Sportsucht unter Sportstudierenden

Eine empirische Untersuchung


Masterarbeit, 2011

80 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Einleitung.

3. Definitionen.
3.1. Definition Sport
3.2. Definition Sucht
3.2.1. Etymologie und Wandel des Suchtbegriffs.
3.2.2. Klassifikation von „Abhängigkeit“.
3.2.3. Begriffsdefinition „Sucht“.
3.4. Mögliche Konzepte zur Einordnung stoffungebundener Süchte.
3.3. Definition Sportsucht

4. Kriterien zur Diagnose einer Sportsucht
4.1. Toleranzentwicklung.
4.2. Entzugssymptome.
4.3. Intentionalität
4.4. Kontrollverlust
4.5. Zeitlicher Aufwand.
4.6. Konflikte.
4.7. Kontinuität

5. Komorbiditäten.
5.1. Essstörungen.
5.1.1. Anorexia nervosa vs. Bulimia nervosa.
5.1.2. Anorexia athletica.
5.2. Körperdysmorphe Störungen. 29.
5.2.1. Muskeldysmorphie.

6. Ursachen und Erklärungsansätze zur Entstehung von Sportsucht
6.1. Physiologische Erklärungsansätze.
6.1.1. Die Katecholaminhypothese/ Dopaminhypothese.
6.1.2. Die Endorphinhypothese.
6.2. Psychologische Erklärungsansätze.
6.3. Komplexe Erklärungsmodelle.

7. Prävention und Therapie.

8. Befragung der Sportstudenten/ -innen.
8.1. Hypothesen.
8.2. Auswahl und Anwendung der Forschungsmethode.
8.3. Fragebogen.
8.4. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse.
8.5. Überprüfung der Hypothesen.

9. Fazit

10. Literaturverzeichnis.

11. Internet-Quellen.

12. Tabellenverzeichnis.

13. Abbildungsverzeichnis.

1. Vorwort

Ich habe mich für das Thema Sportsucht entschieden, weil ich mich persönlich viele Jahre lang als sportsüchtig beschrieben habe. Damals war Sportsucht ein für mich durch und durch positiv konnotierter Begriff, welchen ich für mich selbst als treffend empfand. Ich trieb viel und gerne Sport. Angefangen beim Schwimmen, über Gerätturnen, bis hin zu Bodybuilding mit bis zu sechs Trainingstagen in der Woche.

Mein Umdenken begann eines Morgens auf dem nach Hause Weg von einer Feier, als ich einen älteren Mann von Moselweiß in Richtung Stadtzentrum laufen sah.

Ich hatte ihn schön öfter gesehen, aber nie so richtig wahrgenommen.

Ausgezehrt, abgemagert, nach vorne gebückt und nie mit einem Lächeln im Gesicht, so wird mir dieser Mann immer in Erinnerung bleiben.

Am nächsten Morgen fragte ich in meinem Bekanntenkreis nach, ob jemand diesen Mann kannte. Viele bejahten meine Frage und erzählten mir, dass dieser Mann niemanden mehr habe und jede freie Minute mit Laufen oder Fahrradfahren verbringen würde.

In diesem Moment begann sich mein Verständnis von Sportsucht zu wandeln. Das für mich positiv behaftete Wort Sportsucht, das ich als Synonym für meine Lust am Sporttreiben benutzte, bekam einen bitteren Beigeschmack. Daher beschloss ich, dieses Thema in meiner Examensarbeit zu behandeln und mich intensiv mit der Sportsucht zu beschäftigen. Die ersten Fragen, die mir durch den Kopf schossen waren: Was bedeutet es, sportsüchtig zu sein? Kann man Sportsucht messen? Handelt es sich um eine Krankheit? Und was treibt Menschen dazu, alles für den Sport aufzugeben?

2. Einleitung

„Unsere Gesellschaft wird immer bewegungsärmer. Wir fahren mit dem Auto zur Arbeit und sitzen dann 8 Stunden vor dem Computer. Viele Menschen suchen den Ausgleich dafür im Sport. Dadurch können sie ihren Körper auf eine Art spüren, die ihnen sonst im Alltag verwehrt bleibt“, erklärt Professor Thomas Schack, Sportpsychologe und Sportwissenschaftler an der Universität Bielefeld, im Interview mit der Zeitschrift Men´s Health.[1]

Dieser Ausgleich ist für viele Menschen ein ganz selbstverständlicher Bestandteil ihres Lebens. Diese Menschen nutzen den Sport, um ihren Alltagsstress hinter sich zu lassen, den Kopf wieder freizubekommen, sich mit Freunden zu treffen – kurz: Sie treiben Sport, weil es ihnen Spaß macht.

Aber dann gibt es jene Menschen, für die das Sporttreiben nichts mehr mit dem lustvollen Erleben des eigenen Körpers und der Freude an sportlicher Betätigung zu tun hat.

Ziel dieser Examensarbeit ist es, das Phänomen der Sportsucht näher zu untersuchen. Da davon auszugehen ist, dass bei Sportstudierenden das Interesse am Sport und am Sportreiben besonders ausgeprägt ist, möchte ich mit einem Fragebogen herausfinden, ob es unter den Sportstudenten/ -innen der Universität Koblenz-Landau am Campus Koblenz Sportsüchtige gibt und ob die Befragten überhaupt wissen, was Sportsucht eigentlich ist.

Beginnen werde ich mit einem theoretischen Teil, in dem ich die zentralen Begriffe und Konzepte, welche für eine Definition von Sportsucht notwendig sind, vorstellen und erläutern möchte. Anschließend werde ich, in Anlehnung an Hausenblas und Symons Downs[2] eine Definition für Sportsucht herleiten und auf mögliche diagnostische Kriterien hinweisen.

Einen weiteren Untersuchungsgegenstand stellen die Komorbiditäten einer Sportsucht dar. Hierbei werde ich die Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Sportsucht von Veale[3] vorstellen und im Folgenden auf den Zusammenhang sowie das Ursache-Wirkungs-Problem von Essstörungen und Sportsucht einerseits und den möglichen Auswirkungen körperdysmorpher Störungen auf das Sporttreiben andererseits eingehen.

Weiter werde ich einige Ursachen und Erklärungsansätze zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Sportsucht behandeln und dabei sowohl psychologische, physiologische als auch soziologisch-gesellschaftliche Erklärungsversuche und Modelle miteinbeziehen. Den Abschluss meines theoretischen Teils bilden mögliche Präventions- und Therapieformen.

Im praktischen Teil meiner Examensarbeit geht es um die Darstellung und Auswertung der durchgeführten Befragung von Sportstudenten/ -innen der Universität Koblenz-Landau am Campus Koblenz, zum Thema Sportsucht.

Ich werde zunächst die aufgestellten Hypothesen vorstellen und anschließend die Auswahl der Forschungsmethode begründen. Im Folgenden soll die Durchführung der Befragung kurz skizziert und der verwendeten Fragebogen vorgestellt werden. Danach werde ich mit der Auswertung und Interpretation der Daten beginnen und die Ergebnisse meiner Studie mit den aufgestellten Hypothesen vergleichen, um daraus Rückschlüsse auf den Grad der Sportbindung bzw. Sportsucht bei den Sportstudenten/ -innen zu ziehen. Den Abschluss dieser Arbeit bildet ein persönliches Fazit, in dem ich einen Überblick über das in meiner Arbeit Geleistete geben, gewonnene Erkenntnisse zusammentragen und mögliche Konsequenzen sowie Vorschläge für weitere Forschungen auf diesem Gebiet darlegen möchte.

3. Definitionen

Um das Thema Sportsucht überhaupt näher untersuchen zu können, ist es unabdingbar, zunächst die Begriffe „Sport“ und „Sucht“ näher zu erläutern.

Einführend wird in dieses Kapitel eine kurze Definition von „Sport“ gegeben und anschließend der Versuch unternommen, die Etymologie des Suchtbegriffs nachzuvollziehen. Dabei wird der begriffliche Wandel von „Sucht“ zu „Abhängigkeit“ herausgestellt und beide Begriffe gegeneinander abgegrenzt. Anschließend werden die unterschiedlichen Konzepte und Vorschläge, die eine Einordnung der Sportsucht in die heute gängigen Diagnosemanualen vorsehen, aufgegriffen und analysiert.

3.1. Definition Sport

Ursprünglich stammt der Begriff „Sport“ vom mittellateinischen „se disportare“ ab, was soviel wie sich zerstreuen oder Vergnügen bedeutet, und entwickelte sich über den französischen Ausdruck „desport“ zum englischen Wort „sport“.

„Sport“ wurde in seiner anfänglichen Bedeutung sowohl als Sammelbegriff für Bewegung, Körperertüchtigung, Training und Leibesübungen genutzt, als auch durch Spaß, Zerstreuung und körperliche Erholung gekennzeichnet.[4]

Ausgehend von dieser anfänglichen Bedeutung hat sich der moderne Sport, welcher in seiner Entstehung auf England im 18. Jh. zurückgeht, weiterentwickelt und verändert. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass es zwar keine allgemeingültige aber dennoch eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionsansätze für den Begriff „Sport“ gibt.[5]

So beschreiben Becker und Böing Sport beispielsweise als einen Sammelbegriff für jegliche Form der Leibesertüchtigung, wobei sie Gymnastik von dieser Definition ausschließen. Sport beinhaltet Spiel und Erholung, ist jedoch vordergründig geprägt vom Leistungs- und Wettkampfgedanken.[6]

Voigt hingegen beschreibt den Sport als willentliche Selbstbewegung des Individuums, wobei die Motivation für das sportliche Treiben aus einem inneren Bedürfnis heraus hervorgeht, welches durch die Freude an der Bewegung oder aus dem Verlangen heraus, den eigenen Körper zu spüren, geweckt wird. Der Sport wird zudem von spezifischen Werten, Zielvorstellungen, Regeln und Sanktionen begleitet und führt in seiner Ausübung automatisch zu einer Verschiebung körperlicher Leistungsgrenzen.[7]

Dagegen versucht Beckers bei seiner Definition den Sport nicht nur auf die Tätigkeit an sich zu reduzieren, sondern verweist auf die enge Bindung zwischen Sport und Gesellschaft. Er postuliert, dass sich der moderne Sport mit den Merkmalen unserer Leistungsgesellschaft vermischt hat und sich Erfolgs-, Wettkampf- und Konkurrenzgedanken auf den Sport übertragen lassen.[8]

Dieser Ansatz ist konform mit dem Jochs, der den Sport als einen Spiegel der Interessen und Bedürfnisse, der Sorgen und Probleme des gesellschaftlichen Systems ansieht, in dem er sich entwickelt hat.[9]

Durch die schiere Unendlichkeit der Definitionsversuche von „Sport“ und geschuldet der Tatsache, dass das Begriffsverständnis von Sport einem ständigen Wandlungsprozess unterliegt, versuchten die Herausgeber des Sportwissenschaftlichen Lexikons, Röthig und Prohl, gar nicht erst „Sport“ zu definieren, sondern verweisen auf den alltagssprachlichen Gebrauch und das sich stetig wandelnde Begriffsverständnis von Sport:

„Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich Sport zu einem umgangssprachlichen, weltweit gebrauchten Begriff entwickelt. Eine präzise oder gar eindeutige begriffliche Abgrenzung lässt sich deshalb nicht vornehmen. Was im Allgemeinen unter Sport verstanden wird, ist weniger eine Frage wissenschaftlicher Dimensionsanalysen, sondern wird weit mehr vom alltagstheoretischen Gebrauch sowie von den historisch gewachsenen und tradierten Einbindungen in soziale, ökonomische, politische und rechtliche Gegebenheiten bestimmt. Darüber hinaus verändert, erweitert und differenziert das faktische Geschehen des Sporttreibens selbst das Begriffsverständnis von Sport."[10]

Sport ist somit ein multidimensionales, zu jeder Zeit bestehendes, jedoch nicht fest und abschließend definierbares Phänomen, welches sowohl durch sich selbst, als auch durch die es umgebende Kultur und Gesellschaft definiert und verändert wird.

Konsens herrscht allenfalls darüber, dass Sport zu einem großen Teil mit Bewegung und körperlicher Aktivität verbunden ist. Daher werde ich mich im Folgenden an die Definition von Volkamer halten, welche diesen Aspekt der sportlichen Betätigung besonders hervorhebt.

„Sport besteht in der Schaffung von willkürlichen Hindernissen, Problemen oder Konflikten, die vorwiegend mit körperlichen Mitteln gelöst werden, wobei die Beteiligten sich darüber verständigen, welche Lösungswege erlaubt oder nicht erlaubt sein sollen. Die Handlungen führen in ihrem Ergebnis nicht unmittelbar zu materiellen Veränderungen.“[11]

3.2. Definition Sucht

3.2.1. Etymologie und Wandel des Suchtbegriffs

Schlägt man im Duden das Wort „Sucht“ nach, so erfährt man, dass dieser Begriff von dem mittel- und althochdeutschen Wort „Suht“ stammt, was soviel wie Krankheit bedeutet.

„Suht“ weist eine ablautende Bildung zu „siechen“ auf. „Siechen“, ein ebenfalls mittelhochdeutsches Wort, ist gleichbedeutend mit dem althochdeutschen „siuchan“, was das Leiden an einer Krankheit beschreibt.[12]

Einzug in die deutsche Sprache hielt der Begriff „Sucht“ als Übersetzung des lateinischen Wortes „morbus“ und reicht bis ins 8. Jahrhundert (Jh.) zurück. Damals wurde „Sucht“ überwiegend als Sammelbegriff für körperliche, seelische und geistige Krankheiten, die nicht auf Verletzungen oder Verwundungen zurückzuführen waren, verwendet. Diese multiple Verwendung des Begriffs „Sucht“ hielt zwar bis ins 16. Jh. an, jedoch entwickelte sich parallel ab dem 14. Jh. der Begriff „Krankheit“. In dieser Zeitspanne verlor „Sucht“, in der Bedeutung als körperliches Gebrechen, immer mehr an Bedeutung, während der Begriff „Krankheit“ immer häufiger für die Beschreibung eben jener körperlichen Gebrechen Verwendung fand. Ab dem 16. Jh. wurde der Begriff „Sucht“ in dieser Funktion zum großen Teil von „Krankheit“, „Seuche“ und „Siechtum“ abgelöst. Als Synonym für körperliche Krankheit erlosch „Sucht“ dann im 18. Jh. vollkommen.[13]

Seiner Bedeutung als körperliche Krankheit beraubt wurde „Sucht“ ab dem 16. Jh. zunehmend als moralische Entgleisung, als Ausdruck von Charakter- und Willensschwäche verstanden. Die medizinische Auffassung der damaligen Zeit war, dass süchtiges Verhalten weder eine körperliche, noch eine geistige Störung darstellte, sondern, dass es sich um ein lasterhaftes, triebhaftes und sündiges Verhalten handelte.[14]

Zurück blieben lediglich einige wenige Krankheitsbilder, wie die Fallsucht, die Schwindsucht oder die Gelbsucht, welche ein tatsächliches körperliches Gebrechen beschrieben.

Der Begriff „Sucht“ entwickelte sich im allgemeinen Sprachgebrauch immer weiter, bis sich im 19./20. Jh. nach und nach die Vorstellung von einem spezifischen, seelisch-geistigen Krankheitsbild, in dessen Zentrum ein „krankhafter innerer Zwang“ oder „kranker Trieb“ angenommen wurde, durchsetzte.[15]

Später, in den Fünfzigern, versuchte die World Health Organisation (WHO) eine einheitliche Definition für „Sucht“ aufzustellen, indem sie die Bedeutung des Suchtbegriffs auf die Drogensucht und die damit verbundenen physischen und psychischen Auswirkungen einengte. Sie definierte die „Sucht“ als periodischen oder chronischen Zustand der Vergiftung, welcher durch den wiederholten Konsum von natürlichen oder künstlich erzeugten Substanzen hervorgerufen wird.[16]

Diese Definition von „Sucht“ führte jedoch zu einer Reihe von Missverständnissen und wurde bereits frühzeitig kritisiert. Schon damals postulierte von Gebsattel, dass „der Begriff menschlicher Süchtigkeit sehr viel weiter reicht, als der Begriff der „Toxikomanie“ es abgesteckt hat“.[17] Gebsattel war der Ansicht, dass jedes menschliche Interesse zur Sucht werden kann.

Die von der WHO vorgeschlagene Suchtdefinition konnte sich in den folgenden Jahren nicht durchsetzen, daher entschieden sich die Verantwortlichen im Jahre 1964 dafür, den Terminus „Sucht“ zu streichen und durch die neu geschaffenen Bezeichnungen „Missbrauch“ und „Abhängigkeit“ zu ersetzten.

Dabei wurde „Missbrauch“ als der wiederholte Konsum von psychotropen Substanzen, ohne medizinischen Anlass oder in übermäßiger Dosis definiert. Dieser Missbrauch stellt häufig eine Vorstufe zur Abhängigkeit dar.

Die „Abhängigkeit“ wiederum wurde als ein Zustand von psychischem Verlangen nach einer Substanz mit zentralnervöser Wirkung definiert, welcher durch die zyklische oder andauernde Einnahmen einer psychotropen Substanz charakterisiert wird und zudem von körperlichen Symptomen begleitet werden kann.[18]

3.2.2. Klassifikation von „Abhängigkeit“

Zur medizinisch-therapeutischen Diagnose einer Abhängigkeit ziehen Ärzte und Therapeuten heutzutage überall auf der Welt einheitliche Kriterien heran. Diese sind in den zwei großen diagnostischen Manualen festgehalten. Innerhalb dieser beiden Manuale sind alle weltweit anerkannten Krankheiten und Gesundheitsprobleme aufgelistet und ihre diagnostischen Symptome beschrieben. Durch die Vereinheitlichung und den weltweiten Gebrauch dieser beiden Manuale soll sichergestellt werden, dass beispielsweise ein Arzt aus England, bei der Diagnose einer Störung, zu demselben Ergebnis kommt, wie sein Kollege aus Deutschland. Zum einen gibt es das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen (DSM-IV-TR), welches von der American Psychiatric Association (APA), als ein spezielles Nachschlagewerk für die Diagnose von psychischen Störungen bei Kindern und Erwachsenen herausgegeben wird. Zum anderen die Internationale Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10), welche von der WHO herausgegeben wird und alle bekannten Krankheiten und verwandte Gesundheitsprobleme der Welt enthält.

Im DSM-IV-TR wird die Abhängigkeit als „Substanzabhängigkeit“[19] aufgeführt, während im ICD-10 die Bezeichnung „Abhängigkeitssyndrom“[20] verwendet wird.

Als Hauptmerkmal der Substanzabhängigkeit wird die Störung kognitiver, verhaltensbezogener und psychologischer Symptome genannt. Ebenso wird der wiederholte Konsum - trotz negativer substanzbezogener Probleme für das Individuum - als Merkmal hervorgehoben.

Die Substanzabhängigkeit umfasst insgesamt sieben Leitsymptome, die zur Diagnostik herangezogen werden können. Von diesen Symptomen müssen mindestens drei in einem 12-Monats-Zeitraum auftreten, um die entsprechende Diagnose stellen zu können.[21]

Bei der Diagnose des Abhängigkeitssyndroms verhält es sich ähnlich. Dazu müssen ebenfalls drei der insgesamt sechs Symptome, in einem 12-Monats-Zeitraum auftreten oder permanent bestehen.[22]

Die Symptome oder Kriterien, die erfüllt sein müssen, sind bei beiden

Klassifikationssystemen ähnlich. (Vergleiche Tabelle 1)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Kriterien für die Diagnostik von Substanzabhängigkeit bzw. Abhängigkeitssyndrom (Vgl. Saß et al., 2008, S. 233 ff; Dilling et al., 2008, S. 99 f)

Zusätzlich unterscheidet das DSM-IV-TR „Abhängigkeit“ noch in die Kategorien „mit körperlicher Abhängigkeit“ und „ohne körperliche Abhängigkeit“. In die Kategorie „ohne körperliche Abhängigkeit“ werden diejenigen Abhängigkeitsformen eingeordnet, bei denen die Substanzabhängigkeit zwar durch einen inneren Zwang gekennzeichnet wird, welcher eine erneute oder kontinuierliche Einnahme der Substanz erforderlich macht, jedoch keine körperlichen Symptome vorliegen. Die „körperliche Abhängigkeit“ gilt als gegeben, wenn die Substanzabhängigkeit zusätzlich noch von Entzugssymptomen und/ oder einer erkennbaren Toleranzentwicklung begleitet wird.[23]

3.2.3. Begriffsdefinition „Sucht“

Die neu geschaffene Bezeichnung „Abhängigkeit“ konnte den Suchtbegriff jedoch nicht aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verdrängen. Heute wird „Sucht“ und „Abhängigkeit“, wohlgemerkt in der Alltagssprache, oftmals synonym verwendet.[24]

Beispielsweise wird von der „Drogensucht“ oder der „Sportsucht“ gesprochen, obwohl es sich bei der sogenannten „Drogensucht“ eigentlich um eine stoffgebundene Abhängigkeit handelt. Dagegen ist die Sportsucht nicht durch das Verlangen nach psychotropen Substanzen gekennzeichnet. Somit liegt hier auch keine Abhängigkeit vor. Jedoch gibt es keinen wissenschaftlich anerkannten und klar definierten Begriff für jene Abhängigkeitsformen, die nicht durch die Einnahme von psychotropen Substanzen gekennzeichnet sind. Daher werde ich mich, in Ermangelung einer Alternative, an den Vorschlägen von Gross und Poppelreuter und Gross orientieren und den Begriff der „Sucht“ für die stoffungebundenen Suchtformen verwenden.[25]

In Abgrenzung hierzu werde ich den Begriff der „Abhängigkeit“ ausschließlich für die stoffgebundenen Abhängigkeitsformen, also für die Abhängigkeit von Drogen oder Verhaltensmustern, die auf den Drogenkonsum zurückzuführen sind, benutzen.[26] Zum einen stellt die Verwendung des Begriffs „Sucht“ in Abgrenzung zu dem der „Abhängigkeit“ eine Möglichkeit dar, Sucht als ein eigenständiges Phänomen zu betrachten, welches in seiner Art vom medizinisch-psychologisch klar definierten Begriff der Abhängigkeit abweichen kann. Zum anderen wurde der Begriff der Abhängigkeit bereits definiert. Seine Definition soll hier nicht aufgebrochen werden, indem ich von Abhängigkeit im Bezug auf exzessiv ausgeführte Tätigkeiten spreche.

Dem Disput um die Bezeichnung dieser stoffungebundenen Suchtformen geht jedoch noch die, in den letzten Jahren wieder neu entbrannte, Diskussion um die Existenz stoffgebundener Süchte vorweg. Hierbei sei nur auf die Diskussion um die Anerkennung des „pathologischen Spielens“ verwiesen.[27]

Zusätzlich ist diese Debatte noch durch politische und finanzielle Aspekte aufgeladen, da eine Anerkennung der stoffungebundenen Süchte als eigenständiges Krankheitsbild erhebliche Konsequenzen für das gesamte Gesundheitswesen nach sich ziehen würde. Die Forderung der Gegner stoffungebundener Suchtkonzepte mag daher aus finanzpolitischer Sicht vielleicht nachvollziehbar sein, sie ignoriert jedoch die sich in einem Großteil der Fachwelt durchsetzende Ansicht, dass die stoffungebunden Süchte als Störbild anerkannt werden sollten.[28] Zudem ist die Forderung nach Anerkennung der stoffungebundenen Suchtformen nicht neu. So verlieh neben Gebsattel auch Hobi dieser Forderung Ausdruck, indem er postulierte, dass jedes menschliche Bedürfnis oder jede Tätigkeit zur Sucht werden kann, wobei die Art und Intensität der Ausübung darüber entscheidet, ob ein Mensch süchtig ist oder nicht.[29] Auch Gross stimmt dem zu. Seiner Meinung nach kann jede Tätigkeit in eine Sucht umschlagen, da nicht die Tätigkeit oder die Droge an sich, sondern lediglich ihre Wirkung süchtig macht. Also der veränderte physische und psychische Zustand, den man durch sie erlangt. Er beschrieb Sucht als eine Möglichkeit vor dem Leben davonzulaufen oder eine innere Leere auszufüllen.[30]

Selbst Autoren und Forscher der neueren Zeit weisen darauf hin, dass sich fast alle Aktivitäten, denen ein Mensch nachgeht, zu einem suchtartigen Verhalten oder einer Abhängigkeit steigern können. Ganz egal ob es sich um Arbeit, Kaufen, Sex, Spielen oder Sport handelt.[31]

Auch das Blaue Kreuz, als einer der größten deutschen Suchthilfeverbände, beschreibt die Sucht als ein bestimmtes Verhaltensmuster, mit einem unwiderstehlichen, wachsenden Verlangen nach einem bestimmten Gefühls- und Erlebniszustand und betont dabei, dass grundsätzlich jeder Mensch süchtig werden kann, da Sucht nicht auf den Konsum bestimmter Stoffe beschränkt ist, sondern jede Form menschlichen Verhaltens zur Sucht werden kann. Als Beispiel hierfür nennt das Blaue Kreuz die Magersucht, die Arbeitssucht, die Spielsucht oder das unkontrollierte Verlangen nach sexueller Befriedigung.[32]

Alle diese Definitionen folgen jedoch demselben Grundgedanken, nämlich dem, dass es Menschen gibt, die in bestimmten Lebensbereichen übersteigerte

Erlebens-, Reaktions- und Verhaltensstile entwickeln, welche durchaus als „süchtig“ bezeichnet werden können. Mit diesem Verhalten ist zudem ein starkes Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand verbunden, welchem die zügelnden Kräfte des Verstandes untergeordnet werden. Ebenfalls wird durch sie die freie Entfaltung des Menschen gehemmt und sowohl seine sozialen Kontakte als auch seine beruflichen und finanziellen Chancen zerstört.[33]

3.4. Mögliche Konzepte zur Einordnung stoffungebundener Süchte

In der Fachöffentlichkeit werden zurzeit mehrere Konzepte und Vorschläge diskutiert, wie man die stoffungebunden Süchte in die beiden gängigen Diagnosemanuale aufnehmen oder zu welchen schon bestehenden Kategorien man sie zuordnen könnte. Die drei populärsten Vorschläge sollen an dieser Stelle kurz vorgestellt werden.

- Kategorisierung als Impulskontrollstörung

Da bisher lediglich das „pathologische Spielen“, als einzige Form der stoffungebundenen Süchte, anerkannt und in den Diagnosemanualen unter die Kategorie der Impulskontrollstörungen aufgenommen wurde, schlagen einige Autoren vor, dass man mit den anderen stoffungebundenen Suchtformen, wie beispielsweise die Sex-, Kauf-, Arbeits-, oder Sportsucht, analog verfährt und diese ebenfalls unter die Kategorie der Impulskontrollstörungen einordnet.[34] Die Impulskontrollstörungen werden im ICD-10 wiederum unter der Kategorie „Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“ als „abnorme Gewohnheit und Störung der Impulskontrolle“[35] aufgeführt, während im DSM-IV-TR von „Störung der Impulskontrolle, Nicht Andernorts Klassifiziert“[36] gesprochen wird.

Bei den, im ICD-10 und DSM-IV-TR, aufgelisteten Störungen handelt es sich um eine Bündelung verschiedener Verhaltensstörungen, die ihre einzige Gemeinsamkeit darin haben, dass sie alle einen unkontrollierbaren Impuls beschreiben. Dies bedeutet, dass der Betroffene einen speziellen Trieb, auch dann wenn es angebracht oder logisch wäre, nicht mehr unterdrücken kann.[37] Übertragen auf das „pathologische Spielen“ bedeutet dies, dass ein Betroffener, auch wenn er eigentlich weiß, dass er nicht mehr spielen sollte oder nur geringe Chancen hat zu gewinnen, trotzdem spielt.

Diese Aussage, welche durch das Konzept der Impulskontrollstörung über das „pathologische Spielen“, bzw. analog für alle anderen stoffungebundenen Süchte gemacht werden kann und der damit verbundenen Einordnung unter die Kategorie der Impulskontrollstörung, erweist sich jedoch als unzureichend und wird in der Fachliteratur oftmals kritisiert. Die Kritiker betonen hierbei, dass die Kategorie der Impulskontrollstörung lediglich eine Art „Restkategorie“ darstellt, in welche jene Störungen eingeordnet werden, die ansonsten keiner anderen Kategorie einwandfrei zugeordnet werden können. Die aufgeführten Störungen haben, abgesehen von dem Verlust der Impulskontrolle, keine Gemeinsamkeiten und unterscheiden sich teilweise sogar stark voneinander.[38]

Beispielsweise gibt es beim pathologischen Spielen, Kaufen oder dem Sporttreiben ein als normal angesehenes Ausprägungsstadium, wohingegen die anderen, in dieser Kategorie aufgelisteten Störbilder, wie die Pyromanie oder die Kleptomanie, kein normales Ausprägungsstadium aufweisen. Weiter lässt sich über das Konzept der Impulskontrollstörung auch weder die Toleranzentwicklung noch die zunehmende Zentrierung der Lebensinhalte, die von Betroffenen beschrieben werden, erklären. Zudem lässt sich eine Störung der Impulskontrolle auch bei vielen anderen Störungen, wie beispielsweise der Substanzabhängigkeit, nachweisen.[39] Daher wird dieses Konzept zur Differenzierung zwischen den stoffgebundenen Abhängigkeitsformen und den stoffungebundenen Süchten als ungeeignet angesehen.[40]

- Kategorisierung als Zwangsstörung

Eine andere Alternative stellt die Einordnung der stoffungebundenen Süchte unter die Kategorie der Zwangsstörungen dar. Zwangsstörungen lassen sich in Zwangsgedanken und Zwangshandlungen unterscheiden, wobei Zwangshandlungen immer als Reaktion auf Zwangsgedanken anzusehen sind.[41] Die Zwangshandlung wird demnach nur begangen um sich vor einem unwahrscheinlich eintretenden Ereignis zu schützen, die damit verbundenen Ängste zu besänftigen oder eine innere Anspannung zu reduzieren. Man spricht hierbei auch von Neutralisierung.[42] Betroffene erkennen oftmals die Sinnlosigkeit ihrer Zwangshandlungen oder ihrer Rituale, sind jedoch nicht in der Lage diese zu unterlassen. Zudem werden Zwangshandlungen zumeist nicht lange vorbereitet und selbst zu Beginn niemals als angenehm empfunden. Sie stellen für den Betroffenen nur eine prophylaktische Maßnahme zur Abwehr des befürchteten Ereignisses dar.[43] Im Gegensatz dazu beschäftigt sich der pathologische Spieler, ebenso wie der Sport-, Sex-, Arbeits- oder Kaufsüchtige, viel mit seinen Tätigkeiten und empfindet diese zumindest am Anfang als angenehm und führt sie um ihrer Selbstwillen aus. Er gleitet erst allmählich in den Bereich des Zwanghaften ab. Daher erscheint die Einordnung der stoffungebundenen Süchte unter die Kategorie der Zwangsstörungen ebenfalls als unzulänglich.[44]

- Kategorisierung als Verhaltenssucht

Als Gegenkonzept, zur Einordnung stoffungebundener Süchte in die bestehenden Kategorien der Impulskontrollstörungen oder der Zwangsstörungen, steht die Forderung nach einer eigenständigen Klassifikation dieser Störbilder. Dabei soll eine neue Kategorie geschaffen werden, unter der die stoffungebundenen Suchtformen erfasst werden können. Diese Kategorie trägt den Namen „Verhaltenssucht“.[45] Die Befürworter des Verhaltenssuchtkonzepts folgen dem Gedanken, dass ein krankhaft übersteigertes Verlangen nach einem gewissen Erlebnis oder Gefühlszustand nicht auf den Konsum bestimmter Stoffe beschränkt ist, sondern jede Form menschlichen Verhaltens zur Sucht werden kann.[46]

Beispielsweise spiegelt das Verlangen einer Tätigkeit nachzugehen, sowie die bei Abstinenz auftretenden psychischen und physischen Störungen, im übertragenen Sinne die Entzugssymptome einer Substanzabhängigkeit wiwder. Ebenso können Toleranzentwicklung, soziale Isolation oder der allmähliche Kontrollverlust und die übrigen diagnostischen Kriterien des DSM-IV-TR und des ICD-10 (siehe Tabelle 1) bei den verschiedenen Formen der Verhaltenssucht nachgewiesen und somit als diagnostische Kriterien verwendet werden.[47] Analog zu dem Übergang in das Vollbild einer Abhängigkeit lässt sich so auch das allmähliche Abgleiten in eine stoffungebundene Sucht, welches sich meist in ein positives Anfangsstadium, ein bedenkliches Gewöhnungsstadium und ein als zwanghaft charakterisiertes Suchtstadium unterteilen lässt, erklären. Für einen engen Zusammenhang, zwischen den stoffgebundenen Abhängigkeitsformen und den stoffungebundenen Süchten und somit auch für die Kategorisierung dieser Süchte als Verhaltenssüchte, spricht darüber hinaus die hohe Verwandtschaft ihrer Komorbiditäten.[48] Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich die meisten der Autoren und Forscher, welche eine Aufnahme der stoffungebundenen Süchte in die Diagnosemanuale unterstützen, für die eigenständige Kategorisierung dieser Störbilder als „Verhaltenssüchte“ aussprechen.[49]

Jedoch warnen die Befürworter gleichzeitig vor dem inflationären Gebrauch des Suchtbegriffs, denn nicht jedes exzessiv durchgeführte Verhalten wird als Verhaltenssucht angesehen. Daher müssen klare diagnostische Kriterien formuliert werden, mit denen der Leidensdruck, den ein Betroffener durch die Ausübung seiner Tätigkeit verspürt, erfasst werden kann.[50]

3.3. Definition Sportsucht

Die Sportsucht wird daher, in Teilen der Fachöffentlichkeit, als eine Verhaltenssucht beschrieben, welche sich durch exzessiv betriebenen Sport auszeichnet und durch multidimensionale Faktoren beeinflusst wird.[51]

Als ihr Entdecker gilt Baekelund, der Mitte des 19. Jh., im Rahmen einer Untersuchung über die Auswirkungen von Sport auf das menschliche Schlafverhalten feststellte, dass sich viele Sportler weigerten, trotz finanzieller Entschädigung an seiner Untersuchung teilzunehmen. Als Begründung gaben viele der Sportler an, dass sie nicht bereit seien auf ihren Sport zu verzichten. Daraus schloss Baekelund, dass einige Sportler ebenfalls suchtspezifische Verhaltensweisen entwickelten und exzessiv betriebener Sport die Ursache hierfür sein kann.[52]

Süchtiges Verhalten im Sport wurde jedoch zunächst als positiver Effekt eingeordnet, der den Sportler stärker an seinen Sport schweißt, wodurch er mental als noch leistungsfähiger eingestuft wurde.[53]

Diese erste Definition von Sportsucht stellte Glasser 1976 auf. Er unterscheidet hierbei zwischen einer positiven und einer negativen Sucht. Als positive Sucht bezeichnet Glasser das Streben nach jenen Aktivitäten, die gut für den Menschen sind, wie beispielsweise das Joggen und das Meditieren, während er negative Süchte im Zusammenhang mit dem schädlichen Substanzkonsum definiert. Für Glasser stellt eine positive (Sport-)Sucht ein Brunnen mentaler Stärke dar. Sie macht Spaß und lässt sich mit den sozialen und familiären Geflechten, ebenso gut wie mit den beruflichen und privaten Ambitionen vereinbaren.[54] Nach Glasser ist die Sportsucht gekennzeichnet durch eine starke Bindung an den Sport, die euphorisierende Wirkung beim Sporttreiben und das Gefühl von innerem Wohlbefinden. Gerade deswegen sind bei einem als positiv süchtig bezeichneten Sportler negative Stimmungen, Schuldgefühle sowie physisches und psychisches Unwohlsein als typische Entzugssymptome suchtartigen Verhaltens zu beobachten, wenn man ihn davon abhält, seinen Sport auszuüben.[55]

Dieser ersten Einordnung von Sport als einer positiven Sucht widersprach Morgan drei Jahre später, indem er auf das Ausüben sportlicher Aktivitäten trotz negativer Folgen für die Gesundheit aufmerksam machte. Er gilt als einer der ersten Vertreter für die klassisch negative Sportsuchttheorie.[56]

Morgan vertritt die Ansicht, dass eine Sportsucht dann vorliegt, wenn der Betroffene, aufgrund seines Sporttreibens in Konflikte mit sozialen, familiären oder beruflichen Aktivitäten kommt. Weiter kann das Nichtausüben der sportlichen Aktivität zu Entzugssymptomen führen und der Betroffene kann von dem inneren Zwang besessen sein, Sport zu treiben, da er vermeintlich ohne seine Sportaktivität alltägliche Lebensanforderungen nicht bewältigen kann.[57]

Verglichen mit den im ICD-10 und den im DSM-IV-TR aufgeführten Kriterien für das Vorliegen einer Substanzabhängigkeit bzw. eines Abhängigkeitssyndroms, ähneln sich diese, von Morgan beschriebenen Anzeichen für das Vorliegen einer Sportsucht, mit denen einer Abhängigkeit.

Veale ging bei seiner Definition von 1987 noch einen Schritt weiter, indem er postulierte, dass sich alle Kriterien, welche man zur Diagnose einer Abhängigkeit heranzieht ebenfalls auf die Sportsucht übertragen lassen. Er beschrieb die Sportsucht als einen Zustand, welcher durch exzessives Sporttreiben charakterisiert wird und auf den der Süchtige nur schwer verzichten kann. Dabei ist es dem Betroffenen egal, ob er gesundheitliche Risiken oder Schäden in Kauf nehmen muss. Weiter führt Veale aus, dass sich Sportsüchtige gedanklich immer wieder mit dem Sporttreiben beschäftigen und es mitunter zu psychischen Entzugserscheinungen kommen kann, sollten sie ihren Sport nicht ausüben können. Die gedankliche Abwesenheit, wie auch die Entzugssymptome wiederum führen zu sozialen, beruflichen oder familiären Problemen.[58]

4. Kriterien zur Diagnose einer Sportsucht

Im folgenden Abschnitt werden die in der Fachwelt überwiegend akzeptierten Kriterien zur Diagnose einer Sportsucht vorgestellt und erläutert.

4.1. Toleranzentwicklung

Die Toleranzentwicklung äußert sich bei einer Sportsucht durch den Hang zur Steigerung der sportlichen Aktivitäten. Diese Steigerung des Umfangs oder der Intensität wird benötigt, damit sich der gewünschte Effekt einstellt und sich der Betroffene gut fühlt. Anderenfalls würde sich bei gleichbleibendem Trainingsumfang oder gleichbleibender Intensität ein immer geringerer Effekt einstellen. Der Betroffene würde sich nach und nach an das Training gewöhnen und es würde seinen Ansprüchen nicht mehr genügen.[59]

Problematisch ist jedoch, dass die Steigerung der Intensität oder des Umfangs zu den Grundprinzipien des sportlichen Trainings gehört. Daher erachten einige Forscher die Toleranzentwicklung als ungeeignet für die Diagnose von Sportsucht.[60] Andere Ansätze berücksichtigen die Toleranzentwicklung; jedoch wird darauf hingewiesen, dass man, erst wenn die Sportdosis trotz vorliegender Beschwerden oder gesundheitlicher Risiken gesteigert wird, dieses Kriterium für die Sportsucht heranziehen sollte.[61] Konform mit Bamber et al. sollte die Toleranzentwicklung nicht als alleiniges Kriterium für Sportsucht herangezogen werden, jedoch kann sie im Kontext mit anderen Kriterien als Hinweis für das Vorliegen einer Sportsucht betrachtet werden.[62]

4.2. Entzugssymptome

Bei den meisten Studien zum Thema Sportsucht steht die Frage nach den Entzugssymptomen im Zentrum der Forschung, denn gerade der Nachweis dieser Symptome wird überwiegend als ein wichtiges Kriterium für das Vorhandensein einer Sucht angesehen.[63]

Als Entzugssymptome können bei sportsüchtigen Personen vor allem emotionale Störungen beobachtet werden. Hierunter fallen innere Unruhe, Gereiztheit, Ängstlichkeit und Unbehagen.[64] Veale beschreibt, dass Formen von Depressionen und Ängsten als Entzugssymptome angesehen werden können.[65] Morris, Steinberg, Skyes und Salomen konnten bei Sportsüchtigen sogar körperliche Entzugssymptome, wie Schlafstörungen und eine allgemeine körperliche Erschöpfung, feststellen.[66] Einige Sportsüchtige treiben Sport auch oder gerade deshalb, um diese Entzugssymptome zu vermeiden.[67] Daneben muss allerdings festgehalten werden, dass leichte Entzugssymptome in Ansätzen auch für Sportler normal sind, da diese immer auftreten, wenn Menschen auf etwas verzichten müssen, was sie gerne machen. Daher fordern Bamber und Kollegen, dass nur stärkere Entzugssymptome zur Diagnostik von Sportsucht herangezogen werden.[68]

[...]


[1] Vgl. Kröger, 2008, S. 79 ff

[2] Vgl. Hausenblas & Symons Downs, 2002a, S. 113 ff

[3] Vgl. Veale, 1987, S. 757 f

[4] Vgl. Wermke et al., 2001, S. 780 ff, 792

[5] Vgl. March, 2004, S. 88ff

[6] Vgl. Becker & Böing, 1968, S. 123

[7] Vgl. Voigt, 1992, S. 144

[8] Vgl. Beckers, 1995, S. 19ff

[9] Vgl. Joch, 1983, S. 207ff

[10] Röthig & Prohl, 2003, S. 493-495

[11] Volkamer, 1984, S. 196

[12] Vgl. Wermke et al., 2001, S. 828 f

[13] Vgl. Harten, 1991, S. 70 ff

[14] Fahrenkrug & Quack, 1985, S. 345

[15] Vgl. Harten, 1991, S. 70 ff

[16] Vgl. Vetter, 2001, S. 151ff

[17] Gebsattel, 1954, S. 221

[18] Vgl. Vetter, 2001, S. 151 ff

[19] Saß et al., 2003, S. 231 ff

[20] Dilling et al., 2008, S. 99 f

[21] Vgl. Saß et al., 2003, S. 231 ff

[22] Vgl. Dilling et al., 2008, S. 99 f

[23] Vgl. Saß et al., 2003, S. 235

[24] Vgl. Poppelreuter, 1997, S. 23

[25] Vgl. Gross, 1995, S. 13; Poppelreuter & Gross, 2000, S. 3 ff

[26] Vgl. Poppelreuter & Gross, 2000, S. 3ff

[27] Vgl. Maes, 1983, S. 733 ff; Gross, 1995, S. 79; Poppelreuter & Gross, 2000, S. 1 ff

[28] Vgl. Poppelreuter, 1997, S. 28 ff

[29] Vgl. Hobi, 1982, S. 579 ff

[30] Vgl. Gross, 1995, S. 13

[31] Vgl. Alfermann, Pfeifer & Stoll, 2010, S. 340; Grüsser & Thalemann, 2006, S. 13; Poppelreuter & Gross, 2000, S. 3

[32] Vgl. [2]

[33] Vgl. Poppelreuter, 1997, S. 28 ff; Wanke, 1985, S. 20

[34] Vgl. Grüsser & Thalemann, 2006, S. 20 ff; Thalemann, 2009, S. 6 ff

[35] Dilling et al., 2008, S. 258 ff

[36] Saß et al., 2003, S. 727 ff

[37] Vgl. Dilling et al., 2008, S. 258 ff; Herpertz, 2001, 3; Saß et al., 2003, S. 727 ff

[38] Vgl. Thalemann, 2009, S. 6 ff

[39] Vgl. Grüsser & Thalemann, 2006, S. 20 ff

[40] Vgl. Grüsser et al., 2007, S. 997 ff; Grüsser & Thalemann, 2006, S. 20 ff; Breuer & Kleinert, 2009, S. 6 ff; Thalemann, 2009, S. 6 ff

[41] Vgl. Dilling et al., 2008, S. 177 ff; Saß et al., 2003, S. 508 ff

[42] Vgl. Oelkers et al., 2007, S. 4

[43] Vgl. Ambühl & Meier, 2003, S. 42 ff

[44] Vgl. Grüsser & Thalemann, 2006, S. 22

[45] Vgl. Grüsser et al., 2004, S. 201 ff; 2005, S. 592 ff; 2007, S. 997 ff; Breuer & Kleinert, 2009, S. 6 ff

[46] Vgl. Gross, 1995, S. 76 ff

[47] Vgl. Hausenblas & Symons Downs, 2002a, S. 89 ff; Thalemann, 2009, S. 6 ff

[48] Vgl. Breuer & Kleinert, 2009, S. 19 ff

[49] Vgl. Albrecht & Grüsser, 2003, S. 69 ff; Bachmann, 2004, S. 154 ff; Dlubis-Mertens, 2003, S. 513 ff; Griffith, 2005, S. 191 ff; Grüsser et al., 2004, S. 201 ff; 2005, S. 592 ff; 2007, S. 997 ff; Poppelreuter und Gross, 2000, S. 21 ff; Thalemann, 2009, S. 6 ff

[50] Vgl. Dlubis-Mertens, 2003, S. 514

[51] Vgl. Hausenblas & Symons Downs, 2002a, S. 89 ff; Breuer & Kleinert, 2009, S. 6 ff

[52] Vgl. Grüsser & Thalemann, 2006, S. 97

[53] Vgl. Alfermann et al., 2010, S. 342

[54] Vgl. Carmack & Martens, 1979, S. 25 ff

[55] Vgl. Glasser, 1976, S. 2

[56] Vgl. Breuer & Kleinert, 2009, S. 97 ff

[57] Vgl. Morgan, 1979, S. 57 ff

[58] Vgl. Veale, 1987, S. 735 ff

[59] Vgl. Hausenblas & Symons Downs, 2002a, S. 89 ff

[60] Vgl. Veale, 1995, S. 1 ff

[61] Vgl. Breuer & Kleinert, 2009, S. 197 ff

[62] Vgl. Bamber et al, 2000, S. 423 ff; 2003, S. 393 ff

[63] Vgl. Breuer & Kleinert, 2009, S. 197 ff; Chan & Grossmann, 1988, S. 875 ff; Wittig et al., 1992, S. 497 ff; Mondin et al., 1996, S. 1199 ff; Morris et al., 1990, S. 493 ff; Robbins & Joseph, 1985, S. 23 ff; Szabo, 1995, S. 68 ff; Thaxton, 1982, S. 73 ff; Adams & Kirkby, 2002, S. 415 ff

[64] Vgl. Morris et al., 1990, S. 493 ff

[65] Vgl. Veale, 1987, S. 735 ff; 1995, S. 1 ff

[66] Vgl. Morris et al., 1990, S. 493 ff

[67] Vgl. Hausenblas & Symons Downs, 2002a, S. 89 ff

[68] Vgl. Bamber et al., 2000, S. 423 ff; 2003, S. 393 ff

Ende der Leseprobe aus 80 Seiten

Details

Titel
Sportsucht unter Sportstudierenden
Untertitel
Eine empirische Untersuchung
Hochschule
Universität Koblenz-Landau  (Sport)
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
80
Katalognummer
V356118
ISBN (eBook)
9783668439931
ISBN (Buch)
9783668439948
Dateigröße
1319 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Abhandlung über Süchte im Allgemeinen und der krankhaften Fixierung auf ein körperliches Idealbild im Speziellen.
Schlagworte
Sport, Sucht, Sportsucht, Essstörungen, Essstörung, Magerwahn, Muskel, Muskeln, Bulimie, Anorexie, Dysmorphophobie, Diagnose, Runner´s High, Runners High
Arbeit zitieren
Alexander Barth (Autor:in), 2011, Sportsucht unter Sportstudierenden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/356118

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