser zu den Pflanzen und liefert auf diese Weise einen natürlichen Dünger. Zurück bleibt eine geringe, unbedenkliche Menge an Nitrat in dem Wasser, das anschließend zurück in die Fischbecken geleitet wird. So schließt sich der Kreislauf und der Prozess kann von neuem beginnen (vgl. Aquaponics Deutschland e. V. 2015).

Die Abbildungen 1 und 2 zeigen die Funktionsweise der Aquaponik. In Abbildung 2 wird auf den Zwischenschritt der Umwandlung von Ammoniak in Ammonium (siehe oben) verzichtet. Der Kreislaufeffekt bringt zwei entscheidende Vorteile mit sich: Zum einen entfällt der Einsatz von Düngemitteln für die Pflanzen, zum anderen die aufwendige Aufbereitung des belasteten Wassers für die Fische. Auf diese Weise macht sich die Aquaponik die Vorteile beider Methoden, die der Aquakultur und die der Hydroponik, zunutze (vgl. Rümler 2010, S. 64; Senfberg 2012).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Funktionsweise der Aquaponik, Quelle: DieUrbanisten e. V. 2015

Aufgrund der Komplexität des Aquaponik-Systems können mithilfe einer solchen Anlage viele verschiedene Lehrinhalte, z. B. aus den Bereichen Biologie, Physik oder Chemie, vermittelt werden (vgl. Interview 2, Z. 132-140)[3]. Des Weiteren beinhaltet das Betreiben entsprechender Anlagen überwiegend leichte körperliche Arbeit und wiederkehrende Prozessabläufe (vgl. ebd.). Diese Gegebenheiten legen den Gedanken nahe, dass eine Bewirtschaftung von Aquaponik-Anlagen – unter professioneller Anleitung durch geschultes Fach­personal – durch etwa Senioren, Kinder, Jugendliche oder Menschen mit Behinderungen nicht nur möglich ist, sondern auch Sinn gebend sein kann (vgl. ebd.). Die Potenziale der einzelnen Verfahren sollen jedoch erst in der Auswertung nähere Betrachtung finden.

2.1.2 Green Care, Grüne Sozialarbeit und Social Farming

„Unter dem Überbegriff Green Care versteht man zunächst alle gesundheits­vorsorgenden oder gesundheitsfördernden Interventionen für Menschen mit Hilfe von Tieren, Pflanzen und Natur“ (Wiesinger et al. 2013, S. 5). Ziel sei dabei eine Verbesserung bzw. Unter­stützung des sozialen, körperlichen, geistigen und/oder pädagogischen Wohl­ergehens eines Menschen (vgl. ebd.). Dies wäre erreichbar durch eine Reihe von Maßnahmen, welche sowohl die sogenannte belebte Natur (Tiere, Pflanzen) als auch unbelebte Naturelemente (Wasser, Steine) mitein­bezieht. Man unterscheidet ferner zwischen verschiedenen Stufen der Intensität des Erlebens: Die simpelste Form sei, so Wiesinger, das bloße Aufhalten in oder das Durchschreiten von Naturräumen, beispiels­weise eines sogenannten Heilenden Gartens.

Über „sinnliche Eindrücke wie Farben, Formen und Gerüche “ (ebd.) lässt der Nutzer diese Räume auf sich wirken. Auf der nächsten Stufe hingegen finde eine aktive Auseinandersetzung statt, bei der man bereits Natur formen und verändern könne. Die dritte, letzte und intensivste Form sei schließlich die direkte Interaktion mit natürlichen Elementen wie Pflanzen oder Tieren (vgl. ebd.).

Die nachfolgende Darstellung zeigt, wie die Teilgebiete von Green Care und Sozialer Landwirtschaft ineinandergreifen. Die Inhalte der Grafik wurden aus der Original­abbildung von Haubenhofer et al. (2013) entnommen. In der Übersicht wird der Begriff city farming verwendet, der als eine weitere Bezeichnung für Urban Farming gesehen werden kann.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Soziale Landwirtschaft im schematischen Modell von Green Care, eigene Darstellung in enger Anlehnung an Haubenhofer et al. 2013

Die Vielfalt der Einsatzgebiete und Zielgruppen von Grüner Sozialarbeit und Sozialer Landwirtschaft machen Limbrunner/van Elsen (2013, S. 9) deutlich:

Grüne Sozialarbeit und Soziale Landwirtschaft werden in unterschiedlicher Träger­schaft und in ebenso bunten organisatorischen Zusammenhängen praktiziert: in Einrich­tungen der Wohlfahrtsverbände, als freie, unabhängige Hofgemeinschaft, auf einzelnen Bauernhöfen, in der Jugendhilfe, in Projekten mit suchtkranken oder behinderten Menschen, der Kinder- und Jugend­bildungs­arbeit, auf Erlebnisbauernhöfen und in sozial­therapeutischen Gemein­schaften bis hin zu Dorfgemeinschaften.“

(Limbrunner/van Elsen 2013, S. 9; Hervorh. im Orig.)

Ausschlaggebend sei bei allen Formen Grüner Sozialarbeit und Sozialer Landwirtschaft, dass „nicht nur das erwirtschaftete materielle Produkt eine Rolle spielt, sondern auch das immaterielle Ziel der der Entwicklung der individuellen Menschen, die diese Arbeit tun“ (Limbrunner 2013, S. 22-23). Dementsprechend sei es unverzichtbar die Arbeit an sich „in ergänzende Formen der sozialen Unterstützung, in materielle, kognitive, emotionale und eventuelle spirituelle Begleitangebote“ (ebd.) zu integrieren. Ferner ließen sich bestimmte Eigen­schaften der Erlebnispädagogik auf die Soziale Landwirt­schaft übertragen. Gemein­samkeiten seien beispielsweise der Aufenthalt im Freien und in der Natur, welche als Lernort fungiert. Der wilden Natur der Erlebnis­pädagogik, bei der es eher um individuelle Grenzerfahrungen und Herausforderungen geht, steht hier die bewirtschaftete, kultivierte Natur gegenüber. In beiden Modellen wird von einer „erhöhten physischen Handlungskomponente“ (ebd.) ausge­gangen. Der Umgang mit Erde, Pflanzen und Tieren biete außerdem direkte und erlebbare Konsequenzen.

Von einer weiteren Differenzierung der einzelnen Begriffe Green Care/Grüne Sozialarbeit und Social Farming/Soziale Landwirtschaft wird an dieser Stelle abgesehen, da diese in der o. g. Literatur und von den Interviewpartnern zum Teil synonym gebraucht werden.

2.1.3 Bauernhofpädagogik

Ein wesentlicher, jedoch weit unerforschter Bereich von Green Care ist die Bauernhof­pädagogik. Der Begriff umreißt „die Analyse, Beschreibung und Begründung der Ziele, Inhalte und Methoden des Lernens auf dem Bauernhof und bildet somit den theoretischen Referenzrahmen für Lehrende in diesem Bereich“ (Schockemöhle 2011, S. 2). Aufgrund fehlender einheitlicher Konzepte bediene sich die Bauernhofpädagogik oft anderer Bezugswissenschaften wie der Erlebnis- und Naturpädagogik (vgl. Hampl 2013, S. 235). Bei einer Untersuchung verschiedener Bauernhofpädagogik-Programme in den Nieder­landen stellte sich heraus, dass die erreichbaren Ziele in Abhängigkeit zur Dauer des jeweiligen Programms stehen, wie es die folgende Grafik veranschaulicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Ziele unterschiedlicher Bauernhofpädagogik-Programme, Quelle: Haubenhofer 2011, S. 24

Basis aller Programme sei, so Haubenhofer (2011, S. 24 f.), ein Fundus theoretischer Kenntnisse, die bei jedem bauernhofpädagogischen Programm vermittelt werden können. Ein ausgedehnter Aufenthalt biete ferner die Möglichkeit, praktische Erfahrungen zu sammeln. Des Weiteren könne die „Auseinandersetzung miteinander und mit den agrarischen Aktivitäten“ (ebd.) Einfluss auf die psychosoziale Entwicklung der Kinder nehmen. Die Grafik zeigt die erreichbaren Ziele bauernhofpädagogischer Programme in Abhängigkeit von deren Dauer. Je länger der Aufenthalt bzw. das Programm ist, desto intensiver und umfangreicher kann auch die Zielstellung und -erreichung ausfallen. Nähere Ausführungen zu diesem Konzept folgen in der Auswertung und in der anschließenden Gegenüberstellung verschiedener Modelle der Sozialen Landwirtschaft.

2.1.4 Solidarische Landwirtschaft/CSA

CSA steht für Community Supported Agriculture und wird mit dem Begriff der Solidarischen Landwirtschaft übersetzt. Der Begriff bezeichnet eine Bewegung von Gemeinschaftsbauernhöfen, auf denen jeder Beteiligte nach individueller Ressourcenlage einen Beitrag leistet, finanziell und/oder in Form von Arbeitsleistung. Als Gegenleistung erhält derjenige in festgelegten Intervallen eine Auswahl der auf dem Hof erzeugten Lebensmittel. „Hier gehen Verbraucher und Erzeuger eine feste Verbindung ein, denn immer mehr Menschen wollen wissen, wo ihr Essen herkommt und wollen einen Bezug zum Land und zu denen entwickeln, die die Nahrung erzeugen“ (Limbrunner 2013, S. 19). Ähnlich wie die Aquaponik bietet auch dieses Modell verschiedene Möglichkeiten zur Verknüpfung der Professionen. Beispielsweise können Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen geschaffen und, in der Arbeit mit Schulklassen oder Kitagruppen, Lehrinhalte aus den Bereichen Biologie und nachhaltige Entwicklung bzw. Bewirtschaftung vermittelt werden. Des Weiteren könnte ein gegenseitiger Austausch dem Aufbau zwischenmenschlischer Beziehungen und einem interaktiven Lernprozess entgegenkommen.

2.2 Einordnung in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang

Im Folgenden soll zum einen erläutert werden, vor welchem Hintergrund eine Anpassung der modernen Landwirtschaft notwendiger wird. Zum anderen wird bereits an dieser Stelle eine globale Perspektive eröffnet und auf die Potenziale und Chancen der Entwicklungen hingewiesen.

„Für die Landwirtschaft ist es notwendiger denn je, Entwicklungen, Trends und Verän­derungen zu erkennen, um zu überleben. Dabei muss die älteste Berufsgruppe der Welt mit ihren eher traditionell ausgerichteten Einstellungen neue Wege gehen, um ihre Existenz­grundlagen durch Erwerbskombinationen und Multifunktionalität zu sichern.“

(Limbrunner 2013, S. 18).

Zu eben diesen neuen Wegen zählen, so Limbrunner, neben der Umstellung auf ökologischen Anbau und der Direktvermarktung von Erzeugnissen aus der eigenen landwirtschaftlichen Produktion auch Ansätze wie die o. g. Solidarische Landwirtschaft. Wenn auch die Motive und Ursprünge der Bewegungen unterschiedlicher Natur sind, so finden sich doch Parallelen zu den Ansätzen der Urban Farming-Ableger Aquaponik und Urban Gardening. Mit der ECF Farmsystems GmbH findet man in Berlin ein Unter­nehmen, welches sich die Technik der Aquaponik zunutze gemacht hat und unter anderem die ECF Farmbox vertreibt. Eine solche Box wird, ähnlich wie bei der CSA, wöchentlich an die Abonnenten geliefert und enthält neben saisonalem Gemüse auch Kräuter. Der in der Kreislaufanlage der Stadtfarm produzierte Fisch wird vor Ort frisch vermarktet (ECF Farmsystems GmbH 2015). Den Prototyp für die Anlage lieferte die Schweizer Firma UrbanFarmers AG, deren Dachfarm in Basel unter anderem Restaurants per Lastenfahrrad mit frischem Gemüse und Fisch beliefert (Urban­Farmers AG 2013). Bis Januar 2016 wird unter Mitwirkung der UrbanFarmers AG in Den Haag die europaweit größte urbane Aquaponik-Farm entstehen, die jährlich 19 Tonnen Fisch produzieren soll. Die Stadtfarm entsteht auf dem Dach des fast leer stehenden Philipsgebäudes De Schilde, welches den Namen für das Projekt lieferte. UF De Schilde wird nicht nur über einen eigenen Supermarkt verfügen, es wird neben dem kommerziellen Teil auch ein Besuchergewächshaus geben, in welchem Interessierte etwas über den Produktionsprozess erfahren können (InnovationQuarter 2015; Den Haag FM 2015; van Sorgen-Merholz 2015).

10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?

In seinem Film 10 Milliarden – Wie werden wir alle satt? weist der Autor und Regisseur Valentin Thurn auf die aktuelle globale Ernährungssituation hin. Laut Film wird die Weltbevölkerung bis 2050 auf zehn Milliarden Menschen anwachsen, weshalb sich die Frage zu stellen ist, woher die Nahrung für alle kommen soll. „Ohne Anklage, aber mit Gespür für Verantwortung und Handlungsbedarf“ (Kleinschmidt/Walther 2015, S. 2) sucht Thurn nach Alternativen zum bisherigen Vorgehen, welches eine Ausbeutung knapper Ressourcen und damit eine Zerstörung wichtiger Ernährungsgrundlagen mit sich brachte. Der Film beschäftigt sich neben der o. g. Frage mit dem ethischen Aspekt der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich. Es wird danach gefragt, wie mit der Situation aktuell umgegangen wird und wie in Zukunft verantwortungsvoll gehandelt werden soll. Auch hier werden alternative Konzepte, wie beispielsweise Aquaponik und Solidarische Landwirtschaft, aufgegriffen. Zum Ende des Films bezieht der Regisseur persönlich Stellung:

„Die Lösung des Welternährungsproblems liegt nach Meinung des Regisseurs in der Produktion von Nahrungsmitteln in kleinbäuerlichen Betrieben mit intensiver Bewirt­schaftung, in der Nachhaltigkeit des Anbaus, d.h. [sic!] in der Erhaltung der natürlichen Ressourcen und im darauf abgestimmten Konsum: dem Konsum lokal, regional und nachhaltig erzeugter Produkte im saisonalen Wechsel.“

(Kleinschmidt/Walther 2015, S. 3-4)

Laut Film sei kleinbäuerliche Produktion „viel intensiver und effektiver und wäre auch in der Lage, die gesamte Menschheit zu ernähren“ (Kleinschmidt/Walther 2015, S. 3). Jedoch läge es in der Hand des Verbrauchers, durch ethischen Konsum Einfluss auf die Produktionsbedingungen zu nehmen. Als Beispiel nennen die Autoren des Filmhefts das Industriehühnchen: Sollte man sich für eben so ein Produkt entscheiden, sei dies ebenfalls eine „Entscheidung für den Futtermittelanbau in Afrika und die Tatsache, dass dort Flächen der klein­bäuer­lichen Produktion entzogen werden“ (ebd.).

Unter ähnlichen Gesichtspunkten wie der Film von Thurn (2015) betrachtet Rosol (2014) die Urban Farming-Bewegung in Toronto. Sie sieht in dem Phänomen eine Möglichkeit, auf die aktuelle globale Ernährungssituation hinzuweisen:

„Die Gemeinschaftsgärten in Toronto sind Teil einer Bewegung um Nahrungs­gerechtigkeit, welche die Zusammenhänge zwischen lokalen und globalen Zuständen und Problemen verdeutlichen kann. Sie verbinden dabei Fragen von ökologischer Nach­haltigkeit und sozialer Gerechtigkeit.“

(Rosol 2014, S. 224)

2.3 Hunger und Flüchtlingsproblematik

Weltweit leiden 795 Millionen Menschen unter Hunger. Dementsprechend fehlt jedem neunten Mensch die Ernährungsgrundlage für ein gesundes aktives Leben. Jedes Jahr sterben mehr Menschen an den Folgen von Hunger und Unterernährung als an HIV, Malaria und Tuberkulose zusammen (vgl. UN World Food Programme 2015a). Zu den Ursachen zählen Armut, klimatische Bedingungen, Krieg, Vertreibung, instabile Märkte, fehlende Investitionen in die Landwirtschaft und nicht zuletzt die massive Verschwendung von Nahrungsmitteln. Vor diesem Hintergrund ruft das vom General­sekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki‑moon, gestartete Programm Zero Hunger alle Regierungen, Unter­nehmen, Nichtregierungsorganisationen und Zivilgesell­schaften dazu auf, ihren Beitrag zu leisten, um das Hauptziel, eine Welt ohne Hunger, so bald wie möglich zu realisieren (vgl. UN World Food Programme, 2015b). Die vielschichtigen Ziele des Programmes lassen sich wie folgt zusammen­fassen:

1.„Innerhalb von zwei Jahren leidet kein Kind mehr unter Wachstums­störungen durch Mangelernährung
2. 100%iger Zugang zu angemessener Nahrung – für alle Menschen, das ganze Jahr
3. Alle Nahrungssysteme sind nachhaltig
4. 100%ige Steigerung der Produktion und des Einkommens von Kleinbauern
5. Kein Verlust und keine Verschwendung von Nahrungsmitteln“

(UN World Food Programme, 2015b)

Untrennbar verbunden mit der Hungerthematik ist das seit einigen Jahren verstärkt auftretende Phänomen der Migration. Im Jahr 2014 befanden sich circa 60 Mio. Menschen auf der Flucht (vgl. UNO-Flüchtlingshilfe 2015). Im Vergleich zum Jahr 2010 hat sich die Zahl der jährlich Vertriebenen mit 13,9 Millionen vervierfacht. Ursachen sind neben dem massiven Aufkommen von Bürgerkriegen auch andauernde Armut und Hunger. Die Aufnahmeländer, darunter auch Deutschland, sehen sich mit der Aufgabe menschenwürdiger Unterbringung, Versorgung und Integration zum Teil schwer überfordert.

Die Protestbewegung PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) und ihre Ableger wie z. B. LEGIDA (Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlandes) mobilisieren in deutschen Städten Menschen gegen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge und stoßen dabei auf Widerstand. Obgleich bei der Studie der Initiative für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) mit 123 Personen nur ein relativ geringer Ausschnitt der Pegida-Demonstration befragt wurde, so ließen sich doch einige prägnante Aussagen über die Bewegung treffen:

„Es handelt sich um eine aus Dresden und Umgebung stammende, stark männer­dominierte Gruppe mit relativ guten [sic!] Bildungsniveau, die keinerlei Vertrauen in die Medien und wenig Vertrauen in eine Reihe etablierten [sic!] politischer und gesell­schaftlicher Institutionen besitzt, die zu Teilen rechts­populistische, rechts­extremistische Einstellungen aufweist, im parteipolitischen Spektrum ganz über­wiegend der Alter­native für Deutschland (AfD) zugeneigt“

(Daphi, et al. 2015, S. 53)

Des Weiteren sprechen sich Daphi et al. (2015, S. 53) gegen die zum Teil öffentlich vertretene Auffassung aus, dass es sich bei Pegida in der Mehrheit um „harmlose, wenngleich von Sorgen geplagten [sic!] ,Normalbürger’“ (ebd.) handele. Dieses Bild werde zwar von den Führenden der Bewegung befördert, doch ginge es „im Kern um die Artikulation von ‚gruppenbezogener Menschen­feindlichkeit’ und zugespitzter, um einen kaum verhüllten Rassismus“ (ebd.). Phänomene dieser Art erschweren zusätzlich die Aufnahme von Flüchtlingen und sind daher nicht zu vernachlässigen.

2.4 Weltagrarbericht

Die Grundlage allen Lebens bilden „Böden, Wasser, Diversität von Pflanzen und Tieren, Vegetationen, erneuerbare Energiequellen, Klima und Ökosystem­leistungen“ (Butler et al. 2009, S. 175). Diese natürlichen Ressourcen werden als essenziell für den Aufbau und die Funktionsfähigkeit von Landwirtschaft sowie für soziale und ökologische Nachhaltigkeit verstanden (vgl. ebd.). Bis dato sei der Umgang mit eben diesen lebens­wichtigen Quellen von wenig Zukunfts­bewusstsein geprägt gewesen. Dieses Vorgehen führte laut Weltagrarbericht (2009) zu einer enormen Ausbeutung, welche oft eine Verschlechterung der Lebensbedingungen und verminderte Ernten zur Konsequenz hatte. Dem würde wiederum eine noch höhere Übernutzung der Ökosysteme in Gebieten folgen, in denen ohnehin bereits ungünstige natürliche Bedingungen herrschen (Butler et al. 2009, S. 176-177). Von Bodendegradation, einer Verschlechterung der öko­systemischen Dienstleistungen des Bodens, seien 38 % der weltweiten Kultur­flächen betroffen. Des Weiteren verbrauche die Landwirtschaft inzwischen 70 % des weltweit geförderten Süßwassers. „Stickstoff-, Phosphor- und Kalium­mangel war auf 59 %, 85 % und 90 % der im Jahr 2000 abgeernteten Flächen festzustellen“ (ebd.). Hinzu kommt, dass 10 % der weltweit bewässerten Flächen bereits versalzt sind. In den USA seien außerdem 70 % aller fließenden Gewässer von zunehmender Verschmutzung betroffen, was die Wasserqualität erheblich verschlechtert. Nicht zuletzt sind Pestizide und Düngemittel weltweit eine negative Belastung für Luft, Böden und Wasserquellen (vgl. ebd.).

Diesen und weiteren sich gegenseitig bedingenden Herausforderungen sehen sich Regierungen und Zivilgesellschaften gegenüber. Die verschiedenen Methoden und Ansätze der Sozialen Landwirtschaft bieten Chancen und Potenziale, den Ursachen vieler dieser Phänomene entgegenzuwirken und diese zu bekämpfen. Zu einer ähnlichen Erkenntnis kam bereits Alge (2009):

„Abschließend kann gesagt werden, dass Soziale Landwirtschaft eine Antwort auf die aktuellen Veränderungen und Negativtrends der Gesellschaft bietet. [...] Sozial­land­wirtschaftliche Angebote haben das Potential [sic!], Wert, Sinn, Fertigkeiten, Sozial­kompetenz und Liebe zur Natur zu vermitteln.“

(Alge 2009, S. 43)

Die Aquaponik-Technik stellt beispielsweise eine kostengünstige Alternative der Nahrungsmittelproduktion dar und könnte in der Entwicklungshilfe und der Arbeit mit Flüchtlingen eine Schlüsselrolle einnehmen. Weitere Ausführungen hierzu folgen im Auswertungsteil der Arbeit. Die Verknappung fossiler Phosphate ist ferner nur eines der Probleme, welches die Industrie der Landwirtschaft zum Umdenken anregen kann. Kleinbäuerliche Produktionen und Wasser sparende Kreislaufanlagen könnten daher auch global gesehen zunehmend an Attraktivität gewinnen.

2.5 Geschichte der Sozialen Landwirtschaft

In dem nun folgenden Abschnitt soll die historische Entwicklung der Sozialen Landwirt­schaft umrissen werden. Als Grundlage dafür diente zum einen ein Interview mit dem promovierten Biologen und Vegetationskundler Thomas van Elsen, der als wissenschaft­licher Mitarbeiter an der Universität Kassel im Fachbereich Ökologische Agrarwissen­schaften und als Projektleiter bei der Europäischen Akademie für Landschaftskultur PETRARCA [4] tätig ist (vgl. I4, Z. 18). Ein weiteres Interview wurde mit Dorit van Meel (ehem. Haubenhofer), ihrerseits Chefredakteurin der Fachzeitschrift Green Care und Dozentin an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik in Wien, geführt (vgl. I3, Z. 54-65). Ferner wurden das von van Elsen/Limbrunner (2013) herausgegebene Werk Boden unter den Füßen : Grüne Sozialarbeit - Soziale Land­wirtschaft - Social Farming sowie der von der Bundesanstalt für Bergbauernfragen in Österreich veröffentlichte Abschlussbericht Soziale Landwirtschaft : Situation und Potenziale einer Form der Diversifizierung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe in Österreich, Südtirol und Trentino als Quellen herangezogen.

Mit einem Blick in die Vergangenheit beschreiben Limbrunner/van Elsen (2013) die generelle Entwicklung von Social Farming wie folgt:

„In historischer Sicht haben Bauernhöfe schon immer soziale Funktionen ein­genommen, die jedoch im Zuge der Industrialisierung immer mehr in den Hintergrund getreten sind. Die Neuentdeckung der Potenziale der Land­wirt­schaft für Soziale Arbeit ermöglicht somit auch die Chance, früher eher selbst­verständlich und nebenbei Inte­griertes in einer neuen Qualität und innovativ zu greifen, indem die beteiligten Fach­disziplinen interdisziplinär zusammen­arbeiten.“

(Limbrunner/van Elsen 2013, S. 10)

In der Literatur (Limbrunner 2013, S. 19) stößt man außerdem auf den prinzipiellen Gedanken, dass jegliche Form der Betätigung, sofern „unter menschen­würdigen Bedingungen gestaltet“ (ebd.), nicht nur zur Existenz­gründung, sondern auch für pädagogische und therapeutische Zielsetzungen geeignet ist. Jedoch gäbe es in der Geschichte nicht nur positive Beispiele der Kombination von Land­wirtschaft und Sozialer Arbeit. Demzufolge ist zu hinterfragen, ab wann man tatsächlich von Sozialer Land­wirt­schaft sprechen kann und vor welchem Hintergrund die Aktivitäten durch­geführt wurden.

Schon Anfang des 19. Jahrhunderts wurde von einer pädagogischen Aufgabe gesprochen, welche in dem Waisen-, Toll-, Zucht- und Arbeitshaus Pforzheim zu bewältigen war. So wurden laut Hohenlohe (1994) „Wahnsinnige als ungezogene böse Kinder“ behandelt und „mit Gartenarbeit, Holzspalten, Sägen, Mostobst­arbeiten, Spinnen, Stricken, Nähen, Waschen und Küchenarbeit“ beschäftigt (Hohenlohe 1994, S. 47 zit. n. Limbrunner 2013, S. 20). Aus den sogenannten Agricole Kolonien entwickelten sich gartenbau­betriebliche Beschäftigungs­modelle, die einen nicht unerheblichen Teil der Eigen­versorgung mit Lebens­mitteln abdeckten (vgl. Limbrunner 2013, S. 20). Hier gilt es, das damalige Verständnis von Pädagogik zu berücksichtigen, welches sich seitdem stark gewandelt hat und somit von dem heutigen unterscheidet.

Der ukrainische Sozialpädagoge Anton S. Makarenko (1888-1939) berichtet in seinem Werk Ein pädagogisches Poem. Der Weg ins Leben (1971a) von seinen Erfahrungen in der 1920-1928 von ihm geleiteten Arbeitskolonie für minderjährige Rechtsbrecher, der Miksim-Gorkij-Kolonie (vgl. Limbrunner/van Elsen 2013, S. 146). Makarenko (1971b) beschreibt einen neuen Mitarbeiter bzw. leitenden Angestellten der Kolonie, der seine Autorität und die Anerkennung der Teilnehmer nicht etwa durch ein Verhalten erlangt, dass man heutzutage als sozialpädagogisch wertvoll bezeichnen würde. Viel mehr sei es beispielsweise praktisches Wissen und Geschick, welches den Kindern und Jugendlichen imponierte:

„Ich hatte erkannt, dass die Überzeugung der Intelligenzler, Kinder liebten und schätzten nur den, der ihnen liebevoll, ja zärtlich entgegenkommt, für unsere Jungen nicht zutraf. Ich war schon lange davon überzeugt, dass Kinder, wie wir sie in unserer Kolonie hatten, die größte Achtung und die größte Liebe einem anderen Menschentyp entgegenbringen.“

(Makarenko 1971b, S. 146)

Eben das, was zur damaligen Zeit als hoch qualifiziert galt, hätte die Jugend im höchsten Grade mitgerissen: „sicheres und präzises Wissen, Können, Meisterschaft, goldene Hände, [...] das Vermeiden leerer Phrasen“ sowie „stete Bereitschaft zur Arbeit“ (ebd.). Diese Feststellung lässt zwei Annahmen zu: Zum einen ist eine deutliche Heterogenität unter den Zielgruppen Sozialer Landwirtschaft zu vermuten. Darüber hinaus scheint eine Differenz zwischen klassischer Sozialer Arbeit und mit Landwirtschaft in Verbindung gebrachter sozialer Aktivitäten zu bestehen. Zum anderen – und das leitet sich aus der vorangegangenen Vermutung ab – unterscheiden sich die Anforderungen an die Person, welche in der Sozialen Landwirtschaft tätig ist, zum Teil sehr von denen eines ‚klassischen’ Sozialprofessionellen.

„Im reformpädagogischen Ansatz der Hermann-Lietz-Landschulheime der Weimarer Zeit gehörte Land- und Gartenbau teilweise zum pädagogischen Alltag“ (Limbrunner 2013, S. 20 f.). Rudolf Steiner gilt als einer der prägenden Impulsgeber der Szene des frühen 20. Jahrhunderts. Sein Landwirtschaftlicher Kurs, in welchem sich Steiner fünf Jahre nach der Gründung der ersten Waldorfschule 1919 mit den geistes­wissen­schaftlichen Grundlagen gelingender Landwirtschaft befasste, war neben seinem Heil­päda­gogischen Kurs weg­weisend für die kommende Entwicklung.

Gärtnerische und landwirtschaftliche Tätigkeiten gehören, so Limbrunner (2013, S. 20 f.), seit dieser Zeit fast immer zum therapeutischen Angebot heil­päda­gogischer und sozial­therapeutischer Einrichtungen. Des Weiteren seien der Gartenbau und Praktika in der Landwirtschaft auf ähnliche Weise etabliert und somit elementare Bestandteile in Waldorfschulen geworden (vgl. ebd.).

Es sind jedoch auch Negativbeispiele aus einer Epoche zu nennen, in der Kinder und Jugendliche auf den landwirtschaftlichen Betrieben kirchlicher und staatlicher Einrichtungen regelrecht ausgebeutet wurden. In den ersten Jahr­zehnten nach dem Zweiten Weltkrieg waren Heimkinder oft der sogenannten Fürsorgeerziehung oder Freiwilligen Erziehungshilfe und damit der „Pädagogik der harten Hand“ (Limbrunner 2013, S. 22) ausgesetzt[5]. Menschen­rechts­verletzungen durch seelische und körperliche Gewalt waren Folgen von Macht­missbrauch seitens der damaligen Pädagogen. Limbrunner/van Elsen (2013) wählten zur Verdeutl­ichung dieses Abschnittes der Entwicklung einen Ausschnitt aus dem Lebensbericht eines Zeitzeugen namens Wolfgang Focke, der sich als Mitglied des Vereins für ehemalige Heimkinder dafür einsetzt, dass die „unwürdigen und menschen­verachtenden Er­ziehungs­praktiken in damaligen Heimen und Erziehungs­anstalten öffentlich“ gemacht werden (Limbrunner/van Elsen 2013, S. 151):

„Ich wurde auf einen Bauernhof verlegt, der zum Heim gehörte. Musste jeden Tag zehn Stunden arbeiten, war einem super Gutsvater unterstellt, der vor der Sprache das Schlagen gesetzt hat. Er scheute auch nicht, mit dem Forkenstiel nach mir zu schlagen“

(Focke o. J., S. 151).

Der Soziologe Michael Brater beschreibt in Eingliederung durch Arbeit (1994) vier verschiedene Bereiche, denen die rehabilitativen Funktionen von Arbeit zuge­ordnet werden können:

1.körperliche Voraussetzungen
2.funktionelle Vorgänge
3.innerseelische Kräfte
4.Ich-Impulse

(vgl. Brater 1994 zit. n. Limbrunner 2013, S. 23-24)

Dieses Modell wurde vom Landwirt und Sozialpädagogen Bernd Schlegel (1997) aufge­griffen und auf verschiedene Arbeitsabläufe übertragen. Dadurch näherte er sich der Frage, „welche Schichten der menschlichen Konstitution durch welche Arbeiten besonders angesprochen werden“ (Limbrunner 2013, S. 23). Das Setzen von Jung­­pflanzen beispielsweise erfordere die Mobilisierung kognitiver Leistungen und Fähigkeiten. So müssen etwa der festgelegte Abstand der Pflanzreihen und die Pflanztiefe eingehalten werden (vgl. Schlegel 1997 S. 44 f. zit. n. Limbrunner 2013, S. 23‑24). Das entwickelte 4-Schichten-Modell ermög­liche eine Analyse der poten­ziellen Wirkungen landwirtschaftlicher Arbeit auf den Menschen. Dies sei eine Methode um die Potenziale „grüner Tätigkeiten auf ihre erzieherischen, bildenden, heilenden, resoziali­sierenden und rehabi­litativen Wirkungen zu untersuchen“ (Limbrunner 2013, S. 24).

Laut Wiesinger et al. (2013) findet man europaweit sowohl traditionelle Unter­nehmen als auch eine wachsende Zahl neu geschaffener Betriebe, in welchen eine Verknüpfung von landwirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten stattfindet. Soziale Landwirtschaft (im Folgenden auch kurz SL) sei ferner ein wachsendes dynamisches Feld, welches in den einzelnen europäischen Ländern sehr unter­schiedlich entwickelt ist. Dies führen die Autoren des Abschluss­berichtes Soziale Landwirtschaft der Bundesanstalt für Berg­bauern­fragen auf verschie­dene Ursachen zurück: Zum einen gäbe es „Unterschiede in der Agrarstruktur und der natürlichen und wirtschaftlichen Produktions­bedingungen, d.h. [sic!] Größe, Lage und Organisation der Betriebe“ (Wiesinger et al. 2013, S. 13). Zum anderen wären gesellschaftliche und soziale Hintergründe nicht unerheblich.

Traditionen und langjährige Erfahrungen spielten laut Wiesinger et al. (2013, S. 13 ff.) eine ebenso große Rolle wie eine generelle Akzeptanz in der Öffentlichkeit und die Aufgeschlossenheit gegenüber entsprechenden Modellen. Nicht zuletzt beeinflussen auch die politischen Rahmen­bedingungen eine solche Entwicklung. Beispielsweise können die Ausrichtung der Sozial- und Gesundheitspolitik, die Gesetzgebung sowie Förderungs­maßnahmen entscheidend sein. Dabei seien Faktoren wie Kompetenz­verteilung, die Höhe von Unterstützungs­leistungen und die Art der Kostenträger nicht unerheblich. Beispiels­weise findet man in einigen Ländern „keine bis sehr niedrige Pflegesätze, die wenig Anreize für landwirt­schaftliche Betriebe bieten könnten, in diese Formen alternativer Dienstleistung einzusteigen“ (Wiesinger et al. 2013, S. 13), wohingegen die Situation in anderen Ländern durch solidere staatliche Unterstützung sehr viel reicher an Optionen ist (vgl. ebd.).

Als führende Länder, in denen schon seit Längerem feste soziallandwirt­schaftliche Organisationsstrukturen bestehen, gelten neben Belgien, Groß­britannien, Italien und Norwegen auch die Niederlande und die USA. Des Weiteren sei ein Nord-Süd-Gefälle in Europa zu beobachten: Im Gegensatz zu den süd- und südosteuropäischen Ländern sind die Beneluxstaaten, Groß­britannien und die skandinavischen Länder deutlich weiter in ihrer Entwicklung auf dem Gebiet Sozialer Landwirtschaft vorangeschritten. Auffallend ist außerdem, dass es in Belgien und den Niederlanden meist private bäuerliche Familienbetriebe sind, auf denen Soziale Landwirtschaft stattfindet, wohingegen die meisten Einrichtungen in Deutschland, Irland und Slowenien von „karitativen, religiösen, anthroposophischen oder sozialpolitischen Organisationen geführt werden“ (Wiesinger et al. 2013, S. 14).

Im Bericht wird hervorgehoben, dass es deutliche Unterschiede zwischen den Ländern in Bezug auf die Zielgruppen gibt: Während in Norwegen die Systeme der Altenbetreuung und Kindergärten in bäuerlichen Betrieben sehr stark vertreten sind, gibt es in Italien und Griechenland eine große Zahl von Ansätzen für den Strafvollzug und die Bewährungs­hilfe. In Deutschland seien in den letzten Jahren Einrichtungen und Ansätze für Langzeit­arbeitslose, Wohnungslose sowie drogen- und alkoholabhängige Menschen entwickelt worden. In Großbritannien lässt sich stattdessen eine wachsende Zahl von Einrichtungen zur Rehabilitation sozial auffälliger Jugendlicher beobachten (vgl. Wiesinger et al. 2013, S. 14).

Im Jahr 2004 kam es zu einer ersten internationalen Zusammenkunft unter dem Namen Farming for Health, aus der mehrere Projekte entstanden, die der Sozialen Landwirtschaft zugeordnet werden können (vgl. I4, Z. 72-74).

Ein weiterer Schritt war die im Rahmen des Bundes­pro­gram­mes Ökolo­gischer Land­bau durchgeführte Erfassung der Situation um die Soziale Landwirtschaft in Deutschland im Auftrag des Landwirtschafts­ministeriums. Dem folgte die Gründung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Soziale Landwirt­schaft (DASoL), welche momentan überwiegend durch Fördermitglieder finan­ziert wird (vgl. I4, Z. 81-116). Über das Internetportal der DASoL[6] wird vor allem Netzwerk­arbeit betrieben, die ein zentrales Anliegen der Organisation darstellt. Als Vorbilder dienten einige der o. g. europäischen Länder wie die Niederlande, Belgien, Italien und Norwegen, in denen die Soziale Landwirtschaft bereits einen höheren Stellenwert besaß (vgl. I4, Z. 94-103).

Durch die theoretische Betrachtung und Einordnung des Themenfeldes wurden bereits viele positive Ansatzpunkte, aber auch Herausforderungen sichtbar. Es soll nun zum empirischen Abschnitt der Arbeit übergegangen werden.

II. Empirischer Teil

Abbildung 5: NFT-Aquaponik-System, Quelle: Aquaponics Deutschland e. V. (2015)

3 Erarbeitung der Forschungsfragen

Die zu Beginn der Arbeit benannte Hauptfragestellung, deren Beantwortung das Ziel der Erhebung darstellt, lautete:

Welches positive Potenzial liegt in einer Verknüpfung von Landwirtschaft und Sozialer Arbeit?

Diese sehr breit gefächerte Formulierung macht eine Operationalisierung notwendig, welche sich zum Teil aus den beiden vorangegangenen Kapiteln ergibt. Nicht un­wesentlich war bei diesem Prozess die ihm vorangegangene Korrespondenz mit den potenziellen Interviewpartnern, welche zum Teil schon in ihrer ersten Antwort via E-Mail sehr ausführlich von ihren Erfahrungen mit den verschiedenen Methoden berichteten. Auf der Basis dieses Schriftverkehrs und etlicher Telefonate konnte das Vorverständnis von der Thematik erheblich erweitert und der Entwurf des Interviewleitfadens entsprechend angepasst werden. Bevor jedoch zu einer ausführlichen Erläuterung des Erhebungs­instrumentes übergegangen wird, erfolgt an dieser Stelle eine zusammen­fassende Auflistung der wichtigsten forschungsleitenden Fragestellungen:

1. Für welche Zielgruppen eignet sich Soziale Landwirtschaft generell?
2. Für welche Zielgruppen eignen sich die einzelnen Methoden Sozialer Landwirtschaft im Speziellen?
3. Worin liegen die Besonderheiten der einzelnen Verfahren?
4. Gibt es messbare Erfolgskriterien für Soziale Landwirtschaft?
5. Welche Qualifikationen, Fähigkeiten und/oder Kompetenzen werden benötigt, um in der Sozialen Landwirtschaft tätig zu werden?
6. Existieren Best-Practice-Beispiele für Soziale Landwirtschaft, an denen man sich bei dem Aufbau eines Projektes orientieren kann, wenn ja, welche?
7. Welche Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken und Grenzen haben die einzelnen Methoden der Sozialen Landwirtschaft?
8. Wie wird sich Soziale Landwirtschaft entwickeln?
9. Wie können vorhandenes Wissen, technische Fortschritte und die Erfahrungen mit Sozialer Landwirtschaft optimal geteilt und Interessenten zugänglich gemacht werden?

4 Methodisches Vorgehen

Zur Beantwortung der im vorherigen Kapitel erfassten Fragestellungen wurde ein Leitfaden entwickelt, welcher der Expertenbefragung diente. Im Folgenden soll das metho­dische Vorgehen nähere Betrachtung finden. Neben der Begründung der Wahl des Erhebungsinstrumentes werden unter anderem der Verlauf der Vorbereitung, die Durch­führung sowie die Auswertung der Erhebung untersucht. Ebenfalls zu nennen sind die aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Erhebung. Als Grundlage der Erstellung des Leit­fadens diente das von Bohnsack et al. 2014 herausgegebene Werk Interviews mit Experten: Eine praxisorientierte Einführung (Bogner/Littig/Menz 2014). Die Aus­wertung der Daten erfolgte in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2010). Die untenstehende Abbildung zeigt den zeitlichen Verlauf der eigenen Forschung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Chronologie der eigenen Forschung, eigene Darstellung

4.1 Zielstellung und Wahl des Erhebungsinstruments

Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Untersuchung nicht mit einer repräsentativen, sondern mit einer explorativen Absicht durchgeführt wurde. Es handelt sich um eine Erkundung des Feldes, die zur Weiterführung und Generierung von Hypothesen geeignet ist.

Während der Recherche und Materialsammlung wurde im Vorfeld festgestellt, dass insbesondere zum Teilbereich der Verknüpfung von Urbaner Landwirtschaft und Sozialer Arbeit noch wenig bis keine Literatur vorhanden war. Eine rein literaturbasierte Daten­erhebung wurde daher bereits zu Beginn des Prozesses ausgeschlossen. Es folgte eine Akquise potenziell zu befragender Experten in den Bereichen Aquaponik, Solidarische Land­wirtschaft und Bauernhof­pädagogik. Die Suche nach den Teilnehmern ging mit einer Erfassung von Best-Practice-Beispielen einher und gestaltete sich sehr zeitauf­wendig, da die Anzahl der vorhandenen Projekte begrenzt war. Zum Teil lieferte der Schriftverkehr mit den Experten neue Kontakte und erweiterte so das bestehende Netzwerk.

Unterdessen reifte die Tendenz zur Verwendung eines leitfaden­gestützten Experteninterviews bei der Datenerhebung. Vom ausschließlichen Einsatz eines standardisierten Fragebogens wurde angesichts der geringen Menge an verfügbaren Interviewpartnern abgesehen um die wenigen Ressourcen bestmöglichst zu nutzen. Ein weiterer Grund bestand darin, dass die Interview­situation zum einen spontane Erläuterungen bei Verständnisfragen zulässt und zum anderen ein gezieltes Nachfragen bei einschlägigen Äußerungen ermöglicht. Aufgrund einer offenen Gestaltung können außerdem die Sichtweisen der Befragten eher in den Fokus genommen werden. Die Wahl des Autors fiel daher aus mehreren Gründen auf die mündliche Befragung als Methode der qualitativen Forschung.

Um auch die nicht deutschsprachigen Experten zu erreichen wurde eine zweite Möglich­keit der Beteiligung geschaffen. Der Interviewleitfaden diente dabei als Grundlage eines via E-Mail zu versendenden Formulares, mit dessen Hilfe die Fragen schriftlich beantwortet werden konnten. Das Formular wurde ins Englische übersetzt und lieferte – ergänzend zu den Interviews – zusätzliche Informationen. Beide Versionen des Leitfadens sind der Arbeit als Anhang beigefügt. Es handelt sich dabei um universell einsetzbare Formulare, in denen die Begriffe METHODE und METHOD durch Aquaponik, Bauernhofpädagogik, CSA oder andere Formen Sozialer Landwirtschaft zu ersetzen sind. Lediglich Frage 18 bezieht sich ausschließlich auf Aquaponik und ist daher in Bezug auf die anderen Methoden zu ignorieren.

4.2 Vorbereitung der Erhebung

Auf das Mindmapping, bei dem alle interessanten Fragestellungen und Aspekte zusammen­getragen wurden, folgte die Erstellung eines Fragekatalogs. Anschließend galt es, die Fragen in größere Themenblöcke zu sortieren und Oberbegriffe bzw. Leitfragen zu bilden. Ferner mussten Leitfadenfragen formuliert werden, mit deren Hilfe es möglich sein sollte, Gesprächssituationen herbeizuführen, in denen für die Forschungs­frage­stellungen relevante Informationen zutage gefördert werden können. Abschließend waren die Fragetypen zu differenzieren und zu entscheiden, welche Fragen sich als Hauptfragen eigneten. Damit einher ging die Erstellung einer vorläufigen Reihenfolge, die mithilfe eines Pretests erprobt wurde (vgl. Bogner/Littig/Menz 2014, S. 23-33).

Der so entwickelte Leitfaden, welcher nach Bogner/Littig/Menz (2014, S. 26-28) eine Art Checkliste und Richtschnur des Interviews und damit eine Gedächtnisstütze, keinesfalls jedoch ein Redeskript sein sollte, wurde mehrmals modifiziert. Er hatte ferner eine Doppelfunktion: Zum einen diente er schon im Vorfeld der Strukturierung des Themen­feldes, zum anderen erleichterte er die Orientierung in der Erhebungssituation. Der Umfang sollte nach Bogner/Littig/Menz (2014) für ein- bis zweistündige Interviews drei bis acht Themenblöcke mit jeweils einer bis drei Hauptfragen nicht überschreiten. Optional seien abhängige Fragen zur weiteren Detaillierung. An diesen Vorgaben wurde sich zwar orientiert, jedoch wurden einzelne Frageblöcke nach dem Pretest zu vier Grund­blöcken zusammengefasst um dem Interviewten genügend Freiraum für seine Aus­führungen zu lassen und die Situation nicht im Vorfeld mit zu vielen Fragen zu über­frachten. Der Pretest hatte die Umsetzbarkeit des Leitfadens und die geschätzte Dauer der geplanten Interviews mit circa einer Stunde bestätigt. Die Interviews selbst dauerten zwischen 41 und 75 Minuten. Eine Verschiebung der in sich abgeschlossenen Frage­blöcke während der sich entwickelnden Interviewsituation wurde zu keiner Zeit ausgeschlossen.

Bogner/Littig/Menz (2014, S. 27-30) weisen außerdem daraufhin, dass die konkrete Erhebungssituation nur begrenzt planbar ist und dass, abhängig von beruflicher Position, Disziplin und Ausbildung des Befragten, eventuell eine personen- bzw. funktions­bezogene Anpassung des Leitfadens nötig sein kann. Die o. g. methodenspezifische Frage zur Aquaponik (Frage 18) wurde bei den Befragungen zu den anderen Methoden ausgespart.

Die Autoren (Bogner/Littig/Menz 2014, S. 31) empfehlen den Gesprächsleitfaden im Vorfeld nur dann an die Interviewpartner zu verschicken, wenn es einen guten Grund dafür gibt. So könnte es beispielsweise um die Herstellung von Vertrauen bei unsicheren Teilnehmern oder den ihrerseits nachdrücklich formulierten Wunsch gehen, den Leitfaden vorher zu erhalten. Da keiner dieser Gründe vorlag, wurde bei den Interviews davon abgesehen das Dokument vorher zu verschicken.

Parallel zur Erstellung des Leitfadens verlief das sogenannte Sampling, die gezielte Auswahl der Interviewpartner. Da sich potenzielle Teilnehmer auch nach einer ausge­dehnten Recherche nur schwer finden ließen, war die Auswahl der tatsächlich zu befra­genden Personen eher pragmatischer Natur. Es wurden alle verfügbaren Rück­meld­ungen genutzt. Voraussetzung für die Teilnahme war, dass der- oder diejenige sowohl mit landwirt­schaftlichen als auch mit sozialen Aktivitäten vertraut ist. Ein Teil der kontak­tierten Personen meldete sich nach einer zweiten E-Mail zurück; etliche Anfragen blieben jedoch gänzlich unbeantwortet. Zu einer begrenzten Zahl von Experten äußern sich Bogner/Littig/Menz (2014) wie folgt:

„Wenn es in einem Feld eine begrenzte Zahl von Experten gibt, sollte man möglichst alle befragen, auch deshalb, weil Experten oft miteinander vernetzt sind. [...] Gerade die Vernetzung kann Expertinnen dazu motivieren, sich an einer Befragung zu beteiligen, weil sie auch ihre Sichtweise berücksichtigt sehen wollen."

(Bogner/Littig/Menz 2014, S. 35)

Die Teilnehmerakquise wurde via E-Mail durchgeführt. Ein entsprechendes Anschreiben wurde in deutscher und englischer Sprache verfasst und beinhaltete neben der Haupt­frage­stellung auch Hintergrundinformationen zu dem Autor dieser Arbeit. Noch während die ersten Antworten eingingen, wurde das Anschreiben mehrere Male angepasst und überarbeitet, um Missverständnissen vorzubeugen und die Intention der Arbeit so präzise wie möglich zu übermitteln. Die aktualisierte Version wurde anschließend an weitere Kontakte verschickt, die sich zum Teil aus den Rückmeldungen und weiterer Recherche ergaben. Zum Teil boten die Empfänger auch an, die Anfrage weiterzuleiten und gaben Anregungen, indem sie auf Projekte hinwiesen, die ihnen bereits bekannt waren. Auf diese Weise konnte der Fundus an Informationen kontinuierlich erweitert werden.

Die bestätigten Kontakte und ihre zugehörigen Projekte, Institutionen etc. wurden in Kapitel 9 Zusatzbefunde tabellarisch erfasst. Nachdem die Kontakte zu den einzelnen Experten hergestellt waren, wurden Termine für die Durchführung der Interviews vereinbart. Ein Teil der Befragungen wurde im persönlichen Gespräch, Face-to-Face, durchgeführt. Die übrigen Interviews erfolgten u. a. aus Kostengründen und Zeitmangel seitens der Experten über das Internet via Skype und per Telefon.

Es folgt eine Übersicht der Teilnehmer an der Befragung und weiterer Kontaktpersonen. Die Tabelle gibt Aufschluss über Name, Alter und berufliche Qualifikation(en) der Teilnehmer sowie über die Institution(en) bzw. Organisation(en), in denen sie zum Befragungszeit tätig waren. Die Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und absolute Korrektheit. Alle Daten wurden nach ihrer Erhebung zur Überprüfung an die entsprechenden Teilnehmer versandt. Der Altersdurchschnitt der Befragten lag bei 43 Jahren, wobei zwei Angaben mangels Freigabe nicht aufgeführt sind.

4.3 Übersicht der befragten Teilnehmer und weiterer Kontaktpersonen

Tabelle 1: Übersicht der befragten Teilnehmer und weiterer Kontaktpersonen, eigene Darstellung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


[1] Aquaponik: eine Kombination aus Aquakultur (Fischzucht) und Hydroponik (Pflanzen­kultivierung ohne Erde) (siehe hierzu ausführlich 2.1.1 Urban Farming, Urban Gardening und Aquaponik).

[2] Hinweis im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung, wie z. B. TeilnehmerInnen, verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung für beide Geschlechter.

[3] Im Folgenden wird das aus Interviews zitierte Material mit ‚I1, I2 etc.’ (Interview 1, Interview 2 etc.) angegeben. Zitate aus E-Mails sind mit ‚E1, E2 etc.’ (E-Mail 1, E-Mail 2 etc.) gekennzeichnet.

[4] PETRARCA: Die Organisation wurde benannt nach Francesco Petrarca, einem der Begründer des Humanismus. Sie ist u. a. Träger der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Soziale Landwirtschaft.

[5] Es wird an dieser Stelle auf den Film FREISTATT von Marc Brummund hingewiesen. Er berichtet über die Erlebnisse eines vierzehnjährigen Jungen, der im Jahr 1968 von seinen Eltern in die Obhut der kirchlichen Fürsorgeanstalt Freistatt gegeben wird, wo er sich an Arbeits­ein­sätzen beteiligen muss.

[6] http://www.soziale-landwirtschaft.de/index.php/dasol.

Excerpt out of 126 pages

Details

Title
Soziale Landwirtschaft. Potenziale einer Verbindung von Landwirtschaft und Sozialer Arbeit mit Fokus auf Aquaponik
College
Leipzig University of Applied Sciences  (Fakultät Architektur und Sozialwissenschaften)
Grade
1,9
Author
Year
2015
Pages
126
Catalog Number
V355983
ISBN (eBook)
9783668418103
ISBN (Book)
9783668418110
File size
4017 KB
Language
German
Keywords
Soziale Landwirtschaft, Aquaponik, Urban Farming, Urban Gardening, Urbane Landwirtschaft, Bauernhofpädagogik, Social Farming, Green Care
Quote paper
Johannes Scheurich (Author), 2015, Soziale Landwirtschaft. Potenziale einer Verbindung von Landwirtschaft und Sozialer Arbeit mit Fokus auf Aquaponik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/355983

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